THOMAS SCHÜTTE Vielleicht fragt man sich, wie ein Künstler dazu kommt, Häuser zu bauen, und warum er das nicht den Architekten überlässt? Thomas Schütte (*1954) ist einer der ungewöhnlichsten und faszinierendsten Künstler seiner Generation. Der seit den frühen 1980er-Jahren tätige Künstler beschäftigt sich nebst seinem international bekannten skulpturalen Werk bereits seit über dreissig Jahren mit dem Bauen im öffentlichen Raum. Auf diesem sowohl künstlerisch wie gesellschaftlich äusserst interessanten Teil seines Werks baut die Ausstellung Thomas Schütte. Houses auf. Nach „Nouvelles boîtes!“ und „Jorge Macchi. Container“ ist es die dritte von Fanni Fetzer kuratierte Ausstellung, welche sich intensiv mit der Frage von Raum, Architektur und ganz konkret mit dem Museumsbau von Jean Nouvel auseinandersetzt. Thomas Schütte findet, den Räumen des Kunstmuseum Luzern fehle es an Karma. Umso wichtiger scheint es denn, dass diese Räume mit lebendiger, atmosphärischer und das Publikum herausfordernder Kunst bespielt werden. Der Künstler kommentiert die Architektur der Ausstellungsräume in Luzern, indem er die sonst geschlossenen und darum versteckten „Bilderschlitze“ öffnet und die Konstruktion der Räume so sichtbar macht. Thomas Schüttes Architekturen sind treffende Metaphern und kritische Kommentare zugleich. Sie führen uns vor Augen, wie wir leben, wie wir bauen und wie unsere Welt vielleicht auch anders aussehen könnte. Thomas Schüttes „Häuser“ sind keine ortsspezifischen Werke sondern Proto- und Archetypen von Architektur und öffentlichem Bauen. Die Gebäude bewahren den Charakter einer reinen Idee und werden nicht einer Funktionalität unterworfen. Es sind geistige Räume zu konkreten Bildern geformt. Immer sind sie ein Spiel zwischen Monumentalität und Intimität. Perhaps you might wonder how an artist ends up building houses, and why he doesn’t leave the job to the architects? Thomas Schütte (b. 1954) is one of the most unusual and fascinating artists of his generation. The artist, active since the early 1980s, has already been working with buildings in the public space for over thirty years, along side his internationally famous sculptural work. The exhibition Thomas Schütte. Houses is based on this part of his work, which is extremely interesting both artistically and socially. After ‘Nouvelles boîtes!’ and ‘Jorge Macchi. Container’, it is the third exhibition curated by Fanni Fetzer that engages intensively with the question of space and architecture, and in a quite concrete sense with Jean Nouvel’s museum building. Thomas Schütte thinks the spaces of Kunstmuseum Luzern lack karma. It therefore seems all the more important for these rooms to be filled with atmospheric art that challenges the public. The artist comments upon the architecture of the exhibition spaces in Lucerne by opening up 'picture slits' that are normally closed and therefore hidden, thus making the construction of the spaces visible. Thomas Schütte’s architectures are at once interesting questions, telling metaphors and critical commentaries. They show us how we live, how we build and how our world might also look different. Thomas Schütte’s ‘Houses’ are not site-specific works, but prototypes and archetypes of architecture and public building. The buildings preserve the character of a pure idea, and are not subjected to any kind of functionality. They are mental spaces turned into concrete images. They are always a game between monumentality and intimacy. Das 1:1 Modell Ferienhaus für Terroristen (2009) führt unmittelbar in Thomas Schüttes künstlerische Welt ein. Die aus einfachen Holzrahmen bestehende Struktur des Ferienhauses ist mit farbigen Stoffen bespannt. Man darf das Haus betreten. Der pavillon-ähnliche Bau trägt einen trügerischen Titel. Ein Ferienhaus für Terroristen? Der Künstler kommentiert nicht weiter – doch der prägnante Titel lässt die Frage nach der Stigmatisierung einer eigentlich undefinierbaren Bevölkerungsgruppe und damit nach unserer Erschaffung von Feindbildern aufkommen. Gleichzeitig symbolisieren Ferienhäuser die Sehnsucht nach Luxus, Geborgenheit und Rückzugsmöglichkeit und sind damit Inbegriff des kleinbürgerlichen Traums unserer westeuropäischen Gesellschaft. Mit den beiden Modellen des Ferienhaus für Terroristen (1:10 und 1:20) von 2002 und 2007 begegnen wir derselben Idee ein weiteres Mal. Doch diesmal bleiben wir Beobachterinnen und Beobachter von aussen und umschreiten das Ge- zeigte neugierig. Das Video Ferienhaus für Terroristen (2011/2012) zeigt, dass Schütte Modelle baut, die er dann nach Möglichkeit auch tatsächlich realisiert. The 1:1 model Ferienhaus für Terroristen (2009) leads directly into Thomas Schütte’s artistic world. The structure of the holiday home, consisting of simple wooden frames, is stretched with colourful fabrics. It is alloud to step inside the house. The pavilion-like building has a deceptive title. A holiday home for terrorists? The artist does not comment any further – but the blunt title raises the question of the stigmatisation of an actually undefinable section of the population and thus our creation of stereotypical enemies. At the same time holiday homes symbolise the longing for luxury, security and the possibility of retreat, and thus epitomse the petit-bourgeois dream of our western European society. In the two models of the Ferienhaus für Terroristen (1:10 and 1:20) from 2002 and 2007, we encounter the same idea again. But this time we remain outside observers, and curiously step around what is on display. The video Ferienhaus für Terroristen (2011/2012) shows that Schütte builds models which he then goes on to realise where possible. Mit Furniture (2005) führt uns Schütte im Massstab 1:1 weiter durch die Ausstellungsräume. Farbige Wände, kunstvolle Lampen und etwas sperrige, postmoderne Möbel verleihen den Eindruck von Wohnlichkeit. Der Entwurf einer Grundmöblierung, einer potentiellen Ausstattung seiner Architekturen verweist auf die für den Künstler äusserst wichtige Komponente des Handwerks. Zierspuren auf dem Holz, mit einer Silikonschablone angebrachte Muster auf den Wänden machen aus dem White Cube einen Wohnraum, in dem einen jedoch das Gefühl von Kühle und Distanz nicht ganz loslässt. With Furniture (2005) Schütte leads us on through the exhibition spaces on a scale of 1:1. Colourful walls, artful lamps and rather bulky postmodern furniture create an impression of cosiness. The design of basic furnishings, a potential decoration of his architectures, refers to craft components that are extremely important to the artist. Traces of embellishment on the wood, patterns applied to the walls with a silicon stencil, turn the White Cube into a living space, but one which is never quite free of a feeling of coolness and detachment. Indem Thomas Schütte seine Modelle auf Sockel stellt, erhebt er die teils sehr kleinteiligen Objekte zu Monumenten. Gleichzeitig macht er seine Architekturen im Massstab 1:1 begehbar. Damit verschiebt er die Wahrnehmung: Das Modellhafte hilft, das Funktionieren der Welt zu visualisieren und zugleich Distanz dazu zu gewinnen. Einmal fühlen wir uns wie Gulliver auf seinen Reisen durch eine scheinbar perfekte Welt, ein andermal wird uns mit melancholischem Unterton die Vereinzelung des Menschen in der Monumentalität unserer Gebäude veranschaulicht. Tower of Talkers (2006), Teehaus (2011), Eisdiele (2010-2011) oder auch Ackermans Tempel (beide Modelle 2011) sind treffende Beispiele dafür. Sie begegnen uns als scheinbar vereinfachte Prototypen, doch wurden sie alle tatsächlich umgesetzt oder sind bereits in Planung. Hotel for the Birds (2006) wurde für den prominenten Trafalgar Square vor der National Gallery of Art in London realisiert. Auf dem Platz stehen 4 Säulen, 3 davon sind besetzt mit traditionellen Statuen, eine ist leer und wird jedes Jahr neu von einem international renommierten Künstler bespielt. By placing his models on plinths, Thomas Schütte elevates the sometimes very intricate objects to the status of monuments. At the same time he makes his architectures accessible to the public, on a scale of 1:1. By doing so he is shifting perception: the model-like aspect helps to visualise the functioning of the world, and at the same time to gain detachment from it. Now we feel like Gulliver on his travels through an apparently perfect world, now the isolation of the human being amidst the monumentality of our buildings is given visual form. Tower of Talkers (2006), Teehaus (2011), Eisdiele (2010-2011) or Ackerman’s Tempel (both models 2011) are telling examples of this. We encounter them as apparently simplified prototypes, but they have all actually been realised or are already in the planning stage. Hotel for the Birds (2006) was realised for Trafalgar Square in front of the National Gallery in London: In the square there are four columns, three of which are occupied by traditional statues, and one of which is empty and is occupied each year by a different internationally famous artist. In seinen kleinteiligen und detailliert ausgearbeiteten Modellen aus Zinkblech oder Holz greift Thomas Schütte seit 2003 vorherrschende Moden in der Architektur kritisch auf. Die One Man Houses sind die wichtigste Modell-Gruppe des Künstlers. Nachdem er sie anfangs aus Lüftungselementen aus Zinkblech (One Man Houses, 2003) gebaut hatte, gestaltet er seit 2003 die raffinierten Behausungen für einen einzelnen Menschen immer wieder neu. Der Gedanke der Bewohnbarkeit regt den Künstler dazu an, die Idee der Häuser weiter auszuarbeiten. Aus Sperrholz entstand so eine ganze Serie in grösserem Massstab (One Man House II, III, V, 2004-2005). Dank des Engagements von Sammlern konnten einige dieser Modelle in den vergangenen Jahren tatsächlich in voller Grösse gebaut werden. So war der Schritt vom Modell zum Bauwerk getan. Die Versammlung vieler dieser Modelle in der Ausstellung „Houses“ setzt sich mit der Massstäblichkeit von Entwurf und Umsetzung auseinander und fragt dabei stets nach dem Menschen, für den solche Bauten konzipiert sind. Bei genauerer Betrachtung versprechen die Modelle einerseits Schutz und Geborgenheit, gleichzeitig lässt einen der Eindruck von Isolation nicht los. In his intricate, minutely elaborated models in zinc or wood, since 2003 the artist has critically reappraised prevailing fashions in architecture. The One Man Houses are Thomas Schütte’s most important group of models. After initially constructing them out of zinc ventilation parts (One Man Houses, 2003), he has repeatedly redesigned the refined dwellings for single individuals since 2003. The idea of inhabitability spurs the artist to further elaborate the idea of houses. This has, for example, produced a whole series on a larger scale (One Man House II, III, V, 2004-2005). Thanks to the commitment of collectors, over the past few years some of these models have actually been built full-size. Thus the step has been taken from model to construction. The collection of many of these models in the exhibition ‘Houses’ engages with the scale relations of design and transposition, and at the same time inquires into the human being for whom such buildings are conceived. On closer inspection, the models on the one hand promise protection and security, while at the same time they continue to create an impression of isolation. Bei den grossformatigen Serien Hauptstadt (1981) sowie Wood Cuts (2011) bleibt Thomas Schütte bewusst auf der Ebene der Abstraktion und der Symbole. Bei letzterer verweist der scheinbar simple Titel auf eine aufwändige Herstellungstechnik: Der Künstler hat verschiedene Hölzer als Intarsie zu Platten zusammengebaut und diese als Vorlage für die Holzdrucke verwendet. In beiden Druckserien zeigt uns Thoma Schütte Grundelemente von Architektur. Wir sehen Treppen, Fenster, Ecken in reduzierter Manier. Hauptstadt erzählt, ähnlich wie Schüttes berühmte Skulptur Vater Staat, in bedrückender Art und Weise von Macht, Kontrolle und der martialischen Seite unserer politischen Systeme. In the large-format series Hauptstadt (1981) and Wood Cuts (2011), Thomas Schütte remains quite consciously on the level of abstraction and symbols. In the latter series, the apparently simple title refers to a an elaborate production technique: the artist has assembled various woods into slabs as inlays, and used them as the basis for his woodcuts. In both series Thomas Schütte shows us fundamental elements of architecture. We see steps, windows and corners in a reduced form. In an oppressive way Hauptstadt, like Schütte’s famous sculpture Vater Staat, speaks of power, control and the martial side of our political systems. Die beiden Modelle einer Skulpturenhalle (1:100, 2011) und (1:20, 2012) sind Beispiele für Schüttes Auseinandersetzung mit öffentlichen Bauten, und gleichzeitig verdeutlichen sie seinen Wunsch nach einem Museum für die eigene Kunst. Auf der Insel Hombroich, in der Nähe von Düsseldorf, ist durch eine 1996 gegründete Stiftung ein Ort entstanden, der verschiedene Kulturdenkmäler vereint. Schütte hat sich ebendort ein Stück Land gekauft und für seine eigene Skulpturenhalle eine umfangreiche Baueingabe bei der Stadt eingereicht. Der Entwurf jedoch bleibt ambivalent, erinnert er doch an ein Mausoleum. The two models of a Sculpture Hall (Skulpturenhalle 1:100, 2011 and 1:20, 2012) are examples of Schütte’s engagement with public buildings, and at the same time they clarify his desire for a museum devoted to his own art. On the island of Hombroich, near Düsseldorf, a place has been created thanks to a foundation established in 1996 which brings together various cultural monuments. Schütte has bought a piece of land there and placed a large building application with the city. But the design remains ambivalent, being reminiscent of a mausoleum.
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