Wir schauen zu, wie wir den Boden unter den Füssen

pro natura magazin
thema
04 | 2015 JULI
11
Wir schauen zu, wie wir den
Boden unter den Füssen verlieren
istock/Daniel Schoenen
2
In undurchsichtigen Verfahren werden in der Schweiz umstrittene und
gefährliche Pestizide auf den Markt zugelassen. Die Verantwortung
dazu liegt alleine beim Bundesamt für Landwirtschaft, das eine
grosse Nähe zur Pestizidlobby pflegt.
22
26
Prisma/Janes
Catherine Leutenegger
www.f1online.de
Sollte in den Parlamentswahlen ein Rechtsrutsch erfolgen, seien
umweltpolitisch höchst wichtige Dossiers wie die Energiewende in
Gefahr, warnt Nationalrätin Silva Semadeni.
14
Statt seinen Rebberg mit
Pestiziden zu bespritzen, griff
Guillaume Bodin zur Kamera
und erstellte einen
aufrüttelnden Dokumentarfilm
über staatlich verordnete
Gifteinsätze.
18
Titelbild: Zwei junge Saanenziegen
erkunden die Profilwand
eines Braunerdebodens.
Fotografen: Gabriela Brändle /
Urs Zihlmann, Agroscope
Die Biodiversität in der Schweiz ist in den letzten Jahrzehnten
flächendeckend zurückgegangen, dies zeigt eine breit angelegte
Studie eindrücklich auf. Wirkungsvolle Gegenmassnahmen wie der
Aktionsplan Biodiversität sind deshalb dringend nötig.
pro natura magazin
Mitgliederzeitschrift von Pro Natura – Schweizerischer Bund für Naturschutz
von der Zewo als gemeinnützig anerkannt.
Impressum: Pro Natura Magazin 4/2015. Das Pro Natura Magazin erscheint fünfmal jährlich (plus Pro Natura Magazin Spezial) und wird allen Pro Natura Mitgliedern zugestellt. ISSN 1422-6235
Redaktion: Raphael Weber (raw), Chefredaktor; Florence Kupferschmid-Enderlin (fk), Redaktion französische Ausgabe; Andrea Strässle (as), Redaktorin; Judith Zoller, pro natura aktiv ­
Layout: Sarah Kahn, Raphael Weber.
Mitarbeit an dieser Nummer: René Amstutz (ra), Christoph Flory, Hans Fritschi, Nicolas Gattlen (nig), Rico Kessler, Eva-Maria Kläy (emk), Stefan Lauber, Marcel Liner (ml), Sabine Mari, Kurt Marti,
Lorenz Mohler (Übersetzungen), Marcus Ulber, Ulysses Witzig, Friedrich Wulf, Rolf Zenklusen (zen).
Redaktionsschluss Nr. 5/2015: 01.09.2015
Druck: Vogt-Schild Druck AG, 4552 Derendingen. Auflage: 117 000 (86 000 deutsch, 31 000 französisch). Gedruckt auf FSC-Recyclingpapier.
An­schrift: Pro Natura Magazin, Postfach, 4018 Basel; Tel. 061 317 91 91 (9–12 und 14–17 Uhr), Fax 061 317 92 66, E-Mail: [email protected]; www.pronatura.ch; P­ K‑40-331-0
Inserate: CEBECO GmbH, We­berei­str. 66, 8134 Adliswil, Tel. 044 709 19 20, Fax 044 709 19 25, [email protected] Inserateschluss 5/2015: 11.09.2015
Friends of the Earth International.
Pro Natura ist Gründungsmitglied der Internationalen Naturschutz­union IUCN und Schweizer Mitglied von
www.pronatura.ch
inhalt
3
editorial
4thema
4 K
nappes Gut: Unsere Böden verlieren an Qualität
und Quantität. Nicht nur in der Schweiz.
6 K
omplexes Ökosystem: Was wir als Dreck
bezeichnen, beinhaltet unzählige Lebewesen.
Sand gibts nicht wie Sand am Meer.
Und Boden auch nicht.
8 U
ngeschützte Kostbarkeit: Trotz Handlungsbedarf
greift der Bodenschutz in der Schweiz nicht.
«Wie Sand am Meer» pflegen wir Dinge zu bezeichnen, die in schier
10 B
elastete Ressource: Unsere Böden müssen
zu viele Schadstoffe schlucken.
Sand zu einer immer knapperen Ressource wird? Denn Sand ist in
12 R
asches Umdenken: Ein Bodenexperte richtet
klare Forderungen an die Landwirtschaft.
Handys, unseren Kreditkarten – um nur einige Beispiele zu nennen.
unendlicher Dimension verfügbar sind. Doch wussten Sie, dass
unseren Häusern, unseren Strassen, unseren Computern, unseren
Viele Länder haben ihre Sandreserven bereits aufgebraucht, und
deshalb hat nun der grosse Ansturm auf Meeressand begonnen.
14köpfe
Dies führt dazu, dass sich weltweit Strände zurückbilden, ganze
16in kürze
verschwinden.
18 brennpunkt
18 B
iodiversität: Eine breit angelegte Studie belegt
deren starke Rückläufigkeit.
Inseln vom Meer verschluckt werden und Lebensräume
Ein öffentliches Thema ist dieser Raubbau aber noch kaum.
Wahrscheinlich deshalb, weil wir eben immer noch die Illusion
haben, Sand sei endlos verfügbar.
Mit der Ressource Boden verhält es sich ähnlich. Während
21 K
ehrtwende: Bundesamt macht bescheidene
ökologische Fortschritte wieder zunichte.
Böden weltweit in einem alarmierendem Tempo versiegelt werden,
22 Pestizide: Kommen in der Schweiz mit
intransparenten Verfahren auf den Markt.
26 Parlamentswahlen: Eine Website zeigt, welche
Politiker für die Natur einstehen.
Wahrnehmung zu ändern: Volksabstimmungen zum quantitativen
28 Wolfgegner: Wer ist die Arbeitsgemeinschaft für
Berggebiete, die den Wolf ausrotten will?
zunehmend wachsame Haltung auch die Qualität der Böden?
30news
gilt Boden für viele Leute immer noch verfügbar wie Sand am Meer.
In der teils dicht besiedelten Schweiz, wo die endliche Seite
dieser Ressource immer mehr sichtbar wird, beginnt sich jedoch die
Schutz des Bodens fanden Mehrheiten. Doch betrifft die
Diesen muten wir immer noch Unsummen von Stickstoffen aus
dem Autoverkehr, Pestiziden und Dünger aus der Landwirtschaft zu.
In diesem Umfeld macht es grossen Sinn, dass die UNO das Jahr
30 Rheinaue: Im Wasserschloss Aargau entsteht eine
weitere faszinierende Auenlandschaft.
2015 zum Internationalen Jahr des Bodens erklärt hat. In der
32: J
uraweid: Wo Pro Natura neben Getreide, Gemüse,
Obst, Milch und Fleisch auch Biodiversität produziert.
weitgehend umschifft. Die wichtigen und wertvollen Funktionen
llondon: In Genfs grüner Arterie entsteht ein
33: A
weiteres Naturschutzzentrum.
qualitativ schlechter wird, erfahren wir nur am Rand. Mehr noch:
Schweizer Kampagne des Bundes aber werden kritische Punkte
des Bodens werden erläutert, dass dieser aber immer knapper und
Die Kampagne wird ausgerechnet von Syngenta gesponsert; also
einem Pestizidgiganten, der mitverantwortlich für die Belastung
34beobachtet
unserer Böden ist.
35service
Thema Boden eine andere Betrachtung zu widmen. Damit nicht der
39 pro natura aktiv
46 shop
48die letzte
In diesem Umfeld versuchen wir im Pro Natura Magazin, dem
Eindruck entsteht, Boden sei wie Sand am Meer verfügbar.
Raphael Weber, Chefredaktor
4
thema
Ein knappes
Gut wird
immer knapper
Böden sind nicht nur das, was wir unter den Füssen haben
oder das, was haften bleibt, wenn unsere Kinder vom Spielen ins Haus kommen. Sie sind unersetzbar als Wasser- und
Kohlenstoffspeicher, sichern so unsere Wasserversorgung und
wirken dem Klimawandel entgegen. Sie versorgen Pflanzen
mit Wasser und Nahrung und ermöglichen so die Produktion
von Lebensmitteln, Brennstoffen, Textilfasern, Holz, Arznei­
pflanzen und vielen weiteren lebenswichtigen Roh­stoffen.
Böden sind komplexe Ökosysteme mit unzähligen Bewoh-
Mit dem Internationalen Jahr
des Bodens lenkt die UNO
zu Recht die Aufmerksamkeit
auf diese zentrale und doch
ungenügend beachtete
Ressource. Denn unsere Böden
verlieren andauernd an Qualität
und noch viel schneller
an Quantität. Nicht nur in
der Schweiz, sondern weltweit.
nern (Seiten 6/7). Bis ein Boden soweit gereift ist, dass ausreichend organisches und anorganisches Material so aufbereitet ist, dass er seine Funktionen als Wasser- und Nährstoff­
lieferant gut erfüllen kann, dauert es Tausende von Jahren.
Das ist deutlich länger als die Rate, mit der wir Menschen den
Boden zerstören.
Weniger und weniger
Böden stehen unter einem immensen Druck. Zum einen werden Böden durch Überbauung zerstört: In knapp 20 Jahren
wird sich nach Prognosen der Yale School of Forestry and En­
viron­mental Studies der Bodenverlust durch Siedlungsflächen
weltweit um eine Fläche der Grösse Südafrikas verdoppeln. In
der EU wurden zwischen 1990 und 2006 rund 1000 Quadrat­
kilometer pro Jahr neu versiegelt, also jährlich mehr als die
Fläche des Thurgaus. In der Schweiz geht jede Sekunde mehr
als ein Quadratmeter Landwirtschaftsfläche verloren, zu zwei
Dritteln für neue Siedlungsflächen – vor allem in den Tal­lagen
und im Mittelland. Im Jahr entspricht dies der Fläche des Kantons Basel-Stadt.
Zum anderen degradieren grosse Flächen durch Erosion,
Übernutzung, Auslaugung, Verdichtung, Versalzung und andere nicht nachhaltige Bodennutzungspraktiken und können ihre Funktionen nicht mehr oder nur mithilfe immenser
Kunstdüngergaben erfüllen (Seiten 10/11). Wegen der quantitativen und qualitativen Verluste werden im Jahr 2050 jedem
Erden­bürger im Vergleich zu 1960 voraussichtlich nur noch ein
Viertel der Bodenfläche zur Verfügung stehen.
Die Folgen unseres Fleischhungers
Während der Druck auf die Schweizer Böden im Wesentlichen aus dem eigenen Lande stammt, sind die Ursachen für
die Bodenverluste in den Entwicklungsländern oft importiert.
Die starke Nachfrage nach Genussmitteln, Futtermitteln oder
Biomasse stammt aus den Industrieländern. Herr und Frau
Schweizerin verzehren im Jahr rund 55 Kilogramm Fleisch.
Damit dieses produziert werden kann, muss im grossen Stil
Zur Illustration dieses Themas zeigen wir verschiedene
Profilwände von Schweizer Bodentypen. Die Fotos
wurden erstellt von Gabriela Brändle und Urs Zihlmann;
sie arbeiten für Agroscope.
Kraftfutter importiert werden – jährlich rund 300 000 Tonnen
Soja, vorwiegend aus Brasilien. Um die nötigen Anbau­f lächen
zu gewinnen, werden dort grosse Flächen der «Cerrado»Baumsavanne zerstört, die der Lebensraum vieler seltener ArPro Natura Magazin 4/2015
thema
5
12,6 %
1’400’000’000 m²
12,6 Prozent der Erdoberfläche
sind landwirtschaftlich nutzbare Böden.
140'000 Hektaren beansprucht die Schweizer Landwirtschaft in Ländern der Südhalbkugel
für die Produktion von Futtermitteln, oft auf früheren Regenwaldflächen.
300’000’000 kg
300 000 Tonnen Soja, vorwiegend aus Brasilien und Argentinien,
werden jährlich für die Schweizer Tiermast importiert und rund um
den Globus transportiert.
ten wie etwa des Mähnenwolfs ist. Ähnliche Probleme verur-
Ostteil der Republik von nichtlandwirtschaftlichen Investoren
sacht der Anbau von Pflanzen für die Gewinnung von Agro­
aufgekauft, sodass örtlichen Landwirtschaftsbetrieben nicht
treibstoffen in den Tropen, zum Beispiel von Jatropha, Zucker-
mehr genügend Flächen zur Verfügung stehen. Auch in wei-
rohr oder Ölpalmen.
teren osteuropäischen Ländern wie Ungarn oder Ukraine wur-
Die Nachfrage von Industrieländern nach diesen vermeint-
lich CO2-neutralen Brennstoffen hat zu einem Boom bei multi-
den in den vergangenen Jahren riesige Flächen an externe Investoren verkauft oder verpachtet.
nationalen Konzernen geführt, die mit diesen Produkten handeln. Die Schweiz fördert diese Entwicklung mitunter durch
Zunehmen tun nur die Preise
die Ansiedlung von Unternehmen wie zum Beispiel des in
Wegen dieser ständig zunehmenden Verknappung von Boden
Genf registrierten Addax Bioenergy Konzerns. Dessen Bio­
steigen auch die Bodenpreise weltweit an. Die Folgen dieser
ethanol-Projekt hat grosse Flächen in Sierra Leone für die Bio-
Entwicklung sind hinlänglich bekannt: Boden wird zum Spe-
sprit-Produktion belegt, die zuvor den lokalen Landwirten als
kulationsobjekt mit garantiert steigendem Wert, den immer
Anbauflächen für ihre Nahrungsmittelproduktion dienten.
häufiger nur noch das Grosskapital bezahlen kann. Auch deshalb verlieren die Einwohner von Entwicklungsländern im-
Raubzüge in fremde Länder
mer mehr den Zugang zu ihren Böden. Es gibt mittlerweile
In Europa finden fünf Prozent der globalen Landnutzung statt,
zahlreiche internationale Vereinbarungen zu allen möglichen
doch unser Kontinent beansprucht mehr als das Doppelte die-
Themen – der Boden, eine der zentralsten Ressourcen, ist aber
ser Fläche (12,6 %) für seinen Bedarf. Dies hat eine Studie des
nicht Gegenstand irgendeiner Vereinbarung. Vielleicht auch,
Pro Natura Netzwerks Friends of the Earth Europe gezeigt.
weil dies nicht im Sinn der Industriestaaten ist.
Dieser Überanspruch wird in anderen Kontinenten gedeckt,
im Extremfall durch den Kauf von Boden in anderen Ländern
genügend Boden haben wollen, um unsere Bedürfnisse und
Der Handlungsbedarf ist klar: Wenn wir auch in Zukunft
– sogenanntes «Landgrabbing».
jene der Natur zu befriedigen, müssen wir mit dem Boden
pfleglicher umgehen. Dazu gehören eine sorgfältigere Raum-
Von Landgrabbing betroffen sind vor allem die Kontinen-
te Afrika und Asien. So hat etwa Saudi-Arabien 1,6 Millionen
planung, welche die weitere Zersiedelung in Grenzen hält,
Hektaren Land in Indonesien erworben – und das ist nur ei-
und eine Politik, die den Aufkauf von Landwirtschaftsflächen
nes von Hunderten von Beispielen. Hauptakteure dieser Raub-
durch externe Investoren verhindert oder zumindest in Gren-
züge sind nebst den Golfstaaten die expandierenden Länder
zen hält. Jeder einzelne kann zur Bewahrung des Bodens bei-
Ost­asiens, allen voran China, aber auch Grosskonzerne der
tragen, in dem er weniger Fleisch konsumiert und mit dem
Industrie­staaten wie der Gentechmulti Monsanto.
Kauf von Bio-Produkten eine Landwirtschaft unterstützt, die
den Boden nicht weiter auslaugt.
Doch nicht nur in Entwicklungsländern findet Land­
grabbing statt: Nach der Wiedervereinigung Deutschlands
wurden 20 bis 50 Prozent der Acker- und Wiesenflächen im
Pro Natura Magazin 4/2015
FRIEDRICH WULF ist bei Pro Natura zuständig für internationale Dossiers.
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thema
1’600’00
Hochbetrieb
im Untergrund
Was wir oft nur als Dreck
unter unseren Füssen
wahrnehmen, ist das Resultat
komplexer Vorgänge,
die für unser Ökosystem
unentbehrlich sind.
1’500’
Ein Boden entsteht durch das Aufeinandertreffen und die Ver-
und junge Böden mit Flusssedimenten (Fluvisol). Jeder Boden-
einigung mineralischer und organischer Stoffe. Boden enthält
typ weist besondere Eigenschaften auf, die mit den Bedingun-
Luft, Wasser, Bakterien und Elemente, die für die Pflanzen
gen seines Lebensraums und seiner Entstehungsgeschichte zu
lebenswichtigen Dünger darstellen und die Erde besonders
tun haben.
fruchtbar machen. Biologische und physikalisch-chemische
Prozesse gliedern den Boden in verschiedene Schichten und
lose und Springschwänze bis zum Maulwurf – da ist was los
Von Bakterien über Algen, Milben, Pilze, zahllose Wirbel­
verleihen ihm so mehr Raum und eine grössere Oberfläche.
im Boden! Allerdings ist diese Artenvielfalt meist unbekannt
und ebenso wenig erforscht. Die durchschnittliche Biomasse
Ausser bei Umweltkatastrophen stirbt ein Boden nie, er
wandelt sich ständig. In der Schweiz entstanden die meisten
in einem Boden wird bei einer Bodendicke von 20 Zentimetern
unserer Böden nach der letzten Eiszeit. Während die Geschich-
pro Hektar (100 x 100 m) auf rund 12 Tonnen geschätzt. Dies
te der Böden in Wäldern und auf Wiesen oft tausende von Jah-
entspricht der Masse von rund 18 Kühen. Unter einem einzi-
ren zurückreicht, sind die Böden entlang unserer Gewässer
gen Schuhabdruck eines Wanderers dürften sich so viele Wir-
meist nur einige Jahrzehnte alt. In der Umgebung von Glet-
bellose finden, wie die Schweiz Einwohner hat (rund 8 Milli-
schern entsteht in der Schweiz jedes Jahr sogar neuer Boden.
onen). Doch diese ausserordentliche Biodiversität existiert im
Einfach ausgedrückt könnte gesagt werden, dass in 150 Jah-
Verborgenen, denn das Bodenuniversum erschliesst sich uns
ren ein Millimeter Boden entsteht.
erst unter dem Mikroskop.
Die zahlreichen Mikroorganismen sind über die Nahrungs-
32 verschiedene Bodentypen
kette miteinander verbunden, innerhalb und ausserhalb des
Die ersten Zentimeter des Bodens sind dunkelbraun bis
Bodens (Pflanzenfresser, Raubtiere, Parasiten, abbauende Or-
schwarz, das Markenzeichen organischer Materie. Etwas tie­
ganismen), besorgen die Wiederverwertung des organischen
fer ändert sich die Farbe zu hellbraun, rostbraun oder bläulich-
Materials. Bakterien regeln den Gasaustausch im Boden, tra-
grau, was auf das Vorhandensein von Eisen hindeutet. Jede
gen zu den biogeochemischen Kreisläufen bei (u. a. Kohlen-
Farbe ist Ausdruck verschiedener chemischer, physikalischer
stoff-, Stickstoff- und Phosphorzyklus) und gewährleisten zu-
und biologischer Prozesse. Diese Komplexität zeigt sich auch
sammen mit Pilzen, Algen und Wurzeln über ihre Sekrete
in der Klassifizierung von Böden: Die «World Reference Base»
eine Strukturierung des Bodens. Die Bodenfauna, darunter
definiert 32 verschiedene Bodentypen.
auch Pilze jeglicher Art und der Regenwurm, spielt beim Ab-
Davon sind in der Schweiz deren 20 zu finden, so etwa die
bau der mineralischen und organischen Materie, bei der Be-
sauren Böden auf der Molasse des Mittellandes (genannt Cam-
lüftung und Entwässerung des Bodens über Kanalsysteme und
bisol), die Kalkböden in den Felshängen des Jura (Leptosol),
bei der Zersetzung der organischen Materie durch Zerkleine-
organische Torfböden (Histosol), Böden an Seeufern (Gleysol)
rung eine entscheidende Rolle.
Pro Natura Magazin 4/2015
thema
0,001 m
0’000’000’000/m2
1 Millimeter Boden entsteht in der Schweiz in rund 150 Jahren.
1,6 Billiarden Bodenlebewesen enthält ein Quadratmeter Boden auf 30 cm Tiefe. Am häufigsten
sind Bakterien, Pilze, Algen, gefolgt von Fadenwürmern, Springschwänzen und Milben.
000’000’000’000 kg
200 l
1500 Gigatonnen CO2 speichern Böden weltweit. Damit sind sie nach
den Ozeanen die grössten Kohlenstoffspeicher der Erde. Am meisten
CO2 wird in Feuchtgebieten und Mooren gespeichert.
200 Liter Wasser kann ein durchschnittlicher Boden
pro Quadratmeter speichern.
Böden filtern auch das Regenwasser, das danach den Trink-
Beschönigender Blick der Schweiz
wasserquellen zuströmt. Insbesondere Torfböden speichern
auch eine beträchtliche Menge atmosphärischen Kohlen­
dioxids (CO2). Der Regenerationsprozess in Mooren trägt somit auch zur Regulierung von Klimaveränderungen bei. Wenn
die natürlichen Böden so unterhalten und bewirtschaftet werden, dass ihre organisch-mineralische Struktur und die biologische Vielfalt erhalten werden können, bleibt die Erde fruchtbar und ermöglicht so eine nachhaltige Landwirtschaft. In der
Schweiz wird rund ein Drittel des Bodens landwirtschaftlich
genutzt, wobei Jahrzehnte intensiver Agrarnutzung die Vielfalt und die biologische Funktion des Bodens stark verändert
haben (Seiten 10/11).
Wann kommt das erste Bodenschutzgebiet?
Um verschmutzte Böden sanieren zu können, müssen die verschmutzten Schichten jedoch oft ganz abgetragen werden.
Eine andere Technik ist die sogenannte Bioremediation, bei
der auf schadstoffbelastete Pflanzen Bakterien ausgebracht
werden, um die Schmutzstoffe abzubauen. Diese Sanierungstechnik ist jedoch heikel und ihre Wirksamkeit begrenzt.
In der Schweiz wird der Schutz unserer Böden – quantita-
tiv und qualitativ – nur stiefmütterlich behandelt, wie wir das
auf den folgenden Seiten beschreiben. Dies wird sich nicht ändern, solange die Böden bloss als minderwertige Ressource betrachtet werden. Wann gibt es in der Schweiz das erste Bodenschutzgebiet, analog zu Naturschutzgebieten und geschützten
Landschaften?
RENE AMSTUTZ arbeitet bei Pro Natura als Projektleiter Schutzgebiete und Arten; er ist Spezialist für Boden- und Vegetationsbiologie.
Pro Natura Magazin 4/2015
Die UNO-Generalversammlung hat das Jahr 2015 zum
«Internationalen Jahr des Bodens» erklärt. In der Schweiz
hat sich eine Gruppe von Akteuren dem Thema mehr
oder weniger motiviert angenommen. Darunter mehrere
Bundes­ämter, Forschungsinstitutionen und private Verbände. Auffallend: Der Boden wird in der Kampagne zum
UNO-Jahr praktisch nur positiv dargestellt. Informationen zu den grossen Problemen Zersiedelung und Bodenbelastungen fehlen.
Auch wird nicht aufgezeigt, welchen Einfluss unser
Lebensstil und die landwirtschaftlich intensive Produktion auf die Bodenfruchtbarkeit haben. Dazu passt, dass
der Hauptsponsor einer Wanderausstellung zum Jahr des
Bodens der Chemiegigant Syngenta ist. Dieses Unter­
nehmen ist mitverantwortlich, dass der Schweizer Boden jährlich mit über 2000 Tonnen Pestiziden belastet
wird. ml
www.boden2015.ch
7
8
thema
Bodenschutz
muss an Boden
gewinnen
Ein Grundproblem beim Bodenschutz besteht darin, dass
die Kenntnis über die Böden der Schweiz sehr uneinheitlich
und unvollständig ist. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern existiert bei uns keine landesweite Übersicht.
Die Herstellung von Bodenkarten musste in der landwirt­
schaft­lichen Forschungsanstalt Reckenholz 1996 aus finanziellen und organisatorischen Gründen ersatzlos eingestellt
Bei jeder Bilanz wird ernüchtert
festgestellt, dass in der Schweiz
die kostbare Ressource Boden
dahinschmilzt wie eine Glace an
der Sonne. Warum nur greift der
Bodenschutz in unserem Land
nicht wirklich?
werden. Diesen Mangel hat das Parlament in Bern nun anerkannt, indem es sich für die Schaffung eines neuen nationalen Kompetenz­zentrums Boden ausgesprochen hat. Eine zentrale Koordinationsstelle für Bodeninformationen wird künftig quantitative und qualitative Bodeninformationen verwalten und Standards zur Datenerhebung und zur Interpreta­t ion
festsetzen.
Kunstgriffe beim Notvorrat
Die fehlenden Standards bei der Bodenbewertung wirken sich
bisher auch negativ auf eines der zentralen Instrumente des
Bodenschutzes aus, den sogenannten «Sachplan Fruchtfolgeflächen». Dieses Planungsinstrument des Bundes verpflich-
850’680’000 m²
85 068 Hektaren: Um diese Zahl hat sich die Landwirtschaftsfläche
in der Schweiz zwischen 1985 und 2009 verringert.
2 Millionen Kubikmeter Boden werden alleine im Kanton Zürich jährlich bei Bauvorhaben ausgehoben.
4'385'600'000 m²
438 560 Hektaren des besten Landwirtschaftslandes zu erhalten,
ist die Vorgabe des Sachplans Fruchtfolgeflächen an die Kantone.
Der Kanton Bern muss 84 000 Hektaren erhalten, Glarus deren 200.
Pro Natura Magazin 4/2015
thema
tet seit 1992 jeden Kanton, eine bestimmte Menge an acker­
Schutz des Kulturlands widmen soll, hat der Bund auf Wunsch
fähigem Boden dauerhaft zu schützen, um «notfalls über genü-
der Kantone und vieler anderer Stellen nach der Vernehm­
gend Boden zu verfügen, um die Ernährung in Krisenzeiten si-
lassung vorerst gestoppt. Immerhin sind die Kantone und Ge-
cherstellen zu können». Der Sachplan will somit einen eigent-
meinden mit Hochdruck daran, die erste Revision aus dem
lichen «Notvorrat an Boden» für unser Land sichern.
Jahr 2012 umzusetzen. Die geforderte Siedlungsentwicklung
Doch selbst wenn eine Gesamtübersicht fehlt, ist heute
nach innen ist gewiss kein Sonntagsspaziergang. Das Bauen
klar, dass dieser Notvorrat an Boden nicht mehr vollständig
auf der grünen Wiese – Hauptgrund für den Bodenverlust –
vorhanden ist. Zu unterschiedlich haben die Kantone die Auf-
war viel einfacher.
gabe angepackt, zu viel Spielraum für Kunstgriffe und Interpretation ist vorhanden.
Der politische Druck muss wachsen
Dass die bislang ungenügenden Resultate des Bodenschutzes
Umstrittener «Humus-Tourismus»
in weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr einfach hinge-
So wollen nun einige Kantone offensichtlich ungeeignete Flä-
nommen werden, zeigen die diversen erfolgreichen kantona-
chen als Fruchtfolgeflächen deklarieren, um auf die geforderte
len und eidgenössischen Volksinitiativen, die das Kulturland
Menge zu kommen. Andere Kantone versuchen, die Fruchtfol-
besser schützen wollen. Pro Natura Sektionen sind bei einigen
geflächen nicht etwa durch Eindämmung der Bau­tätigkeit zu
davon stark engagiert. Der Bodenschutz muss in Zukunft auf
sichern, sondern genau durch das Gegenteil – Neubauten auf
allen Ebenen ernster genommen und konsequenter durchge-
der grünen Wiese. Dort wird Humus auf den Baustellen ab-
setzt werden. Alles andere würde der Schweiz den Boden un-
gegraben und dann mit Lastwagen durchs Land gekarrt, um
ter den Füssen wegziehen.
an einem anderen Ort wieder aufgeschüttet zu werden. Durch
diesen Trick sollen ertragsarme Flächen in neue Fruchtfolgeflächen verwandelt werden.
Mit solchem «Humus-Tourismus» werden kaum dauerhaft
gute Böden generiert. Es werden aber auch ökologisch wertvolle Flächen zerstört, denn oft weisen magere Böden eine grössere Artenvielfalt als ertragsreiche Böden auf. Angesichts solcher
Auswirkungen ist es an der Zeit, den Sachplan grundsätzlich
zu überdenken und neu auszurichten in Richtung eines integralen Bodenschutzes.
Langsam mahlende Bundesmühlen
In diese Richtung zielt auch die Bodenstrategie Schweiz, welche die Bundesverwaltung seit einigen Jahren bedächtig vor
sich herschiebt. Bereits 2011 in einem Magazin des Bundesamts für Umwelt angekündigt, soll sie nun Ende 2015 im Entwurf vorliegen und danach bei Kantonen und anderen Kreisen in eine Anhörung gehen. Die Bodenstrategie soll einen
Gesamtblick auf die verschiedenen Bodenfunktionen ermöglichen und zu «einem integralen Konzept für einen nachhaltigen Umgang mit dieser essenziellen Ressource bündeln». Pro
Natura hofft, dass die langen Vorarbeiten in konkrete Vorschläge münden, die dann auch in Gesetzgebung und Vollzug
umgesetzt werden.
Auch der verbesserte Schutz des Kulturlands im Raum­
planungsgesetz muss sich noch gedulden. Eine seit langem
geplante zweite Revisionsetappe, die sich unter anderem dem
Pro Natura Magazin 4/2015
MARCUS ULBER ist bei Pro Natura zuständig
für die Raumplanungspolitik.
9
10
thema
Schadstoffzufuhr
ohne Ende
192'00
Dünger, Pestizide und Stickstoffeinträge belasten unsere
Böden seit vielen Jahrzehnten.
Um eine Trendwende zu erreichen,
müsste vor allem bei der
Landwirtschaft ein Umdenken
stattfinden.
«Der Boden ist sowohl in seiner Fläche wie in der Fruchtbarkeit
Unbelastete Böden gibts nicht mehr
bedroht.» Dies hält der Agrarbericht 2014 nüchtern fest. Als
Darum gibt es die Nationale Bodenbeobachtung (Nabo). Im
grösste Probleme werden die Bodenverdichtung und Schad-
Rahmen dieses Programms werden nach standardisierten Ver-
stoffeinträge genannt. Beide Einflüsse schädigen das Boden-
fahren periodisch Bodenproben entnommen und analysiert.
leben und damit die Bodenfruchtbarkeit. Zunehmend sind die
Die bisher wichtigsten Erkenntnisse aus dem Nabo sind:
Rückstände von Pestiziden, aber auch die Konzentrationen
• In der Schweiz gibt es keine absolut unbelasteten Bö-
von Zink und Kupfer im Oberboden nehmen stark zu. Ver-
den mehr. Auch in abgelegenen Gebieten findet man
ursacht werden diese durch den Einsatz von Hofdünger; also
Schadstoff-Anreicherungen.
Schweine- und Rindergülle, aber auch Mist.
• Die zivilisationsbedingten Belastungen unserer Böden mit
anorganischen Schadstoffen sind bei Blei, Kupfer, Cad-
Weitere Fremdstoffe kommen hinzu
mium und Zink am stärksten. Also unmittelbare Folgen
Doch auch bisher übersehene Schadstoffe beeinträchtigen den
von Dünger und Verkehr. Auf rund zehn Prozent der Boden-
Boden. Zum Beispiel Mikroplastik aus den Biogasanlagen. Ab-
fläche dürfte der Richtwert dieser Elemente überschritten
gelaufene Frischwaren werden bei den Grossverteilern abends
sein.
in grösseren Mengen als Foodwaste entsorgt. Da viele Früch-
• Kupfereinträge als Pestizide im Kulturland stammen zu
te und Gemüse in Plastik verpackt in den Auslagen liegen, ge-
90 Prozent aus der konventionellen Landwirtschaft und
langt auch der Kunststoff in die Biogasanlagen, denn die Ware
nicht aus der Biolandwirtschaft, wie oft fälschlicherweise
wird beim Entsorgen nicht ausgepackt. Bio-Suisse geht davon
behauptet wird. Das sind immerhin jährlich rund 54 Ton-
aus, dass ein Kubikmeter Kompost bis zu 500 Gramm Plastik
nen. Erhebliche Einträge von Kupfer stammen jedoch gar
enthält. Dieser gelangt als organischer Dünger auf die Felder.
nicht aus der Verwendung von Pestiziden, sondern aus Zu-
In welchem Ausmass dies die Fruchtbarkeit der Böden beein-
sätzen in Futtermitteln.
trächtigt, ist wissenschaftlich noch nicht erforscht.
• Pestizide und Tierarzneimittel im Boden haben eine schä-
Seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert haben die
digende Wirkung auf die Bodenfauna. So reagieren zum
Schadstoffbelastungen im Boden stark zugenommen. Weil
Beispiel die für die Bodenstruktur wichtigen Regenwürmer
die Aufenthaltszeit der Schadstoffe im Boden sehr lang ist –
besonders empfindlich auf Pestizidrückstände.
viel länger als in Gewässern, in der Luft, oder in Lebewesen
• Bodenerosion und Bodenverdichtung sind weitere grosse
– braucht es eine ständige Bodenbeobachtung. Die Ergebnis-
Probleme für die Bodenfruchtbarkeit. So werden via Erosion
se sind wichtige Grundlagen für umweltpolitische Entscheide.
jedes Jahr rund 840 000 Tonnen Boden aus den Schweizer
Ist ein Boden erst einmal mit nicht oder nur langsam abbau-
Äckern geschwemmt. Damit gelangen auch grössere
baren Schadstoffen belastet, kann er kaum saniert und seine
Mengen an Schadstoffen und Dünger direkt in die Ober-
Fruchtbarkeit nur mühsam wiederhergestellt werden.
flächengewässer.
Pro Natura Magazin 4/2015
160’000’000’000 kg
thema
160 Millionen Tonnen: So viel synthetischer Dünger wird weltweit
in einem Jahr verkauft. Am meisten davon, fast ein Drittel, in China.
Parallel dazu nimmt die Ertragssteigerung aber laufend ab;
die Böden sind ausgelaugt.
0'000'000 $
192 Milliarden US-Dollar wurden im Jahr 2013 durch den Verkauf von Düngemitteln weltweit
umgesetzt. 35 Prozent davon entfielen auf die international zehn grössten Unternehmen der Branche.
2’100’000 kg
Rund 2100 Tonnen Pestizide werden alleine in der Schweiz
jährlich verkauft. 85 Prozent der versprühten Menge geht in den Boden.
Diese Erkenntnisse zeigen unmissverständlich: Der Boden
Bodenschutz in der Naturschutzarbeit
muss besser geschützt werden. Konkret fordert Pro Natura
im Bereich Landwirtschaft und Verkehr:
• eine standortgerechte Landwirtschaft mit entsprechenden
Viehbesatzdichten;
• eine Reduktion des Kraftfuttereinsatzes;
• einen griffigen Aktionsplan Pestizide mit deutlichen
Reduktionszielen;
• eine Reduktion des Verkehrsaufkommens sowie eine verursachergerechte Finanzierung der Folgekosten;
• rasche Schaffung des vom Parlament beschlossenen neuen
nationalen Kompetenzzentrums Boden. Verbesserung der
Datengrundlage zum Boden;
• Ausbau der Forschung zu Bodenfruchtbarkeit und
Bodenschutz.
MARCEL LINER ist bei Pro Natura für die
Landwirtschaftspolitik zuständig.
Pro Natura Magazin 4/2015
Pro Natura regeneriert Moore, revitalisiert Bach- und
Flussläufe oder lässt der Natur einfach freien Lauf. Auch
dies trägt zum allgemeinen Schutz unserer Böden bei,
bewahrt ihre Artenvielfalt und schützt ihre Funktion im
Kreislauf organischer Materie.
Bei der Pflege von Kleingewässern und Feuchtgebieten mit Maschinen hält sich Pro Natura an die geltenden
Schutzbestimmungen, um eine Verdichtung des Bodens
möglichst zu vermeiden. Bei der Teichpflege werden die
organisch-mineralischen Schichten von den rein mineralischen Schichten getrennt, um diese nicht zu verdichten.
In Feuchtgebieten achtet Pro Natura darauf, keine aufgeweichten Böden zu bearbeiten. Zum Einsatz kommen
nur Maschinen mit niedrigem Eigengewicht sowie Bearbeitungstechniken, welche die Bodenstruktur nicht beeinträchtigen.
Die Geräte, die in Schutzgebieten zum Einsatz kommen, funktionieren mit biologisch abbaubaren Schmierstoffen, damit bei einem Leck die Böden nicht verschmutzt werden. Kann der Abraum aus Feuchtgebiet
oder Wald nicht vor Ort verbleiben, versucht Pro Natura,
ihn der Kompostierung zuzuführen, damit das organische
Material wieder zu Boden werden kann. Gelegentlich verdichtet Pro Natura Böden auch ganz bewusst – etwa beim
Anlegen von Amphibientümpeln, damit das Wasser nicht
versickert. Und wenn die oberste Bodenschicht abgetragen wird, dann nur zur Förderung von Pionierpflanzen.
Letztlich entscheidet also das Naturschutzziel darüber,
wie ein natürlicher Lebensraum gepflegt wird. ra
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thema
49 m2
49 Quadratmeter ist die Fläche, die
für die Produktion eines Kilogramms
Rindfleisch maximal verbraucht wird.
Zum Vergleich: Auf einem Viertel
Quadratmeter lässt sich bereits ein
Kilogramm Kartoffeln anbauen.
308’
«Der Boden
zeigt nicht,
dass es
ihm schlecht
geht »
Zum Schutz der Böden müsse
unsere Landwirtschaft rasch
auf eine nachhaltige Produktion
umgestellt werden, fordert der
ETH-Dozent Claude Lüscher.
Und der Fleischkonsum müsse
deutlich verringert werden.
nügend rechtliche Grundlagen für den
Also liegt es an unseren Essgewohn-
qualitativen Schutz?
heiten?
Es gibt die Verordnung über Schadstof-
Ja, unsere Ernährung hat indirekt einen
fe im Boden (VSBo). Aber der Vollzug ist
grossen Einfluss auf die Qualität und Be-
schleppend: Es bräuchte dringend mehr
schaffenheit des Bodens. Wir essen mit-
Ressourcen auf den Bodenschutzfach-
unter zu viel Fleisch. Die Tiermast er-
stellen der Kantone.
folgt vorwiegend über Kunstfutter, zum
Beispiel Soja. So gelangen mehr Schad-
Wie funktioniert die Sicherung der
stoffe in die Böden, nicht nur bei uns,
Pro Natura: Herr Lüscher, wie gross
Fruchtfolgeflächen?
auch anderswo. Lichtblicke sehe ich im
ist in der Schweiz das Bewusstsein
Gemäss dem Sachplan Fruchtfolge­
Biolandbau: Dort haben die Böden eine
bessere Qualität.
für die endliche Ressource Boden?
flächen muss jeder Kanton sein Kontin-
Claude Lüscher: Der Boden zeigt nicht,
gent an Fruchtfolgeflächen sichern. Aber
dass es ihm schlecht geht. Deshalb ist
wie soll das gehen, ohne dass wir Boden­
das Bewusstsein für einen gesunden Bo-
karten haben? Wir wollen qualitativ gu-
ten Böden schuld?
den gering. Betrachtet man den Boden
ten Boden schützen, wissen aber oft
Nicht nur. Die meisten Bauern haben kei-
aber als produktive Fläche, ist das Be-
nicht genau, wo er ist.
ne Zeit mehr und messen dem Schutz
man an den Volksmehrheiten zur Zu-
Pestizide, Verdichtung, Versauerung;
Landwirtschaft wird rationalisiert und
wanderungsinitiative, zur Revision des
wie fruchtbar sind unsere Böden noch?
mechanisiert: Dabei wird der Boden zur
Raumplanungsgesetzes (RPG) und – sehr
Die Fruchtbarkeit kann man nicht zu-
«Quantité négligeable». Schuld ist aber
überraschend – zur Kulturlandinitiative
verlässig messen. Und nur auf den Er-
auch unsere Gesellschaft. Die Politik
im Kanton Zürich.
trag zu achten, ist nicht richtig: Mit Dün-
hat die Landwirtschaft falsch ausgerich-
wusstsein ziemlich gestiegen. Das sieht
Claude Lüscher
ist diplomierter
Agraringenieur,
Dozent an der
ETH und Partner
im Planungsbüro
Arcoplan.
Also sind die Bauern an den schlech-
des Bodens zu wenig Bedeutung bei. Die
ger und anderen Hilfsmitteln kann zwar
tet. Wir verlangen schöne und gesunde
die Ertragsfähigkeit gesteigert werden,
Frischprodukte, sind aber nicht bereit, ei-
die Fruchtbarkeit bleibt dennoch auf der
nen anständigen Preis zu zahlen. Unter
Strecke. Für mich ist klar, dass diese ab-
diesem Druck leiden nicht nur die Bauern,
genommen hat. Die Bodenerosion, die
sondern auch die Natur. Wenn wir die
Verdichtung sowie die Versauerung ha-
Böden weiter so drangsalieren, kommt ir-
ben zugenommen. Und auf Flächen, wo
gendwann die Quittung.
Schweinegülle ausgebracht wird, steigen
Mit dem neuen RPG soll der Boden-
die Schwermetallgehalte von Kupfer und
Ist also unsere Lebensmittelversorgung
verbrauch sinken. Bestehen auch ge-
Zink weiter an.
in Gefahr?
Pro Natura Magazin 4/2015
000’000’000 kg
308 Millionen Tonnen Fleisch werden pro Jahr
weltweit produziert. Dafür werden rund
65 Milliarden Landtiere (65’000’000’000) geschlachtet.
zur sache
Den Boden unter den Füssen spüren
Im Agronomiestudium gehörte die Bodenkunde nicht zu meinen bevorzugten Fächern. Zu trocken und wenig greifbar
schien der Stoff in den ersten Semestern, und der persönliche
Bezug zum Boden fehlte mir fast gänzlich. Das auswendig
gelernte Bodenwissen blieb deshalb nicht lange hängen.
Erst später, in den pflanzenbaulichen Vorlesungen, haben
wir erstmals «lebendige» Bodenprofile zu Gesicht bekommen:
Tiefe Baggerschlitze brachten die verschiedenen Schichten,
die Durchwurzelung und die unzähligen Bodenlebewesen
ans Licht. Das machte Eindruck und blieb im Kopf hängen.
Wenn wir die Landwirtschaft anders aus-
Der Landwirt, bei dem ich dann mein halbjähriges Prak-
tikum absolvierte, hat mir den schonenden Umgang mit Bo-
richten und die Essgewohnheiten ändern
den beigebracht. Bei nassen Verhältnissen haben wir bei den
würden, könnte die Schweiz die wichtigs-
Traktoren einen Teil der Luft aus den Pneus abgelassen oder
ten Grundnahrungsmittel selbst produzie-
Doppelräder montiert, um den Druck auf den Boden zu redu-
ren. Aber nur, wenn die verfügbare land-
zieren und Schäden zu vermeiden. War es zu nass, blieben
wirtschaftliche Fläche nicht weiter abnimmt.
das Vieh im Stall und die schweren Maschinen in der Remise.
Der Boden ist für die Landwirtschaft eine der zentralen
Ein anderes Thema ist der Wald, der ein
Ressourcen. Das legt einen sorgfältigen Umgang nahe. Im
Drittel der Landesfläche ausmacht. Wie
Bauwesen hingegen scheint er aber primär eine identitäts­lose
geht es den Waldböden?
Substanz zu sein. Es beschäftigt mich, wenn ich sehe, wie
Nicht sonderlich gut. Die Wälder filtern
fahrlässig dort mit ihm umgegangen wird. Herrscht Termin-
die Schadstoffe aus der Luft und lassen
druck, was bei Bauprojekten leider häufig der Fall ist, fah-
sie über Nadeln und Blätter im Boden ver-
ren die Bagger selbst bei nassem Boden auf. Der dadurch ver-
sickern. Die Versauerung der Waldböden
dichtete Boden kann anschliessend weder in der Landwirt-
nimmt zu – und nicht selten liegen dort un-
schaft noch im Gartenbau verwendet werden. Stattdessen
sere Trinkwasserquellen. Ein weiteres Pro­
muss er teuer auf einer Deponie entsorgt werden. Das wäre
blem ist die Bodenverdichtung durch schwe-
zwar gesetzlich nicht zulässig, ist aber leider gängige Praxis.
re Holzerntemaschinen.
Vor kurzem musste ich in einem solchen Fall beruflich
intervenieren. Der zuständige Bauleiter mit 20 Jahren BerufsMit welchen drei Massnahmen könnte
erfahrung sagte mir, er sei sich nicht bewusst gewesen, dass
man die Zerstörung des Bodens stoppen?
beim Baggern auf nassen Böden Schäden entstehen können.
Erstens müsste das RPG konsequent ange-
Ich hatte Mühe, das zu glauben.
wendet werden. Zweitens müsste man die
Wie schaffen wir es, dass auf dem Bau künftig ebenso
Landwirtschaft rasch und flächendeckend
schonend mit Boden umgegangen wird wie auf einem gut ge-
auf eine nachhaltige Produktion umstel-
führten Landwirtschaftsbetrieb? Das Verteilen von trocke-
len – zum Beispiel mit ökologischem Land-
nen Faktenblättern und gut gemeinten Broschüren wird nicht
bau. Die dritte Massnahme wären neue Ess­
reichen. Wir müssen darauf hinwirken, dass der persönli-
gewohnheiten mit deutlich weniger Fleisch.
che Bezug zum Boden wieder entstehen kann, der Boden
draussen wieder erlebbar wird. Denn wie sagt die Pro Natura Umweltbildung: Was man kennt, das schätzt und schützt
man. Dem Boden wäre es zu wünschen.
Interview:
ROLF ZENKLUSEN, freischaffender Journalist
Pro Natura Magazin 4/2015
Stefan Lauber, Mitglied des Zentralvorstands Pro Natura