Boote 08_2015 Hoch die Tassen!

REportage
Text Ingrid Bardenheuer Fotos Thorsten Baering
Hoch die
Tassen!
Voll cool. Wie die deutschen Schlauchboot-Kids in
Duisburg den Weltpokal holten. Ein Beispiel für
Nachwuchsförderung mit Herz und Sachverstand.
20 boote 8 . 2015
Die Regattabahn hat in ihrer 80-jährigen
Geschichte schon manchen Freudentaumel
erlebt. Aber sowas? Trocken bleibt nur der
Cup. Bundesjugendtrainer Andreas Severin
reckt ihn empor. Welch’ ein Moment.
boote 8 . 2015 21
REportage
1
1 Das „Mann-über-Bord-Manöver“ ist eine Aufgabe in
den oberen Klassen. Der Fahrer muss aufstoppen, den
Ring hochnehmen und zurücklegen – nicht werfen.
22 24 boote
boote8 .52015
. 2015
REportage
2
3
62 Kinder und
Jugendliche aus
acht Nationen
starten in fünf
Altersklassen
4
D
er Weltpokal. Sieben Kilogramm schwer, fast vierzig
Zentimeter hoch, gekrönt von
einem vergoldeten Propeller.
Was für ein Pott. „Ein ganz kleines Stück
davon gehört jetzt mir“, sagt jemand leise
an meiner Seite – Miron. Andächtig
streicht der neunjährige Knirps über den
hölzernen Sockel der Trophäe. Dann
lächelt er versonnen: „Und da kommt
unsere Plakette hin…“ Auf der wird
stehen: „Germany 2014“. Denn Miron
und sein Team haben den Weltpokal
gerade gewonnen.
Eigentlich heißt der Cup „Ralf Fröhling
Challenge Trophy”, benannt nach dem
langjährigen Präsidenten der Union Internationale Motonautique (U.I.M.),
dem Weltverband des Motorbootsports.
Der Wanderpokal ist die höchste Auszeichnung im Jugend-Schlauchbootfahren. Die beste Nachwuchsmannschaft
einer U.I.M. World Championship Formula Future darf ihn bis zur nächsten
Weltmeisterschaft mit nach Hause nehmen. Dann werden die Karten neu gemischt. Wie jetzt, in Stresa am Lago
Maggiore. Im vergangenen Juli, als die
Kids aus Germany den Weltpokal nach
Deutschland holten, fand das Ganze in
Duisburg statt. Und wir waren dabei.
Sportpark Duisburg, Regattabahn. Hier
wird die U.I.M. World Championship
Formula Future 2014 ausgetragen. Bei
der Gelegenheit geht es auch gleich um
die europäische Meisterschaft. Die Deut-
sche Motorbootjugend (DMJ) des Deutschen Motoryachtverbandes (DMYV)
organisiert das Ereignis. Acht Nationen
sind vertreten – Deutschland, Italien,
Lettland, Polen, Portugal, Russland, Slowakei und Tschechien. Insgesamt 62
Kinder und Jugendliche werden in fünf
verschiedenen Altersklassen gegeneinander antreten. Mit neun Jungs und
einem Mädchen ist die deutsche Jugendnationalmannschaft gemeldet. Sie will
schaffen, was dem heimischen Kader zuletzt im Jahr 2010 in Carr Mill, Großbritannien, gelang: Mannschaftsweltund -europameister werden!
„Ist das langweilig …“, seufzt irgendwer
von den Kleinen. Es ist Mittwochnachmittag, und das Finale am Sonntag liegt
gefühlt mindestens so weit entfernt wie
Weihnachten. Ist denn hier niemand aufgeregt? „Nö, warum?“ Im Moment ist die
WM tatsächlich ziemlich unspektakulär.
Heute Anreise, morgen freies Training.
Freitag, nach der offiziellen Eröffnung,
ruft dann endlich die Piste.
Was sie nun tut. Manoeuvring steht auf
dem Programm, mit Parcoursfahren und
Knotenkunde. Vormittags EM, nachmittags WM. Andreas Severin, der Bundesjugendtrainer, ist bei seinem Team, gibt
Tipps, beruhigt flatternde Nerven.
Zappelige Dreikäsehochs nimmt der
Chef schon mal ans Händchen. Das
macht wieder voll lässig.
Ein Leben ohne Jugendarbeit kann sich
Andreas, Jahrgang 1968 und selbst Vater
5
2 Knoten sind auch für die Kleinsten kein
Problem. 3 Alena Schumann tritt erstmals
bei einer WM an. Nervös? Trainer Andreas
Severin weiß auch sie abzulenken. 4 In der
Regel dauert ein Lauf kaum zwei Minuten.
5 DMJ-Vorsitzende Marina Laabs inspiziert
mit Jonas Kelle und Alena Schumann (von
rechts) die Ergebnislisten. Ein Event wie
dieses wäre ohne die Mithilfe vieler nicht
zu stemmen. Vor Ort engagieren sich allein
mehrere Dutzend Ehrenamtliche.
REportage
1
Ein paar Tage
gemeinsames
Training vorab
reichen zur
Teambildung
2
3
1 Es sind die kleinen Gesten, die stark
machen. Besonders dann, wenn sie vom
Trainer kommen. 2 Manchmal tut es
auch gut, sich bei den Älteren im Team
anzulehnen. 3 Das Größte aber ist,
Mama und Papa dabei zu haben. Wie
Marvin, im Bild mit Vater Thomas Liehr.
Fast alle Eltern hier sind Skipper. Der
Schlauchbootsport führt ihren Nachwuchs altersgerecht ans Familienhobby
heran. So lernen die Kids frühzeitig den
sicheren Umgang mit einem Boot.
zweier Kinder, „nicht wirklich“ vorstellen. Seit 2008 betreut er die Nationalmannschaft. Wer in den Kader kommt,
entscheidet sich Jahr für Jahr aufs Neue.
Ein paar Trainingstage kurz vor dem
Turnier, mehr braucht es nicht, um aus
Deutschlands zehn besten Schlauchboot-Kids eine eingeschworene Gemeinschaft zu machen. Quirlige Drittklässler,
taffe Teens, Sensibelchen, coole Socken
– wer einen solchen Mix tagtäglich bei
sich daheim am Frühstückstisch sitzen
hat, der weiß um die Größe dieser Leistung. Das Zusammenwachsen der bunten Truppe fasziniert auch Florian Laabs,
Andreas’ Stellvertreter in Duisburg.
Florian, Jahrgang 1995, ist selbst erfolgreicher Schlauchbootfahrer. Bei internationalen Wettbewerben darf er nicht
mehr an den Start – zu alt fürs Reglement. Dabei sein wollte er trotzdem. Unbedingt. Also heuerte er als Co-Trainer
an. Und ist jetzt wieder mittendrin.
Zuhause bleiben, das kam auch für Laura
Bertsch nicht infrage. Die 17-Jährige
schaffte es bereits viermal in die Nationalmannschaft. Diesmal hat es nicht geklappt. Da macht sie in Duisburg eben
das „Kielschwein“. Nobler ausgedrückt:
Laura ist Co-Fahrerin. Die steigen bei
den Jüngeren zu und verkrümeln sich
sodann tief geduckt im Bug. Ein „Kielschwein“ bringt nicht nur Gewicht auf
die Bootsnase, es darf auch helfend eingreifen, etwa wenn einem kleinen Pechvogel unterwegs der Motor ausgeht.
Warum tut man sich den ganzen Stress
überhaupt an? „Es ist ein außergewöhnlicher Sport, er macht sehr viel Spaß, und
die Leute sind auch alle cool drauf “, findet Laura. Wären da nur nicht die Vorurteile. „Immer wenn ich sage, dass ich
Schlauchboot fahre, heißt es, dass ich
paddele“, empört sich die Abiturientin.
Ron Bofinger, Jahrgang 2002 und das
vierte Mal für eine WM qualifiziert, hat
auch so seine Erfahrungen gemacht.
„Meine Freunde wissen, dass es schwer
ist. Aber viele aus meiner Klasse meinen,
das geht bestimmt voll einfach.“ Er hat
beschlossen, das Gerede zu ignorieren:
„Weil die einfach nicht wissen, wie
schwer es eigentlich ist…“ Und das ist so.
Um fehlerfrei durch den Parcours zu
kommen, bedarf es eines Höchstmaßes
an Konzentration. Etwas, das man auch
sonst gut brauchen kann, bei der nächsten Mathe-Arbeit zum Beispiel.
16.30 Uhr, der Eismann ist da. Nicht irgendeiner, sondern der „Positano“Mann. Seit 1965 verkauft der gebürtige
Italiener selbstgemachtes Eis in Duisburg. 73 Jahre ist er mittlerweile, trägt
Schnauz und ein Funkeln in den Augen,
das einen ins ferne Kampanien entführt.
Oder noch weiter weg. Aber nun steht er
hier, in einem blütenweißen Kittel, und
hat die Eisbox an seinem betagten Piaggio-Mofa geöffnet: Heidelbeer, Aprikose,
Erdbeer, Vanille, Schoko, Stracciatella.
Der DMYV-Präsident zückt sein Portemonnaie. Eine Runde Eis fürs deutsche
4
4 Bojen-Berührungen sollten tunlichst unterbleiben, sonst gibt es Strafsekunden. Bei der Entscheidung, ob die Kugel gerempelt wurde oder nur im
Wellenschlag tanzt, hilft die schwarze Markierung. 5 Muße muss sein.
Dann klappt’s auch mit großen Taten.
5
boote
boote8 8
. 2015
. 2015
25
25
REportage
1
2
1 Matthias Breden (links) und Piet Gehring, die Jungs
aus Class 4. 2 Die Altersgruppen 1–3 dürfen im Sitzen
oder Knieen steuern. Ganz vorn duckt sich das
„Kielschwein“, diesmal Co-Fahrerin Laura Bertsch.
26 26 boote
boote8 8
. 2015
. 2015
REportage
3
Väter, Mütter
und die halbe
Belegschaft eines
Campingplatzes
fiebern mit
4
Team! Die Kids stehen Schlange, Winfried Röcker lächelt. Miron schleckt
glücklich seine Eiswaffel leer – immer
noch mit Helm und Rettungsweste.
Vor zwei Jahren hat Miron Gerisch, Jahrgang 2005, mit dem Schlauchbootsport
begonnen. „Am Anfang war es auch ein
bisschen komisch“, plaudert er, „wie ich
in den Verein gekommen bin. Da saßen
so viele. Und man muss erst mal die Namen alle lernen.“ Darüber ist Miron
längst hinaus. Inzwischen hat er auch das
Regelwerk drauf. Und hier macht ihm
keiner so schnell was vor. „Bei der Deutschen“, erzählt er, „da haben die mir, weil
die Kampfrichter keine Ahnung hatten,
fünf Bojenfehler angestrichen.“ Das
wurmt ihn bis heute.
Der Sonntag ist da, die Finals im Parallelslalom laufen. Was machen die Nerven
des Bundesjugendtrainers? „Das will ich
jetzt so vor den Kindern nicht sagen“,
meint Andreas und zwinkert, „ich denk’
mal, ich zittere mehr als sie...“. Den mit
angereisten Vätern und Müttern geht es
da keinen Deut besser. „Ich sitz’ fast mit
im Boot“, lacht Peter Schumann, der Vater von Alena. Marvins Vater, Thomas
Liehr, lacht auch, macht sich aber insgeheim doch einen Kopf. Wegen des
Drucks, der auf den Kindern lasten
könnte. Vor allem dann, wenn sie ehrgeizig sind. Sorgen, wie sie sich Eltern halt
so machen. Nichts, was Thomas Liehr
gegen den Sport seines Sohnes aufbrächte. Im Gegenteil, anderen Kids würde er
raten: Probiert’s doch auch mal! Aber,
unter uns, möchte man sich nicht
manchmal selbst ein bisschen einbringen, so als Erziehungsberechtigter und
bootserfahrener Mann? Dem Sprössling
quasi von Zeit zu Zeit verbal ins Lenkrad
greifen? Thomas Liehr grinst: „Das hab’
ich mir abgewöhnt.“ Hier habe der Bundestrainer das Wort. Also die Faust in der
Tasche machen? Nein. „Weil man merkt,
dass er es gut kann.“ Thomas Liehrs
Sohn lässt momentan noch eine halbe
Campingplatz-Belegschaft mitbibbern.
Die Sache ist nämlich die: Als Marvin
sein Ticket für den Kader zog, waren die
Familienferien schon gebucht. Drei Wochen Gardasee, mit Trailerboot und etlichen Bekannten. Der Urlaub liegt jetzt
kurz auf Eis. Aber gleich nach der WM
geht es zurück in den Süden. Mit ein,
zwei Bierchen im Gepäck. Zum Feiern.
Aber noch heißt es Geduld haben und
abwarten. Im Rennbüro sucht gerade ein
Halbwüchsiger händeringend das Gespräch. „Na toll“, erwidert Marina Laabs,
DMJ-Vorsitzende und Mutter von CoTrainer Florian, „und was lehren wir
euch? Nicht mit Handys ans Wasser…“.
Der Milchbart, der eben seinen Draht
zur Außenwelt versenkt hat, schaut flehend: „Ich dachte, du weißt die Lösung.“
Auch das ist Jugendarbeit.
16.30 Uhr, das Wasser der Regattabahn
ist spiegelblank. Sämtliche Läufe sind
durch, nun wird gerechnet. Neben dem
Siegerpodest ist ein Tisch aufgebaut,
5
6
3 Freunde, Spaß und ein Eis auf die
Hand. Miron im Glück. 4 Geschlafen
wird in der Jugendherberge. Für Ron
Bofinger (links), Maximilian Spielmann
und die noch Jüngeren gilt: Um 21 Uhr ist
Bettzeit. 5 Fürs Nickerchen zwischendurch tut’s aber auch das Siegerpodest.
6 Hochkonzentriert ist Luca
Sommerfeld im Parcours unterwegs. Wie
immer mit passender Irokesen-Bürste.
REportage
1
Info
Klassen: International wird in den
Altersgruppen 1 (8–9 Jahre), 2 (10–11
Jahre), 3 (12–13 Jahre), 4 (14–15 Jahre)
und 5 (16–18 Jahre) gefahren. In
Deutschland gibt es zusätzlich die
Klassen ME (6–7 Jahre), M6 (19–21
Jahre) und M7 (22–27 Jahre).
2
Boote: Die U.I.M. schreibt Festrumpfschlauchboote (RIB) bis 3,60 m Länge
vor, ferner Pinnensteuerung bei den
Jüngeren beziehungsweise Jockeysitz
und Lenkradsteuerung ab Klasse 4.
Die Außenbordmotoren dürfen 5–
10 PS (Klasse 1–3) und 10–15 PS (Klasse
4–5) stark sein. Bei der EM/WM in
Duisburg kamen, wie bei Deutschen
Meisterschaften, ein 3,10-m-RIB mit
6 PS (bis Klasse 3) sowie ein 3,50-mRIB mit 15 PS (ab Klasse 4) zum Einsatz.
3
1 Andreas Severin (links) und der portugiesische Team-Chef Vitor Neves feiern den
Abschluss eines tollen Turniers. 2 Aaron
Mayer freut’s. 3 Rituale sind wichtig. Sie
schaffen Zusammenhalt.
Anfang August
gilt es den Pokal
in Stresa am
Lago Maggiore
zu verteidigen
voll mit Pokalen, Medaillen und Anerkennungen. In der Mitte steht er: der
Pott. Sein vergoldeter Propeller blitzt in
der Sonne. Noch eine Stunde bis zur
Preisvergabe. Die italienischen Kids
haben ein provisorisches Fußballfeld abgesteckt und spielen Juventus gegen
Inter. „Simulazione! Simulazione!“ kräht
die eine Hälfte, als sich ein Bambino professionell aufs Grün wirft. Die anderen
Nationen heizen auf der Zuschauertribüne ein, der „Positano“-Mann befüllt Eishörnchen um Eishörnchen. Längst sind
Caps und T-Shirts getauscht, die Ländergrenzen verwischt. Dann ist es soweit.
28 boote 8 . 2015
Die Siegerehrung. In der Europameisterschaft gehen vier Klassentitel an den deutschen Kader. Auch die Teamwertung ist,
vor Russland und Portugal, in trockenen
Tüchern. Jetzt die Weltmeisterschaft. In
allen fünf Abteilungen holt Deutschland
Platz 1. Portugal stellt die drittbeste WMMannschaft, Russland die zweitbeste. Und
wer bekommt den Weltpokal? „Germany!“
Jubel, Klatschen, Vuvuzelas. Andreas zieht
sich die Schuhe aus. „Schnappt ihn Euch!“
Der Bundesjugendtrainer muss baden gehen, DMJ-Vorsitzende Marina Laabs
hüpft freiwillig hinein. Bald schwimmt das
gesamte deutsche Team im ehrwürdigen
Duisburger Regattabecken. Die Tschechen
springen hinterher, die Portugiesen auch.
Was für ein Fest. Vielleicht gerade wieder,
diesmal in Stresa am Lago Maggiore. Dort,
wo die Kids aus Deutschland Anfang
August „ihren“ Pott verteidigen.
Wettbewerbe: Manoeuvring
(international) und Schlauchbootslalom (national) mit Parcoursfahren
sowie Knotenkunde, außerdem
Parallelslalom (international).
Einstieg: Viele Vereine fördern aktiv
den Jugendschlauchbootsport. Sie
stellen Equipment bereit, bilden aus,
sponsern. Weitere Ansprechpartner
sind Landesverbände und DMJ. Info:
www.dmyv.de
Kader 2014: Miron Gerisch/Brandenburg, Luca Sommerfeld/Berlin (Klasse
1); Aaron Mayer/Baden-Württemberg,
Marvin Liehr/Berlin (Klasse 2);
Maximilian Spielmann/RheinlandPfalz, Ron Bofinger/Baden-Württemberg (Klasse 3); Matthias Breden/
Hessen, Piet Gehring/Niedersachsen
(Klasse 4); Jonas Kelle/NordrheinWestfalen, Alena Schumann/
Rheinland-Pfalz (Klasse 5).
mehr bilder
finden sie im
internet auf
boote-magazin.de
WEBCODE: #45951