Kleine Anfrage

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode
Drucksache
16/9459
11.08.2015
Kleine Anfrage 3764
des Abgeordneten Marc Lürbke FDP
Respekt für unsere Polizeibeamte/innen - Wie konsequent werden Beleidigungsstraftaten gegen Polizeibeamte/innen in NRW tatsächlich verfolgt?
I.
Ausgangslage:
Ausweislich des jüngsten Bundeslagebildes des Bundeskriminalamtes 2014 hat die Zahl der
Widerstandshandlungen gegen Polizeivollzugsbeamte/innen in NRW im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr spürbar um 4,9 % zugenommen. So stieg die Gewalt durch Widerstände
gegen Polizeibeamte/innen im Zeitraum 2012 bis 2014 etwa in den Kreispolizeibehörden
Siegen-Wittgenstein (+49%), Duisburg (+ 35 %), Gelsenkirchen (+20%), Essen (+15%) und
Krefeld (+13%) deutlich an. Auch in den Städten Dortmund, Düsseldorf und Köln sind die
Zahlen nach wie vor auf kontinuierlich hohem Niveau. Nicht in den Zahlen der Gewalt gegen
Polizeivollzugsbeamte/innen enthalten sind indes die Fallzahlen von Beleidigungen gegen
Polizeivollzugsbeamte/innen.
Insbesondere in Zeiten, in denen Polizeibeamte/innen immer häufiger zur Zielscheibe werden und immer stärker Gewalttaten und Beleidigungen ausgesetzt sind, sollte Seitens des
Staates grundsätzlich erwartet werden, dass Behördenleiter aus Fürsorgegründen bei objektiv nachweislichem Vorliegen einer Straftat gegen Polizeivollzugsbeamte/innen generell einen Strafantrag stellen und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von der Staatsanwaltschaft regelmäßig zu bejahen ist. Die Realität scheint gegenwärtig aber anders auszusehen.
Polizeibeamte/innen in NRW berichten immer wieder davon, dass Seitens der vorgesetzten
Dienststelle zu einer Beleidigungsanzeige die Stellung eines behördenseitigen Strafantrags
bzw. ein sich anschließen an einen solchen von Beamten/der Beamtin gestellten Antrag (vgl.
§ 194 Abs. 3 StGB) abgelehnt wird. Und dies nicht, weil der Vorgang nicht strafrechtlich relevant ist. Sondern, weil man sich demnach augenscheinlich auf den Standpunkt stelle, Beleidigungen, die keinen sexuellen oder rassistischen Inhalt hätten, seien von den Polizeibeamten grundsätzlich auszuhalten. Oder man laufe damit Gefahr, die Staatsanwaltschaften stärker zu belasten und durch eine Vielzahl von Anträgen ihre Bereitschaft für solche Verfahren
Datum des Originals: 11.08.2015/Ausgegeben: 11.08.2015
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zu senken oder gar die Kriminalstatistiken nach oben zu treiben. Unklar ist auch, wie konsequent bei tätlichen Beleidigungen vorgegangen wird (z.B. Spucken).
Viele Beamte sind darüber zu Recht verärgert, frustriert oder sprechen gar von „Resignation“
und „Abstumpfen“ und verzichten mittlerweile oft sogar auf das Schreiben einer Beleidigungsanzeige, da die Schreibarbeit „eh meist für die Tonne sei.“ Dabei werden Täter, die die
Erfahrung machen, Polizeibeamten respektlos und aggressiv entgegentreten und sanktionslos beleidigen zu können bei der nächsten Begegnung in der Regel nicht besonnener und
respektvoller. Im Gegenteil: Die Hemmschwelle für weitere Taten sinkt und die Gefahr weiterer Eskalationsstufen hin zu Tätlichkeiten steigen. Insoweit erscheint ein konsequentes Vorgehen bereits nach der Leitlinie „wehret den Anfängen“ angezeigt, statt abzuwarten, bis das
nächste Mal vielleicht zugeschlagen wird. Denn unsere Polizeibeamten/innen sind kein Freiwild für Beleidigungen, sondern ihnen ist mit dem notwendigen Respekt zu begegnen.
Die von Innenminister Jäger beauftragte Studie „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte" (abrufbar unter https://www.polizei.nrw.de/artikel__7303.html) hatte bereits im
Jahre 2011 selbst festgestellt (vgl. S. 78), dass über 80 % der Polizeibeamten/innen in NRW
im Jahre 2011 verbale beziehungsweise gestische Beleidigungen erlebt hatten, angeschrien
oder verbal provoziert wurden. Die Studie führte weiter aus:
„Insbesondere im Hinblick auf nicht‐tätliche Angriffe sowie bei der Unterstützung von Strafanträgen zeigten sich einige PVB unzufrieden mit dem Rückhalt durch ihre Vorgesetzten. Eine
PVB sagte beispielsweise: „Was ich allerdings schon sagen muss, ist […], dass ich wenig
Unterstützung bis gar keine Unterstützung erfahren habe, was insbesondere Beleidigungen
angeht.“ Ähnlich wie PVB13 und PVB29, die den Umgang mit Gewalt gegen PVB durch Behörden und Gerichte als besonders belastend wahrnahmen (siehe Abschnitt 5.1.12), äußerten sich in diesem Zusammenhang auch mehrere andere PVB negativ über die Unterstützung durch die Behörde. So sagte beispielsweise ein PVB: „Wenn wir zum Beispiel beleidigt
werden und wir schreiben deswegen eine Anzeige, kommt es vor, dass die Behörde sich
dieser Anzeige nicht anschließt oder sich dem Strafantrag nicht anschließt. Das befremdet
mich natürlich schon. […] Da würde ich mir von der Behörde wünschen, dass sie rückhaltloser hinter ihren Beamten steht.“ Diese Kritik einer wahrgenommenen mangelnden Unterstützung durch die Behörde zeichnete sich auch im quantitativen Studienteil ab (siehe Abschnitt
3.5.8).“ (Auszug Studie S. 343):
Meiner Erfahrung nach gibt es keinen Rückhalt in der Behörde (…), wenn es um alle Formen
der Beleidigungen geht. Nach dem Motto: Dafür wird man ja bezahlt. Gehört zum Beruf dazu.“ (Auszug Studie S. 159).
Über 80 % der Beamtinnen und Beamten hatten demnach keine positive Rückmeldung darüber, ob bzw. dass der Behördenleiter wegen eines tätlichen Angriffs Strafantrag gestellt
oder sich einem solchen Antrag des Polizeibeamten bzw. der Polizeibeamtin angeschlossen
hatte. (vgl. Studie S. 160)
Unklar ist, welche Strategie die Landesregierung und Praxis die Behördenleiter der Kreispolizeibehörden in NRW beim Thema Anzeige von Beleidigungsstraftaten gegen Polizeibeamte/innen konkret verfolgen.
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II.
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Rechtslage
Die Beleidigung wird nach § 185 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe
bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Polizeibeamte/innen, die Opfer einer Beleidigung werden, sind hier nicht anders gestellt als
ein anderer Bürger. Sie genießen durch das Strafrecht grundsätzlich den gleichen Schutz vor
Beleidigungen, auch wenn die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze insbesondere zur Abgrenzung persönlicher Herabsetzung von nur allgemeiner Kritik an polizeilichen
Maßnahmen, noch zulässiger Meinungsäußerung und Kollektivbeleidigung einer Personenmehrheit bzw. Einzelner unter Kollektivbezeichnung zu beachten sind.
Den Straftatbestand erfüllende rechtswidrige Beleidigungen, die gegenüber Polizeibeamten/innen während der Ausübung des Dienstes oder in Bezug darauf begangen werden, sind
vom Gesetz somit nicht nur klar strafbewährt. Sondern im Rahmen des Antragserfordernisses tritt vielmehr neben das Antragsrecht des beleidigten Amtsträgers nach § 194 Absatz 3
Sätze 1 und 2 StGB noch als verfahrensrechtliche Besonderheit ein zusätzliches unabhängiges Antragsrecht des Dienstvorgesetzten, insbesondere der Behördenleiter. Die Tat wird hier
nicht nur im Interesse des Amtsträgers, sondern auch der Behörde verfolgt, wobei es auch
um die Wahrung des Ansehens der Polizei geht.
Zudem fällt auf, dass die sog. Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren
(RiStBV) in den Ziffern 229 und 232 festschreiben, dass bei der Beleidigung von Justizangehörigen grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehen soll, bei
einer Beleidigung von Polizeibeamte/innen hingegen nicht, so dass der Staatsanwalt - auch
wenn ein Strafantrag nach § 194 Abs. 3 StGB vom Behördenleiter gestellt ist - zu prüfen hat,
inwieweit ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.
Die Gründe für diese Ungleichbehandlung erschließen sich nicht. Die Richtlinien des Generalsstaatsanwalts in Saarbrücken zur Verfolgung und Bearbeitung von Straftaten gegen Polizeibeamte vom 21. Februar 2011 – 410-140/2010 – bereinigen dies und enthalten im Wesentlichen einen Appell zur effektiven Verfolgung solcher Straftaten, insbesondere von Widerstandsleistungen gemäß § 113 StGB und Beleidigungen nach § 185 StGB. So wird u. a.
bestimmt, dass von Opportunitätseinstellungen zurückhaltend Gebrauch gemacht und bei
Beleidigungsdelikten das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nach § 376 StPO - wie
bei der Beleidigung von Justizangehörigen (Nr. 232 RiStBV) - regelmäßig bejaht werden soll.
Insoweit frage ich die Landesregierung:
1.
In wie vielen Fällen sind im ersten Halbjahr 2015 in den Kreispolizeibehörden Köln,
Düsseldorf, Bonn, Dortmund, Duisburg und Essen Anzeigen von Polizeibeamte/innen
wegen Beleidigung angezeigt worden?
2.
In wie vielen Fällen im ersten Halbjahr 2015 hat die dortige Behördenleitung nach
Kenntniserlangung von Beleidigungsdelikten gegen Polizeibeamte/innen selbst Strafanzeige erstattet bzw. sich einer solchen des Beamten/der Beamtin angeschlossen
bzw. dies abgelehnt?
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3.
Wann hat die vorgesetzte Dienststelle wegen Beleidigung von Polizeibeamten/innen in
NRW – zur Wahrung des verdienten Achtungsanspruchs des betroffenen Beamten und
insoweit zugleich des Ansehens der Polizei - einen Strafantrag nach § 194 Abs. 3
StGB zu stellen bzw. sich einem Antrag anzuschließen (bitte auch unter Angabe etwaiger Richtlinien, Erlasse, Anweisungen, sonstiger Regelungen dazu)?
4.
Sollte aus Sicht der Landesregierung in NRW entsprechend genannter Regelung der
RiStBV zur Beleidigung von Justizangehörigen grundsätzlich auch ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung jeder strafbewährten Beleidigung eines Polizeibeamten
bestehen?
5.
Inwieweit werden Polizeibeamte/innen behördenseitig dabei unterstützt, Schmerzensgelder wegen Beleidigung von Polizeibeamten bzw. –innen konsequent – möglichst im
Adhäsionsverfahren - durchzusetzen?
Marc Lürbke
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