Heimat kann überall sein ?! – Vom Weggehen und Ankommen Theater- und sozialpädagogisches Integrationsprojekt für Kinder verschiedener Kulturen 1. Kurzbeschreibung Im September 2015, fast zeitgleich mit dem Beginn der Einreisewelle vieler Flüchtlingsfamilien in Österreich und Deutschland, wurde das Projekt „Heimat kann überall sein?! - Vom Weggehen und Ankommen“ in Passau gestartet. Es entstand als eine erste Reaktion auf die Flüchtlingsströme, die diesen Sommer und Herbst in Europa und speziell Passau ankamen und teilweise auch blieben. Das Projekt will vor allem jüngeren Kindern aus Flüchtlingsfamilien in der zu Beginn erlebten Sprachlosigkeit Formen des Ausdrucks und der Kommunikation bieten und eine Möglichkeit für sie schaffen, ihre Situation und ihre Bedürfnisse zu thematisieren und dabei Wertschätzung ihrer Herkunftskultur zu erleben. 2. Rahmenbedingungen 2.1.Teilnehmende Gruppe und Zeitrahmen Am Projekt nehmen 14 Kinder (zw.7 und 12 Jahren) aus 9 Nationen ( z.B.: Afghanistan, Saudi Arabien, Kosovo, Moldawien) teil. Die Treffen mit den Kindern finden von September 2015 bis Februar 2016 einmal wöchentlich in der GS Haidenhof in Passau statt, die diese Kinder auch alle – in verschiedenen Klassen - besuchen. 2.2.Projektziele Stärkung sozialer Kompetenzen (Selbstwert, Teamkompetenz, Konfliktlösungskompetenz) Stärkung des persönlichen Ausdrucks der Teilnehmenden („das zu zeigen, was mir wichtig ist“- künstlerisch, bildlich, darstellend) Sprachförderung Bessere Bewältigung von Alltagssituationen 2.3.Projektleitung Susanne Lehner MA, Theaterpädagogin, Verein DISK (www.verein-disk.net) Petra Mayrhofer, Medienpädagogin. 3. Methoden Da für die Kinder die mangelnden Sprachkenntnisse oft ein großes Hindernis oder auch eine Belastung im Alltag darstellen, bietet das Projekt vor allem Tätigkeiten an, die für Kinder selbstverständlich sind und nicht vorrangig auf Sprache basieren: Spielen, Verkleiden, in Rollen schlüpfen, Zeichnen und Gestalten. Gearbeitet wird mit theaterpädagogischen Methoden wie z.B. den „Jeux Dramatiques“ (nach Heidi Frei), einer nonverbalen Theaterform, auch „Spiel aus dem Erleben“ genannt, dessen Hauptziele die Selbstwahrnehmung und Selbstwertstärkung der Spielenden und deren Teamarbeit sind, und Elementen aus dem Forumtheater (nach Augusto Boal), das Konflikte und Konfliktlösungen fokussiert. Außerdem wird mit kunstpädagogischen Methoden gearbeitet: wie z.B. begleitender Einsatz eines Zeichenhefts als „Tagebuch“ und der gemeinsame Entwurf einer „Decke der Vielfalt“ und – später – einer „Deutschen Decke“, bei denen wichtige Wörter oder Bilder von den Kindern auf Stoffstücke geschrieben/gezeichnet und zusammengenäht werden. Die beiden Decken sind den teilnehmenden Kindern Symbol für das, worauf die stolz sind und was ihnen wichtig ist, und daher sehr wertvoll! Des Weiteren begleitet eine Kamera das Projekt, die Wichtiges festhält und immer wieder gezielt von den Kindern benutzt werden darf und soll, als weitere – aktuelle – Möglichkeit auszudrücken, was persönlich bedeutsam erscheint.(Film unter https://youtu.be/WnM_v3uDvcw) Erst in einem weiteren Schritt wird immer wieder auch die gesprochene Sprache Teil des gemeinsamen Tuns, z.B. im Formulieren von gegenseitigen Komplimenten, Übersetzen wichtiger Wörter (z.B.: Freund, Freundin) aus und in unterschiedliche(n) Sprachen. Wichtig sind ein klarer Regelrahmen, der für die Kinder einen geschützten Raum schafft, in dem sie sich sicher fühlen und frei arbeiten können, und eine Führung, die den Kindern Eigenverantwortung zutraut, gleichzeitig aber in schwierigen Situationen begleitend zur Seite steht. 4. Ablauf In der ersten Phase des Projekts steht die Persönlichkeit des einzelnen Kindes im Vordergrund. Das eigene Können, die Fähigkeiten, aber auch Herkunft, Sprache, Familie und Freunde sind hier wichtig. Auch die Muttersprache der einzelnen Kinder findet hier Beachtung. In der zweiten Phase geht es in einer dem Alter der Kinder entsprechenden Form um das Thema Weggehen bzw. Flucht, z.B.: um Tiere, die ihr Zuhause verlassen müssen, was sie vermissen, wie es ihnen geht und wo sie Hilfe finden. Einfache, gut illustrierte Bilderbücher sind Impulsgeber und die Kinder spielen frei in selbst gewählten und gestalteten Rollen. In der dritten Phase geht es ums Ankommen, darum, seinen Platz zu finden und Freundschaften zu schließen. Es geht auch um Angst und Mut, um Streit und Versöhnung, darum, Freunde zu finden und darum, die Sprache nicht zu verstehen und jemanden zu haben, der einem dann hilft und einen stärkt und lobt. Zum Teil sind es vorgegebene, aber auch von den Kindern selbst entwickelte, gespielte Geschichten, mit denen sie ihre Anliegen zeigen und - in Konfliktsituationen auch Lösungen finden. In der vierten Phase wird eine Verbindung hergestellt, die Qualitäten der Phasen 1,2 und 3 werden in Szenen dargestellt und verbunden Am Ende des Projekts steht die Präsentation einer Szenencollage gemeinsam mit Fotos und Film vor Publikum. 5. Wir sprechen nicht nur mit Worten! Eine große Herausforderung dieses Projekts ist die Sprachbarriere. Es zeigt aber sehr deutlich, dass Ausdruck nicht an Sprache gebunden ist. Die Kinder zeigen durch ihre Aktivitäten, manche zeichnend, andere lieber im Spiel, ganz deutlich, was sie mitteilen möchten. Das Projekt gibt ihnen die Möglichkeit, das, was sie in der neuen Sprache nicht sagen können, anders zum Ausdruck zu bringen. Durch Sprachlosigkeit aufgestaute Ohnmacht wird „befreit“ und findet neue Wege und Möglichkeiten. Gleichzeitig werden bisher versteckte Fähigkeiten der Kinder sichtbar und von anderen gelobt und anerkannt. Zusätzlich wird aber auch das Interesse der Kinder am Lernen der deutschen Sprache aktiviert und die Kommunikation gefördert. 6. Was bewirkt das Projekt für die teilnehmenden Kinder? Mit zunehmender Dauer des Projekts gehen die Kinder immer mehr aus sich heraus und bringen sich künstlerisch und sprachlich vermehrt ein. In begleitenden Gesprächen mit den Lehrerinnen der Kinder wird erzählt, dass sich das Selbstbewusstsein der Kinder und ihre Einbindung in die Klasse verbessern. Sie brauchen weniger bzw. gar keine Einzelbetreuung mehr, melden sich im Unterricht öfter zu Wort und beteiligen sich aktiver am Schulgeschehen. Einige Kinder versuchen, das im Projekt angewendete „Konfliktlösungsritual“ in einem persönlichen Streit einzusetzen. 7. Wirkung nach außen und Finanzierung Zweimal, einmal in einem Elterncafe der GS Haidenhof und ein zweites Mal vor einem größeren Publikum- SchülerInnen, Eltern, aber auch Personen aus den Bereichen Politik und Pädagogik und von der Presse - zum Projektabschluss, erhalten die Kinder die Möglichkeit, Teile dessen, was sie im Projekt erarbeitet haben, zu präsentieren. Ein Zeitungsbericht in der Passauer Neuen Presse weckte vermehrtes Interesse bei anderen Schulen und in der Bevölkerung. Der Kontakt mit dem Rotary Club Passau, erste Gespräche mit örtlichen Politikern, dem Schulamt und der Universität stießen auf „interessierte Ohren“. Finanzielle Unterstützung gab es nur von den Rotariern in der Höhe von 1500€. Wir starteten das Projekt trotzdem, quasi ehrenamtlich, weil wir denken, dass seine Inhalte und Ziele von aktueller gesellschaftlicher und sozialer Wichtigkeit sind. 8. Ausblick Das beschriebene Projekt endet im Februar mit einer Präsentation vor Publikum. Um eine Nachhaltigkeit zu sichern, ist an ein Folgeprojekt gedacht. Es soll mit einer neuen Gruppe im Sommersemester eine Fortsetzung finden. Dabei ist eine stärkere Einbeziehung der Mütter der Teilnehmenden in Form von Elternberichten und –gesprächen und auch eigene ErwachsenenInitiativen geplant. Des Weiteren ist zur Ausbildung von MultiplikatorInnen ein Seminar für Lehramtsstudierende an der Universität Passau, welches das Projektkonzept zum Inhalt hat, in Vorbereitung.
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