Zentrale vs. dezentrale IT Quelle: Cisco Infrastruktur IT-Infrastuktur Zentrale versus dezentrale IT-Infrastruktur Zentral? Dezentral? Oft ist eine Mischform die beste Lösung für die IT-Organisation. D ie Zentralisierung wie die Dezentralisierung der IT-In frastruktur und der dahinterstehenden Organisation haben ihre Vor- und Nachteile. Vielfach liegen sie auf der Hand. Wo alles zentral gebündelt wird, lassen sich die Prozesse und Standards besser vereinheitlichen und zudem Skaleneffekte erzielen. Dezentrale IT-Umgebungen wiederum sind oft flexibler und agiler, erklärt Rainer Hoppe, geschäftsführender Gesellschafter des Logistikberatungsunternehmes A’Pari Consulting. Daran knüpfen sich Fragen, etwa die, welche Rolle der CIO im Unternehmen einnimmt – und ob er und die zentrale IT überhaupt noch gebraucht werden. Die Stellung der IT Zu zentralisieren oder zu dezentralisieren ist Peter Dümig zufolge, Senior Server Product Manager bei Dell, auch „eine philosophische Frage, wie die Firmenleitung tickt und wie die 76 Stellung der zentralen IT im Unternehmen ist“. Das Thema wird also oft zu einer Machtfrage und ist nicht selten von harten Kontroversen oder gar Grabenkämpfen zwischen der ITZentrale und den Fachabteilungen oder Nebenstellen begleitet. Dabei sind die Zeiten längst vorbei, in denen die IT-Leute ihren Platz bei den Servern im Untergeschoss hatten. In großen Unternehmen ist der Leiter der Abteilung, der CIO, vielfach im Vorstand zu finden. Oft sind es aber die Anforderungen der Abteilungen und die erforderlichen Anwendungen, die die Richtung vorgeben. Und das kann zu Spannungen mit der zentralen IT und der vom CIO vorgegebenen Linie führen. Das Marktforschungsunternehmen Ovum findet die Diskussion Zentralisierung versus Dezentralisierung müßig und ist der Ansicht, dass in Organisationen ab einer gewissen Größe nur der Mittelweg zum Erfolg führt. Allerdings sei dieser in der Regel „besonders steinig“. 8/2015 com! professional Zentrale vs. dezentrale IT Problem: Insellösungen Viele Unternehmen haben mit einem in Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zustande gekommenen Wildwuchs an unterschiedlichen Insel- und Speziallösungen zu kämpfen. Dieser Wildwuchs ist „häufig nur ein Symp tom für fehlende gemeinsame Ziele“, sagt A’Pari-Geschäftsführer Hoppe und nennt als Beispiel einen Vertriebsleiter, der für sein Team bei der zentralen IT vor Jahren schon Tablets beantragt hatte, aber immer wieder vertröstet wurde. Schließlich bezahlte er diese aus dem Abteilungsbudget und beauftragte einen externen Dienstleister mit der Erstellung einer Vertriebs-App, woraufhin die zentrale IT nachgab und sich selbst um das Thema kümmerte – „natürlich mit deutlich mehr Aufwand als bei einem ‚sauberen‘ Aufsetzen erforderlich gewesen wäre“, so Hoppe. „Nicht von ungefähr existieren in vielen Unternehmen zahlreiche Insel- und Excel-Lösungen, weil sich die Mitarbeiter sonst nicht zu helfen wissen.“ Richtig wäre seiner Meinung nach, als IT Anforderungen und Trends ernst zu nehmen und entsprechende Lösungen aktiv anzubieten. Infrastruktur „Vorteile der zentralen IT sind ganz klar Skaleneffekte, die der dezentralen Beschaffung sind mehr Flexibilität und damit auch eine höhere Zufriedenheit in den Fachabteilungen.“ Peter Dümig Senior Server Product Manager, Dell Deutschland www.dell.de stellt in einer Erörterung zum Thema dezentrale versus zentrale IT-Strukturen fest: „Die Zentralität ermöglicht einen holistischen Blick auf alle unternehmerischen Systeme und Prozesse, sodass auch der Umgang mit Schnittstellenproblemen erleichtert wird.“ Es könne gewährleistet werden, dass die einzelnen Systeme miteinander kompatibel und vernetzbar seien. Eine so gegebene einheitliche Datenhaltung gewinne bei Trends zur Wissensorganisation und Big Data immer mehr an Bedeutung, was für zentrale IT-Strukturen spreche. Die wi²-Blog-Autoren weisen aber auch auf die Vorteile hin, wenn die IT-Aufgaben in die jeweiligen Fachabteilungen integriert sind. Der Abstimmungsbedarf mit der IT-Abteilung entfalle. Betrieb und Lösungen würden dadurch flexibler. InDer studentische wi² Blog – Wirtschaftsinformatik & Informaformationsverlusten, beispielsweise bei der Auftragsvergabe tionsmanagement der Technischen Universität Braunschweig an einen Dienstleister, ließe sich leichter vorbeugen. Ferner könne eine von der eigenen Abteilung erarbeitete Lösung auch motivationsfördernd sein und zu Zentrale versus dezentrale IT-Organisation größerer Akzeptanz durch die Aus dieser Übersicht von A’Pari Consulting geht hervor, wo die Zentralisierung und wo die Mitarbeiter beitragen. Die BeDezentralisierung der IT-Organisation von Vorteil ist. Die meisten Punkte sprechen für zentrale schaffung, Einrichtung und UnStrukturen, Kundennähe und Agilität aber eher für die dezentrale IT. terstützung von zum Teil selbst Kriterium Zentral Dezentral mitgebrachten Endgeräten, von Betrieb und Sicherheit Cloud-Diensten und Apps erfolge Ausfallsicherheit + – dezentral oft auch schneller und Sicherstellung 7x24 Stunden Service + – direkter „auf dem kurzen DienstHarmonisierte IT-Prozesse + – weg“. Einheitlicher Sicherheitsstandard (Datensicherheit) + – Die wachsende Vernetzung im Einmalige und laufende Kosten Zuge von Industrie 4.0 und Bring Aufwand für Betrieb und Sicherheit großer Firmennetzwerke + Your Own Device (BYOD) wird Geringere Beschaffungskosten durch Volumen + – andererseits auch als Argument Lastabhängige Verteilung der Hardware-Kapazitäten + – für eine stärkere Zentralisierung Vermeidung von Wildwuchs und Insellösungen / einheitlicher Standard + – bei Hard- und Software gesehen. Einheitliche Datenverwaltung / Konsistenz der Stammdaten / Transparenz + – Dell-Manager Dümig sieht bei Personalbedarf / Administrations-Know-how + – der zentralen IT Vorteile in Bezug Kundennähe auf Skaleneffekte, StandardisieAn lokale Bedürfnisse oder Kunden angepasste IT (Hardware/Software) – + rung, leichtere Beschaffung sowie Koordinationsaufwand zwischen Zentrale und Niederlassungen bei neuen – + Wartung und Pflege der Systeme, Anforderungen weist jedoch darauf hin, dass die Aufwand für Abgrenzung von Daten unterschiedlicher Kunden o o dezentrale Beschaffung mehr FleSupport der Nutzer vor Ort (1st-Level Support) – + xibilität und eine „gefühlte höheAnpassungsgeschwindigkeit und Agilität Schnelle Anpassungsfähigkeit der IT – + re Zufriedenheit“ in den FachabKurze Beschaffungszeiten / Entscheidungswege für Hard- und Software – + teilungen mit sich bringe. Treiben von Innovationen o o A’Pari Consulting hat die Pros Abdeckung der Anforderungen von Industrie 4.0 o/+ o/– und Contras beider Möglichkeiten Integration neuer Standorte und übergreifender Geschäftsprozesse + – zusammengefasst (siehe Über- ▶ Pros und Contras + = Vorteile, – = Nachteile, o = neutral com! professional 8/2015 77 Infrastruktur Zentrale vs. dezentrale IT sicht auf Seite 77). Danach überwiegen die Vorteile der Zentralisierung, vor allem in puncto Betrieb, Sicherheit und Ausfallsicherheit sowie bei den einmaligen und laufenden Kosten – auch wenn der Aufwand für den Betrieb und die Sicherheit über dezentrale Systeme zunächst geringer erscheinen. Die Vorteile dezentraler Systeme sind A’Pari-Geschäftsführer Hoppe zufolge kürzere Entscheidungswege, ein engerer Kontakt zu Lieferanten und Kunden – und dass das IT-Knowhow vor Ort ist. Um die Vorteile zentraler, weitgehend integrierter Lösungen umzusetzen, müssten gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllt sein. Dazu zählt Hoppe eine Drei-Schichten-Architektur mit Trennung von Präsentationsschicht, Business-Logik und Datenhaltung, außerdem auf gängigen Standards basierende Datenbanken, terminalservertaugliche oder vollständig virtualisierbare Applikationen und die Integrationsfähigkeit und zumindest in Teilen auch Webfähigkeit der Anwendungen. Ob zentral oder dezentral, das entscheiden allerdings oft die jeweiligen Einsatzbereiche, Applikationen und abteilungsspezifischen Anforderungen. Kein Patentrezept Es gibt auch andere Gründe, die für eine dezentrale Organisation beziehungsweise den goldenen Mittelweg sprechen. Peter Dümig von Dell kennt einen Fall, bei dem ein großes Unternehmen den im Prinzip richtigen „Viele Firmen kehren Schritt unternommen hatvon der Dezentralisierung te, die Hauptapplikation ab und gehen wieder für alle Niederlassungen verstärkt Richtung zu zentralisieren. Dabei Zentralisierung. wurde jedoch versäumt, Ein wichtiger Grund ist die vorher einen Test zu fahallgemeine Stärkung des ren. Letztlich hätten sich CIOs in den Unternehmen.“ durch die vielen Datenbankabfragen im zentraMario Meir-Huber len Server die Latenzen IDC-Analyst, Big Data und so hochgeschaukelt, dass Cloud-Computing www.idc.de die Geschwindigkeit der Anwendungen immer geringer und das System unbrauchbar wurde. Ergebnis: Das Unternehmen startete ein neues Projekt, um die Hauptapplikation wieder zu dezentralisieren. In der Fertigung oder an Universitäten würden von Fachabteilungen oder einzelnen Instituten mitunter Anschaffungen Dell PowerEdge VRTX: Die speziell für Außenstellen entwickelte VRTX-Reihe nennt Dell „eine Art Data Center in a Box“. wie HPC-Cluster für aufwendige Berechnungen getätigt, die von der zentralen IT gar nicht beurteilt und mit eigenem Know-how auch gar nicht betrieben werden können, führt der Dell-Manager weiter aus. Es gebe durchaus Abteilungen, die aufgrund spezieller Anforderungen 40-Gigabit-EthernetSwitches einsetzen, während normal im Unternehmen mit 10 Gigabit gearbeitet werde. In dezentralen Strukturen und in Fällen, die ein spezielles Know-how erfordern, haben die Abteilungen oder Niederlassungen eigene IT-Teams. Laut Rainer Hoppe von A’Pari Consulting muss dabei dafür gesorgt sein, dass das Wissen immer bei mehr als einem Mitarbeiter liegt. Trends fördern die zentrale IT Abgesehen von unternehmenskritischen Anwendungen kann vieles ebenso gut dezentral gemanagt werden. Es gibt aber auch eine Reihe von neuen starken Argumenten, die mehr für eine Zentralisierung sprechen. Dazu gehören Trendthemen wie die fortschreitende Digitalisierung, Big Data, Industrie 4.0, das Internet der Dinge sowie Bring beziehungsweise Choose Your Own Device (BYOD/CYOD), die wachsende Anforderungen an die Vernetzung und Sicherheit der IT-Systeme stellen. Dezentrale Systeme könnten im Kontext von Industrie 4.0 laut Hoppe nur fortbestehen, wenn ein durchgängiger Echtzeit-Datenaustausch über entsprechende Bus-Systeme und andere Middleware sichergestellt sei. Bei den genannten Themen einschließlich Big Data können ihm zufolge die Fachabteilungen nicht „im Lead“ sein. Vielmehr sei hier Für verteilte Standorte: Ciscos Meraki MX Security Appliances sollen sich ideal für Unternehmen mit vielen Standorten eignen, weil sie zentral über die Cloud gemanagt werden. 78 8/2015 com! professional Zentrale vs. dezentrale IT eine zentrale Business-IT gefordert, die abteilungsübergreifend unterstützend tätig ist. Als „starken Fall“ für die zentrale IT sieht Dell-Manager Dümig die Private Cloud, weil man so wichtige Skaleneffekte erzielen könne. Bei der Nutzung einer externen oder Public Cloud sei es hingegen „gar nicht mal schlecht“, mit Außenstellen dezentral zu arbeiten, weil diese dann auch direkt darauf zugreifen könnten. In den Fachabteilungen gebe es viele innovativ denkende Menschen, aber Skepsis gegenüber Veränderungen sei dort ebenfalls weit verbreitet und mitunter auch angebracht – zum Beispiel, wenn der Vorstand die Cloud anstrebt, die IT-Mitarbeiter aber entsetzt zu überlegen anfangen, wie das überhaupt realisiert werden könnte, von sicherheitstechnischen und juristischen Fragen ganz abgesehen. „Denn wenn nicht sichergestellt werden kann, dass die Daten in Deutschland bleiben, dann dürfen manche Dinge gar nicht in die Cloud gegeben werden“, so Dümig. Das wiede rum kann ein starkes Argument für den CIO im Vorstand sein, setzt aber voraus, dass sich bei ihm strategisches Denken mit Sachverstand paart und er nicht schon zu weit weg von der operativen IT-Basis ist. „Der Wildwuchs ist häufig nur ein Symptom für fehlende gemeinsame Ziele. Richtig wäre es, als IT Anforderungen und Trends ernst zu nehmen und entsprechende Lösungen aktiv anzubieten.“ Rainer Hoppe geschäftsführender Gesellschafter, A’Pari Consulting www.apari.de Braucht man noch einen CIO? Der erwähnte wi² Blog der TU Braunschweig stellt seinem Beitrag „Dezentrale vs. zentrale IT-Strukturen“ ein Zitat von Peter Hinssen, Assistenzprofessor an der London Business School, voran: „IT departments have become completely useless.“ Der Sinn oder die Nutzlosigkeit der IT-Abteilung hängt allerdings von einer Reihe von Faktoren ab: • Herrschen eher zentrale oder dezentrale IT-Strukturen? • Welche Stellung hat die zentrale IT im Unternehmen? • Wie viel Macht und Ansehen hat der CIO? • Versteht der CIO auch das „große Ganze“ und die Belange anderer Ressorts? Derartige Fragen haben auch Ovum und dessen Research Director Steve Hodgkinson beschäftigt – mit der Kernaussage, dass die Komplexität von IT-Entscheidungen keine trivialen oder pauschalen Rezepte zulasse. Vielmehr müsse für alle denkbaren Fälle einzeln entschieden werden, welche IT-Lösungen zentral verwaltet werden sollten, welche von den ITSpezialisten in den einzelnen Segmenten oder Abteilungen und „was so richtig nur die Business-Seite beurteilen“ könne. Den Überblick darüber könne allerdings nur der CIO haben, der als Voraussetzung dafür die nötige Reife mitbringen müsse, so die Analysten von Ovum. Gemeint ist ein CIO, der com! professional 8/2015 Infrastruktur als „Manager von Rang“ mit den nötigen Aufgaben und Befugnissen ausstattet ist. Daraus hat Ovum ein strategisches Reifemodell der CIO-Funktion entwickelt und am Beispiel der Einrichtung eines Shared-Service-Centers für die Konsolidierung und Zentralisierung von Dienstleistungsprozessen veranschaulicht. ▶ Kommentar Der Trend geht wieder mehr zur Zentralisierung Ob man Funktionen dezentralisiert oder zentralisiert halten soll, ist ein häufig diskutiertes Thema. Beide Ansätze bieten geMario Meir-Huber wisse Vor-, aber auch Nachteile. IDC-Analyst, Big Data In den letzten fünf Jahren ging und Cloud-Computing der Trend in Richtung einer starwww.idc.de ken Dezentralisierung, da hier eine höhere Agilität erwartet wurde. Wenn einzelne Abteilungen einen IT-Verantwortlichen haben, lassen sich leichter schnelle Entscheidungen treffen. Die Wege sind kurz und das operative Geschäft wird sofort mit entsprechenden Lösungen bedient. In den vergangenen ein bis zwei Jahren dreht sich diese Entwicklung jedoch wieder in eine andere Richtung: Viele Firmen kehren von der Dezentralisierung ab und gehen wieder verstärkt Richtung Zentralisierung. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ein wichtiger Grund ist die allgemeine Stärkung des CIOs in den Unternehmen. Dessen Position hat sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Und oftmals ist der CIO bereits fester Bestandteil des Vorstands. „Ein Treiber für die Zentralisierung sind neue IKT-Trends.“ Dieser treibt – nicht ganz uneigennützig – die Zentralisierung voran. Ein wesentlicher Faktor bei dieser Entwicklung ist auch die Standardisierung von IKT-Lösungen, während Insellösungen in Unternehmen oftmals ein Problem sind und die allgemeine IKT-Strategie untergraben. Daher wird durch die Zentralisierung auch versucht, den Wildwuchs an unterschiedlichen Lösungen im Unternehmen, in den einzelnen Abteilungen und den Zweigstellen zu verhindern. Ein weiterer, nicht unwesentlicher Treiber für die Zentralisierung sind neue IKT-Trends. An zentraler Stelle steht hier Big Data, wo es darauf ankommt, die Unternehmensdaten ganzheitlich zu betrachten. In zahlreichen Gesprächen von IDC mit den Herstellern und den IT-Verantwortlichen in den Unternehmen zu diesem Thema hat sich gezeigt, dass Big Data einen gewissen Grad der Zentralisierung benötigt. 79 Infrastruktur Zentrale vs. dezentrale IT Interview „Mit zentraler IT werden Insellösungen vermieden“ com! professional hat mit Rainer Hoppe über die Parameter für effiziente IT-Systeme gesprochen. Hoppe ist geschäftsführender Gesellschafter von A’Pari Consulting. com! professional: Bitte umreißen Sie kurz die Vor- und Nachteile der zentralen und der dezentralen IT. Rainer Hoppe: Wichtige Vorteile zentraler IT-Systeme sind die Einheitlichkeit von Standards – das gilt für Hard- und SoftRainer Hoppe ware ebenso wie für Betrieb, Ausfall- und Informationssicherheit sowie die Konsistenz der unternehmensweit eingesetzten Systeme. Damit werden teure Insellösungen vermieden und die Betriebskosten gesenkt. Neue Standorte können leicht in die bestehende Landschaft integriert werden. Anpassungen für Spezialaufgaben sind dabei aber erheblich schwieriger und aufwendiger zu koordinieren. Mit dezentralen Systemen kann man schneller auf Kundenwünsche reagieren und sie an die individuellen Bedürfnisse anpassen. Zudem sind die Entscheidungswege häufig kürzer. Allerdings sind die Konsistenz und das Sicherheitsniveau der unternehmensweit eingesetzten Systeme hierbei in der Regel geringer. Durch ein Nebeneinander verschiedener Insellösungen mit fehlenden Standards steigen außerdem die Prozesskosten. Mit dem Trend zu Industrie 4.0 wachsen die Anforderungen an die Vernetzung von IT-Systemen weiter. In diesem Kontext können dezentrale IT-Systeme nur dann fortbestehen, wenn ein durchgängiger Datenaustausch in Echtzeit über eine entsprechende Middleware sichergestellt ist. „Unabhängig von der Frage zentral oder dezentral müssen bestimmte Mindestanforderungen sichergestellt sein.“ com! professional: Gibt es eine Empfehlung, ab wann es sich lohnt, die IT zentral zu bündeln? Hoppe: Stärker als von der reinen Unternehmensgröße hängt das von der jeweiligen Organisationsstruktur und der Anzahl der Standorte ab: Je mehr Standorte mit womöglich gleichen funktionalen Aufgaben ein Unternehmen hat, umso mehr spricht das für eine Zentralisierung bestimmter Prozesse. Die kritische Größe liegt nach unseren Erfahrungen bei fünf bis zehn dezen tralen Organisationseinheiten. com! professional: Dezentrale Systeme bergen Risiken bezüglich der Sicherheit und Verfügbarkeit. Wie bekommt man beides unter einen Hut? 80 Hoppe: Grundsätzlich gilt, dass die Sicherheit der Systeme aktiv gemanagt werden muss. Dafür empfiehlt sich eine ganzheitliche Betrachtung. In einem Information Security Management System (ISMS) können sowohl für dezentrale als auch für zentrale Systeme eine exakte Dokumentation und Maßnahmen für den Störungsfall festgehalten werden. Dabei sollte man keine eierlegende Wollmilchsau schaffen wollen, sondern den Fokus auf besonders geschäftskritische Anwendungen legen. Sicherheit und Verfügbarkeit sind immer die Summe aus Mensch/Know-how, Prozessen und IT-Systemen. Bei unseren Risikoanalysen stellen sich deshalb Fragen wie: Verfügen wir über das erforderliche Know-how, um unsere ITSysteme effizient nutzen zu können? Sind wir weitestgehend unabhängig von sogenannten Kopfmonopolen? Ist Schlüsselwissen immer bei mehr als einem Mitarbeiter vorhanden? Wie stabil und sicher sind die IT-Service-Management-Prozesse? Sind diese ausreichend dokumentiert? Unabhängig von der Frage zentral oder dezentral müssen bestimmte Mindestanforderungen sichergestellt sein. Das bedeutet nicht gleich die Notwendigkeit der Zertifizierung zum Beispiel nach ISIS12 oder ISO 27001, aber eine Sensibilisierung aller Beteiligten und regelmäßige Audits sind schon erforderlich. com! professional: In Unternehmen mit zentraler IT wird oft bemängelt, dass die Fachbelange zu wenig berücksichtigt werden. Was tun? Hoppe: Das ist in der Tat oft immer noch ein Problem. In vielen Großunternehmen mit klassischen IT-Organisationen hat es sich eingebürgert, bei den Fachbereichen Anforderungsprofile abzufragen und entsprechende Roadmaps und Business-Cases zu erstellen. Es gilt als modern, zumindest die Infrastruktur und ihren Betrieb outzusourcen. Dabei geht aber oft der Blick für neue Themen wie Cloud und Mobile verloren. Bei anderen wie Big Data oder dem Internet of Things können auch nicht die einzelnen Fachabteilungen im Lead sein, sondern hier ist eine IT gefordert, die abteilungsübergreifend unterstützend tätig ist und gegebenenfalls auch IT-nahe Aufgaben vom Business übernimmt. Wie immer liegt der goldene Mittelweg irgendwo dazwischen. Eine Lösung könnte darin bestehen, beides zu vereinen. Eine Organisation für die bestehenden IT-Services und die Steuerung der Dienstleister (IT zu IT) sowie eine businessnahe IT mit Sinn für Innovationsthemen und angereichert mit Start-up-Charakter, sprich eine Art Business-IT. Das führt zur gegenseitigen Akzeptanz, setzt aber auch eine tiefe Veränderungsbereitschaft in den heutigen IT-Organisationen voraus. Wichtig vonseiten der IT wäre auch, Anforderungen und Trends ernst zu nehmen und aktiv entsprechende Lösungen anzubieten. 8/2015 com! professional Infrastruktur Zentrale vs. dezentrale IT Modell von Rockart Das von IDC-Manager Meir-Huber im CIO-Blog (www.cio blog.at) zitierte „Modell von Rockart“ zeigt drei Achsen: Die vertikale Achse steht für Entwicklung und Anpassung der Anwendungen, die horizontale für den BeDecentralized trieb der Anwendungen und der Hardware. Die schräg verlaufende AchManagement se zeigt den Grad der Zentralisierung oder Centralized Operations Dezentralisierung an. Development Weil der Erfolg von Shared Services von den Kunden abhängt, muss der CIO – vereinfacht gesagt – ein Gleichgewicht zwischen „den Ansprüchen aus den Fachbereichen und den Kapazitäten des Shared-Service-Providers“ herstellen, um durch „reife Anleitung“ erst ein „intelligentes“ Kundenverhalten zu ermöglichen. Der anhaltende Erfolg einer SharedService-Strategie sei abhängig von der Aufgabenstellung, der Reichweite der Aktivitäten und dem unternehmensweiten Einfluss der CIO-Funktion. Ovum betrachtet dies als die drei Eckpfeiler des CIO-Reifemodells. Und da sowohl voll zentralisierte wie auch voll dezentralisierte IT-Ansätze mehr Kosten und Risiken als Vorteile brächten, bleibe die Optimierung der IT-Performance im gesamten Unternehmen stets eine Herausforderung. In großen Unternehmen, wo ein Mittelweg beschritten wird, muss der CIO in der Lage sein, die Entscheidungen und Aktivitäten der verschiedenen halbautonomen IT-Leiter zu koordinieren, die „disparaten IT-Funktionen zusammenzufügen und in einem chaotischen und fragmentierten Umfeld strategisches IT-Management zu entwickeln“, heißt es in der Beschreibung zu Ovums CIO-Reifemodell. Wie der Wirtschaftsinformatiker Peter Mertens in dem Buch „Aufbauorganisation der Datenverarbeitung“ erklärt, ist Grundlage der Überlegung, dass man keine globale Entscheidung für die eine oder andere Richtung fällen könne. Vielmehr müsse man die Aufgabenfelder (Systementwicklung, Systembetrieb und Systemmanagement), die Teilbereiche (mögliche EDV-Einheiten) und die Funktionen (zum Beispiel Finanzen) jeweils getrennt betrachten. Um diese Abgrenzung Der IDC-Analyst Mario Meir-Huber weist im CIO-Blog (www. zu verdeutlichen, hat Mertens einen Entscheidungswürfel cioblog.at) dagegen darauf hin, dass es wenig sinnvoll sei, in entwickelt. Über die getrennte Betrachtung gelangt man für jeden Unternehmens- oder Aufgabenbereich zu einer Entscheidungseinheit (Basic Decision Unit), für die jeweils eine Tabelle Der Entscheidungswürfel von Mertens mit Einflussfaktoren ausgefüllt werden Der sogenannte Entscheidungsmuss. So kommt man am Ende vielleicht zu T eil en be würfel des Wirtschaftsinforma on i r dem Schluss, dass für diese Fachabteilung t e ich nk e tikers Peter Mertens verdeutlicht, Fu trotz konzernweiter starker Zentralisierung wie die Aufgabenfelder (Entwickeine dezentrale IT-Lösung besser wäre. lung, Betrieb und Management des Systems) die IT-relevanten Teilbereiche und die Funktionen Auch wenn die Unternehmen heute wegen im Unternehmen jeweils getrennt der wachsenden Vernetzung und Themen betrachtet werden müssen. wie Industrie 4.0 oder Big Data dazu neiJedes Projekt erhält so ein gen, die IT zu konsolidieren und zentral zu eigenes Profil. In ein „Tableau der bündeln, wird es immer Abteilungen oder Sy Einflussfaktoren“ eingetragen, ste mm Aufgabenbereiche geben, bei denen es besführt es zu der Bewertung, ob das an ag ser ist, die jeweilige Lösung dezentral einem Projekt zentralisiert oder eher en t zurichten, zu betreiben und zu verwalten. dezentralisiert werden sollte. Unternehmen tun daher gut daran, zweigleisig zu fahren. Ein erster Schritt könnte ein Asset Management oder eine BestandsRichtung Zentralisierung oder Dezentralisierung zu gehen, analyse sein. Dem CIO kommt in zentralen wie in dezenwenn es sich mit den anderen IT-Funktionen andersherum vertralen Mischstrukturen eine wichtige koordinierende Rolle halte. Er zieht dabei das „Modell von Rockart“ heran (siehe zu. Daher sollte er – ob im Vorstand oder nicht – auch immer Kasten oben). Sind Anwendungs- und Hardware-Betrieb zenan den wichtigsten strategischen Meetings teilnehmen, um tralisiert, erfordere das auch einen gewissen StandardisieEinblick in sämtliche Geschäftsbereiche nehmen zu können rungsgrad, während eine Dezentralisierung dieses Bereichs und im günstigsten Fall die Vorteile des Domänwissens der jeweiligen Fachabteilung neben Fachkompetenz ausnutze. „Ein dezentrales Management kann wiederum zu einen unternehmeriKlaus Hauptfleisch/oe höherer lokaler Autonomie und schnelleren Prozessen führen, schen Weitblick zu [email protected] wobei der CIO in diesem Fall sehr viel Fingerspitzengefühl im winnen beziehungsweiUmgang mit der jeweiligen Fachabteilung haben muss.“ se zu wahren. ◾ com! professional 8/2015 System- Systementbetrieb wicklung Aufgabenfelder Der Entscheidungswürfel Fazit 81
© Copyright 2024 ExpyDoc