Vorschau/Download

Nr. 9/2015
• Bob McCarthy – Jimmy Reiter – Pass Over Blues
• Album des Monats: Gary Clark Jr. – The Story of Sonny Boy
Slim
• Antje Marsch: Naturfotografie
• Mit Erzählungen von Constanze John und A.J. Mordtmann
2
EDITORIAL
IMPRESSUM
Die Wasser-Prawda ist ein Projekt
des Computerservice Kaufeldt
Greifswald. Das pdf-Magazin
erscheint in der Regel monatlich.
Es wird kostenlos an die registrierten Leser des Online-Magazins
www.wasser-prawda.de verschickt.
Wasser-Prawda Nr. 8/2015
Redaktionsschluss: 27.08.2015
Titelseite: Roland Beeg (Pass Over
Blues)
links: Larry Griffith
Hintere Umschlagseite: Indian
beim Mardi Gras
REDAKTION:
C he f r e d a k t e u r : R a i mu nd
Nitzsche (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Mario Bollinger,
Bernd Kreikmann, Matthias
Schneider, Dave Watkins, Darren
Weale
Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Gary Burnett, Iain Patience,
Markus Reimer
Die nächste Ausgabe erscheint am
24. September 2015.
Adresse:
Redaktion Wasser-Prawda
c/o wirkstatt
Gützkower Str. 83
17489 Greifswald
Tel.: 03834/535664
[email protected]
Anzeigenabteilung:
[email protected]
Wasser-Prawda | September 2015
I N H A LT
3
INHALT
SEPTEMBER 2015
4
5
13
14
19
21
25
27
33
39
40
53
54
56
62
65
71
Editorial
Auf Tour
Musik
Stimmen des Blues - 3. Hamburg Blues
Nights am 30./31. Oktober
Jimmy Reiter: „Ich hab´s euch ja gesagt!“ Blues von einem anderen Stern
Bob McCarthy: A Satisfied Mind
Pass Over Blues im Sotano
Netzfundstücke: Jochen Volpert
Gehört wird, was dem Reiseleiter gefällt.
Blueskalender
Rezensionen
Gary Clark Jr. – The Story Of Sonny Boy
Slim
Rezensionen A bis Z
Wiederhören
Meilensteine
Feuilleton
Antje Marsch: Naturfotografie
Constanze John: Anna Seghers und ihr
Grubetsch
Der Untergang der Carnatic
Die Vestalinnen
85 Enghlish Articles
Wasser-Prawda | September 2015
4
EDITORIAL
EDITORIAL
VON RAIMUND NITZSCHE
Fußballübertragungen oder Live-Musik? Coverbands,
Single-Parties oder Konzerte mit unbekannteren Musikern? Womit kann ein Laden heute leichter wirtschaftlich überleben? Ich glaub, vor solchen
Überlegungen stehen heute viele Kneipen und Clubs,
vor allem wenn sie sich musikalisch in Richtung Blues
und ähnlicher Genres orientieren.
Es vergeht kaum eine Woche, wo mich nicht Musiker
nach Tipps fragen, wo sie in unserer Region oder in
Deutschland überhaupt auftreten können. Und ich kann
ihnen immer nur die gleiche Handvoll Adressen und
Webseiten nennen, die mir beim Blick in die Tourpläne
auffallen. Neue kommen scheinbar kaum hinzu. Und
selbst die etablierten Läden sind wirtschaftlich kaum in
der Lage, orderntlich Werbung zu machen. Jedenfalls
schließe ich das daraus, wie wenig Bereitschaft besteht,
in Magazinen wie unserem Werbung zu schalten.
Und dabei scheinen die Verhältnisse in Deutschland
noch weitaus besser zu sein als etwa in den USA oder
Großbritannien, wo selbst bekannte Künstler in kleinen
Kneipen spielen. Doch auch hierzulande sind immer
mehr dazu bereit, auf Gagen zu verzichten und statt
dessen „gegen die Tür“ zu spielen oder einen Hut herum
gehen zu lassen. Denn ein wirtschaftliches Risiko
können gerade kleinere Läden nicht eingehen. Und
daher ist auch die Bereitschaft, unbekannteren Musikern
eine Chance zu geben, ziemlich gering. Da freut es einen
dann jedes Mal, wenn man in ein Konzert geht, dass
dann gegen alle Erwartungen im Vorfeld gut besucht ist.
Denn eigentlich ist – und hier denke ich zunächst
wirklich nur an die hiesige Region, wo ich einen gewissen Überblick habe – die Sehnsucht nach guter handgemachter Live-Musik vorhanden. Leute jenseits des
Jugendalters wollen eben nicht die jeweils neueste
Hitparaden-Sensation erleben.
Die Leute sind es auch, die regelmäßig nach neuen
Hörempfehlungen Ausschau halten, die gerne auch
Wasser-Prawda | September 2015
unbekanntere Alben antesten würden – wenn es denn
in den Plattenläden auch derartige Schätze zu entdecken gäbe. Live-Konzerte, Plattenhandel und Medien
(gedruckt, im Netz oder im Äther) gehören zusammen.
Aber wenn es um Blues geht, ist die Lage da wirtschaftlich angespannt. Hat jemand da eine wirkliche Lösung
in petto?
Euer Raimund Nitzsche
TERMINE
Festivals
WDR Crossroads Festival
21.-23.10. Harmonie Bonn
Mit: Love A, The Volcanis, Die Nerven, The Sun
And The Wolf, Sonny Landreth, Miraculous Mule, Wolf Maahn und The Buttshakers
3. Hamburg Blues Nights
30./31. 10. Sasel-Haus
The Delta Boys, Tommie Harris & Kai Strauss
Band, Larry Griffith & Band, Dany Franchini
Band, Lisa Lystam Family Band, Wanda Johnson
& Band
7. Volksdorfer Blues Festival
13./14.11. Hamburg-Volksdorf
Luca Sestak Duo, Jazz-Combo des Walddörfer
Gymnasiums, Meena Cryle & The Chris Fillmore
Band, Abi Wallenstein, The Double Vision
Auf Tour
3 Dayz Whizkey
02.10. Bad Friedrichshall, Lemmy‘s
03.10. Donauwörth, Doubles
09.10. Luzern, The Brunch Brothers (CH)
10.10. Habach, Village
16.10. Ingolstadt, Diagonal
30.10. Hambach, Bluesnight
31.10. Dortmund, Blue Notez
08.11. Freising, Schlüter Bar
Abi Wallenstein
02.10. Bielefeld, Jazzclub (BluesCulture)
03.10. Rhauderfehn, Bluesclub im Hotel Westerfehn (BluesCulture)
08.10. Stralsund, Anker Werkstatt
09.10. Rostock, Pumpe
10.10. Grossbeeren, Blues Festival
11.10. Parchim, IRISH PUB
5
16.10. Petershagen, Windmühle
Großenheerse
17.10. Ratingen, Manege, Blues Festival
06.11. Trossingen, Kesselhaus
13.11. Neumünster, Volkshaus Tungendorf
20.11. Leipzig, Geyserhaus (BluesCulture)
21.11. Oederan, Volkskunstschule im „Spital“
(BluesCulture)
Bad Temper Joe
08.10. Kassel, Café Neu
09.10. Marburg, Molly Malone‘s
10.10. Frankenberg, Klimperkasten
23.11. Bielefeld, Spökes (mit Greyhound George)
B.B. & The Blues Shacks
03.10. Münster Jazzclub Münster
06.10. Bonn CD-Release Bonita & The Blues
Shacks
08.10. Osnabrück Blue Note
10.10. Hildesheim Heimspiel 2015
14.10. Chur Folkclub (CH)
16.10. Sins Seiser Kurve (CH)
23.10. Eisenach Jazzclub Eisenach
02.11. Köln Soundstation im Bahnhof Köln
06.11. Bachs Blues Night Bachs (CH)
07.11. Itzehoe Lions Blues Night
13.11. Czechowice-Dziedzice ROCK & BLUES
FESTIWAL (PL)
16.11. Kassel Theaterstübchen
17.11. Fürth Kofferfabrik
19.11. Wien BlueSimon (A)
20.11. Frauental Blue Garage (A)
Big Daddy Wilson
16.10. Husum / Speicher
17.10. Toulouse / Jazz Sur Son (FR)
24.10. Ellerstadt / Misson in Blues
06.+07.11. Dresden / Jazztage Dresden
13.11. Kiel / Räucherei
14.11. Twist / Heimathaus
19.11. Menen / Culturcentrum (BE)
Wasser-Prawda | September 2015
6
TERMINE
Blue Note Blues Band
18.10. Potsdam, BNaBB Schiffsrestaurant John
Barnett
27.11. München, Alfonso’s
28.11. Bad Aibling, Campus Bar
05.12. Kolbermoor, Nikolausi im Grammophon
11.12. Bad Soden, Franky’s
12.12. Würzburg, Omnibus
Cologne Blues Club
2.10. Thedinghausen/Bremen, In Concert
3.10. Algermissen, Reiners Rockhaus
4.10. Herford, Bluesfestival
7.11. Rhede, Blues
12.11. Wien, Reigen Live (A)
13.11. Steyregg, Weissenwolf (A)
14.11. Frauental, Bluegarage (A)
Dana Fuchs
19.10. Aschaffenburg, Colos Saal
20.10. Bensheim, Musiktheater Rex
21.10. Hannover, Blues Garage
23.10. Dresden, Tante Ju
24.10. Affalter, Zur Linde
25.10. Bonn, Harmonie
26.10. Kassel, Theaterstübchen
Daniel Puente Encina
03.10. Braunschweig, Barnaby’s Blues-Bar
14.10. Eckernförde, Spieker (Trio)
20.11. Eckernförde, Carls (Trio)
Dr. Will & The Wizards
17.10. Straubing, Raven Bar
24.10. MÜNCHEN, Hide Out
7.11. Zürich, El Lokal (CH)
13.11. Runding, Robinson
14.11. München, Anton‘s
East Blues Experience
06.11. Markneukirchen, Framus & Warwick
Music Hall
Wasser-Prawda | September 2015
07.11. Hainichen, Ratskeller
13.11. Stralsund, Alte Brauerei
20.11. Sondershausen, Jazzclub
21.11. Mülsen, Rock- und Bluesnacht
27.11. Pirna, Q24
28.11. Langenlipsdorf, Kulturkantine
Engerling
26.09. Affalter, Zur Linde
03.10. Magdeburg, Feuerwache
10.10. Loitz, Alte Bauernstube Düvier
23.10. Byhlenguhre, Kastanienhof
24.10. Neustadt, Wotufa Saal
31.10. Steinbrücken, Scheune Steinbrücken
07.11. Chemnitz, Kabarettkneipe
20.11. Rostock, Pumpe
21.11. Stralsund, Anker Werkstatt
27.11. Eisenach, Schlachthof
Flemming Borby
29.10. Lübeck, Tonfink
04.11. Cottbus, Grenzenlos
05.11. Dresden, Laika
06.11. München, Trachtenvogl
07.11. Emerkingen, Café Ohne
11.11. Landau, Akzent Kaffehaus
12.11. Basel, Caff è Bologna (CH)
13.11. Thun, Mundwerk (CH)
14.11. Aarau, Garage (CH)
15.11. Karlsruhe, Wohnzimmerkonzert
25.11. Halle, Café Ludwig
26.11. Grevenbroich, Café Kultus
27.11. Bochum, I am LOVE
28.11. Köln, Kulturcafé Lichtung
29.11. Stuttgart, Sideways
Georg Schroeter & Marc Breitfelder
02.10. Berlin, Schloss Britz
03.10. Görlitz, Café Gloria
09.10. Tarp, Haus an der Treene
08.11. Rohrbach, incontri
14.11. Garching, Bürgerhaus
TERMINE
Glen David Andrews & The Sazerac
Swingers
20.11. Gütersloh, Weberei
21.11. Heerlen (NL), Jazz Out Festival
22.11. Gronau, Benefiz Gospel Gala
25.11. Heiligenhaus, Jazz im Museum
26.11. Paderborn, Jazzclub
27.11. Mannheim, Jazz Night im Hauptbahnhof
28.11. Brackenheim, Kulturforum
29.11. Tübingen, Gospelkonzert, Jakobuskirche
Greyhound George
09.10. Lüerdissen, Fresenhof - m. Andy Grünert
12,10. Bielefeld, Spökes - Solo
17.10 Lemgo, Cafe Vielfalt - m. Poor Howard
Stith & Andy Grünert
18.10. Herford, Musikschule Lenze - m. Poor Howard Stith & Andy Grünert
21.10. Hannover, Minchens Livemusik Club - m.
Poor Howard Stith & Andy Grünert
22.10. Bielefeld, Chamber Unlimited - m. Poor
Howard Stith & Andy Grünert
23.10. Gütersloh, A Tasca - m. Poor Howard Stith
& Andy Grünert
26.10. Bielefeld, Spökes - m. Waschbrett Wolf
31.10. Bielefeld, Ostbahnhof - m. BBP
09.11. Bielefeld, Spökes - m. Thomas Feldmann
23.11. Bielefeld, Spökes - m. Bad Temper Joe
Hamburg Blues Band
1.10. Bensheim, „New Rex Eröffnung“
02.10. Thedinghausen, „Rathausscheune“
03.10. Plauen „Ranch“
13.11. Ascheberg „Landgasthof Langenrade“
14.11. Magdeburg, „Festung Mark“
20.11. Oldenburg, „Charlys“
21.11. Goslar, „Kubik“
04.12. Isernhagen, „Bluesgarage“
05.12. Hamm „Kulturwerkstatt“
19.12. Worpswede, „Music Hall“
23.12. Vechta, „Gulfhaus“
7
Hattler
16.10. Ravensburg, Zehntscheuer
17.10. Wetzlar, Franzis
23.10. Idstein, Scheuer
24.10. Esslingen, Dieselstraße
30.10. Hamburg-Bergedorf, Lola
31.10. Weißenhäuser Strand, Jazzville Festival
16.11. Bonn, Harmonie
17.11. Aschaffenburg, Colossaal
18.11. Göttingen, Musa
27.11. Markneukirchen, Warwick Musichall
28.11. Altenburg, Jazzklub
Henning Pertiet
18.10. Verden, Dom (Orgelimprovisation)
24.10. Süstedt, Scheune
13.11. Isernhagen, Isernhagenhof (mit: Axel Zwingenberger)
15.11. Bremen, Club Moments (mit: Axel Zwingenberger)
Jessy Martens & Band
01.10 . Bensheim, Musiktheater REX
15.10. Kayl, Schungfabrik (L)
17.10. Freudenburg, Ducsaal
22.10. Kassel, Theaterstübchen
23.10. Reichenbach, Die Halle
24.10. Frelsdorf, Kulturtransport
25.10. Hamburg, 16. Alstertaler Jazzmeeting
07.11. Twistringen, Alte Zieglei
13.11. Berlin, Ratskeller Köpenick
14.11. Affalter, Gasthof Zur Linde
Jewish Monkeys
16.10. Schwerin, Angler 2
17.10. Kopenhagen, Global CPH (DK)
18.10. Dresden, One Love Concert
19.10. Jena, Café Wagner
23.10. Bamberg, Sound-n-Arts Music Club
24.10. Schönau bei Passau, Posthalterstadl
Wasser-Prawda | September 2015
8
TERMINE
25.10.Frankfurt, Ignatz Bubis-Gemeindezentrum
04.11. Berlin, Badehaus Szimpla
05.11. Augsburg, Kresslesmühle
07.11. Dresden, Scheune
Jimmy Reiter
12.11. Enschede, Nixenmeer (NL)
Netherlands
13.11. Weert, De Bosuil (NL)
14.11. Hannover, Blues Garage
10.10. Friedersdorf - Zur Grenzschänke
04.12. Cuxhaven - Captain Ahab‘s
16.10. Wetzikon, Scala (CH)
17.10. Fricktaler Blues Festival (CH)
18.10. Böblingen, Blaues Haus
22.10. Münchensteiner Bluesnight (CH)
23.10. Jünkerath, Großer Bahnhof
24.10. Rheinberger Bluesparty
Klaus Major Heuser Band
22.10. Fürth - Kofferfabrik
23.10. Backnang - kulturgut
24.10. Freudenburg - Ducsaal
30.10. Gerolstein - Lokschuppen
06.11. Bonn - Pantheon Theater
14.11. Stemwede - Life House
15.11. Leer (Ostfriesland) - Zollhaus
20.11. Gelsenkirchen - Kaue
27.11. Eppelborn - Big Eppel
Marius Tilly Band
30/.10. Bielefeld JAZZCLUB
27.11. Bremen, VILLA SPONTE
28.11. Lauenau, KESSELHAUS
Meena Cryle
02.10. Rimsting, Blues Club Chiemgau
03.10. Remchingen, Bluesfest
07.10. Wien, Americana Fest ehem. Ostclub (A)
25.10. Wörgl, Bluesnacht (A)
06.11. Visp, Blues Night (CH)
07.11. Baden Baden, Bluesclub
10.11. Offenbach, KJK
13.11. Melle, Kulturwerkstatt
14.11 HH-Volksdorf, Bluesfestival
17.11. Bremen, Meisenfrei
19.11. Eppstein, Wunderbar
Mike Zito
09.11. Bonn, Harmonie Bonn
10.11. Bensheim, The Rex
Wasser-Prawda | September 2015
Morblus
Pass Over Blues
27.10. Suhl, Moist Corner
29.10. Ilmenau „Cafe Bohne“
30.10. Apolda Gasthaus „Zum Schlachthof“
31.10. Bad Salzungen, Haunscher Hof
Pop Chubby
15.10. Kaiserslautern, Blues Festival
16.10. Siegen, Lyss
17.10. Neustadt Orla, Wotufa
21.10. Leverkusen, Scala
22.10. Hannover, Bluesgarage
23.10. Berlin, Quasimodo
24.10. Halle, B&W Blues Festival
Richard Bargel & Dead Slow Stampede
16.10. FREIBURG | Wodan Halle
18.11. PULHEIM | Kultur- und Medienzentrum
Samantha Fish/Laurence Jones
24.10. Rheine, Hypothalamus
25.10. Lindewerra, Gemeindesaal
27.10. Kassel, Theaterstübchen
28.10. Karlsruhe, Jubez
29.10. Esslingen, Dieselstrasse
30.10. Siegen, Jazzclub Oase
31.10. Rosmalen, Rosblues (NL)
01.11. Grolloo, De Hofsteenge (NL)
03.11. Köln, GreensClub
TERMINE
04.11. Hamburg, Downtown Bluesclub
05.11. Kerteminde, Samlingsstuen (DK)
06.11. Berlin, Quasimodo
08.11. Rheinberg, Schwarzer Adler
Savoy Brown
18.11. Dortmund, Musiktheater Piano
19.11. Lindewerra, Gemeindesaal
20.11. Rubigen, Muhle Hunziken (CH)
21.11. Hannover, Blues Garage
22.11. München, Garage Deluxe
24.11. Wien, Reigen Live (A)
26.11. Weinheim, Cafe Central Weinheim
27.11. Hamburg, Downtown Bluesclub
28.11. Berlin, Quasimodo
Sena Ehrhardt
02.10. Görlitz, Cafe Gloria
03.10. Heringsdorf, Hotel Maritim
04.10. Swinoujscie, Jazzclub Centrala (PL)
08.10. Münster, Jovel Club
09.10. Bielfeld Chambers Unlimited
10.10. Berlin, Alt Kopenick 21
11.10. Stemwede, Life House
12.10. Weinheim, Muddy’s Club
15.10. Fürth, Kofferfabrik
16.10. Feldkirchen, Rathaus
17.10. Donauworth, Star Club
19.10. Schopfheim, Berggasthof Waldhaus
20.10. Freiburg, Jazzhaus
21.10. Wien, Club Reigen (A)
23.10. Hard, Kulturwerkstatt Kammgarn (A)
27.10. Bielfeld, Chambers Unlimited E.V.
28.10. Hamburg, Downtown Bluesclub
29.10. Isernhagen, Bluesgarage
30.10. Stollberg, Burgergarten
31.10. Neuruppin, Kulturhaus
01.11. Kodersdorf, Weinscheune
The Dynamite Daze
03.10. Kircheimbolanden, Blues Haus
9
16.10. Rhede, Blues
17.10. Nierstein, Altes E-Werk
23.10. Postbauer-Heng, KIISH
24.10. Schmölln, Musicclub
30.10. Rastatt, Reithalle
31.10. Weissenheim Am Sand, Adler
02.11. Lahnstein, JUKZ
14.11. Nürtingen, Kuckucksei
28.11. Offenbach, Wiener Hof
The Sugarhills
02.10. Lippstadt, Kneipenfestival
09.10. Holzminden, Essighof
10.10. Weimar, Zwiebelmarkt (nachmittags)
10.10. Aerzen, Schrappmühle (abends)
THORBJØRN RISAGER
12.11. Dortmund, Musiktheater Piano
13.11. Übach, Rockfabrik
14.11. MontbEliard, Atelier des Moles (F)
15.11. Beverstedt, Kulturtransport
27.11. Hildesheim, Bischofsmühle
28.11. Rheinberg, Schwarzer Adler
Wille and the Bandits (UK)
19.11. Münster, Hot Jazz Club
20.11. Hamburg, Rock Café St. Pauli
21.11. Worpswede, Music Hall
23.11. Aschaffenburg, Colos-Saal
24.11. Köln, Yard Club
26.11. Berlin, Auster Club NEW
27.11. Isernhagen, Blues Garage
28.11. Lorsch, Kulturhaus Rex
Wolf Maahn
03.10. Ahlen, Schuhfabrik
16.10. München, Backstage
17.10. Kassel, Schlachthof
24.10. Bonn, Harmonie
06.11. Torgau, Kulturbastion
07.11. Schrecksbach, Mylord
20.11. Worpswede, Live Music Hall
21.11. Bad Lippspringe, Kongresshaus
Wasser-Prawda | September 2015
10
TERMINE
27.11. Berlin, Tempodrom
28.11. Göttingen, MUSA
Clubs
Barnaby‘s Blues Bar
Braunschweig
03.10. Daniel Puente Encina
10.10. The Hot Wheels
15.10. Phil Shoenfelt & Southern Cross
17.10. Good & Dry
23.10. 4D.fonk
29.10. Wild T & The Spirit
Bielefelder Jazzclub
02.10. Abi Wallenstein
09.10. Ali Claudi Trio
16.10. KAHL Fusion
23.10. Richie Arndt & The Bluenatics
30.10. Marius Tilly Band
Bischofsmühle
Hildesheim
09.10. Mojo Blues Band
16.10. Melanie Dekker
17.10. A Forest
24.10. The Outside Track
31.10. Tobias Meinhart Quartett
Blue Notez
Dortmund
07.10. Morre
17.10. Jimmy Cornett & The Deadmen
24.10. Climax Blues Band
30.10. Subshignal
31.10. 3 Dayz Whizkey
06.11. Daniela Rothenburg
07.11. Chantel McGregor
Blues & More
Eiscafe Temmler, Chemnitz
07.11. Eb Davis & Superband (Exil/Schauspielhaus)
Wasser-Prawda | September 2015
20.11. The Desperate Blues Girls
28.12. Ballroomshakers feat Roberta Collins
Bluesgarage
Hannover Isernhagen
01.10. Ryan McGarvey
02.10. Jared James Nichols
09.10. Brian Augers Oblivion Express
10.10. Stacie Collins
16.10. Dan Baird & Homemade Sin
17.10. Demons Eya
21.10. Dana Fuchs
22.10. Popa Chubby
23.10. Jami Faulkne
24.10. Y&T
29.10. Sena Ehrhardt
30.10. Eric Gales Band
31.10. Martin Barre
06.11. Nikki Hill
07.11. Mike Osborn Band
12.11. Stef Burns League
13.11. Hundred Seventy Split
14.11. Mike Zit & The Wheel
20.11. Brother Dege & The Brotherhood of Blues
ChaBah
Kandern
30.09. Jonn Del Toro Richardson & Bad Mules
07.10. Tony Spinner
14.10. Lord Bishop Rocks
21.10. JP Soars & The Red Hots
28.10. Walt‘s Blues Box
04.11. Larry Griffith
11.11. Joe Filisko & Eric Noden
18.11. The Blues Bones
25.11. Marily Oliver and Gas Blues Band
Cotton Club Hamburg
01.10. One Trick Pony
02./03.10. 11. Cotton Club Boogie Nights
05.10. McEbels Lucky Punch
06.10. Hard Blooze
TERMINE
09.10.. Skiffle Track
12.10. Jo Bohnsack
17.10. Hot Jumpin Six
19.10. Billbrook Bluesband
28.10. Suzie & The Seniors
29.10. Boogie Connection
Downtown Bluesclub
26.10. Gransheiks feat. Napoleon
Murphy Brock
27.10. Bratsch
28.10. Julia Hülsmann Trio
29.10. Inga Rumpf & Friends
30.10. Purple Schulz
Kulturspeicher
Hamburg
30.09. Brian Augers Oblivion Express
07.10. Caro Josée
10.10. Dave Goodman Band
11.10. Pete York
14.10. Dan Baird & Homemade Sin
17.10. The Real Partners In Crim
21.10. Martin Barre
23.10. Thirsty Mamas
25.10. Y&T
28.10. Sena Erhardt
30.10. Rob Tognoni Birthday Show
04.11. Samantha Fish/Laurence Jones
Extra Blues Bar
(Bergstraße, Ueckermünde)
10.10. Kai Degenhardt
24.10. Angela Klee
14.11. Eisbrenner
28.11. Hubertus Rösch
Bielefeld
02.10. The Hoodoo Two
02.10. Horst with no name
10.10. The Doing Nothings
31.10. Varmints and Vagrants
Bremen Hankenstr.
30.09. Kneeless Moose/Aqualung
03.10. Mad Dog Blues Band
06.10. Hogjaw
07.10. Jimmy Gee
08.10. Stacie Collins
10.10. Checkin‘ Up
13.10. Mitch Kashmar
17.10. Climax Blues Band
21.10. Neal Black & The Healers
22.10. Tony Spinner
24.10. Michael Dühnfort & The Noize Boys
27.10. Eric Cales/Bettina Schelker
30.10. Crossfire
Harmonie
Bonn
03.10. Mama Afrika
05.10. Nektar
06.10. B.B. & The Blues Shacks feat Bonita
07.10. Stacie Collins
12.10. Nils Wülker & Band
13.10. Floatiz
14.10. Judith Owen
15.10. Stick Men
17.10. Irish Stew
18.10. Brian Augers Oblivion Express
21.-23.10.: WDR Crossroads Festival
25.10. Dana Fuchs
11
Laboratorium
Stuttgart
15.10. Paul Lamb & The King Snakes
22.10. Aynsley Lister
31.10. Lüül & Band
06.11. Erja Lyytinen
26.11. Danny Bryant
Meisenfrei
Music Hall Worpswede
09.10. Quadro Nuevo
17.10. Addys Mercedes
23.10. Mrs. Greenbird
Wasser-Prawda | September 2015
12
TERMINE
30.10. Bratsch
06.11. NDR Bigband feat. Pee Wee Ellis
Musiktheater Piano
Dortmund
04.10. Nektar
17.10. Undercover Crew
24.10. Eric Gales
Musiktheater Rex
Bensheim
01.10. The Clenn Clempson Band
02.10. Tanzwut
03.10. Evi & das Tier
06.10. Ryan McGarvey
09.10. The Busters
20.10. Dana Fuchs
22.10. Mellow Mark
23.10. UFO
24.10. Los Dos Y Companeros
29.10. Martin Barre
O‘ Man River
Friedensstraße 27, Ostseebad Heringsdorf
29.09. Uli Kirsch
02.10. Gotte Gottschalk
09.10. Catfish
16.10. Peter Schmidt ( EBE )
23.10. Richard Smerin
30.10. BluesRausch
Quasimodo
Berlin
10.10. FUNK DELICIOUS (Funk, Soul)
17.10. DELLA MILES (Soul)
23.10. POPA CHUBBY & BAND
24.10. SCHWARZKAFFEE (Funk)
30.10. RANDY HANSEN & BAND
06.11. SAMANTHA FISH & LAURENCE
JONES
07.11. ERIC GALES
13.11. NIKKI HILL
20.11. JC DOOK‘S MOTOWN PROJECT
Wasser-Prawda | September 2015
21.11. BABA SOUL & THE PROFESSORS OF FUNK
27.11. LAYLA ZOE & BAND
28.11. SAVOY BROWN
Savoy Bordesholm
03.10. David Knopfler
09.10. BalticSeaChild
17.10. Thomas Godoj
23.10. Edo Zanki & Band
30.10. The Anatomy of Frank
07.11. Ulla Meinecke & Band
Troisdorfer Bluesclub
Realschule Heimbachstrasse 10, Troisdorf
23.10. Wrecia Ford
20.11. Meena Cryle & Chris Fillmore Band
Yorckschlösschen
Yorckstr. 15, Berlin
30.09. Blues Rudy & The Domino Snakes
02.10. Harl Schloz Basement Band
07.10. Mitch Kashmar & Band
09.10. Bruno de Sanctis & Jakkle!
11.10. Stand-Arts
14.10. Mike Greene Band
15.10. Leo‘s Blues Jam Bang
16.10. Alex Maiorano and The Black Tales
17.10. Willi Lohmann Kapelle
18.10. Sarah Alles & Die Oberbaum Band
18.10. Soulemane Toure
21.10. EB Davis
23.10. Kat Baloun Band
24.10. Mad Dogs
28.10. Lorenz & das Taschenbluesorchester
29.10. Chat Noir
30.10. Juergen Bailey Blues Band
31.10. Bruno de Sanctis & Jakkle!
01.11. Ulrike Haller & Lionel Haas
04.11. Premier Swingtett
MUSIK
13
Wanda Johnson
S TIMME N D ES BL U E S - 3. HA M B U R G
B LUES NIGHTS A M 30./31. OK T OB ER
Eine bunte Mixtur
zwischen Tradi on
und Moderne steht
auf dem Programm
der 3. Hamburg Blues
Nights, die am 30. und
31. Oktober im SaselHaus in Hamburg
sta inden. Musiker
aus Deutschland,
den USA, Italien und
Schweden werden
Chicagoblues und
Bluesrock ebenso wie
Deltablues, Soulblues
und Funk spielen.
Auf dem Programm stehen die
Delta Boys um Micha van Merwyk,
Tommie Harris, der gemeinsam mit
der Kai Strauss Band auf der Bühne
stehen wird, die Dani Franchi Band
aus Italien, Lisa Lystam Family Band
(Schweden), Wanda Johnson und
Larry Griffith.
In diesem Jahr sollten vor allem
die gegensätzlichen Stimmen im
Vordergrund stehen, heißt es in
der Ankündigung des Baltic Blues
eV: Wanda Johnson (USA), „the
voice of South Carolina“, steht
mit ihrer tragenden Stimme eher
für die sanften und traditionellen Klänge, während Lisa Lystam
(Schweden) mit einer jugendlichfrischen Powerstimme zu begeistern
versteht. Bei den Männern phrasiert
der großartige Tommie Harris den
Chicagoblues in Perfektion, während
die kraftvoll-charismatische Stimme
von Larry Griffith bestens zum
modernen Rhythm´n´Blues und
Soulblues passt.
Eine akustische Vorschau auf das
Programm wird es am 20. Oktober
ab 20 Uhr im Crossroad Cafe auf
radio 98eins geben.
Wasser-Prawda | September 2015
14
INTERVIEW
„ I CH HA B´S EUCH JA GE S A GT ! “ BLUES VON E INEM A ND E R E N S T E R N
TORSTEN ROLFS IM INTERVIEW MIT JIMMY REITER ZU SEINER
NEUEN CD “TOLD YOU SO”
T: In einer CD-Ankündigung
war zu lesen, es habe vier Jahre
gedauert, bis eine neue CD von
dir veröffentlicht wurde. Dies
klingt in meinen Ohren fast vorwurfsvoll, dass Bluesmusiker in
Deutschland jedes Jahr eine neue
CD zu veröffentlichen haben.
J: Ich hätte mir tatsächlich
gewünscht, dass es schneller zu einer
Veröffentlichung gekommen wäre,
denn der eigentliche Plan war, nach
zwei Jahren eine neue CD herauszubringen. Aber wie das immer so ist,
Wasser-Prawda | September 2015
aus den verschiedensten Gründen
kommt es dann immer mal wieder
zu Verzögerungen Obwohl wir
bereits vor zwei Jahren mit den
ersten Studiosessions für das Album
INTERVIEW
begonnen haben, zog es sich dann
doch etwas hin...
T: Wie muss man sich eigentlich
eine CD-Produktion der JimmyReiter-Band vorstellen?
J: Die erste CD „High Priest of
Nothing“ entstand z.B. in mehreren
Studiosessions, mit der jeweiligen
Besetzung, die gerade an dem Tag
im Studio war. Deswegen sind auf
dieser Scheibe ganz unterschiedliche
Besetzungen dabei. Die neue Platte
ist komplett mit meiner festen Band
entstanden. Die eigenen Stücke
habe ich zumeist alleine komponiert,
Demos aufgenommen und dann im
Heimstudio mit der Band zusammen arrangiert und ausprobiert. Die
Aufnahmen für die CD wurden in
drei Sessions zu jeweils zwei oder
drei Tagen im Studio gemacht. Im
Anschluss daran folgten noch ein
paar Tage mit Overdubs - Gesang,
mal ein Klavier, die Bläser dazu, aber
eigentlich sind die Stücke größtenteils live eingespielt. Und dann noch
mischen – schon fertig!
T: Wie viele Takes macht ihr so,
bis die Aufnahme steht? Auf einer
CD von James Harman hört man
z.B. am Anfang „Take three, Tapes
rollin`“.
J: Na ja, schön wäre es, wenn es
gleich beim ersten Take passen
würde, aber die Regel sind drei
bis vier Takes - wenn‘s dann noch
nicht geklappt hat, wird das an dem
Studiotag erfahrungsgemäß sowieso
nichts mehr oder aber es stimmt
etwas Grundlegendes mit dem
Stück nicht und es muss überarbeitet
werden. Mit der modernen Technik
lassen sich dann ja auch kleinere
15
noch einen dritten Luther Johnson,
nämlich Luther „Houserocker“
Johnson, vielleicht hätten wir von
dem auch noch was aufnehmen
T: Kommen wir doch mal zu den sollen, um noch mehr Verwirrung
Stücken auf der CD. Mir ist auf- zu stiften.
gefallen, dass sowohl auf High T: Kommen wir zu deinen eigenen
Priest of Nothing als auch auf Stücken – Folgen diese einer stilisTold you so in jeweils einem Stück tischen Vorliebe?
von Nitty Gritty die Rede ist. Und J: Ja, meiner! Ich möchte Stücke
beim genauen Betrachten stellte komponieren, die mir selbst Spaß
ich fest, es sind beide Stücke von machen beim Aufnehmen und
Luther „Snake Boy“ Johnson. Wie Vortragen und da ich mich für verbist du auf ihn gekommen?
schiedene Musikstile interessiere,
J: „Snake Boy“ Johnson habe ich spielt das alles mit hinein, wobei
vor fünf, sechs Jahren für mich ent- der Schwerpunkt schon Blues,
deckt. Er ist hierzulande gar nicht Bluesverwandtes, R´n´B, New
so bekannt. Er war eine Zeit lang in Orleans ist.
der Band von Muddy Waters und T: Deine Stücke fallen mir auf,
hat auch ein paar Soloaufnahmen weil sie oft nicht dem traditigemacht. Die habe ich gehört und sie onellen 12-Takt-Bluesschema
haben mich gleich total umgehauen, folgen? (Ein kleiner Ausflug in
deswegen auf der ersten Platte Get die Musiktheorie auf Wunsch des
Down To The Nitty Gritty – Lass Fragenden.)
uns mal ans Eingemachte gehen – J: Bei dieser Platte habe ich wieder
und jetzt hier Woman Don‘t Lie. festgestellt, dass es gar nicht so leicht
Zunächst war ich mir gar nicht ist, interessante Stücke nach diesem
sicher, ob das klappt, aber wir haben scheinbar einfachen Schema zu komes dann ausprobiert, und ich finde ponieren. Aus diesem Grund kommt
es ist richtig gut geworden. Dass die anstatt der vierten und fünften Stufe
Textpassage in beiden Nummern eben mal die dritte oder sechste, aber
vorkommt, ist Zufall. Vielleicht das ist ja auch alles kein Hexenwerk.
hatte Herr Johnson ein Faible dafür.
T: Na ja kein Hexenwerk, ich
T: Und dann ist da ja noch ein fi nde es spannend und reizvoll,
Stück von einem anderen Luther wenn das klassische Schema verJohnson, nämlich Luther „Guitar lassen wird. Das macht für mich
Junior“ Johnson drauf.
Entwicklung im Blues aus, bedeuJ: Ja, noch ein lustiger Zufall. Der tet für mich einen Aha- Effekt, das
spielte auch einmal in der Band finde ich so toll.
von Muddy Waters und einer
meiner Gastmusiker auf der CD, J: Es freut mich sehr, wenn es dir
Sax Gordon Beadle, gehörte übri- gefällt.
gens mal zur seiner Band. Es gab T: Ist Blues für dich nur immer
Änderungen und Korrekturen später
noch vornehmen, so dass man nicht
wie früher 20 oder 30 Takes machen
muss, bis alles perfekt ist.
Wasser-Prawda | September 2015
16
INTERVIEW
Herz-Schmerz-Musik? Oder
wovon handeln Deine Texte?
bei einigen Texten habe ich übrigens
von meinem alten Bandchef Doug
J: Oh nein, ich freue mich immer, Jay erhalten, der zwei Stücke mitgewenn ich einen Text höre, der mich schrieben hat. Als besonderen Service
zum Schmunzeln bringt, wo sich gibt es jetzt auf meiner Homepage
jemand lustige Gedanken gemacht alle Texte zum Nachlesen. Ich nutze
und diese in Reime gepackt hat, diesen Service häufig, weil ich meine
mit einem Augenzwinkern eine Texte auch gerne mal vergesse!
Geschichte erzählt. So etwas T: Kannst du dir vorstellen auch
Ironisches und Selbstironisches, das deutsche Texte zu machen?
habe ich ja auch schon bei I‘ll Take
J: Blues ist amerikanische Musik
The Easy Way auf High Priest of
und mit deutschen Texten klingt
Nothing versucht und auch auf der
es für mich nicht mehr wie Blues.
neuen CD finden sich einige Beispiele
Es gibt Leute, die tolle deutfür diese Vorliebe. Herzschmerzsche Texte für diese Musik schreiSongs gibt’s aber auch. Ich will
ben, aber es ist dann nicht mehr
nicht mit meiner Musik belehren
„meine“ Bluesmusik. Wäre es mit
oder politische Botschaften und
Ansichten vermitteln. Unterstützung
Wasser-Prawda | September 2015
französischen oder italienischen
Texten übrigens auch nicht.
T: In deinem zurückliegenden
Programm hast du den unsäglichen
Werbeslogan deiner Heimatstadt
„Ich komm´ zum Glück aus
Osnabrück“ zitiert. Welche Rolle
spielt deine Heimatstadt für deine
Entwicklung als Bluesmusiker?
J: Ohne diesen Standortvorteil wäre
ich womöglich gar nicht Musiker
bzw. Bluesmusiker geworden. Seit
Anfang oder Mitte der 90er Jahre
bin ich regelmäßig ins Pink Piano
gegangen, einer kleinen Kneipe
mit einer wöchentlichen BluesSession, wo immer alles, was Rang
und Namen in der Gegend hatte,
INTERVIEW
auflief. Da habe ich meine ersten
Blues-Erfahrungen gesammelt und
Kontakte geknüpft.
17
ist m.E. schon sehr hoch. Wie
bekommt man junge Leute dazu,
in Blueskonzerte zu kommen?
spektakulärer anhört als „Gitarre,
Kabel, Verstärker“... Und das haben
wir auf dem Cover aufgriffen. Ich
hab‘s euch ja gesagt – I Told You So.
T: Du hast lange Zeit mit Doug J: Es ist wichtig, dass die Musik von
Ist doch vollkommen logisch!
Jay, der aus Washington D.C. jungen Leuten entdeckt und gespielt
nach Osnabrück kam, zusammen wird, wie z.B. die jungen Musiker, T: Aha!
gearbeitet. Welche Rolle spielte die regelmäßig zur Lagerhallen- J: Mir gefällt das Cover sehr gut und
Dougs Rückkehr in die Staaten Session kommen, dem Nachfolger es ist auch ein Kunstwerk für sich,
2009/2010?
der bereits erwähnten Pink Piano und die Leute sprechen drüber. Da
J: Das hat schon die Entstehung Session…
hat sich Jan Karow mal wieder selbst
einer eigenen Platte vorangetrieben.
übertroffen.
Ich hatte schon reichlich Material T: … wie z.B. die Musiker der
T: Wenn man das Cover öff net,
und der Wunsch etwas Eigenes zu Bluesanovas …
sieht man deine Band – Jasper
machen war schon frühzeitig da, J: … ja genau, und die bringen auch
Mortier am Bass, Björn Puls am
aber das schob ich immer wieder Freunde mit, die dann Blues hören
Schlagzeug und Moritz Fuhrhop
raus, da wir mit Doug immer regel- und regelmäßig wieder kommen. So
an Orgel und Klavier. Wie
mäßig auf Tour und gut beschäftigt verjüngt sich das, zumindest ist das
wichtig ist es dir deine eigene feste
waren. Auch in der Bluesnightband, meine Hoffnung.
Formation zu haben?
in der die Begleitung anderer T: Kommen wir noch einmal
Frontleute im monatlichen Wechsel zur CD. Das Cover, auch dieses J: Total wichtig! Ich spiele gerne mit
im Vordergrund stand, war kaum wie bei der ersten Platte gestaltet anderen Musikern, z.B. auch auf
Raum für Eigenes. Und so verfestigte von Jan Karow, zeigt ein kleines Sessions zusammen, aber dann meissich der Gedanke, ein Soloprojekt grünes Wesen. Was hat es damit tens nicht das eigene Repertoire. Aber
auf die Beine zu stellen, was ja mit auf sich?
wenn ich sage meine eigenen Stücke,
der ersten Platte gut geklappt hat.
J: Am Ende der Konzerte kommen muss ich eigentlich sagen unsere
T: Im Projekt Bluesnightband oftmals interessierte Gitarristen Stücke, denn obwohl ich schon die
hast du viele Musiker beglei- und fragen, wie ich eigentlich meisten Stücke selbst komponiere,
tet und im monatlichen Wechsel meinen Sound machen würde. werden sie mit der Band arrangiert,
in verschiedenen Städten wie Denen sage ich immer „Gitarre, geprobt und aufgenommen. Sie entu.a. Osnabrück, Emsdetten, Kabel, Verstärker. Das ist offenbar stehen also mit der Band gemeinDelmenhorst Konzerte gemacht. unbefriedigend, weil die sich gerne sam! Es ist schon etwas Besonderes,
Welche Musiker waren dir dabei über Effektgeräte und verschiedene dass wir in der Formation über die
am wichtigsten?
Lautsprecher unterhalten wollen. Jahre mit eigenen Songs unseren
eigenen Sound entwickelt haben.
J: Ich habe sehr gerne mit R.J. Mischo Davon habe ich aber leider keine
und Darrell Nulisch zusammenge- Ahnung! Meine Gitarre und mein T: Was schätzt du an jedem
spielt, das waren Bluesnights, an die Verstärker sind alles, was ich brauche Einzelnen so besonders?
ich mich gerne erinnere, mit Larry bzw. halbwegs bedienen kann. Naja, J: Mo ist ein wahnsinnig musikaGarner hat es viel Freude gemacht, und für diese Menschen habe ich lischer Mensch, er hat ein super
Sax Gordon war schon ein Knaller. mir überlegt zu sagen, dass hinter Gefühl für die Musik, tolle Ideen
meinem Amp ein kleines, grünes,
Wir hatten viele tolle Gäste.
außerirdisches Wesen sitzt, das mit und groovt unglaublich. Jasper
T: Das Durchschnittsalter des einem Megaphon meinen Sound ist wie der Fels in der Brandung,
Publikums bei Blueskonzerten macht, in der Hoffnung, das sich das unfassbar solide, durch nichts aus
der Ruhe zu bringen und hat einen
Wasser-Prawda | September 2015
18
INTERVIEW
Supergroove – das kann ich sowieso
für alle drei sagen, und sie grooven
v.a. zusammen besonders. Jasper hat
außerdem einen tollen Ton. Björn
hat Jazz studiert, schlägt sich aber
immer geduldig mit uns einfachen
Bluesleuten herum. Er probiert viel
aus, kommt mit vielen Ideen, von
denen wir bestimmt auch schon
mal eine umgesetzt haben. Nein, im
Ernst, Björn ist total vielseitig und
spielt super banddienlich, der perfekte Mann für unsere Band. Björn
und Jasper sind übrigens auch hervorragende Backgroundsänger! Alle
drei Bandkollegen haben immer
konstruktive Meinungen zu unserer
Musik und es macht einfach Spaß,
mit ihnen unterwegs zu sein, was ja
auch nicht ganz unerheblich ist. ‚Ne
super Band eben!
T: Zu den Gästen auf deiner CD –
J: Da ich Anfang des Jahres 2015
mit Sax Gordon auf Tour war,
klappte es wunderbar, dass er bei
einigen Stücken auf der CD mitspielen konnte. Er ist ja auch schon
auf der letzten Platte dabei gewesen.
Und Kollege Kai Strauß ist auch mit
von der Partie. Ich spiele häufig bei
verschiedenen Gelegenheiten mit
Kai und habe auf seiner letzten CD
mitgewirkt. Der Titel „Instinctively
Wrong“ war Kais Idee und ich habe
dann das Lied dazu komponiert, so
war das ziemlich logisch, dass er mit
dabei ist. Zumal wir beide aus der
Osnabrücker Szene stammen, und
ich es immer klasse finde, wenn
man sich in dieser Form gegenseitig unterstützt. Auf meinem ersten
Rock´n´Roll Stück “The Only Thing
That‘s Wrong With You (Is Him)“ ist
Kai auch zu hören, das kann auch mir kaufen und eine CD ins Regal
echt kaum jemand besser spielen als stellen, ganz einfach. Ich hoffe, da
er.
bin ich nicht der einzige, aber auf
Konzerten zumindest verkaufen wir
T: Abschließend noch die Frage zu
nach wie vor viele CDs, und für die
den Vermarktungsmöglichkeiten.
neue CD gibt es auch bereits etliche
Wie schätzt du ein, wie sich CDVorbestellungen.
Verkäufe entwickeln.
J: Ich glaube, dass unsere Musik T: Zur allerletzten Frage: Welches
noch von Menschen gehört wird, die ist für dich das wichtigste Stück
auch CDs kaufen. Der Download- auf der Platte?
Anteil war bei der ersten CD eher J: Ich finde, I‘m Givin‘ In ist uns
überschaubar. Über Spotify und gut gelungen. Das hat auch lange
Co. ärgere ich mich immer – gebraucht, fast zwei Jahre. Es tauchte
wenn man für lächerliche 10€ im immer wieder beim Komponieren
Monat immer und überall Zugriff auf, mit Doug Jay habe ich dann den
auf die ganze Musikgeschichte Text geschrieben. Eine Ballade vom
hat, welchen Wert hat die Musik Aufgeben… das wird kein Hit, ist
dann noch? Die Antwort will man einfach ein schönes Stück. Aber auch
lieber nicht hören... Wenn man als Instinctively Wrong und das „popKünstler weiß, wie viel Arbeit, Zeit pigere“ Can‘t Stop Thinking About
und Geld man für ein Album auf- You gefallen mir… es gibt dann
wendet, kommt man sich bei den doch viele wichtige Stücke.
Streaming-Vergütungen völlig ver- T: Vielen Dank Jimmy für
albert vor. Ich bin auch tatsächlich dieses interessante Gespräch, ich
noch nie auf die Idee gekommen, wünsche dir und deiner Familie
einen Streaming-Dienst zu nutzen, alles Gute und einen einschlägidas ist mir irgendwie völlig fremd - gen Erfolg für die Platte!
wenn mir Musik gefällt, will ich sie
Wasser-Prawda | September 2015
MUSIK
19
BOB MC C A RTHY: A S AT I S FI E D M I ND
VON IAIN PATIENCE
Für Freunde des guten
und beseelten BluesPicking ist Bob McCarthy
ein echter Schatz. Leider
kennt man ihn noch
viel zu wenig. Seine fast
fünfzigjährige Karriere
begannt in den 60ern in
den Cafehäusern von New
Yorks Greenwich Village ein Ort, wo viele bekannte
Künstler begannen. Unter
ihnen waren Topleute wie
Bob Dylan, Tom Paxton
und Dave van Ronk. Die
Gegend bot dem jungen
McCarthy eine offene
Tür und jede Menge
musikalischer Erfahrungen,
um sein Selbstbewusstsein
aufzubauen. Er eröffnete
Shows und stand
gemeinsam auf Bühnen
mit Leuten wie Jorma
Kaukonen, Bonnie Rai ,
Neil Young, Nanci Griffith,
Taj Mahal, The Beach
Boy, Linda Ronstadt und
zahllose andere. Das
war kurz gesagt ein Who
Is Who der modernen
US-amerikanischen
akus schen Rootsmusik.
Inzwischen lebt er in den schönen
Waldgebieten von New Hampshire.
Noch immer kann man McCarthy
an der Ostküste als Gitarristen
erleben. Und er engagiert sich großzügig für zahlreiche lokale Projekte.
Seine Plattenkarriere erstreckt sich
über viele Jahre. Zuletzt erschienen
„Sudden Light“ und „Where I Live“,
beide mit einem starken Hang zu
einem leichten Jazz voller Soul und
gegründet in der Tradition der alten
Bluesmeister.
McCarthys Gitarrenspiel ist immer
geschmackvoll und packend, es
garantiert Fans von guter altmodischer Musik ein gehöriges
Vergnügen. Und er ist auch als
Mandolinespieler großartig. Oft
Wasser-Prawda | September 2015
20
MUSIK
wird er von seinem alten Kumpel
James Montgomery begleitet, einem
der besten Bluesharp-Spieler der
Vereinigten Staaten. Immer bleibt
er dicht an seinen Wurzeln, bringt
Bluessongs hervor und liefert die
Hintergrundmusik für ein ereignisreiches und zufriedenes Leben auf
den geschäftigen und oftmals überfüllten Straßen der amerikanischen
Musikszene.
Für viele Jahre war McCarthy der
Gitarrist eines der bekanntesten
Musikexporten Irlands, des mittlerweile verstorbenen Tommy Makem,
einem exzellenten Spieler auf dem
fünfsaitigen Banjo, gekleidet in traditionelle Stickpullover und ausgezeichnet mit einem enzyklopädischem Wissen der traditionellen irischen Musik. Und auch wenn in
seinen Adern auch irisches Blut fließt
und er die traditionelle irische Musik
mag, bekennt McCarthy, dass er sich
am meisten zu Hause fühlt im Blues,
seiner ersten Liebe und lebenslange
Leidenschaft:
„Ich bin ein arbeitender Musiker mit
Betonung auf der Arbeit. Ich erinnere mich, wie ich einmal gelesen
hab, dass Robert Johnson am St.
Patricks Day irische Songs spielte.
Denn er war bei der Arbeit und es ist
schwer, seinen Lebensunterhalt als
Musiker zu verdienen. Ich mochte
das Touren mit Tommy Makem sehr
und er behandelte mich sehr gut.
Ich mag es, den Blues gemeinsam
mit James Montgomery zu spielen,
ebenso liebe ich auch den Jazz und
das Spielen auf der elektrischen
Gitarre. Denn ich hab es gerne,
wenn ich meine Hypothek bezahlen und meine Familie unterstützen
kann. Das ist nicht sehr romantisch,
aber wahr. Einmal spielte ich im Duo
mit Larry Coryell, spielte Gitarre auf
einem bei Columbia (CBS) veröffentlichten Hitalbum des Poprockers
Andy Pratt und war auf Tour mit der
Band Appaloosa, die wie Pratt auch
bei Clive Davis unter Vertrag stand.
Ich liebe auch das gemeinsame Spiel
mit der schwarzen Gospelsängerin
Lilian Buckley. Es war eine interessante Karriere, aber sie ist, wie sie
ist. Heute spiele ich meist akustische Blues und Ragrimes als Solist
oder mit James Montgomey oder
mit meinen Freunden Tom Logan
und Reed Butler, der als Bassist
bei Paul Rishell und Annie Raines
spielte. Ich verwende kein Plektrum,
manchmal einen Daumen-Pick. Iach
spielte im Stil von Merle Travis,
Chet Atkins und im Piedmont-Stil
von Mississippi John Hurt und Rev.
Gary Davis. In der Vergangenheit
hab ich auch mit Paul Geremia
gespielt und liebe es, auf meiner Blue
National Slide zu spielen. Das alles
mache ich schon seit 50 Jahren. Pops
Staples brachte mich auf die Idee, in
Pflegeheimen und Krankenhäusern
zu spielen. Zu solchen Auftritten
bringe ich auch meinen Hund Beau
mit. Einmal kam Roy Bookbinder
vorbei, um mich in meinem Haus
in New Hampshire zu besuchen. Ich
war nicht zu Hause. Und so mietete
er ein Boot und ging fischen, bis
ich wiederkam. Und dann spazierten wir die Bahngleise entlang und
sprachen über das Leben und die
Musik. Wir kannten einander viele
Jahre lang.“
In vieler Hinsicht kann man
McCarthys persönliche Philosophie
Wasser-Prawda | September 2015
im Titel seines vielleicht besten
Albums „Satisfied Mind“ erkennen. Erschienen ist es vor ein paar
Jahren 2006 und enthält großartige
Versionen von „Pallet On The Floor“,
„When The Lord Gets Ready“, „Deep
River Blues“, „Trouble In Mind“ und
einige anderej Bluesstandards sowie
seine eigene Komposition „No Score
In Baltimore“, ein Stück in dem der
Geist der akustischen Konzerte
in den 60er Jahren widerhallt, als
Künstler wie Jackson Browne für
Trinkgeld in den Bars des Village
spielten.
Soeben hat McCarthy ein neues
Album mit sieben Stücken auf
seinem eigenen Label Wandra
Recordings veröffentlicht. „Trouble
in Mind“ präsentiert beispielhaft die Facetten seiner Musik.
Vier Stücke mit Montgomery an
der Harp wurden vom früheren
Album „Satisfied Mind“ übernommen. Die anderen drei Stücke sind
Instrumentals mit leichtem JazzFeeling, die von einem anderen
älteren Album „Star of The Sea“
stammen.
Jeder, der diesen Künstler und seine
Musik noch nicht kennt, sollte den
Hinweis auf seine Fähigkeiten von
Jorma Kaukomen ernst nehmen, der
einmal gesagt hat:
‚If there were any jusƟce
in the world, you‘d be a
well-known BIG DOG!‘
MUSIK
21
PASS OVE R BLU E S I M S OTA NO
KONZERTFOTOS VON RAIMUND NITZSCHE
Spätestens seit ihren
letzten beiden Alben
„Be er Ways“ und „the …“
gehören Pass Over Blues zu
den bemerkenswertesten
Bluesbands in Deutschland.
Aber eigentlich geht die
Geschichte der Band zurück
bis in die Zeit der Wende.
Schon seltsam, dass es erst
2015 zum ersten Konzert
der Gruppe in Greifswald
kam. Am 19. September
spielten Roland Beeg
(g), Harro Hübner (voc,
harp), Lutz Mohri (b, bg)
und Schlagzeuger Michiel
Demeyere im Sotano und
setzten damit die Reihe
der Blueskonzerte in der
Tapas-Bar am Markt fort.
Wasser-Prawda | September 2015
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MUSIK
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MUSIK
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MUSIK
Wasser-Prawda | September 2015
MUSIK
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NETZFUNDSTÜCKE:
JOCHEN VOLPERT
VON MATTHIAS SCHNEIDER
Beim Stöbern im
Internet stößt man auf
interessante Personen
und Bands in Sachen
Blues. Leider können
diese nicht immer gleich
eine CD vorweisen
oder eine vorhandene
CD ist schon etwas
älter. Ich möchte Euch
diese Sachen nicht
vorenthalten und stelle
Euch diese Künstler
in unregelmäßigen
Abständen hier vor.
Im ersten Beitrag
möchte ich Euch Jochen
Volpert vorstellen.
zwischen
dem
warmen
Gitarrensound von Jochen Volpert
und den intensiven und gefühlvollen Vokalexkursionen von Carola
Thieme.
Anlässlich seines 50. Geburtstags
veröffentlichte er 2013 seine erste
eigene CD unter dem Titel Session
50.1. Inzwischen hat er gemeinsam
mit Carola Thiema, Linda Schmelzer
(voc), Achim Gössl (keyb), Joachim
Lang (b) und Schlagzeuger Stefan
Schön dieses Projekt erweitert und
veröffentlicht im Oktober den
Nachfolger „Session 52.2“ Beide
Alben werde ich gemeinsam rezensieren, sobald 52.2 erschienen ist
Der Gitarrist Jochen Volpert kombiniert Jazzelemente mit denen des
Blues. Dabei ist er sowohl mit eigener
Band als auch seit Jahrem im Duo
mit der Sängerin/Gitarristin Carola
Thieme zu erleben. Im Duoformat
verschmelzen die Beiden Einflüsse
von Blues, Soul, Pop und Jazz mit
freien Improvisationen. Standards
und bekannte Songs in überraschenden Interpretationen gehören ebenso
zum Programm wie Kompositionen
aus eigener Feder. In ihren Konzerten
entstehen immer wieder neue musikalisch-kreative Zwiegespräche
Wasser-Prawda | September 2015
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MUSIK
Wasser-Prawda | September 2015
MUSIK
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GEHÖRT WIRD DAS, WA S
DEM R E IS E L E I TE R G E FÄ L LT.
SCHUBERT’S UNGEWÖHNLICHE PAUSCHALREISEN NACH NEW
ORLEANS IN FOTOS VON ROLF SCHUBERT, KLAUS SCHULZE,
CARSTEN ECKSTEIN.
Seit Jahrzehnten veranstaltet Rolf
Schubert (Foto: Der einsame
Reiseleiter in der Menge) mit seinem
Concertbüro Blueskonzerte und
Festivals. Mindestens ebenso interessant sind für Musikfans aber auch
seine Musikreisen. Regelmäßig
organisert er etwa Touren nach
New Orleans und Louisiana und
bringt den Reisenden Musik von
Jazz über Rhythm & Blues bis hin
zum Hiphop nahe. Denn es gilt der
Grundsatz: Gehört wird, was dem
Reiseleiter gefällt. Die nächste Reise
nach New Orleans und in die Bayous
Louisianas findet über Ostern 2016
statt. Noch sind dafür freie Plätze
vorhanden. Wer näheres erfahren
oder gleich buchen will, kann dies
im Internet unter http://www.concertschubert.de/schuberttravels/
no-bayou-country.html tun.
Wasser-Prawda | September 2015
28
MUSIK
Wasser-Prawda | September 2015
MUSIK
29
Noch heute gehören die Street Paraden
in New Orleans zum täglichen Leben und
sind mehr als ein Highligt für Touristen.
Und die Indians sind unverzichtbar
beim Mardi Gras (nächste Seite).
Wasser-Prawda | September 2015
30
MUSIK
Wasser-Prawda | September 2015
MUSIK
31
Wasser-Prawda | September 2015
32
MUSIK
Heiße Musik und
kreolische Küche
gehören zu jeder
Reise nach Louisiana
unbedingt dazu. Und
ob in der Kneipe nun
eine Brassband spielt,
ein Bluesman seine
Lieder singt oder zum
Groove der Stadt ein
Rapper seine Kunst
zum besten gibt,
ist eigentlich nicht
wirklich wich g.
Wasser-Prawda | September 2015
B L U E S K A L E N D E R 33
BLUESKALENDER
Zusammenstellung: Matthias Schneider (blueskalender.
blogspot.de)
1932
1936
1954
2003
2005
01.10.
Albert Collins*
George „Wild Child“ Butler*
Hans Wintoch*
John Brim+
Paul Pena+
Jenn Cleary*
1938
1951
1955
1983
1989
1990
02.10.
Nick Gravenites*
Coco Montoya*
Ulrich Spormann*
George „Harmonica“ Smith+
Cousin Joe+
Zuzu Bollin+
Indijana *02.10.
Albert Collins
03.10.
Nick Gravenites
Memphis Minnie
1938
1951
1951
1955
1954
1956
1969
1976
Eddie Cochran*
Billy Branch*
Keb’ Mo’ *
Allen Woody*
Stevie Ray Vaughan*
Deborah Coleman*
Skip James+
Victoria Spivey+
Sandy Carroll *
1936
1948
1953
1970
1977
1994
Big Pete Pearson*
Duke Robillard*
Oscar Wilson*
Janis Joplin Todestag+
Nickolas Galiouris*
Danny Gatton+
04.10.
Victoria Spivey
34
BLUESKALENDER
05.10.
1899
1919
1934
1935
1943
1949
1952
1959
1993
Little Hat Jones*
Edward Ernest Griffin*
Fillmore Slim*
Left Hand Frank Craig*
Roy Book Binder*
Rick Estrin*
Lee Brilleaux*
Kelly Joe Phelps*
Memphis Willie B.+
1908
1932
1944
1951
2012
06.10.
Sammy Price*
Little Sonny (born Aaron Willis)*
Eero Raittinen*
Jimmy Lloyd Rea*
Nick Curran +
1939
1939
1962
1966
1983
2012
Mel Brown*
Tony Glover*
Scrapper Blackwell+
Smiley Lewis+
Belton Sutherland+
Wiley Reed+
1919
1952
1955
1957
2009
Hal Singer*
Steve Devine*
Lonnie Pitchford*
Sebastian Baur*
Abu Talib+
1935
1939
1943
1957
1965
1973
2006
Johnnie Bassett*
O. V. Wright*
Ronnie Barron*
Mike Stevens*
Pat Hunter*
Rosetta Tharpe+
Klaus Renft+
Roy Book Binder
07.10.
Mel Brown
08.10.
09.10.
Sister Rosetta Tharpe
B L U E S K A L E N D E R 35
2014
1899
1914
1969
1979
2010
‚Sista Monica‘ Parker +
Ignaz Netzer*
10.10.
Mississippi Joe Callicott*
Ivory Joe Hunter*
Walter Coolen*
Paul Karapiperis*
Solomon Burke+
11.10.
Nappy Brown
1908
1951
2011
Harmonica Frank*
Kate Hart*
George Buford+
Howard Glazer
1929
1929
1974
1985
1999
Guitar Gabriel*
Nappy Brown*
Pink Anderson+
Blind John Davis+
Frank Frost+
1940
1946
1949
Chris Farlowe*
Jörg „Speiche“ Schütze*
Rick Vito*
Pierre Lacocque*
1895
1926
1945
1950
1957
1962
Edna Hicks*
James „Son“ Thomas*
Colin Hodgkinson*
Rudy Rotta*
Kenny Neal*
Chris Thomas King*
Steve Kozak*
1906
1912
1925
1938
1979
Victoria Spivey*
Nellie Lutcher*
Mickey „Guitar“ Baker*
Robert Ward*
Gus Cannon+
12.10.
13.10.
James „Son“ Thomas
14.10.
15.10.
Gus Cannon
36
BLUESKALENDER
16.10.
1903
1935
1965
1977
1997
Big Joe Williams*
Sugar Pie DeSanto*
Carin Bertenbreiter*
John Mayer*
Jimmy Walker+
John Lee Sanders*
1914
1941
1974
1984
Rosetta Howard*
Billy Cox*
Rosetta Howard+
Alberta Hunter+
1906
1907
1923
1925
1926
1941
1947
1975
2006
Johnny Temple*
Robert Petway*
Jessie Mae Hemphill*
Boogie Woogie Red*
Chuck Berry*
Billy Cox*
Julius Daniels+
K. C. Douglas+
Snooky Pryor+
17.10.
Alberta Hunter
Chuck Berry
Jelly Roll Morton
18.10.
1890
1945
1949
1955
1977
1997
2011
19.10.
Willie Perryman (Piano Red)*
Buddy Moss+
Son House+
20.10.
Jelly Roll Morton*
Ric Lee (born Richard Lee)*
Sam Collins+
Mark Feltham*
Ronnie Van Zant+
Henry Vestine+
Earl Gilliam+ , born 1930
1925
1931
1941
1942
21.10.
Doctor Ross (Charles Isaiah Ross)*
Barbecue Bob+
Steve Cropper*
Elvin Bishop*
1911
1984
1988
B L U E S K A L E N D E R 37
1962
1990
J.D. Short+
Jo Ann Kelly+
1945
1953
1963
1981
Leslie West*
Carolina Slim+
Walter Davis+
Edward Ernest Griffin+
Stacie Collins*
1892
1933
1947
Speckled Red*
Carol Fran*
Preston Shannon*
Vanesa Harbek *
1911
1925
1936
1936
1943
2000
Sonny Terry*
Willie Mabon*
Bill Wyman*
Jimmy Dawkins*
Corky Siegel*
Little Mack Simmons+
Tom Ball*
Bert Deivert*
Victor Puertas*
22.10.
23.10.
Stacie Collins
24.10.
Sonny Terry
1931
1958
25.10.
Little Hatch*
Coco Robicheaux*
Eberhard Stolle, auch Big Joe Stolle*
Jack Bruce+
26.10.
Detroit Junior*
Robert Charels*
1909
1948
1977
1991
Henry Townsend*
Sherman Robertson*
Peg Leg Sam+
Billy Wright+
1921
1947
1950
2014
27.10.
Coco Robicheaux
38
BLUESKALENDER
28.10.
1910
1936
1939
1965
1969
T-Bone Walker*
Charlie Daniels*
Bobbie Mercy Oliver*
Earl Bostic+
Ben Harper*
1946
1971
1974
2008
Peter Green*
Duane Allman+
Eric Gales*
Mae Mercer+
1926
1939
1960
2007
2009
Dave Myers*
Grace Slick*
Rob Tognoni*
Larry Lee+
Norton Buffalo+
1902
1922
1939
1954
1970
1985
1995
2013
31.10.
Julia Lee*
Illinois Jacquet*
Ali Farka Touré*
Genevieve Castorena*
Johnny Moeller*
Johnny Embry+
Albert Lavada „Dr. Hepcat“ Durst+
Bobby Parker+
Paul Winn*
29.10.
Duane Allman
30.10.
Grace Slick
Hinweis: Für weitere Informationen siehe hier: http://blueskalender.
blogspot.de/
Ali Farka Touré
A L B U M D E S M O N A T S 39
GARY CLARK JR. – THE
STORY OF S O N N Y B OY S L I M
ALBUM DES MONATS SEPTEMBER 2015
Slim“ ist eine Vergewisserung und Besinnung auf all die
Wenn man Gary Clark Jr. in der Vergangenheit schon Musik, die ihm wichtig war und ist. Es ist eine Fusion
gerne mal als „Zukunft des Blues“ bezeichnet hat, war im besten Wortsinn.
das eine zwiespältige Angelegenheit: Diejenigen, in Eigentlich hatte sich das schon im Majordebüt „Blak &
in ihm den nächsten Gitarrenhelden a la Stevie Ray Blu“ angedeutet. Doch damals standen der Plastikfunk
Vaughan sehen wollten, sollten spätestens mit seinem a la Prince, der gitarrenlastige Bluesrock und die
neuen Studioalbum eines besseren belehrt sein: Klar anderen Zutaten oft noch beziehungslos nebeneinanist hier einer der besten Gitarristen derzeit zu hören. der. Jetzt ist bei aller Vielseitigkeit ein Album wie aus
Doch was Gary Clark Jr. auf „The Story of Sonny Boy einem Guss entstanden. Und über all dem schweben
Slim“ macht, ist eine faszinierende Fusion aus Hiphop- die Gitarrenlinien Clarks, mal akustisch und sanft, mal
Rhythmen, psychedelischem Funk, Bluesrock, Gospel elektrisch und hart bis zur Schmerzgrenze. Und das
und mehr.
ergibt eines der an- und aufregendsten Alben des Jahres
„Ist das alles so heavy hier?“, fragte letztens ein Hörer 2015 quer über die Genregrenzen hinweg. (Warner)
meiner Radiosendung. Grad lief ein Track von Gary
Raimund Nitzsche
Clark Jr.‘s letztjährigem Live-Album, eine achtminütige
Nummer, bei der das Gitarrensolo mit voller Verzerrung
sämtliche Gehörgänge freiblies. Bei der Härte der Musik
konnte man sich schon etwas irritiert fühlen, bin ich
doch bekanntermaßen keine allzu großer Freund des
aktuellen Bluesrocks. Aber die Nummer hatte ich mit
Bedacht gewählt, stand sie doch im großen Kontrast zu
den neuen Songs des Musikers.
Wenn „The Story…“ mit „The Healing“ losgeht, dann
hört man nach einem akustischen Intro eine Nummer,
die eher an Soulblues und Gospel erinnert. Clark preist
die Musik als seine Heilung und seinen Kraftquell. Und
Musik heißt für ihn eben nicht (nur) der heftige Rock,
sondern sein ganzes musikalisches Erbe. Mal erinnern
seine Songs daher an Marvin Gaye oder Sly Stone,
mal nach Prince irgendwann in den 80ern, mal nach
ganz klassischem Blues oder Rhythm & Blues. Und
die Rhythmen, die dazu pulsieren, haben bei manchen
schon Erinnerungen an Outkast oder andere HiphopActs hervorgerufen. Und auch das dürfte in vollem
Bewusstsein geschehen sein: „The Story of Sonny Boy
Wasser-Prawda | September 2015
40
P L AT T E N
REZENSIONEN A BIS Z
A
Alex Maiorano & The Black Tales –
Everything Boom! 41
Andy T-Nick Nixon Band – Numbers
Man 41
Angela Lewis Brown – Set Me Free
41
Jim Singleton – 8 O‘Clock In The
Afternoon 47
Joel Sarakula – The Imposter 47
Jo Harman – Found A Place 48
John Lee Hooker & Canned Heat –
Hooker n Heat 54
B
John Mayall – Find A Way To Care
48
Billy The Kid & The Regulators – I
Can‘t Change 42
K
Bob McCarthy – Trouble In Mind 43
Boo Boo Davis – Oldskool 43
D
Duke Robillard – The Acoustic Blues
& Roots of Duke Robillard 44
E
Eric Bibb & J.J. Milteau – Lead
Belly‘s Gold 44
F
Flemming Borby – Somebody Wrong
44
Keimzeit – Auf einem Esel ins All 49
M
Michael Katon – Live At Moulin
Blues 49
R
Rab Noakes – I‘m Walkin‘ Here 50
Rosellys – The Granary Sessions
51
Z
Zakiya Hooker – In The Mood 51
G
Grahams – Glory Bound 45
Grateful Dead – 30 Trips Around The
Sun. The Definitive Live Story 19651995 53
Gregg Allman – Live. Back To
Macon, Ga 45
Greyhounds – Accumulator/ Heaven
On Earth 46
J
Wasser-Prawda | September 2015
P L AT T E N
Boys In One Night“ ist ein absolut
witziger Calypso zwischen fünfziger
Jahre Feeling und der Rotzigkeit des
Skarevivals der 80er Jahre.
Also kurz gesagt: Das ist nix für
Schubladendenker. Das ist Musik
zum Abtanzen und Abrocken nicht
nur für die nächste Sommerparty.
off Label Records hat mal wieder
eine echt empfehlenswerte Band
entdeckt! (off Label/timezone)
Nathan Nörgel
Alex Maiorano & The Black
Tales – Everything Boom!
Irgendwann zogen Sänger/
Songwriter Alex Maiorano und
Schlagzeuger Alessio D‘Allessandro
von Italien nach Berlin. Als Duo
wollten sie ursprünglich Blues
spielen. Doch als The Duke und
Rieko Okuda mit Saxophon und
Keyboards zur Band kamen, änderte sich die Musik gehörig. Auf
dem Debüt „Everything Boom!“
treffen Rock und Punk auf Soul und
Funk und Rock & Roll. Und die
Mixtur ist ein Fest für alle, die handgemachte Musik mit jeder Menge
Leidenschaft zu schätzen wissen.
Manchmal lässt einen ein
Album keine Chance, eine passende Schublade zu finden:
Wenn „Everything Boom!“ mit
„Blacksnake“ loslegt, dann ist das
deftiger Rock mit Blueswurzeln.
Doch schon bei „Get, Get It“ ist man
irgendwo im souligen Poprock mit
Punkattitüde gelandet. „Desperado
With The Ukelele Sound“ ist (ganz
ohne Ukelele dafür mit röhrendem
Saxophon) ein Song, an dem auch
Texasmusikerin Patricia Vonne ihre
Freude haben könnte. Und „Three
41
Alben von ihnen so bemerkenswert.
Egal of jazzige Sounds erklingen
oder Akkordeons aus den Bayous
von Louisiana: Nick Nixon singt
mit einer Stimme, die gleichermaßen im Sonntagsgottesdienst oder
die Nacht vorher in verräucherten Bluesclubs funktioniert. Und
Andys Gitarre spielt ebenso zeitlos, mal etwas ruppig, dann wieder
strahlend und elegant. Wenn beim
Sundown Blues noch die Harp von
Kim Wilson hinzu kommt, dann
spätestens ist jeder echte Bluesfan
begeistert.
Schön, dass diese tolle Band jetzt
bei Blind Pig eine neue musikalische Heimat gefunden hat. Dieses
Album ist ein Pflichtkauf! (Blind
Pig)
Raimund Nitzsche
Andy T-Nick Nixon Band –
Numbers Man
Schon „Drink Drank Drunk“ hatte
2013 gehörig aufhorchen lassen.
Auch für die im Jahr drauf folgende Scheibe „Livin It Up“ gab‘s
Kritikerlob und jetzt hat die Andy
T-Nick Nixon Band (wiederum produziert von Anson Funderburgh)
mit Numbers Man schon wieder
ein beeindruckendes Album auf den
Markt gebracht.
Texasblues in der Art von T-Bone
Walker, Soulblues, fast klassischer Rhythm & Blues oder etwas
Zydeco: stilistisch hatten sich
Gitarrist Andy Talamantez und
Nick Nixon noch nie wirklich festlegen lassen. Und gerade das macht
Angela Lewis Brown – Set Me
Free
Wie findet eine Sängerin heute zum
Blues? Angela Lewis Brown liegen
die Wurzeln und Anregungen im
Northern Soul und den Hits der
„Soul-Divas“ der 80er und 90er
Jahre. Am Anfang ihrer Karriere sang
sie außerdem noch Dancemusic,
wurde aber schnell unzufrieden mit
der Musik, die sie auf die Bühnen
Wasser-Prawda | September 2015
42
P L AT T E N
brachte. Mit „Set Me Free“ fängt sie
jetzt neu an als Bluessängerin mit
einer gehörigen Dosis Soul.
Ist es überhaupt möglich, Musik
der Vergangenheit zurück in den
Mainstream der Gegenwart zu
holen? Sängerinnen wie Sharon
Jones haben das Label „Retro“ niemals abschütteln wollen oder können. Bei Balladen wie „Summer
Nights“ merkt man, dass Angela
Lewis Brown durchaus in Richtung
Radiotauglichkeit schaut: Ohne die
Wurzeln zu verleugnen sind das
Stücke, die auch Hörern gefallen
können, die sonst eher zeitgenössischen RnB hören. Auch ein Lied wie
„I‘m Feeling Good About Me“ hat
zwar ganz deutliche Blueswurzeln und Brown bellt zuweilen wie eine
der Powerladies zwischen Koko
Taylor und Janiva Magness. Doch
gleichzeitig ist das ein in Ohren und
Beine gehender Popsong über eine
starke Frau, die endlich den Platz im
Leben gefunden hat, wo sie sich zu
Hause fühlen kann.
Aber um niemanden in die Irre zu
führen: Angela Lewis Brown ist kein
Popsternchen. Hier hören wir eine
Powerfrau mit Ecken und Kanten,
eine Blueslady, die eine lange
Geschichte fortschreibt mit eigenen
Liedern und einer eigenen kraftvollen Stimme. Eine echte Entdeckung!
Nathan Nörgel
Billy The Kid & The Regulators
– I Can‘t Change
Bei der International Blues
Challenge 2014 landete die Band
aus Pittburgh auf dem dritten Platz.
Als ein Kollege jetzt das aktuelle
Album „I Can‘t Change“ hörte,
stellte er die Frage, wo sie denn
damals noch bessere Bands haben
finden können als die Truppe um
Sänger/Gitarrist Billy Evanochko.
Denn soviel ist klar: Angesichts ihres
Albums wird diese Band nicht mehr
lange ein gut gehüteter Geheimtipp
bleiben. Sowohl reine Bluesfans als
auch Bluesrocker werden an „I Can‘t
Change“ ihre helle Freude haben.
Dass eine Bluesband gleich drei
Leadgitarristen am Start hat, kommt
selten vor. Mir fällt auf die Schnelle
jetzt eigentlich nur Fleetwood Mac
zu den besten Zeiten ein. Billy The
Kid & The Regulators haben neben
Evanochko noch Jon Vallecorsa als
„normalen“ Gitarristen und James
Doughery an der Slide-Gitarre am
Start. Und neben dem Bandleader
sind diese auch als Songwriter auf
dem aktuellen Album zu hören.
Und das sorgt für eine äußerst gelungene Stilvielfalt zwischen fun-
Wasser-Prawda | September 2015
kigem Bluesrock, klassischen
Bluessounds und feinem Rhythm
& Blues. Und auch die anderen
Musiker der Regulators sind erwähnenswert: Keyboarder Ublai Bey (inzwischen aus Gesundheitsgründen
leider nicht mehr dabei), Bassist
Arnold Stagger und Drummer Brian
Edwards setzen ihre jeweils eigenen
Glanzpunkte.
Und wenn das noch nicht genug
wäre, wurden für das von Damon
Fowler produzierte Album noch absolut hochkarätige Gäste eingeladen:
Jason Ricci bläst bei der Hälfte der
Songs seine unvergleichliche Harp,
bei drei Songs bilden die Steel
Town Horns die passend soulige
Hornsection, Sean Karney kommt
zweimal als weiterer Gitarrist zum
Einsatz. Und auch Fowler selbst
greift bei „Saturday Night“ noch
zur Gitarre (damit sind bei diesem
Lied gleich fünf Gitarren zu hören!).
Und dann ist da noch Yolanda
Barber. Diese fantastische Sängerin
macht wesentlich mehr, als man von
einer Backgroundsängerin erwarten
würde: Sie ist Duettpartnerin im
besten Sinne des Wortes.
Eigentlich ist es nicht wirklich
nötig, hier einen Anspieltipp zu
nennen. Denn nicht nur „Saturday
Night“ oder der Titelsong sind absolute Empfehlungen wert. Auch
bei den anderen Songs (ob nun
selbstgeschrieben oder von Leuten
wie Robert Johnson („Me And The
Devil) bzw. Jimmy Reed („Can‘t
Stand To See You Go“) gibt es keine
Ausfälle zu vermerken.
Das ist eine wirklich überraschende
Entdeckung des Jahres 2015. Von
dieser Band werden wir ganz sicher
P L AT T E N
noch viel hören!
Auf den Titelsong folge Fred
Nathan Nörgel McDowells „You Gotta Move“, leitet
über in W.C. Handys alten „Atlanta
Blues“ bevor eine tolle Version von
„Sittin On Top Of The World“ zu
McCarthys drei Instrumentals überleitet. Die sind alle von ihm selbst
geschrieben und kombinieren SlideGitarren mit leichtfüßigen JazzAkkorden. Das ist ein AkustikbluesAlbum von Topqualität von einem
absoluten Meister. Ohne Zweifel
eine starke Empfehlung! (Wandra
Music)
Iain Patience
Bob McCarthy – Trouble In
Mind
Ein wunderbares Album mit sieben
Stücken von einem der weniger bekannten Akustikbluesgitarristen/
Singer/Songwriter sänger aus den
USA. Bob McCarthy hat seine
Schulden als Profimusiker viele
Jahrzehnte lang abbezahlt. Er spielte
und arbeitete zusammen mit zahllosen Hauptfiguren der Szene, unter
anderem mit Jorma Kaukonen,
Pentangle, Tom Paxton, Roy Book
Binder und viele mehr.
„Trouble In Mind“ ist ein Album,
das sein tolles Gitarrenspiel ebenso
herausstellt wie seinen Gesang.
Hinzu kommt bei den ersten vier
Stücken die starke Harp von James
Montgomery. Diese Nummern
stammten ursprünglich von
McCarthys vor einigen Jahren veröffentlichten herausragendem Album
„Satisfied Mind“ – eines meiner
Lieblingsalben, das mich niemals
ermüdet. Die drei anderen Stücke
sind Instrumentals von seinem danach veröffentlichten (und gleichermaßen großartigen) Album „Star Of
The Sea“.
Boo Boo Davis – Oldskool
Rauh, ungeschliffen und bei aller
lebendigen Bluestradtion aktuell
und zwingend: Die Songs von Boo
Boo Davis kommen aus dem tiefen Mississippi, sind von Künstlern
wie Charley Patton oder Robert Pete
Williams ebenso beeinflusst wie
von Elmore James oder John Lee
Hooker. Aber gleichzeitig sind sie
aktuell, entstehen eigentlich erst im
Moment des Spielens. Gemeinsam
mit seinen europäischen Musikern
Jan Mittendorp (g) und John
Gerritse (dr) hat Davis die Stücke
von Oldskool live, ohne Proben und
im First Take aufgenommen.
43
Boo Boo Davis ist wahrscheinlich einer der letzten Bluessänger,
die selbst noch Erfahrungen auf
den Bauwollfeldern sammeln
mussten. Sein Vater Davis war
Baumwollfarmer und spielte diverse
Instrumente. Schon als Kind konnte
Boo Musiker wie John Lee Hooker,
Robert Pete Williams oder Elmore
James erleben, wenn sie im Haus der
Familie probten. Und so nimmt es
auch nicht Wunder, dass er schon
mit fünf Jahren anfing die Bluesharp
zu spielen und in der Kirche zu singen. Als Teenager spielte er dann
auch noch Gitarre und begann mit
Vater und Brüdern im Delta als
Musiker umherzuziehen. In den
60er Jahren zog er dann mit ihnen
in die Gegend von St. Louis, damals einer der Brennpunkte der
Bluesentwicklung mit Stars wie
Albert King, Ike Turner oder auch
Chuck Berry.
Dass zwischen Arbeit und Musik
für ihn nie Zeit und Geld übrig
war, um die Schule zu besuchen,
ist leider für die damalige Zeit kein
Einzelfall. Doch Davis hat es im
Laufe der Zeit geschafft, sich auch
als jemand, der weder lesen noch
schreiben kann, in der modernen
Zeit zurecht zu finden. Der Blues
ist sein Weg, um mit dem Leben
und seinen Herausforderungen
umzugehen: Rauh bellt er seine
Alltaggeschichten, die Harp setzt
ebenso ungeschliffene Akzente.
Und Oldschool ist auch die stoische Begleitung von Gitarre und
Schlagzeug. Sowas ist keine Musik
für diejenigen, die auf Politur und
Instrumentalsport stehen. Das
ist zeitloser Blues mit ungeheurer
Wasser-Prawda | September 2015
44
P L AT T E N
Energie. Und daher ist „Oldskool“
unbedingt empfehlenswert. (Black
& Tan Records)
Raimund Nitzsche
Duke Robillard – The Acous c
Blues & Roots of Duke
Robillard
Als Mitgründer von Roomful of
Blues war Duke Robillard einer derjenigen, die dem Jumpblues wieder
zum Leben erweckten. Doch auf
diesen Stil hat sich der Gitarrist niemals festlegen lassen. Immer wieder
hat er neue Stile in sein Spiel integriert, ob Swing und Jazz, Country
und mehr. Mit seinem neuen Album
veröffentlicht er jetzt erstmals ein
rein akustisches Album und spielt
eine höchst eingängige und elegante
Mixtur aus Blues, Jazz, Folk aus den
Appalachen ganz im Stil der 20er bis
40er Jahre. Man könnte fast sagen,
dieses Album ist eine musikalische
Definition dessen, was man heute
gerne als Americana bezeichnet.
Schon der Opener, Stephen Fosters
uraltes „My Kentucky Home“
sollte jedem eines klar machen:
Dies ist kein Album für die lauten Momente. Hier wird feinsinnig
und diffenziert fast kammermusikalisch musiziert. Egal ob Robillard
mit seinen Gästen (unter anderem
Maria Muldaur, Sonny Crownover,
Marty Flower, Jerry Portnoy oder
Jay McShann) Klassiker von Hank
Williams, Jimmy Rodgers oder Big
Bill Broonzy anstimmt oder eigene
Songs zu Gehör bringt, immer sind
es die feinen akustischen Nuancen,
die eleganten Läufe und nicht
der oberflächliche Effekt, die im
Mittelpunkt stehen. Ähnliches hab
ich in der Vergangenheit in dieser Großartigkeit höchstens auf Ry
Cooders Album „Jazz“ gehört.
Robillard präsentiert sich hier nicht
nur als Meister auf sämtlichen
akustischen Saiteninstrumenten
zwischen Banjo, Mandoline und
Gitarren. Er ist hier auch als Sänger
zu erleben, der ebenso swingenden
Jazz singt wie er Rodgers „Jimmies
Texas Blues“ jodelt.
Ähnlich vielseitig wie die musikalischen Quellen des Albums sind
auch die verschiedenen klanglichen Welten, die er mit seinen
Mitmusikern findet: mal klaische
Bluesbands mit Harp und Piano,
mal Jazzcombos mit Klarinette und
mehr. Das ist mit Sicherheit eines der
besten akustischen Bluesalben des
Jahres 2015!.(Dixie Frog/H‘ART)
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | September 2015
Eric Bibb & J.J. Milteau – Lead
Belly‘s Gold
Quer über sämtliche Genregrenzen
hinweg ist Lead Belly einer der
einflussreichsten Somgwriter und
Intepreten von Blues und Folk gewesen. Sein Repertoire wurde von
Sinatra und den Beach Boys ebenso
aufgegriffen wie von Nirvana, Tom
Waits oder den Red Hot Chili
Peppers. Auf „Lead Belly‘s Gold“
haben sich jetzt zwei der faszinierendsten Vertreter des akustischen
Blues den von Lead Belly gesungenen und geschriebenen Lieder angenommen. Den größten Teil des
Albums haben Eric Bibb und JeanJaques Milteau bei einem Konzert
in Paris aufgenommen.
Klar erinnern sich viele bei der
Erwähnung von Huddie Ledbetter
zuerst an Stücke wie „Good Night
Irene“ oder an „Rock Island Line“.
Und natürlich kommt keine
Würdigung des Songsters nicht ohne
solche Hits aus. Doch was Lead
Belly‘s Gold zu einem nicht nur
musikalisch faszinierenden Album
macht, die Auswahl unbekannterer
Songs, die vor allem auch das Streiten
des Künstlers für eine würdige, ge-
P L AT T E N
rechte und brüderliche Gesellschaft
über die Rassengrenzen hinweg
deutlich macht und die von einer
beängstigenden Aktualität geblieben sind. Schon der Opener „Grey
Goose“ ist ein Stück, das man angesichts der tausenden Flüchtlinge,
die zur Zeit unter Lebensgefahr den
Weg nach Europa suchen, nicht aus
einem rein historischen Blickwinkel
hören kann. Letztlich sind auch
Nummern wie der Chauffeur Blues
oder der Bourgeois Blues in Zeiten,
wo die sozialen Spaltungen in der
Gesellschaft immer größer werden
aktuell wie damals.
Klar: Eric Bibb ist nicht der wütende Prediger. Als Sänger und
Gitarrist zählt er schon immer zu
denen, die Unzufriedenheit eher
mit stiller Melancholie ausdrückten,
die eher die kleinen Veränderungen
im privaten predigen als öffentlich zur Revolution aufzurufen. Aber genau durch seine stille
Interpretation jenseits von oberflächlichem Showgehabe macht die
Lieder hier umso eindrücklicher.
Und Milteaus Harp setzt dazu absolut großartige Kontraste. Überhaupt
gehört der französische Musiker für
mich neben Sugar Blue oder Jason
Ricci zu den wenigen Virtuosen,
die bei aller Meisterschaft in den
klassischen Spielweisen immer
wieder nach neuen akustischen
Möglichkeiten für die Bluesharp
suchen und finden.
Ein äußerst empfehlenswertes
Album! (Dixie Frog/H‘ART)
Nathan Nörgel
45
And The Moon“ die sofort ins Ohr
gehen und sich nur schwer wieder
vertreiben lassen.
„Somebody Wrong“ ist ein höchst
unterhaltsames Album mit Songs,
die man gerne auch häufiger im
Radio hören möchte. Und bei aller
musikalischer Geschichtsverliebtheit
klingt die Scheibe garantiert nicht
vorgestrig.
Nathan Nörgel
Flemming Borby – Somebody
Wrong
Ein in Berlin lebender dänischer
Songwriter fährt nach Texas, um
sein erstes Soloalbum einzuspielen.
Und in seinen Liedern kann man
nicht nur Anklänge an Folkrock und
Americana hören sondern auch die
Auseinandersetzung mit Bluesern
wie Elmore James und Blind Willie
Johnson.
Mit Bands wie Greene wurde er in
Dänemark populär, später spielte
er bei Labrador oder verdiente sich
seine Brötchen als Sessionmusiker in
Deutschland und den USA. Doch
Flemming Borby gehört auch zu
den Musikern, die sich immer auch
ausgiebig mit der Musikgeschichte
befassen, wenn sie ihre eigene
Musik schreiben. Der Titelsong seines Albums etwa nimmt Bezug auf
Elmore James‘ „Done Somebody
Wrong“ Doch das ist eine eher augenzwinkernde Bezugname des
Musiknerds: Somebody Wrong
klingt eher nach Americana a la
The Jayhawks. Und genau das macht
von Anfang an Spaß. Andere Songs
sind eher in die „normale“ Ecke
Songwriter-Rock/Pop zu sortieren.
Und dann gibt es auch noch großartige Balladen wie „Me And You
The Grahams – Glory Bound
Das ist eines von denjenigen Alben,
die eine sofort schon mit ihrem Cover
packen: Ein faszinierender und verführerischer Hintergrund mit altem
und vor sich hinrostendenden
amerikanischen Eisenbahnwagen
dürfte garantiert das Interesse aller
Country- und Americana-Fans finden. Und der Titel „Glory Bound“
spricht natürlich Bände über den sogenannten amerikanischen Traum
zu den Zeiten, als das Fahren mit
der Bahn ein Grundbestandteil der
Veränderung des Lebens in einem
Land war, das von sozialen und rassischen Rissen und Abgründen geprägt war. Ein Thema, das für viele
heute immer noch aktuell ist.
Alle zwölf Songs wurden gemeinsam mit dem Bandkumpel Bryan
McCann selbst geschrieben. Und
Wasser-Prawda | September 2015
46
P L AT T E N
tatsächlich denken und glauben
The Grahams‘ (ein Duo aus dem
Ehepaar Alyssa und Doug Graham),
dass es lange Zeit eine ziemlich einzigartige Verbindung zwischen der
US-amerikanischen Countrymusik/
Americana und den Eisenbahnen
und Bahngleisen des Landes gab.
Sicherlich sind es zeitlos großartige Stücke wie Steve Goodmans
„City of New Orleans“ und George
Hamiltons „Canadian Pacific“, die
ein Denken in diese Richtung unterstützen. Und das ohne noch weiter zurück in die Geschichte zu blicken hin zu Woody Guthries oder
Cisco Houstons eigenen Beiträgen
zum Thema.
„Glory Bound“ ist das zweite
lange Album des Duos und erscheint gleichzeitig mit einem
Dokumentarfildm über die Rolle
von Musik und Eisenbahn in den
USA. „Rattle The Hocks“ ist ein
Film, der die eigene Reise der Grams
auf dem Schienenstrang durchs
Land dokumentiert.
Byron Berline (ehemals bei Bill
Monroe, Dillard & Clark oder
Stephen Stills) ist als Gast dabei
und fügt ihre tolle vom Country
geprägte Fiddle dem musikalischen
Mix hinzu. Das ist eine sehr tolle
Musik für moderne Cowboys mit
einprägsamen Texten und umwerfenden instrumentalen Fähigkeiten.
Wie schon der Opener sagt:
‚Sometimes I need to put the hammer down, this heart may bleed but
it still gets me around, these engines whine when the pistons pound,
this train is glory bound.‘ (12 South
Records GRAM003)
Iain Patience
Gregg Allman – Live. Back To
Macon, Ga
Was war ich traurig als ich erfuhr, dass Gregg Allman nach dem
Ausscheiden von Derek Trucks
und Warren Haynes entschied,
das Projekt Allman Brothers Band
zu beenden. Immerhin begleitet mich die Band seid Anfang der
70´iger durch mein Leben. Wer erinnert sich nicht gerne an die Titel
wie „Jessica“, „Ramblin´ Man“,
„Whipping Post“, „Stand Back“ und
„Trouble no More“ um nur einige
zu nennen.
Auch wenn die Band sich über die
Jahre immer wieder veränderte,
denken wir nur an die tödlichen
Motorradunfälle von Duane Allman
und Berry Oakley. Gregg Allman
schaffte es immer wieder eine gute
Band zusammenzustellen. Eines
blieb über die Jahre immer beständig – der Sound der Band. Hierfür
sind zwei Faktoren zuständig: Der
unvergleichliche Gitarrensound und
die Stimme von Gregg Allman.
Trotz der verschiedensten Gitarristen
von Dickey Betts über Dan Toler,
Derek Trucks bis zu Warren Haynes
blieb der Sound der Gitarren immer
Wasser-Prawda | September 2015
ähnlich. Auch Scott Sharrard aus der
neuen Formation Gregg Allman and
Friends setzt diese Tradition fort.
Wie geht das? Auf der Seite http://
www.learningguitarnow.com/blog/
tone/how-to-get-an-allman-brothers-guitar-tone/ gibt es eine gute
Erklärung mit Klangbeispielen. Die
Technik macht es, mehr kann ich
als Gitarrenlaie nicht dazu sagen,
dass überlasse ich dann lieber den
Fachleuten.
Das hier vorliegende Album
ist ein Konzertmitschnitt von
einem Konzert in Macom, vom
14.01.2014.
„Macon ist ein schöner, zauberhafter
Ort (eine 100000-Einwohnerstadt
in der Nähe von Atlanta) und
er war wirklich ein zu Hause für
den Allman Brothers Band“, sagte
Gregg. „Wir spielten, lebten, lachten und weinten dort, und ich
schrieb viele, viele Lieder in dieser
Stadt. Es ist immer gut, in Macon
zu spielen, Mann.“
Mit Scott Sharrard an der Gitarre,
dem Bassisten Ron Johnson,
Ben Stivers an den Keyboards,
Schlagzeuger Steve Potts, Allman
Brothers-Veteran Marc Quinones
am Schlagzeug, den Saxophonisten
Jay Collins und Art Edmaiston und
Dennis Marion an der Trompete, bildeten diese acht Spieler eine der besten Formationen, mit denen Gregg
Allman jemals spielte. Besonders
der Einsatz der Bläsergruppe tat der
Aufnahme gut.
Das Konzert beginnt mit dem guten
alten „Statesboro Blues“. Hier bringt
der Einsatz der Bläsergruppe einen
neuen Swing in den Song. Auffällig
ist auch das Spiel von Ben Stivers
P L AT T E N
am E-Piano. Nach „I’m No Angel“
folgt „Queen of Hearts“, einem Titel
von Gregg´s erster Soloproduktion
„Laid Back“ aus dem Jahr 1973.
Mit „ I Can’t Be Satisfied“ nimmt
das Konzert wieder Fahrt auf. Der
Meister spielt hier die zweite Gitarre
(nicht die zweite Geige). Mit dem
sentimentalen Titel „These Days“
von Jackson Browne nimmt Gregg
die Fahrt gleich wieder raus. „ Ain’t
Wastin’ Time No More“ war das
erste Lied, dass Gregg nach dem
tödlichen Motorradunfall von seinem Bruder Duane am 29. Oktober
1971 in Macon schrieb. Hier gefallen schöne Solis von Art Edmaiston
und Scott Sharrard. „Brightest Smile
In Town“, „Hot’Lanta“ und „I’ve
Found a Love“ runden den ersten
Teil des Konzertes ab.
Das Konzert ist eine Zeitreise
durch die Geschichte der Allman
Brothers, die ja unzertrennlich mit
der Geschichte von Gregg Allman
verbunden ist. Das setzt sich im
zweiten Teil fort. Hier möchte ich
noch die Titel „Melissa“, „Whipping
Post“ und „One Way Out“ erwähnen. „Whipping Post“ wurde
total neu arrangiert, Saxophonund Gitarrensolo werten diesen
Titel enorm auf. „One Way Out“
schließt das Konzert ab, hier spürt
man zum ersten mal so richtig das
Publikum. Jeder der Musikern kann
in Solopassagen noch einmal zeigen, was in ihm steckt. Man muss
auch erwähnen, dass im zweiten
Teil Devon Allman (Gitarre) als
Gastmusiker mit von der Partie ist.
Gregg bemerkte: „Vielen, vielen
Dank, es war ein riesiger Spaß. Wir
müssen dies irgendwann wieder
tun“
Um die Zukunft muss uns nicht
bange sein, solange Gregg Allman
musiziert, wird uns der Südstaatenstil
der Allman Brothers erhalten bleiben. Was ich ein wenig bemängele,
die Reaktionen des Publikums wurden nie so richtig eingefangen.
Matthias Schneider
Greyhounds – Accumulator/
Heaven On Earth
Wer die letzten Ausgaben der WasserPrawda verfolgt, sieht, wie wir uns
immer mehr in das Netz der musikalischen „South East Mafia“ oder
den Southies verzweigen. Gemeint
sind die Musiker und Bands aus
dem Gebiet von Florida, Louisiana
und Texas. Greyhounds ist eine
Formation, die sich teilweise aus der
Begleittruppe von JJ Grey & Mofro
rekrutiert. Der Gitarrist Andrew
Trube, der Keyboarder Anthony
Farrell und der gelegentlich mitspielende Drummer Anthony Cole
haben eine spannende Mischung
aus Soul und Swampmusik, sehr
reduzierte Instrumentierung, aber
mit Gefühl eingesetzte Stimmen,
die vor allem den Soul bringen.
Die Melodien sind einprägsam,
einfach und mit viel Gefühl. Wer
47
Anthony Coles kleines Schlagzeug
sieht, glaubt nicht, dass man da
so viel Rhythmus rausholen kann.
Andrew Trubes Gitarrenspiel
ist simpel und genial zu gleich.
Trockene Sounds ohne viel Effekt,
maximal Raumhall dazu. Der Band
ist es gelungen, einen Plattendeal
mit Ardent Records über 3 Alben
zu unterzeichnen. Das erste Album
„Accumulator“ erschien 2014 und
die Live CD „Heaven on Earth“
kam erst vor wenigen Wochen in
den Handel. „Heaven on Earth“
entstand Ende 2014 während der
Begleittour mit The Tedeschi Trucks
Band. Als Produzent fungiert Reed
Turchi. Beide CDs überschneiden sich etwas in den eingespielten
Titeln, bescheren aber dadurch eine
Studio- und eine Livevariante einige Schlüsselsongs. Andrew Trube
und Anthony Farrell waren schon
lange Zeit vor JJ Grey & Mofro
als Musiker und Komponisten für
viele andere Künstler unterwegs.
Mit den beiden Alben stellen sie
ihre Eigenständigkeit als Studiound Liveband unter Beweis. Meine
Favoriten auf beiden CDs sind
„What’s on Your Mind“ und „Soul
Navigator“, weil sie den weiten
Bogen der Band vom R&B zum
Soul überspannen. Auch „Amazing“
gehört zu meine Favoriten. Die
Musik ist so „cool“ dass man sie
in einer Edellounge in Berlin oder
auch in einem Konzerthexenkessel
in Texas hören kann. Aber eigentlich bestehen die beiden Alben
nur aus „Favoriten“, weil sie einem
einfachen Strickmuster folgen:
Soulige Stimmen und bluesige
Instrumentieren - ein Patentrezept
Wasser-Prawda | September 2015
48
P L AT T E N
für die beiden respektive drei Herren chen, fügt der mit Grammy ausder Greyhounds.
gezeichnete Charlie Musselwhite
Mario Bollinger seine heulende Harp hjnzu. Die
aus Australien stammende Fiona
Boyes hören wir als Sängerin und
Gitarristin.
Wenn dann noch Gary Clark Jr‘s.
„Don‘t Owe You A Thang“ loslegt
ist klar: Hier ist ein überraschend erwachsenes Debüt zu hören, das das
Hörens wert ist.
Iain Patience
Jim Singleton – 8 O‘Clock In
The A ernoon
Ein absolut cooles Debüt mit zehn
Stücken von dem aus Pensylvania
stammenden Gitarristen Jim
Singleton. Zu hören sind paar
von seinen alten Freunden in
Begleitrollen. Die Musik ist geprägt von einem tollen Gespür für
Tempo und Abwechslung. Singleton
versteht eindeutig, dass sich die
Musik verändern muss, um die
Aufmerksamkeit des Hörers zu halten. Und so verändert er ständig
Tempo und Stimmung.
Zum Start nach dem wunderbaren
Lobgesang auf die Selbstdarstellung,
Peter Greens „Rattlenake Shake“,
rast er durch zwei Stücke des leider verstorbenen großartigen irischen Blueshound Rory Gallagher
(„What‘s Going On“, „A Million
Miles Away“) des morderneren
meisterlichen Komponisten Bernie
Marsden hinzu („Place In My
Heart“, „Here I Go Again“), der
auch zuweilen als Begleitgitarrist
und Backgroundsänger zu hören ist.
Um die überraschende Qualität
dieses Debüts noch zu unterstrei-
diese zwölf Songs hervorragend.
Melancholie und Groove, elegant
polierte Jazz-Linien und Soulpop:
Wenn Joel Sarakula loslegt, dann ist
klar: Hier ist ein Songwriter und beeindruckender Sänger zu erleben, der
sich in der Gegenwart nicht wirklich
zu Hause fühlt. Seine Lieder perlen
dahin und gehen ins Ohr. Denn er
beherrscht sein Handwerk und ist
in jeder Sekunde mit vollem Einsatz
dabei, ob er den „Northen Soul“ abfeiert oder behauptet, alleine glücklich zu sein („Happy Alone“. Hier
wird nirgendwo experimientiert
oder halbfertige Melodien serviert:
„The Imposter“ ist als Popalbum so
perfekt, wie es nur irgendwie geht.
Ob man davon begeistert ist, hängt
vom persönlichen Musikgeschmack
ab. Dieser Hochstapler, der seit
Jahren in London lebt, ist wirklich
überzeugend.
Nathan Nörgel
Joel Sarakula – The Imposter
Angefangen hat der aus Australien
stammende Joel Sarakula als
Entertainer in Pianobars. Auf seinem
aktuellen Album „The Imposter“
hört man eine unbändige Liebe zum
Pop der 70er. Als „Betrüger“ oder
„Hochstapler“ klaut er Einflüsse
von Disco und Soul ebenso wie
von Songwritern wie Elvis Costello
und Beck. Und heraus kommt eine
Musik, die man nicht nur in den
70er Jahren als Soundtrack für hochglanzpolierte Agentenfilme verwendet hätte. Auch als Untermalung
des Sommers zwischen schwülen
Nächten in düsteren Kellerbars
oder heißen Mittagsstunden im
Asphaltdschungel funktionieren
Wasser-Prawda | September 2015
Jo Harman – Found A Place
Wo geht es hin nach den phänomenalen Debüt „Dirt On My Tongue“?
Dass diese Sängerin in ganz Europa
zu den besten Sängerinnen zwischen
Blues, Soul und Pop gehört, stellt sie
jetzt mit der EP „Found A Place“ erneut unter Beweis.
P L AT T E N
Oh, diese Stimme! Mal kräftig
und kantig, mal melancholisch,
dann wieder so voller Emotionen,
dass selbst hartgesottene Kritiker
Schwierigkeiten haben, ihre
Coolness zu bewahren: In ganz reduzierten Arrangements (vor allem
mit dem tollen Piano von Mark
Edwards) hat Jo Harman fünf Lieder
eingespielt, die ihre Stimme in allen
Nuancen immer in den Mittelpunkt
setzen. Balladen wie der Titelsong
bringen zum Piano noch ganz dezente Streicher hinzu, um die gleichzeitig starke und zerbrechlich wirkende Stimme zu kontrastieren.
Ein Stück wie Cat Stevens‘ „Father
and Son“ baut seine Spannung von
Takt zu Takt fast unmerklich auf
- vom resignativen Beginn bis hin
zur Ermutigung des Endes. Und
Michael McDonalds „I Can Let Go
Now“ ist schlicht und einfach umwerfend und großartig.
In der Luxus-Ausgabe dieser EP
wird noch ein Livemitschnitt
aus Brighton mitgeliefert: Acht
Songs, neben Stücken der EP finden sich hier unter anderem noch
Harmans Interpretationen von
Dylans „Forever Young“ und eine
großartige Fassung des Spirituals
„Oh Freedom“. Und spätestens
bei „Through The Night“ kann
Harmans tolle Band dann auch so
richtig Gas geben.
Welchen Platz hat Jo Harman gefunden? Wo geht es jetzt musikalisch hin? Die engstirnigen
Bluesfans werden die musikalische
Vielseitigkeit von Jo Harman vielleicht nicht begrüßen. Für alle anderen ist klar: Ob Soul, Jazz, Pop oder
Blues: Jo Harman singt all das mit
einer Leidenschaft und Reife, dass
man eigentlich alles von ihr voller
Vorfreude erwarten kann.
Raimund Nitzsche
John Mayall – Find A Way To
Care
Andere denken ans Sterben und er
macht ´ne neue CD - Find a Way
to Care.
John Mayall wird 82 dieses Jahr,
aber beim Hören seiner neuen CD
kann man davon nichts spüren.
Der Blues ist sein Jungbrunnen.
Gewohnt kraftvoll und mit seiner ganzen Erfahrung legt er eine
CD-Veröffentlichung hin, die ein
Bluesfan haben muss.
Wenn man bedenkt, mit welchen
bekannten Bluesmusikern John
Mayall schon CD´s eingespielt hat,
so scheint die Besetzung für diese
CD eher bescheiden, aber nur von
der Quantität her, nicht von der
Qualität der Musiker. Rocky Athas
(Gitarre), Greg Rzab (Bass) und
Jay Davenport (Drums) und natürlich der Meister (Gesang, Piano,
Harp, Organ, Gitarre), das ist die
Besetzung, die wie man hört, eine
hohe Qualität hat. Und das kommt
auch nicht von ungefähr. Denn
schließlich ist er mit dieser Band
schon seit einigen Jahren beständig
49
auf Tour unterwegs.
John Mayall spielt auf dieser
CD neben eigenen Songs viele
Bluesklassiker („Drifting Blues“),
welche er neu arrangiert hat.
Dabei wird ganz das Piano in den
Mittelpunkt gestellt, das ist ein
Markenzeichen dieser Scheibe. Nur
hin und wieder greift Mayall auch
zur Bluesharp oder zur Gitarre.
Der Titel des Albums ist Programm,
Blues kann für eine kranke Seele die
genau passende Pflege sein, vielleicht gibt es ja diese Scheibe demnächst auf Rezept…
Eigentlich möchte ich keinen Titel
aus der homogenen Bluesmasse herausheben, tue es aber doch. „Long
Distance Call“, der Titel liefert alles,
was so ein Blues braucht. Dieser
Klassiker von Muddy Waters wurde
von John Mayall neu arrangiert und
dabei wurden Muddy´s Gitarrenriffs
auf das Piano transferiert. Mir gefällt das.
Und als hätte ich es geahnt, fängt
man an einen Titel hervorzuheben,
kann man gar nicht mehr aufhören damit. Gleich der nächste Titel
„I Want All My Money Back“ ist
ein Super- Blues, etwas schneller
vielleicht.
Für einen Grammy wird es auch dieses Mal nicht reichen (da liegt für
mich Buddy Guy vorne), aber dennoch eine sehr gute Bluesscheibe.
Vielleicht bekommt John ja einen
Grammy für sein Lebenswerk - verdient hätte er es.
Matthias Schneider
Wasser-Prawda | September 2015
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P L AT T E N
Keimzeit – Auf einem Esel ins
All
ich sie live erlebte, wie sie ihre alten
Songs in einen Indierocksound
pressten. Die Magie war fort und
kam nicht wieder. Bis jetzt, als ich
erstmals die neuen Lieder hörte:
Schluss mit der Elektronik - dafür
wieder verspielte Gitarren (die
manchmal gar gehörig losrocken).
Es ist im besten Sinne altmodischer
Keimzeitsound: Rock mit ein wenig
Blues, nicht ganz so verspielt wie
früher, aber sofort identifizierbar.
Und dann die Texte: Großmutter,
die Zigaretten schnorrt, eine Welt,
die insgesamt mehr oder weniger
aus Bekloppten besteht, Sehnsucht
nach dem Ausbruch in die Ferne
und ein Deutschland zwischen
wohlerzogenem Köter und wilder
Bestie: Das sind Keimzeitlieder, die
wieder sofort ins Ohr gehen und die
man gerne bei Konzerten mitsingen
möchte.
Insgesamt ein höchst erfreuliches
Lebenszeichen von einer Band, die
endlich wieder bei sich angekommen scheint - und gleichzeitig eines
der schönsten deutschsprachigen
Alben des Jahres für mich.
Raimund Nitzsche
Manche Bands erfinden sich neu,
andere besinnen sich danach aber an
ihre ursprünglichen Stärken zurück.
So auch Keimzeit, die personell über
die Jahre fast komplett umbesetzte
Band um die Brüder Leisegang. Mit
ihrem im Frühjahr 2015 veröffentlichten Album „Auf einem Esel ins
All“ kehren sie zurück zu Sound
und Lyrik ihrer besten Jahre zwischen „Kapitel Elf“ und „Primeln
& Elefanten“.
Endlose Konzerte und Lieder mit
Texten, die nur scheinbar kindlich
naiv daherkamen aber eigentlich ein
hochlyrisches Spiegelbild der Welt
waren wurde Keimzeit schon vor
der Wende zu einer der beliebtesten Livebands Deutschlands. Dank
des Musikfernsehens schaffte die
Band auch den Sprung über die verschwundene Grenze nach Westen.
Doch irgendwann wollte man in
die Zukunft aufbrechen. Plötzlich
hatten Produzenten das Sagen und
verordneten statt handgespielter
Instrumente elektromagnetische
Felder. Und Norbert Leisegangs
Texte verloren die sympathische
Naivität. Keimzeit waren für mich
Geschichte. Besonders nachdem Michael Katon – Live At
Wasser-Prawda | September 2015
Moulin Blues
Wenn man gerade John Mayall rezensiert hat, muss man sich um 180
Grad drehen. Michael Katon wird
ja nicht umsonst „The Booogieman
from Hell“ genannt.
Darum geht es hier, schnörkelloser, harter Bluesrock vom Feinsten.
Hier gibt es auf die Ohren, da muss
man aufpassen, dass die Seele keinen Schaden nimmt. Für zarte
Gemüter muss man wohl einen
Warnhinweis auf die Hülle drucken:
Attention – Bluesrock from Hell!
Lautstärkeregler auf und angehört!
Wem so etwas gefällt, der wird es
nicht bereuen. Starke Gitarrenriffs,
raue Stimme und harte Rhythmen,
so geht es die ganze CD.
Die hier beschriebene CD „Live
At Moulin Blues“ wurde schon
am 03.05.2008 auf dem Moulin
Blues Festival in Ospel aufgezeichnet. Schlagzeuger Johnny ‚ Bee
‚Badanjek, Bassist Sid Cox und natürlich Michael Katon mussten für
diesen Killerrhytmus harte Arbeit
abliefern, da es ziemlich heiß war
an diesem Tag. Trotzdem kamen die
Zuschauer in Scharen.
„No More Whiskey“ möchte ich
hervorheben, weil der Titel so richtig ins Blut geht,wie der Whiskey
auch und nun noch dieser Entzug…
Hier ein kurzer Auszug aus einem
Interview mit Katon:
Q: You’re voice is really raw, kind
of a whisky drinker voice…
Michael: Oh yeah, well, I used to
drink a lot of whiskey (laughs). I used
to smoke a lot too. Actually I liked my
voice better when I smoked but I got
bad asthma and this other stuff called
phistoplasmosis [I’m no doctor but I
P L AT T E N
hope I got it right :-)]that you catch
from animals. You can’t spread it to
people because you catch it off animals. I used to catch birds and stuff
and when I was like 10 years old I
caught it and you never get rid of it
for the rest of your life. It’s in you lungs
and smoking is bad for that. As a matter of fact a doctor told me several years
ago that I’m not supposed to have alcohol, cigarettes, caffeine, salt or any
of that shit…
Kurz zusammengefasst sagt Michael
lachend, dass er für seine raue
Stimme eine Menge Whiskey trinken musste und dass seine Stimme
noch besser klang, als er rauchte. Da
er aber an Asthma leidet riet ihm sein
Arzt auf alles (Alkohol,Zigaretten,
Koffein, Salz usw.) zu verzichten.
Der Verzicht scheint gewirkt zu
haben, denn wie man hören kann,
hält er so ein Konzert locker durch.
Zum Abschluss gibt es dann als
Zugabe einen Boogie aus der
Hitzehölle von Ospel. Das ist ein
passender Abschluss für ein sehr
gutes Konzert, das man nicht nur
auf CD sondern auch in voller
Länge und guter Qualität bei youtube finden kann.
Matthias Schneider
51
& The Shados, bervor er dann auch
noch eine toll an John Hurt erinnernde Gitarre und eine hammermäßige Version von Elizabeth
Cottons „Freight Train“ einschiebt,
die er mit umwerfender Sensibilität
spielt.
Für mich ist letztlich Disc 2 die
bessere des Paares. Das liegt wahrscheinlich mehr an den etwas bluesigeren Untertönen und weniger an
wirklichen Qualitätsunterschieden.
Die meisten Stücke stammen aus
Rab Noakes – I‘m Walkin‘
der Feder von Noakes, der von
Here
Ein wundervolles Doppelalbum Barbara Dickson und einer Menge
von einem der echten „Schätze“ anderer schottischer Könner toll beSchottlands und unbesungenem gleitet wird.
musikalischen Helden. Noakes Was bei diesem Album am meisten
kann seine musikalische Herkunft heraus sticht, ist dass Noakes einzurückvervolgen in die stürmischen deutig Spaß hat. Es ist ein relaxtes
60er, in den 70ern war er Mitglied und schönes Album, das den Geist
von Stealers Wheel neben dem mitt- der Rootsmusik wirklich einfängt
lerweile verstorbenen Gerry Rafferty und von Zeit zu Zeit mit modernen
(der von „Baker Street“ mit seinem Wendungen anreichert. Zu hören ist
phänomenalen Saxophonsolo) ein Künstler auf dem Zenit seines
und war oft gemeinsam mit Rod Könnens. Höchst empfehlenswert!
Clemens von Lindisfarne auf der (Neon Records CD0017)
Iain Patience
Bühne und im Studio. Mit den
Füßen fest in der akustischen
Folktradition verwurzelt bewegt er
sich ohne Anstrengung zwischen
den Genres, ist dabei niemals hektisch und immer geschmackvoll.
„I‘m Walkin‘ Here“ ist einfach eine
weitere seine exzellent eingespielten
Veröffentlichungen, voller Saft und
Kraft.
Bei 26 Stücken auf zwei CDs ist es
schwer eine einzelne Nummer heraus zu heben. Überraschenderweise The Rosellys – The Granary
covert Noakes alte Filmsongs wie Sessions
„Buttons & Bows“, spielt „Bye Ein Album mit elf Songs von einer
Bye Blackbird“ ebenso wie das alte jungen fünfköpfigen Band aus dem
„Traveling Light“ von Cliff Richard Vereinigten Königreich, bei der
Wasser-Prawda | September 2015
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P L AT T E N
die Stimmen von Rebecca Rosellys
und ihrem Partner Simon Rosellys
im Vordergrund stehen. Hinzu
kommen zarte Pedal Steel und
Resonatorgitarren von Allan Kelly
„The Granary Sessions ist ein sanft
klingendes modernes AmericanaAlbum aus England.
Alle Titel wurden von der Band
selbst geschrieben und spiegeln
ihre Liebe zu den USA und deren
starken Einflüssen wider. Titel wie
„Maryland“, „Ashville 1784“, „Red,
White & Blue“ sind ein eindeutiger Spiegel der Liebe zum Land, wo
diese Musik noch immer Millionen
beeinflusst. Es gibt hier einfach keinen treibenden abgebrühten modernen Country und keinen auf
Hochglanz polierten Sound. Statt
dessen ist das Album überraschend
geschnmeidig, gefühlvoll und packend. The Rosellys ziehen ihre
Inspiration zwar klar aus den modernen USA, spielen aber mit den
Rhythmus und Stil der Klassiker
aus Texas und den Appalachen.
Denk hier einfach an weiche harmonische Rhythmen und Stimmen
und du liegst nicht falsch. Wenn für
mich ein Stück, herausragt, dann ist
das Nummer zehn, „Rose Tinted
Glasses“, ein Loblied auf das Finden
und Verlieren der Liebe im charakteristischen und charaktervollen Stil
des US-amerikanischen Country.
Die Produktion ist top. Und die Band
ist voller Talen und Geschmack, eine
Besetzung mit einem sicheren Stand
in der modernen Country-Szene.
Schon jetzt wächst ihre Popularität
in der Countryszene im UK und
in Europa. Mit diesem Album
wird sich die Band sicherlich auf
zieht sich aber dem Redakteur. Der
rote Faden des Albums bleibt der
Blues, wie er in ihrer Familie gelebt
und erlebt wurde. „Receipt to Sing
the Blues“ erzählt wie es Vater und
Mutter und auch ihren Mann erwischte. Ja, sie hat ihren Beitrag zum
Blues einbezahlt und weiß, wie man
den Blues singt. Mir gefallen immer
Alben, die vielfältig sind. Chicago
Blues, New Orleans Blues, Country
Blues. Es ist alles da, wenn sie von
„Another Kind of Blues“ singt
und dabei aber die Tiefschläge des
Beziehungslebens besingt. Mal begleiten Bläsersätze ihre Stimme, mal
ist es die Bluesharp, die einen auf
den tiefen Grund des Blues herunZakiya Hooker – In The Mood ter bringt. Mit „In The Mood“ zeigt
Wer auf diesem Album die Nähe sie, dass sie als Gerichtsangestellte
von Zakiya Hooker zu ihrem Vater in Rentenstand noch keine Ruhe
John Lee Hooker sucht, liegt musi- gibt, um immer noch etwas mit und
kalisch falsch. Mit „In The Mood“ um den Blues zu erleben. Auch die
hat Zakiya Hooker ein eigenstän- Jazznummer „Drowning In Your
diges Album mit elf größtenteils Love“ überrascht! Leise gespielt, mit
selbst mitkomponierten Songs auf- Bläsern im Hintergrund, oktavengelegt. Eigenständig, weil es bis auf spielende Gitarre und immer wiedie Titeltextzeile keinen musikali- der Zakiyas zärtliche Stimme.
Das Album ist brandneu, also geschen Bezug zu JLH gibt.
Sie hat eine ganz eigene Stimme, die rade erschienen und derzeit nur
phantastisch zwischen den Welten bei ihr auf der Webseite www.zader musikalischen Reise wandert. kiyahooker.com bestellbar oder als
Die CD entstand nämlich teilweise Download bei cdbaby.com (http://
in Argentinien wie auch in den USA. www.cdbaby.com/m/cd/zakiyahooIhre sanfte warme Stimme erreicht ker2) zum käuflichen Laden.
Mario Bollinger
mit souligen Nummern wie „Let’s
Do Something“ den Redakteur genauso wie die Folkbluesnummer
„Hang on For Awhile“. Gerade diese
Nummer entspricht ihrem Naturell,
nämlich zu reden und zu erzählen,
so wie wir von der Redaktion mehrmals erleben durften. Was dann in
ihrer Küche so alles passiert, entein neues Level erheben. Und eine
Promotour durch die USA ist bereits gebucht. (Clubhouse Records
CRUK0032CD)
Iain Patience
Wasser-Prawda | September 2015
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WIEDERHÖREN
KLASSIKER, RARITÄTEN, WIEDERVERÖFFENTLICHUNGEN
Grateful Dead – 30 Trips
Around The Sun. The
Defini ve Live Story 19651995
Ein unveröffentlichtes Live-Konzert
pro Jahr: Mit 30 Trips Around The
Sun haben Grateful Dead zum
50. Geburtstag eine ambitionierte
Box veröffentlicht. Insgesamt 80
CDs mit einer Spielzeit von 73
Stunden umfasst das in limitierter
Auflage veröffentlichte Projekt. Für
Neugierige gibt es außerdem noch
die Kurzfassung mit 30 Songs aus
30 Jahren auf 4 CDs.
Grateful Dead waren eine der
beliebtesten Live-Bands der
Rockgeschichte. Ihre Auftritte
waren immer beliebter als
Grateful Dead 24,11.1978 (Foto: Bob Minkin)
Studioaufnahmen. So ist der Branford Marsalis am Saxophon
Versuch, die Geschichte der Band wird hier zelebriert, wie Jamrock
an Hand ihrer Konzerte nachzu- für einen Deadhead sein sollte:
zeichnen der wahrscheinlich sinn- Kaum ein Song kommt ohne elevollste Weg. Wobei man dabei al- gische Improvisationen einzelner
lerdings nicht wirklich die umfas- Musiker oder der ganzen Band
sende Megaedition des Live-Kanons aus. Ob Blues, Country, Folk oder
braucht. Die mit einem lesenswer- Rock die Grundlage des Songs bilten Essay von Jesse Jarnow verse- den wird dabei fast nebensächlich.
hene Einleitung reicht für Neulinge Immer wieder hebt die Band ab
vollkommen aus. Hier kann man zu neuen Trips durch sphärische
erleben, wie sich die Band im Laufe Räume.
der Jahre nicht nur personell verän- Wer wissen will, was für die zahllodert hat, sondern wie stark sie sich sen Deadheads in der ganzen Welt
musikalisch immer wieder neu er- die Faszination der Band ausmacht:
funden hat. Von einer der ersten Hier bekommt er eine umfassende
Sessions 1965 noch unter ande- Einführung. (Rhino/Warner)
rem Namen bis hin zu Auftritten
Raimund Nitzsche
mit Bruce Hornsby am Piano und
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P L AT T E N
MEILENSTEINE
BEST BLUES ALBUMS EVER. VON MATTHIAS SCHNEIDER
In dieser Reihe werde ich
Bluesalben vorstellen, die
jeder Bluesfan kennen sollte.
Es wird ja wieder Winter und
man hat mehr Zeit Musik zu
hören, aber warum immer
neue Scheiben kaufen, die alten
sind mitunter besser. M.S.
John Lee Hooker & Canned
Heat – Hooker n Heat
Heute ist ein Album dran, dass
einen der besten, schwarzen
Bluesmusiker mit einer der besten weißen Bluesbands vereinigt
hat. Man hätte es auch gut Black
& White nennen können.
Den Hörer erwarten spannende
Duelle zwischen John Lee´s
Gitarrenriffs und den Harpklängen
von Al Wilson.
Aufgenommen wurde Hooker n
Heat 1971. Doch was macht dieses Album eigentlich so einzigartig?
Zum einem: Das ist ein Album, das
von John Lee Hooker dominiert
wird. Er hat alle Songs geschrieben und prägt mit seinem einzigartigen Boogie die beiden Platten
des Doppelalbums. Außerdem ist
es das letzte Studioalbum, an dem
Al Wilson (Canned Heat) mitgewirkt hat. Als das Albumcover entstand, weilte er schon nicht mehr
unter den Lebenden. Und so er-
scheint er auf der Plattenhülle nur
auf einem Foto im Hintergrund des
Gruppenbildes.
Die erste CD liefert ausschließlich
Delta Blues von John Lee Hooker,
auf der zweiten CD jammt John Lee
Hooker dann mit Canned Heat. Ich
persönlich halte mehr von der zweiten CD dieses Albums.
„Boogie Chillen No 2“, wer kennt
diesen Titel nicht. Hier kommt die
Wasser-Prawda | September 2015
Symbiose von John Lee Hookers
harten Gitarrenriffs, seiner Stimme
und der Harp von Al Wilson am
besten zur Geltung.
Weitere herausragende Titel der
Session mit Canned Heat sind
„Whiskey and Wimmen‘“, „I Got
My Eyes on You“, „Just You And
Me“ und „Let‘s Make It“. Ob man
nur Fan von John Lee Hooker oder
von Canned Heat ist: Hier gelingt
P L AT T E N
die Symbiose des Deltablues von
Hooker mit dem Boogierock von
Heat perfekt.
„The World Today“ ist ein weiterer Titel, den man beachten sollte.
Das Thema ist leider immer noch
aktuell. Acht Minuten lang singt
Hooker und wird von Alan Wilson
auf dem Piano begleitet, statt
Schlagzeug hören wir nur Hookers
rhythmisches Stampfen.
Er kündigt den als Sprechgesang
gehaltenen, langsamen Song zunächst an: „It’s a slow-goin’ thing
... it’s about what happenin’ today,
there will be happenin’ maybe
four, five years from today ... all
over the world. I want you listen to this.“ Das Lied ist vor
dem Hintergrund der weltweiten
68-er Bewegung, eines bezüglich
der Frage der Gleichbehandlung
Weißer und Schwarzer gespaltenen Amerikas und, speziell das
Aufnahmedatum betreffend, des
Kent-State-Massakers zu verstehen, bei dem am 4. Mai 1970 vier
gegen den Vietnamkrieg demonstrierende Studenten von Soldaten
der amerikanischen Nationalgarde
erschossen und neun weitere teilweise schwer verletzt wurden. Der
zu diesem Zeitpunkt 52-jährige
Hooker beklagt den Zustand einer
von Konflikten zerrissenen Welt
als „Alptraum“ und stellt sich auf
die Seite einer Jugend, die aus den
Fehlern der Generation ihrer Eltern
lernen und sie ablösen werde.
„Look at here now, you’ll
find some of them old people.
They’re not hip to the modern
days. They want their kids to
live like they live. But no, them
days are gone. It’s a brand
new world. […] The old folks,
when they’re gone, […] it’ll
be a better world to live in.“
Auch die erste CD enthält ein paar
Titel , die ein Bluesfan kennen
sollte. „You Talk Too Much“ und
„Bottle Up And Go“ sollen hier als
Beispiele reichen.
CD 1
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Messin‘ With The Hook
The Feelin‘ Is Gone
Send Me Your Pillow
Sittin‘ Here Thinkin‘
Meet Me In The Bottom
Alimonia Blues
Drifter
You Talk Too Much
9.
10.
Burning Hell
Bottle Up And Go
CD 2
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
The World Today
I Got My Eyes On You
Whiskey & Women
Just You And Me
Let‘s Make It
Peavine
Boogie Chillen No=2
55
Line up:
• John Lee Hooker – guitar/
vocals
• Al Wilson – harmonica,
piano, guitar
• Henry Vestine – lead guitar
• Fito de la Parra – drums
• Tony de la Barreda – bass
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F E U I L LTO N
ANTJE MA RSC H : NAT U R FOT OGR A F I E
(MEHR DAZU: STROHWIRDGOLD.DE/)
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SPRACHRAUM
AN NA S E G HER S U N D
IH R GR UB E T S CH
EINE ERZÄHLUNG VON CONSTANZE JOHN. AUS: BLAUE ZIMMER.
TEXTE 1983-2014. FREIRAUM-VERLAG GREIFSWALD, 2015.
1
Über die Autorin
Constanze John wurde 1959 in Leipzig geboren, wo
sie heute als freiberufliche Schriftstellerin lebt und
arbeitet. Sie studierte Germanistik, Geschichte und
Pädagogik an der Universität Leipzig und absolvierte
1983–1986 ein Fernstudium am Literaturinstitut
Leipzig. Seit 1993 engagiert sie sich im Bereich der
literarischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, so
u. a. in der Jugendliteraturwerkstatt Graz und in einer
Schreibwerkstatt für Kinder am Literaturhaus Leipzig.
2008 war sie Gründungsvorsitzende des FriedrichBödecker-Kreises im Freistaat Sachsen e. V.
Constanze John schreibt nah am Alltag, sie setzt an
bei dem, was eigentlich jeder kennt, zuweilen aber
unterschätzt und einfach übersieht. Ihr Erzählen ist
höchst sensibel, voller überraschender Wendungen
und es deutet nur an, wenn es um essentielle Fragen
geht.
„Blaue Zimmer“ versammelt Prosa und Lyrik aus den
Jahren zwischen 1983 und 2014.
Constanze John: Blaue Zimmer.
Erscheinungsdatum: Oktober 2015
freiraum-verlag Greifswald
160 Seiten; Softcover; 14,8 x 21,0 cm
ISBN: 978-3-943672-67-1
13,95 EUR (D)
Wasser-Prawda | August 2015
Ein kurzes, dumpfes Signal kam aus der Tiefe unter
ihrem Fenster. Wie aus der Tiefe eines Herzens. So soll
sie es behauptet haben. Das Signal war so ganz anders
als das Aufheulen einer Fabriksirene oder das Hupen
eines Automobils. Es war das Signal eines Lastkahnes,
der stromabwärts nach Holland fuhr.
Ein Schwimmer kreuzte ihm den Weg, um den Rhein
zu überqueren.
Anna stellte sich auf die Zehenspitzen: So ein Schwimmer
erschien ihr ungewöhnlich. Darüber ließ sie den
Lastkahn bis nach Holland treiben, wo die Tage gelb und
die Häuser klein und schneeweiß waren. Märchenhaft
also, wie es Anna selbst gesehen hatte während einer
Sommerreise gemeinsam mit den Eltern.
Für den Schwimmer aber war schon das andere Rheinufer
Holland genug.
Als Kind stand Anna am Fenster, um auf den Fluss zu
schauen, wie auch später, als sie das Elternhaus schon
längst verlassen hatte. Da sie als Kind oft kränkelte, war
es so. Sie konnte allem zuschauen und machte sich ihre
Vorstellungen dazu.
War das auch nur eine Vorstellung von ihr oder fuhr
da eines Tages wirklich ein Floß unter ihrem Fenster
dahin gleich einem Lastkahn? Auf dem Floß saß ein
Mann. Neben ihm stand ein Holzkasten. Oder war das
ein Käfig?
Das Floß besaß ein Steuer. Aber der Mann, Anna nannte
ihn jetzt bei sich den Grubetsch, ließ sich nur treiben.
SPRACHRAUM
63
Er sah vor sich hin aufs Wasser, ohne das Steuer in die Grubetsch saß weder in einem Käfig noch waren ihm die
Hand zu nehmen. Dabei schauten seine Augen so zufrie- Hände gebunden. Wenn er nur wieder an Land wäre,
den drein, als könne er Holland schon sehen.
würde er sich schon des Tags holen, was er brauchte;
und des Nachts hatte er dann gute Träume. Manchmal
Keiner wusste, wie Anna es geschafft hatte, auf das Floß ließ er sich von den Revolutionen erzählen, und vergaß
zu steigen. Von ihrem sicheren Ausguck war sie abgestie- es gleich darauf wieder; allein mit seinem Vogel.
gen, um das Steuer nun selbst in die Hand zu nehmen. Eines Tages verschenkte Grubetsch den Vogel.
Oder wollte sie bloß diesem Grubetsch näher sein?
2
Und so zog es Anna fort von ihrer Mutter. Die Mutter
Die
Hofl
aterne
beleuchtete
eine Pfütze im gerissenen
winkte ihr noch nach, als sei das ihre Aufgabe. Sie hatte
dunkles Haar und stand beim Winken sehr aufrecht auf Holzpflaster, einen weggeworfenen Pantoffel, einen
der kleinen Veranda, und zwischen den Geranienkästen. Haufen verfaulter Äpfel …
Auch von ihrem Vater zog es Anna fort. Vielleicht
hätte sie noch warten sollen, um den Vater mitzunehmen? Aber er musste im Dom geblieben sein, oder bei
einem der Nachbarn, oder inzwischen an irgendeiner
Straßenecke stehen, oder an einem Tapetenladen, oder
an einem Brunnen, um zu reden – über dies und über
das.
Anna sprach später immer vom Grubetsch, als wäre sie
wirklich in seiner Nähe gewesen. So genau beschrieb sie
das abgeschabte Leder seiner Schuhe.
Schon die Vorstellung dieses Mannes rührte sie an.
Und sie schrieb über ihn auch eine Geschichte auf.
„Dich rühre ich nicht an“, ließ sie Grubetsch sagen, auf
den Fluss hinaus. „Dich nicht, obwohl du auch nicht
so gewöhnlich bist.“
„Und? Wie bin ich?“, wollte Anna wissen.
Aber um sie ging es schon gar nicht mehr.
Und noch während Anna mit dem Grubetsch den Rhein
entlangfuhr, ging sie schon durch Städte, die hießen
Mainz und Köln und Heidelberg. In einer dieser Städte
beobachtete sie dann auch einen Mann, der über den
Marktplatz geführt wurde. Seine Hände waren gebunden. Von ihrem Ausguck aus, damals, hatte sie nie einen
Gefesselten gesehen.
Wenn der Fluss nun selbst schon die Steuerung übernommen hatte?
Vorn auf dem Floß saß also der Grubetsch; neben sich
den Vogelkäfig, den Anna zuerst für einen Holzkasten
gehalten hatte. Und im Käfig saß ein Vogel.
Vielleicht war Grubetsch nur ein Gasstrumpf. So einer
wie in der Laterne über Munks Kellertür. Vielleicht war
Grubetsch selbst eine Grubenlampe in diesem Schacht
von Hof.
Vielleicht hängte Anna ihre Wäsche nur ins Fenster
zum Trocknen, damit sie das Licht anlockte mit diesem
Weißflatternden, Lebendigen.
Denn wie lange wartete Anna nun schon auf ihr rotes,
glühendes, leuchtendes Unglück?
Anna lebte erst fünfzehn Jahre auf der Welt.
Anna lebte auf einem Hof am Ende der Welt.
Aber auf diesem Hof war noch Welt übergenug.
Anna lebte mit ihrem Bruder Martin.
Annas Bruder Martin lebte mit Marie.
Und Marie hatte zur Anna gesagt, der Grubetsch sei
wieder da, und es werde ein Unglück geben. Dann hatte
Anna ihre Wäsche ins Fenster gehängt.
Verlieh die Marie einen Korb, und holte die Anna den
Korb zurück, und das kam vor, dann musste die Anna
über den Hof gehen. Wenn die Anna aber über den Hof
ging, dann durfte sie nicht mit den Hüften wiegen oder
gar vor sich hin trällern, denn auf dem Hof lebten wilde
Tiere und die langweilten sich und warteten nur darauf,
jemanden wie sie zu entdecken …
Grubetsch ging sein Leben lang nicht nur über einen
Hof. Grubetsch kam und ging und kam dann wieder.
Im späten Herbst kam Grubetsch wieder und ging über
den Hof. Er fasste eines der kleinen wilden Tiere am
Wasser-Prawda | August 2015
64
SPRACHRAUM
Kinn und ließ es zu sich aufschauen: „He, du!“ Noch
keiner hatte es je so angesehen. Noch keiner hatte
es gefragt, ob es mit auf den Fluss hinaus wolle, des
Sommers, auf einem Floß. Und hätte Grubetsch das
Kinn des kleinen wilden Tieres nicht so festgehalten,
dann hätte es nicken können.
Von der anderen Seite des Flusses her kam Schlenker.
Der holte sich die Mietgelder für diesen Schachthof.
Aber selbst dann, als er die Mietgelder schon in der
Tasche hatte, blieb er noch und suchte hier nach etwas,
das sein altes schläfriges Herz klopfen ließ.
Martins Herz klopfte. Martins Herz klopfte, wenn er
zur Marie nach Hause kam. Früher einmal war Martin
in die Stadt gegangen, um sein Glück zu suchen. Jetzt
kam Martin nach Hause zurück. In der Stadt ging er
seiner Arbeit nach.
Grubetsch hatte weder Grund noch Boden, kein Dach
und kein Fach, keine Frau und auch keine Familie.
Dem Martin tat der Grubetsch leid. Und der Grubetsch
dachte vom Martin: „Der gefällt dir.“
Bevor der Grubetsch nun wieder auf den Fluss ging,
begann er diese Geschichte:
„So nimm doch!“
„Was ist das?“
„Nimm doch, das ist für dich!“
„Für mich? Warum denn?“
„Nur so, so nimm doch! Der Vogel war immer bei mir.
Was anderes hab ich nicht.“
Die Wäsche hing im Fenster zum Trocknen. Anna
dachte: „Das soll mir gehören? Etwas Lebendes soll mir
gehören!“
Und nun hatte sie also ihr Unglück: Der Vogel flog aus
dem Käfig fort, und der Mann nahm sich eine andere
Frau, weil er nicht ohne das sein konnte, was er brauchte.
Schlenker ging wieder über den Hof. Jeden Monat
holte er sich ja die Mieten. Schlenker hatte eine Angst:
„Jemand sieht mich, ist hinter mir her.“
Wer sollte da hinter ihm her sein?
Anna lag auf ihrem Bett vor lauter Unglück.
Martin trank in Munks Keller vor lauter Unglück, und
vor lauter Langeweile, und ganz ohne Marie. Denn der
Wasser-Prawda | August 2015
Grubetsch hatte sich Martins Frau genommen und war
mit ihr vom Hof gegangen. Aber noch im Sommer kam
er zurück und nahm sich die Anna wieder: Etwas von
ihrer Stirn, das musste er haben; und noch etwas in
ihrem Leib.
War denn Grubetsch eine Laterne? Was suchten sie
alle bei ihm das Licht? Grubetsch sagten sie von ihrer
Langeweile. Was aber rückten sie zusammen, wenn er
wieder vom Hof ging, und sangen und tanzten?
Als Grubetsch zurückkam, hörte er sie stampfen in
Munks Keller. Die Harmonika spielte. Grubetsch roch
endlich den Schweiß der anderen wieder und legte seine
Hand auf irgendeine Hüfte.
Grubetsch wurde müde in der Wärme des Kellers, und
die anderen sahen, wie Grubetsch müde wurde und
sich über den Tisch beugte. Also wurde auch Grubetsch
müde.
Eine Frau sagte: „Jetzt kann man ihn loswerden.“
Dass er sich auch alles genommen hatte, was er brauchte.
So wurden sie ihn los.
Alles andere ohne Grubetsch ging dann gewöhnlich:
Sie sagten, er wäre schon wieder hinaus auf den Fluss
gegangen. Und als im Winter immer noch jemand auf
Grubetsch wartete, sagten sie, man bräuchte nun nicht
mehr zu warten. Und alle nickten dazu.
Nur die Anna schaut auf. Immer, wenn sie wieder ihre
Wäsche ins Fenster hängt.
SPRACHRAUM
65
DER UNTERGANG
D ER CA R NATI C
VON A.J. MORDTMANN.
Kapitän Clifford, unser Kapitän, war mit seiner
Jugendgeliebten Fanny, der er mit leidenschaftlicher
Liebe zugetan war, seit zwei Jahren verheiratet, als er,
von ihr begleitet, auf seinem damaligen Schiffe, der englischen Bark »Carnatic«, eine Reise von Rio de Janeiro
nach Batavia antrat. Das Unglück wollte, daß das Schiff
weit aus seinem eigentlichen Kurse nach Süden verschlagen wurde und dem Gürtel des antarktischen Treibeises
näher kam als rätlich.
Bald war die Carnatic von Eisbergen und Eisfeldern
umgeben, die ihre Fahrt immer gefährlicher gestalteten.
Anstatt sich aus dem Eise herauszuarbeiten, geriet sie
durch den andauernd ungünstigen Wind immer tiefer
hinein; nach einer kalten und stürmischen Nacht war sie
zwischen Schollen von fast unabsehbarer Ausdehnung
geraten, die sich zusammenpreßten und das Schiff
hoben, so daß es, ohne im übrigen Schaden zu nehmen,
festsaß; es war, da starker Frost eintrat, bald vollkommen eingefroren.
Ein Bleiben auf dem Schiffe würde nur das Verderben
der ganzen Mannschaft im Gefolge gehabt haben; der
vom Kapitän zusammenberufene Schiffsrat entschied
sich einstimmig für das Verlassen der Bark.
Die beiden Boote wurden mit großer Anstrengung
in offenes Wasser gebracht und mit Kompaß, Wasser
und Mundvorräten versehen. Dann brach man auf.
Das Boot, welches zuerst abfahren sollte, wurde unter
den Befehl des Steuermanns gestellt; in ihm sollte die
Frau des Kapitäns Aufnahme finden, weil es größer war
und mehr Bequemlichkeiten bot als das andere, das der
Kapitän in Person führen wollte.
Als die Mannschaft des ersten Bootes fort war, schickte
Kapitän Clifford die des zweiten nach und beeilte
sich, nachdem er das Schiffsjournal an sich genommen und noch einmal im Raume nachgesehen hatte,
ihnen zu folgen, weil von Süden her eine unheimliche weiße Wand heranrückte, einer jener Nebel, die in
Polargegenden oft einfallen und so außerordentlich dicht
sind, daß man tatsächlich auf drei Schritt Entfernung
nichts mehr unterscheiden kann. Als der Kapitän sich
über den Bug der Carnatic hinabließ, war es höchste
Zeit, denn schon umhüllte ihn der Nebel; er war froh,
als er in der undurchdringlichen, lichtlosen Luft sein
Boot erreichte und die fünf Mann, die außer ihm die
Besatzung ausmachten, beisammen fand. Das andere
Boot war schon fort, aber niemand hatte es abfahren
sehen.
Man steuerte in dem dichten Nebel nordwärts, immer
nach dem größeren Boot auslugend, aber man bekam es
nicht wieder zu Gesicht. Den ganzen Tag und die ganze
Nacht setzte man die düstere Fahrt fort. Als der Morgen
graute, sprang ein heftiger Südost auf, der das Gute hatte,
daß er den Nebel vertrieb. Gegen Mittag flaute der Wind
ab; bald darauf schimmerte durch die einförmig graue
Masse der erste Fetzen blauen Himmels, er dehnte sich
immer weiter aus, und nach einer halben Stunde lagen
heller Sonnenschein und heitere Himmelsbläue auf den
unruhig wogenden und mit leichten Schaumspitzen
gekrönten Meeresfluten.
Vom Eise war weit und breit nichts mehr zu sehen,
dagegen wurde ein anderer, erfreulicherer Anblick der
Bootsmannschaft zu teil: in einer Entfernung von etwa
zwei Seemeilen lag eine Brigg unter kleingemachten
Segeln bei; sie mußten dort an Bord guten Ausguck
halten, denn kaum war das Schiff in Sicht gekommen,
als dieses auch schon Manöver einleitete, um sich ihnen
Wasser-Prawda | August 2015
66
SPRACHRAUM
zu nähern.
Kapitän Clifford schloß daraus, daß die Brigg das erste
größere Boot schon aufgenommen haben müsse und,
von diesem benachrichtigt, nach dem zweiten ausgeschaut habe. Das erwies sich als richtig, denn der erste,
der Clifford, als er hinaufgeklettert war, auf dem Verdeck
entgegentrat, war sein Steuermann.
Aber trotzdem erstarrte dem Kapitän beim Anblick
seines Untergebenen das Blut in den Adern, und das
Antlitz des Steuermanns war totenbleich, als er mit heiserer Stimme fragte:
»Wo ist denn Ihre Frau, Kapitän? Haben Sie sie nicht
bei sich?«
»Ich! Meine Frau? Sie war doch in Ihrem Boot!«
»Allmächtiger Gott – nein!« Die übrigen Matrosen
drängten sich mit verworrenen Rufen um Steuermann
und Kapitän. Denn die wunderliebliche Frau Fanny
Clifford war für sie alle wie ein höheres Wesen gewesen.
Man hatte sie das Glück der Carnatic genannt.
Aus dem in abgebrochenen Sätzen gestammelten Bericht
des Steuermanns kam rasch die niederschmetternde
Wahrheit zutage: die Frau des Kapitäns, der allgemeine
Liebling, war an Bord des im Eise eingeschlossenen
Schiffes zurückgeblieben, allein, hilflos, einem sicheren
Tode preisgegeben.
Der Zusammenhang, so unerklärlich er anfangs schien,
war doch im Grunde sehr klar und einfach.
Frau Clifford war mit der Mannschaft des ersten Bootes
bis an den Rand des Eises gegangen, wie sie aber abfahren wollten, bemerkte sie den heraufziehenden Nebel,
und der erfahrenen Frau des Seemanns war alsbald
klar, daß eine Trennung der Boote nicht nur möglich,
sondern vollkommen gewiß sei. »Ich bleibe bei meinem
Manne!« rief sie entschlossen und sprang wieder auf das
Eis zurück. Allen erschien das so natürlich, daß niemand
daran dachte, sie zurückzuhalten.
Die Mannschaft des zweiten Bootes war noch nicht
eingetroffen; die Frau winkte dem Steuermann zum
Abschied zu und rief: »Ich gehe ihnen entgegen! Fahrt
ab!« Das Boot stieß denn auch ab und war nach wenigen
Sekunden bereits so von Nebel eingehüllt, daß sie das Eis
und alles darauf Befindliche aus dem Gesicht verloren.
Das war das Letzte, was man von ihr gesehen hatte. Sie
mußte in dem dichten Nebel ihren Weg verfehlt haben
Wasser-Prawda | August 2015
und in einiger Entfernung von dem Kapitän und seiner
Mannschaft vorbeigekommen sein, ohne sie zu bemerken oder von ihnen bemerkt zu werden.
Den Seelenzustand des unglücklichen Kapitäns kann
man sich vorstellen; er war wie wahnsinnig und wollte
über Bord springen und den tollen Versuch machen, das
Eis schwimmend zu erreichen; nur mit Anwendung von
Gewalt gelang es, ihn zurückzuhalten. Der Kapitän der
Brigg war von diesem furchtbaren Verhängnis so ergriffen, daß er mehr tat, als er eigentlich seinen Reedern
gegenüber verantworten konnte. Er wich von seinem
Kurs ab und steuerte südwärts, bis man das Treibeis
erreichte; hier kreuzte er zwei Tage, aber ohne Erfolg;
die Carnatic wurde nicht gesehen, und der Brigg war es
ohne große Gefahr unmöglich, bis zum festen Eise vorzudringen; sie mußte unverrichteter Sache ihren alten
Kurs wieder aufnehmen.
Die Verzweiflung Cliffords hatte einem stumpfen
Dahinbrüten Platz gemacht. Erst als man sich Kapstadt
näherte, trat in diesem Zustande eine Änderung ein; er
wurde wieder etwas redseliger, seine umdüsterte Miene
nahm einen ruhigen, sinnenden, man möchte sagen
fernschauenden Ausdruck an; er hatte das Wesen eines
Mannes, der sich zu einem unabänderlichen Entschlusse
durchgerungen hat.
In Kapstadt rüstete Clifford einen kleinen Schoner aus,
mit dem er auf eigene Faust eine Aufsuchungsreise nach
den antarktischen Gewässern unternahm; seine Frau,
davon war er unerschütterlich überzeugt, lebte noch.
Seine gesamte Mannschaft blieb ihm treu und begleitete
ihn. Die Reise war erfolglos, obgleich sie allen Gefahren
trotzten, um die mit schwimmendem Eise bedeckten
Gewässer nach allen Richtungen zu durchforschen. Man
kehrte erst um, als die Proviantvorräte vollständig aufgezehrt waren.
Noch einmal wiederholte Clifford diesen Versuch – abermals vergebens. Dann waren seine Mittel erschöpft, und
er mußte das in den Augen jedes Verständigen aussichtslose Unternehmen aufgeben.
Wenn ich sage: jedes Verständigen, so sind darunter
die Mannschaften Cliffords nicht mit einbegriffen. Er
selbst ist ja unzurechnungsfähig und hat dafür eine
vollwichtige Entschuldigung, aber es ist merkwürdig,
seine fixe Idee hat auf eine so nüchterne und erfahrene
SPRACHRAUM
Schar von Leuten wie seine ehemaligen Offiziere und
Mannschaften ansteckend gewirkt. Denn, um das hier
zu erwähnen, die Leute, die jetzt auf meinem Schiff, der
»Lady Godiva«, dienen, sind noch immer dieselben, die
auf der Carnatic gewesen sind, und sie alle teilen den
unverbrüchlichen Glauben ihres Kapitäns, daß sie eines
Tages doch noch die Carnatic und Frau Fanny Clifford
wiederfinden werden. Darum nehmen sie nur Dienst auf
Schiffen, deren Dienst sie nach den südlichen Teilen des
Atlantischen und des Indischen Ozeans führt. Sogar der
Steuermann ist geblieben; er hätte längst selbst Kapitän
sein können, aber er verläßt seinen alten Vorgesetzten
nicht und macht dessen Torheiten mit.
Der Steuermann hat mir diese ganze Geschichte erzählt,
und sein fester Glaube an die Illusionen des Kapitäns
rührt wohl daher, daß er ein Norweger und, wie viele
seiner Landsleute, eine mystisch veranlagte Natur ist. Ole
Johannesen hat einen ganzen Abend auf seiner Wache
mit mir darüber gesprochen und meinen ursprünglichen Skeptizismus stark erschüttert.
Die Carnatic war, als sie verlassen wurde, noch vollkommen dicht und seetüchtig. Man konnte daher, wenn sie
in offenem Wasser trieb, darauf rechnen, daß sie trotz
ihres Mangels an jeglicher Besatzung nicht gleich verunglücken würde. Sie war allerdings im Eise eingefroren
und daher mancherlei Gefahren ausgesetzt, aber die sind
nicht so schlimm, wie man glauben könnte. Das Eisfeld,
auf das sie gehoben war, hatte eine große Ausdehnung,
so daß ein Zusammenstoß mit Eisbergen eine sehr fernliegende Eventualität war. Vielmehr mußte diese eisige
Umklammerung eher als eine Art Schutzwall dienen.
Da sie nun bei den verschiedenen Expeditionen nicht
aufgefunden worden ist, so ist die Annahme gerechtfertigt, daß sie mit seinem treibenden Eisfelde noch weiter
südwärts in den Gürtel des festen Eises geraten und dort
vollkommen eingefroren ist. Die letzten Winter sind
ungewöhnlich streng, die Sommer kalt und unfreundlich gewesen; ein milderer Winter und ein früherer
Sommer werden das feste Eis wegschmelzen und die
Carnatic befreien; sie wird ins Wasser sinken und von
den vorherrschenden Strömungen nordwärts getrieben
werden.
Gegen diese Ausführungen Johannesens hatte ich nicht
viel einzuwenden. Ein Bedenken jedoch konnte ich
67
nicht unterdrücken. Ich fragte ihn:
»Nach Ihren Mitteilungen ist der traurige Vorfall vor
ungefähr drei Jahren passiert, nicht wahr?«
»Genau drei Jahre und fünf Monate.«
»Wie wird, angenommen, daß alles so verlief, wie Sie
sich vorstellen, Frau Clifford sich während dieser langen
Zeit ernähren?«
Da kam ich aber schön an! Johannesen lachte gerade
hinaus: »Wir hatten für unsere gesamte Mannschaft
für ein Jahr Proviant an Bord; davon war höchstens ein
Viertel verbraucht, mit dem Reste könnte ein starker
Esser über zehn Jahre leben.«
Ich schwieg. Wie ich schon vorhin bemerkte, die
Zuversicht dieser wackeren Leute hat mich mit angesteckt. So unterdrückte ich meine Besorgnis, Fanny
Clifford könnte der Kälte erlegen sein oder in einem
Anfall leicht begreiflicher Verzweiflung Hand an sich
selbst gelegt haben. Die Antwort würde lauten: »Das
könnte sein, aber es müßte nicht sein.«
Übermorgen fahren wir von hier weiter. Ich bin von
derselben unvernünftigen und fieberhaften Spannung
ergriffen wie meine Schiffsgenossen; es sollte mich nicht
wundern, wenn eines schönen Morgens die Carnatic
vor uns auftauchte, eine weiße Gestalt an der Brüstung
stehend, die uns zuwinkte! ...
Das Abenteuer des Kapitän Clifford hat ein so hochdramatisches Ende genommen, daß ich noch jetzt nicht
ohne die tiefste Erschütterung daran denken kann. Bis
in meine Träume hinein verfolgt mich das Erlebnis, und
ich fahre in Schweiß gebadet und an allen Gliedern zitternd auf, wenn ich noch einmal sehe und höre, was ich
dort sehen und hören mußte. –
Die Eisverhältnisse waren dies Jahr besonders günstig,
und man durfte darauf rechnen, daß wir dem Pol näher
kommen würden, als sonst möglich war.
Unter diesen Umständen wuchs die Spannung an Bord
unserer Lady Godiva mit jeder Stunde, und als eines
Mittags der Kapitän ankündigte, wir hätten heute den
Breitengrad erreicht, unter dem damals die Carnatic
eingefroren war, da ging es durch uns alle wie ein
Erschauern.
Noch segelten wir südwärts und diesen Kurs änderten
wir erst am nächsten Tage, als wir an das feste Packeis
Wasser-Prawda | August 2015
68
SPRACHRAUM
kamen; dann wurde der Bug des Schiffes nach Osten
gerichtet, und wir blieben, soweit es ohne Gefahr geschehen konnte, dicht an der Grenze des Eises. Nachts
wurden die Segel beschlagen, und wir legten bei, damit
wir nicht etwa in der Dunkelheit an der Carnatic
vorbeifuhren.
So waren wir drei Tage gesegelt und hatten dabei auch
den Längengrad erreicht, unter dem die eingefrorene
Carnatic lag. Wir fuhren unmittelbar über den Fleck
hinweg, wo sie gelegen haben mußte, und obgleich die
Sonne bei heiterer Luft hell schien und weit und breit
keine Spur von einem Schiff zu sehen war, hatten wir
doch alle ein Gefühl, wie man es haben mag, wenn man
die Nähe eines Geistes ahnt. Wir warfen das Blei und
hatten mit hundertzwanzig Faden Grund; der Talg am
unteren Ende des Bleies brachte Kies und Sand herauf;
hier lag kein versunkenes Schiff.
Am nächsten Morgen winkte mir der Steuermann Ole
Johannesen zu, um mir heimlich etwas mitzuteilen. Sein
Gesicht war aschfahl. »Ich will‘s dem Alten nicht sagen,«
flüsterte er mir zu, indem er auf den Kapitän zeigte,
der mit einem Fernrohr den ganzen Horizont absuchte.
»Aber Sie sollen es wissen, weil Sie von uns allen der
ungläubigste sind. Merken Sie auf meine Worte, und
denken Sie daran, wenn Sie wieder zweifeln wollen:
heute nachmittag werden wir die Carnatic sichten.«
Ich starrte den Mann mehr erschrocken als ungläubig an.
»Ja, Sie werden es erleben,« fuhr Johannesen fort. »Ich
bin heute nacht aufgewacht, und da habe ich es gesehen.
Die Carnatic schwimmt noch, und in wenigen Stunden
werden ihre Masten am Horizont auftauchen – dort im
Nordosten – und dann ...«
»Sie haben geträumt, Mensch,« sagte ich. »Das ist der
Alp – da bildet man sich ein, daß man wacht, und in
Wirklichkeit schläft man ...«
»Na ja, wie Sie meinen,« erwiderte Johannesen gleichmütig. »Wir werden ja sehen. Passen Sie nur auf, wie‘s
kommt. Ich habe deutlich den Namen Carnatic am Bug
gesehen – so nahe war ich heran.«
»Und die Frau des Kapitäns?«
»Davon weiß ich nichts. Das Gesicht erlosch mit dem
Augenblick, da wir das Boot aussetzten. Aber aus dem
Nebel ist dann noch ein anderes Bild aufgestiegen ...«
Er neigte sich zu mir und flüsterte mir etwas ins Ohr,
Wasser-Prawda | August 2015
was mich bis an die Lippen erbleichen machte.
Das Mittagessen ging sehr schweigsam vorüber; Clifford
war von einer Unruhe erfaßt, als habe er ebenso wie
Johannesen eine Ahnung, daß die Erfüllung seiner
Wünsche unmittelbar bevorstehe. Kaum hatte er einige
Löffel Hühnersuppe gegessen, als er aufstand und wieder
auf das Verdeck eilte. Johannesen sah ihm gedankenvoll
nach und nickte. »Wir haben noch eine Stunde Zeit«,
sagte er. »Lassen Sie uns essen; wer weiß, ob wir nachher
noch Appetit haben!«
Trotzdem beeilten auch wir uns nach Möglichkeit und
folgten dann dem Kapitän nach oben. Merkwürdig!
Die gesamte Mannschaft war von demselben Fieber verzehrender Ungeduld ergriffen und stand vollzählig an
Deck, vom Bug und über das Bollwerk hinweg nach
Nordosten blickend.
Vier Glasen zum Zeichen der abgelaufenen vollen Stunde
schlug der Mann am Steuer an: es war ein Uhr nachmittags. Das Fieber meiner Erwartung war auf einen
unerträglichen Grad gestiegen. Noch eine Viertelstunde
verging, da ertönte vom Mastkorb herunter der Ruf:
»Ship ahoy!«
Ein Schiff in diesen Breiten! Es konnte kein anderes sein!
Johannesen stand bei mir – stumm sahen wir beide uns
an – jedem war der letzte Blutstropfen aus dem Gesichte
gewichen.
»Wo?« rief der Kapitän hinauf.
Der Mann wies mit der Hand nach links und vorn,
Clifford sprang ans Steuer und drehte selbst das Rad, bis
der Bug des Schiffes gerade nach dem Himmelsstriche
wies, wo unser Ausguck das Schiff gesichtet hatte.
»So – stetig!« unterwies Clifford den Mann am Steuer.
»Nord-Nord-West – 2 West ...«
»Ay, ay,« erwiderte der Matrose.
Der Kapitän nahm nun sein Fernrohr und stieg selbst
in den Mastkorb hinauf.
Fünf Minuten sah er unausgesetzt nach der Gegend,
wo das fremde Schiff sichtbar war; dann schob er das
Fernrohr zusammen und kam langsam herunter.
»Es ist ein Dreimaster,« sagte er. »Und es ist – ich kenne
ihn – es ist die Carnatic.«
Und nun zuckte es plötzlich in seinem starren Gesicht,
und die Tränen stürzten ihm aus den Augen; er nahm
seine Mütze ab und hielt sie, wie betend, in den gefalteten
SPRACHRAUM
Händen vor das Gesicht. Von den Matrosen wischten
sich einige mit dem Ärmel über die Augen, andere starrten unverwandt ins Weite – die Masten knarrten, der
Wind pfiff im Tauwerk – sonst war es an Bord der Lady
Godiva still wie in einer Kirche.
Das Kielwasser schäumte und gurgelte hinter unserm
Heck in schnurgerader Linie, nach einer Viertelstunde
konnte man die drei Mastspitzen mit bloßem Auge
erkennen – noch eine Viertelstunde weiter, und wir
sahen, daß der Fremde segel- und steuerlos in der
Dünung schlingerte.
Das Boot wurde hergerichtet, um gleich zu Wasser
gelassen zu werden, sobald wir dem verlassenen Schiffe
so nahe gekommen sein würden, daß eine weitere
Annäherung gefährlich wurde.
Es war fast keine Überraschung mehr für uns, als wir
nach Verlauf von anderthalb Stunden den vom Wetter
hart mitgenommenen Rumpf so weit unterscheiden
konnten, daß sein Zustand das jahrelange Verlassensein
des Dreimasters zur Gewißheit machte. Nun drehte
sich der Rumpf schwerfällig ein wenig, und der letzte
Zweifel schwand: dort stand es in verblichenen goldenen Buchstaben:
Carnatic.
Ein Bild trostloser Öde und Melancholie war das
unglückliche Schiff, dessen Planken von Farbe entblößt
waren, dessen Segelbruchstücke in kurze Fetzen zerrissen an den Rahen hingen, dessen Taue und Wanten
jene Lockerung aufwiesen, die dem Auge des sorgsamen
Seemanns ein so widriger Anblick ist. Wir waren so nahe,
daß wir das Knarren der Masten und das Knirschen der
rostigen Ruderketten hören konnten.
Das Boot wurde bemannt, Kapitän Clifford, Ole
Johannesen, ich und sechs Matrosen stiegen ein, und
wir ruderten nach dem Schiffe hin. Während der ganzen
Fahrt wurde kein Wort gesprochen.
Für einen Nichtseemann wäre es schwierig gewesen,
auf das Verdeck des ziemlich hoch aus dem Wasser aufragenden Schiffes zu gelangen, da keine Treppe und
kein Tau hinaushing; Johannesen aber und der Kapitän
kletterten ohne große Mühe hinan, und der erstere
half mir hinauf; als ich fröstelnd und aufgeregt vom
Bollwerk auf das Deck sprang, war der Kapitän schon
die Kajütentreppe hinuntergeeilt; wir folgten langsamer.
69
Zwei der Matrosen, die ebenfalls an Bord geklettert
waren, begaben sich in den Raum und in das vorn gelegene Mannschaftslogis, um auch diese Örtlichkeiten zu
durchsuchen.
In der Kajüte fanden wir nichts, auch im Schlafzimmer
des Kapitäns nichts; das Suchen der Matrosen blieb
ebenfalls erfolglos; stundenlang setzten wir unsere
Nachforschungen fort, und wir würden jetzt das Schiff
wieder verlassen haben, wenn uns nicht ein eigentümlicher und unheimlicher Umstand zurückgehalten hatte.
Die Luft in der Kajüte und im Mannschaftslogis war
dick und muffig, wurde aber, da wir alle Türen und
Luken öffneten, bald besser. Und nun merkten wir,
daß ein beängstigendes Gefühl, das wir in der Kajüte
nicht los werden konnten, nicht, wie wir anfänglich
geglaubt hatten, der schlechten Beschaffenheit der Luft,
sondern etwas anderm zuzuschreiben war. Während uns
auf dem Verdeck und in allen übrigen Räumlichkeiten
des Schiffes nichts auffiel, hatten wir in der Kajüte ein
beklemmendes Gefühl, vor dem sich mir die Haare
sträubten.
»Wie ist Ihnen hier?« fragte mich Johannesen, und ich
las in seinen Augen, welche Antwort er erwartete.
»Wie Ihnen, Maat,« erwiderte ich. »Ich sehe niemand,
aber ...«
»Es ist außer uns noch jemand da,« vollendete Johannesen
den Satz.
Das war es, und wir merkten Clifford an, daß es ihm
ebenso gehe wie uns. Darum ließen wir mit Suchen nicht
nach und suchten an den unmöglichsten Stellen, auch
an solchen, wo wir schon gesucht hatten, immer wieder.
Die Sonne stand schon tief am Horizont, als wir endlich,
voll müder Traurigkeit, unsere Bemühungen aufgaben.
Der Kapitän bedeutete uns, daß er noch einmal in die
Kajüte gehen wolle, um nachzusehen, was von dort zu
bergen der Mühe wert sei. Wir wußten aber, daß dies
nur ein Vorwand sei, und Clifford noch einmal allein
und ungestört an dem Orte sein wollte, wo er so lange
mit seinem Weibe glücklich gewesen war; wir achteten
dies Gefühl und blieben oben an der Treppe stehen.
Zwei Minuten mochten verstrichen sein, da hörten wir
einen lauten Schrei und stürzten hinunter. Indem wir
in die Kajüte eintraten, sahen wir deutlich, wie die Tür
zu einer der Seitenkabinen zugeschoben wurde.
Wasser-Prawda | August 2015
70
SPRACHRAUM
Ein einfacher und doch grauenhafter Umstand! Denn
außer uns und dem Kapitän war kein irdisches Wesen
im Zimmer.
Doch etwas anderes nahm unsere Aufmerksamkeit
zunächst in Anspruch. Der Kapitän saß starr und
regungslos auf dem Sofa. Er war tot. In der Hand hielt er
einen Fetzen bunten Wollenzeuges, seine offenen Augen
trugen den Ausdruck des Entzückens, sein Antlitz war
wie zu einem freudigen Lächeln verzogen.
Johannesen und ich drückten uns wortlos die Hand.
Das war es, was wir gefürchtet hatten, seit wir Johannesens
Vision kannten. Er hatte nämlich geschaut, wie man die
Leiche des Kapitäns nach Seemannsart in das Meer versenkte. Doch waren damit die grauenhaften Umstände
noch nicht erschöpft.
Der Schrei, den wir oben gehört hatten, war ein weiblicher gewesen. Und in der Kabine, deren Tür vor unsern
Augen zugeschoben worden war, fanden wir, als wir
endlich den Mut faßten, einzutreten, eine zur Mumie
eingetrocknete weibliche Leiche, die von Johannesen
und den Matrosen als Frau Fanny Clifford erkannt
wurde. Sie trug ein buntes wollenes Kleid, dem am
Ärmel das abgerissene Stück fehlte, das wir in Cliffords
Hand gefunden hatten.
Noch eins darf ich nicht unerwähnt lassen; jene Kabine
war von uns wie jeder andere Raum des Schiffes vorher
genau durchsucht worden, ohne daß wir darin eine Spur
von Frau Clifford gefunden hätten.
Wir hatten nur den einen Gedanken, von dem unheimlichen Schiffe so rasch wie möglich fortzukommen. Wir
ruderten nach der Lady Godiva zurück, und erst nach
geraumer Zeit hatten wir uns so weit überwunden, daß
wir noch einmal an Bord der Carnatic zurückkehrten,
um den Verstorbenen ein christliches Begräbnis zuteil
werden zu lassen.
Wir holten die Leiche des Kapitäns zu uns an Bord und
bahrten sie in der Nacht in der Kajüte auf, nachdem
wir sie in Segeltuch eingenäht und eine eiserne Kugel
an ihren Füßen befestigt hatten.
Meine Anregung, auch die verstorbene Frau des Kapitäns
in gleicher Weise für das Begräbnis vorzubereiten, war
auf den hartnäckigen Widerstand der Seeleute gestoßen. Keiner wollte, um die Leiche zu holen, an Bord
des verfluchten Schiffes zurückkehren. Alle meine
Wasser-Prawda | August 2015
Vorstellungen und Bitten waren vergebens; ich nahm
mir vor, diese am nächsten Morgen zu wiederholen,
aber was in der Nacht geschah, war derartig, daß ich
selbst um alle Schätze der Welt nicht auf die Carnatic
zurückgekehrt wäre.
Ich war nämlich, wie wir alle, lange wach geblieben; da,
kurz vor dem Schlafengehen, wurde ich noch einmal
von Johannesen auf das Deck hinaufgerufen, um etwas
zu sehen, was die gesamte, auf dem Hinterdeck stehende Mannschaft mit Staunen und Grausen erfüllte.
Die Carnatic trug die vorgeschriebenen Lichter, grün an
Steuerbord und rot an Backbord, und die Kajütenfenster
waren hell erleuchtet. – Ich habe die ganze Nacht kein
Auge zugetan.
Und doch sollte auch mit diesem nächtlichen Spuk
noch nicht die letzte Szene der furchtbaren Tragödie
gekommen sein. Als wir die Leiche des Kapitäns über
die Reling in ihr nasses Grab hinabgleiten ließen, erhob
sich, unser stilles Gebet unterbrechend, plötzlich ein
gemeinsamer Ruf aus allen Kehlen. Die Carnatic, die
nur wenige Kabellängen von uns entfernt dahintrieb,
krängte ohne ersichtliche Ursache stärker als bisher erst
nach Backbord und darauf nach Steuerbord über und
schoß dann jählings, mit dem Buge voran, in die Tiefe.
Die Wellen liefen in wirbelnden Strudeln über der Stelle
ihres Untergangs zusammen, der Schaum spritzte in die
Luft, die Lady Godiva schwankte in den von dort herüberkommenden Wogenreihen, die ihren Weg weiter
nach Süden fortsetzten, und dann war alles vorbei.
Wir hatten gestern die Carnatic genau untersucht und
wußten gewiß, daß sie nur sehr wenig Wasser im Rumpf
und nirgends einen Leck hatte.
Der Untergang des gespenstischen Schiffes war ebenso
unerklärlich wie alles andere, was mit ihm zusammenhing. – –
SPRACHRAUM
71
DIE
VESTALINNEN
Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt
nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ
29. YAMYHLAS RACHE
Der ›Blitz‹ lag im Hafen von Bombay zwischen der
›Vesta‹ und dem ›Amor‹.
Wie damals in Alexandrien hatten Ellen, wie auch
Harrlington ihre Schiffe unter Aufsicht des Deutschen
Ingenieurs zurückgelassen; da dieser aber mit vierzig
von seinen Leuten selbst der Gesellschaft gefolgt war,
um sie bei ihrer Expedition nach Indien zu begleiten,
so hatte er seinen ersten Steuermann damit beauftragt,
mit dem Rest der Mannschaft über die Schiffe, und
besonders aber die zurückgebliebenen fünfzehn befreiten Mädchen zu wachen.
Jetzt stand der Steuermann, ein kleiner, untersetzter
Mann mit intelligentem Gesicht, welches den Deutschen
verriet, an Deck des ›Blitz‹ und verhandelte mit einem
fremden Seemann. Ersterer schien in großer Verlegenheit
zu sein; denn er drehte unaufhörlich seinen Schnurrbart,
schob nervös den Kautabak von einer Backe zur anderen
und schritt dann wieder einige Male auf und ab.
»Es ist so, wie ich Euch sage,« fing endlich der fremde
Seemann wieder an, der den Steuermann spöttisch
lächelnd betrachtete, »ich kann mir Euer Mißtrauen
nicht erkären. Wenn es ein Telegramm wäre, so wäre
Grund dazu vorhanden, aber ein Brief mit ihrer eigenen
Unterschrift, müßte doch Euer Bedenken beseitigen.«
»Aber warum giebt mir mein Kapitän nicht den
Bescheid, daß ich die ›Vesta‹ mit Euch segeln lassen
soll? Offen gestanden, ich mißtraue Euch.«
»Hahaha,« lachte der andere. »Seid Ihr ein Hasenfuß!
Ganz einfach, der Kapitän Hoffmamn ist nicht bei der
Miß Petersen; wer weiß, wo er gerade steckt, und das
Mädel bekam mit einem Male den Einfall, ihr Schiff
nach Madras kommen zu lassen und sich von dort einzuschiffen. Wie gesagt, ich und meine Mannschaft haben
gerade nichts zu thun, weil unser Schiff stark leckt und
im Dock liegt. So kam nun Kapitänin Petersen zu
mir, weil sie mir, dem Kapitän Green von der ›Eleanor‹
am meisten traute, und hieß mich mit meiner ganzen
Mannschaft nach Bombay reisen, um die ›Vesta‹ nach
Madras zu bringen. Ebenso wie Ihr, hat auch der
Hafenbeamte den Befehl bekommen, die ›Vesta‹ unter
meinem Kommando auslaufen zu lassen. Was giebt‘s da
noch für Bedenken?«
Adam Nagel, der erste Steuermann des >Blitz<
holte einen Brief aus der Brusttasche, der vom vielen
Auseinander und Zusammenfalten schon ganz zerknittert war.
»Ja, es stimmt,« sagte er, nachdem er ihn wenigstens zum hundertsten Male gelesen hatte, »hier sagt
Miß Petersen, die ›Vesta‹ soll unter dem Kommando
von Kapitän Green und mit dessen Mannschaft nach
Madras segeln, und Eure Papiere beweisen, daß Ihr
wirklich der Kapitän Green von der ›Eleanor‹ seid. Auch
Wasser-Prawda | August 2015
72
SPRACHRAUM
schreibt sie, daß die Hafenbeamten davon benachrichtigt sind. Der Poststempel ist Madras, ihre Unterschrift
kenne ich und sie ist die richtige, ich habe, weiß Gott,
keinen Grund, Euch zu mißtrauen.«
»Dann begebe ich mich an Bord der ›Vesta‹, meine
Matrosen liegen am Quai, und ich steche sofort in die
See. In zwei Stunden haben wir Flut.«
»Stimmt,« entgegnete der Steuermann, »und ich sage
Euch, in zwei Stunden sollt Ihr an Bord gehen dürfen,
aber nicht eine Minute früher. Bis dahin werde ich von
meinem Kapitän per Telegraph eine Antwort erlangen;
ich weiß sein Hotel.«
»Thut das,« entgegnete Kapitän Green, stieg in sein
Boot und ließ sich ans Land rudern, um Vorbereitungen
für seine Abreise treffen zu können.
Adam Nagel schrieb einige Zeilen auf ein Blatt Papier.
»Georg,« rief er dann durch eine Luke ins Zwischendeck
hinab. »Schnell auf die nächste Poststation und dieses
Telegramm abgeben, halte Dich aber nicht so lange wie
gewöhnlich auf.«
Damit händigte er der Ordonnanz das Papier ein.
»Well, Steuermann,« sagte Georg, als er über die
Bordwand ins Boot stieg, »hin komme ich schnell, rückwärts aber desto langsamer.«
Der Steuermann schritt unruhig an Deck auf und
ab und kaute an den Fingernägeln; es kam ihm zu sonderbar vor, daß ein fremder Kapitän mit der ›Vesta‹
nach Madras segeln sollte; ebensogut hätten diese
Uebersiedelung doch einige Leute vom ›Blitz‹ besorgen
können; denn nur zwölf Leute waren zu dieser kleinen
Reise nötig, und so hätte er immer noch zehn Matrosen
an Bord behalten.
Aber Adam Nagel gab etwas auf das Aeußere von
Personen, und dieser Kapitän hatte mit seinem kühnen,
treuherzigen Gesicht einen guten Eindruck auf ihn
gemacht, nur daß er die Haare über die Stirn bis in die
Augen gekämmt hatte, gefiel ihm nicht.
Uebrigens mußte ja bald ein Postbote mit der Antwort
Kapitän Hoffmanns kommen, wenn nicht, so traf ihn
trotzdem keine Schuld – es ging alles vorschriftsmäßig.
Ehe noch der neugierige Georg, der sich immer, wenn
er seinen Auftrag erledigt hatte, gern in der Stadt herumtrieb, an Bord zurückgekommen war, durchschnitt
ein Postboot mit zwölf eingeborenen Ruderern wie ein
Wasser-Prawda | August 2015
Pfeil die Wellen und legte zur Seite des ›Blitz‹ bei.
Hinter ihm folgte langsamer das des fremden
Kapitäns.
»Steuermann Adam Nagel, Vollschiff ›Blitz‹«,« rief
unten der Postbeamte.
»Hier,« antwortete der Gerufene und nahm das
Telegramm ab.
»Das ging ja ungeheuer fi x, aber unmöglich ist es
nicht, alles Schlag auf Schlag.« Er öffnete es und las.
»Die ›Vesta‹ segelt unter Kapitän Green nach Madras.
F. Hoffmann.«
»Die Sache ist in Richtigkeit,« sagte er zu dem nun
an Bord kommenden fremden Seemann. »Ihr könnt an
Bord der ›Vesta‹ gehen und die Anker lichten.«
»Sagte ich es nicht? Lebt wohl! In einer Stunde stechen
wir in See.«
Green begab sich wieder an‘s Land zurück, und Adam
Nagel sah, wie er bald darauf mit fünfzehn Matrosen vom
Lande abstieß und sich auf das Damenschiff begab. Die
fremden Seeleute, anscheinend verschiedenen Nationen
angehörend, trafen Vorbereitungen zur Abreise, ordneten die Takelage, schmierten die Ankerrollen, und eine
Stunde später verließ die ›Vesta‹ den Hafen von Bombay,
den Lootsen an Bord.
Der nachblickende Steuermann sah noch, wie das
Vollschiff unsicher hin- und herkreuzte, bis es das
offene Fahrwasser erreichte, der Wind legte sich in die
Segel, und bald war die weiße Leinwand seinen Augen
entschwunden.
»Georg!« rief wieder der Steuermann.
»Georg ist noch nicht wieder zurück,« autwortete ihm
der Bootsmann.
»Was,« schrie Nagel, »nach zwei Stunden noch nicht
wieder an Bord? Der Bursche übertreibt die Sache denn
doch etwas, ich werde es einmal dem Kapitän erzählen!«
Er schritt mit auf den Rücken gelegten Händen an
Deck hin und her, manchmal nach der Uhr sehend.
Seine Züge nahmen einen immer besorgteren Ausdruck
an, wenn er auf die Frage nach Georg eine verneinende
Antwort erhielt.
»Rätselhaft,« brummte er vor sich hin, »Georg ist zwar
ein Bursche, der sich gern alles ansieht, aber er braucht
zu seinen Wegen nicht länger Zeit als ein anderer, weil
er auf dem Hinwege rennt und erst auf dem Rückwege
SPRACHRAUM
gemütlich schlendert. Sollte ihm etwas zugestoßen sein?
Weiß der Teufel, ich bekomme einen Verdacht gegen
den Kapitän Green nicht aus dem Hirnkasten. Werde
einmal selbst an Land gehen und nach Georg forschen.«
Er ließ sich an Land rudern, nahm einen Wagen und
fuhr nach der nächsten Poststation. Ein Telegramm
jenes Inhalts, wie der Steuermann angab, war hier nicht
aufgegeben worden — Nagels Gesicht zog sich in die
Länge. Er wollte wieder gehen, doch er drehte wieder
um und füllte ein Telegrammformular aus.
»Kapitän Felix Hoffmann, Madras, Hotel France. Die
›Vesta‹ ist unter Kapitän Green nach Madras abgesegelt.
Richtig? A. Nagel.«
Dann gab er die Weisung, daß die Antwort hier liegen
bleiben sollte, bis er sich selbst das Telegramm abholen
würde, und fnhr nach dem Haupttelegraphenamt.
Fast eine Stunde verging, ehe der Steuermann den
ihn niederschmetternden Bescheid erhielt, daß in ganz
Bombay kein Telegramm mit angegebenem Inhalte aufgegeben worden sei.
Wie ein Verzweifelter langte er auf der ersten Station
wieder an, wo bereits eine Antwort seiner wartete, und
das Papier zitterte in seinen Händen, als er las:
»Kreuzt die ›Vesta‹ noch vor dem Hafen, bringt sie
zurück, ist sie außer Sicht, macht den ›Blitz‹ seebereit
Komme sofort. Felix Hoffmann.«
»Meine Ahnung,« stöhnte der Steuermann und stürzte
nach dem Wagen.
Der zum ersten Male so Hintergangene dachte vorläufig gar nicht an den verschwundenen Georg; er trieb
den Kutscher zur höchsten Eile an. Ehe er sich über die
Bordwand schwang, erfuhr er schon, daß Georg noch
immer nicht zurück sei; aber das galt ihm jetzt gleich,
erst mußte er den Auftrag des Kapitäns erfüllen.
Hell schrillten die Töne seiner Pfeife durch das Schiff,
wiederholt vom Bootsmann, und im Inneren des stählernen Baues begann ein Laufen und Arbeiten, daß die
Masten bis in die Spitzen erzitterten.
»Wie verhalten sich die Weiber?« fragte an Bord der
›Vesta‹ Kapitän Green einen vierschrötigen Kerl mit einer
Galgenphysiognomie, der sich neben ihm über Bord
lehnte und dem Spiel des Kielwassers zusah.
»Sie glauben mir alles, nur die eine Schwarze ist
mißtrauisch,« antwortete er, »die scheint überhaupt
73
ein Teufelsweib zu sein. Augen hat sie im Kopfe, wie
glühende Kohlen, und merkwürdig, ich bin doch ein
guter Schläger, aber mit der möchte ich nicht boxen,
ich glaube, die kann einem die Knochen im Leibe
zerschlagen.«
Der Kapitän lächelte.
»Hat jedenfalls auf einer Plantage schwere Arbeiten
verrichten müssen.«
»Fesselt sie lieber, Kapitän, ich traue ihr nicht. Viel
ausrichten kann sie nicht, aber die ist so eine, die über
Bord springt und dabei jemanden zur Gesellschaft
mitnimmt.«
»Unsinn, Jack. Wir wollen lieber möglichst harmlos
die Sache erledigen. Sind sie erst an Bord der ›Seenixe‹
dann kann uns gleichgiltig sein, was weiter mit ihnen
geschieht.«
»Der Demetri hat immer wundervolle Namen für sein
Schiff, erst ›Undine‹ und nun wieder ›Seenixe‹. Möchte
wissen, welchen Namen er dann ausfindig macht. Wann
will er Euch die Ladung abnehme?«
»Weiß nicht, Jack,« antwortete der Kapitän zerstreut,
denn er hatte die Takelage gemustert und gab jetzt ein
Kommando, an dessen Ausführung sich alle Matrosen
beteiligten, ausgenommen, der mit Jack Angeredete, der
ruhig neben dem Kapitän stehen blieb.
Als die Segel in Ordnung waren, sagte Green:
»Demetri kreuzt in diesen Breiten, wir können ihn
jede Stunde treffen.«
»Was habt ihr für einen Vertrag mit ihm abgeschlossen?« fragte Jack, der mit dem Kapitän auf sehr vertraulichem Fuße zu stehen schien.
»Ich behalte die ›Vesta‹, und er bekommt die Mädchen,
ein sehr gutes Geschäft für mich. Ich hätte mich ja eigentlich nicht in seine Angelegenheiten mischen dürfen, da
aber die Sache geglückt ist, so schadet es nichts. Demetri
wird glücklich sein, wenn er seine Ladung hat; besser ist
es, es fehlen nur drei Sklavinnen, als wenn sie alle weg
wären. Den Schlag würde er nicht aushalten können;
der Meister hat dafür gesorgt.«
»Der Tausch ist nicht schlecht,« meinte Jack. »Habt
Ihr die Einrichtung der ›Vesta‹ schon genauer angesehen? Sie ist pompös!«
»Wertloser Plunder!« sagte der andere geringschätzend. »Das Schiff ist mir die Hauptsache. Als mein
Wasser-Prawda | August 2015
74
SPRACHRAUM
voriges wrack wurde, hätte ich nicht gedacht, daß ich
hier ein solches bekommen würde.«
Beide schwiegen einige Zeit.
»Die Geschäfte gehen jetzt schlecht,« begann wieder
der Kapitän.
Jack stieß einen furchtbaren Fluch aus.
»Nichts ist es mehr,« sagte er ingrimmig, »wohin man
auch hört, überall wird eiem von Mißerfolgen erzählt.
Dem Demetri werden die Sklavinnen abgenommen,
und jene verfluchten Weiber, welche es gethan haben,
eutziehen sich allen Schlingen des Seewolfs. Wenn der
übrigens nicht schnell einen Handstreich ausführt, wird
er seine Rolle bald ausgespielt haben. Mein Kollege Bill
munkelte davon, daß bereits andere vom Meister auf die
Mädchen gehetzt worden wären.«
»Was macht denn dein Kollege? Kocht er noch immer
seine schmackhaften Gerichte?« lachte der Kapitän.
Jack fluchte wieder.
»Dem ist ebensowenig wie mir jemals etwas mißglückt, das wißt Ihr auch, Green,« sagte er prahlerisch,
»aber wenn wir keine Aufträge bekommen, können
wir natürlich nichts machen. Nun fahre ich schon
ein Vierteljahr mit Euch herum und habe uoch keine
Gelegenheit gehabt, ein Schiff auf den Grund zu senken.
Des Meisters Kasse muß gut gefüllt sein, daß er kein
Versicherungsgeld braucht.«
»Sagt, Jack, was wird mit dem Burschen gemacht,
dem wir das Telegramm abnahmen?«
»Weiß nicht, so ein indischer Großer hat ihn gleich
mit Beschlag belegt, will wahrscheinlich von ihm etwas
über den ›Blitz‹ erfahren. Seht da,« unterbrach sich der
Sprecher, »ein Segel.«
verschwanden im Zwischendeck.
Die Brigg kam schnell näher und lag nach einer
halben Stunde längsseit der ›Vesta‹.
Wie erschraken die armen Mädchen, als sie, sich
über die durch das Aneinanderstoßen entstandene
Erschütterung ängstigend, an das Deck kamen und in
das vor Freude strahlende Gesicht des Demetri blickDer Kapitän hatte während des Gesprächs nicht acht ten, der eben über die Bordwand sprang.
»Habe ich Euch wieder, meine Täubchen?« frohlockte
auf den Horizont gehabt. Das ankommende Schiff hatte
sich soweit genähert, daß man seine Bauart mit den er. »Diesmal werde ich Euch besser behüten.«
Ohne sich zu sträuben, begaben sich die Mädchen
bloßen Augen erkennen konnte.
an Bord des Schiffes, welches sie einst mit solchem
»Endlich,« rief er, »die ›Seenixe‹!«
»Dann rate ich Euch nochmals, bindet die Schwarze, Entzücken verlassen hatten. Ihre Hoffnung war dahin.
Yamyhla wurde gebunden hinübergeschaff t. Mit fest
sie macht Euch sonst Schwierigkeiten, wenn sie die
zusammengepreßten
Lippen schritt sie an dem Griechen
Täuschung bemerkt.«
»Ihr seid ja furchtbar ängstlich!« lachte Green. »Doch vorüber, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
»Wohin segelt Ihr, Demetri?« fragte Green diesen.
ich werde Euren Rat befolgen.«
Er gab einigen Matrosen Befehle, und diese »Nach Smyrna, wohin Ihr sie zuerst bringen solltet?«
»Seid Ihr verrückt? Nachdem diese dummen
Wasser-Prawda | August 2015
SPRACHRAUM
Amerikanerinnen ihre That in der Welt ausposaunt
haben? Nein, ich gehe nach einem Schlupfwinkel an
der Ostküste Afrikas, in der Nähe von Mogador, und
hole mir dort weitere Befehle vom Meister. Und Ihr?«
»Wir segeln westwärts, nach Sumatra zu. Unterwegs
müssen wir das Aussehen der ›Vesta‹ ändern. Nehmt
Euch in acht, daß die Weiber Euch die Mädchen nicht
wieder abjagen!«
Sie sprachen noch einige Zeit zusammen, dann schlug
jedes Schiff seinen Kurs ein.
Die Gefühle der Mädchen lassen sich nicht beschreiben, als sie sich wieder in dem niedrigen Zwischendeck
befanden, an demselben Platze, wo sie vor einigen
Monaten gesessen hatten. Doch über jene Treppe war
Ellen zu ihnen gekommen, wie ein Engel, und hatte
ihnen die Freiheit verkündet, und nun – alles vorbei. Wie
glücklich waren ihre drei Gefährtinnen, welche bereits in
die Heimat zurückgebracht worden waren! Ach, wären
sie doch damals lieber gleich verkauft worden, als daß
sie sich so lange mit Hoffnungen und Zukunftsträumen
herumgetragen hätten.
Yamyhla war nicht bei ihnen. Sie war gebunden in
eine enge Kabine gesperrt, denn Demetri war jetzt vorsichtig geworden und traute der wildblickenden Negerin
nicht mehr.
Der Grieche weidete sich an der Furcht der Mädchen
und konnte es nicht unterlassen, dieselben zu verhöhnen. Leider gelang es ihm nicht, sie zu reizen, denn die
armen Geschöpfe waren viel zu geängstigt, als daß sie
seine beißenden Witze verstanden hätten.
Er versprach sich besseren Erfolg bei Yamyhla und
begab sich zu dieser, denn er hatte von Green erfahren,
daß sie jetzt ziemlich gut Englisch spräche.
Als er in die Kabine trat, lehnte die Negerin, die
Hände auf den Rücken gebunden an der Wand der Koje
und hatte den Blick zu Boden geheftet.
»Nun, Schatz,« begann der Grieche, »ist es hier nicht
viel schöner, als auf der ›Vesta‹? Hier brauchst du nicht
zu arbeiten, sondern bekommst dein Essen umsonst.
Was meinst du?«
Die Negerin beachtete ihn nicht.
»Nur nicht so stolz,« lächelte er, »wenn du erst die
hundertste Frau eines Türken oder Persers bist, dann ist
immer noch Zeit dazu, es zu werden. Was sagst du zu
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meinem Vorschlag, willst du nicht so lange mein angetrautes Eheweib werden?«
Yamyhla schwieg beharrlich.
»Ihr Negerinnen seid doch sonst nicht so spröde,«
fuhr er lachend fort und streckte die Hand aus, um sie
am Kinn zu fassen, »Sieh mich doch einmal an, bin ich
nicht ein ganz schmucker –«
Er kam nicht weiter.
Wie ein Raubtier sprang die Negerin auf den Griechen
zu und grub ihre Zähne in seinen Hals. Der Grieche
stürzte rücklings zu Boden und Yamyhla über ihn weg,
ohne ihn loszulassen; er versuchte, nach dem Dolch zu
greifen, aber das starke Weib lag so fest auf ihm, daß er
sich nicht bewegen konnte.
Mit blutunterlaufenen Augen – schon verging ihm
der Atem – griff er nach dem Halse des furchtbaren Mädchens und würgte es, aber vergebens, es ließ
nicht ab, die Zähne tiefer und tiefer in das Fleisch des
Verhaßten zu graben.
Fast schwand ihm die Besinnung, als einige Matrosen,
durch den schweren Fall herbeigelockt, die Thür öffneten und ihren Kapitän von der Negerin überfallen
sahen. Aber auch ihnen gelang es nicht, denselben den
Zähnen der Wütenden zu entreißen, bis ein Schlag mit
dem Pistolenkolben auf den Kopf sie bewußtlos machte.
Als Yamyhla wieder zu sich kam, war es Abend. Sie lag
an Deck an Händen und Füßen gefesselt, und Demetri
stand vor ihr, den Hals mit Tüchern verbunden. Er hatte
schon längst auf ihr Erwachen gewartet.
»Das sollst du mir büßen, Kanaille,« schrie er mit vor
Wut heiserer Stimme und trat sie mit Füßen. »Hast du
endlich ausgeschlafen? Dann ist es Zeit, dich für dein
Beißen zu belohnen. Habe ich drei Mädchen schon verloren, so kommt es auf eins mehr auch nicht an. An
den Mast mit dir, ich selbst will dir die neunschwänzige Katze zu schmecken geben, bis dir das Fleisch vom
Rücken fällt!«
Yamyhla wurde emporgerissen und an einen Mast
gebunden, das Gesicht diesem zugewandt, ihr Rücken
entblößt, und dann begann Demetri, sein Rachewerk
auszuüben.
Pfeifend sausten die langen Lederriemen der Peitsche,
auf Schiffen die geschwänzte Katze genannt, durch die
Luft, klatschend fielen sie auf den nackten Rücken der
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SPRACHRAUM
Wasser-Prawda | August 2015
SPRACHRAUM
Unglücklichen, und jeder der neun Riemen hinterließ
stets einen blutigen Streifen.
Nicht eher senkte Demetri den Arm, als bis die
Ermüdung ihn dazu zwang, und da glich der Rücken
der Schwarzen nur noch einer blutigen Masse. Es war
eine Wohlthat für sie, daß ihr schon nach den ersten
Hieben die Besinnung geschwunden war.
Atemlos hielt der Grieche inne, er warf die Peitsche
weg und ging, selbst von dem Blute der Gepeitschten
über und über bespritzt, in seine Kajüte, um durch einige
Gläser Wein seine Nerven zu beruhigen,
Einer der Matrosen fühlte in seinem steinernen Herzen
wenigstens so viel Erbarmen, daß er die Gemarterte aus
ihrer stehenden Lage erlöste, er ließ sie aber mit gebundenen Händen und Füßen liegen, wohin sie fiel. Dann ging
auch er in das Zwischendeck, um sich durch Kartenspiel
mit seinen Kameraden die Zeit zu vertreiben.
Yamyhla wußte nicht, wie lange sie so gelegen hatte;
als sie erwachte, war es finstere Nacht.
Sie wußte erst nicht, was mit ihr vorgegangen war,
aber die heftigen Schmerzen riefen ihr nur zu bald alles
ins Gedächtnis zurück.
Sie war geschlagen worden, sie, die Anführerin der
Dahomeamazonen.
Ein brennender Durst quälte sie, der Schmerz der
Wunden peinigte sie, aber das alles vermochte nicht,
die Nerven dieses Mädchens zu erschüttern. Es war dies
nicht das erste Mal, daß sie einen starken Blutverlust
erleiden mußte, sie hatte schon öfter in Schwert- und
Lanzenkämpfen mit Negern, mit denen sie fortwährend
in Streit lagen, Wunden davongetragen, sie war einst
schwach, hungrig und fast verdurstet, Tage und Nächte
lang durch Wüsten gelaufen, bis ihr Dolch den Weg
zum Herzen des Verräters gefunden, und so dachte sie
auch jetzt nicht an ihre Leiden, sondern nur daran, wie
sie Rache, die furchtbarste, entsetzlichste Rache üben
könnte.
Schon früher, ehe sie von den Vestalinnen befreit
wurde, hatte sie sich mit dem Gedanken an Flucht
beschäftigt. Es wäre ihr ein Leichtes gewesen, zu jeder
Zeit sich ihren Wächtern zu entziehen, aber sie hatte
es stets hinausgeschoben, bis sie auch weiter fortkommen konnte. Sie hatte ja noch sechzehn Monate Zeit.
Jetzt aber galt es zu handeln, denn Rache erleidet keinen
77
Aufschub – so war ihr gelehrt worden.
Sie blickte sich um.
Ein Matrose stand am Steuerrad, und ein anderer,
welcher auf den etwa wechselnden Mond zu achten
hatte, ging an Deck auf und ab – die übrigen lagen im
Zwischendeck und schliefen.
Sie lag neben einem Anker. Geräuschlos wandte sie
sich so, daß sie mit den Händen die scharfe Kante desselben erreichen konnte, und fing an, daran die Stricke
zu reiben. Jedesmal, wenn der Matrose an ihr vorüberkam, stellte sie ihre Arbeit ein und blieb wie tot liegen.
Es dauerte nicht lange, so fielen die Stricke von ihren
Händen.
Als der rastlos Wandernde am weitesten von ihr
entfernt war, zog sie aus den buschigen Haaren einen
kleinen Dolch in einer Lederscheide und zerschnitt vorsichtig die Banden an den Füßen. Sie verfuhr dabei so
behutsam und langsam, daß sie zweimal den Matrosen
vorüberlassen mußte.
Dieser ging zum dritten Mal an ihr vorbei und hatte
eben das Häuschen, in welchem sich die Küche befand,
die Kombüse, zwischen sich und dem am Ruder stehenden Matrosen, als sich eine Hand um seinen Hals legte
und ihm ein Dolch in den Rücken gestoßen wurde.
Lautlos fiel er, nein, wurde er zu Boden gelegt. Nicht
das geringste Geräusch hatte verraten, daß hier eben ein
kräftiger Mann seine Seele ausgehaucht hatte.
Der Mann am Ruder stand arglos vor dem Kompaß
und beobachtete die unruhig zitternde Magnetnadel.
Er bemerkte nicht, wie sich gleich einer Schlange ein
dunkler Körper an der Bordwand entlang wand. Kein
Geräusch, kein Anstoßen warnte ihn.
Eine halbe Minute später gab auch er seinen Geist
auf, von Yamyhlas Dolch getroffen.
Jetzt galt es, schnell zu handeln, denn gleich mußte
das Schiff, dessen Ruder nicht mehr gehalten wurde, aus
dem Wind drehen. Die Segel schlugen dann klatschend
an die Raaen, das Schiff fing stark an zu schwanken, und
so konnte leicht die übrige Mannschaft geweckt werden.
Aber schon stand Yamyhla unten im Zwischendeck,
wo die Matrosen schliefen, und hatte die Thür abgeschlossen, dann stieg sie wieder nach oben und verschloß
auch noch die Luke – die Besatzung war gefangen, es
kostete große Anstrengung, ehe sie sich befreien konnte.
Wasser-Prawda | August 2015
78
SPRACHRAUM
Nun schritt Yamyhla nach der Kajüte, leise öffnete
sie die Thür, den Dolch in der Hand, trat sie in den
Vorraum und dann in das Zimmer des Kapitäns. Er
schlief auf dem Sopha.
Sie näherte sich ihm behutsam, den Dolch zum
Stiche erhoben, und tastete vorsichtig nach der Tasche,
in welcher er den Schlüssel zu jener Luke hatte, durch
welche man zu den Mädchen gelangte. Yamyhla fürchtete immer, er könnte aufwachen, denn dann mußte sie
ihn töten, und nur ein einziger kleiner Stoß von dem
vergifteten Dolch brachte sofort den unfehlbaren Tod.
Es wäre schade gewesen, wenn er jetzt schon aufgewacht wäre.
Als sie den Schlüssel hatte, ging sie zurück, beide
Thüren hinter sich zuschmetternd und abschließend.
»Kommt, Ihr seid frei!« flüsterte eine Stimme den
Mädchen zu, welche zu träumen glaubten und der
Aufforderung nicht Folge leisten wollten.
Sie wurden mit Gewalt an Deck gedrängt.
»Hört Ihr, wie Eure Peiniger gegen die Thür wüten?
Schnell dieses Boot ins Wasser gelassen, dort dieses
Wasserfaß und diesen Brotsack hineingethan.«
So ordnete Yamyhla an und eilte zu den übrigen
Booten, deren Taue sie durchschnitt, so daß sie klatschend ins Wasser fielen.
»Schnell, in das Boot! Besser wir kommen in den
Wellen um, als daß wir länger Sklavinnen sind. Ihr
könnt doch nicht gegen die Männer kämpfen, und ich
bin jetzt zu schwach dazu, um sie alle einzeln zu überwältigen. Schnell, ins Boot!«
Die noch halb schlaftrunkenen Mädchen ließen das
Boot ins Wasser und ergriffen auf Geheiß der Negerin
die Riemen, während sie sich ans Steuer setzte, sie
stießen ab.
Glücklicherweise hatten die Mädchen wahrend ihres
Aufenthaltes auf der ›Vesta‹ mehrere Male Gelegenheit
gehabt, sich im Rudern zu üben, so daß die Handhabung
der Riemen ihnen nicht so viel Schwierigkeiten bereitete.
»Was wird aus den Matrosen?« fragte scheu eines der
Mädchen, als sie sich etwa fünfzig Meter von dem Schiff
entfernt hatten.
Stumm deutete Yamyhla nach demselben.
Sie blickten sich um und sahen, wie eben in der
Mitte des Schiffes ein roter Schein sichtbar ward. Einige
Wasser-Prawda | August 2015
Sekunden später schlug eine mächtige Feuersäule zum
Himmel empor, das Meer im weiten Umkreis erleuchtend und jeden Gegenstand an Deck deutlich erkennen lassend.
Da stürzten aus der aufgesprengten Luke die
Matrosen, sprangen nach den Booten und fuhren entsetzt zurück – dieselben waren weg.
Yamyhla lachte laut auf und winkte mit der Hand,
aber die Zurückgebliebenen konnten die Flüchtlinge
nicht mehr sehen.
Plötzlich erschütterte ein furchtbarer Knall die Luft,
eine Feuergarbe loderte zum Himmel – und Schiff und
Mannschaft waren für immer verschwunden.
SPRACHRAUM
79
DIE
VESTALINNEN
Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt
nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ
30. NEUE RÄTSEL
Laut Fahrplan sollte der Passagierdampfer ›Medusa‹
Abends 8 Uhr 30 Minuten die Rhede von Madras verlassen. Aus den beiden Schornsteinen quollen dichte
Rauchwolken, die Dampfpfeife heulte zu verschiedenen Malen, und die Mannschaft hielt sich an den
Winden bereit, die Anker aus dem Grund zu reißen.
Aergerlich stand der Kapitän auf der Kommandobrücke,
in der Hand die Uhr, deren Zeiger die bestimmte Zeit
überschritten hatten, er zögerte aber noch immer, das
Zeichen zur Abfahrt zu geben.
Von der ›Medusa‹ waren im letzten Augenblick zwei
Matrosen desertiert, zuverlässige waren in dieser indischen Hafenstadt schwer wiederzubekommen, und
ohne die festgesetzte Anzahl von Leuten, darf ein
Passagierschiff nicht in See stechen, weil bei einem eventuellen Schiff bruch jedes Rettungsboot mit den notwendigen Matrosen als Ruderer besetzt werden muß.
Da hatten sich endlich noch zwei englische Seeleute
gefunden, welche gegen Versprechen einer guten Heuer
zur Mitreise bereit waren, und der erste Steuermann war
schnell mit ihnen nach dem Seemannsamt gegangen,
um der gesetzlichen Form der Anmusterung zu genügen.
Jetzt wartete der Kapitän nur noch auf die Rückkehr
dieser zwei Leute und des Steuermannes, dann klingelte
unter seiner Hand der elektrische Apparat, und unten
im Maschinenraum ließ der diensthabende Ingenieur
die Schraube sich umdrehen.
An der Bordwand lehnten einige Damen und
Herren, darunter auch Claus Uhlenhorst, der angebliche zweite Steuermann des ›Blitz‹ der sich mit der ganzen
Gesellschaft per Schiff ebenfalls nach Bombay zurückbegeben wollte.
Neben ihm stand Ellen, die sich bei diesem Seemann
von Profession nach den Formalitäten erkundigte,
welche bei einer Anmusterung notwendig sind.
»Haben Sie Ihre Papiere vom Hafenmeister empfangen,« fuhr der Steuermann in seiner Erklärung fort –
wie wir bereits wissen, war der Detektiv selbst lange
Jahre zur See gefahren, »so gehen Sie sofort an Bord
Ihres Schiffes, ankern aber vorher noch einmal in einer
Bierstube, um auf gute Reise und guten Wind erst einige
Gläser zu trinken.«
»Aber doch nicht in diesem Falle, wo Hunderte von
Passagieren auf Ihr Kommen warten,« sagte Ellen vorwurfsvoll. »Bedenken Sie, welch eine Verantwortung die
Leute haben, wenn durch ihr Verschulden das Schiff sein
Ziel zu spät erreicht. Durch die Verzögerung können
Millionen in Geld verloren gehen, ein Vater kann seinem
im Sterben liegenden Kinde vielleicht nicht mehr die
Augen zudrücken.«
»Matrosen haben immer Zeit, so lange sie an Land
sind,« meinte der Detektiv trocken,
»Dort kommt das Boot,« unterbrach ihn Ellen, »Ihre
Behauptung ist diesmal doch nicht richtig gewesen.«
Wasser-Prawda | August 2015
80
SPRACHRAUM
Hinter einem anderen Schiff schoß ein Boot hervor,
in dem die drei Erwarteten saßen, und lag im nächsten Augenblick an der ›Medusa‹, die Leute kletterten an
Deck und hißten ihre Kleiderkisten nach.
»Haben die Matrosen kein Glas auf eine glückliche
Reise getrunken, so werde ich dies noch besorgen,« sagte
Nick Sharp und stand schon auf der Bordwand, »ich
kann nicht mit ansehen, daß Sie in Ihr Unglück rennen.
Adieu Miß Petersen.«
Damit sprang er in das Boot, welches schon wieder
mit seinen Ruderern vom Schiff abstieß. Sprachlos
schaute das Mädchen diesem seltsamen Benehmen zu,
auch der Kapitän und die übrigen Passagiere an Deck
wurden auf den Menschen aufmerksam, der seine Reise
bereits bezahlt hatte und sie nun im letzten Moment
aufgeben wollte.
»Was thun Sie denn, Herr Uhlenhorst?« rief Ellen
ihm zu, der schon den Ruderern die Weisung gab, ihn
an Land zu bringen.
»Ich habe Angst vor der Seekrankheit,« lachte der
Detektiv zurück, »auf Wiedersehen, meine Damen
und Herren! Bringen Sie mein Zeug einstweilen nach
Bombay oder sonstwohin.«
Die Ruderer legten sich in die Riemen, und das Boot
Wasser-Prawda | August 2015
schoß dahin.
»Einen solchen Narren habe ich noch nie gesehen,«
brummte der Kapitän auf der Brücke. »Bezahlt die Reise,
wartet bis das Schiff endlich abgeht und fährt dann an
Land zurück.«
Er gab das Signal zur Abfahrt.
Die Anker rasselten in die Höhe, die Dampfpfeife gab
drei schrille Pfiffe von sich, und hinten an Deck entstand durch die Schraube eine kräuselnde Bewegung im
Wasser. Langsam setzte sich die ›Medusa‹ in Bewegung,
dann, als sie aus den Schiffen heraus war, nahm sie eine
schnellere Fahrt an, bis sie endlich draußen in offener
See mit achtzehn Knoten Fahrt dem Süden zustrebte.
»Wissen Sie, was dieses Benehmen des Steuermannes
zu bedeuten hat?« fragte Ellen Lord Harrlington.
Auch dieser konnte sich den Vorfall nicht erklären.
»Ich weiß nur einen Grund,« meinte Williams lachend.
»Jedenfalls hat Uhlenhorst seine klebrige Tabakspfeife
im Hotel liegen lassen, und fühlt er diese nicht in der
Tasche, so geht er nicht von einer Stube in die andere,
um wieviel weniger unternimmt er ohne sie eine Seereife.
A propos, Miß Petersen, in wieviel Tagen erreichen wir
Bombay?«
»In dreiundeinemhalben Tag, wenn wir gutes Wetter
haben. Morgen Mittag kommen wir durch die Palkstraße
zwischen Ceylon und dem Festland.«
»Sie scheinen ja den ganzen Fahrplan im Kopf zu
haben,« sagte Charles verwundert.
»Das nicht,« lächelte Ellen, »aber die Karte.«
»Warum fahren Sie eigentlich in einem Schiff nach
Bombay und nicht mit der Eisenbahn? Sie hätten
dadurch doch zwei Tage erspart.«
»Allerdings, aber die Damen wollen einmal eine
Seereise genießen, ohne dabei arbeiten zu müssen, und
ich ging auf den Vorschlag ein.«
»Und wohin reisen Sie von Bombay aus?«
»Solche Fragen sind nicht erlaubt, Sir Williams, und
Ihnen würde ich es am allerwenigsten sagen, denn wären
Sie damals nicht auf die Raa gestiegen und hätten nach
uns ausgespäht, so würden wir Vestalinnen unsere Wette
bereits gewonnen haben.«
»Ach,« seufzte Charles, »ich bin unglücklich darüber,
daß ich diese Dummheit begangen habe, welche mir den
Haß aller Damen zugezogen hat. Sehen Sie, ich brauche
SPRACHRAUM
Miß Thomson nur anzusehen, so dreht sie mir schon
den Rücken. Hundertmal habe ich es heute schon probiert und hundertmal mit demselben Erfolg. Nie wieder
werde ich einen so voreiligen Ruf ertönen lassen.«
»Dann schreibt er es auf, daß die ›Vesta‹ in Sicht ist,«
lächelte Miß Thomson.
Ellen hatte richtig gerechnet.
Als die Gesellschaft am anderen Morgen ihr Frühstück
an Deck einnahm, erblickten sie bereits die nördlichste
zu Ceylon gehörige Insel Timorathi, und einige Stunden
später passierten sie die sogenannte Adamsbrücke, die
eigentliche Wasserenge zwischen dem Festland und
Ceylon, in welcher die zwei Telegraphenkabel liegen,
die Insel und Festland verbinden.
Nach kurzer Zeit hatte man das Land hinter sich,
und dem Auge bot sich wieder nichts als das unendliche Meer dar.
Ab und zu kam der ›Medusa‹ ein anderes Schiff entgegen, da sich aber jetzt das Fahrwasser wieder erweiterte,
und da jedem Dampfer ein besonderer Kurs vorgeschrieben ist, so verringerte sich mit den Stunden die Zahl
der Schiffe, bis man endlich lange Zeit weder Dampfer,
noch Segel zu sehen bekam.
Sir Williams besaß ausgezeichnete Augen, und er
hielt sich etwas darauf zu gut, daß er stets früher als
die anderen etwas genau erkennen konnte. Um diese
Eigenschaft noch zu vervollkommnen, trug er immer
ein kleines Fernrohr bei sich, mit welchem er jeden am
Horizont auftauchenden Gegenstand musterte.
So richtete er auch jetzt, als der auf dem Ausguck stehende Matrose den Ruf ›ein Schiff‹ erschallen ließ, sofort
sein Fernrohr nach dem dunklen Punkt in der Ferne.
Ellen stand mit Johanna, Miß Thomson und noch
einigen anderen Damen auf dem Vorderteil und wartete,
bis sie sich dem Schiff auf Sehweite genähert hatten,
denn auf dem Meere erregt ein anderes Fahrzeug stets
das größte Interesse.
Plötzlich fühlte Miß Thomson, wie in ihre Hand ein
Zettel gesteckt wurde.
Hinter ihr stand Charles.
»Bitte lesen Sie! Wenn ich es Ihnen sage, glauben Sie
es mir doch nicht,« sagte er. »Ich darf übrigens auch gar
nicht mehr sprechen.«
Miß Thomson warf einen Blick auf das Blatt und
81
entgegnete dann etwas unwillig:
»Ich dächte, es würde nun Zeit, daß Sie einmal Ihre
Albernheiten ließen. Ich lasse mir gern Ihre Späße gefallen, weil sie gut gemeint sind; wenn Sie mich aber verspotten wollen, so hört unsere Freundschaft auf.«
»Aber Miß Thomson,« sagte Charles mit kläglicher Stimme, »habe ich Ihnen denn schon einmal eine
Unwahrheit gesagt? Kann ich etwas dafür, daß es wirklich wahr ist?«
»Ich finde es sehr unpassend,« fuhr das Mädchen fort
und war wirklich sehr ärgerlich, »oder vielmehr lächerlich, daß Sie mir mit solchen Späßen kommen. Was
veranlaßt Sie denn zu der Behauptung, daß jenes Schiff
dort die ›Vesta‹ ist? Glauben Sie etwa, ich fasse dies als
einen Witz auf?«
»Na, was wetten wir denn, daß es wirklich die ›Vesta‹
ist?« entgegnete Charles, Entrüstung heuchelnd.
»Ich habe Ihnen schon einmal erklärt, wenn Sir
Williams sagt, es ist die ›Vesta‹, dann ist sie es, wenn es
auch ein anderes Schiff ist.«
»Aus Ihnen werde ein anderer klug, ich kann es nicht!«
Mit diesen Worten wandte sich das Mädchen ihren
Gefährtinnen zu, die das fragliche Schiff betrachteten,
von dem man schon mit bloßem Auge die Takelage
erkennen konnte.
Plötzlich faßte Johanna Ellens Arm und rief:
»Ist es eine Täuschung oder nicht? Das kann nur die
›Vesta‹ sein!«
Ellen lachte auf über diese sonderbare Vermutung,
wurde aber mit einem Male wieder ernst.
»Sonderbar, es sieht der ›Vesta‹ zum Verwechseln
ähnlich, die zierliche Takelage, die weiße Farbe und
doch, es ist unmöglich. Warum haben nur die Matrosen
keine Segel gesetzt? Sollte das Schiff verlassen sein? Fast
sieht es so aus.«
Der Kapitän hatte ebenfalls bemerkt, daß mit diesem
Segler, der bei günstigem Wind mit festaufgerollten
Segeln dalag, etwas nicht richtig war, und nahm direkten Kurs darauf zu.
»Bei Gott, es ist die ›Vesta‹!« rief jetzt Johanna, außer
sich vor Staunen. »Ich erkenne sie nun deutlich.«
Ellen wollte ihr dies ausreden, aber ein Blick durch das
Fernrohr belehrte sie, daß kein Zweifel mehr möglich
war.
Wasser-Prawda | August 2015
82
SPRACHRAUM
Jenes Schiff dort, welches ohne Mannschaft, die Segel
festgebunden und wahrscheinlich auch das Steuerrad,
weil es nicht schwankte, als ein Spiel der Wellen umhertrieb, neunhundert Meilen von Bombay entfernt, war
die ›Vesta‹.
»Meine Damen,« sagte Ellen, »wir wollen jetzt alles
Staunen beiseite lassen. Es ist kein Zweifel mehr, daß
dies die ›Vesta‹ ist, die uns hier auf irgend eine rätselhafte Weise entgegentreibt, und unsere Mädchen sind
nicht darauf. Jetzt begebe ich mich zum Kapitän und
legitimiere mich als Kapitänin dieses Schiffes, und wir
können wieder auf die Suche nach den Sklavinnen
gehen.«
Sie ging auf die Kommandobrücke.
»Mir bleibt der Verstand stehen,« sagte Miß Thomson
zu Charles.
»Das macht nichts,« war die Antwort, »aber jammerschade ist es, daß Sie uns nun verlassen wollen; ich
gucke immer aus, ob der ›Amor‹ nicht auch so freundlich ist, uns entgegenzukommen, aber der Kerl hat keine
Lust. Sehen Sie nun ein, Miß Thomson, welch‘ niederträchtiges Unrecht Sie mir angethan haben, als Sie
mich einen Lügner, Heuchler, Unverschämten u. s. w.
genannt haben?«
»Ich sehe ein, verzeihen Sie mir! Aber woher in aller
Welt wußten Sie gleich, daß es die ›Vesta‹ war?«
»Das ist mein Geheimnis. Aber ich mache Ihnen
einen Vorschlag, Miß Thomson. Lassen Sie die anderen
Damen allein weiterfahren; hängen Sie diese Weltreise
an den Nagel und begeben Sie sich unter meiner sicheren Führung wieder in kultivierte Länder, wo man nicht
von Schlangen gebissen und von Tigern gefressen wird.«
Gespannt hingen seine Augen an den Lippen des
Mädchens.
Es schwieg einige Minuten lang. Dann gab es ihm
die Hand und sagte herzlich:
»Nein, Sir Williams, noch nicht. Machen wir erst
diese Reise zusammen.«
»Nein? Dann lassen –« Charles verschluckte eine sehr
beliebte Redensart.
»Was wollten Sie sagen?« fragte das Mädchen lächelnd,
denn es wußte sehr wohl, was er unterdrückte.
»Dann lassen Sie es sich recht gut gehen und sich nicht
wieder von Schlangen beißen.«
Wasser-Prawda | August 2015
Die ›Medusa‹ lag neben dem Vollschiff, ein kurzer
Abschied noch, und die Damen waren auf ihrem Schiff.
Zehn Minuten später konnten die weiterfahrenden
Passagiere sehen, wie sich auf der ›Vesta‹ die weißen Segel
entfalteten, wie sich das Schiff auf die Seite legte und
zu kreuzen begann.
Die Herren blickten sich an und fanden lange keine
Worte.
»Weinen hilft hier nichts,« unterbrach Charles endlich
das Schweigen, »sie sind eben futsch, und wenn uns der
›Amor‹ nicht entgegenkommen will, so müssen wir ihn
uns selbst holen.«
»Giebt es denn nur gar keine Erklärung?« rief Lord
Harrlington. »Das Schiff kann doch nicht allein hierhergefahren sein.«
Niemand fand eine Antwort.
»Und wie sollen wir die ›Vesta‹ wiederfinden? Ehe wir
nach Bombay kommen, vergehen noch zwei Tage, und
wer weiß, wo sie sich dann schon befindet,« jammerte
man. »Unsere Reise ist zu Ende.«
»Nein,« entgegnete Harrlington, »dafür ist gesorgt.
Wir werden die ›Vesta‹ wiederfinden.«
Als die Vestalinnen an Bord ihres Schiffes waren,
überzeugten sie sich sofort, daß die fünfzehn Mädchen
verschwunden waren.
Ellen eilte durch die Kajüten, durch die Kammern
und Räume, sie sah in jede Kabine; nirgends war ein
Mensch zu entdecken. Und doch schien es ihr, als ob
fremde Hände in ihren Papieren gewühlt hätten. Einige
Gegenstände lagen nicht mehr so wie damals, als sie in
Bombay das Schiff verlassen hatten, aber es fehlte nichts.
Aus ihrer Arbeitsstube eilte sie auf die Kommandobrücke
und begab sich in das Kartenhäuschen.
Da plötzlich entdeckte sie etwas, was eine Auflösung
dieses Rätsels bringen konnte: mitten auf dem Tisch
lag ein Couvert, adressiert an Miß Petersen, Kapitänin
der ›Vesta‹.
Hastig riß sie den Umschlag auf, ein schmaler
Pergamentstreifen fiel ihr entgegen, auf welchem nichts
weiter stand als:
76° 44‘ 32“ ö. L., 7° 12‘ 57“ s. B.
das hieß, 76 Grad 44 Minuten 32 Sekunden östlicher Länge; 7 Grad 12 Minuten 57 Sekunden südlicher Breite.
SPRACHRAUM
»Seltsam,« murmelte Ellen, »eine ähnliche
Aufforderung, einen bestimmten Kurs zu nehmen,
wollten damals die englischen Herren von dem
Geisterschiff bekommen haben, als wir uns im Boot
befanden. Ist dieses gespenstische Schiff, von dessen
Vorhandensein ich mich mit eigenen Augen überzeugt
habe, auch hier im Spiele? Ich wollte es den Herren fast
nicht glauben, nun bekomme auch ich einen solchen
Befehl.«
Sie suchte die bezeichnete Stelle auf der Karte nach,
dort lagen die Lakkadive-Inseln, und gerade da, wo sich
die angegebenen Längen- und Breitengrade schnitten,
ein winziges Inselchen. Sie waren bewohnt, aber nicht
alle, das wußte Ellen. Gerade die bezeichnete war felsig
und öde.
Die Vestalinnen wurden zusammenberufen, und
es wurde beschlossen, sofort dorthin zu segeln. Eine
Ahnung sagte allen, daß sie dort die vermißten Mädchen
wiederfinden würden.
Die Entfernung von der Stelle, wo sie sich gerade
befanden, bis nach der Inselgruppe, betrug etwa vierhundert Seemeilen, und da sie günstigen Wind hatten, so
konnten sie diese in einundeinenhalben Tag zurücklegen.
Unverzüglich wurden dazu Anstalten getroffen.
Am Morgen des zweiten Tages kam die erste jener
Inseln in Sicht. Ellen nahm die Sonne auf und fand,
daß die ›Vesta‹ bereits dicht in der Nähe der vorgeschriebenen Stelle war.
»Die Insel ist zu sehen,« rief eine Vestalin von der Raa
herab, »aber nichts von unseren Schützlingen.«
Es war ein sehr felsiges Eiland, durch frühere Erdbeben
entstanden, bergig und zerrissen, sodaß sich die etwaigen Bewohner leicht den Augen der Mädchen entziehen konnten.
Als die ›Vesta‹ um einen Vorsprung herumsegelte, rief
wieder die Obenstehende herab:
»Sie sind dort. Sie haben die ›Vesta‹ gesehen und
winken uns.«
»Dann werden wir hoffentlich bald eine Lösung dieses
Rätsels erwarten können.«
Ellen suchte einen guten Platz, ließ die Anker fallen
und stieg selbst mit in das Boot, welches die Mädchen
nun zum zweiten Male auf die ›Vesta‹ bringen sollte.
Sie fanden alle beisammen, unversehrt, aber die
83
meisten vor Angst erschöpft.
Yamyhla schilderte nun, was sich zugetragen hatte,
und das Erstaunen der Vestalinnen wuchs von Minute
zu Minute. Hätten sie nicht selbst ein Wunder erlebt, so
würden sie die Erzählung der Mädchen für ein Märchen
gehalten haben.
Sie erfuhren, wie Kapitän Green von Madras gekommen sei, um auf Befehl Ellens die ›Vesta‹ nach Madras
zu bringen; wie er die Befreiten dem griechischen
Mädchenhändler ausgeliefert habe, die Züchtigung
Yamyhlas, wie sich diese gerächt, und schließlich, wie
die Mädchen auf diese Insel gekommen waren.
»Als die Explosion der Pulvervorräte das Schiff vernichtet hatte,« erzählte die Negerin, »fuhren wir ziellos
in die dunkle Nacht hinein. Wir wußten nicht, wo
wir waren, wir wußten nicht einmal, nach welcher
Himmelsrichtung wir fuhren; aber dennoch waren wir
alle froh, jenem schurkischen Demetri abermals entkommen zu sein. Lieber wollten wir in den Meereswogen
umkommen, als daß wir zum zweiten Mal auf den
Sklavenmarkt geschleppt würden. Ueberdies hatten wir
genügend Wasser mit, verstanden uns einigermaßen aufs
Rudern, und so konnten wir hoffen, von einem Schiff
gesehen und aufgenommen zu werden, wenn auch nicht
gleich am ersten Tage.
»Es war eine ruhige, warme Nacht, aber gegen Morgen
fiel ein dichter Nebel, daß wir uns bald selbst nicht
einmal mehr im Boote sehen konnten. Mir waren kühlende Umschläge auf meine Wunden gemacht worden;
ich lag in unruhigem Schlummer, während die Mädchen
abwechselnd langsam ruderten, als ich plötzlich geweckt
wurde. Der Nebel war so dick geworden, daß ich die
Hand nicht mehr vor den Augen sehen konnte, obgleich,
meiner Berechnung nach, der Morgen bereits angebrochen sein mußte.
»Die Mädchen klagten mir, daß sie nicht rudern
könnten, die Riemen würden ihnen förmlich aus der
Hand gerissen, und wollten von mir Rat haben. Ich
selbst versuchte zu rudern, aber auch ich konnte es nicht.
Der Riemen wurde sofort zur Seite geschlagen. Jetzt
tauchte ich meine Hand ins Wasser und fand, daß wir
mit ungeheurer Schnelligkeit von einem Strom fortgerissen wurden, vielleicht schon stundenlang fortgerissen
worden waren, ohne es bis jetzt bemerkt zu haben. Dies
Wasser-Prawda | August 2015
84
SPRACHRAUM
verschlimmerte unsere Lage jedoch nicht, und so warteten wir geduldig, bis wir aus dem Strom herauskommen würden und der Nebel wiche.
»Dann hörten wir, wie der Kiel des Bootes mehrere
Male aufscheuerte; den Mädchen wurde es angst, aber
ich freute mich darüber, denn jedenfalls trieb uns der
Strom an eine Küste. Land konnte ich nicht entdecken,
denn noch immer umgab uns ein undurchdringlicher
Nebel. Da plötzlich bekam das Boot einen Ruck, daß
wir fast von den Ruderbänken geschleudert wurden, und
es blieb stehen, es war irgendwo aufgelaufen.
»Wir warteten, bis sich der Nebel verzogen hatte. Als
es hell wurde, befanden wir uns hier in dieser Bucht,
nur wenige Schritte vom Lande entfernt. Das Boot selbst
hatte ein Leck bekommen, aber wir merkten es nicht,
denn es saß vollkommen fest, und erst bei Ebbe, als es
sich auf die Seite legte, wurden wir das gewahr. Wir
wateten ans Land, das zwar eine unbewohnte, felsige
Insel war; aber zum Glück fanden wir dort eine Kiste mit
Büchsenfleisch und ein Faß mit Trinkwasser, die hier
angespült worden sein mögen, sodaß wir wohl für einen
Monat mit Nahrung versorgt gewesen wären. Das Boot
war unbrauchbar, die nächste, sichtbare Insel schien eine
eben solche wie unsere zu sein, und so bestand unsere
einzige Aufgabe darin, nach einem Schiff auszuspähen, was wir auch thaten. Zwei Nächte haben wir hier
geschlafen, das erste Mal im Freien, weil schönes Wetter
war, das zweite Mal, als es regnete, in einer Höhle. Die
ganze Insel ist mit solchen durchzogen. Vor einer Stunde
sahen wir die ersten Segel, und wunderbarerweise waren
es gerade die der ›Vesta‹, wir winkten mit Tüchern, ihr
bemerktet es, und so habt ihr uns abermals dem Leben
wiedergegeben.«
Die Damen sahen sich groß an.
»Ist dies nicht fast ebenso gewesen, wie damals bei
uns, als wir im Boot waren?« sagte Jessy zu Ellen.
Diese ging kopfschüttelnd dahin, wo die Kiste mit
dem präservierten Fleisch und das Wasserfaß lagen.
Nirgends war ein Schiffszeichen oder eine Fabrikmarke
zu entdecken.
»Wäre die Kiste angespült,« dachte sie, »so müßte das
Holz beschädigt sein, aber davon ist nichts zu bemerken.
Sie ist ganz neu, ebenso wie das Wasserfaß. Was hat das
Geisterschiff hiermit zu thun? Wußte es den Aufenthalt
Wasser-Prawda | August 2015
der Mädchen? Warum hat es sie nicht selbst an Bord
genommen? Oder halt, könnte es das Boot nicht hierher
gelenkt, die Mädchen mit Nahrungsmitteln versehen
und uns dann benachrichtigt haben, wo wir sie finden
würden? Aber wiederum, wo sind jene Männer, wahrscheinlich auch Sklavenhändler oder etwas Ähnliches,
welche die ›Vesta‹ besetzt hatten? Es sind noch viele
Rätsel zu lösen.«
ENGLISH
85
BOB M C C AR TH Y: A
SAT I S F I E D M I N D
BY IAIN PATIENCE
Bob McCarthy is a sadly lesserknown treat for lovers of good,
solid soulful blues picking. His
near-fifty year career has seen
him climb from the sixties coffeehouses of New York‘s Greenwich
Village - a breeding ground that
spawned many top names including Bob Dylan, Tom Paxton
and Dave Van Ronk, and which
offered the young McCarthy an
open musical door and bags of
confidence-building experience
- to opening shows and sharing
the stage with the likes of Jorma
Kaukonen, Bonnie Raitt, Neil
Young, Nanci Griffith, Taj Mahal,
The Beach Boys, Linda Rondstadt
and countless others; in short,
a true who‘s who of modern US
acoustic-roots music.
Now based in the beautiful, leafy
backwoods of New Hampshire,
McCarthy can still be found
picking guitar around the East
Coast and giving his time and
talent generously to numerous
deserving local causes. His recording credits span many years with
his two most recent offerings,
Wasser-Prawda | August 2015
86
ENGLISH
‚Sudden Light‘ and ‚Where I Live‘,
both leaning towards a deft, light
jazz touch, soaked in soul and
steeped in the tradition of the old
blues masters.
McCarthy‘s guitar fretwork is
always tasteful and gripping,
guaranteeing a pleasant earful for
listeners and fans of good old-fashioned quality music. And he is
as comfortable picking a Mandolin as a guitar, which he also does
with positive zing and class.
Often accompanied by his longtime buddy James Montgomery,
one of the USA‘s finest blues-harp
players, he always remains close
to his roots with blues tracks
spilling out and providing the
background music to an eventful
and satisfied life in the busy, oft
over-crowded professional music
lanes of the USA.
For many years McCarthy was the
guitar-man with one of Ireland‘s
greatest traditional music exports
and experts, the late Tommy
Makem, an excellent five-string
Banjo player with a distinctive
line in Aran Knit Sweaters and
an encyclopeadic knowledge of
and immersion in Irish traditional music. And although he too,
with Irish blood in his veins, loves
the Irish traditional genre, he
confirms he is most at home with
blues music, his first love and now
a lifelong passion:
‚I am a working musician with
emphasis on work. I remember
reading where Robert Johnson
sang Irish songs during St. Patricks day because he was working
and it is hard to make a living as
a musician. I liked traveling with
Tommy Makem very much and
he treated me well. I like playing
the Blues with James Montgomery and love playing Jazz too and
love playing the electric guitar
because I like paying my mortgage and supporting my family. Not
very romantic but true. I played
a duet once with Larry Coryell,
played guitar on hit LP record on
Columbia (CBS) with pop rock
artist Andy Pratt and toured with
the Columbia (CBS) group Appaloosa both signed by Clive Davis;
also love playing with Black Gospel singer Lillian Buckley. It has
been an interesting career but it is
what it is. I play mostly acoustic
blues and ragtime these days, solo
or with James Montgomery or
with my friend Tom Logan and
Reed Butler who played bass with
Paul Rishell and Annie Raines. I
don‘t use a pick but a thumb pick
sometimes. I play in the Merle
Travis, Chet Atkins and Piedmont
finger style of Mississippi John
Hurt and Rev Gary Davis. I have
performed with Paul Geremia
and I love to play slide on my Blue
National. I have been doing this
for 50 years. Pop Staples gave me
the idea about singing in nursing
homes and hospitals and I do
that as well. I bring my dog Beau
on those gigs. Roy Bookbinder
came to visit me once here in this
house in NH. I wasn‘t home, so he
rented a boat and went fishing till
I got home and then we walked
down the rail road tracks near my
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house and talked about life and
music, we have known each other
for many years.‘
In many ways, Bob McCarthy‘s
personal philosophy might be
found in the title of what is,
perhaps, his finest album, ‚Satisfied Mind‘. Released a few years
ago back in 2006, ‚Satisfied Mind‘
includes great takes on ‚Pallet On
The Floor‘; When The Lord Gets
Ready‘; Deep River Blues‘, ‚Trouble In Mind‘ and a raft of other
blues standards plus his own fine
composition, ‚No Score In Baltimore‘, a track that harks back and
echoes the spirit of the acoustic
sets of the sixties and guys like
Jackson Browne picking for nickels and dimes in Village bars.
McCarthy has just released a
new seven track disc, ‚Trouble In
Mind‘ on his own Wandra recording label, a vignette in many
ways of his music, with four
tracks featuring Montgomery
on Harp, taken from the earlier
‚Satisfied Mind‘ album and the remaining three tracks being instrumentals with a notably light jazz
feel, culled from another, earlier
release, ‚Star Of The Sea.‘
Anyone yet to catch this guy and
his music might take a hint of his
ability and quality from Jorma
Kaukonen‘s thoughts about him:
‚If there were any justice in the
world, you‘d be a well-known BIG
DOG!‘
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Reviews
Top Of The World‘ moves the disc
onto McCarthy‘s three instrumentals, all self-written, and echoing
slide-work with pace and some light
jazzy chording at times. This is an
album of positively top-quality acoustic blues from a sure-fired and surefooted master. Highly recommended without doubt. (Wandra Music)
Iain Patience
Bob McCarthy – Trouble In
Mind
A wonderful seven track disc from
one of the USA‘s sadly lesser-known
acoustic guitar pickers and singer/
songwriters. McCarthy has sure paid
his dues as a pro-musician for many
decades, gigging and working with
countless major figures including
Jorma Kaukonen, Pentangle, Tom
Paxton, Roy Book Binder and many
more.
‚Trouble In Mind‘ is a release featuring his strong fretwork and
vocals with some top-notch Harpwork from James Montgomery on
the opening four tracks which all
originally figured on McCarthy‘s
superb blues release of a few years
ago, ‚Satisfied Mind‘ - one of my
own personal favourite albums and
one I never tire of. The remaining
three tracks are instrumentals from
his later equally excellent album
‚Star Of The Sea‘.
The title track gives way to Fred
McDowell‘s ‚You Gotta Move‘, slips
into WC Handy‘s old ‚Atlanta Blues‘
before a delicious take on ‚Sittin‘ On
The Grahams – Glory Bound
This is one of those albums that initially grab you by its cover; an intriguing, beguiling backdrop of old,
rusting American railstock virtually
guaranteed to demand the interest
of any lover of country music and
Americana. And the title, ‚Glory
Bound‘, of course, speaks volumes
about the so-called American Dream
where and when riding the rails was,
sadly perhaps, an essential aspect of
aspirational change in a country
beleagured by social and racial rifts
and chasms. A theme that therefore
still resonates for many today.
All twelve tracks are self-written together with band buddy,
Bryan McCann, and indeed reflect
The Grahams‘ - a duo comprising husband and wife team Alyssa
and Doug Graham - interest and
belief that there has long been a
near unique bond between US
country music/Americana and the
nation‘s rolling stock and railroads.
Certainly, lauded, ageless tracks
like Steve Goodman‘s ‚City of New
Orleans‘ and George Hamilton‘s
northern cousin ‚Canadian Pacific‘
appear to lend this thinking some
support. And that‘s without even
looking back historically to Woody
Guthrie or Cisco Houston‘s inspired
contributions.
‚Glory Bound‘ is the duo‘s second
full album release and is paired
with the release of a documentary
charting the role of music and the
railways in the USA, ‚Rattle The
Hocks‘, a film that chronicles The
Grahams‘ own personal musical
journey and travel by steel rail across
the country. Byron Berline - ex-Bill
Monroe, Flying Burriots, Dillard
& Clark and Stephen Stills - guests,
lending his sheer-class, country-rooted fiddle-work to the mix.
This is mighty fine modern cowboy,
ride those rails music, strong on evocative lyricism and driving, pistonpushing instrumental ability. As
the opening track says: ‚Sometimes
I need to put the hammer down, this
heart may bleed but it still gets me
around, these engines whine when
the pistons pound, this train is glory
bound.‘
Iain Patience
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in some wonderful John Hurt-style
fretwork plus a cracking version of
Elizabeth Cotton‘s ‚Freight Train‘,
here played with sumptuous sensitivity and style.
For me, at least, Disc 2 is the better
of the pair, though that‘s probably
because of its slightly more bluesy
undertones rather than any genuine
qualitative difference. Most of the
material is written by Noakes who
is amply supported by Barbara
Dickson and a host of other Scottish
worthies.
What comes across most evidently
with this release is that Noakes
seems to be genuinely enjoying
Rab Noakes – I‘m Walkin‘
himself; a relaxed, beautiful album
Here
A wonderful double album from that truly captures the spirit of roots
one of Scotland‘s true treasures and music with a modern twist at times
unsung musical heroes. Noakes and an artist at the very top of his
traces his musical pedigree way form. Highly recommended. (Neon
back into the heady sixties and as Records CD0017)
Iain Patience
a member of Stealers Wheel in the
seventies worked alongside the late
Gerry Rafferty (Baker Street, with
that fabulous Sax solo) and frequently recorded and played with
Rod Clements of Lindisfarne. With
his feet firmly rooted in the acoustic
folk-roots tradition, he moves effortlessly between genres, never rushing
but always tastefully slip-sliding
along. ‚I‘m Walkin‘ Here‘ is simply
another of his excellently crafted
releases, full of pith and purpose.
With 26 tracks to choose from over The Rosellys – The Granary
two discs it‘s hard to single out any Sessions
one number. Noakes covers unex- An eleven-track release from a
pected old movie standards like young, five-piece UK band fronted
‚Buttons & Bows‘, moves through by quality vocals from Rebecca
‚Bye, Bye Blackbird‘ and Cliff Rosellys and her partner Simon
and the Shadows‘ old chestnut Rosellys, with tasteful, tender pedal‚Travelling Light‘ then also squeezes steel and resonator work from Allan
the mix and the overall result is a
surprisingly mature debut release
positively worth catching.
Iain Patience
Jim Singleton –8 O‘Clock In
The A ernoon
A genuinely cool ten-track debut
from PA-based guitarist Jim
Singleton featuring some of his
old buddies in support roles and a
mighty fine grasp of purpose, pace
and variety. Singleton clearly understands the need to move the music
along while also retaining a listener‘s
interest by steadily varying both
tempo and pitch.
Kicking off with the wonderful peaen to self-indulgence, Peter
Green‘s ‚Rattlesnake Shake‘, he rips
through two tracks by the late, great
Irish blueshound Rory Gallaher
- ‚What‘s Going On‘; ‚A Million
Miles Away‘ - and includes a couple
of titles from modern master craftsman Bernie Marsden, (Place In My
Heart‘ & ‚Here I Go Again‘) who
also guests with backing guitar and
vocals on the album.
To give a feel for the surprising
quality on this first-release, howling
Harp is provided by Grammywinner and simply superb soulsearcher, Charlie Musselwhite while
Australia‘s Fiona Boyes provides
vocals and fine fretwork along the
way. Include Gary Clark Jnr‘s thumping ‚Don‘t Owe You A Thang‘ to
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Kelly, The Granary Sessions is an
album of sweet-sounding modern
Americana from England.
All titles are written by the band and
reflect their love of the USA and its
strong influence, positive pull on
them and their music. Titles such
as ‚Maryland‘; ‚Ashville 1784‘; ‚Red,
White & Blue‘ all clearly mirror the
band‘s love of the country where this
music still holds sway with millions.
In truth, there‘s nothing here that is
driving, hard-nosed modern country
or slick-backed sound, but the overall
style and feel of this offering is surprisingly sinuous, sensitive and captivating. The Rosellys clearly draw
their inspiration from the music of
modern USA but with classic Texan
and Appalachian rhythm and swell.
Think soft harmonic rhythms and
vocals here and you won‘t be far
wrong. If there is a stand-out track,
for me, it goes to number ten, ‚Rose
Tinted Glasses‘, a paen to discovery,
love and loss in the characterful and
characteristic US country style.
Production is top-dollar and this is
a band full of taste and talent, an
outfit with a firm grip and grasp of
the modern country scene. Already
gaining in popularity in the UK
and Europe country music world,
this release is surely likely to propel
the Rosellys to another level with a
planned promotional/support tour
of the USA already booked and
on the cards. (Clubhouse Records
GRUK0032CD)
Iain Patience
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