HANNOVER NR. 180 | MITTWOCH, 5. AUGUST 2015 15 HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG | Ausgerechnet wir Sie wirken wie eine Laune der Natur: Sogenannte seltene Erkrankungen, über die kaum jemand auf der Welt etwas weiß. Zwei Hausbesuche. Von Gabi Stief Seltene Krankheiten – was ist das? W enn Karl Welte im Dezember zu einem Medizinerkongress nach Orlando reist, wird er mit einer Medaille zurückkehren, die noch kein deutscher Wissenschaftler vor ihm bekommen hat. Die Familie Weyer aus Ilten wird nicht dabei sein. Aber sie kann hundertprozentig bezeugen, dass die Ehrung hochverdient ist. Denn die Kinder der Weyers, Felix und Jana, verdanken dem Professor ihr Leben. Die Erklärung ist – wie immer, wenn es um Molekularbiologie geht – kompliziert. Aber jene Wachstumsfaktoren, die Karl Welte vor mehr als 30 Jahren in den Blutzellen entdeckt hat, haben nicht nur die Krebsbehandlung revolutioniert. Sie haben auch die Therapie angeborener Bluterkrankungen vorangebracht. Dazu gehört auch jene überaus seltene, mit der die Weyer-Kinder kämpfen, seitdem sie auf der Welt sind. „Waisenkrankheiten“ werden seltene Erkrankungen genannt, die gerade einmal ein halbes Promille der Bevölkerung betreffen. Als Sohn Felix 1995 geboren wurde, hatte „seine“ Krankheit noch nicht einmal einen Namen. Aber es gab erschreckende Symptome, über deren Ursache die Mediziner rätselten. Sie stellten kurz nach Felix’ Geburt fest, dass er viel zu wenige weiße Blutkörperchen besaß, um Infekte abzuwehren. Seine ersten Wochen verbrachte er im Brutkasten. Noch heute klingt Mutter Christiane verzagt, wenn sie sich an die Unmengen an Antibiotika, an die vielen Bluttransfusionen und Knochenmarkpunktionen erinnert, die ihr Sohn über sich ergehen lassen musste. Sein Blut und das weiterer sechs Verwandter wurde zur Untersuchung nach Toronto geschickt. Als die Ärzte schließlich einer Entlassung zustimmten, geschah dies auf eigenes Risiko der Eltern. Fortan herrschte im Hause Weyer Kontaktsperre. Besucher waren nur zugelassen, wenn sie hundertprozentig gesund waren und sich erst einmal umkleideten. Felix aß, aber nahm kaum zu. Als er zehn Monate alt war, gab es endlich eine Diagnose und eine Therapie: Felix leidet an einer seltenen Form einer schweren chronischen Neutropenie namens SDS (Schwachmann-Diamond-Syndrom), die ein Gendefekt auslöst – allerdings nur dann, wenn beide gesunden Elternteile den gleichen Fehler im Erbgut haben. Das Unvorstellbare war geschehen: Beide, Vater und Mutter Weyer, wurden von der Natur bestraft – zulasten ihrer Kinder. Da der Nachwuchs nicht zwangsläufig erkranken muss, hofften die Weyers, beim zweiten Kind vom Schicksal verschont zu werden. Leider vergeblich. Auch Jana litt an SDS. Im Alter von sechs Jahren erkrankte sie an einer Leukämie; eine Knochenmarktransplantation rettete ihr das Leben. Mittlerweile ist sie 17 Jahre alt, ein wenig zart und still wie ihr Bruder, aber beschwerdefrei. Felix hat gerade eine Ausbildung als Steuerfachmann begonnen. Langes Warten auf die Diagnose: Christiane Weyer mit ihren Kindern Felix (20) und Jana (16), die unter dem Schwachmann-Diamond-Syndrom leiden. Gerade einmal 100 Menschen teilen das Schicksal der Weyer-Kinder in Deutschland, 40 sind im europäischen Register für Schwere Chronische Neutropenien (SCNIR) an der MHH erfasst, das die Medizinerin Cornelia Zeidler leitet. Kürzlich trafen sich erstmals 15 Betroffene mit ihren Familien auf Initiative der Ärzte und eines engagierten Selbsthilfevereins in Hannover, um Ernährungstipps und Informationen auszutauschen. Lebenslang kämpfen die meisten von ihnen mit dem Problem, nur mithilfe bestimmter Medikamente Fett verdauen zu können und auf Vitaminpräparate angewiesen zu sein. Manche leiden unter Skelettveränderungen, einer gestörten Bauchspeicheldrüse oder einer vergrößerten Leber. Auch Heike Jährig-Rockmann und ihre Tochter Shari, die im Dezember acht Jahre alt wird, traf eine seltene Laune der Natur. Bereits bei der Ultraschalluntersuchung während der Schwangerschaft war offensichtlich, dass die Speiseröhre des Embryos nicht lang genug ist, um mit dem Magen verbunden zu sein. Statistisch gesehen eine absolute Ausnahme; bei gerade einmal einer von 3500 Geburten passiert dies. Shari, per- sisch „die Beschützte“, wurde kurz nach der Geburt von dem Kinderchirurgen Benno Ure an der MHH operiert – mit Erfolg. Nur sehr wenige Mediziner sind in Deutschland zu diesem schwierigen Eingriff in der Lage. Von einem be- Größtes Problem sind die „Steckenbleiber“: Shari, hier mit ihrer Mutter Heike JährigRockmann, hat eine Erkrankung der Speiseröhre. Als seltene Krankheiten gelten solche, von denen nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen betroffen sind. Etwa 80 Prozent der 7000 bis 8000 bekannten „Waisenkrankheiten“ sind genetisch bedingt; selten sind sie heilbar. Betroffen sind etwa vier Millionen Menschen in Deutschland – europaweit sogar 30 Millionen. In Deutschland existieren mittlerweile 25 universitäre Zentren, die sich auf seltene Krankheiten spezialisiert haben – auch an der Medizinischen Hochschule Hannover. Zudem sind etwa 100 Selbsthilfeorganisationen im Deutschen Dachverband „Achse“ organisiert. Auch die Politik hat reagiert. Um die Versorgung der Patienten zu verbessern, wurde vor fünf Jahren das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen (Namse) mit einer Geschäftsstelle in Bonn gegründet. Aufgabe des Bündnisses ist die Bildung von Fachzentren und der internationale Austausch von Forschungsergebnissen. Seit Ende Februar werden zudem die Versorgungsangebote für Menschen mit seltenen Erkrankungen auf einer neuen Internet-Plattform (seatlas) gesammelt. Patientenorganisationen können sich dort registrieren. Kontakte für die erwähnten Beispiele seltener Krankheiten: ■ KEKS: Telefon (07 11) 9 53 78 86 ■ Interessengemeinschaft Neutropenie: www.neutropenie-ev.de; Telefon (0 51 75) 12 33 ■ Interessengemeinschaft Neurofibromatose: Kibis Hannover, Telefon (05 11) 66 65 67 Foto, Repro: Wallmüller schwerdefreien Leben kann allerdings initiative namens KEKS e.V. (Verein für keine Rede sein. Kinder und Erwachsene mit kranker Kinder wie Shari leiden häufig unter Speiseröhre) gibt, die unter anderem einem Reflux, einem Rückfluss der Ma- Spenden für die Finanzierung von gensäure in die Speiseröhre, der nur mit Sprechstunden sammeln. Heike JährigMedikamenten minimiert werden kann. Rockmann, die für Anfang September Auch schwere Komplikationen bleiben einen Stammtisch für betroffene Familinicht aus. Im vergangenen Jahr musste en in Hannover organisiert, sagt, sie sei Shari noch einmal operiert werden. Optimistin. Gezwungenermaßen. Sechs Wochen lang lag sie Eigentlich habe sie in all in der MHH und wurde zeitden Jahren nicht weinen „Ihren“ Ärzten weilig über die Vene erkönnen, weil sie für ihr Kind nährt. stark sein musste. Nur einverdanken die Sie hat sich erholt. Demmal flossen Tränen. Das Kinder viel. nächst besucht sie die dritte war, als Shari gemeinsam Klasse. Ihr größtes Problem mit Mitschülern aus Grassind die „Steckenbleiber“, bei denen ein dorf für andere kranke Kinder in der Bissen in der engen Speiseröhre hängen MHH sang. bleibt. Früher half ein Ritt auf einem Beide, die Weyers und die JährigHüpfpferd beim Schlucken. Mittlerweile Rockmanns, haben erfahren, wie wichhat sie gelernt, langsam zu essen und tig es ist, Informationen zu verbreiten, harte Sachen zu meiden. In der Kita gab damit die „Waisen“, die Seltenen unter es anfangs Probleme, weil die Erziehe- den Erkrankungen, ebenso bekannt rinnen fürchteten, im Notfall nicht alles werden wie die wenigen Spezialisten, richtig zu machen. Shari bekam schließ- die helfen können. Christiane Weyer lich eine Assistentin an ihre Seite. schwört auf „ihre“ Ärzte, denen ihre Wie im Fall der Weyers hat auch Sha- Kinder viel verdanken. ris Familie mit ihrer Krankheit leben geIhre Hoffnung? „Dass es mit dem lernt, weil hoch engagierte Spezialisten Fortschritt in der Medizin immer weiterzur Stelle waren und weil es eine Eltern- geht.“ Alla prossima volta! Im kleinen, aber feinen Vino y Mas in Linden-Nord werden italienische und spanische Klassiker serviert Von Ralf HeußinGeR L Ko s tProbe Vino y Mas Kötnerholzweg 30 30451 Hannover Telefon (0 511) 60 04 75 52 montags bis sonnabends ab 17 Uhr Preiskategorie: moderat Snack- und Weinbar mit Flair: Inhaberin Ana-Isabel Pino del Valle hat ab 17 Uhr geöffnet. lasoße und Walnüssen sind fein und nicht wie so oft pappig. Dazu gibt es – schließlich sind wir ja in einer Weinbar – ein Glas weißen Roca Morino aus dem Rioja (0,2 Liter/3,80 Euro), ein erfrischender Sommerwein. Weniger zu empfehlen ist die etwas ordinäre rote Variante (0,2 Liter/3,80 Euro). Dann lieber den Nero d’Avola (0,2 Liter/4,50 Euro) – ein sauberer Begleiter zum Essen. Eine Flaschenweinkarte ergänzt die offenen Tropfen. Wir hören auf die Empfehlung des Service, bestellen eine Flasche Indio aus Montepulciano (22,50 Euro) und bekommen einen intensiven, vollmundigen, samtig-weichen Rotwein, der seinen Preis mehr als rechtfertigt. Und was kann die spanische Seite von Vino y Mas? Sie verleitet, wie so oft bei Tapas-Bars, dazu, viel zu viel zu bestellen. Wir lassen uns schließlich Meeresfrüchtesalat mit Muscheln und Pulpo (6,50 Euro), Maurische Schweinefleischspieße mit dezent scharfem Paprikadip (6,50 Euro) und Gambas vom Grill mit angenehm zurückhaltender Aioli (9,50 Euro) bringen. Dazu gibt es gegrilltes Brot mit Gorgonzola und mit Ziegenfrischkäse (je 6,50 Euro) sowie reichlich belegte Bruschetta mit Serranoschinken (4,50 Euro). Alles empfehlenswert, einzig die Gambas fielen negativ auf, weil sie nicht ganz frisch schmeckten. Andererseits: Kann man in der norddeutschen Tiefebene zu dem Preis perfekte Meeresfrüchte erwarten? Italien und Spanien harmonieren, so viel kann man sagen. Auch beim Dessert !'$ Foto: Surrey # &' denken die Macher des Vino y Mas länderübergreifend: einmal Flan (etwas unscheinbar) mit intensiver Karamelsoße (4 Euro) und einmal Tartufo (mit Haselnuss-Schoko-Schale 4,80 Euro), bitte! Muchas gracias, alla prossima volta – vielen Dank, bis zum nächsten Mal! '"%&$ &'" "'$ *" ""#($ MEIN FazIt: Mediterrane Mischung garniert mit netter Atmosphäre. Preiskategorien: günstig (Hauptgerichte bis 10 Euro), moderat (bis 15 Euro), gehoben (um 20 Euro) Alle Kostenproben auf haz.li/kostprobe 12838301_000115 "" "#$ "'%" #$" inden kann man ja durchaus als das Spanien Hannovers bezeichnen. Rund um Rias Baixas I und II im südlichen Teil treffen sich die Freunde von Tapas und Co. nicht nur, wenn die spanische Nationalelf antritt. Und im nördlichen Teil des Viertels bietet seit Jahren O Atlantico eine verlässliche Anlaufstelle für Liebhaber der iberischen Küche. Seit einem guten Jahr ergänzt Vino y Mas das Angebot mit einer Mischung aus Tapas, italienischer Pasta und ausgewählten Weinen. Das kleine Lokal an der Ecke Kötnerholzweg/Limmerstraße liegt etwas im Schatten der alteingesessenen Notre Dame und Stubenwechsel – was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Denn während die Gäste im Notre Dame im Sommer noch lange die Abendsonne im Rücken haben, muss man im Vino y Mas eventuell schon zur Jacke greifen. Dennoch lohnt sich der Besuch, denn die Snack- und Weinbar besticht durch Authentizität, Freundlichkeit sowie Stil – und besetzt damit eine Nische, die an der Ecke noch zu haben war. Ein paar kleine Tische stehen vor dem Lokal, im Inneren gibt es dunkle, elegante Holztische mit Barhockern, Weinregale und Kreidetafeln mit den aktuellen Angeboten. Kaum zu glauben, dass dies früher ein Friseurgeschäft gewesen sein soll. Eine zweiseitig beschriftete Tafel auf dem Tisch präsentiert das Essensangebot – zwei wechselnde Nudelgerichte für Preise zwischen 9 und 13 Euro, italienische Vorspeisen wie Caprese (5,50 Euro) und eine ganze Reihe spanischer Tapas. Wir setzen zunächst auf Italien: Die Pasta mit Vongole ist schmackhaft und enthält reichlich, wenn auch kleine, Venusmuscheln. Die Ravioli mit Gorgonzo- $'"%) "
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