pdf-Download - Alte Schule

64 reise
F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TAG S Z E I T U NG , 2 4 . JA N UA R 2 0 1 6 , N R . 3
Deutschland, während der dunklen Hälfte des Jahres: Die „Kleine Schorfheide“ in Templin versteckt sich hinter lindgrüner Fassade, die „Alte Schule“ in Fürstenhagen ist Gourmets längst ein Begriff (Foto Mitte), und im Gewächshaus der alten Schlossgärtnerei in Gerswalde liegt Gemüse für
Warum essen wir unsere Vorurteile
Im Osten Deutschlands kann man nicht essen gehen – stimmt das immer noch? Eine Reise nach Wandlitz und Weimar,
Wandlitz: „Petras Hofladen“
Schräg gegenüber des Ortseingangsschildes von Zerpenschleuse in Wandlitz flattert ein Banner im schlechtgelaunten Ostwind: „Was tun Sie Ihrem Volk nur an,
Frau Merkel“ – dicke schwarze Buchstaben auf grauweißem Hintergrund, wütend ans Vorderdach eines Oldtimer-Handels genagelt. Die alten Mercedeslimousinen glänzen in der Wintersonne, warten
sehnsüchtig auf einen Käufer. Der sie endlich hier wegfährt, heimholt aus dem
Exil. Nicht alle Hoffnungen hat die Wende erfüllt. Nicht alle Landschaften blühen. Vor allem die gastronomischen
nicht. Wer an einem winterlichen Samstagnachmittag durch Brandenburg fährt,
voller Lust auf Entdeckungen und Gegenargumente zum ewigen Lamento vom
düsteren Osten, in dem man nicht gut essen könne, der sucht, wie wohlwollend er
auch um sich blickt, zunächst einmal vergeblich. Das Bistrorestaurant hat Betriebsferien, die Bäckerei nach 13 Uhr geschlossen, und selbst der Döner-Wagen am
Wegrand ist unbesetzt. Als einzige Bekanntmachung am schwarzen Gemeindebrett wird verkündet: „Schildkröte entlaufen“. Man versteht sie gut. Und entdeckt
dann, am Ende der Alten Lindenstraße,
rechts hinter dem Finowkanal, doch noch
die Ausnahme, für die es sich lohnt zu
bleiben. Petra Hamanns empfängt hungrige Gäste in ihrem „Hofladen“ mit strahlendem Gesicht und einer zarten Scheibe
gepökeltem Schweinelachs. Fünf Tage
hat die in Milch, Honig und HimalayaSalz gelegen, bevor sie im eigenen Ofen
geräuchert wurde. Draußen vor dem
Fenster drängeln sich amerikanische Miniaturpferde, hinten auf der Weide grasen seltene Dexter-Rinder. Aber Petras absolute Augensterne sind ihre kleinen Sattelschweine. Sie hat extra eine Kamera im
Stall installiert und eine Liveübertragung
in den Hofladen eingerichtet, um sie
nicht aus dem Blick zu verlieren. „Und natürlich auch, um den Kunden so richtig
Lust aufs Schwein zu machen“, kichert
sie. Stolz präsentiert sie die letzte Neuheit in ihrem Sortiment: eine Sattelschweinseife. Am 19. Februar ist der
nächste Schlachttermin. Spätestens dann
lohnt ein Ausflug nach Zerpenschleuse.
„Petras Hofladen“, Alte Lindenstraße 10 A, 16348 Wandlitz/Zerpenschleuse
Fürstenberg: Mühle Tornow
Zur Mühle Tornow fährt man am besten
mit dem Floß. Hinter der alten, frisch renovierten Wassermühle gibt es neue Anlegestellen, denn seit das lokale Start-upUnternehmen „rent a floss“ 2009 einen
Tourismuspreis gewonnen hat, herrscht
hier in den Sommermonaten Hochbetrieb. (Die Kuriosität, dass „floss“ auf
Deutsch ausgerechnet Zahnseide heißt,
nicht Floß, fiel wohl keinem auf.) Liebespaare, Kleinfamilien, Gelegenheitsaussteiger – alle mieten sich ein Floß mit
wetterfester Holzhütte und führerscheinfreiem Außenbordmotor und schippern
durch die weitverzweigte Seen- und
Flusslandschaft der Schorfheide. Einkehren kann man währenddessen (oder auch
sonst) am besten im idyllisch gelegenen
Restaurant der denkmalgeschützten
Mühle Tornow. Auch wenn die Inneneinrichtung keinen Designpreis gewinnen
würde, Kaminfeuer von Plasmabildschirmen lodern und die überdimensionalen
Ölgemälde des Dorfkünstlers den Blick
eher abstoßen, als dass sie ihn bannen –
das, was hier auf den Teller kommt, überrascht den Ostkostskeptiker. Vor allem
auf die Nachspeisen hat sich die Küche
des Mühlenrestaurants unter der Leitung von Christian Schneider spezialisiert. Es gibt gebrannte Zimtcreme um
Balsamicokirschen und ein Tannenhonigmousse auf einem Granatapfelsorbet.
Draußen rauscht der Fluss vorbei, unten
wartet ein Weinkeller mit regionalen
Obstbränden. Wer da noch aufs Floß
möchte, ist selbst schuld. Den Sternenhimmel gibt es auch morgen noch. Das
hausgemachte Rhabarberkompott vielleicht nicht mehr.
Mühle Tornow, Neue Straße 1, 16798 Fürstenberg/Havel
Fürstenhagen: „Alte Schule“
Dieser Ort ist der Gegenbeweis. Die berühmte, die Regel bestätigende Ausnahme. Von hier aus leuchtet ein helles
Licht in den Tunnel. Hier wird das Pionierleben geprobt. Die „Alte Schule“ in
Fürstenhagen ist ein Sternerestaurant im
Exil. Mitten im gastronomischen Brach-
SCHNELL, DIE WELT
WARTET SCHON AUF SIE!
JETZT BIS 03.02. BUCHEN
New York
Ho Chi Minh-Stadt
Santiago de Chile
Hongkong
Johannesburg
Los Angeles
Shanghai
Vancouver
Teheran
Chicago
Bangkok
Lima
DUBAI
339€
AB
TOKIO
489€
„Alte Schule“, Zur Alten Schule 5 / Fürstenhagen, 17258
Feldberger Seenlandschaft
AB
Paris
land hat sich vor ein paar Jahren ein junges Paar mit der fixen Idee niedergelassen, mit allen Klischees aufzuräumen,
die es über den Osten und seine kulinarische Minderwertigkeit so gibt. Eine Art
„Entwicklungshilfe“ sei das schon, was
man hier leiste, spöttelt Daniel Schmidthaler, gebürtiger Österreicher und prämierter Sternekoch. Im Klassenzimmer
eines alten Schulgebäudes, in dem bis
1969 die Tafelkreide quietschte, serviert
er ein exquisites Sechs-Gänge-Menü mit
Weinbegleitung. Dort, wo früher Russischvokabeln und Stochastik gepaukt
wurden, gibt er heute zusammen mit seiner Frau Nicole, die aus einem Nachbarort stammt, gewissermaßen kulinarische
Nachhilfe. Unaufdringlich, ohne Pedanterie, aber doch mit ambitioniertem Anspruch. Die Kellnerin mit auf die Bluse
gedruckter Krawatte weist in den ordnungsgemäßen Gebrauch des Bestecks
ein und nennt zu jedem neuen Wein
eine passende Obstsorte, an dem sich der
gastrosophisch überforderte Gast festhalten kann. „Pfirsich-Holunder, ja,
stimmt.“ Die Fjordforelle wird auf zwei
unterschiedliche Weisen serviert: Einmal auf einer Komposition aus Meerrettich-Eis und verbranntem Limettenstaub, umringt von Topinambur-Artischocken und Glückskleewurzeln. Das
andere Mal, sozusagen back to the roots,
auf einem heißen Tannenzapfen, dessen
würziges Aroma das zarte Fischfleisch euphorisch annimmt. Die Inszenierung des
Natur-Kultur-Gegensatzes kommt hier
ohne großes Tamtam, sehr spielerisch daher. Immer wieder wechselt während des
Menüs die Tonlage: Eben noch eine
schimmernde Porzellan-Sauciere, dann
eine zerkratzte Schulmilchflasche, vorher gerade ein feines Cayenne-Süppchen, jetzt ein knackiger Knollenziest.
Daniel Schmidthaler nennt sich selbst
„ganz alte Schule“ und hat ein „Gastgeber-Gen“ in sich, wie er sagt. Am liebsten würde er jeden Abend in der Küche
stehen und alles, was ihm einfällt, kochen. Aber unter der Woche wartet er –
vor allem in den dunkleren Monaten –
noch oft vergeblich auf Gäste. Dabei
kann man im ersten Stock über dem
Gastraum in eben erst renovierten Landhaus-Zimmern auch wunderbar nächtigen. Und davon träumen, wie es wäre,
wenn diese Schmidthalersche Schule
Schule machen würde im gastronomisch
düsteren Osten.
Templin: „Kleine Schorfheide“
MARTINIQUE
499€
AB
HAVANNA
529€
AB
AIRFRANCE.DE
Preisbeispiele für einen Hin- und Rückflug ab Hamburg (inkl. Verpflegung, Gepäckmitnahme, Steuern, Gebühren und Ticket-Service-Entgelt zzgl. einer Gebühr bei Zahlung mit Kreditkarte). Preisabweichungen möglich ab
anderen Abflughäfen sowie bei Buchung im Reisebüro oder unter 069 2999 3772. Begrenztes Sitzplatzangebot, nicht umbuch- und stornierbar. Buchungszeitraum bis 03.02.2016, Reiseantritt ab 03.02. bis 30.06. (Havanna erst
ab 01.05.); Karibik zusätzlich 01.09. bis 16.10.2016. Weitere Bedingungen und Informationen auf www.airfrance.de. Stand 13.01.2016
Alle paar Monate kommt sie vorbei, die
Bundeskanzlerin, mit ihrer Mutter, die
im Nachbarort wohnt. Manchmal gehen
sie zusammen in der Dorfkirche von Annenwalde in den Gottesdienst, sitzen
ganz hinten rechts nebeneinander auf
der Bank und schlendern dann über den
Kopfsteinpflasterweg schräg gegenüber
in ihr Lieblingsrestaurant, die „Kleine
Schorfheide“. Auf den ersten Blick verweist hier nichts auf die sporadische Einkehr des berühmten Gastes. Kein Porträt an der Wand, kein „Merkel-Menü“.
Noch nicht mal ein Eintrag im Gästebuch. Nur wer auf die Toilette geht, findet in einigen schlecht kopierten Kanzlerinnen-Zeichnungen von Udo Lindenberg einen versteckten Hinweis an der
Wand. Die Atmosphäre ist bodenständig. Am Eingang wird man von einem
großen Holzbären aus uckermärkischem
Eichenholz empfangen, eine abgewetzte
Deutschlandflagge weht im Wind. Auf
den zweiten Blick also doch einige Referenzen an die „Großwesirin“ – so lautet
Merkels Kosename im Dorf. Zu Essen
gibt es gehobene Hausmannskost, Sülze
und Steaks und die Spezialität des Hauses: „Uckermärkische Fladen“, eine Art
Flammkuchen mit einfallsreichen „toppings“ nach Wahl. Auf die Frage, was die
Kanzlerin denn gewöhnlich so speise,
blinzelt die Bedienung mit den Augen.
„Wir schauen schon, dass unsere Karte
monatlich wechselt, damit wir sie jedes
Mal von neuem überraschen können.“
Eines bleibt in der Karte aber immer
gleich, und zwar die letzte Seite, die auf
subtile Art Herrscherkritik übt. In Form
einer Wunschliste ist da vermerkt, welche gesetzlichen Verbote und steuerlichen Anforderungen einem Gastronomen das Leben schwer machen. „Wenn
Sie sich wundern, warum unsere Preise
Bald in der Schlossgärtnerei, jetzt schon in
der Markthalle 9 in Berlin: Räucherfisch
in den letzten Jahren leicht gestiegen
sind – hier lesen Sie warum.“
„Kleine Schorfheide“, Annenwalde 13, 17268 Templin
Gerswalde: „Café zum Löwen“
Einmal hin und nie mehr zurück: Von Fukushima nach Gerswalde. Vor der Nuklearkatastrophe floh Ayumi, die in Japan eigentlich eine Karriere im Modedesign anstrebte, nach Europa. Kam erst nach Paris, dann nach Berlin und fing in kleineren Restaurants an zu kochen. Bald spezialisierte sie sich auf das sogenannte „left
over cooking“, ein Label fürs Kochen auf
kleinstem Raum mit dem, was gerade
noch da ist. Mittlerweile ist sie sehr gefragt, kocht fürs „Vice“-Magazin und bei
exklusiven Filmpremieren. Hier lernte sie
auch Lola Rantl kennen, erfolgreiche
Filmregisseurin („Die Erfindung der Liebe“) und stolze Einwohnerin von Gerswalde, einem uckermärkischen Dorf mit
Potential. Zusammen mit ihrem Mann
hat Lola hier vor sieben Jahren eine alte
Wirtschaft mitten im Dorfzentrum gekauft, eigentlich, um am Wochenende
Drehbücher zu schreiben und Produktionen vorzubereiten. Mittlerweile leben sie
fest hier. Und weil das Haus so zentral gelegen ist, funktionierten die beiden die untere Etage kurzerhand zu einem Café
um. Einfach ist die Bewirtschaftung
nicht, die Alteingesessenen gehen lieber
zum Döner-Wagen gegenüber als bei
Lola Fairtrade-Kaffee zu trinken. Aber
anstatt den Mut zu verlieren, geht sie
jetzt in die volle Offensive. Wenn schon
Risiko, dann richtig. Ab April 2016 wird
Ayumi das Café betreiben. Zusammen
mit einer Einheimischen, die ihr bei der
Verständigung hilft, will die zierliche japa-
nische Powerfrau versuchen, Gerswalde
kulinarisch vom Kopf auf die Füße zu stellen. „Döner: Igitt – Sushi: Mhmm.“ So
umreißt sie ihren Lehrauftrag. Die Zutaten für ihre Küche darf sie in der alten
Schlossgärtnerei anbauen, die einst Emily
von Arnim im Stil von Sanssouci anlegen
ließ und die nach einer langen Verfallszeit
heute von Lola und einigen Berliner
Freunden wieder bewirtschaftet wird. In
Gerswalde tut sich was.
„Café zum Löwen“, Dorfmitte 7, 17268 Gerswalde
Weimar: „Scharfe Ecke“
Der Thüringer Kloß mag, auf den ersten
Blick, absurd erscheinen. Einst staunte
ein befreundeter Lateinamerikaner, zu Besuch in Deutschland, bei der Ansicht eines Tellers voller Klöße, und bemerkte,
die Deutschen müssten ein merkwürdig
umständliches Volk sein, wenn sie auf die
Idee kämen, eine Kartoffel zu zerstören,
um daraus wieder eine Kartoffel aufzubauen. Hat das denn irgendeinen Sinn?
Oh ja. Wer die „Scharfe Ecke“ in der
Weimarer Altstadt besucht, wird dies in
aller Klarheit erkennen. Bereits am Eingang der Gaststätte präsentiert die KloßMarie stolz einen Teller der runden, kartoffelgelben Spezialitäten und lockt, so
gut eine Gipsstatue das eben kann, in die
gute Stube. Seit Jahrzehnten ist die
„Scharfe Ecke“ weit über die Grenzen
der Region hinaus für ihre traditionell
thüringische Küche bekannt – besonders
für ihre hausgemachten Klöße. An einem
Winterabend vor kurzer Zeit saßen an jedem der etwa 15 Tische einheimische und
internationale Gäste, unter ihnen zwei japanische Studenten, die in vollkommener
Stille ihre Hirschbraten verspeisten und
ab und zu andächtige Blicke tauschten,
und eine Runde von heiteren Frauen, die
hier ihre Weihnachtsparty feierten und
sich immer wieder fragten, wie sie das alles aufessen sollten. Eine gut gelaunte
Kellnerin bringt einen Gutedel-Weißwein aus der Region Saale-Unstrut und eines der saisonalen Gerichte: Scheiben einer Gänseroulade gefüllt mit Trockenobst, dazu Rosenkohl-Pilzgemüse in einer delikaten Bratensoße. Herrlich. Doch
was wäre all das ohne die Klöße? Diese
sind natürlich keine wiederaufgebauten
Kartoffeln, sondern vielmehr eine raffinierte Fusion von Kartoffel und Brot, die
die Fähigkeit hat, jede Fleisch- oder Gemüsesoße aufzusaugen und voll zur Geltung zu bringen, ohne dabei ihre eigene
Form und Konsistenz zu verlieren. Eine
kulturelle Errungenschaft. Und hier, unweit von Bauhaus-Museum und Goethes
ehemaligem Wohnhaus, ein weiteres
Zeugnis deutschen Erfindergeistes.
„Scharfe Ecke“, Eisfeld 2, 99423 Weimar
Chemnitz: Gaststätte „Franklin
Hofmann“ (u. a.)
In Chemnitz sollte sich die Suche nach
einer besonders guten Soljanka – der osteuropäischen Suppe aus Tomaten, Paprika, Sauerkraut und Fleisch, einst beliebter Eintopf der DDR – als eine schwierige erweisen. Aber auch als eine glückliche, denn schon auf dem Weg trifft man
auf einige nicht nur gastronomische
Überraschungen. Ein alter Chemnitzer
hatte das „Café Moskau“ empfohlen.
Doch das Café, beherbergt in einem
Haus im strengen sozialistischen Baustil
an der breiten, kahlen Straße der Nationen, hat vor kurzer Zeit zugemacht. So
führte der Weg weiter zum pittoresken
historischen Stadtteil Schloßchemnitz, in
dem sich zwei bekannte Gaststätten befinden: das „Kellerhaus“ und das „Gasthaus Schlossvorwerk. Keines der beiden