Inhalt: Graf Marogna-Redwitz • Brief v. Ricarda Huch in der Rhein-Neckar-Zeitung v. 28. Mai 1946 • Die Anwort von Anna Marogna-Redwitz am 20. Juli 1947 Jugend • Leben auf dem Bauernhof im Chiemgau • Operation 1927 nach schwerer Kopfverletzung im 1.Weltkrieg Wohnen in der Tengstraße Versetzung zur Abwehr nach Wien Der Feind im eigenen Lager: Gestapo und SD Tätigkeit bei der Abwehrstelle in Wien Graf Marogna - Zeitzeugen erinnern sich • Prinz Arenberg über seinen Vorgesetzten Graf Marogna • Graf Marogna und Admiral Canaris; Oberst Lahousen erinnert sich Der 20. Juli 1944 • Graf Marogna – die letzten Tage vor dem 20.Juli 1944 • Die Ereignisse in Berlin, Bendlerstraße, ab etwa 17.30 Uhr • Ereignisse in Wien – Bericht Oberst Kodré • Der Bericht Kaltenbrunners an Bormann vom 30.Juli 1944 • Die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof (Freisler) • Berichte des Gefängnisgeistlichen Peter Buchholz Graf Marogna-Redwitz Brief v. Ricarda Huch in der Rhein-Neckar-Zeitung v. 28. Mai 1946 Aus unserer Mitte sind böse, brutale und gewissenlose Menschen hervorgegangen die Deutschland entehrt und Deutschlands Untergang herbeigeführt haben. Sie beherrschten das deutsche Volk mit einem so klug gesicherten Schreckensregiment, daß nur Heldenmütige den Versuch, es zu stürzen wagen konnten. Es war ihnen nicht beschieden, Deutschland zu retten, nur für Deutschland sterben durften sie; das Glück war nicht mit ihnen, sondern mit Hitler. Sie sind dennoch nicht umsonst gestorben. Wie wir der Luft bedürfen, um zu atmen, des Lichtes um zu sehen, so bedürfen wir edler Menschen, um zu leben. Sie sind das Element, in dem der Geist wächst, das Herz rein wird. Sie reißen uns aus dem Sumpf des Alltäglichen, sie entzünden uns zum Kampf gegen das Schlechte, sie nähren in uns den Glauben an das Göttliche im Menschen. Wenn wir derer gedenken, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus ihr Leben gelassen haben, so erfüllen wir eine Pflicht der Dankbarkeit, zugleich aber tun wir uns selbst wohl, denn indem wir ihrer gedenken, erheben wir uns über unser Unglück. Die durch die Nationalsozialisten bewirkte künstliche Vereinzelung der Deutschen ist Ursache, daß nicht alle unsere Märtyrer bekannt sind und daß, von denen, die man kennt, nicht viel mehr als der Name bekannt ist. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Lebensbilder dieser für uns Gestorbenen aufzuzeichnen und in einem Gedenkbuch zu sammeln, damit das deutsche Volk daran einen Schatz besitzt, der es mitten im Elend noch reich macht. Dazu bedarf es der Hilfe vieler, an die ich mich bittend hier wende… Anm.: Die Dichterin und Historikerin Ricarda Huch beabsichtigte im Jahr 1946 einen Gedenkband über die deutschen Widerstandkämpfer herauszugeben. Mit ihrem Zeitungsartikel hoffte sie auf Resonanz und Zuschriften unter den Angehörigen der Opfer. An Graf Marognas Frau, Gräfin Anne Marogna-Redwitz, richtete sie am 2.2.47 ein persönliches Schreiben: „Ich wüßte gerne etwas über seine Familie, seine Kindheit, die Art seiner Erziehung, die Grundsätze, nach denen er lebte. Je mehr einzelne Bezüge und Begebenheiten aus seinem Leben ich weiß, desto anschaulicher kann ich sein Lebensbild gestalten.“ Gräfin Anne Marogna antwortete am 20.07.1947; Im Jahr 1947 verstarb Ricarda Huch, ohne ihr Vorhaben beginnen zu können. 1 Die Antwort von Anna Marogna-Redwitz am 20. Juli 1947 Heute endlich fühle ich mich fähig, Ihnen auf Ihren so lieben Brief vom 2. Juni 1946 so zu antworten, wie ich es gerne möchte. Mangel an Zeit und innere Ruhe neben Hemmungen aller Art ließen mich stets wieder zurückschrecken von dem Menschen zu sprechen, der mich seit 1910 liebte, dem meine ganze Liebe gehörte. Wir heirateten im Juni 1912, und unsere Ehe galt auch Außenstehenden als die glücklichste; unser Familienleben war märchenhaft glücklich. Wir haben dieses Glück immer als ein unverdientes Geschenk Gottes betrachtet. Mein Mann stammte aus dem fränkischen Geschlecht der Freiherren von Redwitz. Als wir verlobt waren, starb sein ältester Bruder in Rom, er war vom Grafen Marogna adoptiert worden, um die Familie Marogna weiterzuführen. Nun wurden wir die Träger des Namens, der unter der Regierung des damaligen Prinzregent Luitpold von Bayern als Graf Marogna-Redwitz eingetragen wurde. Das erste Kind war unsere Tochter Elisabeth; dann folgten die beiden Söhne Rudolf und Hubert, die am 13. Mai und 9. Juli 1942 in Rußland gefallen sind. Die Eltern Redwitz lebten in München. Die Ehe war das Idealbild einer glücklichen Ehe. Es entsprangen 4 Söhne: Josef, Rudolf, Franz, Alfons und eine Tochter Maria Josepha. Die Mutter war eine geborene Freiin von Stillfried aus Schloß Wisowitz in Mähren. Die Familie war also bayrisch mit österreichischem Einschlag, hielt viel auf Tradition, Kunst und war tief religiös. Der Vater Redwitz war Hofmarschall des kranken Königs Otto von Bayern. Ich selbst bin eine geborene Gräfin Arco-Zinneberg. Mein Mann, geb. am 15. Oktober 1886, studierte in München und wollte Musiker werden – aber das war damals nicht Sitte! So wurde er Offizier und blieb bis nach dem Ersten Weltkrieg im 1. Bay. Schweren Reiter Regiment in München. Im Jahre 1916 wurde er in Rußland verwundet, schwerer Kopfschuß, Verlust des linken Auges. Später trat er wieder aktiv in das Heer ein, wo er bis April 1944 verblieb. Er war nie Militarist, aber immer das Bild eines in allen Nationen als Typ eines Offiziers bezeichneten Mannes. Ein Ausspruch kurz nach seiner Heimkehr aus dem Weltkrieg charakterisiert ihn: „Ich bin so glücklich in dem Bewußtsein, daß ich keinen einzigen Menschen wissentlich getötet habe“. Mein Mann war selbst tief religiös, naturliebend, tierliebend, ein Musiker und Reiter. Diese Eigenschaften fand er in mir wieder, und zusammen lebten wir in dieser Atmosphäre, die sich dann in den Kindern weiterentwickelt hat. Im Jahr 1918 kauften wir ein kleines Bauernanwesen, das Paradies von fünf glücklichen Menschen. Dort verbrachten wir in beneidenswerter Harmonie viele Monate des Jahres, dort lebe ich jetzt mit meiner Tochter seit dem Dezember 1944, und wir leben in Erinnerungen und Arbeit. Meine Tochter ist Künstlerin (Sängerin). Liebe Frau Dr. Huch – ich möchte diesen chaotischen Versuch, Ihnen zu schreiben, wieder vernichten, ich möchte zu Ihnen fahren und mündlich in einigen Stunden alles besprechen. Ich weiß, ich fühle so gut, was Sie haben wollen zu Ihrem Denkmal und meine Steinchen zerfallen und zerbröseln zu Staub. Verzeihen Sie mir bitte. Ich will es weiter versuchen! Vielleicht in Stichworten? Glückliche Jugend, sehr gute, großzügige Erziehung, Pflichttreue, Christenpflichten herausgestellt, Pflichten des Edelmannes von frühester Jugend bewußt, Ritterlichkeit, Achtung vor der Frau selbstverständlich. Katholisch streng erzogen, ohne Zwang und Bigotterie. Elterliches Verständnis und Vertrauen in allen Lagen genossen. Nach der glücklichen Genesung von der schweren Verwundung, später erneuter Operation, entwickelte sich mein Mann immer positiver zu jener Größe, die ihren Höhepunkt am 12. Oktober 1944 gefunden hat. In der Erziehung der Kinder bewies er u. a. seine Charaktergröße darin, daß er den ältesten Sohn, der sehr schwierig war, auf meine Bitte mir völlig überließ. Welcher Vater tut das? Ich versprach ihm, den Buben zu einem Charakter zu formen – er ließ mich arbeiten (natürlich arbeiteten wir gemeinsam hinter den Kulissen), aber das Kind hatte so viel Arcoisches, daß eine Arco, die selbst schwer mit sich zu ringen hatte, geeigneter erschien, dieses wilde Füllen zu bändigen. Die Freude des Vaters an der prachtvollen Entwicklung des Sohnes war ihm der schönste Lohn. Der jüngere Sohn war ein Sonntagskind. Problemlos, zielbewußt, ein Musenkind. Für den Vater eine Freude wie ein Sonntag. Die Tochter und der Vater – da brauche ich nichts zu sagen. Wer ihn in Wien im Brahmssaal sah, als sie am Podium sang, weiß wie glücklich er war mit diesem Kind, dem er den Künstlerberuf so sehr gönnte. Im Jahr 1938 übersiedelten wir von München nach Wien, wo meinem Mann die verantwortungsvollste Stellung übertragen wurde (Leiter der Abwehrstelle Wien). Seit dem Jahre 1921 wußte mein Mann Bescheid über Adolf Hitler und blieb sein Gegner. Freilich konnte er ab 33 die Geschicke der Welt nicht lenken. Was er aber tun konnte, hat er stets getan. Als der Ausbruch des Krieges 1939 kam, seine beiden Söhne hinausgingen in den Wahnsinn – mein Mann sehend, wissend, als Offizier in Wien blieb, stand es in ihm fest, er würde alles, alles tun, was in seiner Macht stünde, um der Macht des Bösen entgegenzutreten in seinem Bereich. 2 Welch furchtbare Konflikte! Was sich nun alles in unserer so reizenden Villa am Prater abspielte, liebe Frau Dr. Huch, das möchte ich Ihnen sagen können. Mein Mann galt als Engel und Retter all der armen Menschen, die sich an ihn wandten – und wir wußten uns umgeben von lauernden Teufeln. Es wäre sinnlos gewesen, damals schon sein Leben zu opfern, wo er doch soviel Gutes noch wirken konnte und mußte. Die Gewissenskonflikte des Offiziers, des Christen, des Vaters – wo war die höchste Verantwortung? Und dann fiel Hubert, das Sonnenkind. Ich erhielt die Nachricht zuerst – ich überbrachte sie dem Vater. Er brachte das „Fiat“ über sich. Dann kam der Seelenkampf des Vaters: Sollte er Gebrauch machen von dem damals geltenden Erlaß. Den letzten Sohn aus der Kampflinie ziehen zu lassen? Durfte er von dem Sohn dies fordern – wo er doch wußte, daß dieser seine Schwadron, seine treuen Leute, nicht in Stich lassen wollte? Und der Sohn kämpfte denselben Kampf draußen, zwischen ihm, seinen Leuten, seinen Eltern! Der Vater brachte dem Buben das Opfer, der junge Chef hatte sich durchgerungen, nach dem bevorstehenden Einsatz sich versetzen zu lassen. Briefe von uns Eltern und Rudolf bestätigten das gegenseitige Opfer. Es kam die Nachricht, daß Rudolf bei einem Scheinangriff bei Woronesch als einziger der Schwadron schwer verwundet wurde – eine Stunde nach Ankunft des Befehls seiner Herausnahme aus der Kampfzone. Die Nachricht kam in Wien zum Befehlshaber, der sie meinem Mann übermittelte. Nach zwei Tagen verschied der Sohn im Lazarett in Kursk. Als mein Mann heimkam vom Ministerium – ich war schon gefaßt - da drohte dieser starke Mann zusammenzubrechen. Er kämpfte wohl den härtesten Kampf seines Lebens, denn Mutterliebe und Vaterliebe mit Stolz, da ist ein Unterschied. Versunken alle Zukunftshoffnungen, kein Stammhalter mehr – die Mutter reagiert anders – sie sieht in erster Linie nur das Kind. Und das alles wegen dieses Satans!.. Die Schwester meines Mannes, die zugegen war, und ich fanden von oben die Kraft und konnten langsam aus diesem armen Vater das zweite „Fiat“ herauspressen – Dann fuhren wir nach Pressburg, wo die Tochter schon war, zu dritt zogen wir in die Tatra, wo wir in der herrlichen Natur uns gegenseitig zu helfen suchten. In diesen drei Wochen entwickelte sich mein Mann erneut, und die klare Läuterung vollzog sich immer mehr. Ich ahnte und fühlte – wir schwiegen und redeten, wir verstanden uns. Frau und Tochter standen meinem Mann sozusagen im Wege. Die Ereignisse stiegen und sanken. Das Leben, die Arbeit wurden immer schwieriger, immer gefährlicher. Die Liebe zu meinem Mann wuchs immer intensiver – er fühlte, daß auch ich nicht stehen blieb, ich dachte wie er. Meine Pflicht war, ihm alles zu erleichtern, stark zu sein wie er. Im April 1944 hat Himmler endlich eingegriffen und den „sehr tüchtigen, katholischen Grafen“ endlich zur Strecke bringen können. Mein Mann wurde von einem Tag zum anderen entlassen. Sollte er in Pension gehen, jetzt alle Freunde in Stich lassen? Er nahm Urlaub und dann einen Scheinposten an unter den Großen des 20. Juli. Am 5. Juli ging er von unserem Heimatdorf auf immer weg (was wir damals nicht ahnen konnten). Einige Briefe erhielt ich noch – ich habe sie im zuliebe nach dem Mißlingen des Attentates vernichtet. Am 21. Juli wurde mein Mann aus der Villa geholt und zur dortigen Gestapo geschleppt, wo er bis zum 12. August blieb. Was ich erfahren konnte, war, daß es ihm dort gut ging. Ich weiß, daß dort so mancher verkappte Antinazi saß. Was sich dann in Berlin alles abgespielt hat, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Am 18. August soll das große Verhör am Volksgericht unter Freisler gewesen sein. Von verschiedenen Seiten hörte ich, daß sich mein Mann grandios verhalten hat, seine Meinung klar gesagt hat, sich als Katholik und Edelmann und Deutsche bekannte. Vor einigen Monaten erhielt ich aus dem „Berliner Telegraf“ ein Bild, auf dem außer Leber, Gördeler u. a. auch mein Mann vor den Richtern zu sehen ist, mit einem Augenpflaster über der Stirn. Angeblich durfte ich Briefe an ihn senden. Er hat keinen erhalten. Er schrieb dreimal. Zwei der Briefe wurden erst nach dem Tode befördert – den Abschiedsbrief vom 12. Oktober 1944 erhielt ich am 17. Februar 1945. Als ich per Post die Todesnachricht des „Hochverräters“ erhalten hatte, waren wir gerade reisebereit, um nach Berlin zu fahren, ihm warme Kleidung zu bringen, da er brieflich darum gebeten hatte und wir aus seinem Brief entnehmen konnten, daß für uns keine Gefahr zu sein schien. Wir haben alles vermieden, so unsagbar hart es auch war, uns in Gefahr zu bringen, denn wir wußten nur zu gut, daß wir sein Los niemals hätten ändern können, ihm jedoch Qualen bereitet hätten. Er wollte allein seinen Weg gehen, Frau und Tochter nicht belasten – daher hatte er in letzter Zeit weder Namen noch Termine genannt – und wir achteten sein Schweigen. Wir fuhren nach Berlin, sprachen mit dem Satan Görrisch – unvergeßlich! Wir sprachen dann aber auch in Katakombenluft in Tegel mit dem dortigen heldenhaften Pfarrer Buchholz, der zusammen mit dem evangelischen Pfarrer Pölchau das Los der Gefangenen gegen die Befehle Hitlers zu lindern suchte. Beide Herren könnten Ihnen sehr viel wertvolles Material geben. Durch den Geistlichen erfuhren wir nun, daß mein Mann in der kurzen Zeit, die er in Tegel verbrachte, nie geklagt hat, tiefstes religiöses Dulden bewies. Er las viel in der Hl. Schrift, die er in den letzten Jahren ständig in seiner Nähe hatte. Er schien völlig abgeklärt und für den Tod bereit zu sein. 3 Am 5. Oktober brachte ihm Pfarrer Buchholz zum letzten Mal die hl. Kommunion. In der Nacht vom 7. auf 8. Oktober wurde er durch Bombenangriffe an der Stirn leicht verletzt, kam dann plötzlich von Tegel fort, und am 12. Oktober geschah die Hinrichtung durch den Strang. All unsere Bemühungen, endlich mehr zu erfahren, alles bisher vergebens gewesen. Ich hoffe aber doch, daß die Zeit kommen wird, daß so manches, was an Dokumenten bestimmt noch vorhanden ist, auch uns zugänglich gemacht wird. Alles an Andenken, wie Ringe und dgl. unauffindbar. Ich habe ein kleines „Etwas“ geschrieben über meine drei, das Ihnen vielleicht ein Colorit geben könnte. Es besteht die Hoffnung auf Druck, und es schweben so Verhandlungen darüber. Sollte ich noch eine etwas leserliche Abschrift finden, lege ich sie bei. Zusammenfassend war mein Mann ein geistig hochstehender, begnadeter Mensch, voll Sinn für Schönheit in Natur und Kunst, voll Humor, voll Güte und Liebe, opferbereit, selbstlos, ausgeglichen, feinfühlig. Musik war in ihm, um ihn. Musik war unser Element, unsere Sprache, die auch zu Gott leitet. Der Glaube war tief verankert – er führte zu seiner Vollendung. Sein Glaube stärkte den meinen. Darf ich mit Ihren eigenen Worten aus Ihrem „Wer ist unsterblich“ enden? „Nicht Unterjochung fremder Geister zur Vermehrung des eigenen Selbstgefühls eröffnet den Himmel: Nur wer sein Selbst opfert, sich freiwillig und liebend hingibt, wird in anderen auferstehen.“ Darf ich Ihnen noch nachträglich zu Ihrem Geburtstag gratulieren mit den innigsten Wünschen für ihr Werk. Anni Marogna-Redwitz Aus: Elisabeth v. Loeben: Opfergang einer bayerischen Familie, München 1984. Jugend Leben auf dem Bauernhof im Chiemgau Und nun beginnen meine ersten eigenen Erinnerungen. Seit frühester Kindheit erlebte ich meinen Vater auf seinem kleinen Bauernhof im Chiemgau, den er 1918 gekauft hatte, um seinen Kindern eine Heimat zu schaffen. Dieses Vorhaben ist ihm restlos geglückt. Vom ersten Tag an wurde das Haus heiß geliebt und umworben; Verbesserungen, Verschönerungen, Reparaturen aller Art wurden im Laufe der Jahre vorgenommen. Und heute, nach mehr als sechzig Jahren, hat sich nichts daran geändert. Das gute alte Haus wird immer noch geliebt und repariert. In seinen Schränken und Truhen hat es all das Material treu verwahrt, das ich nun verwenden werde, um das Schöne und das furchtbar Tragische im Leben meines Vaters zu zeigen. Damals, 1918, ging in München die Behauptung um, „Rudi Marogna“ habe mit seinem letzten Geld einen schönen Ausblick auf Berge und See gekauft... Mit Entsetzen mußte meine Mutter und vor allem die Wirtschafterin feststellen, daß es erstens kein Licht und zweitens keine ordentliche Heizmöglichkeit hatte. In der guten Stube stand ein alter Ofen, der mehr rauchte und stank als wärmte und in der Küche befand sich ein riesiger Wirtschaftsherd. Drittens war das Dach schadhaft. Es regnete wie aus Kannen in den ersten Stock hinein. Eimer, Wannen, Zuber, Kübel, sogar Schüsseln aus der Küche wurden aufgestellt, um das Wasser einigermaßen aufzufangen, wobei je nach Windrichtung die Behälter verschoben werden mußten. Ein Westgewitter verlangte ganz andere Maßnahmen als ein Tief aus dem Osten. Beim sogenannten Salzburger Schnürlregen war es am einfachsten. Still und leise, doch unentwegt, regnete es senkrecht in die oberen Zimmer. Viertens war das liebe Haus mit großen Steinen und Bergfelsen, keineswegs mit Ziegeln, einfach auf die Erde gebaut, ohne Keller, was zu Folge hatte, daß der Fußboden morsch und vor sich hinfaulte. Kellerasseln, Schnecken Mäuse und Spinnen waren immer um uns… „Das bekommen wir alles hin“, meinte mein Vater großzügig. Mein Vater versuchte, den Hof selbst zu bewirtschaften, und kaufte mit unglaublichem Schwung und großer Freude ein: Kühe, Schafe, Hühner, Schweine und unendlich viele landwirtschaftliche Geräte, Pferde hatte er ja schon, schließlich war er Kavallerieoffizier. Er vergaß nur, daß diese Pferde keine Ackergäule waren. Nie werde ich die Angst vergessen, die wir ausstanden, wenn besagte Pferde in gestrecktem Galopp die voll beladenen Heuwagen in die Scheune knallten, so daß wir Kinder beinahe aus den Betten fielen, so bebte das Haus. Die guten Reitpferde konnten sich nie an die Deichsel eines Wagens gewöhnen und gingen jedesmal durch … Was wir nicht hatten, war Geld. Die Landwirtschaft, von Amateuren betrieben, brachte wenig und brauchte viel. Ich glaube meine Eltern hatten große Sorgen. Doch für uns Kinder war es herrlich; wir lebten im Stall, mußten 4 uns kaum waschen und hatten reichlich zu essen. Worte wie Versailles, Revolution, Räterepublik, Inflation drangen wohl an unser Ohr, machten aber keinen großen Eindruck … Ja, dieses Haus war Heimat. Ganz besonders die alte Bauernstube mit dem großen grünen Kachelofen in der Ecke, der Ofenbank, dem riesigen Holztisch, der immer ein bisserl wackelte, dem dunklen Bauernbarockschrank mit Aufsatz, in welchem alte Zinnteller aufgestellt waren, einem zweiten dunklen Schrank mit Vitrine, die buntes Geschirr zeigte und nicht zuletzt mit der Kuhglocke, die von der schwarzen Holzdecke herabhing – ja, das alles war Heimat. Wie oft mögen wohl mein Vater und meine Brüder später an diese Stube gedacht haben. Eine ganz große Liebe und ausgeprägte Begabung hatte mein Vater für Gartenbau und Obstbäume. Er legte einen wunderbaren großen Garten an, der auch noch heute Spuren seiner Hand zeigt … Er pflanzte eine Buchenhecke um seinen Garten, die bald so dicht und hoch war, daß man im Freien ungestört Kammermusik spielen konnte. Musik und Natur vereint – ein Höhepunkt an Schönheit. Ganze Nachmittage saßen meine Eltern mit Onkel Franz, dem Cellisten, unterm Apfelbaum und spielten Streichtrio … Der Beruf, die Politik nahmen meinen Vater immer mehr in Anspruch, so daß er schließlich die Landwirtschaft aufgeben mußte. Die Wiesen wurden verpachtet an liebe Nachbarn – der große Garten blieb. Das Leben spielte sich immer mehr in München ab. Mein Vater war inzwischen als E-Offizier (Ersatzoffizier) in den Abwehrdienst übernommen worden, erfüllte mit vollem Einsatz seine schwierigen Pflichten und half beim Aufbau der Abwehr München, deren Leiter er später wurde. Er konnte immer seltener in sein Bauerhaus kommen. Wenn er aber die Zeit dazu fand, dann genoß er die Tage, begrüßte jeden Obstbaum, jede Blume persönlich und schmiedete sofort Pläne für eine Bergtour. Es gibt kaum einen Gipfel im ganzen Umkreis, den er nicht bestiegen hätte. Schon als ganz kleine Kinder wurden wir auf Touren mitgenommen. Das führte jedesmal zu einem wahren Aufstand vor lauter Aufregung und Freude. Allein die Vorbereitungen waren eine Wonne. Meistens übernachteten wir auf einer Hütte. Gekocht wurde unterwegs mit einem unheimlich altmodischen Spirituskocher. Die Rucksäcke platzten vor wichtigen Dingen. Jeder hatte eine neue Idee, was bei der Bergtour nützlich sein könnte. Mein Vater war bestimmt großzügig, aber als mein kleiner Bruder Hubi sein Schaukelpferd mitnehmen wollte, weigerte er sich, dasselbe auf die Kampenwand zu tragen. Aus: Elisabeth v. Loeben: Opfergang einer bayerischen Familie, München 1984. Operation 1927 nach schwerer Kopfverletzung im 1. Weltkrieg Am 8. Februar 1927 mußte sich mein Vater einer schweren Kopfoperation unterziehen als Folge einer Schußverletzung aus dem Krieg 1914 / 18. Professor Neumayer aus München operiert über vier Stunden und entfernte eine Unmenge kleiner Kopfsplitter, die seinerzeit im russischen Lazarett in Brest-Litowsk unbeobachtet geblieben waren. Dort hatte man nur die Kugel, ein Dum-Dum Geschoß herausoperiert. Die Gefahr einer Erblindung war sehr groß gewesen, aber glücklicherweis verlor mein Vater nur ein Auge. Ein Brief an meine Mutter vom 25. August 1916, also gleich nach der Verwundung geschrieben, zeigt, wie tapfer und innerlich stark dieser junge Mann war. Mein lieber Schatz, einige Zeit werde ich Briefe nur noch diktieren können, weil die Bande von Russen so lange herumgeschossen hat, bis endlich etwas passiert ist. Ich habe einen unangenehmen, aber ungefährlichen Schuß mitten in das Gesicht; die Nase wird etwas schief und das linke Auge kaputt. Schmerzen habe ich sehr wenig. Demnächst mehr. Sei nicht unglücklich. Dein Rudi Die Reaktion auf diese Schreckensnachricht meiner so tief empfindenden Mutter, die ihren Mann abgöttisch liebte, war ein Brief voll maßloser Verzweiflung und Mitgefühl. Zart und liebvoll beruhigte sie Papa, selbst in dieser Situation nicht ohne feinen Humor. Er schreibt: Heute kam Dein Brief. Endlich habe ich Nachricht. Bin so froh. Du willst alles über meine Verwundung wissen: Der Schuß ging über dem rechten Auge in die Stirn, dann durch die Nasenwurzel, das linke Auge in den Backenknochen und blieb dort stecken. Genau weiß ich es selbst erst seit zwei Tagen. Das Auge ist radikal weg, da ist nichts mehr zu machen. Sonst hat die Kugel sich ganz brav innen gehalten, so daß ich nicht entstellt sein werde. Auch war sie verständig genug, am Lebensfaden vorbei zu gehen. Zwei Augen sind eigentlich ein Lu5 xus, den ich mir dreißig Jahre lang genehmigt habe. Armes Schatzi, Du leidest an meiner Verwundung viel mehr als ich. Mir imponiert sie gar nicht. Du wirst enttäuscht sein, meine gute Stimmung ganz unverändert zu finden. Verzeih, aber ich kann mich nicht arm und unglücklich finden wegen eines dummen Schusses, dafür habe ich sonst im Leben zu viel Glück gefunden. Du mußt eben auch darüber hinwegfinden und nicht alles tragisch nehmen. Unser Glück und Unglück mußt Du woanders suchen, als in meinem Auge. Meine Freude Dich bald zu haben und einige Monate mit Dir zusammen sein zu können, wenn ich transportfähig bin, ist weit größer als der Schmerz um das Auge. Was ich sehen muß. sehe ich schon noch. Ich möchte nur, daß Du nicht in Unglücksphantasien schwelgst. Also Kopf hoch und weiterlachen, wie ich es auch tue. Dein immer gleich unverbesserlicher Rudi Die schwere Operation meines Vaters war damals in Ärztekreisen eine Sensation. Professor Neumayer versicherte meiner Mutter, es grenze an ein Wunder, daß ein Mensch eine solche Verletzung überlebt habe. Die Operation hätte keinen weiteren Tag mehr verschoben werden dürfen. Meine Mutter kaufte einen wunderschönen, aus dunklem Holz geschnitzten Schutzengel, der noch heute in unserer Bauernstube steht, zur Erinnerung an den Tag der Verwundung und zur Erinnerung an den Tag der Operation, die ihr das Leben des geliebten Mannes ein zweites Mal schenkte. Aus: Elisabeth v. Loeben: Opfergang einer bayerischen Familie, München 1984. Wohnen in der Tengstraße Und wie war unser Leben in München? Historiker und Politiker wissen genau, wie sich in den Dreißiger Jahren die politischen Verhältnisse entwickelten. Die Zeit vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war voll Unruhe, Aufregung, Hoffnung und bösem Ahnen. Ein Mann wie mein Vater, der als engster Mitarbeiter des Admirals Canaris über so vieles im Bilde war, hat ganz bestimmt nicht nur Kammermusik gespielt. Aber gerade darüber möchte ich berichten; denn ich möchte das Wesen dieses Mannes zeigen, der von seinem Herrgott gerufen wurde, für Ihn Zeugnis zu geben in einer Zeit, die sich fremde Götter schuf, die ihren Götzen blindlings nachlief, bis zur Selbstzerstörung. Mindestens einmal in der Woche wurde bei uns in der Tengstraße 36 Streichquartett gespielt. … Wir hatten herrliche Kammermusikabende mit Papa an der ersten Geige, Mama spielte die erste Bratsche, ein Bruder meines Vaters das Cello, und dazu kamen meistens ein oder zwei Gäste von der Münchner Philharmonie… Mein Vater spielte sehr temperamentvoll und mit eisernem Rhythmus. Sein Spiel war sehr aussagestark, bei bestimmten Adagios konnte er mich zu Tränen rühren durch seine Innigkeit. Er liebte die reine Schönheit des Vierklangs und lebte in einer anderen Welt, wenn er die Geige in der Hand hatte. Am liebsten spielte er Haydn, Mozart und Beethoven. Unter uns im ersten Stock wohnte eine jüdische Arztfamilie, reizende Leute, die sich nie über den Krach, der sich über ihnen abspielte, beschwerten. …Mein Vater hatte diesen Menschen, für die Deutschland die geliebte Heimat war, das Leben gerettet. Dr. Sundheimer hatte im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft und das EK I erworben. Er wollte nicht glauben, daß er zu Schaden kommen könne und dachte nicht ans Auswandern. Er hielt die schrecklichen Auswüchse, die seit 1934 immer mehr überhandnahmen, für Kinderkrankheiten einer neu angebrochenen Zeit, die sicherlich von oben in ruhige und normale Bahnen geleitet werden würde. Papa sah klarer. Eines Morgens ging er in voller Uniform zu den Nachbarn, ließ sich einem großen Fauteuil nieder und versicherte: „Ich verlasse Ihre Wohnung erst wieder, wenn ich Ihr `Ja´ dazu habe, daß Sie Deutschland binnen Kürze verlassen.“ Mein Vater setzte sich durch, und noch nach Jahren bekamen wir dankbare Briefe aus Amerika. Sehr bald nach diesem Gespräch meines Vaters mit Dr. Sundheimer kam eines Tages mein Bruder Rudolf nach Hause und erzählte mit Entsetzen, daß am Josephsplatz ein alter Jude von Angehörigen der Hitlerjugend mit Regenschirmen erschlagen worden sei. Kein Passant hatte gewagt, dem Opfer zu helfen. Höhnend hatten die Halbwüchsigen geschrieen: „Wer denkt denn schon, daß der alte Saujud´so schnell krepiert.“ Ich sah am Gesicht meines Vaters, wie tief erschüttert er war und doch auch erleichtert darüber, daß Rudolf erst dazu gekommen war, als alles vorüber war. Sicher hätte er sonst eingegriffen und versucht, dem alten Mann zu helfen. Ein langes Gespräch über Gewissen und Vernunft folgte und machte uns bewußt, in was für schwere, bisher ungeahnte Konflikte ein deutscher Bürger plötzlich kommen konnte. Mit großer Liebe und Weisheit versuchte mein Vater schon damals, seinen Söhnen zu erklären, daß es im Leben Situationen gibt, die einen Menschen, nach Gottes Ebenbild geschaffen, dazu zwingen, auch unter eigener Lebensgefahr zu handeln. Er warnte aber gleichzeitig vor unvorsichtigem Draufgängertum – nie solle man tollkühn und kopflos ein Verhängnis herausfordern! Aus: Elisabeth v. Loeben: Opfergang einer bayerischen Familie, München 1984. 6 Versetzung zur Abwehr nach Wien Mein Vater wurde nach Wien versetzt. Er ging durch ein dunkles Tor in einen schwarzen Tunnel, an dessen Ende für ihn kein irdisches Licht mehr leuchtete. Sehr ehrenhaft war diese Versetzung, sollte Papa doch bereits wenige Tage nach dem Anschluß Österreichs der Nachfolger von Oberstleutnant Erwin von Lahousen, dem Abteilungsleiter der Gegenspionage in Wien werden, Ich sehe noch seine Freude, als er uns die Nachricht über die Ernennung brachte. Es machte ihn stolz und glücklich, daß sein Chef im Kriegsministerium, Admiral Canaris, ihn so hoch einschätzte, daß er ihm diese äußerst schwierige Aufgabe anvertraute. Und doch quälte meinen Vater der Gedanke mit all seinen Fähigkeiten einem Vaterland zu dienen, dessen Führung Wege ging, die sein Gewissen ablehnte. Ich höre ihn fragen: „Was soll man nur tun, den Abschied nehmen oder versuchen zu retten, zu helfen, indem man sich bemüht, die schlimmsten Auswüchse der Nazis zu verhindern?“ Mein tapferer Vater entschloß sich für Wien. Ich weiß, im Grunde seines Herzens wäre er tausendmal lieber auf seinen Bauernhof gefahren zu seinen geliebten Bergen, seinen Wiesen, zu seinem Garten, für dessen Pflege er immer wieder neue Lehrbücher kaufte… In Wien lebten wir in einer reizenden Dienstwohnung am Prater in der Böcklinstraße. Sie lag in einem eigenartigen Haus, das ganz schmal und hoch war, ähnlich wie die Häuser in Amsterdam. Man mußte eigentlich nur Treppen steigen… Papa gab manchen guten Rat. Man sah ihm an, daß ihm, dem alten Frontoffizier des Ersten Weltkrieges das Herz weh tat, zuschauen zu müssen, wie diese prachtvollen jungen Menschen für ein Unternehmen benutzt wurden, das Papas Überzeugung nach niemals der Ehre und Größe seines geliebten Vaterlandes, sondern dem Größenwahnsinn eines einzigen Mannes diente. Aus: Elisabeth v. Loeben: Opfergang einer bayerischen Familie, München 1984. Der Feind im eigenen Lager: Gestapo und SD Admiral Canaris hatte uns in den letzten Monaten öfters besucht und lange Gespräche mit meinem Vater geführt. Die beiden waren sich völlig einig in der Beurteilung der Lage. Deutschland konnte diesen Krieg gegen die ganze Welt nicht gewinnen, es mußte an allen Fronten verbluten. Dazu kam, daß der größte Feind im einen Lager war. Der erbitterte Kampf zwischen Gestapo (geheime Staatspolizei), SD (Sicherheitsdienst) und der Abwehr nahm deutlichere und gefählichere Formen an. Als Heydrich Reichsprotektor geworden war, hatte er einige Herren der Abwehr zu einer Besprechung nach Prag eingeladen. Auch mein Vater war gebeten worden. Als er zurückkam, sagte er lakonisch: „Dieser Mann haßt mich und wird mich erledigen, sobald es in seiner Macht liegt. Noch schützt mich Canaris, noch ist unser Admiral der Stärkere. Gebe Gott, daß es bleibt!“ Wie recht er mit seiner Befürchtung hatte. Als Canaris im Fühjahr 1944 in Ungnade fiel, und Himmler die Abwehr übernahm, wurde mein Vater seines Amtes enthoben. Nun trennten sich die Wege dieser beiden Menschen… Tätigkeit bei der Abwehrstelle in Wien Aus: Wolfram Wette: Zivilcourage, Fischer Verlag, Frankfurt 2.Aufl. 2004. Bereits seit den Anfängen der nationalsozialistischen Agitation war Marogna-Redwitz – wegen seiner bayerisch-monarchistischen und katholischen Einstellung – ein entschiedener Gegner des NS-Systems. Dadurch erwarb er sich nach 1933 das Vertrauen seines Vorgesetzten Canaris sowie anderer hoher Nachrichtenoffiziere, wie General Oster oder Oberst Erwin von Lahousen, die dem Regime ebenfalls ablehnend gegenüberstanden. Nach dem sogenannten „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 wurde Marogna-Redwitz Chef der Abwehrstelle Wien… Die Abwehrstelle in Wien hatte die Aufgabe, militärische Gegenspionage und Aufklärung im Balkanraum, dem Nahen Osten, vor allem aber auf dem Gebiet der Sowjetunion durchzuführen. Die Stärke und die Planung der Roten Armee standen bei der Erkundungsarbeit an vorderster Stelle. Ferner sollte verhindert werden, dass feindliche Nachrichtendienste Einblick in die Absichten gewannen. Ihre Aufgaben versah die Abwehrstelle je7 doch nicht nur von der ehemaligen österreichischen Hauptstadt aus, sondern sie unterhielt auch Zweigstellen in verschiedenen Metropolen des Balkanraumes und in Istanbul. Marogna-Redwitz, mittlerweile zum Oberst befördert, versuchte nun, seine dienstliche Tätigkeit zu nutzen, um verfolgten Juden zu helfen… Zur Verwirklichung dieser Absicht war es von unschätzbarem Wert, dass er von Admiral Canaris und dessen Untergebenen Oster und Hans von Dohnanyi Rückendeckung erhielt. Diese Männer hatten selbst bereits zahlreichen verfolgten Juden zur Flucht verholfen oder ihnen Tarnjobs in der Abwehr vermittelt... … Die ersten Rettungsmaßnahmen, die Marogna-Redwitz in seiner neuen Stellung ergreifen konnte, galten den ehemaligen österreichischen Offizieren, die entweder bereits im Gefängnis saßen oder auf Verhaftungslisten der Gestapo standen. So gelang es ihm, einen alten k. und k. General aus dem Gefängnis zu befreien und viele österreichische Offiziere von den Fahndungslisten streichen zu lassen … …In der Folgezeit sind dann auch zahlreiche, meist jüdische Personen in der Abwehr verwendet worden, falls sie sich dafür eigneten. Die Abwehroffiziere in Wien beschäftigten aber auch häufig Verfolgte lediglich fiktiv, um sie dem Zugriff des SD oder der Gestapo zu entziehen. ... Nicht selten legten Offiziere der Abwehrstelle besonders bedrohten Auslandsagenten nahe, nicht mehr in den deutschen Machtbereich zurückzukehren. Die meisten beherzigten diesen Rat, um ihr Leben nicht zu riskieren … Die Arbeitsbedingen für die Aktionen der regimekritischen Angehörigen der Wiener Abwehr wandelten sich kurze Zeit später grundlegend. Hitler hatte nämlich bei einem Treffen mit Canaris in Berchtesgaden im Frühjahr 1943 kategorisch verboten, weiterhin Juden in der Abwehr zu verwenden. Ein entsprechender schriftlicher Befehl erging danach an alle Abwehrstellen. Um dieser Anordnung offiziell nachzukommen, im Geheimen aber die Unterstützungsmaßnahmen fortsetzen zu können, beschloß Marogna-Redwitz, den Meldekopf Sofia aufzulösen und seine Mitarbeiter dem ungarischen Geheimdienst zu unterstellen … … Eine weitere, sehr effiziente Maßnahme zur Rettung von Juden hatte der Wiener Abwehroberst MarognaRedwitz auf Weisung General Osters in Prag ins Leben gerufen. Die Abwehrstelle Wien gründete im Mai 1940 ein Handelsunternehmen mit dem Namen „Monopol“, das den Zweck verfolgte, mit Hilfe jüdischer Gewährsleute eingefrorene Gelder von Juden aus neutralen Ländern nach Prag zu transferieren Die von Marogna-Redwitz in Prag gegründete „Monopol“ Handelsgesellschaft hatte zwar einen deutschen Leiter, aber die Mitarbeiter setzten sich zumeist aus jüdischen Veteranen der ehemals österreich-ungarischen Armee zusammen … … Bereits im Mai 1942 hatte die Gestapo den Verdacht geschöpft, dass bei den Aktivitäten von „Monopol“ aus ihrer Sicht etwas nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Erst im April 1943 allerdings erfolgten die ersten Festnahmen von Mitarbeitern der Tarnhandelsorganisation. Marogna-Redwitz blieb indessen unbehelligt. Neben den Rettungsaktionen, die der Wiener Abwehrchef und seine Mitarbeiter dank ihrer dienstlichen Stellung durchführen konnten, darf nicht übersehen werden, dass Marogna auch privat zur Anlaufstelle vieler Verfolgter wurde … Verständlicherweise hat Marogna-Redwitz über seine Rettungsaktionen nur mit Personen gesprochen, denen er völlig vertrauen konnte. Schriftliche Aufzeichnungen sind so gut wie keine erhalten. Auch seine Familienangehörigen weihte er in seine dienstlichen Tätigkeiten aus Sicherheitsgründen nicht ein. Dennoch erfuhr Elisabeth von Loeben, seine Tochter, von vielen Kontakten und privaten Hilfsaktionen … Wie vielen Menschen Marogna-Redwitz zur Flucht verholfen hat, ist kaum zu ermitteln. Es dürften aber sicherlich Dutzende gewesen sein. … Nach der Entlassung Osters und der Verhaftung Dohnanyis im Jahr 1943 verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen für die Abwehrstelle in Wien daher zusehends. Als im Februar 1944 einige Abwehragenten in Istanbul die Seiten wechselten und sich den Alliierten anschlossen, war für Hitler der Anlass gegeben, auch Canaris selbst zu entlassen. Auf diese günstige Gelegenheit hatten Heinrich Himmler und seine Umgebung schon lange gewartet. Bis zum Ende des Jahres war dann auch der Abwehrapparat schrittweise in die Hände des „Reichsführers SS“ übergegangen. Der „katholische Graf“, wie manche NS-Größen den Oberst Marogna-Redwitz nannten, bekam diese neue Situation ebenfalls zu spüren. Auch er wurde, ohne Nennung eines bestimmten Grundes, im April 1944 seines Postens enthoben und der sogenannten Führerreserve des Oberkommandos des Heeres zugeteilt. 8 Graf Marogna - Zeitzeugen erinnern sich Prinz Arenberg über seinen Vorgesetzten Graf Marogna Aus Ludwig Jedlicka: Das einsame Gewissen; Der 20. Juli 1944 in Österreich., Wien 1965. „Es erscheint unerläßlich, bei Erwähnung dreier großer Eigenschaften auch von Verstand und Lebensweisheit zu sprechen, welche meinem unvergeßlichem Freund und Chef zu Eigen waren. Er ließ sich nicht nur von scharfem Verstand lenken. Zu seiner untadeligen Gesinnung, seiner Treue, seiner Ausgeglichenheit trat eine hohe Lebensweisheit, jede der genannten Eigenschaften verschönend und krönend. Aus seiner Gesinnung erwuchsen Güte, Hilfsbereitschaft und Verschwiegenheit. Er hatte für die Anliegen seiner Mitmenschen immer Verständnis und Zeit. Sein gütiges Teilnehmen am Schicksal anderer bedeutete ein Geschenk. Als ich ihm eines Tages einen Vortrag hielt, traf er die erforderlichen Maß- nahmen und schloß seine Anweisungen mit den Worten: ´Es geschieht in dieser Zeit so viel Leid und Unrecht, daß wir überall dort, wo es möglich ist, helfend eingreifen wollen´. In seinen Zügen lag hierbei der Ausdruck tiefer Verinnerlichung und Herzensgüte. Besonders wohltuend wirkte in jeder Situation seine unerschütterliche Ruhe. In diesem Zusammenhang muß auf eine ganz seltene Eigenschaft hingewiesen werden: Er besaß die Gabe, jedem seiner Untergebenen die Möglichkeit zu eigener Entfaltung zu lassen, ohne ihn zu drängen; das erforderte stellenweise erhebliche Nervenkraft. In der Kunst der Menschenbehandlung war er Meister. Selbst ein Vorbild an Pflichterfüllung, verstand er es, anderen hohe Leistungen abzufordern. Jeder gab ihm zuliebe sein Bestes. Seiner alten Mitarbeiter erinnerte er sich noch nach Jahren. Die Treue ging ihm über alles, er half ihnen, sooft sie seiner bedurften; sie werden ihm die Treue über das Grab hinaus halten. Selbst der kurz aufeinanderfolgende Soldatentod seiner beiden Söhne war nicht imstande, sein seelisches Gleichgewicht zu erschüttern. Eine tiefe Religiosität hielt ihn. Seine hohen menschlichen Eigenschaften machen ihn zur Bekleidung verantwortlicher Posten besonders geeignet. Ohne kleinlich zu sein, achtete er streng auf präzise Arbeit. Hatte er Ausstellungen vorzubringen, so geschah dies in sachlichem Ton. Seine Selbstbeherrschung und Geduld waren vorbildlich. Er war das Ideal eines Kameraden, verehrt und geliebt, von denen, welche ihn Freund nennen durften, ungemein geachtet vom großen Kreis derer, denen er Vorgesetzter war. Bei aller Anerkennung, welche er von Seiten der ihm Übergeordneten genoß, blieb er immer gleich bescheiden und zurückhaltend. Wenn es sich um seine geliebte bayerische Heimat handelte, leuchtete sein Auge auf; für sie war er zu allem bereit, für sie ist er den Opfertod gestorben. Er gehörte zu den seltenen Menschen, von denen man sagen darf: ´Ihn gekannt zu haben, war ein Geschenk.´ (aus einem Schreiben an Ludwig Jedlicka, 1963) Graf Marogna und Admiral Canaris; Oberst Lahousen erinnert sich Aus: André Brissaud: Canaris, Eine Biographie; Frankfurt 1988. „Im Februar 44 bittet Kaltenbrunner Canaris um eine Zusammenkunft. Die beiden haben sich bisher noch nicht kennengelernt. Das Treffen wird auf den 22. Februar im Hotel Regina in München festgelegt. Oberst Erwin von Lahousen, der Kaltenbrunner kennt und ihn haßt, begleitet den Admiral.. Er hat mir von diesem Zusammentreffen, das in mancherlei Hinsicht interessant ist, erzählt: „… Während des ersten Teils der Unterhaltung war der Admiral bedrückt, unsicher, fast verschüchtert. Sicherlich war das körperliche Erscheinungsbild seines Gesprächpartners der Grund. Ein großer, ziemlich grober Typ vom Format eines Tiroler Holzfällers, mit einem von Schmissen der Studentenmensuren bedeckten Gesicht. Sie wissen doch, daß der Admiral große Menschen nicht leiden konnte … Sein Unbehagen wurde noch stärker, als er Kaltenbrunner von der Erregung mitteilt, die er bei der Münchener Bevölkerung über die Vollstreckung des Todesurteils an den zwei jungen Studenten, den Geschwistern Sophie und Hans Scholl festgestellt habe, der SS-Führer aber ohne jegliche menschliche Empfindung höhnisch und zynisch bemerkte, daß „diese zwei Schweine nichts anderes verdienten. Und was die drei anderen betrifft, werden sie dasselbe erleiden, nur werden sie von den Gestapoleuten noch etwas bearbeitet, um ihnen Namen ihrer weiteren Komplizen zu entlocken 9 …“ Canaris ist entsetzt darüber. Heydrich hätte zumindest die Form mehr gewahrt oder solche Äußerungen vermieden.. Dem Admiral fiel es immer schwerer, dem Gespräch zu folgen und er beschränkte sich auf nichtssagende Phrasen über die Zusammenarbeit, bis Kaltenbrunner auf dieses Thema hin sehr kritische Bemerkungen über den Leiter der Abwehrstelle in Wien, den Grafen Rudolf von Marogna-Redwitz macht, einen persönlichen Freund des Admirals und von mir, wie Sie wissen.“ „Da merkte ich, wie der Admiral Canaris sich plötzlich veränderte. Nach den ihm vorliegenden Informationen beschuldigt Kaltenbrunner unseren Freund, daß er Beziehungen zur konservativen österreichischen Opposition unterhalte und außerdem zu Mitgliedern des ungarischen Nachrichtendienstes, dessen englandfreundliche Haltung dem SD bekannt ist, ein besonders gutes Verhältnis pflege. Canaris und ich waren uns dessen bewußt, daß diese Anschuldigungen begründet sind und, über die Person unseres Freundes hinaus, auch für die gesamte Abwehr und den Widerstand gegen Hitler gefährlich sind. Canaris ließ sich nicht in Verlegenheit bringen und blieb ihm keine Antwort schuldig! Jetzt alle Register seines Scharfsinnes spielen, was er meisterhaft versteht. Er versteht, das was Kaltenbrunner zum Verdacht Anlaß gab, als völlig harmlos herunterzuspielen und bezeichnet es im Einklang mit den Aufgaben und Pflichten eines Abwehroffiziers. Mit großem Geschick wußte er die Schwächen seiner Argumentation zu verdecken und die Bedenken des SSFührers zu zerstreuen, so daß am Ende der Unterhaltung Kaltenbrunner, wenn nicht ganz von dem verharmlosenden Charakter der Worte des Admirals, so doch über die Art der Tätigkeit des Grafen Rudolf von MarognaRedwitz völlig beruhigt sein konnte. Ich muß gestehen, daß mir während des letzten Teils der Unterhaltung der Angstschweiß auf der Stirn stand…“ Der 20. Juli 1944 Graf Marogna – die letzten Tage vor dem 20. Juli 1944 Anfang Juli 1944 begann für Papa eine sehr unruhige Zeit. Ständig wartete er auf Befehle um zwischen Wien und Berlin hin- und herzureisen. Meine Mutter hielt sich zu dieser Zeit auf seinen Wunsch im Chiemgau auf und wartete auf ihn. Dort erhielt sie noch einige Briefe, die Auskunft über seine letzten Tage im Juli geben. 9.7.44 Todestag v. Sohn Rolf Heute früh 7 Uhr ein Amt mit Gebhard Stillfried mit guter Predigt, sehr stimmungsvoll. Ich könnte den Tag nicht besser verbringen, wenn ich schon nicht bei Dir sein kann. Zwei Jahre ist so wenig und doch eine lange Zeit. Inzwischen wäre ja doch etwas passiert mit ihnen, und so wissen wir sie gut aufgehoben. Und was wird noch passieren, man kann hoffnungsvoll in die Zukunft schauen, die Hoffnung und den Glauben kann niemand nehmen. Daß ich heute dauernd an Dich denke, kannst Du Dir vorstellen. Möge bald alles so werden, wie wir erhoffen, damit wir wieder vereint warten können, auf das große Wiedersehen. Dein Rudi Wien, 12. Juli 44 Vergebens versuch ich Dich anzurufen, die Leitung ist gestört. Heute war wieder das arme München dran. Gestern Nachmittag kam ich plötzlich nach Wien und blieb einstweilen bis Freitag. Habe Betsy ganz plötzlich überfallen, ich kam ihr sehr in die Quere. Ich schicke sie aber morgen weg, erstens überhaupt und zweitens, weil in den nächsten Tagen eine Reiseeinschränkung oder Sperre zu erwarten ist und sie dann nicht mehr wegkommt. Mir ist auch lieber, Du bist fort, ich kann immer noch leichter reisen. Nach dem Freitag kommt ein Wochenende, und wer weiß, jedenfalls hoffe ich, Dich bald zu treffen. In der Wohnung komme ich schon zurecht. Vielleicht komme ich noch vor diesem Brief an. Hier gefällt es mir besser als in Berlin, und ich hoffe, meine Zelte wieder einmal hier aufschlagen zu können… …Betsy wird Dir auf alle Fälle genau berichten, jetzt muß ich sie singen hören. Betsy und ich vertragen uns ausgezeichnet, Abendessen kocht sie für mich, morgen bin ich bei Knappertsbusch. Vgl. zur Geschichte der Attentatsversuche, Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S. 118 ff. Anm.: „Reiseeinschränkung“ und „Sperre“ „Fast die ganze erste Hälfte des Monats Juli hielt sich Hitler auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden auf. Das Hauptquartier in Ostpreussen hatte schon mit der Übersiedlung nach Zossen bei Berlin begonnen. Als Stauffenberg zur Lagebesprechung für den 11. Juli befohlen wurde, beschloß er, an diesem Tag das Attentat auszuführen. Er flog in einem Sonderflugzeug von Berlin dorthin, und nahm die wohlvorbereitete englische Zeitbombe in seiner Aktentasche mit. Er hatte die Absicht, nach Beendigung seines Vortrages die Zeitzündung der Bombe in Gang zu setzen und diese in seiner Aktentasche am Ort der 10 Lagebesprechung zurückzulassen… Als am 11.Juli die Lagebesprechung begann, fehlte der Mann, der neben Hitler der gefährlichste war, Heinrich Himmler. Stauffenberg hielt diesen Umstand für so schwerwiegend, daß er die Ausführung des Attentates unterließ. Unmittelbar danach verlegte Hitler sein Hauptquartier erneut nach Ostpreußen. Die nächste Lagebesprechung, zu der Stauffenberg Zutritt hatte, fand am 15. Juli in Ostpreußen statt. Wieder fuhr Stauffenberg mit der Zeitbombe dorthin. Diesmal waren Hitler und Himmler anwesend. Schon wollte Stauffenberg die Zündung betätigen, als Hitler unerwarteterweise das Besprechungszimmer verließ und nicht zurückkehrte. So mußte auch diesmal das Attentat unterbleiben… ..Als die nächste Lagebesprechung, zu der Stauffenberg Zutritt hatte, auf den 20. Juli angesetzt war, wiederholte er seine Vorbereitung zum dritten Male. In den inzwischen mit Generaloberst Beck geführten Besprechungen hatte man beschlossen, die nächste Gelegenheit zu einem Attentat unter allen Umständen wahrzunehmen, ohne Rücksicht darauf, ob neben Hitler andere wichtige Männer seiner Umgebung anwesend waren.“ Donnerstag, 13. 44 …Und jetzt zu mir. Ich erhielt ganz plötzlich einen Auftrag für hier und werde morgen weiteren Befehl erhalten, also vor morgen kann ich nicht wissen, was ich weiter zu tun habe. Ich warte wieder einmal und bin ja zum Glück auf das Warten trainiert, sonst müßte ich nervös werden. Wenn ich abreise, fahre ich nicht direkt nach Berlin, sondern über Euch und komme dann noch vor diesem Brief an. Hoffentlich bekomme ich morgen eine klare Weisung. Es liegt ja soviel in der Luft, daß man für sich selbst keinen Gedanken mehr haben sollte. In Ostpreußen bereitet man sich für die Russengefahr schon vor. Wie es dann in Polen ausschauen wird, kann man nicht voraussehen. Jedenfalls drängt alles sichtlich zu einer Entscheidung, und man kann sich nur mehr dem Thaddäus-Gebet anschließen: „Rette mich aus dieser Not, aus der ich mich aus eigener Kraft nicht mehr zu retten weiß. Wunder sind ja möglich, und so hoffen wir auf das Wunder, damit nicht alles zugrunde geht …“ Betsys Wallfahrt ist sicher in diesen Tagen sehr am Platz, wir brauchen viel Hilfe und Kraft… An diesem 13. Juli 1944 sah ich meinen Vater zum letzten Mal. So lange ich lebe, wird es mir ein tiefes Glück sein, daß ich ihm durch mein kleines Kammerkonzert Freude machen durfte, die letzte Freude seines Lebens. Er war an jenem Abend völlig entspannt, all die furchtbaren Sorgen waren während dieses Konzertes vergessen. Ein Kreis von jungen Künstlern umgab ihn, man sprach von Mozart und nicht vom Führer… Ich reiste am 13. Juli von Wien ab, und er am 14. Meine Mutter konnte er nicht mehr besuchen. Er fuhr wieder nach Berlin, und von da an war jede Verbindung mit ihm abgebrochen. Am 19. Juli traf er, von Berlin kommend, in Wien ein. Dort warteten auf ihn offenbar bestimmte Aufträge für den Fall, daß das Attentat gelang… … Ludwick Jedlicka schreibt in „Der 20. Juli in Österreich“: Er wurde laut eines Telegramms vom 20. Juli aus Berlin als politischer Beauftragter für den Wehrkreis Wien eingesetzt, neben Seitz, dem Bürgermeister der Stadt Wien, und Reither, dem Präsidenten des Österreichischen Bauernbundes. Am Tag des 20. Juli hatte Oberst Kodré die undankbare Aufgabe, die Gesamtverantwortung im Wehrkreis zu übernehmen. Kodré war zwar über die Stimmung orientiert, aber nicht in den engsten Kreis der Wissenden einbezogen. Er schildert die letzte Begegnung mit Marogna in Hinblick auf die eigentümliche dienstliche Stellung, die Marogna unmittelbar vor dem 20. Juli einnahm und die, wie man nachträglich wohl bestätigen kann, schon die Lenkung durch Stauffenbergs Planungen durchblicken läßt. Marogna hatte im Auftrag Stauffenbergs die Aufgabe, Einheiten zu inspizieren, die improvisiert aus Urlaubern und sonstigen fluktuiernden Elementen zusammengesetzt, die zusammenbrechende Front stützen sollten. Nach einer Dienstreise zu solchen Einheiten in der Slowakei und in Oberungarn kam am Vormittag des 20. Juli Oberst Marogna für eine Stunde zum Stabschef des Wehrkreises, um ihm über seine deprimierenden Eindrücke zu berichten. Anschließend bemerkte Marogna in diesem Gespräch, daß er zunächst nicht nach München fahren, sondern nach Erfüllung seines Auftrages weitere Verfügungen des OKH abwarten und als Angehöriger der sog. `Führerreserve` in seiner Wohnung verbleiben werde. Aus: Loeben: Opfergang einer bayerischen Familie, München 1984. Die Ereignisse in Berlin, Bendlerstraße, ab etwa 17.30 Uhr Aus: Fabrian von Schlabrendorff; Offiziere gegen Hitler; Berlin 1984, S. 121 ff. Berlin – Bendlerstraße, etwa 16. Uhr Auf die Bitte Olbrichts unterbrach Fromm (der Befehlshaber des Ersatzheeres) den militärischen Vortrag, den er gerade entgegennahm. Daraufhin meldete Olbricht, Hitler sei einem Attentat zum Opfer gefallen. Fromm fragte: „Von wem wissen Sie das?“ worauf Olbricht erwiderte, die Nachricht stamme von General Fellgiebel, der sie persönlich von seiner Dienststelle in Hitlers Hauptquartier weitergegeben habe. Olbricht fuhr fort: „Ich schlage unter diesen Umständen vor, an alle stellvertretenden Generalkommandos das Stichwort für Innere Unruhen, `Walküre`, auszugeben und damit die Exekutivgewalt im Staate auf uns, die Wehrmacht zu übertragen“. 11 Anm.: Der Befehl über das Ersatzheer war für die Männer des Widerstandes von zentraler Bedeutung: Die Arbeit von Stauffenberg segelte offiziell unter der Flagge, Vorbereitungen gegen etwaige innere Unruhen zu treffen. Für diesen Fall sollte vom Befehlshaber des Ersatzheeres an alle Wehrkreiskommandos das Stichwort „Waküre“ gegeben werden. Auf dieses Stichwort hin sollten bestimmte Einheiten des Heeres alarmiert und die öffentlichen Gebäude besetzt werden, während die militärischen Befehlshaber die vollziehende Gewalt von den zivilen Behörden übernahmen. Olbricht, Chef des Allgemeinen Heeresamtes im Oberkommando des Heeres, betrieb die Ausarbeitung der „Walküre“-Pläne, um den Verschwörern die Übernahme der vollziehenden Gewalt zu ermöglichen. Im Herbst 1943 forderte er Stauffenberg als Stabschef für sein Amt an, bis dieser im Juni 44 zum Befehlshaber des Ersatzheeres, General Fromm wechselte. Generaloberst Friedrich Fromm, der Oberbehlshaber des Ersatzheeres wußte von den Plänen Stauffenbergs, wollte aber auf der sicheren Seite stehen. Als er von Keitel hörte, daß Hitler lebe, setzte er sich ab und lies die Attentäter, wohl um seine Mittäterschaft zu vertuschen, im Hof des Bendlerblockes standrechtlich erschießen. Eine Mitwisserschaft war Fromm nicht nachzuweisen. Hitler mißtraute ihm aber; er wurde vom Volksgerichtshof wegen „Feigheit“ zum Tode verurteilt. Fromm erklärte daraufhin, eine so weitgehende Maßnahme nur treffen zu können, wenn er sich persönlich vom Tode Hitlers überzeugt habe. Er werde Generalfeldmarschall Keitel anrufen und bei ihm anfragen. In der Annahme, daß Hitler wirklich tot sei und eine Bestätigung durch Keitel Fromm zum Handeln bringen werde, nahm Olbricht des Telefon selbst in die Hand und erbat die Herstellung eines Blitzgesprächs mit Generalfeldmarschall Keitel. Dann fand folgendes historische Telefongespräch statt: Fromm: „Was ist eigentlich im Hauptquartier los? Hier in Berlin gehen die wildesten Gerüchte.“ Keitel: „Was soll denn los sein? Es ist alles in Ordnung.“ Fromm: „Mir ist eben gemeldet worden, der Führer sei einem Attentat zum Opfer gefallen.“ Keitel: „Das ist Unsinn. Es hat zwar ein Attentat stattgefunden, es ist aber zum Glück fehlgeschlagen. Der Führer lebt und ist nur unwesentlich verletzt. Wo ist übrigens Ihr Chef des Stabes, der Oberst Graf Stauffenberg?“ Fromm: „Stauffenberg ist noch nicht bei mir eingetroffen.“ Dieses Gespräch wurde von General Olbricht mitgehört. Auf Grund der Keitelschen Äußerung entschied Fromm, daß vorerst das Stichwort für Innere Unruhen „Walküre“ nicht auszugeben sei. Dies war aber, ohne Fromms Wissen bereits geschehen, und die stellvertretenden Generalkommandos im Reich hatten dieses Stichwort empfangen. Die Nachrichtenübermittlung von der Dienststelle Olbrichts in Berlin nach der Provinz funktionierte hervorragend, ein Verdienst des mitverschworenen Generals der Nachrichtengruppe, Fellgiebel. Die Truppen des Heeres in der Umgebung Berlins waren alarmiert worden und hatten sich befehlsgemäß auf die Reichshauptstadt in Marsch gesetzt. Der Hitler hörige Kommandierende General von Berlin und der Mark Brandenburg wurde zum Kriegsministerium bestellt und dort in Haft genommen. Zu seinem Nachfolger wurde General von Thüngen ernannt. In Berlin selbst erhielt der Kommandant, General von Hase, den Befehl, mit den wenigen Truppen, die ihm zur Verfügung standen, die ersten Maßnahmen einzuleiten. Er rief die Kommandeure der ihm unterstellten Einheiten zu sich, gab ihnen bekannt, daß Hitler einem Attentat zum Opfer gefallen sei und befahl ihnen, das Regierungsviertel zu zernieren. General Hase war in die Umsturzpläne eingeweiht worden. Der Kommandier des Berliner Wach-Bataillons Remer nahm den Befehl entgegen und führte ihn aus. Noch war die Verwirrung im Hauptquartier Hitlers so groß, daß keine Gegenbefehle gegeben wurden. Die geplanten Stoßtrupps, die die Verhaftung von Goebbels und die Besetzung des Berliner Rundfunks einleiten sollten, sammelten sich im Zeughaus Unter den Linden. (Stauffenberg kehrt in den Bendler Block zurück, etwa 16.30 Uhr ) Inzwischen war Stauffenberg von der Stätte des Attentates im Flugzeug gegen halb fünf Uhr nachmittags im Kriegsministerium in Berlin eingetroffen. Nach einiger Zeit erschien General Olbricht, begleitet von Stauffenberg, erneut bei Fromm. Olbricht teilte Fromm mit, Stauffenberg habe ihm soeben den Tod Hitlers bestätigt. Fromm antwortet hierauf: „Das ist doch unmöglich, Keitel hat mir das Gegenteil versichert.“ Stauffenberg: „Der Feldmarschall Keitel lügt wie immer. Ich habe selbst gesehen, wie man Hitler tot hinausgetragen hat“. Olbricht wandte sich an Fromm: „Angesichts dieser Lage haben wir das Stichwort für Innere Unruhen an die stellvertretenden Generalkommandos gegeben.“ Fromm sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch: „Das ist glatter Ungehorsam! Was heißt `Wir`?, Wer hat den Befehl gegeben?“ Olbricht: „Mein Chef des Stabes, Oberst Mertz von Quirnheim.“ 12 Fromm: „Holen Sie sofort den Obersten Mertz hierher!“ Dieser erschien und gab auf Befragen zu, ohne Fromms Einwilligung das Stichwort für Innere Unruhen an die Stellvertretenden Generalkommandos gegeben zu haben. Fromm erklärte ihm daraufhin: „Sie sind verhaftet. Das Weitere wird sich finden.“ In diesem Moment stand Oberst Graf Stauffenberg auf und erklärte eiskalt: „Herr Generaloberst, ich habe die Bombe selbst während der Besprechung bei Hitler gezündet. Es hat eine Explosion gegeben, als ob eine 15 cm Granate eingeschlagen wäre. Niemand in diesem Raum kann mehr leben.“ Fromm: „Graf Stauffenberg, das Attentat ist mißglückt. Sie müssen sich sofort erschießen.“ Stauffenberg: „Nein, das werde ich keinesfalls tun.“ Wieder griff Olbricht in die Unterhaltung ein und wandte sich an Fromm: „Herr Generaloberst, der Augenblick zum Handeln ist gekommen. Wenn wir jetzt nicht losschlagen, wird unser Vaterland für immer zugrunde gehen.“ Fromm: „Dann sind auch Sie, Olbricht, an diesem Staatsstreich beteiligt?“ Olbricht: „Jawohl. Aber ich stehe nur am Rande des Kreises, der die Regierung in Deutschland übernehmen wird.“ Fromm: „Ich erkläre Sie hiermit alle drei für verhaftet:“ Olbricht fest und ruhig: „Sie können uns nicht verhaften, Sie täuschen sich über die wahren Machtverhältnisse. Wir verhaften Sie!“ Daraufhin kam es zu einem Handgemenge zwischen Fromm und Olbricht, in welches Mertz und Stauffenberg eingriffen. Fromm wurde überwältigt. Ein Offizier mit Pistole betrat als Wache sein Zimmer, gleichzeitig wurde sein Telefonapparat ausgeschaltet. Kurz darauf erschien bei Fromm der seit 1941 aus der Wehrmacht ausgestoßene Generaloberst Hoepner: Er bot Fromm die Hand und erklärte, er bedaure sein Schicksal, könne ihm aber versichern, es werde ihm persönlich nichts geschehen. Fromms Machtbefugnis als Befehlshaber des Ersatzheeres sei auf ihn, Hoepner, übergegangen, während Generalfeldmarschall von Witzleben die oberste militärische Leitung übernommen habe. Generaloberst Beck sei das ausersehene Oberhaupt des neuen deutschen Staates. Soweit er und seine Freunde in Frage kämen, sei Hitler tot, auch wenn Keitel das Gegenteil behaupte. In der Tat hatte Beck beschlossen, auch im Falle eines mißlungenen Attentates den Staatsstreich durchzuführen. Mittlerweilen hatten die in Berlin zur Verfügung stehenden Heeresteile eine Anzahl der wichtigsten Regierungsgebäude befehlsmäßig umstellt. Da ereignete sich ein unglückseliger Zufall von geschichtlicher Bedeutung. Beim Stab des Berliner Wachbataillons befand sich, wie dies damals bei jedem größeren Truppenteil üblich war, ein sogenannter nationalsozialistischer Führungsoffizier, dessen Aufgabe es war, die Truppe im Sinne der Nazi-Ideologie zu beeinflussen. Dieser Offizier schöpfte Verdacht. Er drängte darauf, seine vorgesetzte Behörde, das Propagandaministerium, anzurufen, um zu fragen, was sich ereignet habe. Major Remer, der Kommandant des Wachbataillons, erklärte sich nach einigem Zögern damit einverstanden. Als Goebels von dem Angriff erfuhr, verlangte er dringend den sofortigen Besuch Remers. Er wußte damals noch nicht, daß das Regierungsviertel von Truppen des Heeres umstellt war. Nach einigem Zögern erschien Remer bei Goebbels, der ihm erklärte, Hitler sei keineswegs tot, sondern befinde sich unverletzt im Hauptquartier in Ostpreußen. Zum Beweis stellte er mittels seiner direkten Telefonlinie die Verbindung mit Hitler her. Die Herstellung der Verbindung gelang, weil der Versuch des mitverschworenen Generals Feldgiebel, die Nachrichtenzentrale des Hitlerschen Hauptquartiers zu zerstören, fehlgeschlagen war. Remer sprach persönlich mit Hitler am Telefon. Hitler erteilte dem jungen Major die Vollmacht, alle Maßnahmen zur Niederwerfung der Revolte zu ergreifen. Remers Befehle sollten für diesen Tag mehr gelten als die der Generale. Er sollte direkt im Namen des Führers handeln. Anstatt, wie ursprünglich vorgesehen, das Ministerium von Goebbels zu besetzen, ging nun Remer daran, die ihm von Hitler gestellte Aufgabe zu erfüllen. Es gelang ihm, die Kommandeure, die mit ihren Einheiten in verschiedenen Teilen Berlins bereits Stellung bezogen hatten, zur Umkehr zu bewegen. Mittlerweile hatte sich auch im Kriegsministerium die Nachricht verbreitet, daß das Attentat mißlungen sei und daß Hitler lebe. Es entstand daraufhin eine erhebliche Verwirrung. Viele Offiziere des Ersatzheeres wurden schwankend und schließlich abtrünnig. Schüsse fielen. Fromm war es von Beck gegen Abend des 20. Juli gestattet worden, sich in seine im Kriegsministerium gelegene Privatwohnung zu begeben. Durch SS und Teile des Wachbataillons, die mittlerweile in das Kriegsministerium eingedrungen waren, erhielt er seine Freiheit und seine Machtbefugnisse wieder. Nunmehr setzte er ein aus drei Generälen bestehendes Standgericht ein, das die Anführer des Staatsstreiches zum Tode verurteilte. Mit dem Urteil ging Fromm in sein Dienstzimmer, wo Beck, Olbricht, Stauffenberg, Mertz von Quirnheim, Haeften, Hoepner und andere beisammen waren. Fromm erklärte sie alle für schuldig und verlas ihnen das Todesurteil. 13 Hoepner ersuchte Fromm, mit der Exekution bei ihm abzuwarten, er hoffe sich noch rechtfertigen zu können. Fromm gab diesem Wunsche nach und ließ Hoepner abführen. Olbricht bat Fromm, noch an seine Frau schreiben zu dürfen. Auch dieser Bitte wurde gewährt. Als dann Fromm von den übrigen Offizieren die Waffen forderte, erhob sich Beck und sagte: „An mich, Ihren alten Vorgesetzten, werden Sie diese Forderung nicht stellen wollen. Denn ich werde aus dieser unglücklichen Situation die Konsequenzen selbst ziehen.“ Fromm gab sein Einverständnis zu erkennen. Hierauf setzte sich Beck in einen Sessel, zog seine Pistole und versuchte, sich durch einen Schuß in den Kopf zu töten. Aber das Geschoß streifte nur die Schädeldecke. Daraufhin setzte Beck zum zweitenmal an. Hierbei stützte Stauffenberg den im Sessel sitzenden Beck. Auch der zweite Schuß setzte seinem Leben noch kein unmittelbares Ende. Die Pistole entfiel seiner Hand. Fromm lies darauf am Abend Olbricht, Stauffenberg, Mertz von Quirnheim und Haeften im Hof des Kriegsministeriums durch ein Kommando der Truppe standrechtlich erschießen. Stauffenberg starb mit dem Bekenntnis zu Deutschland auf den Lippen. Als nachher Fromms Frage, ob Beck inzwischen gestorben sei, verneint wurde, gab Fromm den Auftrag, Beck von seinen Leiden zu erlösen. Ereignisse in Wien - Bericht Oberst Kodré Aus: Ludwick Jedlicka, Das einsame Gewissen, Der 20. Juli 1944 in Österreich, Wien 1967. Bericht Oberst Kodré – 20. Juli 1944 in Wien Die Ereignisse des 20. Juli haben mich in der Stellung als Chef des Generalstabes im Wehrkreis XVII betroffen. Dieser Wehrkreis bestand aus Oberösterreich, Niederösterreich und aus dem nördlichen Burgenland… Der Wehrkreis wurde vom General der Infanterie Schubert geführt, der zur Zeit des 20. Juli nicht in Wien anwesend war. Für die Dauer seiner Abwesenheit – er befand sich in Kur – war vom Personalamt als Stellvertreter der General der Panzertruppen, von Esebeck, abgeordnet worden…Der Stadtkommandant von Wien war General Sinzinger, ein Österreicher. Am 20. Juli 1944 befand ich mich in meinem Dienstraum und wollte gerade, das Wehrkreiskommando verlassen, als mir mitgeteilt wurde, daß ein Gekados-Fernschreiben im Laufen sei. Ich entschloß mich daher, so lange zu warten. Ich glaube mich erinnern zu können, daß vor dem Eintreffen des Fernschreibens im Rundfunk durchgegeben worden war, daß auf Hitler ein Attentat verübt worden, Hitler jedoch am Leben geblieben sei. Irgendeine dienstliche Anordnung war nicht erlassen worden. Besagtes Fernschreiben, das meines Erachtens zwischen 17 und 18 Uhr einlief, war ein Gekados-Fernschreiben, Chefsache. Das Fernschreiben sprach einleitend aus, daß „eine Gruppe von Parteiführern unter Ausnutzung des Attentats auf den Führer dem schwerkämpfenden Reich in den Rücken gefallen ist.“ Es wurde angeordnet, daß die kommandierenden Generäle in Wehrkreisen die vollziehende Gewalt zu übernehmen hätten. Einheiten der Polizei und der SS seien ihnen unterstellt. General von Witzleben hatte das Fernschreiben unterzeichnet. In Wehrmachtskreisen war bekannt, daß Witzleben außer Dienst gestellt war. Ich habe mir aber keine weiteren Gedanken gemacht. Ich hatte den Eindruck, daß tatsächlich ein Putsch gegen die Regierung gemacht worden sei, und zwar von der Partei aus. (Ich erinnere mich an den Röhmputsch.) An eine Heeresrevolte dachten wir alle nicht, da sich ja in der preußischen Heeresgeschichte Derartiges noch nie ereignet hatte. Ich veranlaßte, daß der kommandierende General in das Wehrkreiskommando zurückkehrte. Vom Wachbataillon Groß-Wien ließ ich einen kriegsmäßig ausgerüsteten Schützenzug abordnen, um das Wehrkreiskommando zu bewachen. Bald darauf traf ein zweites Fernschreiben ein. Es wurde angeordnet, daß alle Parteiführer, Gauleiter, SS- und Polizeiführer in Haft zu nehmen und die KZ von Truppen des Heeres zu übernehmen seien. Diese Anordnungen ließen mich den Ernst der Lage erkennen. Zur selben Zeit traf auch der kommandierende General ein. Seinen Anordnungen vorgreifend, hatte ich inzwischen „Walküre“ ausrufen lassen. Das Ausrufen dieses Stichwortes war auch in Normalzeiten üblich gewesen, wenn es sich darum handelte, Ersatztransporte sehr schnell an die Front zu bringen… Dem kommandierenden General Esebeck trug ich die bisher ergriffenen Maßnahmen vor. Außerdem hatte ich anordnen lassen, daß die wichtigsten Sachbearbeiter und Abteilungsleiter in das Wehkreiskommando zurückkehrten. Von Esebeck nahm die Fernschreiben zur Kenntnis und war ebenfalls der Meinung, daß die Befehle durchzuführen seien. Zur Sicherung fragte ich persönlich in Berlin an, ob die Fernschreiben tatsächlich abgesandt worden waren.. Ich wählte den durch die Dienstordnung vorgeschriebenen Weg und richtete meine Rückfrage an den Chef des Generalstabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres, Oberst Graf Stauffenberg. Stauffenberg bestätigte den Inhalt 14 der beiden Fernschreiben und fügte hinzu, daß die Anordnungen mit Beschleunigung durchzuführen seien. Ich meldete dies dem kommandierenden General, der daraufhin die von mir erlassenen Anordnungen guthieß. Dann berieten wir über die Festnahme der Parteiführer. Ich machte den Vorschlag, die betreffenden Herren in das Wehrkreiskommando zu bitten, sie vom Inhalt der Fernschreiben in Kenntnis zu setzen und aufzufordern, sich des Weiteren zu unserer Verfügung zu halten. Der kommandierende General schloß sich meinem Vorschlag an; die Herren wurden benachrichtigt und erschienen der Reihe nach im Wehrkreisgebäude. Ich kann mich an Gauleiterstellvertreter Scharizer, an Gaupropagandaleiter Frauenfeld und an SS-Obergruppenführer Querner erinnern. Der kommandierende General empfing den jeweils Eintreffenden im Beisein von Oberst Dyes und mir und gab ihnen den Inhalt des Fernschreibens bekannt. Von den Herren brachte keiner eine ernstzunehmende Remonstration vor. SS-Obergruppenführer Querner lehnte die Einsichtnahme in die Fernschreiben mit den Worten ab: „Wenn Sie es mir sagen, glaube ich Ihnen doch!“ Niemand verlange ein Gespräch mit dem OKW oder dem SS-Reichsführer. Wir haben die Inhaftierten weder ihrer Ämter enthoben noch eigentlich festgenommen. Die Herren hielten sich im Amtsraum des Adjutanten auf und wurden mit Kognak und Zigaretten bewirtet… Gleichzeitig erging ein Befehl an den Stadtkommandanten von Wien, in dem ihm unterstehenden Bereich die angeordneten Verhaftungen vorzunehmen. General Sinzinger machte sich, von einem Offizier begleitet, auf den Weg, um lokale Parteigrößen persönlich festzunehmen… Später erschien dann drittes Fernschreiben, in dem die politischen Beauftragten für den Wehrkreis genannt wurden: Karl Seitz, Wien, Reither, Bauernführer in Tulln, und als Verbindungsoffizier zum Wehrkreiskommando Oberst Graf Marogna-Redwitz. Die beiden ersten Personen waren politisch klar profiliert. Der eine war Sozialist und der andere ein ChristlichSozialer. Marogna-Redwitz bis vor kurzem Leiter der der Abwehrstelle XVII in Wien gewesen. Er war Bayer und entstammte einem alten Bayerischen Geschlecht. Marogna-Redwitz war ein ausgesprochen konservativer, sehr klerikal orientierter Mann. Ich habe mit ihm sehr gute Kontakte gehabt. Er hat mich sehr offenherzig über die tatsächliche Frontlage informiert und gelegentlich Kritik an den Maßnahmen der Heeresleitung geübt. Im Zuge einer Umorganisierung der Abwehr war Marogna-Redwitz als Leiter der Abwehr im Wehrkreis XVII abgelöst worden. Seine neue Funktion bestand in der Überprüfung der Einsatzfähigkeit der Divisionen, die im Rahmen sogenannter Urlauberaktionen an die Front gingen. Marogna-Redwitz war am 20.Juli von einer Dienstreise aus der Slowakei und Oberungarn zurückgekehrt und besuchte mich am Vormittag, um über die gewonnenen Erfahrungen zu referieren. Sein Aufenthalt dauerte eine Stunde, vielleicht auch etwas länger. Er entfernte sich mit der Bemerkung, daß er in Wien bleiben werde, um auf eine neue Verwendung zu warten. Die Nominierung der drei Genannten erweckte in mir, daß eine Sache vor sich gehe, die mit einem Parteiputsch nicht zu erklären war… Inzwischen traf ein viertes Fernschreiben ein mit dem Inhalt, daß Adolf Hitler, entgegen den Meldungen, tot sei. Die angeordneten Maßnahmen seien mit erhöhtem Nachdruck durchzuführen. Ich ging mit diesem Fernschreiben zu dem kommandierenden General, der noch immer mit den Parteifunktionären konferierte und meldete ihm den Inhalt. Da kam es zu einer dramatischen Szene. Propagandaleiter Frauenfeld trat auf mich zu und sagte: „Herr Oberst! Das ist bestimmt nicht richtig; der Führer lebt; das fühlt man!“. Dabei schlug er sich auf die Brust. Die Anordnungen liefen inzwischen mit der Automatik weiter, wie sie beim Militär üblich ist. Anschließend erschienen bei mir zwei Herren der Stapo-Leitstelle Wien. Der eine war Oberregierungsrat Ebner. Sie waren von uns ebenfalls eingeladen worden, hatten aber irgendwie Verdacht geschöpft. Sie hatten den Wagen vor dem Gebäude stehen lassen, waren vorsichtig an das Wehrkreiskommando herangegangen und wurden dann, soviel ich mich erinnere, von der Wache oder vom Kommandanten des Hauptquartiers durch leichte Gewaltanwendung entwaffnet. Ich gab ihnen Einblick in die Fernschreiben. Während die beiden bei mir waren, wurde ich an das Telefon gerufen. Es sprach Generalfeldmarschall Keitel. Er fragte, ob ich verrückt sei, er werde mich vor ein Kriegsgericht stellen und dergleichen mehr. Ich kam überhaupt nicht zu Wort. Da trat gerade General von Esebeck ein , ich hielt ihm wortlos den Hörer an das Ohr, so daß er die weitere Kopfwäsche zu hören bekam. Keitel klärte die „Mystifikation“ auf und gab Befehl, die getroffenen Anordnungen sofort rückgängig zu machen. Kaum war dieses Gespräch beendet, meldet sich das Telefon von neuem. Stauffenberg war am Apparat. Er sagte: „Kodré, was ist denn los? Ihr werdet doch nicht ausspringen wollen?“ Ich konnte nur sagen: „Eben hat Keitel angerufen …“ Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Das war das letzte, was ich von Stauffenberg gehört habe. Ich ging in den Amtsraum hinüber und war Zeuge, wie die von uns festgehaltenen Herrn vom kommandierenden General verabschiedet wurden, der sich förmlich entschuldigte, daß die Dinge so abgelaufen seinen. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß sich auch jetzt keiner der Anwesenden beschwerte oder irgendwie zum Ausdruck brachte, daß man zu Unrecht festgenommen worden sei. Sie bedankten sich für die anständige Behandlung und verließen eilig das Wehrkreiskommando, um, wie sie sagten, ihre Dienststellen zu informieren. Ich ging in mein Zimmer zurück. Es kamen die beiden Herren von der Gestapo, um sich von mir zu verabschieden. Ich ließ sie die Fernschreiben lesen. Die beiden Herren hatten es sehr eilig. Der eine bat mich, das Telefon 15 für eine Weisung benützen zu dürfen, was ich gestattete. Er hob den Hörer ab und sagte nur den einen Satz: „Kartei, Nummer soundso, auslösen!“ Dann verließen auch sie das Wehrkreiskommando. Nach dem Zusammenbruch des Putsches bat mich der kommandierende General in die Wohnung des WK-Adjudanten, des Obersten Dyes. Wir saßen dort zu dritt, tranken Kognak und hörten uns dabei die Rede Adolf Hitlers an. Anschließend legten wir uns zu Bett. Am nächsten Tag erschien der kommandierende General, Schubert, der seinen Kuraufenthalt unterbrochen hatte. Er ließ mich rufen und erklärte, daß die Dinge bei seiner Anwesenheit einen anderen Verlauf genommen hätten. Für mich unangenehm war, daß er diese Äußerung auch Gauleiter von Schirach gegenüber äußerte, so daß ich als Sündenbock dastand. Esebeck ging anschließend zu Schirach, um gutes Wetter zu erbitten. Unglücklicherweise nahm er zu dieser Vorsprache General Sinzinger mit, der das goldene Parteiabzeichen trug. Schirach sah dies, ging auf Sinzinger zu und riß ihm das Parteiabzeichen von der Uniform. Schirach erklärte dem kommandierenden General, daß ich aus Wien verschwinden müsse, andernfalls werde mich die SS totschießen ... Am selben Tag noch erschienen bei mir im Zimmer zwei Herren von der Gestapo mit gezogener Pistole und nahmen mich fest. Ich wurde nach Wien zum Moritzplatz gebracht, wo ich von Kriminalrat Sanitzer verhört wurde … Aus dem Besuch Marogna-Redwitz erwuchsen mir Schwierigkeiten. Aus dieser Tatsache wollte man einen Zusammenhang mit der Militärverschwörung konstruieren. Man fragte mich, wie lange er bei mir gewesen sei, und ich erwiderte, ein halbe oder eine dreiviertel Stunde. Mehr bestimmt nicht. Darauf sagte der verhörende Sanitzer, ich solle mich umdrehen. In der Tür stand Marogna-Redwitz und sagte wie eingelernt: „Aber Kodré, bitte denken Sie doch nach; ich war doch mindestens eineinhalb Stunden bei Ihnen.“ Ich erwiderte: „Bitte, wenn Sie es besser wissen, dann waren es halt einenhalb Stunden.“ Marogna-Redwitz wurde daraufhin wieder abgeführt, und mein Verhör ging weiter. Man wollte wissen, was ich mit ihm gesprochen habe, und ob es notwendig gewesen sei, daß Marogna-Redwitz persönlich bei mir erschienen war. Nach Beendigung des Verhörs – es hatte von 20 Uhr bis drei oder vier Uhr gedauert – wurde ich in meine Zelle geführt. Anmerkung: An 22. Juli 44 wurde Oberst Kodré verhaftet. In Verhören, die der Kriminalrat Sanitzer durchführte wurde, er Graf MarognaRedwitz gegenübergestellt (s.o.). Es wurde auch versucht, ihm wegen der Inaktivität der verhafteten Partei- und SS-Führer, die er in seiner Aussage bestätigt hatte, eine Falle zu stellen. Man wollte offenbar für die Berichterstattung „nach oben“ den üblen Eindruck verwischen, daß keiner der Inhaftierten ein dienstliches Gespräch mit seiner vorgesetzten Dienststelle verlangt hatte (Vgl. Bericht Kaltenbrunner!). Anmerkung zum weiteren Schicksal Kodre´s: Kodré wurde in Begleitung von zwei Kriminalbeamten nach Berlin gebracht, von wo er über die Zwischenstation Reichssicherheitshauptamt nach Fürstenberg in Mecklenburg gebracht wird. Dort sieht er, nach seinen Berichten, General von Esebeck und General Sinzinger, aber auch General Heusinger und Admiral Canaris. Nachdem er nochmals ins Reichssicherheitsamt verbracht worden war, wird ihm mitgeteilt, daß er vom Ehrengerichtshof freigesprochen worden sei, er nach Hause nach Wien fahren könne. Am 7. November 1944 wird er erneut von der Gestapo verhaftet. Im Januar 1945 wird er ins Konzentrationslager Mauthausen überstellt, aus dem er von den Amerikaneren 1945 befreit wird. Der Bericht Kaltenbrunners an Bormann vom 30. Juli 1944 Aus: Hans-Adolf Jacobsen; Spiegelbild einer Verschwörung; Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitsamt, Stuttgart, 1984, Bd 1, S.104 ff. Anmerkung: Der Bericht Kaltenbrunners an Bormann ist insofern interessant, als Kaltenbrunner den NS-Parteispitzen gegenüber zugeben muß, daß die Attentäter in einigen Wehrkreisen einen gewissen Erfolg hatten; so wurden z.B. Gebäude besetzt und NS-Größen interniert. Kaltenbrunner hat dabei das Problem, daß sich viele SS-Offiziere allzu schnell in ihre Lage ergaben, Himmler gegenüber heruntergespielt. Am Tag nach dem Attentat begann die Gestapo mit systematischen Verhaftung von Verdächtigen und ihren Angehörigen. Eine von Ernst Kaltenbrunner geleitete Sonderkommission im Reichssicherheitshauptamt nahm mit hunderten von Leuten die Ermittlung auf und berichtete darüber regelmäßig am Martin Bormann, den Sekretär des Führers. Fahndung und Festnahmen umfaßten mehrere hundert Personen, die in Berlin und umliegenden Haftstätten gefangen gehalten wurden. Vorgänge des 20.7. im Reich Anlage 2 / 30.7.1944 …Gewisse Auswirkungen haben die Anordnungen der Putschisten lediglich bei den Wehrkreisbefehlshabern in Wien, Prag und Kassel gehabt. Hier wurde versucht, die ersten von den Verschwörern ausgegangenen Befehle durchzuführen. Durch die entschlossene Haltung der Parteistellen und Sicherheitsorgane, und durch das schnelle Eingreifen aus dem Führerhauptquartier ist es jedoch auch hier nicht zu ernsten Zwischenfällen gekommen. Noch im Laufe des 20.7. sind die letzten Auswirkungen der Befehle der Verschwörer abgeklungen. 16 Wien In Wien hatte der Befehlshaber des Wehrkreises (Vertreter), General der Panzertruppen von Esebeck, die Gauleiter und Reichsstatthalter, den Gaupropagandaleiter, den höheren SS- und Polizeiführer, den Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD und seinen Vertreter zu einer Besprechung gebeten. (Gauleiter Baldur von Schiach und Dr. Jury befanden sich dienstlich außerhalb Wiens.) Der Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD schildert den Vorgang wie folgt: „Ich begab mich mit Dr. Ebner zum Generalkommando und wurde dort von einigen Offizieren der Wehrmacht in ein Zimmer gebracht und festgehalten. Ich versuchte Aufklärung zu erhalten. Diese wurde aber verweigert. Ebenso wurde meine Forderung, sofort zum General geführt zu werden, abgelehnt. Ich wurde von einem Oberstleutnant aufgefordert, die Konzentrationslager in meinem Inspekteurbereich bekanntzugeben. Ich habe jede Auskunft verweigert. Nach ungefähr ¾ Stunden wurde ich zum Vertreter des Kommandierenden Generals geführt, der mich an Hand der von Berlin für die Wehrmacht eingelaufenen Fernschreiben über die Situation aufklärte. Wir konnten dann ungehindert das Gebäude verlassen. In Haft im Wehrmachtsgebäude Am Stubenring befanden sich noch zur selben Zeit Gauleiter-Stellvertreter Scharitzer und Gaupropagandaleiter Frauenfeld, ferner SS-Obergruppenführer Duerner, Höherer SS- und Polizeiführer, und der Polzeipräsident.“ Die gesamte Sicherheitspolizei und der SD war alarmiert. Die Wehrmacht hatte zunächst militärische Objekte besetzt. Esebeck und der Chef des Generalstabes im Generalkommando XVII, Oberst d. G. Heinrich Kodré, sind glaubhaft der Meinung gewesen, daß es sich bei den von Berlin angeordneten Maßnahmen um echte Befehle handelte, denen man als Soldat bedenkenlos nachzukommen habe. Augenscheinlich sind auch vor lauter Aufregung die Befehle nicht richtig gelesen worden. Wesentliches fiel beim gegenseitigen Vortrag und in der mündlichen Weitergabe auf dem Befehlsweg weg. Es wurde auch bedauert, daß eine solche „Schweinerei“ passiert sei (angebliche Revolte von Kreisen der Partei und der SS), gemeint, daß die Wehrmacht im Sinne des Führers handele, und Esebeck und Scharitzer haben sich auch darüber ausgesprochen, wie sehr Wehrmacht und Partei gerade in dieser Zeit zusammenstehen müßten. Verhalten Hoepners: Von Wien aus ist nach Eintreffen der ersten Befehle der Verschwörerclique mehrfach mit Berlin telefoniert worden. Oberst Kodré bzw. Esebeck bekamen jedoch an Stelle von Fromm Stauffenberg an den Apparat, der auf Durchführung der gegebenen Befehle bestand und deren Rechtmäßigkeit unterstrich (daher Unterstellung der Ordnungspolizei unter die Wehrmacht, Versuch der Unterstellung der Waffen-SS unter die Wehrmacht, Entwaffnung des Wiener Polizeipräsidenten Sinzinger usw.). Um nach Eintreffen der Gegenbefehle aus dem Führerhauptquartier die entstandenen Widersprüche aufzuklären, rief Kodré erneut in Berlin an. Als Esebeck Kodré den Hörer aus der Hand nahm, hatte er Hoepner am Apparat. Der genauere Inhalt des Gesprächs ist noch nicht geklärt (etwas widersprechende Angaben von Esebeck und Hoepner). Das kurze Gespräch muß sich aber wie folgt abgespielt haben: Esebeck legte dar, daß er durch die verschiedenen Befehle in Gewissenskonflikte kam, welche Befehle er ausführen solle. Wenn er dem Berliner Befehl nachkomme, so sehe er voraus, daß dies nicht glatt gehen würde. Hoepner muß darauf etwa gesagt haben: „Dann lassen Sie das, (dann) gilt für Sie der Befehl Keitels, dann gilt für Sie nicht, was hier befohlen wurde.“ Durch ein nachfolgendes Gespräch zwischen Esebeck und General Burgsdorf – Führerhauptquartier – und durch ein weiters Gespräch mit Generalfeldmarschall Keitel ergab sich dann für Esebeck und den Wehrkreis, daß es sich bei der ganzen Aktion um eine „bedauerliche Mystifikation“ gehandelt hat und daß sie den Befehlen einer Verschwörerbande aufgesessen waren… Die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof (Freisler) Aus: Eugen Budde / Peter Lütsches: Die Wahrheit über den 20.Jiuli, Düsseldorf 1972. Anmerkungen: Mit einem ersten Schauprozeß vor dem Volksgerichtshof in Berlin unter seinem Präsidenten Roland Freisler bagann am 7. und 8. August 1944 die Welle der Todesurteile gegen die Beteiligten des 20. Juli 1944. Hitler gedachte zunächst, seine Rache an den Attentätern des 20. Juli 1944 in der Form eines groß angelegten öffentlichen Prozesses zu nehmen, der durch Presse, Rundfunk und Film zur Kenntnis breitester Kreise gebracht werden sollte. Unter dem Einfluß Himmlers, der die Auswirkungen auf die Volksstimmung wohl zutreffender beurteilte, jedenfalls Bedenken geltend machte, bestimmte Hitler sodann, daß die Aburteilung unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit vor einem begrenzten und streng ausgewählten Zuhörerkreis erfolgen sollte; vgl. W. Wagner, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus; Band 3; 1974, S.661. Weder die genaue Zahl der Angeklagten noch die der Verhandlungstermine und der gefällten Urteile und Todesurteile ist heute noch feststellbar. Mit einiger Sicherheit kann gesagt werden, daß zwischen dem 8. August 1944 und dem 9.Aprill 1945 in Plötzensee mindestens 86 Menschen als Beteiligte des 20.Juli 1944 hingerichtet wurden. Die Gesamtzahl der ermordeten Widerständler geht für diese Monate in die Hunderte. 17 Angeklagter Stieff (Verhandlung vom 7. / 8. August 1944) Hellmut Stieff: Er war seit Oktober 1942 Chef der Organisationsabteilung im Oberkommando des Heeres. Im Sommer 1943 erklärte er sich nach Gesprächen mit den Widerstandkämpfern bereit, an einem Attentat auf Hitler mitzuwirken. Er versuchte Generalfeldmarschall von Kluge zur Teilnahme an dem Umsturzversuch zu gewinnen und verwahrte mehrfach Sprengstoff für einen Anschlag. Allerdings weigerte er sich das Attentat selbst auszuführen. Freisler: Sie haben sich nicht politisch betätigt, haben aber erklärt, daß Sie sich mit der Machtergreifung vorbehaltlos zum Nationalsozialismus bekannt haben. Stieff: Jawohl Freisler: Schon jetzt möchte ich eins hervorheben. Ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus ergreift den ganzen Mann; dann kann der Mann dieses Bekenntnis nicht wieder verlassen und dieses Bekenntnis den Mann nicht wieder verlassen. Ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus ist ein Bekenntnis zu unserem Führer, wie ein Bekenntnis zu unserem Führer ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus ist. Beides ist untrennbar und unauflösbar für Zeit und Ewigkeit. Wenn Sie also eben bejahten, daß Sie sich zum Nationalsozialismus bekannt haben, müssen Sie sich ja auch jetzt noch dazu bekennen. Ob das, was Sie eben gesagt haben, Wahrheit oder Lüge war, werden wir im Laufe der nächsten Stunden ja erfahren. Freisler weiter: … Sie haben, wenn Ihre Äußerungen richtig sind – und in einer Eingabe von Ihnen, die mir eben vorgelegt worden ist, und von der ich Kenntnis genommen habe, bestätigen Sie noch einmal, daß Ihre Angaben, wie Sie sich ausdrücken, den objektiven Hergang richtig wiedergeben – zuerst gelogen. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß Sie zunächst vor der Polizei gelogen haben, daß sich die Balken biegen mußten. Stimmt das? Stieff: Ich habe ----Freisler: Ja oder nein! Stieff: Ich habe Dinge verschwiegen. Freisler: Ja oder Nein. Zwischen Lüge und Wahrheit gibt es kein wenn und aber. Sie können nacher im Einzelnen etwas sagen. Haben Sie gelogen oder haben Sie die Wahrheit gesagt? Stieff: In der Vernehmung habe ich nicht die volle Wahrheit gesagt. Freisler: Also hätten Sie, wenn Sie ein Mann wären, eben antworten können: Ja, ich habe gelogen, daß sich die Balken bogen … Freisler: Vierte Szene! Ist es richtig, daß etwa in der Zeit, als wir vom Dnjepr zurückgingen, der Mordbube Graf von Stauffenberg etwa im Oktober 1943 wieder in Sie gedrungen ist und daß Sie nun nicht nein gesagt haben? Stieff: Es ist richtig, daß er bei mir war, es ist auch zutreffend, daß ich nicht nein gesagt habe. Freisler: Stimmt es, daß Sie nicht nein gesagt haben, weil Sie Ihre Finger darin haben wollten? Stieff: Jawohl! Freisler: Wörtlich so haben Sie nämlich vor der Polizei ausgesagt. Wissen Sie, daß Sie damit nicht Ihre Finger darin hielten – von Ihrem Kopf reden wir nicht – daß Ihre Ehre damit für immer abgeschnitten war, weil Sie bei einer solchen Sache nicht einmal nein sagen, um die Finger darin zu haben? Sind Sie sich darüber klar? Stieff: Aber ich verweise auf meine Erklärung. Freisler: Sind Sie sich darüber klar? Stieff: Ja, aber ich verweise auf meine Erklärung. Freisler: Verweisen Sie, so viel Sie wollen. Hier gilt nur eins, das, wovon Sie behaupten, daß Sie sich dazu bekannt hätten, nationalsozialistische Mannestreue. Stieff: Dem Deutschen Volk gegenüber! Freisler: Nationalsozialistische Mannestreue! Führer und Volk sind auch immer eins. Was ist das für ein jesuitisch-reaktionärer Vorbehalt, den Sie da machen. Was glauben Sie, was geschehen wäre, wenn einer der letzten Goten am Vesuv einen solchen Vorbehalt gemacht hätte? Was glauben Sie, was mit einem solchen geschehen wäre, der bei einem wandernden Treck germanischer Stämme so etwas gesagt hätte? Er wäre in den Sumpf versenkt worden, weil Sumpf zu Sumpf gehört. Mannestreue zum Führer ist Volkstreue, ist Reichstreue. Eines verraten, heißt alles verraten. Politisch schizophrene Persönlichkeiten können wir nicht gebrauchen, die da meinen, sie könnten spalten zwischen der Treue zum Führer und der Treue zum Volk. … Freisler: Aus Ihrer Aussage geht eben hervor, Daß Sie genau über den Plan Stauffenbergs orientiert waren. Jetzt kommen Sie erst auf Seite 28 Ihres Protokolls dazu, über die Besprechungen mit Stauffenberg im Winter 18 bzw. im Frühjahr auszusagen, und jetzt sind Sie gezwungen, den Plan, den Stauffenberg hatte, genau zu schildern. Da haben Sie ja nun eine tolle Sache geschildert. Sie haben geschildert, daß ein anderer Plan bestand: Es bestand ein Plan, bei einer Vorführung so etwas zu tun. Ich könnte mir vorstellen, daß z. B. die Bekleidung der Soldaten hie und da den Erfahrungen des Krieges entsprechend sich ändert, das Rückengepäck anders gepackt und getragen wird. Sie haben bekundet, daß Stauffenberg auch den Plan hatte, den Mordanschlag auf unseren Führer auszuführen anläßlich einer Besichtigung solcher neuen Soldatenbekleidung und Gepäckpackung… Stimmt das? Stieff: Jawohl! Freisler: Pfui, einem deutschen Soldaten etwas ins Gepäck zu packen. Stieff: Nein! Freisler: …um einen Anschlag auf unseren Führer durchzuführen! Schämen Sie sich! Freisler: Jawohl! Unser Führer ist kein Büromensch. Unser Führer prüft so etwas nicht, indem er sich an Hand von Akten und Mustern etwas ansieht, er prüft es, wie es der Soldat trägt; denn unser Führer ist Soldat, der erste Gefreite des Weltkrieges. Unser Führer! Schämen Sie sich und reden Sie solches Zeug nicht weiter! Wir wissen Bescheid. – Diesen Plan hat also der Stauffenberg gehabt. Freisler: Ist es richtig, daß der General der Artillerie Lindemann sich einige Zeit danach an Sie mit defaitistischen Sorgen wandte? Stieff: Mit Sorgen über die Lage hat er sich mehrfach an mich gewandt. Ich lehne des Ausdruck „defaitistisch“ ab. Freisler: Sie können den Ausdruck „defaitistisch“ ablehnen. Das können Sie tun. Was Sie ablehnen interessiert uns ebensowenig, wie die perverse Neigung eines geschlechtlich Homosexuellen den gesunden deutschen Mann; denn Sie sind ja auf politischem Gebiet, wenn Sie nicht einsehen, daß das tollster Defaitismus ist, ebenfalls pervers. Hier gilt aber unsere gesunde Meinung und nicht die Ihrige… Stieff: General Wagner ist voll im Bilde gewesen. Ich habe mich ja an ihn in erster Linie als den älteren Kameraden gewandt. Freisler: Ich kann wieder nur sagen: Pfui Teufel! Als den älteren Kameraden? – als den älteren Verbrecher, von dem Sie wissen, daß er einen Mordplan auf den Führer kennt. Derjenige, von dem Sie wissen, daß er einen Mordplan auf den Führer kennt, ist Niemandes Kamerad; er ist, wie die alten Deutschen sagten, wolfsfrei. Wenn Sie aber schon von einer Kameradschaft sprechen, so war er nicht mehr älterer Kamerad, sondern der ältere Verbrecher. Also Sie haben ihn als den älteren Mitverbrecher betrachtet. Stieff: Nein, ich habe das nicht aus Verbrechergründen getan. Freisler: Nein, weil Sie eben auf diesem Gebiet wie ein Homosexueller abartig sind. Stieff: Nein. Freisler: Hier gilt nur unsere Meinung und keine andere. Hier gilt nur die nationalsozialistische Anschauung, die heißt: Mit dem Führer durch dick und dünn bis zur letzten Minute und darüber hinaus, dann kommt der Sieg. Nichts anderes gilt. Alles andere ist Defaitismus, von dem wir nichts hören wollen. Stieff: Herr Präsident, dann hätte ich meine Stellung nicht ausgefüllt. Freisler: Schluß! Schluß! Ihre Stellung konnten Sie nur aushalten, in dem Sie, wenn Sie schon ein Schlappschwanz von Defaitist sind, starben wie die letzten Goten, die in uns nunmehr weiterleben. Aber es ist mir ja klar, daß Sie nicht zu belehren sind, nicht zu bekehren. Es wäre Schade darum… Berichte des Gefängnisgeistlichen Peter Buchholz Aus: Brigitte Oleschinski: Mut zur Menschlichkeit – Der Gefängnisgeistliche Peter Buchholz im Dritten Reich, Königswinter 1990. Eine Chronik der Hinrichtungen Mit einem ersten Schauprozeß1 vor dem Volksgerichtshof in Berlin unter seinem Präsidenten Roland Freisler begann am 7. und 8. August 1944 die Welle der Todesurteile gegen die Beteiligten des 20. Juli 1944. 1 Hitler gedachte zunächst, seine Rache an den Attentätern des 20. Juli 1944 in der Form eines groß angelegten öffentlichen Prozesses zu nehmen, der durch Presse, Rundfunk und Film zur Kenntnis breitester Kreise gebracht werden sollte. Unter dem Einfluß Himmlers, der die Auswirkungen auf die Volksstimmung wohl zutreffender beurteilte, jedenfalls Bedenken geltend machte, bestimmte Hitler sodann, daß die Aburteilung unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit vor einem begrenzten und streng ausgewählten Zuhörerkreis erfolgen sollte; W. Wagner 1974, S. 661 19 Weder die genaue Zahl der Angeklagten noch die der Verhandlungstermine und der gefällten Urteile und Todesurteile ist heute noch feststellbar. Mit einiger Sicherheit kann gesagt werden, daß zwischen dem 8. August 1944 und dem 9. April 1945 in Plötzensee mindestens 86 Menschen als Beteiligte des 20. Juli 1944 hingerichtet wurden. Einer der ersten, die später das Schauspiel dieser Volksgerichtshofprozesse umfassend dargestellt haben, war der Jurist und Historiker Walter Wagner. Er schrieb darüber: „Noch bestürzender war die Erkenntnis, daß es sich bei dem Kreis der Angeklagten und Widerstanskämpfer keineswegs, wie dies in den amtlichen Verlautbarungen nach dem Attentat dem Volk versichert worden war, um eine kleine reaktionäre und entwurzelte Clique handelte, sondern daß hier die vielverästelte Bewegung einer Auslese in Erscheinung getreten war... Von dem, was in den Verhandlungen vor dem Volksgerichthof zur Sprache kam, wußte Peter Buchholz seinerzeit so gut wie nichts. Seine Perspektive war von zwei wesentlichen Einschränkungen bestimmt. Die meisten Opfer des 20. Juli lernte er erst kurz vor ihrer Hinrichtung überhaupt kennen, denn sie wurden meist unmittelbar nach dem Todesurteil nach Plötzensee gebracht, nachdem sie bis zum Prozeß überwiegend in der Hand der Gestapo gewesen waren. Und generell war es den Gefängnisgeistlichen verboten, diese Opfer vor der Urteilsvollstreckung seelsorglich zu betreuen2 2 Dafür hat sich bisher kein schriftlicher Beleg finden lassen. Dieser Umstand wird jedoch von allen damals betroffenen Seelsorgern bezeugt und spielt auch in vielen Erlebnisberichten eine Rolle. Hier wird deshalb nicht der Anspruch erhoben, die Geschichte der Hinrichtungen nach dem 20. Juli in ihrer Gesamtheit zu rekonstruieren. Versucht wird lediglich, die Begegnungen von Peter Buchholz mit den zum Tode Verurteilten aus diesem Kreis so genau wie möglich nachzuzeichnen… Die erste Hinrichtung von Beteiligten des 20. Juli fand am 8. August 1944 statt. Ihr ging eine zweitägige Verhandlung3 vor dem Volksgerichtshof unter Roland Freisler voraus, die in Teilen als Filmdokument erhalten ist. 3 Diese Verfahren trugen das Aktenzeichen OJ/44 g.Rs Bisher ist es nicht geglückt, für alle Verfahren das entsprechende Aktenzeichen zu eruieren. Viele Akten wurden wohl bei der Vernichtung des Reichstagsarchivs im Februar 1945 vernichtet. Am 8. August starben in Plötzensee durch Erhängen Erwin von Witzleben, Erich Hoepner, Helmuth Stieff, Albrecht von Hagen, Paul von Hase, Robert Bernardis, Friedrich Karl Klausing und Peter Graf Yorck von Wartenburg. Die allgemeinen Umstände dieser ersten Hinrichtungen beschrieb später Victor von Gotomskki anhand seiner heimlichen Tagebuchnotizen: „Die Bibliothekare des Todeshause in Plötzensee haben die Sonderaktionen notiert. Sie hatten eine gewisse Bewegungsfreiheit. Sie kamen bisweilen in das Zimmer der Wachtmeister. Sie hatten engen Kontakt zu den Gefängnisseelsorgern. Die Sonderaktionen sind auf zwei Blättern des Totenbuches aufgeschrieben, auf den Seiten 222, 223 und 224. Die Seite 221 ist frei. Die beiden Blätter sind aus dem Buch herausgerissen worden. Die Namen wurden unmittelbar notiert, so daß zwischen dem Ereignis und der Niederschrift nur Stunden lagen, höchstens ein Tag. Das erhöht den Wert der Liste. Natürlich hatten die geheimen Chronisten der Verfolgung kaum die Möglichkeit zu fragen, wie ein Name geschrieben wurde. Sie hatten keine Möglichkeit zu prüfen oder zu recherchieren..“ (Gostomski / Loch: Der Tod von Plötzensee; Meitingen 1969, S. 184) Die Schilderung der ersten Hinrichtungen am 8. August 1944 lautet bei Viktor Gostomski: „Man raunte im Haus von einer Sonderaktion. Sonderaktion – das sind Prominente. Wachtmeister redeten von einer großen Sache. Ich vermutete, es seien Männer, die am 20. Juli beteiligt waren. Alle Gefangenen wurden gegen sechs Uhr abends in die Zellen eingesperrt. Keiner arbeitet mehr. Auch wir Bibliothekare waren in der Zelle. Wir stellten den Tisch unters Fenster und spähten auf den Hof. Es mochte sieben Uhr sein. Die schweren Eisentüren des Gefängnisses öffneten sich. Männer in gestreiften Sträflingskleidern, an den Händen gefesselt, die nackten Füße in klappernden Holzpantoffeln, ohne Kopfbedeckung traten heraus. Jeder wurde von zwei Wachtmeistern geführt. Aber sie gingen aufrecht, sie brauchten keine Stütze. Hinter den Todeskandidaten gingen viele Zivilisten, vermutlich Gestapo. SS-Männer filmten. Ein Wachtmeister hatte uns am Fenster entdeckt; er brüllte: ´Von den Fenstern weg!´ Wir hielten einen kleinen Spiegel so, daß wir wieder beobachten konnten. Wie viel Zeit war vergangen? Zehn oder fünfzehn Minuten? Ich war zu erregt, um darauf achten zu können. Das war die Sonderaktion. Wieder klapperten die Holzpantinen. Wieder die traurige Prozession. Sie kamen aus dem Gefängnisinnern. Vermutlich war der Hinrichtungsbeschluß verlesen worden. Einer nach dem anderen wurde in den Hinrichtungsschuppen geführt, die Hände auf den Rücken gefesselt, die Jacke lose übergeworfen. Es dauerte etwa fünf Minuten, bis der nächste an der Reihe war. Die Gestapo-Leute waren im Schuppen, der Filmmann auch. In gut vierzig Minuten war alles vorbei. (Gostomski / Loch: Der Tod von Plötzensee; Meitingen 1969, S. 185 ff.) 20 „Wie bereits gesagt, hatte man alle Gefangenen in die Zellen gesperrt. Wir Häftlinge konnten an der verschlossenen Zellentür belauschen, was sich im Parterre des Todeshauses abspielte. Mir klingt das heute noch in meinen Ohren, als ich einen hohen Beamten des Volksgerichtshofs laut brüllen hörte: ´Die Pfaffen sollen sich aus den Zellen entfernen. Unser Führer Adolf Hitler hat diesen Männern den geistlichen Beistand verboten.“ Das nachdrücklichste Erlebnis dieses Tages war für Peter Buchholz sicherlich die Konversion von Helmuth Stieff zum katholischen Glauben. Der Ehefrau berichtet er darüber nach dem Krieg brieflich: .. als ich zu Ihrem Gatten in die Zelle kam, antwortete er mir auf meine Frage, ob er katholisch sei und meine Betreuung wünsche: er sei zwar evangelisch, aber seine Frau sei katholisch, und er habe mit ihr in einer so selten glücklichen und harmonischen Ehe gelebt, daß er seinem Schöpfer und seiner Frau dafür nicht genug dankbar sein könne. Er wünsche auch über den Tod hinaus sich mit seiner Frau verbunden zu fühlen und möchte als Katholik sterben, ob das wohl möglich sei? Ich gab ihm zur Antwort, daß das selbstverständlich möglich sei und ich gerne bereit sei, seinen Wunsch zu erfüllen. (Unterbrechung durch das Eintreffen des Gerichts) Wie unglücklich ich darüber war, können Sie sich denken, zumal ich wußte, wie dringlich Ihr Gatte mich erwartete. Ich hielt mich etwas im Hintergrund und wartete die weitere Entwicklung der Dinge ab, um zu sehen, ob sich vielleicht doch noch eine Möglichkeit fände, zu Ihrem Gatten in die Zelle zu kommen. Und Gott sei Dank, die Möglichkeit fand sich. Als der erste der Herren Generalfeldmarschall von Witzleben, zur Hinrichtung hinausgeführt wurde, gingen sämtliche Beamte des Volksgericht(hofes) und die Gestapoleute mit, um ja keine Phase dieses seltenen Schauspieles zu versäumen. Diese Gelegenheit benutzte ich, um schnell noch in die Zelle Ihres Gatten hineinzuschlüpfen und seinem Wunsche entsprechend ihm meinen seelsorglichen Beistand zu geben. Mir standen kaum Minuten zur Verfügung, aber es ist mir gelungen, alles Notwendige zu tun. Wie sehr sich ihr Gatte gefreut hat, brauch ich Ihnen wohl kaum zu versichern. Seine letzten Grüße und Wünsche galten Ihnen. Was er mir über Ihr wunderbares Verhältnis zueinander in kurzen Worten andeutete, find ich in dem bestätigt, was Sie in Ihrem Brief mir darüber schreiben. Weitere der Verurteilten, mit denen er laut seinen Berichten an die Angehörigen vor der Hinrichtung gesprochen hat, waren Albrecht von Hagen4, Paul von Hase5 und Erwin von Witzleben6, denen er als Protestanten jeweils den Besuch des evangelischen Pfarrers ankündigte. Ob er die übrigen nicht treffen konnte oder nur keinen schriftlichen Kontakt mit den Angehörigen aufnahm, ist ungeklärt. 4 „Ihres Herrn Schwagers, des Herrn Albrecht von Hagen, erinnere ich mich noch wohl. Er ist einer der wenigen von den Männern des 20. Juli, die ich kurz vor ihrer Hinrichtung noch habe sprechen können. … Aber gesehen und gesprochen habe ich Herrn von Hagen doch. Ich hatte ihm den Besuch des evangelischen Pfarrers versprochen, der inzwischen den Rundgang von der anderen Seite her begonnen hatte. … Dann habe ich ihm einige tröstende und aufrichtende Worte gesagt und habe mich bei der Gelegenheit davon überzeugen können, daß seine Haltung durchaus ungebrochen und mannhaft war und er in vorbildlicher Weise das Ende erwartete, und in dieser Bereitschaft ist er auch den letzten Weg gegangen. … Die Hinrichtung hat, wie Sie richtig vermuten, durch Erhängen stattgefunden, aber nicht so, wie es gerüchteweise gesagt wurde. Ich kann bestimmt versichern, daß der Tod sofort eingetreten ist.“ 5 „Ich war gerade bei Ihrem Herrn Vater gewesen und hatte einige Worte mit ihm gesprochen und ihm versichert, daß der evangelische Geistliche gleich zu ihm kommen würde, da traf uns das Verbot, und wir mußten unsere Tätigkeit sofort einstellen. Es ist möglich, daß Pfarrer Dr. Poelchau doch noch bei Ihren Vater gewesen ist. … Ob er in der letzten halben Stunde in Plötzensee noch einen Abschiedsgruß für seine Angehörigen geschrieben hat, weiß ich nicht bestimmt. Die Zeit, die dafür zur Verfügung stand, war sehr knapp. Sollte es geschehen sein, dann ist der Brief sicher zu den Akten genommen worden, die wir allerdings bisher noch nicht haben auffinden können.“ 6„ … Trotzdem habe ich mit Ihrem Herrn Vater noch kurz gesprochen und kann Ihnen die Versicherung geben, daß er so aufrecht und tapfer gestorben ist, wie er auch vor Gerichte stand, und daß Sie allen Grund haben, stolz zu sein. Seine letzten Grüße und Gedanken waren Ihnen und er bittet, ihn so in Erinnerung zu bewahren, wie sein Bild zeitlebens vor Ihnen gestanden hat.“ Zwei Tage später, bei der Hinrichtung von drei weiteren Beteiligten des 20. Juli 1944 am 10. August, hat Buchholz offensichtlich überhaupt keinen Zugang zu den Verurteilten finden können. Bezeugt ist dies zumindest im Falle von Berthold Schenk Graf von Stauffenberg: „… Es ist mir leider nicht gelungen zu Ihrem Mann noch in die Zelle zu kommen, aber ich habe mich so hingestellt, daß er bei seinem Gang aus der Zelle zur Hinrichtung mich hat sehen können.“ Hier zeichnet sich bereits ein Muster des Ablaufs der folgenden Hinrichtungstermine ab, wie es für die „Sonderaktionen“ typisch werden sollte. Für die Geistlichen gab es darin keine Möglichkeit mehr, bis zu den Verurteilten durchzudringen. Die segnende Gebärde aus der Ferne war das einzige, was Buchholz in diesen Momenten zu tun übrig blieb. Die nächsten Hinrichtungen in dieser Sache fanden am 15. August statt. Auch hier gelang es Buchholz nicht, bis zu den Verurteilten vorzudringen: „… Nachdem er (Anm. Graf Helldorf) am 20.Julli mit einer Reihe von anderen Mitverschworenen verhaftet worden ist, wurde er in einem Gestapo-Gefängnis, ich glaube in der Prinz-Albrecht-Straße in Haft gehalten bis zu seinem Termin, der am 15.8. stattfand, auf dem er dann zum Tode verurteilt wurde. In Anschluß an den Termin wurde er mit noch anderen: Leg. Rat (Hans-Bernd) von Haeften, Major (Egebert) Hayessen, Oberstleutnant 21 (Bernhard) Klamroth nach Plötzensee zur Hinrichtung gebracht. … Der dritte Hinrichtungstermin war der 15.8., an dem mir schon gleich gesagt wurde, daß ich mich unter keinen Umständen bei den Zellen der Todeskandidaten blicken lassen dürfe, sonst würde man mich selbst einsperren. Ich kann also leider aus eigener Anschauung nichts sagen über die innere und äußere Haltung, mit der Graf Helldorf in den Tod gegangen ist7. 7 Eine vermutlich auf Hörensagen beruhende Beschreibung zu diesem Tage besagt allerdings: „Die Hinrichtung der vier Angeklagten Graf von Helldorf, Berhard Klamroth, Hayessen und van Haeften fand noch am selben Tage statt. Auf Befehl Hitlers mußte Graf von Helldorf der Hinrichtung seiner drei Mitangeklagten beiwohnen; er wurde von zwei Justizwachtmeistern gehalten und so hingestellt, daß er den Vollstreckungsakt an den drei anderen Verurteilten zusehen mußte; erst in Anschluß an die Hinrichtung des Lagationsrates von Haeften wurde er dann selber gehängt. Trotz dieser neuen Quälerei benahm sich Graf von Helldorf tapfer, wie auch die Haltung der drei Verurteilten als `einwandfrei´ bezeichnet wurde (vgl. auch Wagner. S. 685). …8. September. An diesem Tag wurden Ulrich Wilhelm Graf Schwanenfeld, Günther Smend, Georg Alexander Hansen8 ….zu Tode gebracht. Pfarrer Buchholz befand sich in der Nähe, konnte aber niemenden sprechen. Anläßlich einer Mitteilung an die Witwe von Georg Alexander Hansen beschreibt Buchholz die Umstände dieses letzten Tages wie folgt: „Ihr Gatte ist erst eine Stunde vor der Hinrichtung nach Plötzensee gebracht worden und nach Aufnahme der Personalien und Umkleiden in eine der Zellen eingewiesen worden, in denen die Verurteilten die letzte Stunde vor der Hinrichtung in Einzelhaft mit je einem Wärter zubringen mußten. In dieser Zeit hat er den Abschiedsbrief geschrieben. Verpflegung hat er hier nicht mehr bekommen. Im übrigen wird die Verpflegung in der Lehrter Straße ähnlich gewesen sein wie überall in den Gefängnissen in der letzten Zeit: morgens und abends ein paar Schnitten Brot mit Kaffee bzw. Suppe und etwas Belag am Abend. Mittags eine dicke Gemüsesuppe oder Kartoffeln mit Soße. Der Gang von der Zelle bis zum Hinrichtungsraum und die Hinrichtung selbst dauerten im Ganzen nur drei Minuten, so daß nach drei Minuten schon der nächste geholt wurde. … … Ich stand, als Ihr Mann hinausgeführt wurde, in der Etage über diesen Zellen, so daß sein Blick beim Hinausgehen auf mich fallen mußte und er mich gewiß gesehen und als Pfarrer erkannt hat.“ Immer wieder versuchte Peter Buchholz, in seinen Briefen an die Angehörigen die umlaufenden Gerüchte über die Hinrichtungen der Beteiligten des 20. Juli 1944 zu entkräften. Ein Hinweis auf die Art der Gerüchte findet sich beispielsweise in dem Schreiben des Vaters des hingerichteten Obersten Joachim Meißner. „Haben Sie meinen Sohn gesehen, gesprochen? Wissen Sie, auf welche Weise er zu Tode gebracht worden? Ist er erschossen worden? Oder hat er die qualvolle Todesart des Erhängens an der Schaukel erleiden müssen? Darauf antwortet Peter Buchholz mit alle Deutlichkeit: „Aus einem versteckten Winkel habe ich ihn und die anderen auf ihrem Gang zur Hinrichtung gesehen und ihnen mit meinen Gebeten das Geleit gegeben bis hinüber in das andere Leben bei Gott. Und noch etwas: Ihr Sohn hat, wie die anderen, den Tod erlitten durch Erhängen, aber nicht so, wie Sie vermuten – der Tod ist sofort eingetreten. Die Hinrichtung ist in keiner Weise durch irgendwelche Quälereien verlängert worden. Die Versicherung kann ich Ihnen auf das allerbestimmteste geben.“ .. Am 12. Oktober fanden drei weitere Hinrichtungen statt, und zwar von Rudolf Graf Marogna-Redwitz9, Carl Langbehn, und Alexis Freiherr von Roenne. 9 Aktenzeichen unbekannt. Rudolf von Marogna-Redwitz erscheint in der Gostomski-Liste unter dem 12.10.1944 an 1.Stelle. Ein Vermerk über die Hinrichtung läßt sich im Mordregister nicht feststellen. Zur Biographie vgl. Jedlicka: Der 20. Juli in Österreich; Herold Verlag, 1965. In diesem Fall konnte Peter Buchholz zumindest der Witwe von Rudolf Graf Marogna-Redwitz eine tröstende Auskunft geben: „Wie froh bin ich heute noch für Sie, daß ich während der wenigen Tage, die Ihr Gatte im Gefängnis in Tegel zugebracht hat, ihn habe besuchen und ihm die heilige Kommunion habe bringen können. Sonst hätte er, wie viele andere seiner Leidensgefährten, nicht die Möglichkeit gehabt, sich diese Tröstung auf seinem letzten Weg mitzunehmen, da ja in Plötzensee kurz vor der Hinrichtung durch das Verbot von Hitler uns der seelsorgliche Beistand verwehrt war. Daß er aufrecht und tapfer den letzten Weg gegangen und im heiligen Märtyrergeist sein Leben geopfert hat, das alles habe ich Ihnen ja damals persönlich erzählen können. (Schreiben v. 21.2.1946 an Anna Marogna-Redwitz, NL Peter Buchholz) 22
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