Vorschau - Klett-Cotta Verlag, J. G. Cotta'sche Buchhandlung
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Ernst Jünger / Meßbare und Schicksalszeit
zu versuchen. Heute schon merken wir mancherorten das heimliche oder
offenbare Verlangen danach. Das Werk Leopold Krakauers legt ein unverkennbares Zeugnis ab.
ERNST JÜNGER
MESSBARE UND SCHICKSALSZEIT
Aus den „Gedanken eines Nichtastrologen zur Astrologie"
1.
er Kampf des Gelehrten gegen die Astrologie hat etwas vom Angriff
gegen die Windmühlen. Er hält die Astrologie für eines der Gebäude,
in deren Bauplan er bewandert ist. Er mißt es an den Maßen der Logik
und ihres Erkenntnis-Stiles und hält es für schlecht konstruiert. Er
übersieht dabei den Unterschied, der zwischen Begriff und Anschauung,
zwischen abstraktem und konkretem Wissen, und insbesondere den, der
zwischen Wissen und Weisheit besteht. Darum richten seine Angriffe
auch wenig aus. Er sieht mit Ingrimm das von ihm für unsinnig Gehaltene sich ausbreiten.
Wenn wir unvoreingenommen das Gebäude der Astrologie betreten,
wird uns bald spürbar, daß dort in der Tat ein Wissen obwaltet. Wir fühlen, daß sich unsere Augen schärfen und astrologische Typen wahrnehmen, oder wenigstens Typen, die den astrologischen ähnlich sind. Freilich sind diese Typen nicht meßbar wie Figuren der Geometrie. Und
darin liegt ihre Qualität. Sie haben keinen Ziffernwert.
Wir wollen über die Realität der astrologischen Typen kein Urteil abgeben. Ohne Zweifel gibt es ein So-Sein des Menschen, das tief unter
seinen Eigenschaften ruht und das sich in den Zügen des Körpers, des
Geistes und des Charakters einheitlich offenbart. Lehren, die uns die
Kenntnis dieses So-Seins vermitteln würden, wären von großem Wert
für uns. Sie würden uns nicht nur in unserer Bahn durch Raum und Zeit
sichern und fördern, sondern auch hinsichtlich unserer Ergänzungen.
Der Blick, der den Menschen in seiner schicksalhaften Tiefe erfaßt,
dringt bis zum Grunde, auch bis zum Grunde der Feindschaft und Harmonie. Er sucht den Menschen zu ergreifen mit seinen Tugenden und
Fehlern, die wie Licht und Schatten ineinander einspielen. Vorzüge und
Fehler besagen an sich nichts für oder gegen die Harmonie. Sie können
sich ergänzen wie Schloß und Schlüssel, und daß Vorzüge sich summieren, ist ein Vorurteil. Der Fehler des einen kann uns fördern, die Tugend
des anderen schädlich sein.
D