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Surprise_362_RZ_-) 29.10.15 13:40 Seite 8
Porträt
Ein Salon im Sichtbeton
Der Zürcher Tenor Christoph Homberger hat vor einem Jahr seine Karriere an den Nagel gehängt. Diesen
Herbst hat er einen Salon eröffnet, in welchem er für ein kleines Publikum kocht und singt – in einer Genossenschaftssiedlung am Stadtrand von Zürich.
VON FLORIAN BLUMER (TEXT) UND SOPHIE STIEGER (BILD)
oder Frankfurt: Hast du Geld, kannst du dort ein schönes Leben haben.
Hast du keines, bist du der Arsch.»
Christoph Homberger, der strikt anthroposophisch erzogen wurde,
kennt das schöne Leben. Er wurde früh für die Opernbühne entdeckt,
spielte mit Herbert Wernicke und Christoph Marthaler am Theater Basel, realisierte viele eigene, innovative Projekte. In seinen Worten: «Ich
war und bin auf der Sonnenseite des Lebens. Ich konnte immer machen,
was ich wollte, und habe dabei immer gutes Geld verdient.»
Doch das soziale Gefälle beschäftigte ihn: «Ich sitze auf dem Stuhl in
einem dieser grossen Theater, lasse mich schminken und erfahre beim
Plaudern mit der Maskenbildnerin, was sie im Monat verdient: 1500 Euro netto. Dann gehe ich auf die Bühne und weiss, ich werde an diesem
Abend das Siebenfache davon bekommen. Das zu rechtfertigen, wurde
zu einem unüberwindbaren Problem für mich.»
Im September letztes Jahr hängte er mit knapp 52 Jahren die Sängerkarriere an den Nagel. Nach 33 Jahren war es Zeit für etwas Neues.
«Nun arbeite ich 17 Stunden pro Tag: einkaufen, kochen, servieren, abwaschen. Und am Ende des Monats ist der Umsatz so hoch wie früher
der Verdienst an anderthalb Abenden. Das Geile ist: Ich habe bis jetzt
noch keine Sekunde gedacht: Das schiisst mich a.» Im Gegenteil: Er geniesse den Kontakt zur Realität, den er hier gefunden hat.
Die Entscheidung aufzuhören sei ohne doppelten Boden erfolgt, er
habe kein Erspartes. Sein Geld habe er immer ausgegeben, es hätten im-
«Guten Morgen!» Christoph Hombergers stimmgewaltige Begrüssung
ist geeignet, die letzten Reste morgendlicher Schläfrigkeit zu vertreiben.
Es ist neun Uhr früh an einem Freitag und damit der letzte ruhige Moment im Arbeitstag des Gastgebers von Hombis Salon. Bald schon muss
er Kartoffeln schälen und Pilze rüsten, Feierabend wird um zwei Uhr
nachts sein. Homberger hat eben das Handy – für einen Moment – weggelegt. In den letzten Tagen ist einige Aufregung entstanden um seinen
Flüchtlingschor, nach einem Artikel im Tages-Anzeiger beschimpfen ihn
die einen als «Drecksau», die anderen spenden ihm Tausende von Franken. Hombergers Engagement polarisiert – es spiegelt sich darin die
ganze vom Wahlkampf aufgeheizte Flüchtlingsdebatte. Doch jetzt geht
es erst einmal nicht um die Politik, sondern ums Essen. Genauer gesagt:
Um Antipasti misti mit hauchdünn geschnittenem Parmaschinken,
grillierten Zucchini und Insalata Caprese; Lachstartar mit Wasabischäumchen und karamellisierten Apfelschnitzen; Wiener Backhendl
mit lauwarmem Kartoffelsalat und Rapunzel (Nüsslisalat). Dies erwartet Hombergers Gäste – heute sei «full house», sagt der Gastgeber nicht
ohne Stolz – ab sechs Uhr.
Nachdem er sie bewirtet hat, etwa um neun, wird Christoph Homberger, bis vor einem Jahr noch als Tenor auf den grossen Bühnen der
Welt unterwegs, vor seine 15 Gäste treten und Schubert-Lieder zum Besten geben. 100 Franken haben sie für den
Abend bezahlt, alles inklusive. Vorbild für
«Das Lohngefälle zwischen mir und der Maskenbildnerin zu rechtHombis Salon sind die Salons des 19. Jahrfertigen,
wurde zu einem unüberwindbaren Problem für mich.»
hunderts, in welchen die Geselligkeit und das
körperliche Wohl einen ebenso hohen Stellenwert hatten wie die Musik. Homberger hat eine Mission: Er möchte vermer «viele daran partizipiert». Er will das nicht als «Gutmenschentum»
mitteln, dass auch hochstehende Musik Spass machen kann, wenn das
verstanden wissen – wer über viel Geld verfügt, trage einfach eine Verantwortung, was er damit mache. Homberger verschweigt nicht, dass
Publikum nicht «wie Hühner auf der Stange» sitzt.
der Entschluss, die Karriere abzubrechen, mit Ängsten verbunden war.
Klingt nach einem Altstadtsaal mit knarzendem Parkettboden und
getäferten Wänden? Weit gefehlt. Hombergers antiquarische Möbel und
«Geld bedeutet immer auch Macht. Wer etwas anderes behauptet, hat
der Konzertflügel stehen im Erdgeschoss eines Neubaus mit Sichtbetonschlicht unrecht.»
wänden und langer Fensterfront in Schwamendingen. Hombis Salon ist
Homberger sagt, ihn störe alles Elitäre. Nun beglückt er in Oerlikon
Teil der aus 13 Häusern bestehenden Neubau-Genossenschaftssiedlung
Gäste mit Haute Cuisine und Auftritten von Musikern von Weltruf – kein
auf dem Hunzikerareal – mitten in Zürichs nördlicher Agglo, auf der
Widerspruch? Der Gastgeber setzt alles dran, ihn aufzulösen. Seine Tür
Schattenseite des Zürichbergs, dort, wo für Stadtzürcher die Terra insteht immer offen für Quartierbewohner und andere, die auf einen Kafkognita beginnt. Homberger verdreht die Augen: Was es braucht, die
fee vorbeischauen wollen. Abends ist man auch nach dem Essen auf ein
Zürcher hierher zu bewegen! Ja, es gibt einen Bus, der eine Minute von
Glas Wein oder Bier willkommen, im Quartier leitet er einen Kinderchor.
hier hält, erkläre er immer und immer wieder, ja, gerade mal 14 MinuUnd auf seiner Bühne soll nicht nur «klassische Hochkultur» stattfinden,
ten sind es vom HB hierher. Die Gästezahlen sind sechs Wochen nach
sondern auch Platz sein für verschiedenste Arten von Musik, von Pop
Eröffnung noch stark schwankend: Mal ist ausverkauft, mal kommen
bis Singer-Songwriter – im Quartier hat es diverse Musiker, auch sie solnur eine Handvoll.
len in Hombis Salon auftreten. Tatsächlich finden, wie Homberger sagt,
Dass Hombis Salon in Schwamendingen steht, hat einen einfachen
neben dem Zürcher Opernpublikum auch regelmässig QuartierbewohGrund: In der Innenstadt fand Homberger schlicht kein bezahlbares Lonerinnen und –bewohner in seinen Salon. Trotz viel versprechendem
kal. Vor rund einem Jahr kam die Genossenschaft auf ihn zu, und schon
Start dürften es nach seinem Geschmack von beiden noch etwas mehr
bei der Besichtigung der Baustelle wusste er: Das ist es. Und der gebürwerden. Dafür wird er wohl noch ein bisschen Geduld aufbringen müstige Zürcher ist noch heute begeistert: «Ich finde den Groove hier sehr
sen: In den Köpfen scheinen die zu überwindenden Distanzen deutlich
speziell, total unzürcherisch.» Sprich: Man definiere sich nicht über
grösser zu sein als in der Realität.
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Geld. «Das ist mein grosses Problem mit Städten wie Zürich, München
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