Lobbying Die unheimliche Macht der Bauern Die Bauern haben es geschafft, ihre Industrie abzuschotten und jährlich Milliarden von Franken an Subventionen zu erhalten. Ihren Erfolg verdanken sie einem verklärten Bild der Landwirtschaft, einer hervorragenden Organisation und harten Einschüchterungsmethoden. NZZ am Sonntag von Gordana Mijuk und Michael Furger 30.6.2015, 09:00 Uhr Im Bundeshaus kämpfen die Bauern mit harten Bandagen. An der «Sichlete» im Herbst präsentieren sie sich dagegen einmal im Jahr von ihrer festlichen Seite. (Bild: Peter Schneider / Keystone ) Die Kampagne war ein Treffer. Das TV-Sternchen Michelle Hunziker, Fussballtrainer Köbi Kuhn, Topmodel Nadine Strittmatter, alle posierten sie im Edelweiss-Hemd, dem traditionellen Kleidungsstück der Landwirte. Ihre Botschaft: Auch ich bin ein Bauer, auch ich bin eine Bäuerin. Die Prominenten solidarisierten sich nicht mit irgendeiner Randgruppe, sie bezeugten damit ihre Verbundenheit zur Schweiz. Denn die Bauern sind die Schweiz, die ursprüngliche, gute Schweiz – zumindest in der Werbung des Schweizer Bauernverbandes. Werbekampagne des Schweizer Bauernverbands mit TV-Sternchen Michelle Hunziker. Es war der Beginn einer äusserst erfolgreichen Imagekampagne. Spricht man heute – fast zehn Jahre später – von Bauern, denken Städter an Landwirte mit Händen, so gross wie Schaufeln, die ständig etwas anpacken, und mit Gesichtern, die zerfurcht sind von Wetter und Sorgen. Sie sehen Bauern mit Heugabeln und Gummistiefeln, die sich tagtäglich an Steilhängen abrackern. Sie denken an Bauern, die bescheiden sind, bodenständig, wortkarg. Und bio produzieren. Kaum jemand denkt beim Wort Bauer an vollautomatische Melkmaschinen, Treibhäuser mit Dieselheizungen, überdimensionierte Traktoren und Pestizide. Es sind romantisch verklärte Bilder von Bauern und von Landwirtschaft, die in der Bevölkerung Sympathie und Verständnis wecken. Bauern, das sind wir doch alle ein wenig. Dieser Rückhalt bereitet den Boden für die enorme politische Macht der Bauern. Bauernvertreter gehören zu den wichtigsten Parlamentariern, keine andere Berufsgruppe ist so gut organisiert, kaum eine andere Lobby in Bundesbern so mächtig. Ihr letzter Streich gelang ihnen vergangene Woche. Die Bauern haben es geschafft, als Einzige vom Sparpaket des Bundes verschont zu werden. Dabei wäre es bloss um 56 Millionen Franken gegangen, ein Klacks angesichts der 2,8 Milliarden Franken, die jährlich direkt an die Bauern verteilt werden. Die Schweiz, ein Bauernstaat Die Strategie ist bestechend. Die Bauernlobby tut so, als kämpfe sie für den einfachen Landwirt auf seinem einfachen Traktor. Als kämpfe sie für eine Spezies und eine Kultur, die vom dem Aussterben bewahrt werden müssen. Tatsächlich, es gibt nur noch 55 000 Bauernbetriebe in der Schweiz. Weniger als 4 Prozent der Beschäftigten arbeiten mittlerweile in der Landwirtschaft. Ihre Wertschöpfung ist kläglich. Der Anteil am Bruttoinlandprodukt beträgt weniger als 1 Prozent. Doch von einem dramatischen Bauernsterben zu reden, ist übertrieben. Im Vergleich zum Ausland sinkt die Zahl der Betriebe moderat. Die landwirtschaftliche Produktion steigt sogar dank der Modernisierung. Aber der bedrohte Bauer, der in der Tat hart arbeitet für ein bescheidenes Auskommen, ist nur die Figur im Schaufenster der Landwirtschaftslobby. Hinter ihm verbirgt sich eine gewaltige Agrarindustrie mit eigenen Interessen: Hersteller von Landmaschinen, Importeure von Saatgut, Dünger, Futter und Pflanzenschutzmitteln, verarbeitende Betriebe oder das Baugewerbe, das Silos und Ställe erstellt. Sie alle profitieren vom System einer abgeschotteten, subventionierten Landwirtschaft und haben alles Interesse, dass sich daran nichts ändert. Die Landmaschinenhersteller wollen ihre überdimensionierten Traktoren weiterhin zu einem hohen Preis verkaufen und freuen sich, wenn Bauern dafür einen günstigen Investitionskredit von der öffentlichen Hand erhalten. Zur Agrarlobby in Bern gehören daher nicht nur Landwirte, sondern auch Präsidenten von Gemüse- oder Milchverbänden oder Verwaltungsräte von Grossverteilern, Milchverarbeitern oder Zuckerfabriken. Über 40 Parlamentarier zählen dazu. «Man könnte meinen, die Schweiz sei ein Bauernstaat», sagt die grünliberale Nationalrätin Kathrin Bertschy. Jeder sechste Parlamentarier beziehe entweder Direktzahlungen, die er als Parlamentsmitglied quasi selber festgelegt hat, oder er habe ein Mandat der Agrarindustrie. Wählen Agrarverbände einen Präsidenten, ist es oft entscheidend, dass der Kandidat ein Bundesparlamentarier ist. Ob er Bauer ist, ist weniger wichtig. Der GemüsebauernVerband etwa wird von Ständerat Hannes Germann präsidiert. Er ist ehemaliger Lehrer und Betriebsökonom, ein Finanzfachmann. Seit sechs Jahren wacht er nun auch über die Tomaten- und Blumenkohlproduktion. Der Apparat läuft gut. Die Mitglieder stammen aus verschiedenen Parteien, aus SVP, CVP und BDP, vereinzelt auch aus der FDP. Immer am ersten Montag der Session treffen sich die bäuerlichen Parlamentarier und bestimmen die Parolen in agrarpolitischen Geschäften. Ihre Ziele sind seit Jahrzehnten dieselben: Abschottung und Protektionismus. Die Bauernvertreter schlagen eine Verteidigungsschlacht. Und sie sind erfolgreich. Sie schaffen es, Reformen zu verzögern, eine Öffnung des Marktes zu verhindern, Subventionen und Schutzklauseln zu zementieren. Die Bruttowertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft sank von über 7,5 Milliarden Franken im Jahr 1990 auf rund 4 Milliarden im Jahr 2013. Die Bruttowertschöpfung ist der Wert aller Waren und Dienstleistungen abzüglich der Kosten für die Produktion. Zermürbungstaktik Im Nationalrat gelang der Agrarlobby sogar der Coup, Lebensmittel vom Cassis-de-DijonPrinzip auszuklammern. Dieses Prinzip besagt, dass Produkte, die nach EU-Vorschriften hergestellt wurden, automatisch auch in der Schweiz zugelassen sind. Das vereinfacht die Einfuhr. Der Vorschlag, bei Lebensmitteln nun eine Ausnahme zu machen, kam von Jacques Bourgeois. Er ist Direktor des Schweizer Bauernverbandes und in der FDP, einer Partei, die sonst nicht bekannt dafür ist, Handelshemmnisse wieder einzuführen. Bourgeois argumentierte, die Qualität der eingeführten Lebensmittel aus der EU sei nicht gewährleistet. Eine an den Haaren herbeigezogene Argumentation, da es um Details geht wie den Fruchtanteil in Sorbets, der in der Schweiz 20 Prozent und nicht wie in der EU 25 Prozent beträgt. Der Ständerat entschied allerdings zuungunsten der Bauern. Im Alkoholgesetz heckte die Agrarlobby über mehrere Jahre absurde Steuerkonstrukte aus, um die Schnapsbrenner und ihre Obstlieferanten zu begünstigen. Am Markt sind Obstbrände nicht mehr gefragt, doch das Volk soll sie subventionieren. «Die Bauern betrachten die Bundeskasse als Selbstbedienungsladen», sagt der Zürcher FDP-Nationalrat Ruedi Noser. Er ist Präsident der nationalrätlichen Wirtschaftskommission, die agrarpolitische Themen behandelt. «Die Agrarlobby übertreibt es», sagt er. Die Bauern wehrten sich seit Jahren gegen minimste Kürzungen, während die Exportindustrie durch die Aufhebung des Euro-Mindestkurses von einem Tag auf den anderen mit 15 Prozent höheren Kosten arbeiten müsse. «Das wird die Bevölkerung nicht lange goutieren», glaubt Noser. Doch weshalb goutiert es das Parlament? Wie gelingt es den Bauern, stets Sonderkonditionen auszuhandeln? Die Zahl der Agrar-Parlamentarier ist zwar hoch, doch Mehrheiten bringen sie allein nicht zustande. Die Agrarlobby bedient sich dafür verschiedenster geschickter, aber auch harter – Methoden. Stehen in der parlamentarischen Wirtschaftskommission agrarpolitische Geschäfte an, werden die Finanzvertreter der SVP kurzerhand durch Agrar-Lobbyisten ersetzt; das bestätigen mittlerweile auch Bauernvertreter. «Oft steht man in der Kommission vor einer Übermacht von Bauernvertretern», sagt die Grünliberale Kathrin Bertschy. Diese würden vielfach eine Zermürbungsstrategie fahren: «Ein Thema wird so lange diskutiert und mit immer neuen Vorschlägen verkompliziert und verzögert, bis die Kommissionsmitglieder ermattet sind», sagt Bertschy. Agrarpolitiker bedienen sich auch weniger vornehmer Methoden. «Als ich gegen die Ausnahmeregelung im ‹Cassis de Dijon› stimmte, kamen Bauern auf mich zu und sagten: ‹Wir unterstützen dich nicht in deinem nächsten Wahlkampf›», erzählt Noser. Ihn belasteten solche Druckversuche, doch auf die Forderungen eingehen wolle er nicht. Einschüchtern lässt sich auch die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz nicht. «Im Ständerat wird das Abstimmungsverhalten von der Agrarlobby genau kontrolliert, vor allem vor Wahlen. Wer nicht im Sinne der Bauern stimmt, den ruft man an, auch einmal spätabends, und man redet ihm ins Gewissen», sagt sie. «In der Schweiz gibt es 25 Kantone mit Landwirtschaft. Und die Bauern sind in diesen Kantonen unheimlich stark.» Der Milliardenkonzern dahinter Das System von Druck und Drohung kommt auch bei Nichtparlamentariern zur Anwendung, etwa bei Journalisten oder Bauern, die es wagen, sich kritisch zum Kurs des Bauernverbands zu äussern. Ein falsches Wort, und der mächtige Verband protestiert, zuweilen mit einer befremdenden Penetranz, per E-Mail, Telefon oder durch persönliche Besuche. Doch der Verband kann nicht nur drohen, er ist auch eine hochprofessionelle Organisation. Dem Präsidenten Markus Ritter gestehen selbst Kritiker grosses Engagement, Kompetenz und taktisches Geschick zu. Unter ihm brachte es der Verband zustande, in nur drei Monaten 150 000 Unterschriften für die Volksinitiative für Ernährungssicherheit zu sammeln. Man muss sich das vor Augen führen: In der Schweiz herrscht ein Versorgungsüberfluss. Leere Ladenregale gibt es bei uns nicht. Und die Bauern schaffen es, mit dem Gespenst der Versorgungsknappheit in Rekordzeit 150 000 Menschen zu überzeugen. «Mit der Ernährungssicherheit greift der Bauernverband einen alten agrarpolitischen Mythos auf», erklärt Hans Rentsch, Ökonom und früherer Projektleiter der Denkfabrik Avenir Suisse. Die Agrarlobby argumentiere, dass offene Grenzen und freier Agrarhandel die Selbstversorgung der Schweiz gefährden. Dabei sei es gerade die hohe aussenwirtschaftliche Verflechtung, welche unsere Versorgungssicherheit garantiere. Die schweizerische Landwirtschaft ist seit eh und je völlig abhängig von Importen wie Futtermitteln, Dünger, Saatgut oder Treibstoffen, aber auch von ausländischen Arbeitskräften. Die andere hocheffiziente Organisation hinter den Bauern ist ihr wirtschaftlicher Arm: Fenaco – ein riesiger, stetig wachsender Konzern mit über 6 Milliarden Franken Umsatz. Fenaco ist eine der 40 grössten Schweizer Firmen – und als Genossenschaft im Besitz der Bauern. Entstanden ist sie aus dem Zusammenschluss von lokalen bäuerlichen Einkaufsund Verkaufsgenossenschaften. Dank unzähligen Firmenaufkäufen ist sie heute der mächtigste Akteur in der Landwirtschaft. Sie ist praktisch in jedem Glied der bäuerlichen Wertschöpfungskette dabei. Sie liefert den Bauern Saatgut und handelt mit Nutztieren. Verkauft Dünger und Pflanzenschutzmittel, Landmaschinen und Treibstoff, Tierfutter und Tierarzneimittel. Sie besitzt ein Analyse-Labor, eine Transportfirma und ein ITUnternehmen. Fenaco kauft den Bauern aber auch ihre Erzeugnisse ab, lagert sie in eigenen Lagerhallen, sortiert, wäscht und verpackt sie oder verarbeitet sie weiter zu fertigen Produkten, bevor sie sie an Abnehmer wie Migros oder Coop weiterverkauft. Die Pommes frites von McDonald’s kommen alle von Fenaco, die Kartoffeln für Zweifel-Chips ebenfalls. Die Getränkefirma Ramseier gehört Fenaco, ebenso ein Weinkeller und verschiedene Weinhändler. Am Ende verkauft der Konzern die einheimisch produzierten Waren auch in ihren eigenen Läden: Volg, Landi, Top Shop. 43 000 Personen sind über ihre regionalen Landi-Organisationen Besitzer der Fenaco. Es sind Bauern und Personen aus dem landwirtschaftlich-ländlichen Milieu. Sie profitieren ganz direkt vom guten Geschäftsgang. Die Anteilscheine werden zu einem Rekordzins von 6 Prozent verzinst. Im Fenaco-Verwaltungsrat sitzen Bauernvertreter – und auch zwei Nationalräte aus der Agrarlobby. Das Machtnetz der Bauern ist dicht gewebt. Wie der Staat den Bauern unter die Arme greift Die Schweizer Bauern erhalten derzeit Direktzahlungen in der Höhe von 2,8 Milliarden Franken im Jahr. Bis 2013 wurden die Beträge vor allem auf der Basis der bewirtschafteten Fläche und der Anzahl Tiere vergeben. Doch mit der neuen Agrarpolitik ab 2014 werden keine Tierbeiträge mehr ausbezahlt, und die Bauern werden vermehrt für Aufgaben entschädigt, die vom Markt nicht abgegolten werden. Stärker gefördert werden etwa die Leistungen von Berg- und Sömmerungsbetrieben, was zulasten der Talbetriebe geht. Zudem erhalten Betriebe, die weniger Kraftfutter einsetzen, Tierwohl und Landschaftsqualität fördern, grundsätzlich höhere Direktzahlungen. Ähnlich sieht es mit Betrieben aus, die die Biodiversität erhalten und Ressourcen schonend und effizient einsetzen. 2014 wurden einem Talbetrieb im Durchschnitt 51 400 Franken Direktzahlungen überwiesen (1400 Fr. weniger als 2013). Ein Bergbetrieb erhielt 59 900 (2600 Fr. mehr als 2013). Der Schutz der Bauern geht jedoch über die Ausrichtung von Direktzahlungen hinaus. Das Regime der Schutzzölle kostet die Schweizer Konsumenten rund 3,5 Milliarden Franken. Die Schweizer Produkte werden durch sehr hohe Zölle von günstigeren Produkten aus dem Ausland geschützt. Für jedes Produkt kann nur eine beschränkte Menge zu einem günstigen Zolltarif importiert werden, gerade so viel, dass die Nachfrage gedeckt, das inländische Produkt aber nicht konkurrenziert wird. Das Bundesamt für Landwirtschaft versteigert hierfür Import-Kontingente. So können etwa 100 Tonnen Butter günstig eingeführt werden. Ein Importeur mit Kontingent zahlt für 100 Kilogramm Butter 20 Franken Zoll. Wer kein Kontingent hat und trotzdem importieren will, wird mit 1642 Franken pro 100 Kilogramm abgeschreckt.Bei Obst und Gemüse werden während der Erntesaison keine Kontingente vergeben; die Produkte aus dem Ausland werden vielmehr mit einem höheren Zollsatz belegt. Nur bei Versorgungslücken gibt der Bund Kontingente zu einem günstigeren Zollsatz frei. 100 Kilogramm Fleischtomaten etwa müssen ausserhalb der Saison für 5 Franken verzollt werden. Derzeit ist Saison, und der Zollansatz beläuft sich auf 150 Franken pro 100 Kilogramm. Noch massiver ist der Zollschutz für Erdbeeren. Sie müssten jetzt eigentlich zu 450 statt zu 3 Franken pro 100 Kilogramm importiert werden. Doch das Angebot aus der Schweiz reicht derzeit nicht aus. Daher hat der Bund für die letzten zwei Wochen 330 Tonnen Erdbeeren aus dem Ausland für 3 Franken Zoll pro 100 Kilogramm bewilligt. (ami./fur.)
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