7. SEPTEMBER 2008, NR. 36 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG SEITE V 1 Reise 쏆 쏆 PHÄNOMENOLOGIE Die Ferienwohnung N Die Möglichkeiten einer Insel: Lombok bereitet sich im Eilschritt auf mehr Touristen vor. Überall werden Straßen gebaut, und in zwei Jahren wird ein größerer Flughafen eröffnet. Foto Jochen Tack / Freelens Die Schöne von nebenan Lombok ist das bessere Bali: Die indonesische Insel hat noch alles, was ihre große Nachbarin längst vermissen lässt gen Muslime auf Christen los, Kirchen wurden zerstört und Läden reicher Chinesen geplündert. Die Gründe für die Eskalation sind in der Zeit zu suchen, als Suharto das Land beherrschte. In den 35 Jahren seines Regiments wurden die religiösen und sozialen Gegensätze der multiethnischen Nation tabuisiert, die Armee sorgte dafür, dass Konflikte nicht an die Oberfläche gelangten. Als „der lächelnde Ge- Lombok ist eine Insel im Noch-Zustand: noch nicht überlaufen, die Natur noch unberührt, die Menschen noch hilfsbereit. suchen jedes Jahr Bali, „aber nur etwa 200 000 Lombok. Und davon sind die allermeisten gestresste indonesische Geschäftsleute von der Hauptinsel Java“, sagt Coffey und bestellt bei seinen Angestellten, die alle bei balinesischen Spitzenhoteliers das Schweben gelernt haben, wie selbstverständlich Cappuccino (was auf Lombok natürlich alles andere als selbstverständlich ist, noch zumindest). Dass Lombok keinen ähnlich paradiesischen Ruf wie Bali hat – wenn es denn überhaupt einen hat –, mag Rinjani-Besteiger verwundern, unerklärlich ist es nicht. Denn erst war es lange still um die Insel, und dann galt sie plötzlich als Krisenherd. Im Jahr 2000 gin- GANZ WEIT WEG neral“, wie der Diktator genannt wurde, im Zuge der Asienkrise 1998 schließlich abtrat, hinterließ er ein zerrissenes Land. Mittlerweile leben Lomboks 2,4 Millionen Bewohner augenscheinlich in Eintracht, und mittendrin Scott Coffey. Der war nach der Krise einer der ausländischen Berater, die der indonesischen Wirtschaft wieder zu mehr Stabilität verhelfen sollten. Danach stieg er aus dem Finanzmarkt aus und in die Tourismusbranche ein. Sein Spekulantenwissen nahm er mit: Nicht in das überlaufene Bali wollte er investieren, sondern in das zukunftsträchtige Lombok. Einen „Splash“ auf frischem Terrain landen, wie er sagt. Heute liegt über diesem Terrain Teergeruch: Straßen werden gebaut, wo früher nur Wege waren. Familien sitzen daneben und schauen zu, wie für die Touristen schwarze Teppiche ausgerollt werden. Sahid schert sich mehr um seinen eigenen Teer. Um die zwei Schachteln raucht er am Tag, wie alle Einheimischen hier auf dem Rinjani. Eine Regel lautet: Jene Touristen, die sich selbst ein Team aus Bergführer und Sherpas zusammenstellen wollen, müssen zur Vermeidung von Unmut innerhalb der angeheuerten Belegschaft reichlich Nelkenzigaretten mitnehmen. Wer sich um solche Pflichten nicht kümmern möchte, der geht zu Hardy Krüger. Sahids Chef, der nach eigener Aussage in Unterhaching geboren, aber in Indonesien aufgewachsen ist, hat sich diesen Künstlernamen seinen deutschen Kunden zuliebe gegeben. Aus europäischer Sicht ist es Hardy Krügers Geschäft, unterbezahlte, oft minderjährige Angestellte mit ungeheuer schwerem Gepäck auf unbefestigten Wegen den Berg hochzuhetzen, wo sie Verantwortung tragen für das Wohl und die Laune einer nicht selten überforderten und ungenügend ausgerüsteten Wandergruppe. Aus Sicht der Einheimischen ist Hardy Krüger freilich ein Held. Sechs Euro verdienen die Sherpas am Tag, sieben die Bergführer. Sahid war lange Träger, erst seit kurzem leitet er die Reisegruppen. „Mit acht Jahren bin ich zum ersten Mal den Berg hoch“, sagt er. Damals bekam er einen Rucksack umgeschnallt, später wurde ihm eine Bambusstange, an deren Enden jeweils ein Korb befestigt war, auf die Schulter gehoben. Viele Sherpas werden noch am Tag ihrer Rückkehr wieder auf den Berg geschickt, manche halten das nicht lange aus. In Senaru, dem kleinen Dorf, von dem die Touren starten, sieht man bereits Kinder humpeln. Ob er nun schleppen muss oder führen darf: Sahid beschwert sich nicht. „Mein Vater hatte kein Reisfeld“, sagt er und meint damit, dass er seine Frau und sein kleines Der Ligurische Höhenwanderweg Seite V 3 Kind mit dem Geld des Unterhachingers ernähren muss. Die meiste Mühe beim Aufstieg macht Sahid, sein Tempo auf das der Touristen zu drosseln, während seine sehnigen Sherpa-Freunde mit 25 Kilo Gepäck und unverschämter Leichtigkeit in Flipflops davonziehen, um am Lagerplatz die Zelte aufzubauen, zu kochen, die hungrigen Affen zu vertreiben und sich ein paar Zigaretten anzuzünden. Scott Coffey raucht auch, allerdings Zigarre. Es ist Abend geworden in Mangsit, nur noch das Meeresrauschen, die EntspannungsCD und der Muezzin sind zu hören. Zwei Jahre gibt Coffey dem jetzigen Lombok noch. Dann wird der neue Flughafen fertiggestellt sein, der dreimal so viele Passagiere aufnehmen können wird wie der jetzige. Hinter dem massiven Ausbau der Infrastruktur steckt das arabische Immobilienkonsortium Emaar. Anfang dieses Jahres hat Emaar bekanntgegeben, für über 400 Millionen Euro Hotels im Süden der Insel zu bauen. Das Glück der neuen Lombok-Liebhaber könnte das Leid der alten bedeuten (man frage nur Backpacker, die Bali vor und nach der Touristenschwemme erlebt haben): Bald werden die Wellen am Desert Point, dem vielleicht besten Surfspot der Welt, schwer an den vielen neuen Surfern zu tragen haben, werden die Taucher mehr ihresgleichen denn Haie sehen, werden die Taxifahrer, statt mit ihren Fingern den Fahrpreis von 10 000 Rupien (74 Cent) anzuzeigen, auf Englisch einen viel höheren Tarif nennen, werden auf der kleinen Nachbarinsel Gili Air Autos fahren, wo es bislang nur Pferdekutschentaxis gibt. Vieles wird sich ändern auf Lombok, doch zwei Dinge werden bleiben: Solange keine Seilbahn gebaut wird, darf Hardy Krüger Sahid und seine Kollegen den Rinjani hochschicken. Und die werden dabei rauchen, vom Tal bis zum Gipfel. MARTIN WITTMANN Der Weg nach Lombok Anreise aus Deutschland Flüge von Deutschland nach Mataram auf Lombok bieten nur Singapore Airlines und deren Tochterunternehmen Silk Air (www.singaporeair.com). THAILAND THAILAND PHILIPPINEN Pazifik BRUNEI BRUNEI MALAYSIA MALAYSIA SINGAPUR IND ONESIEN Jakarta Jakarta Java OSTTIMOR OSTTIMOR KLEINE SUND A Ja Java Balisee -INS ELN Gili-Inseln Mt. Rinjani Bali 3726 m Senggigi Denpasar Denpasar F.A.Z.F.A.Z.-Karte .A.Z.-Kart artee lev. le Coffey: Bali sei in den letzten zwanzig Jahren zu einer Art Disneyland verkommen. Zu viele Touristen, zu viele Bauten, zu viel Hype. Lombok hingegen sei, obwohl angenehm erschlossen, noch nicht überlaufen, die Natur noch unberührt, die Menschen seien hilfsbereit und gesellig, ohne Geld dafür zu erwarten, kurz: die ganze Insel ist ein vergänglich-schöner Noch-Zustand. Vier Millionen Touristen be- Foto mwit Die schmale Silhouette eines Knaben, das sonnengegerbte Gesicht eines Mittvierzigers, sein wahres Alter liegt genau dazwischen: Sahid, vor 28 Jahren auf Lombok geboren, steht neben einer Gruppe schwitzender Touristen am kahlen Hang des Mount Rinjani. Unten ziehen Wolken vorbei und vernebeln das Tal, als gönnten sie den Wanderern den Blick zurück auf das Geleistete nicht. Scharfer Wind verbläst den süß-beißenden Nelkenduft von Sahids Zigarette, und die kurze Hose des Bergführers umflattert die lange, die er seltsamerweise darunter angezogen hat. Es gibt wirtlichere Orte auf und um Lombok; ausgerechnet vom zugigen Rinjani-Gipfel aus kann man sie alle sehen, wenn sich die Wolkendecke lichtet: hier die grünen Reisfelder, dort die weißen Strände, unten der blaue Vulkansee, daneben die heißen Quellen, drüben die dunklen Tropenwälder, weiter hinten die pittoresken Gili-Inseln. In der Ferne, im Westen, sehen die Bergsteiger schließlich die große Nachbarinsel Bali. Und dann fragen sie sich, wieso sie dort drüben so vielen und hier auf der schöneren Insel so wenigen Touristen begegnet sind. „Weil Bali noch die bessere Marke ist“, antwortet Scott Coffey exakt 3726 Meter weiter unten, auf Meereshöhe. Der ehemalige Finanzberater, der seit fünfzehn Jahren in Indonesien, davon die vergangenen fünf auf Lombok lebt, sitzt im Freiluftrestaurant im schicken Bungalowdorf „Qunci Pool Villas“, das er sich in Mangsit, an der Westküste der Insel hat bauen lassen. Der 48 Jahre alte Coffey mit seinem Alles-im-Griff-Lächeln ist viel zu jugendlich und zu unbeschwert, um nicht Kalifornier zu sein. „Lombok ist das neue Bali“, sagt er. Ausgerechnet die ARD hat das schon fünf Jahre zuvor erkannt. Der Sender drehte damals die Serie „Das Traumhotel“. Eine Folge hieß „Zauber auf Bali“ – gefilmt wurde aber auf Lombok. Die Gründe für den Sieg beim nationalen Schönheitswettbewerb kennt Matar Mat Mataram aram am Lombok Indischer Sumbawa Ozean Nusa usa Dua 100 00 km Anreise aus Bali Alle in Indonesien registrierten Fluggesellschaften stehen auf der schwarzen Liste der EU. Wer sich dennoch wagt: Garuda Indonesia (www.garuda-indonesia.com) fliegt täglich von Denpasar/Bali nach Mataram, der einfache Flug kostet etwa 20 Euro. Die Fähre zwischen Padang Bai / Bali und Lembar/Lombok verkehrt mehrmals täglich. Die Überfahrt kostet etwa neun Euro und dauert vier bis sieben Stunden. Am schnellsten ist das Boot von Bounty Cruise, das mittwochs, freitags und sonntags von Benoa/Bali nach Sengiggi/Lombok in drei Stunden fährt. Die einfache Fahrt kostet 50 Euro. Alle Überfahrten bucht man vor Ort. Ausflüge All-inclusive-Touren auf den Mount Rinjani dauern zwischen drei und fünf Tagen und kosten ab 90 Euro (www.info2lombok.com). Unterkunft Die Bungalows der Hotelanlage „Qunci Pool Villas“ (www.quncivillas.com) kosten zwischen 50 und 345 Euro die Nacht. Literatur Gerade neu erschienen ist der Reiseführer „Bali. Lombok“ (Stefan Loose, 19,95 Euro) Weitere Informationen über Indonesien beim Tourist Information Centre von MK Advertising Travel unter Telefon 0 89/59 04 39 06 oder unter www.mkadvertising.de. GANZ SCHNELL FERTIG achdem die Summe überwiesen war, kam der Schlüssel per Einschreiben. Die Wohnung hatte laut Anzeige drei Zimmer, Küche, Bad, Terrasse mit Meerblick, alles voll eingerichtet, Wäschewechsel wöchentlich. Man hatte mit einer kleinen Ferienanlage mitten in der Natur geworben. Zum nächsten Ort würden es nur zehn Autominuten sein. Es würde auch einen Pool geben. Als wir ankamen, waren wir auf den ersten Blick begeistert. Fünf Häuschen in einem Pinienwald, fünfzig Meter zum Strand. Die Wohnung lag im Obergeschoss. Von der Terrasse ein traumhafter Blick. Die untere Wohnung war offenbar leer, auch alle Nebenhäuser. Nachsaison, dachten wir. Im Pool war kein Wasser. Was soll’s. Das Meer war vor der Tür. Wir merkten erst, als wir an den Strand laufen wollten, dass uns eine Steilküste vom Wasser trennte. Der Abbruch war nur drei Meter hoch, aber unüberwindbar. Weit und breit keine Treppe. Was will der Mensch im Wasser, wo er nicht hingehört? Das Meer ist sowieso zu kalt und außerdem ist es von giftigen Quallen verseucht. Wie schön ist es dagegen, mit einem Buch und einem Glas Wein versorgt auf der Terrasse zu sitzen und hin und wieder auf die blaue Wasserfläche und den fernen Horizont zu schauen. Erholung pur, kein Aktivismus. Nach drei Tagen, es war Montag, fiel der Föhn aus. Der gesamte Strom im Haus war weg. Wasser? Toilettenspülung? Fehlanzeige. Gegen zehn kamen drei Männer, die wortlos die Möbel samt Küchenzeile auf einen Pickup hoben. Die Betten ließen sie da. Die Räume fingen neubauartig zu klingen an. Die Telefonnummer aus der Anzeige war tot. Wir versorgten uns im Ort mit Kerzen, Wasserkanistern und Campingstühlen. Die Pizzeria am Hafen wurde unser Esszimmer – und unsere Toilette. Man behandelte uns sehr freundlich, als seien wir pflegebedürftig. So lernt man einen Campingstuhl schätzen und die gleichbleibende regionale Weinqualität sowie die unverrückbare Horizontlinie auf dem Meer und die Philosophie von Diogenes, der im antiken Griechenland in einer Tonne hauste und nach dem Motto lebte, je weniger man hat, desto reicher ist man. Der geplante aktive Urlaub, der sich zu einem kontemplativen gewandelt hatte, wurde zu einer Übung in Zivilisationsverzicht. Wir nahmen es als Zeichen des Himmels und großartige Erfahrung. Unsere Flexibilität wurde weiter auf die Probe gestellt, als am Mittwoch ein Gerät mit einer Abrissbirne vor unserem Haus stand. Die Leute hoben wortlos alle Türen aus den Angeln. Dann bauten sie die Fenster aus und stemmten die Sanitärobjekte aus dem Fußboden im Bad. Alles was noch brauchbar schien, wurde auf einen Lkw geladen. Auch unsere Betten. Bevor die Abrissbirne an das Mauerwerk schlug, kam ein Verwaltungsangestellter der Kommune mit einem Dolmetscher vors Haus. Man entschuldigte sich für die Störung und bat uns höflich um Abreise wegen Abrisses. Die Häuser seien illegal und zudem auf einem abbruchgefährdeten Boden erbaut worden. Manchmal, in seltenen Fällen, arbeiten Natur, Recht und Verwaltung Hand in Hand. MICHAEL WINTER Straßenimbisse in Indien Seite V 4
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