640_684_BIOsp_0615_- 18.09.15 14:59 Seite 666 666 B I OT ECH NOLOGIE · N E WS & KOM M ENTARE ÿ Gedankenlosigkeit und seine möglichen Folgen ÿ Pharma im M&A Fieber – Wertschaffung im Fokus? ÿ Biotechnologie als wichtiges Thema der europäischen Forschungsförderung ÿ Tempo zählt – aber nicht allein! Gedankenlosigkeit und seine möglichen Folgen Ein unbekannter Programmierer hat die Programmierschnittstelle (API) des Biotech-Unternehmens 23andMe, das Privatpersonen anbietet, ihre DNA zu entschlüsseln, zweckentfremdet. Er entwickelte einen Genetic Access Control Code — eine Zugangsbarriere auf Grundlage von Geschlecht und Ethnie. 23andMe legte die App still. Datenschutz – Problem? Y Es ist wie so oft im Leben: Jemand entwickelt eine Anwendung oder eine Technologie mit durchaus positiven Absichten und schon gibt es andere, die diese Technologie für ihre, möglicherweise üblen, Zwecke missbrauchen. Leider berührt dieser spezielle Fall einen Bereich, der insbesondere in Deutschland zum Teil kontrovers diskutiert wird. Datenschutz ist ein hohes Gut, mit Patientendaten sollte ganz besonders sensibel umgegangen werden. Ob in diesem Fall eine mögliche Verletzung von Datenschutzbestimmungen überhaupt vorliegt, kann nicht so ohne Weiteres beantwortet werden. Trotzdem musste es auch den Verantwortlichen von 23andMe klar sein, dass eine offene API immer ein Einfallstor in den Datentresor darstellen kann. Wieso war es also überhaupt möglich, dass ein Entwickler Zugang zu diesem sensiblen Bereich ohne vorherige Prüfung seines Anliegens erhält? Hier zeigt sich wieder einmal, wie groß die Unterschiede in der Beurteilung des Themas Datenschutz im internationalen Vergleich sind, wobei ich damit nicht zum Ausdruck bringen möchte, dass wir in Deutschland alles gut machen – ganz im Gegenteil. Wir müssen hierzulande aufpassen, dass wir Patienten nicht aus Datenschutzgründen die bestmögliche Therapie verweigern. Ein weiterer Problemkreis eröffnet sich dadurch, dass es sich bei dem geschilderten Vorgang um den Zugang zu genetischen Daten handelt; diese unterliegen ganz besonders kri- tischer Beobachtung. Wir können nur hoffen, dass hier nicht unnötig Porzellan zerschlagen wurde. In der Praxis gewinnt die auf individuelle genetische Dispositionen abgestimmte Therapie, insbesondere bei der Verordnung von Medikamenten, zunehmend an Bedeutung und diese Entwicklung darf nicht aus falsch verstandenem Datenschutz behindert werden. Enrico Just, bio.logis Genomic Healthcare GmbH Enrico Just ist Geschäftsführer der bio.logis Genomic Healthcare GmbH in Frankfurt, die sich mit der Nutzbarmachung von humangenetischen Informationen in der medizinischen Praxis beschäftigt. Er ist dort für die strategische Geschäftsentwicklung zuständig. Der studierte Betriebswirtschaftler ist seit über 25 Jahren als Geschäftsführer und Vorstand in verschiedenen Industriebereichen tätig. Pharma im M&A Fieber – Wertschaffung im Fokus? Nach der Bekanntgabe der KPMG-Analyse, basierend auf Zahlen von Thomson Reuters, lief es durch alle Medien: Die Pharmabranche ist im Übernahmefieber. Große Deals im ersten Halbjahr lassen die Statistik in die Höhe schnellen; Rekordsummen wechseln die Besitzer. Für strategische Neuausrichtungen und das Einstreichen innovativer Technologien werden hohe Transaktionskosten in Kauf genommen. Berechtigterweise? Oder wird hier zu hoch gepokert? Rekordübernahmen im ersten Halbjahr 2015 Y Wie kaum in einer anderen Branche hängt die Pharmaindustrie von der Zufuhr neuer Produkte und Technologien über Akquisitionen und Partnerschaften auch mit KMU aus dem Biotech- und Specialty-Pharma-Bereich ab. So ist die Entwicklung von Produkten für eine Vielzahl von neuen Therapieansätzen über ein breites Spektrum von Therapiegebieten aus „Bordmitteln“ alleine nicht zu bewerkstelligen. Nur am Wert gemessen ist in den vergangenen Monaten ein deutlicher Anstieg der M&A-Aktivität (Fusionen und Übernahmen) zu beobachten. Bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres ist der Gesamtwert aller Übernahmen in der Industrie über den Gesamtwert von 2014 gestiegen. Dieser Anstieg ist sicher maßgeblich durch die Übernahme einiger größerer Spieler im Markt, wie beispielsweise von Allergan durch Actavis und jetzt das zugehörige Allergan Generika Geschäft durch Teva zurückzuführen, jedoch auch durch eine Vielzahl an „kleineren“ Akquisitionen, wie Ipsen/Octreo oder auch Juno/Stage Cell flankiert. Insbesondere US-amerikanische und asiatische Unternehmen zeigen eine ausgeprägte M&AAktivität, aber auch einige deutsche Spieler, wie Bayer mit der Akquisition der Over-TheCounter-Sparte (frei verkäufliche Medikamente) von Merck&Co im vergangenen Jahr, arbeiten an der strategischen Expansion via M&A. Dennoch sollte kritisch im Auge behalten werden, dass zumindest ein Teil dieses Anstiegs durch den Anstieg der Bewertungen der Unternehmen verursacht wird. So werden am Markt inzwischen auch Kaufpreise gezahlt, die deutlich über dem Durchschnitt der Bewertungen der vergangenen Jahre liegen und die häufig eher durch günstige Finanzierung als durch eine starke strategische Logik begründet werden können. Ob derartige Transaktionen für die Unternehmen wertschaffend sind oder die Mittel besser in Investitionen in die eigene Entwicklung geflossen wären, kann nur die Zukunft zeigen. Es bleibt spannend im Markt. Dr. Dierk Beyer, Managing Partner von TransAct Advisory Services Dr. Dierk Beyer ist einer der Gründungspartner von TransAct Advisory Services, einer M&A Beratungsgesellschaft mit Fokus auf Life Sciences und Chemie. Er hat bei TransAct seit der Gründung in 2008 eine Reihe von internationalen Transaktionen für mittelständische Pharma- und Chemieunternehmen, sowie BiotechProduktlizensierungen betreut. Vor TransAct war Dierk Beyer in der chemischen Industrie und viele Jahre als aktives Mitglied in der Health Care Praxisgruppe der Boston Consulting Group tätig. BIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang 640_684_BIOsp_0615_- 18.09.15 14:59 Seite 667 667 © Springer-Verlag 2015 Biotechnologie als wichtiges Thema der europäischen Forschungsförderung Horizont 2020, das Haupt-Förderinstrument der EU für Forschung und Innovation, läuft seit dem letzten Jahr und ist bis 2020 ausgelegt. Es setzt das bisherige 7. Forschungsrahmenprogramm (FP7) fort. Nun hat die EU-Kommission die ersten 100 Ausschreibungen ausgewertet und einen allgemeinen Vergleich zu FP7 gezogen. Beispielsweise beteiligen sich mehr kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) an den Ausschreibungen; so auch einige deutsche Biotech-Unternehmen. Doch wie fällt der Vergleich der beiden Programme für die Branche aus? Chancen für deutsche Player in Horizont 2020 Y Die dynamische Entwicklung der Biotechnologie schlägt sich auch im EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizont 2020 nieder: Im Gegensatz zu den Vorläuferprogrammen erhielt das Thema im Schwerpunkt „Führende Rolle der Industrie“ einen eigenen Programmbereich. Biotechnologische Fragen werden außerdem im Schwerpunkt „Gesellschaftliche Herausforderungen“ (z.B. Health, Food und Environment) aufgegriffen. Weitere Fördermöglichkeiten gibt es in themenoffenen Ausschreibungen und verschiedenen EU-Fachprogrammen. Der Wettbewerb um die Horizont-Fördergelder ist anspruchsvoll, die Erfolgsquote liegt bei durchschnittlich 20%. Positiv ist, dass deutsche Akteure in nahezu allen 2014 geförderten biotechnologischen Projekten als Partner bzw. Koordinatoren beteiligt sind. Verglichen mit der Bedeutung der Biotechnologie in der gesamten Forschungslandschaft ist das Budget im Programmbereich Biotechnologie mit 516 Mio. Euro angemessen. Zudem sind in den oben aufgeführten Bereichen weitere Gelder abrufbar. Wünschenswert wäre jedoch eine deutliche Aufstockung des Budgets für das KMU-Instrument, das die Weiterentwicklung zur Marktreife mit bis zu 2,5 Mio. Euro fördert. Hier lag die Förderquote in den ersten Ausschreibungsrunden 2014 bei circa 6%. Ein erweiterter Einsatz des KMU-Instruments wäre gerade im Bereich der Biotechnologie ideal, da es das hohe finanzielle Risiko reduziert, das bei der Markteinführung von biotechnologischen Produkten typisch ist. Ob sich eine Antragstellung lohnt, ist eine Einzelfallentscheidung. Die in Horizont 2020 geplanten Aktivitäten sollten Teil einer mittelfristigen Forschungs- und Entwicklungsstrategie sein. Da Horizont 2020 Verbundprojekte fördert, sind Kontakte zu den besten Playern in Europa nötig. Unterstützung bieten u. a. die Nationalen Kontaktstellen und die regionalen Beratungsinstitutionen des Enterprise Europe Network. Heike Hoffzimmer, Projektassistentin bei der ZENIT GmbH Heike Hoffzimmer studierte European Culture and Economy in Bochum. Sie arbeitet bei der ZENIT GmbH, die für das Enterprise Europe Network unter dem Namen NRW.Europa Anlaufstelle für NRW-Akteure in den Bereichen Förderung und Kooperationsvermittlung ist. Einen Überblick über die Angebote der Biotechnologieförderung gibt es von ZENIT und dem Cluster BIO.NRW als Download (www.nrweuropa.de/ biotechnologie). Tempo zählt – aber nicht allein! Multiresistente Keime sind der Schrecken eines jeden Krankenhauses. Die GNA Biosolutions GmbH hat eine neue, laserbasierte PCR-Technologie entwickelt, mit der sich die multiresistenten Erreger innerhalb einiger Minuten identifizieren lassen. Anfang Juli hat das Unternehmen eine neue Finanzierungsrunde in Höhe von sechs Millionen Euro abgeschlossen. Mit dem frischen Kapital soll der Markteintritt vorbereitet werden. Was bedeutet die Technologie nun für die Krankenhaushygiene? Resistente Krankenhauskeime bekämpfen Y Multiresistente Erreger stellen uns bei der Versorgung von Patienten vor immer größere Probleme. Dieses Thema ist inzwischen auch in der Politik angekommen, auch in den höchsten politischen Gremien Deutschlands, der EU und WHO. Während die übliche kulturelle Diagnostik von bakteriellen Krankheitserregern zwei bis BIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang drei Tage in Anspruch nimmt, eröffnen PCRbasierte Methoden bereits seit einigen Jahren völlig andere Perspektiven: Diagnose-Zeiten von sechs bis zwölf Stunden sind für zahlreiche Erreger bereits keine Seltenheit mehr. Die Technologie der GNA Biosolutions GmbH ermöglicht die Bestimmung der Spezies sogar innerhalb weniger Minuten. Die damit verbundenen Mehrkosten können vielfach durch die gezielte Behandlung des Patienten und die Vermeidung nicht notwendiger Isolierungsmaßnahmen eingespart werden. Entscheidend ist allerdings nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Qualität der Aussage: Dabei muss stets berücksichtigt werden, dass eine zu hohe Sensitivität des Tests eine größere Anzahl falsch-positiver Ergebnisse generiert. Diesem Problem kann jedoch durch die Detektion unterschiedlicher Gensequenzen effektiv begegnet werden. Für Screening-Untersuchungen sind beschleunigte PCR-Verfahren in jedem Fall von großem Interesse und dürften aus der mikrobiologischen Diagnostik in einigen Jahren nicht mehr wegzudenken sein. Vor diesem Hintergrund ist auch die Zielstellung von GNA Biosolutions, den Ablauf der PCR zu beschleunigen, zu begrüßen. Da mit der zunehmenden Verbreitung PCRbasierter Verfahren auch eine Kostenreduktion einhergehen dürfte, ist durchaus vorstellbar, dass diese Untersuchungstechnik in einigen Jahren zum Standard-Repertoire nicht nur der Universitätskliniken, sondern auch mittlerer und kleinerer Krankenhäuser gehört. Priv.-Doz. Frank-Albert Pitten, Geschäftsführer Institut für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle Gießen PD Dr. Frank-Albert Pitten hat nach Stationen an den Universitäten Greifswald und Würzburg die Position des Geschäftsführers am Institut für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle (IKI) in Gießen übernommen. Das IKI berät als akkreditiertes Institut gemäß DIN EN 17025 Krankenhäuser, Arztpraxen und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens in allen Fragen der Hygiene.
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