Pharma im M&A Fieber – Wertschaffung im Fokus

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B I OT ECH NOLOGIE · N E WS & KOM M ENTARE
ÿ Gedankenlosigkeit und seine möglichen Folgen
ÿ Pharma im M&A Fieber – Wertschaffung im Fokus?
ÿ Biotechnologie als wichtiges Thema der europäischen Forschungsförderung
ÿ Tempo zählt – aber nicht allein!
Gedankenlosigkeit und seine möglichen Folgen
Ein unbekannter Programmierer hat die
Programmierschnittstelle (API) des Biotech-Unternehmens 23andMe, das Privatpersonen anbietet, ihre DNA zu entschlüsseln, zweckentfremdet. Er entwickelte
einen Genetic Access Control Code — eine
Zugangsbarriere auf Grundlage von
Geschlecht und Ethnie. 23andMe legte
die App still.
Datenschutz – Problem?
Y Es ist wie so oft im Leben: Jemand entwickelt eine Anwendung oder eine Technologie
mit durchaus positiven Absichten und schon
gibt es andere, die diese Technologie für ihre,
möglicherweise üblen, Zwecke missbrauchen.
Leider berührt dieser spezielle Fall einen Bereich, der insbesondere in Deutschland zum
Teil kontrovers diskutiert wird. Datenschutz ist
ein hohes Gut, mit Patientendaten sollte ganz
besonders sensibel umgegangen werden. Ob
in diesem Fall eine mögliche Verletzung von
Datenschutzbestimmungen überhaupt vorliegt,
kann nicht so ohne Weiteres beantwortet werden. Trotzdem musste es auch den Verantwortlichen von 23andMe klar sein, dass eine
offene API immer ein Einfallstor in den Datentresor darstellen kann. Wieso war es also überhaupt möglich, dass ein Entwickler Zugang zu
diesem sensiblen Bereich ohne vorherige Prüfung seines Anliegens erhält?
Hier zeigt sich wieder einmal, wie groß die
Unterschiede in der Beurteilung des Themas
Datenschutz im internationalen Vergleich sind,
wobei ich damit nicht zum Ausdruck bringen
möchte, dass wir in Deutschland alles gut machen – ganz im Gegenteil. Wir müssen hierzulande aufpassen, dass wir Patienten nicht aus
Datenschutzgründen die bestmögliche Therapie verweigern.
Ein weiterer Problemkreis eröffnet sich dadurch, dass es sich bei dem geschilderten Vorgang um den Zugang zu genetischen Daten
handelt; diese unterliegen ganz besonders kri-
tischer Beobachtung. Wir können nur hoffen,
dass hier nicht unnötig Porzellan zerschlagen wurde. In der Praxis gewinnt die auf individuelle genetische Dispositionen abgestimmte Therapie, insbesondere bei der Verordnung von Medikamenten, zunehmend an
Bedeutung und diese Entwicklung darf nicht
aus falsch verstandenem Datenschutz behindert werden.
Enrico Just,
bio.logis Genomic Healthcare GmbH
Enrico Just ist Geschäftsführer der bio.logis Genomic
Healthcare GmbH in Frankfurt,
die sich mit der Nutzbarmachung von humangenetischen
Informationen in der medizinischen Praxis beschäftigt. Er ist
dort für die strategische
Geschäftsentwicklung zuständig. Der studierte Betriebswirtschaftler ist seit über 25 Jahren als Geschäftsführer und Vorstand in verschiedenen Industriebereichen tätig.
Pharma im M&A Fieber – Wertschaffung im Fokus?
Nach der Bekanntgabe der KPMG-Analyse,
basierend auf Zahlen von Thomson
Reuters, lief es durch alle Medien: Die
Pharmabranche ist im Übernahmefieber.
Große Deals im ersten Halbjahr lassen die
Statistik in die Höhe schnellen; Rekordsummen wechseln die Besitzer. Für strategische Neuausrichtungen und das Einstreichen innovativer Technologien werden hohe Transaktionskosten in Kauf
genommen. Berechtigterweise? Oder wird
hier zu hoch gepokert?
Rekordübernahmen im ersten Halbjahr
2015
Y Wie kaum in einer anderen Branche hängt
die Pharmaindustrie von der Zufuhr neuer Produkte und Technologien über Akquisitionen
und Partnerschaften auch mit KMU aus dem
Biotech- und Specialty-Pharma-Bereich ab. So
ist die Entwicklung von Produkten für eine Vielzahl von neuen Therapieansätzen über ein breites Spektrum von Therapiegebieten aus „Bordmitteln“ alleine nicht zu bewerkstelligen. Nur
am Wert gemessen ist in den vergangenen
Monaten ein deutlicher Anstieg der M&A-Aktivität (Fusionen und Übernahmen) zu beobachten.
Bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres ist
der Gesamtwert aller Übernahmen in der Industrie über den Gesamtwert von 2014 gestiegen. Dieser Anstieg ist sicher maßgeblich
durch die Übernahme einiger größerer Spieler
im Markt, wie beispielsweise von Allergan
durch Actavis und jetzt das zugehörige Allergan Generika Geschäft durch Teva zurückzuführen, jedoch auch durch eine Vielzahl an
„kleineren“ Akquisitionen, wie Ipsen/Octreo
oder auch Juno/Stage Cell flankiert. Insbesondere US-amerikanische und asiatische
Unternehmen zeigen eine ausgeprägte M&AAktivität, aber auch einige deutsche Spieler,
wie Bayer mit der Akquisition der Over-TheCounter-Sparte (frei verkäufliche Medikamente) von Merck&Co im vergangenen Jahr, arbeiten an der strategischen Expansion via M&A.
Dennoch sollte kritisch im Auge behalten
werden, dass zumindest ein Teil dieses Anstiegs durch den Anstieg der Bewertungen der
Unternehmen verursacht wird. So werden am
Markt inzwischen auch Kaufpreise gezahlt, die
deutlich über dem Durchschnitt der Bewertungen der vergangenen Jahre liegen und die
häufig eher durch günstige Finanzierung als
durch eine starke strategische Logik begründet werden können. Ob derartige Transaktionen für die Unternehmen wertschaffend sind
oder die Mittel besser in Investitionen in die
eigene Entwicklung geflossen wären, kann nur
die Zukunft zeigen. Es bleibt spannend im
Markt.
Dr. Dierk Beyer, Managing Partner
von TransAct Advisory Services
Dr. Dierk Beyer ist einer der
Gründungspartner von TransAct Advisory Services, einer
M&A Beratungsgesellschaft
mit Fokus auf Life Sciences
und Chemie. Er hat bei TransAct seit der Gründung in 2008
eine Reihe von internationalen
Transaktionen für mittelständische Pharma- und Chemieunternehmen, sowie BiotechProduktlizensierungen betreut. Vor TransAct war
Dierk Beyer in der chemischen Industrie und viele
Jahre als aktives Mitglied in der Health Care Praxisgruppe der Boston Consulting Group tätig.
BIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang
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Biotechnologie als wichtiges Thema der europäischen Forschungsförderung
Horizont 2020, das Haupt-Förderinstrument der EU für Forschung und Innovation, läuft seit dem letzten Jahr und ist bis
2020 ausgelegt. Es setzt das bisherige
7. Forschungsrahmenprogramm (FP7)
fort. Nun hat die EU-Kommission die
ersten 100 Ausschreibungen ausgewertet
und einen allgemeinen Vergleich zu FP7
gezogen. Beispielsweise beteiligen sich
mehr kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) an den Ausschreibungen;
so auch einige deutsche Biotech-Unternehmen. Doch wie fällt der Vergleich der
beiden Programme für die Branche aus?
Chancen für deutsche Player in Horizont
2020
Y Die dynamische Entwicklung der Biotechnologie schlägt sich auch im EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizont
2020 nieder: Im Gegensatz zu den Vorläuferprogrammen erhielt das Thema im Schwerpunkt „Führende Rolle der Industrie“ einen
eigenen Programmbereich. Biotechnologische
Fragen werden außerdem im Schwerpunkt
„Gesellschaftliche Herausforderungen“ (z.B.
Health, Food und Environment) aufgegriffen.
Weitere Fördermöglichkeiten gibt es in themenoffenen Ausschreibungen und verschiedenen EU-Fachprogrammen.
Der Wettbewerb um die Horizont-Fördergelder ist anspruchsvoll, die Erfolgsquote liegt
bei durchschnittlich 20%. Positiv ist, dass deutsche Akteure in nahezu allen 2014 geförderten biotechnologischen Projekten als Partner
bzw. Koordinatoren beteiligt sind. Verglichen
mit der Bedeutung der Biotechnologie in der
gesamten Forschungslandschaft ist das Budget im Programmbereich Biotechnologie mit
516 Mio. Euro angemessen. Zudem sind in den
oben aufgeführten Bereichen weitere Gelder
abrufbar. Wünschenswert wäre jedoch eine
deutliche Aufstockung des Budgets für das
KMU-Instrument, das die Weiterentwicklung
zur Marktreife mit bis zu 2,5 Mio. Euro fördert.
Hier lag die Förderquote in den ersten Ausschreibungsrunden 2014 bei circa 6%. Ein erweiterter Einsatz des KMU-Instruments wäre
gerade im Bereich der Biotechnologie ideal, da
es das hohe finanzielle Risiko reduziert, das
bei der Markteinführung von biotechnologischen Produkten typisch ist.
Ob sich eine Antragstellung lohnt, ist eine
Einzelfallentscheidung. Die in Horizont 2020
geplanten Aktivitäten sollten Teil einer mittelfristigen Forschungs- und Entwicklungsstrategie sein. Da Horizont 2020 Verbundprojekte
fördert, sind Kontakte zu den besten Playern
in Europa nötig. Unterstützung bieten u. a. die
Nationalen Kontaktstellen und die regionalen
Beratungsinstitutionen des Enterprise Europe
Network.
Heike Hoffzimmer,
Projektassistentin bei der ZENIT GmbH
Heike Hoffzimmer studierte
European Culture and Economy in Bochum. Sie arbeitet bei
der ZENIT GmbH, die für das
Enterprise Europe Network
unter dem Namen NRW.Europa
Anlaufstelle für NRW-Akteure
in den Bereichen Förderung
und Kooperationsvermittlung
ist. Einen Überblick über die
Angebote der Biotechnologieförderung gibt es von ZENIT und dem Cluster
BIO.NRW als Download (www.nrweuropa.de/
biotechnologie).
Tempo zählt – aber nicht allein!
Multiresistente Keime sind der Schrecken
eines jeden Krankenhauses. Die GNA Biosolutions GmbH hat eine neue, laserbasierte PCR-Technologie entwickelt, mit
der sich die multiresistenten Erreger
innerhalb einiger Minuten identifizieren
lassen. Anfang Juli hat das Unternehmen
eine neue Finanzierungsrunde in Höhe
von sechs Millionen Euro abgeschlossen.
Mit dem frischen Kapital soll der Markteintritt vorbereitet werden. Was bedeutet
die Technologie nun für die Krankenhaushygiene?
Resistente Krankenhauskeime
bekämpfen
Y Multiresistente Erreger stellen uns bei der
Versorgung von Patienten vor immer größere
Probleme. Dieses Thema ist inzwischen auch
in der Politik angekommen, auch in den höchsten politischen Gremien Deutschlands, der EU
und WHO.
Während die übliche kulturelle Diagnostik
von bakteriellen Krankheitserregern zwei bis
BIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang
drei Tage in Anspruch nimmt, eröffnen PCRbasierte Methoden bereits seit einigen Jahren
völlig andere Perspektiven: Diagnose-Zeiten
von sechs bis zwölf Stunden sind für zahlreiche Erreger bereits keine Seltenheit mehr. Die
Technologie der GNA Biosolutions GmbH ermöglicht die Bestimmung der Spezies sogar
innerhalb weniger Minuten. Die damit verbundenen Mehrkosten können vielfach durch die
gezielte Behandlung des Patienten und die Vermeidung nicht notwendiger Isolierungsmaßnahmen eingespart werden.
Entscheidend ist allerdings nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Qualität der
Aussage: Dabei muss stets berücksichtigt werden, dass eine zu hohe Sensitivität des Tests
eine größere Anzahl falsch-positiver Ergebnisse generiert. Diesem Problem kann jedoch
durch die Detektion unterschiedlicher Gensequenzen effektiv begegnet werden.
Für Screening-Untersuchungen sind beschleunigte PCR-Verfahren in jedem Fall von
großem Interesse und dürften aus der mikrobiologischen Diagnostik in einigen Jahren nicht
mehr wegzudenken sein. Vor diesem Hintergrund ist auch die Zielstellung von GNA Biosolutions, den Ablauf der PCR zu beschleunigen, zu begrüßen.
Da mit der zunehmenden Verbreitung PCRbasierter Verfahren auch eine Kostenreduktion
einhergehen dürfte, ist durchaus vorstellbar,
dass diese Untersuchungstechnik in einigen
Jahren zum Standard-Repertoire nicht nur der
Universitätskliniken, sondern auch mittlerer
und kleinerer Krankenhäuser gehört.
Priv.-Doz. Frank-Albert Pitten, Geschäftsführer Institut für Krankenhaushygiene
und Infektionskontrolle Gießen
PD Dr. Frank-Albert Pitten
hat nach Stationen an den Universitäten Greifswald und
Würzburg die Position des
Geschäftsführers am Institut
für Krankenhaushygiene und
Infektionskontrolle (IKI) in
Gießen übernommen. Das IKI
berät als akkreditiertes Institut
gemäß DIN EN 17025 Krankenhäuser, Arztpraxen und andere
Einrichtungen des Gesundheitswesens in allen
Fragen der Hygiene.