Leseprobe - Andrea Zieglowski

O
Kapitel 8 Im Drachenforst
h je, tut das weh. Felsen sind leichter zu verdauen
als diese Fuhre Zauberer. Drachenzahn und
Drachenschwanz,
komischen
liegt
bunten
das
Schlange
nun
oder
an
an
dieser
den
Obermagiern, die ich zuletzt verdrückt habe?“ Sofrot hält sich
stöhnend den Bauch. Er rutscht auf seiner Steincouch auf dem
Drachenfelsen hin und her. „Gut, dass es nicht mehr lange dauert.
Diesmal wird es zwar viel Magie sein, die ich beim Pupsen
bekomme, aber dieses Bauchgrimmen ist sogar für mich zu viel.
Ohhhh!“
„Mach doch mal Platz. Ich kann den Drachen nicht sehen“, flüstert
ZiZaZu Huga zu. Mit einem Wunderdrachen-Finde-Zauber hat
ZiZaZu den Teppich belegt und wieder heil gezaubert. Der hat sie
dann
direkt
hierher
in
den
Drachenforst
zu
diesem
Wunderdrachen geflogen. Allerdings hat ZiZaZu den Zauber so
eingestellt, dass der Teppich in sicherer Entfernung vom Drachen
landet, damit der von ihrer Anwesenheit nichts bemerkt. Nun
sitzen ZiZaZu, Huga und Bu in einem Gebüsch versteckt und
beobachten den Drachen.
„Jetzt warte doch mal“, raunt Huga zurück. „Du hast auf dem
fliegenden Teppich schließlich schreckenmäßig vorne gesessen.“
„Das war nur, weil dir schlecht war.“
„Ist doch jetzt egal“, schaltet sich Bu flüsternd ein. „Was meinst du,
ZiZaZu, funktioniert dein Plan?“
„Das kann ich dir sagen, wenn ich den Drachen sehe.“ ZiZaZu
drängelt sich an Huga vorbei. Dabei überlegt er, ob sein Plan nicht
so viele Löcher wie eine alte Socke aufweist. Viel Zeit, einen zu
machen, hatte er nicht. Kurzentschlossen besah ZiZaZu sich alle
Drachenskulpturen in der geheimen Bibliothek und wählte den
Wunderdrachen aus, weil der von gelber Farbe und der Kleinste in
der Statuensammlung war. Zudem war er auch derjenige, von dem
Bu behauptete, er sähe „nett“ aus. Vielleicht ist diese Sorte dann
nicht so gemein. Zibrix schrieb: „Die Art des Drachen ist egal.“
Also schlug ZiZaZu im Großen Lexikon der Drachen unter
„Wunderdrache“ nach.
„Wunderdrachen“, steht da, „sind neben den Buschdrachen die
kleinste Art der Drachen. Ihre Magie ist weniger stark und kann
unter Umständen von der Magie eines Zauberers beeinflusst
werden.“
„Da besteht ein wenig Hoffnung, dass der Drache mich nicht gleich
fertigmacht. Vielleicht habe ich die Chance, ihn erstarren zu lassen
und ihm schreckenfix den Popel aus der Nase zu kratzen.
Hoffentlich ist der gelb, wenn schon der Drache gelb ist. Bei allen
Froschpickeln, wenn ich das überlebe, werde ich mich bessern und
fortan richtig zaubern.“ Das alles geht dem kleinen Zauberer durch
den Kopf, als er an Huga vorbeikriecht. Dann werden seine Augen
groß, als er den gelben Wunderdrachen betrachtet. „Gelb ist der
eigentlich nicht, der scheint aus purem Gold zu sein. Nur seine
Stacheln und Klauen sind blau. Der sieht echt nett aus und
irgendwie
hübsch.“
ZiZaZu
nimmt
das
Äußere
des
Wunderdrachen jedoch nur am Rande war, denn er ist
hauptsächlich damit beschäftigt, das Sitzmöbel der „Kröte“
anzugaffen - einen Schaukelstuhl. Gemütlich schaukelt der kleine
goldene Drache damit hin und her. Der Schaukelstuhl steht vor
einer riesigen hohlen Eiche. Deren Stamm ist so dick, dass sich
zweiundzwanzig ZiZaZus an den Händen fassen müssten, um ihn
zu umspannen. ZiZaZu kann Fenster und eine Türe erkennen, die
im Stamm eingelassen sind. Aus einem Schornstein im Geäst steigt
Rauch auf.
„Und was tut er da?“, wispert Huga.
„Er ... er ... häkelt“, flüstert ZiZaZu zurück. „Beim Krötenschleim,
ich glaube, ich träume. Das Ding sieht wie ein Schal aus.“
„Echt?“, fragt Bu.
„Wenn ich es sage! Aber egal, was der Drache tut, seid ihr bereit?“
Huga und Bu nicken.
„Gut, dann schleich ich mich näher ran. In fünf Minuten kommt ihr
raus und lenkt ihn ab, und dann bin ich dran. Die Armbanduhren,
die ich uns gezaubert habe, zeigen dieselbe Zeit an. Und die läuft
ab jetzt. Viel Glück“, damit wendet ZiZaZu sich ab und kriecht, so
flink er kann, davon. Hinter sich hört er Hugas und Bus
geflüstertes „Viel Glück.“
Viereinhalb Minuten später hält ZiZaZu an. Er ist dem Drachen so
nahe, dass er beinahe dessen Schwanz, der über eine Armlehne des
Schaukelstuhls hinabhängt, berühren kann. Gleich ist es soweit. Er
fischt sein Zaubererherz aus seiner Unterhose, nimmt seinen Mut
und seine Konzentration zusammen. All seine Gedanken, Sorgen,
Zweifel und Ängste werden klein. ZiZaZu wird innen ganz still
und fühlt Magie in sich aufsteigen. Erst klein, nur ein paar Tropfen,
die schnell mehr werden, bis die Magie wie ein starker breiter
Waldbach sprudelt. Seine Handflächen werden warm, dann heiß.
In dem Augenblick, als Huga mit Bu in der Hand aus dem Gebüsch
in Heuschreckenart auf den schaukelnden Drachen zuhüpft und
schauerlich laut „Buuuuuuuuuuu“ kreischt, dass einem Bären vor
Schreck sämtliche Haare ausgefallen wären, springt ZiZaZu auf
und schießt einen Energieblitz aus seinen Handflächen auf den
Wunderdrachen ab.
„Hahahaha. Hihihihi. Hohohoho.“ Anstatt in seinem Schaukelstuhl
zu erstarren, lacht sich der Drache kaputt.
Verdutzt bleibt ZiZaZu stehen und lässt die Arme sinken, obwohl
er gerade einen weiteren Erstarrungsblitz schleudern will.
„Hahahaha. Hihihihi. Hohohoho. Das kitzelt. Mach das noch mal“,
verlangt der Drache kichernd und wischt sich seine Lachtränen aus
den Augenwinkeln.
„Öhm“, sagt ZiZaZu dümmlich. Wenn Sofrot in diesem Moment
aufgekreuzt wäre, überraschter wäre ZiZaZu nicht gewesen.
„Hey, mach das noch mal. Bitte. Das kribbelt so schön“, drängt der
Drache. ZiZaZu, der vor Verwirrung sowieso nicht weiß, wo oben
und unten ist, gehorcht.
Etliche Kitzel-Kribbel-Blitze später steht ZiZaZu mit Bu und Huga
neben dem Drachen und starrt ihn verwundert an. Dieser liegt
schlapp gelacht vor seinem Schaukelstuhl und kichert immer noch
leise vor sich hin.
„Du bist nicht böse?“, fragt Huga, bevor ZiZaZu ein Wort sagen
kann.
„Wieso böse? Wie kommst du denn auf die Idee?“ Der Drache
rappelt sich auf. ZiZaZu sieht, dass er genauso groß wie er selbst
ist. Seine goldene Haut strahlt in der Nachmittagssonne.
„So wie ich das sehe, bist du“, er zeigt auf ZiZaZu, „ein Zauberer,
aber was bist du? Ein überdimensionaler Grashüpfer? Also, bevor
du dich so aufplusterst ...“, ZiZaZu sieht, dass Huga zu einer
schreckenmäßigen Antwort ansetzt, spricht der Drache mit einer
Stimme, die wie geschmolzene Schokolade klingt, weiter: „Ich
heiße Perpetua Wunderdrachine.“
„Eine Drachine, voll stark“, hört ZiZaZu Huga begeistert rufen.
„Ich bin eine Zauber-Schrecke, eigentlich eine Zauber-Schreckine.“
ZiZaZu und Bu sehen sich an. Weiber!
Wenig später sitzen alle in Perpetuas gemütlicher hohler Eiche um
den Tisch und stopfen ihre selbstgebackenen Kekse mit Kakao in
sich rein.
„Wir brauchen gelben Nasenschleim, um Sofrot ...“
„Kuckuck. Kuckuck. Kuckuck.“ ZiZaZus Worte gehen im Lärm
dutzender Kuckucksuhren unter, die die volle Stunde anzeigen
und überall an den Bauminnenwänden hängen. Es ist fünfzehn
Uhr. Als die Uhren wieder leise ticken, beendet ZiZaZu seine
Geschichte. Danach erzählt er Perpetua kurz von den Gerüchten
und Legenden, die im Zauberwald über Drachen kursieren. Zu
ZiZaZus Ärger hat Bu es sich nicht verkneifen können, zum
Schluss seinen Spruch loszulassen:
„Hat ein Drachen dich im Rachen,
hast du leider nichts zu lachen.
Drum denke, wenn das Ende naht,
da hast du den Salat.
Drum wärst du lieber abgehauen,
würd der Drache dich nicht verdauen!“
Darüber muss Perpetua herzlich lachen. „Was für ein Quatsch, aber
warte mal, so einen Slogan haben wir auch auf Lager. Wie geht
der? Ah ja:
Kommt ein Zauberer daher,
freut sich der Zauberdrache sehr.
Den wird er gleich verdrücken
und sich an der Magie entzücken.
Aber, wie gesagt, Märchen. So ist das bei uns Drachen auch. Das
kommt daher, dass wir nicht genug voneinander wissen. Da
erfindet die eine Seite irgendetwas über die andere, das nicht
stimmt, und schon gibt es den größten Streit und Zoff, nur weil
sich keiner die Mühe macht, zuzuhören, zu fragen oder einfach nur
höflich zu sein. Stattdessen gibt es lieber Haue. Viel Ärger kommt
ja davon, dass niemand mit dem anderen redet.“
„Alles gut und schön, Perpetua, aber Sofrot hat unsere Kumpels im
Bauch, und wir haben noch einen und einen halben Tag Zeit!“
„Ach der“, der kleine Wunderdrache winkt ab, „der ist hier die
Ausnahme. Dieses eklige Riesenvieh ist der einzige Zauberdrache,
den es im Drachenforst noch gibt. Nur wegen dem haben alle
Drachen einen schlechten Ruf. Weil wir mit ihm in einen Topf
geworfen werden. Dabei sind wir Drachen ganz normal.“
„Was, bitte schön, soll an Drachen normal sein?“, will Bu wissen.
ZiZaZu schaut ihn verärgert an. „Bu, lass Perpetua ausreden.“ Sie
können es sich nicht leisten, dass der Wunderdrache sauer wird,
bevor ZiZaZu ihn nach gelbem Nasenschleim gefragt hat. Wenn
Perpetua selbst keinen hat, vielleicht weiß sie dann, wo welcher
aufzutreiben ist. Deshalb verschränkt ZiZaZu vor Ungeduld seine
Zehen in den Schuhen und hört lächelnd Perpetuas Vortrag über
Drachen an, obwohl ihm die Zeit unter den Nägeln brennt. ZiZaZu
merkt auch, dass Perpetua sich richtig freut, Besuch zu haben und
zu quatschen. Ob sie einsam ist?
„Hey, viele Drachen führen ein normales Leben, so wie ich. Wir
sind nett und freundlich und auch lustig. Wir hören gerne Witze,
auch wenn sie doof sind. Meist sammeln wir lustige Dinge, nur
weich, kuschelig oder witzig müssen sie sein. Ich sammle
Kuckucksuhren und häkele gerne. Andere sammeln Gummibälle,
Besen, Gummistiefel oder Gummibärchen, auch Teddybären,
Entenfedern, Moos, Wolle und vieles andere. Oder sie halten sich
Meerschweinchen oder Hasen zum Kuscheln.“
ZiZaZu staunt. „Ich dachte, Drachen sammeln Gold, Silber und
Edelsteine?“
„Die Mär vom Gold- und Silberhorten ist Firlefanz, denn das ist
kalt und unbequem. Hast du schon mal auf Gold geschlafen?
Entenfedern sind viel weicher und praktischer. Nur der dämliche
Sofrot liegt und sitzt auf Stein. Aber der macht immer alles anders
als die anderen. Der ist halt ein gemeiner Zauberdrache. Kein
Wunder, dass der der letzte ist. Den mag keiner. Und jeder Drache
im Zauberwald möchte ihn loswerden. Das könnt ihr mir glauben.“
„Und warum?“, will Huga wissen. Das interessiert auch ZiZaZu
ganz besonders.
„Na, weil der uns alle, ich meine wirklich alle Drachen, geärgert
hat. Das ist im Grunde noch zu nett ausgedrückt. Der hat uns das
Leben schwer gemacht und behauptet, er wäre unser Anführer. Wir
mussten ihm Geschenke geben und für ihn arbeiten, sonst hat der
uns
gehauen
oder
unser
Zuhause
kaputt
gemacht
oder
Schlimmeres. Ich musste ihm einen riesen Schal häkeln, hundert
Meter
lang.
Erst
wollte
ich
nicht.
Da
hat
er
meine
Lieblingskuckucksuhr mit dem rosa Kuckuck zertreten, als wäre
sie ein Grashalm, und gedroht, meine Eiche abzufackeln. Natürlich
habe ich ihm den Hundert-Meter-Schal gehäkelt. Was sollte ich
denn machen? Meine Klauen waren ganz blutig. Und so geht es
allen. Sofrot ist leider der größte, stärkste und fieseste Drache im
Drachenforst. Selbst wenn wir uns alle zusammentäten, hätten wir
keine Chance.“
„Da laust mich doch die Unke. Der ist übler als übel. Oberkrass“,
sagt ZiZaZu. „Leider wirkt das DrachenPupsPulver nicht so, dass
Sofrot verschwindet. Ich würde den Drachen gerne helfen, aber
leider ...“ ZiZaZu hebt die Schultern und lässt den Satz unbeendet.
„Keine Bange, ich helfe dir. Schon allein, um Sofrot eins
auszuwischen. Nicht nur wegen meiner Kuckucksuhr. Dass du
deine Freunde retten willst und dafür alles riskierst, das finde ich
so toll! Außerdem hat mein Papa immer zu mir gesagt: Du bist
leichtsinnig, Perpetua. Also.“ Der kleine Wunderdrache grinst,
bohrt mit seiner Klaue in der Nase herum und fördert einen
Klumpen gelben Nasenpopel, groß wie eine Walnuss, hervor. „Hier
bitte, ZiZaZu, den schenke ich dir.“
ZiZaZu hat noch nie ein schöneres Geschenk bekommen.
„Obermagisch zauberprächtig! Vielen Dank, Perpetua. Du bist die
Größte.“ Er lächelt das Drachenmädchen glücklich an. Der kleine
Zauberer mag Perpetua sehr gerne.