Kompetenzorientiertes Prüfen Manfred Pfiffner, Prof. Dr. habil. Tagung für Praktikumslehrpersonen, Mentorinnen, Mentoren und Q-Verantwortliche 3. September 2015 Lernen – Oberflächen- und Tiefenstrukturen Lernen ist unsichtbar. Es ist ein innerer psycho-physischer Prozess. Man kann es nicht sehen, riechen, fühlen oder hören (Roth 2011). Das hat gravierende Folgen für die Praxis kompetenzorientierten Unterrichtens. Wir müssen grundsätzlich zwischen der planbaren Oberflächenstruktur (den Lehr- und Lernhandlungen) und den nicht verfügbaren Tiefenstrukturen (den Haltungen, Motivations- und Interessenstrukturen und den Lernkompetenzen) unterscheiden: (Meyer, 2012) 2 04.09.2015 1 Lernen – Oberflächen- und Tiefenstrukturen (Meyer, 2012) 3 Kompetenz – eine Definition Kompetenz: Die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. (Weinert, 1988) 4 04.09.2015 2 Berufliche Handlungskompetenz – eine Definition «Handlungskompetent ist, wer eine berufliche Handlungssituation erfolgreich meistert. Dazu bedarf es der situations-adäquaten Mobilisierung eines Bündels von relevanten Ressourcen: Kenntnissen, Fähigkeiten/Fertigkeiten und Haltungen» (Kaiser, 2005) 5 Qualität der Kompetenz und zeitlicher Verlauf der Kompetenzentwicklung (aus: Frey, 2008) 6 04.09.2015 3 Hierarchisches Strukturmodell von Handlungskompetenz (aus: Frey, 2008) 7 Kompetenzorientierter Unterricht – eine Arbeitsdefinition Kompetenzorientierter Unterricht ist ein offener und schüleraktiver Unterricht, in dem die Lehrpersonen auf der Grundlage genauer Lernstandsdiagnosen ein differenzierendes Lernangebot machen, in dem die Lehrpersonen ihre Unterrichtsplanung, die Durchführung und Auswertung an fachlichen und überfachlichen Kompetenzstufen-Modellen orientieren, in dem die Lernenden die Chance haben, ihr Wissen und Können systematisch und vernetzt aufzubauen und in dem sie den Nutzen ihres Wissens und Könnens in realitätsnahen Anwendungssituationen erproben können. (Meyer, 2012) 8 04.09.2015 4 Was ist alt – was ist neu? Das, was heute unter dem Schlagwort „Kompetenzorientierter Unterricht“ diskutiert wird, ist eine bunte Mischung aus alten und neuen Elementen didaktisch-methodischen Handelns. Althergebracht sind z. B. die Erwartungen: dass die Lernenden durch genaue Lernstandsdiagnosen dort abgeholt werden, wo sie stehen, dass jede/r einzelne Lernende durch mehr innere Differenzierung individuell gefördert wird, dass die Lernenden besser selbstgesteuert lernen können dass sie kein träges Wissen erwerben, sondern Wissen und Können miteinander zu verknüpfen lernen. (Meyer, 2012) 9 Was ist alt – was ist neu? Wirklich neu und einziges Alleinstellungsmerkmal des kompetenzorientierten Unterrichts ist die Idee, den Lernstand der Lernenden in empirisch abgesicherten Kompetenzstufen-Modellen zu erfassen. (Ziener, 2006, S. 43 ff.; Meyer, 2007, S. 147 ff.) 10 04.09.2015 5 Strukturmodell Stufe 0 (Meyer, 2012) Kompetenzdimension Kriterium (Noch) Keine Kompetenz nachweisbar 1 Naiv-ganzheitliches Ausführen einer Handlung Entscheiden nach «Bauchgefühl» 2 Handeln nach Vorgabe der/des Lehrenden Kognitives Nachvollziehen der Handlungsvorgabe 3 Handeln nach Einsicht in die Aufgabenstellung Reflektieren und Argumentieren nach Einsicht 4 Selbständige Steuerung des eigenen Lernprozesses Didaktische Reflexion des (Meyer, 2012) gemeinsamen Lehr-Lernprozesses 11 Das Alleinstellungsmerkmal: Arbeit mit Kompetenzstufenmodellen Das Denken in Kompetenzstufen ist im Schulalltag nichts Ungewöhnliches. Es ist nicht zu vermeiden, tagtäglich die unterschiedlichen Leistungen der Lernenden zur Kenntnis zu nehmen und sie gestuft zu bewerten: Wir registrieren z. B. mit Verwunderung, dass ein Schüler im 1. Lehrjahr beim Rechnen immer noch seine Finger zu Hilfe nimmt. Wir erläutern bei der Prüfungsrückgabe in der BM, warum kein/e Lernende/r mehr als 24 Punkte erzielt hat. Wir loben ein Gruppenarbeitsergebnis im ABU als "weit über-durchschnittlich" und begründen dies mit „hoher Teamkompetenz“. (Meyer, 2012; Adaption: Pfiffner) 12 04.09.2015 6 Operationalisierung Handlungskompetenzen Operationalisierbarkeit wird schwieriger und fragwürdiger Fachkompetenz Methodenkompetenz Sozialkompetenz Selbstkompetenz Erlernbarkeit über einzelne Ausbildungseinheiten wird schwieriger Gütekriterien nach: Grunder H. U. & Bohl T. (2004). S. 329. Neue Formen der Leistungsbeurteilung. Schneider: Hohengehren. Gültigkeit Zuverlässigkeit Chancengerechtigkeit Ökonomie siehe: Obrist W. & Städeli Ch. (2010). Prüfen und Bewerten in Schule und Betrieb. S. 95-96 04.09.2015 7 Beurteilungsbausteine Bausteine einer Beurteilung Wie? Fremdbeurteilung Methoden-K Selbstbeurteilung Selbst-K Was? Prozess Me-K Methoden-K Methoden-K Methoden-K Fa-K So-K Se-K Se-K Fa-K So-K Se-K Fach-K Fach-K Me-K Me-K Präsentation Produkt Lernenden Mitbeurteilung Literatur Bohl Thorsten (2004). Prüfen und Bewerten im Offenen Unterricht. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. Frey, Andreas (2008): Kompetenzstrukturen von Studierenden in der ersten und zweiten Phase der Lehrerbildung. Landau: Verlag Empirische Pädagogik. Grunder Hans U. & Bohl Thorsten (2004). Neue Formen der Leistungsbeurteilung. Schneider: Hohengehren. Kaiser, Hansruedi (2007): Didaktische Szenarien für das Arbeiten mit beruflichen und alltäglichen Situationen Online unter: www.hrkll.ch/typo/fileadmin/Texte/ILM/Fuenf_Szenarien _fuer _ die_Arbeit_ mit_Situationen.pdf Meyer, Hilbert (2007): Leitfaden Unterrichtsvorbereitung. Berlin: Cornelsen Scriptor. Meyer Hilbert (2012/2013): Kompetenzorientierung allein macht noch keinen guten Unterricht! Skripts. Oldenburg: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Obrist Willy & Städeli Christoph (2010). Prüfen und Bewerten in Schule und Betrieb. Bern: hep-Verlag. Paradies Liane; Wester Franz & Greving Johannes (2005). Leistungsmessung und -bewertung. Berlin: Cornelsen Scriptor. Reinmann-Rothmeier, Gabi & Mandl, Heinz (2006). Unterricht und Lernumgebungen gestalten. In: Krapp, Andreas et al.. Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim: Beltz Weinert, Franz, (Hrsg.): Leistungsmessung in Schulen. Weinheim und Basel: Beltz, 2001: 27f. Becker Georg E. (2007). Unterricht auswerten und beurteilen. Handlungsorientierte Didaktik Teil III. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. 04.09.2015 16 8 Literaturempfehlungen Blum Werner, Drüke-Noe Chistina, Hartung Ralph & Köller Olaf (Hrsg.)(2006): Bildungsstandards Mathematik: konkret. Sekundarstufe I. Berlin: Cornelsen Scriptor. Faulstich-Christ Katja, Lersch Rainer & Moegling, Klaus (Hrsg.)(2010): Kompetenzorientierung in Theorie, Forschung und Praxis. Immenhausen: Prolog Verlag. Klinger U. (Hrsg.) (2009): Mit Kompetenz Unterricht entwickeln – Fortbildungskonzepte und Materialien. Troisdorf: Bildungsverlag 1. Obst Gabriele (2008): Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Paradies Liane, Wester Franz & Greving Johannes (2010): Individualisieren im Unterricht. Berlin: Cornelsen Scriptor. Zeitschrift: Lernende Schule, Heft 58 (2012): Themenheft Kompetenzorientiert lernen und lehren. (mit Sek-I-Schwerpunkt) 17 04.09.2015 9
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