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Wintertage auf Föhr | 1
Minutenlang starre ich durch das Fensterglas des Windschutzes. Ich gehöre zu den Wenigen, die auf
dem Oberdeck ausharren, zumindest beim Ablegen. Rinnsale von Regenwasser laufen hinab. Noch
bevor wir Dagebüll verlassen, fegt Hagel über das Deck, getrieben vom Wind. Keine optimalen
Vorhersagen für das Wochenende, trotzdem ist die Fähre voll. Es muss am Biikebrennen liegen.
Zwar peitscht der Wind die Wellen hoch, doch wir spüren es kaum auf der „Uthlande“, einer der
neuen Fähren mit Umweltengel fürs Schiffsdesign. Neben den Rauchern auf dem Oberdeck gibt es
immer mehr Passagiere, die hier die Nordsee spüren wollen, mit allem Drum und Dran. Direkt, wenn
sie in Dagebüll aus dem Zug steigen.
Dick eingemummt, die Mützen tief ins Gesicht gezogen, stehen sie am Heck, schauen auf die Wellen
und lassen sich den Wind um die blasse Nase wehen. Das sind die Lover, die wahren. Die lieber im
Winter als im Sommer nach Nordfriesland kommen. Die die Einsamkeit suchen. Das Schietwetter.
Selbst die eher lieblich wirkende Insel Föhr umgibt sich im Winter mit rauen Nordsee-Charme.
Schietwetter
Mir geht die Überfahrt nach Wyk immer zu fix. Kaum ist man auf See, ertönt auch schon wieder das
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Signal zum Anlegen. Land ist stets in Sicht, so ist das im nordfriesischen Wattenmeer. Irgendwo tut
sich immer eine Hallig oder Insel hervor. Die Warften von Oland, Langeness.
In Wyk reißt der Himmel auf, die Sonne blinzelt, und Autovermieter Simonis gibt eine alte Weisheit
zum Besten: „Bei Gott und auf Föhr ist alles anders.“ Ich werde das später noch öfter hören.
Eigentlich fahre ich ja lieber mit dem Rad, und die Insel ist nun mal ideal dafür. Doch ob des Wetters
nun also einen Hybrid.
Leise wie ein Kätzchen bewegt er sich durch die 30er-Zonen der Insel. Außerhalb der Ortschaften
gilt meist 70. Da ich nie groß beschleunigen muss, verbrauche ich kaum Benzin. Als Radfahrer habe
ich bislang nicht auf die Begrenzungen achten müssen, aber nun fällt es mir positiv auf. Auch
bekommen die Föhrer bald erste Elektrowagen, die auch mietbar sind.
Mein erster Stopp: das Hoftel Föhr. Nach zwei Jahren treffe ich AnneClaire und Sjirk wieder, ein
holländisches Ingenieurspaar, das zwischen Alkersum und Nieblum eine ehemalige Kuhscheune auf
Vordermann gebracht haben. Auf die knapp 8.400 festen Einwohner Föhrs kommen übrigens 9.000
Kühe. Nur, dass man im Winter weit und breit keiner begegnet.
Meine Gastgeber sind übrigens nicht auf Kühe, sondern auf Familien spezialisiert. Paare und Singles
sämtlicher Altersklassen sind natürlich auch im Hoftel willkommen. Man mischt sich munter und
kommt beim Frühstück am langen Tisch ins Gespräch. Heute erzählt mir AnneClaire von ihren
neuen Plänen, unter anderem soll ein Raum für Yoga entstehen.
Auch haben sie inzwischen Cargo Bikes im Angebot für die Gäste, bei Wunsch, beziehungsweise
stärkerem Gegenwind, auch im E-Modus. Wir werden am Abend weiterplaudern, denn das BiikeArrangement im Hoftel beinhaltet ein gemeinsames Flammkuchen-Essen am Vorabend des
nordfriesischen Großereignisses.
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Boxenstopp bei Stellys
Erst einmal suche ich mir ein nettes Café und steuere das ehemalige Künstlerdorf Oldsum an. Stellys
Hüüs hat nämlich geöffnet, während eines meiner weiteren Lieblingslokale, das Café Föhrer
Teestube leider noch geschlossen ist. Im September habe ich dort noch leckere Waffeln verspeist,
siehe auch „mein idealer Tag auf Föhr“.
Mit nordisch hübschem Innendesign steht Stellys Hüüs der Teestube in nichts nach. Auch
kulinarisch nicht, bei der Auswahl kann ich mich kaum entscheiden, sogar Bratäpfel sind im
Angebot. Jetzt muss ich schleunigst an den Strand. Hinter Utersum, also am westlichsten Punkt der
Insel liegt Amrum zum Greifen nah.
Je nach Licht und Wetterlage verändert sich die Nachbarinsel, erscheint mal näher und mal höher.
Für die etwa acht Kilometer lange Wattwanderung nach Amrum muss ich die Saison abwarten. Es
wird empfohlen, die Strecke nur mit einem erfahrenen Wattführer zurückzulegen, der sich mit den
Witterungsverhältnissen gut auskennt.
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Einsame Strandkörbe in Utersum
Da stehe ich also und blicke auf Amrum und den südlichsten Zipfel von Sylt. Es ist wieder da, dieses
Mittendrin-Gefühl, das so typisch für Föhr ist. Fahre ich ein Stückchen weiter – einer meiner
Lieblingsorte ist das Gotinger Kliff – ändert sich das Bild geringfügig. Amrum bleibt, doch auch die
Warften von Langeness ragen wie buschige Hügel aus dem Wasser.
Das Gotinger Kliff strebte einst als neun Meter hohe Abbruchkante in die Höhe. Ein Ergebnis aus
Sand und Geröll, das sich mit der Eiszeit gebildet hatte. Doch Wind und Wasser hatten das Kliff mit
der Zeit wieder abgetragen, auch durch Sandaufspülungen am Strand verlor es an Höhe und ist nun
zwischen den Dünen kaum mehr auszumachen.
Gerade im Winter lässt es sich wunderbar am 15 Kilometer langen Föhrer Strand entlang spazieren,
der von Wyk bis Dunsum quasi um die halbe Insel führt. Nichts zu spüren von den zahlreichen
Spezialisierungen – eigentlich gibt es Abschnitte für Surfer, Nichtraucher, Hunde, Drachen sowie
barrierefreie und FKK-Bereiche. Nichts als Sand, Wind und Wellen.
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Alles frei
Leider beläuft sich mein Durchhaltevermögen bei Schietwetter auf keine-Ahnung-wie-wenig-Zeit, ich
schaue nicht auf die Uhr. Eine Stunde vielleicht? Dieses Mal habe ich noch etwas Nettes vor und
steuere Nieblum an. Dort streckt sich der sogenannte Friesendom in den Wolkenhimmel, ein
Backsteinbau namens St. Johannis. Eine dieser Kuschelkirchen, die sich wie ein Kokon anfühlen,
sobald man sie betritt.
Hinzu kommt die nordische Note mit friesisch blauen Bänken, zwischen dem Kalk durchblitzender
Backstein und einem in der Luft schwebendem Schiff, das auf die Seefahrervergangenheit der
Föhrer hinweist. Kein Kunstwerk zuviel, das von der mittelalterlichen Architektur ablenken könnte.
Es ist eine von diesen Kirchen, in denen man heiraten möchte, ganz spontan.
Aber ein Konzert bei Kerzenschein tut’s natürlich auch. Die Orgelpianistin begrüßt jeden Einzelnen
schon im Foyer, hält noch eine kleine Rede zur Erläuterung der ausgewählten „Tänze und
Toccaten“. Eine ebenso wilde wie durchdachte Mischung. Es überrascht mich, wie vielseitig so eine
Orgel klingt. Leicht, geradezu hüpfend und verspielt, herausfordernd, temperamentvoll, komplex,
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grollend und anspruchsvoll. Was natürlich auch an den ausgewählten Stücken von Bach bis Piazzolla
liegt.
Eine musikalische Reise. Vor allem der Argentinier tritt aufregend exotisch in die Nieblumer Kirche.
Tango auf der Insel im Wattenmeer. Er führt dich in eine rauchige Hafenbar am Rio de la Plata. In
eine der zahlreichen Milongas von Buenos Aires. Noch eine Toccata von Boellmann, und alle kehren
zurück ins Hier und Jetzt.
Mit strahlenden Augen applaudieren sie der Musikerin und gehen heim. Wo sie möglicherweise
einen Manhattan als Aperitif trinken, quasi das Nationalgetränk der Föhrer. Eine gekonnte
Mischung, die zur einen Hälfte aus Whisky, zur anderen aus rotem und weißem Wermut besteht.
Gekühlt und mit Cocktailkirsche versehen eine süffige, aber auch hochprozentige Angelegenheit.
Ganz Föhr mischt sich den Cocktail selbst, der von Auswanderern der Insel im 19. Jahrhundert aus
New York mitgebracht wurde. Auch mir schmeckt’s, doch aus Sicherheitsgründen habe ich den
Manhattan lieber nach dem Essen probiert. Passt sowieso immer, sagen die Einheimischen.
Kosmopolitisch bei jeder Gelegenheit.
Text und Fotos: Elke Weiler
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Oldsumer Mühle
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Tür in Wyk
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Never miss a good Waffel!
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Promenaden-Symmetrie
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Am Gotinger Kliff
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Dünen-Frisur
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Reflektionen
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Mit Decken durch den Winter
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Tschüss, Föhr!
Ihr wollt mehr Föhr? Der nächste Insel-Artikel wird sich um das Museum der Westküste und seine
aktuellen Ausstellungen drehen.
Mit Dank an Föhr Tourismus, die mich bei meinen Recherchen auf der Insel unterstützt haben.
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