Hoffmanns Verbrennung Schauspiel von Wolfgang Held 1 Wolfgang Held Hoffmanns Verbrennung Schauspiel Text Dieser Band enthält den Text des Schauspiels. Die zugehörigen Collagen sind bereits 2013 unter dem Titel Hoffmanns Verbrennung – 25 Collagen publiziert worden (mit Vorwort, Synopsis und Erläuterungen von Wolfgang Held). An den entsprechenden Textstellen wird mit römischen Ziffern auf diese Collagen hingewiesen. Herausgeber: Bernhard Schemmel Umschlag-Reproduktion (Nr. XXI): Gerhard Schlötzer, Bamberg Gestaltung: Sigrid Strauß-Morawitzky, Stegaurach Druck: Safner, Priesendorf Bamberg 2015 2 (Museumshalle nach einem Brand: verrußte Wände; Möbel und Hausrat der Hoffmannzeit, z. T. mit Tüchern abgedeckt. Zentral vor der Rückwand, zwischen schwärzlich klaffendem Türloch (links) und zerbrochenem Eckfenster (rechts) ein Rollstuhl, über dem frontal ein mannshoher Bildrahmen lehnt (abgedeckt); links vor der Seitenwand ein Malergerüst; rechts, nach vorn zu gestaffelt, ein Wandschirm, ein Punschtopf über Brennuntersatz, eine Wiege (abgedeckt). Im Vordergrund (links), unter Bedeckung unkenntlich, eine kauernde Figur und Hausrat. Im Proszenium (rechts) ein kanzelähnliches Stehpult, darauf eine Petroleumlampe, dahinter, provisorisch abgestellt, ein Kantinenkühlschrank, Marke BOSCH. Unter der Decke schwingt ein verhängter Vogelkäfig im Luftzug. Über dem Rollstuhl eine bekränzte Gedenkplatte: E.T.W. Hoffmann | geb. Königsberg in Preußen | den 24. Januar 1776 | gest. Berlin den 25. Juni 1822. | Kammer Gerichts-Rath | ausgezeichnet | im Amte | als Dichter | als Tonkünstler | als Maler | Gewidmet von seinen Freunden I. Akt Szene 1 (Trübes Licht – Petroleumlampe. Der Raum scheint menschenleer.) STIMME DES DOPPELGÄNGERS (fern) Hoffmann! (näher) Hoffmann? STIMME HITZIGS/HIPPELS Hoffmann ist verbrannt. STIMME DES DOPPELGÄNGERS Hoffmann – v e r b r a n n t? STIMMEN JOHANNAS/CHIARAS Hoffmann ist verbrannt. STIMME DES DOPPELGÄNGERS Hoffmann? STIMME HITZIGS Er hat sich selbst verbrannt. STIMME HIPPELS Der Brand in seiner Brust. STIMME KOREFFS Das Feuer in seinen Eingeweiden. STIMMEN HITZIGS/HIPPELS/ KOREFFS Die Hölle. Die Zeit. Der Krieg. STIMME JOHANNAS Nein! Nein! STIMME CHIARAS Die Ärzte haben ihn ins Feuer gestoßen. Die Bürger. Die Büttel. STIMME JOHANNAS Wir müssen ihn herausholen! ALLE STIMMEN W i r h o l e n i h n h e r a u s. STIMME DES DOPPELGÄNGERS (sich entfernend) Hoffmann! Hoffmann? (Kurzschluss behoben – helles, kaltes Licht aus einer Glühbirne an verschmortem Kabel; hinter dem Stehpult steigt Kustos Kratzer auf.) 3 4 KRATZER (mit Skript) Als Kustos dieses noch jungen Museums ist es mir denn auch eine besondere Ehre, an diesem Tage, in dieser Nacht den Bundespräsidenten, den Reichs minister für Volksaufklärung und königlich kaiserlichen Hofkaplan der Hoffmanngesellschaft Bam… (schrilles Läuten) STIMME DES DOPPELGÄNGERS (gellend) Das Theater fängt an! KRATZER (die Störung ignorierend) … in Bamberg und Bank direktor Schachweltmeister Honorarprofessor Primaballerina und Verteidigungsminister … PAPAGEI Bravo! Bravissimo! KRATZER (jetzt ohne Skript) Hoffmann zu ehren. Hier an der historischen Stätte seines Wirkens, dem früheren Kammergericht, jetzt neu geschaffenen Stadtmuseum, ist uns daher und seit jeher … STIMME DES DOPPELGÄNGERS Kratzer, du bist ja schon lange tot. KRATZER (irritiert) Ich muss mich zunächst für die kleine Verspätung entschuldigen – Kurzschluss, ich musste die Sicherung nachstellen, dann bin ich auf dem Korridor aufgehalten worden: unsere Toilettenfrau – hä hä ulkige Type, hockte da auf der Schwelle, stopfte ihre Pfeife, Türkin aus Tokat, und krächzt: ‚Hast D u die Schlüssel‘ – Ja, natürlich habe ich die Schlüssel, das ist eine geschlossene Veranstaltung für geladene Gäste, und hinter dem letzten wird abgeschlossen! STIMME DES DOPPELGÄNGERS Ich hab dich nur tot gekannt! KRATZER (lauter) Wenn einer austreten muss, bitte, dann schließ ich ihm auf, ‚jaʻ, sagt sie, ‚Du hast die Schlüssel – dann schließ uns auf!‘ Hä, hä, schließ uns auf! U n s! Wer ‚uns‘? Was ‚unsʻ? Das ist hier eine Gedenkstunde für Hoffmann – mal was von Hoffmann gehört? Gespenster-Hoffmann, Operetten-Hoffmann? STIMME DES DOPPELGÄNGERS Die Brühlschen Comödianten … KRATZER ‚Stecken Sie sofort Ihre Pfeife weg, Rauchen strengstens verboten!ʻ Und damit hab ich das Weibchen endlich verscheucht, wo waren wir stehen geblieben? Richtig – Hoffmann! Er bleibt, wie eh und je, der denkbar beste Patron dieses nun einer musealen Bestimmung gewidmeten Gebäudes … (Der Strom fällt aus.) Schon wieder! Nun nur keine Panik, meine Damen und Herren! Wir hatten hier gestern ein Schadenfeuer, ein ersatzpflichtiges Brandunglück – wir sind zum Glück versichert! Ich war gerade dabei, (reguliert die Petroleumlampe) Hoffmanns Bildnis zu reinigen – das kostbare Ölbild, von 1820, in dem der reife Richter und Dichter sich selbst, im charakteristischen braunen Frack, auf die fachmännisch grundierte Leinwand gebannt hat – der Kopf mit den Karfunkelaugen wächst aus weiß gefälteltem Jabot … STIMME DES DOPPELGÄNGERS UND DER JOHANNA EUNIKE Die Brühlschen Comödianten … KRATZER (wütend) Hören Sie nicht auf diese Störer! Das sind Eindringlinge, die sind von der Abortfrau hier eingeschleppt worden! ‚Brühlsche Comödianten‘! Ich kenne keine Brühlschen Comödianten! Das sind Freizeit chaoten, die hier Allotria treiben wollen. Straßentheater, oder so ähn lich, Agitation vom Lastwagen, Kel lerrevue, Pornoschau – alles fein! Zur rechten Zeit! Am rechten Ort! Aber nicht hier! Dafür hat das dem Staat, dem Steuerzahler zu viel Geld gekostet! Das ist hier kein Theater, wir sind hier ein Museum! Früher zwar das Kammergericht! Aber ein Gericht ist ja auch kein Theater, und ein Theater ist kein Gericht! PAPAGEI Bravissimo! KRATZER Wo waren wir stehen geblieben? Richtig – Schadenfeuer! Ich trug also all den Mauldunst und Mückenschiss mit meinem Lappen, Schicht für Schicht, Jahrzehnt um Jahrzehnt, Epoche um Epoche, ab! Hob das Antlitz des Verstorbenen – Hoffmanns! – aus dem trüben Tümpel des Vergessens – ein Brunnen ohne Nixen hä hä … PAPAGEI Brr! Brr! KRATZER Da kam der Herr von der Creditbank, ganz unangemeldet, fuchtelte mit seiner Zigarre herum, und eh ich michs versah, hatte er die Terpentinflasche umgestoßen, und hui Funkenflug und Feuerkreis! Es sprühte und loderte und explodierte ringsum, und ich rannte zur Tür, die war verriegelt, und aus dem Treppenhaus hörte ich ein hämisches Lachen – ‚hä hä, hä hä‘! – und rings – ein wahrer Holocaust! In meiner Not besann ich mich auf die zwei Küchenjungen, die in Chicago den Hotelbrand im Kühlschrank überlebten, ich zwängte mich also hinein – die Häppchen für die heutige Gedenkstunde waren schon darin aufgeschichtet! – und überlebte! (Pause) KRATZER Morgen bekommen wir einen neuen – dieser war eh nicht groß genug! (Pause) Das Inventar konnte zum Glück großenteils gerettet werden – sein Pariser Hammerflügel, gebaut von Erard, achtzehnhundert und vier, sein Wandschirm mit den fliegenden Katzen, seine Punschterrine, seine Callotschen Stiche, der geräderte Krankenstuhl, die Partituren, Relationen, Eigenschriften, Strickstrümpfe, Hüte, Handschuhe, Laternen, Perspektive, Tintenfässer, 5 Bild I | | Bild II 6 und nicht zuletzt – dieses Richtpult (klopft drauf ), von dem aus er über allerlei Diebe, Notzüchtiger und Betrüger den Stab brach – Hoffmann selber ist uns leider verbrannt! (Pause) Das einzig authentische, unersetz liche, das exotisch zigeunerhafte und doch auch manierlich steif leinene – das wohlgetroffene Kon terfei von eigener Hand – verbrannt! STIMMEN ALLER COMÖDIAN TEN Die B rühlsc he n C o m ö d i an t en … STIMME DER JOHANNA EUNIKE (ruhig) Wir holen ihn heraus. KRATZER (brüllt) Ruhe hier! (geht drohend zum Türloch, schwenkt die Lampe; Schatten an den Wänden; keine Eindringlinge zu sehen; Kratzer wieder ins Publikum). Ich gehe nur rasch, die Sicherungen nachstellen! (verhält vor dem Bilder rahmen) Hier sehen Sie selbst, was die Mordbrenner angerichtet haben! (reißt das Tuch herab). Leergebrannt! Ein schwarzes Loch! KRATZER Der Rahmen wenigstens ist noch erhalten, vielleicht dass ein geschickter Restaurator …? (zieht ein paar Leinwandfetzen herauf, dann aber resigniert) Nein – Hoffmann ist v e r b r a n n t ! (Kratzer ab. Hinter dem Rahmen, aufdämmernd im Krankenstuhl sitzt HOFFMANN.) STIMME DES DOPPELGÄNGERS Du kommst der Wahrheit nahe, Kratzer! Verpuppt im Feuer liegen wir, bis Psyche sich erhebt, die Schmach des Irdischen zurücklässt, und die Töne, die im Blut des Schmerzes erstarrten, leben auf und regen sich und sprühen wie funkelnde Salamander blitzend empor, und er vermag sie zu fassen, zu binden, dass sie, wie in einer Feuergabe zusammenhaltend, zum flammenden Bilde werden. (Ein Luftzug fährt in die Tücher über den Gegenständen; im offenen Käfig wird der Papagei, links im Vordergrund eine kauernde Frauengestalt freigelegt, die auf einer Kiste, umgeben von ein paar Küchenutensilien, kauert: Mischa.) (Schrilles Läuten) STIMME DES DOPPELGÄNGERS Das Theater fängt an! Szene 2 (Mischa hebt das Gesicht und beginnt an einem Strumpf zu stricken.) MISCHA (monoton) Gemahl meiniges, nämlich der Kammergerichtsrat Hoffmann, der Ernst, war mir immer eine Stütze gewesen, seit nun bereits zwanzig Jahren haben wir in einer fortdauernden, wahrhaft zu friedenen, glücklichen Ehe gelebt … PAPAGEI (diskret) Bravo! Bravo! MISCHA … wenn auch lange ohne Bett, auf Matratze wanziges, hat uns Gott doch Freude geschenkt und ein Kind wunderschönes, hat uns aber auch mit harten, schweren Leiden geprüft, und Kind wieder weggenommen, Cäcilia liebes, im kalten polnischen Winter eintausendachthundertsieben ist es uns weggestorben am Katarrhal fieber, wo ich allein bei den Verwandten war in Posen, derweil Gemahl meiniges lag bei Weibstück verdammichtes, süß schwatzendes, im honetten Berlin, hat nichts zu fressen gehabt und auf den Straßen Bildchen schmutzige verkauft … PAPAGEI Brr! Brr! MISCHA … haben wir alle dieses Prüfungen mit standhaftem Mute ertragen, auch das viele Umherreisen mit Vorreiter vor unserem Wagen, der die Laterne am Rock angebunden trug, und doch wurden wir umge schmissen und schlug es mir Loch schreckliches im Kopf, aber steht uns immer der heilige Antonius beiseite, der von Padua, nicht der in der Wüste, mit nackte Weiber abscheuliche und fliegende Katzen und Teufel furchtbare, wie sie allsamt der Ernst hat auf sein Wandschirm gepinselt, dass es die Nachbarskinder graust, wenn sie meine Blumen gießen! Hat er auch selber sich immer geängstigt mit seine Gedanken und Visionen, in der Nacht, wenn er nach mir schrie und hat geschlottert und geschrien … (Hinter dem Stehpult ist der Polizei direktor von Kamptz bedrohlich auf gestiegen, Hoffmann, darüber entsetzt, stößt den Bildrahmen von sich.) HOFFMANN Mischa! Mischa! da ist er wieder, der Erzfeind, der Kamptz, und will mich aufs Rad flechten, der verfluchte Knarrpanti, ruf mir den Hippel, wo ist er, der Erzfreund, hockt er denn immer auf seinen Gütern, bei seinen Bullenbeißern? Mischa! Mischa! MISCHA (ohne Emotion) So rief er nach mir, des Nachts, und stand ich auf und setzt’ mich zu ihm an den Wandschirm und hab gestrickt bis zum Morgengrauen, wo Gemahl meiniges mit Wuschelkopf seiniges war gesunken auf Papier, hat schwarz Klacks gemacht und Märchen wunderschönes. Bild III | Szene 3 (Aus dem Türloch herein: Staatsrat von Hippel, hohe Stiefel, Umhang, schreitet pompös zum Pult, wo ihn Polizei direktor von Kamptz bereits ungeduldig erwartet; beide tragen auffällig den roten Adlerorden.) KAMPTZ (scharf, bei Erregung stotternd) Sie sind spät, Herr von Hippel, ich müsste längst einer Sitzung des Censur-Collegiums p- p- p- präsidieren! 7 8 HIPPEL Halten zugute, Herr von Kamptz, ich bin trotz meiner langen Beine, im polnischen Schnee, im preußischen Schlamm, im Weltenrauch und Straßenkot und in den Korridoren Ihres Kammergerichts verschütt’ gegangen! KAMPTZ (in den Akten) Was nun den Antrag der Witwe Hoffmann betrifft und Ihre in dem mir gütigst mitgeteilten Pro Memoria ausgesprochene Ansicht, dass eine nachträgliche und zusätzliche Vergütung für das Wirken des verstorbenen … (rülpst) Pardon! HIPPEL (ins Publikum) Ich wusste, dass ich den Freund nicht wiedersehen würde, es waren bittere Momente! KAMPTZ … des Hoffmann; dass der Hoffmann, dass die Hoffmann eine Aufbesserung ihrer Rente wegen des Wirkens des Hoffmann in der königlichen ImmediatUntersuchungs-Comission wegen demagogischer Umtriebe nach der Ermordung des Geheimen Staatsrats K- K- K-K– PAPAGEI Kotzebue! Da Capo! Kotzebue! KAMPTZ (außer sich) Ruhe hier im Gerichtssaal! Ich lasse räumen, wenn hier nicht Ruhe herrscht! (Pause) HIPPEL Es waren bittere Momente, schon mehrere Abende hintereinander hatte ich den kranken Freund mit der Absicht besucht, ihn mit der Nähe meines Scheidens bekannt zu machen. HOFFMANN Hippel, Erzfreund, sprich für sie! Steh ihr bei! HIPPEL Er warf sich im Bette hin und her in schweren Krämpfen, als habe ihm der Schmerz die verlorenen Kräfte wiedergegeben. ‚Du darfst nicht reisen!‘ rief er und verweigerte mir die halb erstorbene Hand. KAMPTZ Gegen den Antrag der Witwe Hoffmann, um es k- k- kurz zu machen, würde ich mich unbedenklich und aufs bestimmteste erklären müssen. Der Satz ‚De mortuis nihil nisi bene‘ kann hier nicht in Anwendung gebracht werden. Der Antrag ist abgelehnt! HIPPEL Über diesen Toten, meinen ver storbenen Freund, haben nicht S i e mehr zu richten, das wird der Weltgeist, die Welt – PAPAGEI Bravo! HIPPEL (irritiert) Eine harte und gänzlich unbegründete Zurückweisung! KAMPTZ Eine angemessene und völlig gehörige Entscheidung! HIPPEL Der Verstorbene opferte seine Kräfte und Gesundheit im Dienste des Vaterlands! KAMPTZ Defunctus war als Anhänger auf rührerischer Verleger und Beschützer von Terroristen bekannt! HIPPEL Als Criminalrichter hat er alle Untersuchungen mit Umsicht und Scharfsinn durchgeführt! KAMPTZ Als Inquirent hat er verwilderte Professoren und verführte Studenten haufenweise exkulpiert! HIPPEL Er hat unnötige Tortur verhindert, wie es das preußische Landrecht vorschreibt! KAMPTZ Er hat unter Verletzung seiner Amtspflicht und der gebotenen Verschwiegenheit Institutionen und Persönlichkeiten des Staates zum Gespött gemacht! HIPPEL Alles nur ausgelassene Laune, erhöhter Nervenreiz im ersten Anfang seiner Krankheit! Er war sich keiner Schuld bewusst! KAMPTZ Keiner Schuld bewusst? Der schmutzige Säufer hat dies alles doch zur Unterhaltung seiner Weinhausgenossen in Szene gesetzt! HIPPEL Was meinen Euer Exzellenz? KAMPTZ Sie wissen sehr wohl, was ich meine – die Flohgeschichte, mit der er mich persönlich verleumdet hat! Hat er doch gar behauptet, ich stinke! HIPPEL (ungläubig) Euer Hochwohlgeboren stinken? PAPAGEI Brr! Brr! KAMPTZ Man halte sich die Nasen zu, wenn man in meine Nähe komme! (rülpst) Pardon! HIPPEL (vorsichtig nähertretend und schnüffelnd) Mir scheint, Sie haben sich die gute Nase meines abgeschiedenen Freundes doch zu sehr – zu Herzen genommen, und keinesfalls, so dünkt mir, sollten Sie die arme Witwe diese leidige Nasenaffaire noch entgelten lassen! KAMPTZ Nasenaffaire? Sind Sie von Sinnen? Eine Staatsaffaire, eine Verratsaffaire, eine Hochverrats affaire, die nicht nur in bösem Geruche, sondern im V-v-vverruche steht! Was nämlich seine Majestät von der Staatsdienerschaft erwarten kann, ist pflichtgemäße Treu und Ehrfurcht! Den Inculpaten Hoffmann aber hatten Leichtsinn und Eitelkeit, Schreibsucht und Gewinnsucht selbst um den geringen Grad von öffentlicher Achtung, den er noch genossen haben mochte, gebracht, ganz durch sein eigenes Verschulden! Die moralische Anrüchigkeit dieses Mannes unterliegt keinem Zweifel! Bild IV | 9 10 HIPPEL (geht auf Distanz) Ich gebe zu, dass es den leitenden Oberen pflichtwidrig erscheinen musste, wenn ein Criminalrichter im Weinhaus aus seinem Wirkungskreis plaudert, doch hatte er mir – schon auf dem Totenbette! – in die Hand versprochen, dass er der Welt durch einen anderen Wandel beweisen würde, welche Kraft über sich selbst noch in ihm wohnte – hätte es nur der Vorsehung gefallen! Freilich – zum roten Adlerorden hätt’s dann wohl doch nicht mehr gereicht! KAMPTZ Eben! Und was die so bedürftige Witwe angeht, so hat sie nach den mir hier vorliegenden Rechnungsbelegen noch vom Juli bis September achtzehn hundertzweiundzwanzig den vollen Gehalt ihres Gatten eingesteckt, danach wurde auf I h r Betreiben die Justizoffizianten-Witwenkasse angewiesen, der Hinterbliebenen jährlich zweihundert Reichstaler Witwenpension aufs pünktlichste auszuzahlen. HIPPEL Kärglich genug bestellt der Tisch, an Sonntagen gewiss kein Krammetsvogel im Topf! (Zwei Packer sind mit einem Karren erschienen, verladen Mischas Habe. Sie selbst sitzt hinten auf und wird hinausgerollt.) KAMPTZ Wohin zieht die Frau? HIPPEL Nach Polen, dort lebt ihre Nichte, dort ist auch das Grab Cäcilias, ihrer Tochter, hier in Berlin wär sie nur den Pressionen der Gläubiger ausgesetzt, den Gerüchten über den Wandel ihres Gatten. (Ein Feuerschein dringt aus dem Türloch.) KAMPTZ Und wo. zum Teufel, b-b- brennt es hier? HIPPEL (starr vor sich hinsehend) Atlantis, sein Atlantis … KAMPTZ Was? Wo? HIPPEL (sachlich) Warschau. Warschau brennt. Das Palais Mnischek, Hoffmanns Kulturpalast, er hatt’ es nach dem Schadenfeuer achtzehnhundertsechs auf Kosten der Aktionäre und seiner Majestät des Königs mit eigenen Händen renoviert und ausgemalt – die Flammen sind schon immer um ihn her gezüngelt – und e r, auf glühenden Balken balancierend, hatte seine Trickkiste stets gerettet, leider nicht sich selbst – er ist kein Salamander. PAPAGEI Bravissimo! KAMPTZ (ungeduldig) Schon damals ist er jedenfalls durch freche Caricaturen seiner Oberen übel aufgestoßen (rülpst), Pardon! Jetzt hat ihn nur der Tod vorm Zorn des Königs, vor der Strafversetzung nach Insterburg bewahrt, die Akte muss nun leider repo-po- poniert werden. (schlägt unwillig den Aktendeckel zu und versinkt hinter dem Pult.) PAPAGEI Bravissimo! Szene 4 HIPPEL (starr wie oben) Als ich ihn endlich von der Not wendigkeit des Scheidens überzeugt, reicht er mir doch noch seine Hand und sprach vom Wiedersehen und weinte bitterlich. Wir träumten ja, auch ohne viele Briefe zu wechseln, von einer Zukunft, die an e i n e m Orte uns vereinigt hätte – unzertrennlich! HOFFMANN (blickt, wie erwachend, auf ) Ist es wahr, dass meine Fresken verbrannt sind im Palais Mnischek? HIPPEL (starr) Im Concertsaal brachen die Wände, im Bibliothekszimmer die Regale, und die Bronzereliefs und Blattgeschlinge, Teufelsmonstren, Meerjungfrauen krümmten sich in der Glut, und mich selbst, auf einem Hunde reitend, sah ich, samt dem Adlerorden schwarz verkohlen – (sieht an sich hinunter) neckisches Conterfei! HOFFMANN Als ich Dich sehen wollte, auf Deinen Gütern, in Leistenau, fielen mich Deine blutgierigen Bullenbeißer an, zerrissen mir die Hosen, wenn nicht gar die Haut! HIPPEL (unbehaglich lachend) Oh einziger Freund, Du hörst doch noch, wie scharf ich sie zurückgepfiffen! HOFFMANN Ja, oben an der Treppe standest Du auf Deinen langen Beinen, ich hätte Stelzen gebraucht, um Dir und Deinen Rüden zu entwachsen! HIPPEL Dann aber lagen wir einander hochaufatmend in den Armen! HOFFMANN Keineswegs, ich musste, da Dein Pfeifen nichts gefruchtet hatte, mit meinem dicken Stocke um mich schlagen, und war dann wohl zu mit genommen, um in Deinem häuslichen Zirkel mich noch einzudrängen. HIPPEL Gewiss doch habe ich Dich damals meiner Braut vorgestellt! HOFFMANN Die ich aufs innigste hochachte und der Du nicht zumuten wolltest, meine Hosen zu flicken. HIPPEL (erregt) Ich hätte Dich nicht immer gastlich empfangen? HOFFMANN Die Fenster waren erleuchtet, aber Du hast die Lücke mir nicht gezeigt, wo ich, nachdem ich mich durch zwanzig grimmige Schlosshunde geschlagen, hätte stehen können. HIPPEL (kopfschüttelnd) Ich erinnere mich genau, wir hielten uns auf der Treppe umarmt! Minutenlang! 11 | Bild V 12 HOFFMANN Genau für fünf Minuten – aber nach I t a l i e n, nach I t a l i e n bist Du nicht mit mir gereist! HIPPEL Italien, ja, Italien, Venezia, Roma, Napoli, morire, vino rosso, tutti frutti – ah, zu spät! Finito! Es hat nicht sollen sein! PAPAGEI Da Capo! Da Capo! (krallt sich in Hoffmanns Schulter fest.) HOFFMANN Da Capo, Freund! Es fängt von neuem an! Zu spät ist nie! Spät ist es, ja, so spät, dass ich die Hähne krähen höre, den roten Hahn auf unserm Dach in Warschau, ich will den Malerschurz umbinden, das Gerüst besteigen – d i e s m a l soll kein F e i n d mir das Konzept verderben, und kein Feuer, kein Minister darf mir heut ins Handwerk pfuschen: Feuerfest das Glück, das Paradies, in dem für alle Platz ist, die noch wünschen können. Und selbst D u, trotz dicken Nebels um den Blick, wirst die Flamme sehn, die leuchtet, ohne zu verzehren, mein Atlantis hier im Hause! HIPPEL (perplex) Aber – Du bist an Händen und Füßen doch gelähmt und – tot dazu! Zum Glück – sonst schickt der Kamptz Dich ja nach Insterburg! HOFFMANN Der Kamptz, der Bluthund, der kann lange bellen – der Mond zieht weiter, nein – der Vicemond, denn bin ich noch verpuppt im Tod, so will doch schon ein schöner Schmetterling heraus und über schwarze Gründe rasen – ein Vicekopf, ein Vicekönig, und – sieh da! Ich hab’ vier Hände plötzlich wie der Floh! und kann mich mit mir selbst sehr fröhlich unterhalten! (Der Doppelgänger wächst aus Hoffmanns Schulter: es scheint, als säße im Rollstuhl ein Hoffmann mit zwei Köpfen.) HOFFMANN Da Capo, Theodor! DOPPELGÄNGER Al Fine, Ernst! HOFFMANN Vom Anfang DOPPELGÄNGER Bis zum Ende! HOFFMANN Die Schlussakkorde DOPPELGÄNGER Erinnern an die ersten Schläge des Allegros! HOFFMANN Wie ein gedämpftes Feuer! DOPPELGÄNGER Immer wieder in die Höhe lodert! HOFFMANN Das Verhängnis des Ahasver! DOPPELGÄNGER Das Geschick des ewigen Juden! HOFFMANN Lauf schon DOPPELGÄNGER Durchs Gewühl der Welt HOFFMANN Ohne Freude DOPPELGÄNGER Ohne Hoffnung HOFFMANN Ohne Schmerz DOPPELGÄNGER Ohne Bedauern HOFFMANN Da Capo DOPPELGÄNGER Al Fine HOFFMANN Durch diese unwirtbare DOPPELGÄNGER Trostlose HOFFMANN Einöde. (In diesem Vexierspiel löst sich der Doppelgänger von Hoffmann ab, ersteigt das Malgerüst vor der linken Seitenwand. Hoffmann bleibt, im Stuhl zusammengesunken, sitzen.) DOPPELGÄNGER (zu Hippel, während es tagt) Hier – Warschau achtzehnhundert sechs, h i e r fängt es an, Du musst jetzt mit mir kommen, wir wollen aufs Dach steigen unter die Wetterfahne, die ein lustig Brautlied spielt, weil der Uhu Hochzeit macht. Dort wollen wir ringen miteinander und wer den anderen hinabstößt, ist König und darf Blut trinken. HIPPEL Aber, Freund, ich kann nicht lang verweilen, denn ich bin es ja, der Hochzeit macht, die Braut sie wartet schon auf Leistenau, sechs hundertzwanzig Hektar wollen bewirtschaftet, die schweren Trakehnerpferde gestriegelt, die Schafe geschoren und sechstausend Hühner gefüttert werden, auch muss ich den Ertrag der Roggenfelder verdoppeln, die mäßig rentable Schnapsbrennerei anheizen und nicht zu vergessen – die Jagd! mit meinen treuen Knechten und Hunden, sonst nehmen die Wölfe und Eber in den Föhrenwäldern überhand … DOPPELGÄNGER (bedeckt die Wand mit Graffitis und Krakeln aus der Sprühdose) … und zu Königs Geburtstag Frei bier für die Knechte und Sekt für die Hunde, und deine pausbäckige Gattin kocht die Brombeeren ein, oh Freund! Das kann dein Ernst nicht sein! Hier ist der wahre Meierhof! Hier im Palais Mnischek! Wir müssen nur neue Fenster und Türen einsetzen und die Fassungen der Wandregale vergolden, sieh: die ägyptischen Vogelgötter, Phönix, die Meerfrau und Warschaus Wappen, und hier – du selbst, wie du auf einem Köter durch die Palmenwälder reitest, das Nashorn und den Tiger jagen … HIPPEL Großartig, Freund, du malst ja wie der Teufel mit dem Sauschwanz, doch auch ich bin kreativ! Wenn ich überm Dampf der Braupfanne stehe, dass mir im Dunst und Wohlgeruch die ganze Welt im Morgennebel steht … 13 14 DOPPELGÄNGER Der dicke Nebel um den Blick – Schnaps und keine Ideen! Erhabener Krautjunker, vaterländischer Wolfsjäger, komm nach Warschau, lass uns Königs Geburtstag im Konzertsaal feiern, ich dirigiere eine Beethovensche Symphonie! Und an den Wänden werden die Feuerlilien ihre Kelche öffnen, die Affen wer den mit den Salamandern um die Wette tanzen! HIPPEL Luftschlösser alles, Blendwerk! DOPPELGÄNGER Nein, vom Staate subsidiert, ein öffentlich verbriefter Kunstverein, das Sinnenglück, das Geisterglück befördernd. HIPPEL Du weißt, ich bin nicht musikalisch, die schmachtenden Pinseleien am Clavier, sie machen mich schwindlicht und krank. DOPPELGÄNGER Du siehst es nicht – das Reich der Poesie! HIPPEL Mehr doch ein Spielcasino … DOPPELGÄNGER Ein Spielcasino, wo die großen Toten Einkehr halten: Der Ritter Gluck mit seinem Degen, Mozart mit dem Glockenspiel, der Böhme mit der weißen Lilie, der Novalis mit der blauen, und Jaques Callot und Bosch mit allen Kreaturen des Antonius … (der Kühlschrank öffnet sich: die Versuchung des Antonius in phosphorischem Licht) HIPPEL … ein Mausoleum also! DOPPELGÄNGER Ein Paradies, wo brünstige Sylphen, Nymphen, Schlangen Dich umschlingen und erleuchten! HIPPEL Ein Bordell, mir wird ganz schwulicht … DOPPELGÄNGER Eine Bibliothek, die flüsternd Dich wie Waldesdämmer einschließt! Und in der Mitte auf dem Marmortisch ein Punschtopf! HIPPEL Ja, ein Weinhaus! DOPPELGÄNGER Nein, ein Tempel. Und falls der Schnapsdunst jemals von Dir weicht, wirst Du die weiße Lilie schauen, die aus Schmerz und Blut und Weltenfeuer mir erwachsen ist! HIPPEL Du täuschest Dich, mein teurer Freund, die zügellose Phantasie wird Dich noch ganz vergaloppieren! DOPPELGÄNGER Und wenn Du nicht das Fürchten lernst und Staunen, nicht hören, sehen, fühlen, schmecken willst, dann wird der graue Papagei auf Dich herunterfahren und Dir’s Genick zerhacken, dass das feurige Blut aus Deinem Halse stürzt! PAPAGEI (flatternd) Bravo! Bravissimo! Mordio! HIPPEL (zurückweichend) Eine Folterkammer! Dein Atlantis? Ich bin ja Deine seltsamen Launen gewöhnt! Ach, einziger Freund, Du musst mehr Würde zeigen, Deinen Wandel ändern! Komm zu mir nach Leistenau, wenn nächstens Dich der Weg vorbeiführt, und wenn Du meinen Rat brauchst, oder Geld, schreib mir getrost, adieu, der Postillion bläst schon zum dritten Mal! (HIPPEL ab.) DOPPELGÄNGER Ah, wär ich nur ein Wolf in Deinen Föhrenwäldern, ich würd in Deinen Schafsstall fahren! Deine rotznäsigen Erben das Fürchten lehren! (schreit ihm nach) Wann fahren wir nach I t a l i e n ? HOFFMANN (sich aufrichtend, mechanisch) Du kannst mich nicht verlassen, das kannst Du nicht, mein einziger Freund. (Der Kühlschrank schließt sich.) Szene 5 (Von draußen, von der Straße, höhnische Rufe der Gassenjungen:) NICHT SO HITZIG, ITZIG! ITZIG, NICHT SO HITZIG! (Durchs Türloch herein der Collegien assessor Itzig, Zylinder, Zeitung, Schirm; er wischt sich die Stirn, etwas kurzatmig, aber nicht verstört; er gewahrt sofort den Doppelgänger auf dem Gerüst, sieht aber nicht Hoffmann im Krankenstuhl.) ITZIG Puh, es regnet schon wieder, und die Preußen haben die Schlacht bei Jena verloren, Sie aber malen da oben, als stünde nicht Napoleon vor den Toren! DOPPELGÄNGER Die Franzosen werden uns nicht fressen, Itzig, die wollen uns ja befreien! PAPAGEI Hoch Napoleon! ITZIG Wirst du wohl …! Stopfen Sie doch dem Unglücksraben den Schnabel, die Preußen sind ja noch nicht abgezogen, und wollen gefälligst erinnern, Herr Collega, den Schluss termin in der Mordsache des Tabak spinnergesellen Schmolinsky! PAPAGEI Nicht so hitzig! (Pause) HITZIG (hat sich geduckt) Es ist der Pöbel auf den Straßen, den ich fürchte, jetzt in der Zeit des Übergangs, der grausamen Stille! Sie bewerfen uns mit Schlamm, die Kaufläden sind geschlossen, die anständigen Leute bleiben auf ihren Stuben, die Wachen sind schon abgezogen mit Sack und Pack, und die Pragaer Brücke brennt! DOPPELGÄNGER Unter Napoleon können Sie auch Ihren honetten Namen ablegen, wenn er Ihnen zu eng um den Hals wird, Itzig! ITZIG Ach Hoffmann, im Namen meiner Väter, wie soll ich mich denn nennen? | Bild VI 15 16 DOPPELGÄNGER Wir können ja tauschen, oder Sie nennen sich Schnellpfeffer? ITZIG Schnell …? DOPPELGÄNGER (schneidet mit einem Messer ein fenstergroßes Loch in die Wand) Ja, die Mordtat des Schmolinsky ist mir gegenwärtig, er hatte unter der Brücke seine Geliebte mit einem frisch geschärften Messer angefallen, ihre eine tiefe Stichwunde beigebracht, wobei die Haupteingeweide und besonders die Leber bedeutend verletzt … ITZIG Was machen Sie denn da oben? DOPPELGÄNGER … und absolute Tödlichkeit herbeigeführt wurde – ich schaffe mir Luft, Herr Collegienassessor, Sie lesen die Zeitung und lassen sich mit Schlamm bewerfen, ich will von sicherer Warte erspähen, was auf den Straßen Warschaus in Rauch und Regen sich heute tummelt! (zieht ein Perspektiv aus der Rocktasche.) ITZIG Aber das Messer, Hoffmann, das Messer. Das ist ja das Corpus delicti in der Mordsache Schmolinsky!? DOPPELGÄNER Ja, mit diesem schönen Horngriff, nicht wahr, und eine ganz ausgezeichnete Klinge! ITZIG Sie durften eigentlich das instrumentum criminis nicht einfach an sich nehmen! DOPPELGÄNGER Es regnet draußen in der Welt, wir werden bald mit Gondeln durch die Straßen fahren – Sie natürlich nicht, Itzig. Das wäre Ihnen zu exotisch, und die Scheu vor dem Ungewöhnlichen ist stärker auch als Ihre Furcht, grausam zu ersaufen, obwohl wir mit dem Pöbel besser fertig würden – Sie mit der Ruderstange und ich mit dem Schlachtermesser in der Faust – da schnopert ja auch schon eine ganze Herde Schweine im Schlamm, und sieh! was kommt denn da? zierlich angetrippelt? zwei Colombinen, Carneval ist heut, und es spritzt aus den Pfützen, die kleine mit dem Trödelkarren und die andre mit dem Regenbaldachin, und beide kugelbrüstig … ITZIG Herr Regierungsrat, es wird nun aber allerhöchste Zeit für den Termin! Das Urteil, das wir zu fällen haben, ist heikel, diese Causa geht schon in die zweite Instanz, es geht um Leben und Tod! DOPPELGÄNGER (Commedia dell’Arte-Figuren – mit phallischen Attributen wie in Callots ‚Balli di Sfessania‘ – paarweise auftauchend) … stracks herein, Ihr Schönen, Zeit für den giocosen Maskenball, für Fleischeslust und Trommelwirbel, so kommt nur in mein Schloss, naht Euch, Ihr phallischen Gestalten mit euren reizenden Gespielinnen – Cucorogna, Mestolino, Cerimonia, Smaraolo, Scaramucia und Fricasso … ITZIG (erregt) Hoffmann, steigen Sie sofort herunter, wann werden Sie endlich zum gesetzten Manne? Nehmen Sie Ihre Pflichten wahr!! DOPPELGÄNGER (wie in Trance) … Pulciniello e Lucretia, Spessa Monti, Bagattino, Bombardon und Cocodrillo – hier! (lässt das Messer fallen) das Corpus delicti, schneiden Sie sich nicht in den Finger damit! (Während Itzig sich nach dem Messer bückt und der Doppelgänger über ihm in seinem Singsang fortfährt, ist Hoffmann plötzlich von hinten herangetreten und schlägt Itzig auf die Schulter.) DOPPELGÄNGER Bello Sguardo e Coviello, Cucurucu Fritinello, Franca Trippa e Fracasso – HOFFMANN Gehen wir, Itzig, es ist nun einmal die Strafe für meine vielen Sünden, dass ich in den Kerker zurückmuss, wie der verwöhnte Stubenvogel, der im Freien seine Atzung nicht mehr zu finden weiß. ITZIG (verwirrt) Da sind Sie ja herabgestiegen, wie ein flinkes Wiesel, doch ist es ja wirklich ein unaufschiebbares Geschäft! (Sie gehen nach links ab.) Szene 6 DOPPELGÄNGER – – Babeo e Cucuba, Scapino, Zerbina, Cicho Sgarra e Francisco Riciulina e la Vita – – (Comedia-Figuren ab. Von rechts zwei Columbinen, schwarze Masken; die Kleinere zieht einen von alten Kleidern überquellenden Karren hinter sich her; der Doppelgänger springt vom Gerüst.) DOPPELGÄNGER Stracks herein, Ihr Schönen! Wo ist Euer Arlecchino, habt Ihr ihn begraben unter Euren Röcken? (Er wühlt in den Kleidern.) CHIARA Begraben und erstickt! DOPPELGÄNGER Erstickt? Den Salamander unterm Rock? Da atmet der erst auf! Und Du hast ihn gefangen und willst ihn nicht mehr freilassen (hascht nach ihr, sie erklimmt das Gerüst.) MISCHA (die Maske abreißend) Ernst, gleich hörst du auf mit Possen mickrige, ist doch die Mamsell Chiara aus der Fretagasse! 17 Bild VII | 18 DOPPELGÄNGER (ernüchtert) Ah, D u bists, Mischa, und was soll der Aufzug? Mamsell Chiara, kenn ich nicht. MISCHA Die Putzmacherin – DOPPELGÄNGER Sie sieht mir mehr wie ein Torpedo aus, ein Zitterrochen! CHIARA (die Graffiti studierend) Pass auf, er ist galvanisch, teilt elektrische Schläge aus und lähmt den Salamander! DOPPELGÄNGER Nur wenn der Fisch den Lurchen fressen will, Mamsell! MISCHA (leise) Sie stammt von die Zigeuner her, wie D u ! DOPPELGÄNGER Und kennt sich mit den Fischen aus wie eine Wasserfrau – CHIARA Fressen? Gerne, ja, im kühlen Wasser der Weichsel unter der Pragaer Brücke! MISCHA Sie brennt die Brücke große, Ernst, hast Du gesehn, und Preußen, Russen all verschwunden! CHIARA Madame, hat Ihnen Ihr Gemahl nicht etwas Glück versprochen? MISCHA Du hast mir neues Kleid versprochen, heut ist die Masquerad’, Redout, und Mischa all in Lumpen! DOPPELGÄNGER Was soll die Columbine kosten? MISCHA Dreißig Gulden – Kleid und Stiefeln – DOPPELGÄNGER Dreißig Gulden? Hab ich ein Fortunatussäckel? Welch verwünschter Hochmutsteufel ist in Dich gefahren, ich muss ins Gericht! MISCHA Hast du auch Kindchen gefüttert, Cäcilia kleines? DOPPELGÄNGER (wirft sich entsetzt in Chiaras Karren) Hier liege ich – erstickt, erschlagen und begraben unter achtundzwanzig Voluminibus Conkursakten, von dem Totschläger ganz zu schweigen – und Du kommst mir mit dem Kindskram! MISCHA (hat die Wiege aufgedeckt; Quäken.) Ah, du Monstrum, du Vampir! hast Kindchen deiniges verdarben lassen! (Holt die Milchflasche aus dem Kühl schrank, steckt sie in den Punschtopf und facht die Flamme darunter an) CHIARA (stopft ihr Pfeifchen) Darben lassen, Amadeus? Darf man Kindchen darben lassen? DOPPELGÄNGER (sich aufrappelnd) Ich muss zum Gericht, ich heiße Ernst Theodor Wilhelm, bitte, sich das Passende auszusuchen! MISCHA (das Kind fütternd) Willst du nicht füttern Kindchen, kannst du wohl zahlen dreißig Gulden – DOPPELGÄNGER (schreit) Ich bin ans Treibrad der Justiz gefesselt, ich hab keine Hand zum Zahlen frei, da wartet schon ein Mörder – CHIARA Mörder spielen, Messerstecher unter der Brück’ ans Rad gefesselt! DOPPELGÄNER Dir stehen Masken nicht, und das Gezwitscher und Gezwacke auf den Bällen, dazu bist du zu real, und überhaupt – ich selbst vergnüge mich nur auf Lumpenbällen. Und wenn Dir Deine Lumpen nicht genügen, drapier Dich aus dem Karren da, mit den gestohlenen Fetzen! CHIARA Die Fetzen, ja, Madame, die Fetzen! DOPPELGÄNGER Die können ja nicht teuer sein, wenn man den Polizeischutz abzieht, den ich hier gewähre? CHIARA Drehn Sie sich vor ihm, es wird ihn so erhitzen, dass ihm das Geld wie eine Feuergarbe aus dem Beutel sprützt! (Hinter dem Stehpult steigen Hoffmann und Itzig in Richterrobe herauf; während sie (rechts) den Mordfall Schmolinsky beraten, wird (links) der Doppelgänger, schon im Abgehen begriffen, durch Mischas Anproben festgehalten: sie hat den Bildrahmen als ‚Spiegel‘ an die Wand gestellt und wechselt die Kleider hinter dem Wandschirm; Chiara, rauchend, scheint den Doppelgänger hypnotisch fernzusteuern.) MISCHA Willst nicht den Casper spielen, bin ich auch nicht Colombine – HOFFMANN (das Messer betrachtend) Ging also zu der Brücke und schärfte unterwegs das Messer an einem Feldstein. DOPPELGÄNGER Ich geh jetzt aufs Gericht. ITZIG Steckt’ es in seinen Rockärmel, um es bei bequemer Gelegenheit zur Hand zu haben. MISCHA (hinter dem Wandschirm hervor in engem Kleid und Federhut) Spanisch – (Sie blättern in den Akten.) CHIARA Atlasseide! MISCHA Ärmel geschlitztes, Spitzen wunderschöne! HOFFMANN Als Kind hat er die Blattern überstanden – ITZIG Später bekam er einen venerischen Tripper – HOFFMANN Nervenfieber, Krätze, Hämorrhoiden – (Der Doppelgänger sieht zu, wie sich Mischa vor dem Spiegel dreht.) DOPPELGÄNGER Ich hör ihn schreien, den Strauß, dem diese Federn entrupft! ITZIG Von blindem Trieb, von automatischem Drang besessen – 19 20 DOPPELGÄNGER Ganz recht, der Casper braucht nur e i n e Colombine! (Mischa, hinter dem Wandschirm, mit neuem Aufputz hervor.) HOFFMANN Und nach vollbrachter Tat ganz reuelos und ruhig. ITZIG Wollust und Ausschweifung haben sein Nervensystem geschwächt und abgestumpft. MISCHA (im Empirecostume) Lange Schlepp’ wie die Frau Bankdirektor – CHIARA Feines Musselin? HOFFMANN Das Motiv der Tat ist nicht ermittelt – DOPPELGÄNGER (gehässig) Bleibst ja nur an allen Möbeln hängen – ITZIG Sie war schwanger. DOPPELGÄNGER – Madame Recamier mit Entenfüßen! HOFFMANN Und er hatte Schulden – CHIARA (stößt mit nacktem Fuß auf seinen Kopf hinunter) Still, Du Lurch, Du mordest sie! (DOPPELGÄNGER zuckt zusammen, kommt nach vorn, greift sich mit beiden Händen ins Haar) HOFFMANN – konnte auch nicht schlafen, und versichert wiederholt, dass er die Getötete aufs Zärtlichste geliebt! DOPPELGÄNGER Will der (sie blättern in den Akten.) Arlecchino eine a n d r e Colombine, und aus hundert Gründern der Alltäglichkeit seiner Lieb’ den Garaus machen! (Er schleicht katzenhaft zum Wand schirm, hinter dem Mischa, wieder als Colombine hervorkommt.) ITZIG Fleischeslust in Mordlust übergegangen! HOFFMANN Oder amentia occulta, der partielle Wahnsinn, den eine fixe Idee erzeugt? ITZIG Man könnte den Inquisiten bei ausgemachter Schwärmerei unter besondere Aufsicht stellen und zu bestimmten Zeiten öffentlich züchtigen lassen – HOFFMANN Dies kann hier nicht in Anschlag kommen, vielmehr muss wider den Inculpaten die ordentliche Strafe des Mordes eintreten: Paragraph achthundertsechsundzwanzig: Das Rädern von oben herab – DOPPELGÄNGER (fährt herum und zerreißt die Parallelität) Ha, Brüderlein, aufs Rad willst Du mich flechten, die Knochen mir im Leib zerbrechen, die Leber, Nieren, Hoden mir zerquetschen, den Brustkorb, dass die Augen mir blutig aus den Höhlen springen – das wirst Du mir bereuen, Brüderlein, das wird Dir leid tun! (Pause.) (Hoffmann und Itzig haben nichts gehört und stoßen ihre Akten zusammen; der Doppelgänger jagt das Gerüst hoch, zieht seinen Beutel und schüttet den Münzinhalt in Chiaras Schoß) DOPPELGÄNGER Dreißig Gulden, Mademoiselle, zählen Sie’s nach, wir nehmen Kleid und Stiefel. CHIARA (erhebt sich wie im Traum – die Münzen fallen herab – und ruft zu Mischa hinunter) Madame, die Befreiung ist nahe! ITZIG Das wär’s für heute. Gehen wir? HOFFMANN Ich muss wahrhaftig noch an Hippel schreiben, doch meine Frau wird darauf brennen, Ihnen ihr neues Kleid zu zeigen für den Maskenball, es hat mich dreißig Gulden gekostet, mit den Stiefeln! ITZIG Immer spendabel, immer splendid, der Herr Regierungsrat – (versinkt.) Szene 7 (Chiara ist jetzt vom Gerüst geklettert und sammelt die Münzen auf; der Doppelgänger kauert oben und nimmt tiefe Schlucke aus einer Taschenbouteille; das Kind schreit, und Mischa, um es zu beruhigen, singt ein Lied zur Guitarre; Hoffmann schreibt am Stehpult einen Brief an Hippel.) MISCHA Cilska, hörst du, Befreiung! Brüll nicht! Geh ich sing Dir was vom Burra, Burra, Burra. Burra Burra Burra dort, Wagen und schön Schuh sind fort, Stecken tief im Sumpf, Pferde all ertrunken, Burra, Burra, Reiterknecht, Warum fährst Du auch so schlecht – (ferner Kanonendonner) HOFFMANN (schreibt) Teurer, einziger Freund, wann reisen wir, hier bricht der Krieg aus, aber in Italien wird es ruhig sein – (Chiara hat ihre Münzen aufgelesen; der Doppelgänger hebt fragend die Flasche, reicht sie ihr hinunter; sie hebt fragend die Pfeife, klettert zu ihm aufs Gerüst zurück; sie sitzen etwas erloschen, Seit bei Seit, reichen einander wechselseitig Pfeife und Flasche. Eintritt Itzig.) ITZIG Ei, wie herrlich – wie prächtig! Das n e u e Kleid – ganz nach Ihrem Wuchse geschnitten – ehm – fast hätte ich Sie nicht erkannt, Columbine mit Musike, ja, wo ist denn unsre kleine Cäcilia? Tsi, tsi, tsi! Hier von Onkel Isaak! Tsi, tsi, tsi! (Hält eine Puppe in die Wiege; das Kind schreit) Zu hart gewickelt, liebe Frau, das Kind kann ja nicht atmen! MISCHA (nimmt es auf den Arm) Puhh! Puhh, hat ja nur die Hosen voll – 21 22 ITZIG (sich abwendend) Ganz die Mama, nicht wahr? Es kränkt ihn hoffentlich nicht? MISCHA Mein Mann hat’s darben lassen. Ungeheuer vergessliches, malt an die Wände Tag und Nacht und scharmutziert mit die Weibsbilder. (Erst jetzt sieht Itzig betroffen das stille Paar auf dem Gerüst.) ITZIG Da ist er doch noch vor mir aus dem Amte zurück –? Ich hatte nur die neue Zeitung – (entfaltet sie) so weit sind wir ja nun vom Kriegstheater nicht mehr entfernt! (rollt sich den Stuhl an die Rampe.) Die Franzosen haben die Schlacht bei Jena und Auerstädt gewonnen, der General Tauentzien hat ja seit dem Alten Fritz nichts mehr dazu gelernt, er treibt noch immer seine Grenadiere in geschlossener Staffel vor, der General Grawert tut dasselbe, und die Sachsen bleiben müßig auf dem Flohberge stehn! Werden natürlich umgangen und gefangen! PAPAGEI (erwachend) Bravo! DOPPELGÄNGER Potz Tausend, mon ami, Napoleon wird Sie zum General machen, trotz Ihrer krummen Nase, général Schnellpfeffèr! ITZIG Statt incohärente Späße zu machen, sollten Sie daran denken, wie Sie Ihre Familie durch diese verhängnisvolle Zeit navigieren wollen! DOPPELGÄNGER Das gibt sich alles – die Napoleons kommen und gehen – ITZIG (noch in der Zeitung) Da hat er tatsächlich schon eine Schlacht verloren (kichernd) – gegen Mälzels Schachautomaten, der hölzerne Türke schlug ihn in dreizehn Zügen. CHIARA Er hätte mir das Schlachtfeld überlassen sollen. DOPPELGÄNGER Noch ein verhinderter General – général Torpedo! (Kanonendonner, ferne Tanzmusik.) ITZIG (weiter in seiner Zeitung) Berlin ist schon besetzt, der König ist geflohn, und die Milhaudsche Avantgarde, der Vortrab der Muratschen Reiterei hält auf die Weichsel zu, die Preußen haben die Pragaer Brücke in Brand gesteckt! (Die Packer rollen den Hammerflügel herein.) 1. PACKER Ihre Drahtkommode, Herr Regierungsrat! 2. PACKER Der Hammerflügel aus Paris! 1. PACKER Solides Mahagoni (klopft dagegen – dröhnendes Echo) 2. PACKER Klingt himmlisch! (hackt ein paar Akkorde) 1. PACKER Und macht höllisch durstig – nämlich das Geschlepp! (Der Doppelgänger erhebt sich sprachlos) ITZIG (faltet die Zeitung zusammen) Wussten Sie, dass die Guillotine eigentlich von einem deutschen Klavierbauer konstruiert wurde? Aber was schwatze ich – MISCHA (am Kühlschrank) Weißbier, berlinisches, Schinken polnisches, hat schon so lang darauf gewartet! ITZIG Schade, dass meine Frau nicht hier ist – CHIARA Amadeus! Amadeus, spiel uns was! Schließ uns den Orkus auf, geh uns voraus, mach uns lebendig, dass wir an unsren Schöpfen uns aus diesem Sumpf herausziehn, diesem Schlamm, beweg die Hebel des Entsetzens und der Lust und lass uns nicht ersticken in den Kammern, in den Folterkammern der Philister, nicht verderben und in unserm Durst verbrennen! (Der Doppelgänger geht zum Flügel, schlägt den Deckel auf, zieht einen Stimmschlüssel und windet eine abgeschnurrte Saite auf –) HOFFMANN (an Hippel schreibend) – inzwischen ist mein Atlantis hier komplett, die Fresken sind vollendet, die Fenster werden morgen eingesetzt, und am Himmelfahrtstage habe ich mir den neuen Hammerflügel ins Bibliothekszimmer stellen lassen, die unaufgelösten Dissonanzen in meinem Inneren schrien nach Erlösung, und schlangenzüngige Septimen, ein Eldorado freundlicher Terzen wallten auf – was sonst in mir verschlossen, geht, wenn ich für meine Freunde phantasiere, stark und mächtig wie ein Feuerstrom aus mir heraus – (Der Doppelgänger setzt sich zurecht und spielt – z. B. das Allegretto aus der Sonate F-Dur, op. 54, von Beethoven – Rückansicht der Lauscher-Gruppe à la Caspar David Friedrich; durchs Eckfenster schauen Bürger und Masken herein; auf Zehenspitzen treten Tänzer der fernen Redoute hinzu; für ein, zwei Minuten – bis etwa zum ersten Doppelstrich – herrscht nur der warme und volle Ton des Hammerflügels.) HOFFMANN (an Hippel) – bald wurde ich aber in die Lage von Hogarths zornigem Musicus versetzt; denn dicht unter meinem Fenster entstanden zwischen drei Mehlweibern, zwei Karrenschiebern und einem Schifferknechte erkleckliche Differenzen – (Stimmen) – wozu, von mächtigem Instinkt getrieben, die Hunde der ganzen Nachbarschaft bellten und heulten – (Hundegebell – Und in der Folge erhebt sich in mächtigem Crescendo der STURM DER GESCHICHTE: Glockengeläut, Pauken, Tanzmusik von der Redoute, Schweinequiecken, Pferdegetrappel, Geschrei: ‚Die Franzosen!‘ – Die Franzosen kommen!‘ Gewehrfeuer, Kanonendonner, Rufe: Bild VIII | 23 ‚Allons!‘ – ‚En avant‘ – ‚L’ennemi!‘ – ‚Vive l’Empereur!‘, Stuka-Heulen, Bombeneinschläge, Panzerrasseln, Marschtritt, Hetzstimmen politischer Führer, der PAPAGEI wird hysterisch: ‚Hoch Napoleon!‘ – ‚Da Capo!‘- ‚Bravo!‘‚Heil!‘ ‚Heil Hitler!‘-‚Bravissimo!‘‚Mordio!‘- ‚Heil Napoleon!‘ Verstörte Passanten und Masken nehmen im Palais Mnischek Zuflucht; dann bricht plötzlich die Soldateska der Milhaudschen Avantgarde herein: Panik – Mischa rettet ihr Baby, Chiara ihren Karren, alle fliehen, der Raum wird leergefegt, der Doppelgänger wird von zwei Grenadieren gepackt und nach vorne hinweggestoßen. Danach: Stille, in der man nur das ferne Prasseln der im Feuer zusammenstürzenden Pragaer Brücke hört.) Szene 8 (Hoffmann, vom STURM DER GESCHICHTE unberührt, schließt den Brief an Hippel ab.) 24 HOFFMANN Warschau, den vierzehnten Februar achtzehn hundert und sieben. Ewig Dein Hoffmann (Sand und Siegel.) (Mit hallenden Schritten herein der Generalquartiermeister Napoleons.) DARU Ah, voilà! Monsieur –? HOFFMANN Hoffmann. DARU Eh bien – Berüf? HOFFMANN Regierungsrat am preußischen Gericht. DARU Ah, non! Non-non-non! Preußen ist perdu, die Regierung bin ich, das Gericht ist aufgelöst. Er ist entlassen. HOFFMANN (bestürzt – und erfreut) Dann kann ich ja die Conkursakten verbrennen! Sind die Kerker schon geöffnet? DARU Ist Er Pole? HOFFMANN Nein. DARU Voilà! Das neue Gericht besteht aus Polen! Calmüque? Zigeunähr? HOFFMANN Aus Königsberg, Herr –? Wie war der Name? DARU Darü! HOFFMANN Beruf? DARU Nanü! Nanü! Was hat Er hier überhaupt zü süchen? Das Palais ist für den Kaiser requiriert! Ich zeige Ihm die Tür mit meiner Stüfelspütze – d a s ist mein Berüf! (Ein Luftzug erhebt sich, Hoffmann schauert zusammen.) HOFFMANN Sie haben den Horaz übersetzt, nicht wahr – im Nebenberuf? DARU (geschmeichelt) Abstrüs, abstrüs – für einen Freund des Volkes und Revolütionär! Horace – das ist nicht für den Pöpel. Aber in dieser großen Zeit kann man nicht nur den Müsen dienen! Der Bauch fühlt auch sein Recht! HOFFMANN Der Bauch? DARU Die Grande Armee will speisen, gürgeln, Kühe, Hühner, Fässer, Kisten. Gülden, Dükaten, Contribütionen, Contribütionen, Contribütionen! Absürd – ein Mann von meiner Statür, von meiner Cültür – Odi profanüm vülgüs! – und müss dem Imperator seine Steuern eintreiben! HOFFMANN Das ist Ihr – Hauptberuf? DARU Ein F l ü c h ist das! Die Sachsen, Preußen, Polen – sie verflüchen mich! HOFFMANN Ihr Kaiser wird es Ihnen lohnen!? DARU Er ist zü ünrühig – er lässt mich nie in Rühe! Kaum ist er im Quartier – schon müss ich arrangieren, arrangieren! HOFFMANN Und – was arrangieren Sie? DARU Paraden, Amouren, Soireen. HOFFMANN (aufmerkend) Soireen? Musikalische Soireen? DARU Naturellement – Soirees musicaux. HOFFMANN (vorsichtig) Dieser Palast war exklusive musischen Zwecken gewidmet. DARU (um sich blickend) Deliziös! Die Decoration! Confüs, bizarre! Wer ist der Artiste? (auf die ‚Fresken‘ zeigend) HOFFMANN Ich selbst – DARU Er dilettiert auch in den schönen Künsten, spielt Er auch das Clavecin? (hinüberdeutend) HOFFMANN Bevor Ihre gefräßigen Grenadiere mich dabei störten – – DARU C’est la guerre, Monsieur Offmahn! Krüg ist Krüg! Er participiert dafür an der Historie! Weltgeschüchte! Global! Der Kaiser befreit Europa! Auch Zigeunähr und Jüden! Gloire! Victoire! Welch Spectacle! Die Schlacht von Jena! Napoleon, le petit Corporal, recongnosziert seine Garden! Fatal! Phänomenal! Kennt Er Monsieur Göht? HOFFMANN Goethe, doch ja! DARU ‚Monsieur Göth!‘ ruft der Kaiser, ‚Monsieur Göth, was haben Sie es immer mit dem Schücksal? die Politüque ist das Schücksal!‘ HOFFMANN Und was hat Goethe gesagt? | Bild IX 25 26 DARU (beiläufig) Monsieur Göth? Er hat sein Compliment gemacht. Die Politüque i s t das Schücksal, und der Kaiser ist die Politüque! Ünd nach der Parade, beim Cognac rüft Monsieur Egel aus Jena: ‚Wünderbare Empfündung, sölch Individüüm zü sehen, hier, auf einem Pünkte concentriert: Napoleon – er ist der Weltgeist zü Pferde!‘ HOFFMANN Und wer ist der Herr Hegel? DARU (beiläufig) Ein Philosoph aus Stüttgart, der an die Vernünft in der Geschüchte glaubt. (Pause) HOFFMANN (leise, aber bestimmt) Als ich vorhin auf dem Hammerflügel spielte, war mir, als spannten sich die Saiten unsichtbar durchs Universum, die innere Stimme weckend in jedes Freundes Brust, mir war, als rührte der Welt geist selbst die Saiten – nicht der zu Pferde, gewiss, nicht der historische! Aber – was ist eine Weltgeschichte wert, die eine Sonate unterbricht? (Pause.) DARU Eh bien, Er kann seine Sachen nehmen und in die Mansarde ziehen. Ich werde meine Füttiche über ihn halten. Und abends – auf der Soiree, wenn dann der Kaiser dazü Ordre gibt – wird da der Weltgeist dem Weltgeist die innere Stümme wecken? HOFFMANN Napoleons innere Stimme? Ich würde sie nicht zu wecken wagen – das Geheul, das Gewinsel, das Geröchel von den Schlachtfeldern, den Orkan des Hohns und der Verzweiflung, die millionenfache Klage – dumpfes Schweigen sei die Gnade der Verdammten. (Ein Windstoß fegt den Brief an Hippel vom Pult, Hoffmann bückt sich danach, taumelt und sinkt in den Rollstuhl.) DARU Was für ein Dürchzüg! Sind die Kamüne heizbar? HOFFMANN Ja, doch sind die Kohlen knapp – Sie werden das schon – arrangieren! DARU (ist ans Pult getreten und zieht ein Schriftstück heraus, das er mit einer Notiz versieht) Es ist natürlich bei Strafe des Todes verböten, in Correspondance mit dem Feinde einzütreten! Compris, Monsieur Offmahn? Und: Retourniere er ümgehendst diese Hüldigungsakte – m i t seiner Signatür! Es ist ein Schwür der ünbedingten Treue zü seinem Kaiser, ünser aller Führer Napoleon! (hebt das Dokument empor und lässt es auf dem Pult zurück. Am Abgehn bemerkt er das Messer, hebt auch dieses fragend in die Höhe.) Kennt Er den Schillähr? HOFFMANN Ich kenne zwei Schiller – der eine ist Pantoffelmacher in Polkwitz, der andere – DARU (deklamierend) ‚Zu Dionüs dem Türannen schlüch Damon den Dolch im Gewande!‘ HOFFMANN (hastig) Ich brauche das Stilett zum Aufschneiden neuer Bücher. DARU (legt das Messer zurück) Eh bien – morgen abend produziere Er sich auf der Soiree – aber präpariere Er etwas Leichtes, Lüstiges – Sonate Facile, Couperin, Rameau! Au revoir, Monsieur! (Daru ab.) Szene 9 (Unterdessen ist Hoffmann vom ‚Nervenfieber‘ befallen; im Schüttel frost wickelt er sich in die Plane, die noch über dem Rollstuhl hängt; schrille Mozartmotive (Flöten und Fagotte aus ‚Zauberflöte‘ und ‚Don Juan‘) und Erinnerungsstimmen quälen ihn, setzen ihm mit Hohn und Vorwurf zu.) HOFFMANN Ich unterschreibe nicht – ich schwöre nicht – ich spiele nicht – ich möchte schlafen – die Türen, die Fenster – der verdammte polnische Winter – wo ist meine Suppe – ich muss doch wahrhaftig nach Doktor Koreff schicken – morgen kommen die Glaser – nein, das kommt von unten, das ist die Kälte aus den Kellern – Kerkerluft – CHIARAS STIMME Amadeus! Amadeus! KRATZERS STIMME Dichter und Richter! Richter und Dichter! CHIARAS STIMME Spiel uns was! DARUS STIMME Etwas Leichtes Lüstiges KRATZERS STIMME Ernst Theodor Wilhelm HOFFMANN Soll ich Mördern und Tyrannen aufspielen – im Offizierscasino? STIMME DES 1. PACKERS Solides Mahagoni! (Klopfen) ITZIGS STIMME Wollust und Ausschweifung HOFFMANN Das Motiv der Tat ist nicht ermittelt. KRATZERS STIMME Wilhelm oder Amadeus! Dichter oder Richter. HOFFMANN Schmolinsky konnte nicht schlafen. MISCHA STIMME Hast du Kindchen gefüttert? STIMME DES 1. PACKERS Solides Mahagoni! (lautes Klopfen, Stöhnen, Kettenrasseln) ITZIGS STIMME Die Guillotine – eigentlich von einem deutschen Klavierbauer, aber was schwatze ich – CHIARAS STIMME Du willst sie morden! Du mordest sie! HOFFMANN Ich hab mein Atlantis über Warschaus Kerkern errichtet, sie 27 | Bild XI Bild X | haben mich als Richter bezahlt und ich habe von diesem Geld gelebt. CHIARAS STIMME Es wird ihm wie eine Feuergarbe aus dem Beutel sprützen! STIMME DES 1. PACKERS Solides Mahagoni! (Vielfaches dumpfes Klopfen wie aus dem Boden) HOFFMANN Schweigen! Schweigen sei die Gnade der Verdammten! (Stille. Im Türloch erscheint, aufs Rad geflochten, der Doppelgänger – nackt, mit verrenkten Gliedern.) HOFFMANN Wer da? Wer ist da? DOPPELGÄNGER Brüderlein – lass uns – in den Wald – gehen – unter die Brücke – HOFFMANN (schreit) Mischa! Mischa! Szene 10 (Der Spuk verblasst. Eintritt der Doctor Koreff.) 28 KOREFF Wie ist Ihnen heute, bester Hoffmann? HOFFMANN Sie verstehen mich alle nicht! Es ist mir lieb, dass Sie hier sind, Doctor Koreff, ich habe Ihnen schon immer die Schönheiten der Zauberflöte auseinandersetzen wollen – heut nacht, als ich allein und schlaflos lag, hab ich die ganze Oper gehört. KOREFF (alarmiert) Da fahren ja die Krankheitskeime zu allen Poren heraus, das Zimmer ist voll Dampf und Phosphorglanz, ich gehe gleich, die Fenster öffnen (fühlt ihm den Puls), der Puls geht leise, hier (gibt ihm ein Fläschchen) schnüffeln Sie, derweil ich die Mixtur bereite. (Facht die Flamme unter dem Punschtopf an, schlägt Eier in den Topf und gibt eine Flüssigkeit dazu.) HOFFMANN Ahh, Kölnisch Wasser exorziert die bösen Geister? KOREFF (hat vom Sud in eine Tasse geschöpft) Hier nun, das heiße Hopelpobel, belebt den Körper wieder zu den wichtigsten Funktionen. HOFFMANN Hopelpobel? Ein Witz? KOREFF Nein, ein probates Stärkungsmittel für Astheniker wie Sie, das hat dem Kanzler Hardenberg geholfen und dem König nicht geschadet, wird auch Sie hochpobeln, hab es selbst mit dem Kollegen aus Heilbronn entwickelt, rein aus frischen Dottern, russischem Kirschengeist – schon rar geworden unter den Franzosen – HOFFMANN Kirschengeist – das klingt vertraunerweckend! KOREFF Es erweckt die Toten, freilich mit dem Brownschen Lebenselixier allein ist dem Toten, der in Ihnen steckt, nicht beizukommen, aufzuhalten nur, nicht anzuhalten ist die innere Fäulnis. HOFFMANN Heitere Prospecten! KOREFF Doch die Mesmerschen Methoden haben Kräfte freigesetzt, die Tote nicht nur auferwecken, sondern wahrhaft a u f p e i t s c h e n können, dass sie auf den Dächern mit dem Uhu um die Wette tanzen! HOFFMANN (unbehaglich) Sie wollen mich magnetisieren? KOREFF Falls Sie mich dazu brauchen – fließt der Äther doch durch j e d e Kreatur, der Zitterrochen, wenn sein kühler Leib an Ihre Haut schlägt, jagt den Strom durch Mark und Bein, Sie brauchen nur den Finger in die Weichsel zu stecken! HOFFMANN Als Wassermann vermähl ich mich am besten mit einem Wassernix! KOREFF Nun halten Sie den Kopf kühl, schlafen Sie, im Topf ist noch genügend Hopelpobel und – nach dem Essen die Pfefferkörner nicht vergessen! (Er trifft im Abgehen auf Mischa.) Kein Grund zur Sorge, Michalina, zwar ein Nervenfieber, doch der Kranke hat ja eine zähe Konstitution. (öffnet im Hinausgehen die Fenster.) HOFFMANN Wo bleibst Du nur? Wo ist meine Suppe? MISCHA (im Reisehabit, Kind auf dem Arm) Die Kutsche ist da, die Reitersknecht französische für Schutz von Mischa und die Geldsäck. HOFFMANN Ja, es ist besser, dass Du gehst, hier ist kein Auskommen für uns drei, und die Gelegenheit ist günstig, die Eskorte mit dem Geldtransport. MISCHA Ist ja nur für kleine Zeit! Wirst Du gehen nach Berlin, unterkommen ans Gericht, holst Du Mischa und Cäcilia schnell in große Stadt! HOFFMANN Nein, ich werde nicht mehr über Menschen richten, will mein neues Atlantis nicht über Folterkellern bauen. MISCHA Sankt Antonius wird Dich beschützen. (lässt ihm eine Ikone zurück) HOFFMANN Der von Padua, versteht sich, nicht der in der Wüste, mit Versuchung wunderschönes. | Bild XII (Vorhang) 29 II. Akt (Wandschirm, Wiege und Bildrahmen sind verschwunden; eine Recamiere ist hereingerückt, sonst wie im I. Akt.) Szene 11 30 HITZIG (am Stehpult – in seinem Kontor – Druckfahnen korrigierend) Was liest man achtzehnhundert dreizehn in Berlin? – die Dichter – Goethe, Schiller? Weit gefehlt! Die Denker – Kant und Fichte? Keine Spur! Man liest U n d i n e – die Geschicht‘ von einem Wassernix, der sich mutwillig zwischen einen Ritter und seine Dame drängt – die Menage à trois geht schief, und schließlich küsst der Wassernix den Ritter zu Tode – literarisch zweifelhaft, moralisch dubios, schon in der zweiten Auflage in meinem Verlag, mir kanns ja recht sein – (Eintritt der österreichische Hofmechaniker Mälzel mit Waren koffer und Brief in der Hand.) MÄLZEL Verzeihen’s, bin ich hier recht bei dem (liest die Adresse) ‚inactiven Assessor Isaak Elias Itzig‘? HITZIG Julius Eduard Hitzig, voll aktiver Verlagsbuchhändler, wenn’s beliebt! MÄLZEL (erst perplex, dann kritisch) Jo mei – lohnt sich denn das? Itzig oder Hitzig – der ganze Palawatsch mit die Behörden, alles wegen dem Ha? Da waren unsre Juden in Wean viel radikaler und phantasievoller – Rosenblüt und Güldenstern fällt mir nur grad so ein, aber Hitzig aus Itzig – naa, das zahlt sich nicht aus. HITZIG Mit wem hab ich die Ehre? MÄLZEL Mälzel, zu Gnaden – königlich kaiserlicher Hofmechaniker. HITZIG Mälzel? (dann plötzlich wie von Sinnen) Da tänzelt ja der Mälzel, der Schmälzel, scharwenzelt der Hänsel mit seinem kleinen Schwänzel! (verstummt abrupt, etwas verlegen.) MÄLZEL (teilnahmsvoll) Do san’s fuchtig g’worden, was? Ist Ihnen wieder besser? HITZIG Was führt Sie her, Herr – Mälzel? MÄLZEL Nichts für ungut, Euer Gnaden – wollt’ nicht in Ihre Suppen spucken! Ich hätt’ hier einen Brief. HITZIG Ein Brief, gut, danke. MÄLZEL Naa, net an Sie! An (liest)‚Seine Wohlgeboren Herrn Regierungsrat von Hofmann‘, wohnt der bei Ihnen? HITZIG Hoffmann? Mein Freund Hoff mann – der wohnt nicht mehr hier, er hat ja in Berlin nicht Fuß fassen können, ist jetzt Musikdirektor in Bamberg, am Theater beschäftigt und als privater Gesangslehrer. MÄLZEL In Bayern lebt sichs halt immer besser, können’s mir seine Adresse geben, wenn ich auf der Rückreis nach Wean – HITZIG Zinkenwörth Nummero sechsundfünfzig, beim Schönfärber Schneider. MÄLZEL Do dank ich schön und – b’hüet Sie Gott! (will gehen) HITZIG Sagen Sie – Mälzel – sind Sie nicht der Schausteller, der mit einen hölzernen Türken herumreist, einem Automaten, der Schach spielt? MÄLZEL Und ob! Und w i e – spielt der Schach! So präzis und fix, do bleibt’s Ihnen der Speichel weg! HITZIG Und sogar – Napoleon hat gegen den Türken –? MÄLZEL Verloren – mit Pauken und Trompeten! Und das nach dem Gemetzel von Jena, bei Siegheil, Feuerwerk und Cognac – wie er da stand, inmitten seiner Generale, Hand in der Weste, und wie ihm dann der Türk das letzte Schach geboten, sagt er zu dem Grafen Daru: ‚Dös hat der Deifi geschnopert!‘ – auf Französisch halt! HITZIG (bekümmert) Der Weltgeist – nur ein kleiner Geist womöglich? MÄLZEL Von da an ist’s mit ihm bergab gegangen! Ein gebrochener Geist! Dass er in Russland aufs Haupt geschlagen wird, der Brand von Moskau, das hat mich nicht mehr gewundert. HITZIG Keine Fortune mehr, wie? MÄLZEL Und krank im Gemüt – das schlägt auch auf die Strategie! HITZIG Und all das hat ein – A u t o m a t bewirkt? MÄLZEL Alles Räderwerk und Walzen jo mei, Euer Gnaden. Dahin geht doch die ganze moderne Entwicklung! Was soll’n wir uns denn immer abzappeln! Sehn’s doch die Virtuosi, wie sie über die Tasten wischen – das reinste Rattenlaufen! HITZIG Ich sehe, wie meine Frau sich abzappelt! MÄLZEL Genau! Ich bau für alles einen Türken: der Claviertürk ist schon patentiert, jetzt kommt der Küchentürk – die Domestiken werden ja eh rar oder frech, und die echten Türken kann sich unsereins halt noch nicht leisten! HITZIG Eine große Entlastung, man wäre frei für höhere Belange! MÄLZEL Es lohnt sich ja auch nicht – das persönliche Gezappel, nicht fix und 31 32 nicht präzis genug! Da schaun’s meinen Einheitstürken an, den hab ich grad in Arbeit, der lässt sich praktisch an jeden Produktionszweig anschließen, der macht Ihnen die Drecksarbeit für tausend Tagelöhner! Damit erzielt der Unternehmer einfach mehr G e w i n n ! HITZIG Könnte man den auch im Druckgewerbe –? MÄLZEL Was fragen’s denn – voll adaptier bar! Aber wissen’s, ich bin ja mehr eine Künstlernatur, der Trompetentürk ist meinem Herzen näher! Ham’s nicht von meinem Triumpf gehört? beim Benefizkonzert für die bayerischen und österreichischen Kriegs invaliden? Stand doch in allen Zeitungen! HITZIG Richtig, ja, das Debut von Herrn Beethovens siebenter Symphonie zum Gedenken der Schlacht bei Hanau – dabei haben Sie mitgewirkt? MÄLZEL Nicht ich – mein Türk! HITZIG Ein Automat? MÄLZEL Und was für einer! Wie der den Marsch von Dussek gepäpert hat! Und die Begeisterung danach! All die blessierten Helden, zum Teil ja auch aus Holz – wie die mit ihren Kunstfüßen getrappelt und mit ihren Handprothesen geklappert ham – das ganze Palais hat g’scheppert, so ein Applaus war das! HITZIG Und dann die siebte Symphonie? MÄLZEL Die war ja nur ein Vorspann, der Höllenschnoferl war ganz geel vor Neid! HITZIG Der wer? MÄLZEL Der Beethoven – Er ist halt oft grantig, dem fehlt die Frau, kochen kann er zwar, der Mehlschöberl, die besten Palatschinken in Wean! – acht Eidotter und a Schuss Kirschwasser – da kommt ihm die Kraft her zu seinen Simpfonien! Aber keine Freud! HITZIG Das müssen Sie Hoffmann berichten, der ist ja, trotz des vorzüglichen Hopelpobels, nicht mehr so richtig hochgekommen – MÄLZEL Die Genies! Die wollen ja nicht gerettet werden! Wie er in schwerer Not war und ständig Huren ge braucht hat, weil er ja immer schlechter hörte, da hab ich ihm ein Hörrohr konstruiert, hab ihn praktisch der Welt wieder gegeben! ‚Herzensnazerl‘ hat er tränenumflort gestanden, ‚ohne Dich wär ich verloren!‘ HITZIG Ich selbst leide seit kurzem an einer garstigen Mittelohrverhärtung – MÄLZEL Es ist ihm leider rasch zuviel geworden! HITZIG Der Apparat? MÄLZEL Die Welt! Die Welt ist ihm zu viel geworden! ‚Geh er zur Hölle mit seinem Trichter, Mälzel! Er ist ein falscher Ohrenschmälzel!‘ HITZIG (freut sich) Mälzel – ein Ohrenschmälzel!? MÄLZEL Dann hat er sich eingeschlossen und so ein zerrissenes Streichquartett geschrieben, das keiner spielen kann und hören will. Es ist denen nicht zu helfen! HITZIG Aber mir vielleicht!? Haben Sie das bereits als – Einheitsgerät gebaut? MÄLZEL Die Ohrtrompete? Jo mei – die lass ich Ihnen da, als Warenprobe (zieht ein Hörrohr aus dem Koffer), damit hören’s das Gras wachsen, ein echtes Fernhörrohr, da können’s Ihren Hofmann aus Bamberg herbeizitieren! HITZIG Was soll es denn kosten? (hat das Rohr furchtsam an- und ab gesetzt – Mälzels Stimme wird damit zu Trompetenstößen verfremdet) MÄLZEL Probieren’s erst mal aus! Nicht dass Ihnen auch zu viel wird – der Lauscher an der Wand! HITZIG (der nun auch andere gestopfte Trompetenstimmen zu hören vermeint – ‚Nicht so hitzig, Itzig!‘ –, setzt das Rohr erschrocken ab) Ja, nehmen Sie es besser wieder mit! MÄLZEL (im Abgehen) Nicht so hastig, Euer Gnaden! Zurückschicken können’s noch immer! Sonst halt – bei Gelegenheit – dreiundzwanzig Dukaten, oder machen’s zweiundzwanzig! Servus! HITZIG Grüßen Sie Freund Hoffmann, wenn Sie ihn sehen! (Er setzt das Hörrohr vorsichtig wieder an: er hört eine Sopranstimme. Julia Mark erscheint, dahinter ihr Lehrer – Hoffmann; lauschend versinkt Hitzig hinter dem Pult.) Szene 12 (Julia im weißen, tief ausgeschnittenen Kleid – singt parlando und etwas unkonzentriert eine Arie vom Blatt.) JULIA ‚le fredde ceneri / nel urna ancora / t’adorero.‘ Bring mal etwas Leichteres, Lustigeres, das liegt auch viel zu hoch für meine Stimme! HOFFMANN Eine italienische Canzone – leicht zu verstehen, lustig zu hören, und kein Himmel ist zu hoch für die Lerche! 33 34 JULIA Leicht zu verstehen? Ich weiß doch nur, dass Ciocolata Schokolade heißt und Asino maledetto verdammter Esel – das reicht ja auch für eine Soubrette!? HOFFMANN Nicht für die Diva Julia Mark – wohl für die Donna Graepel, die Frau Bankdirektor – JULIA Pscht! Ich hör sie drüben reden! HOFFMANN Feilschen über den Kaufpreis! JULIA Bist du verrückt? DOPPELGÄNGER (der eben durch das messergeschnittene Loch auf dem Gerüst auftaucht – halb nackt, in Pantalons, wie vom Galgen geschnitten) Natürlich ist er verrückt! (Nur Hoffmann hört ihn!) HOFFMANN Du heiratest ihn ja nur, damit die Frau Mama ihre Extravaganzen bezahlen kann! JULIA Und die Gesangsstunden! HOFFMANN Wie? JULIA Du bist auch nicht gerade billig! HOFFMANN Das hört ja nun wohl auf! JULIA Ich habe noch Geschwister! HOFFMANN Nein, Nein, es sind die Seidentapeten und die Spielschulden – d e s h a l b wird der frische Lebensbaum an die Mumie angeschlossen! JULIA Der Graepel ist keine Mumie! HOFFMANN Nein? Was ist er dann? JULIA Honett, aufmerksam, quick lebendig – er hat mir diesen capriciösen Hut aus Hamburg mitgebracht (probiert ihn auf ) – für den ‚Jungfernsteg‘, so heißt dort eine elegante Promenade. HOFFMANN (schmerzverzerrt) I c h bin der Strauß, dem diese Federn ausgerupft! DOPPELGÄNGER (höhnisch) Autsch! JULIA (lacht) Geh, du bist nicht neidisch, du lebst ganz gemütlich hin mit Deiner Mischa wunderschönes, jeden Sonntag Ausflug nach Buch und abends in die ‚Rose‘ – HOFFMANN – mit Pollux! JULIA Was? HOFFMANN In der ‚Rose‘ poculiere ich mit einem schwarzen Hund, nicht mit meiner Frau! JULIA Du wolltest doch nicht eine Dreiecksgeschichte, eine Menage à trois anfangen? DOPPELGÄNGER Warum nicht? HOFFMANN (unsicher) Warum nicht? JULIA (lacht) Geh, du Wüstling! Ist sie eifersüchtig, sag, ist sie eifersüchtig auf mich? Deine Mischa? HOFFMANN Sie ist nicht mehr die lustige Gefährtin, die Columbine, die auf Lumpenbällen tanzt. JULIA Du hättest sie in Polen lassen sollen! HOFFMANN Seit unser Kind gestorben, seit Cäcilias Tod ist sie verändert – fremd! Und spricht viel mit sich selbst, immer in Polnisch, um’s nicht zu verlernen, wie sie sagt, sie w i l l nicht meine Sprache sprechen! Erst dachte ich, sie kann nicht, doch jetzt weiß ich – sie will nicht! DOPPELGÄNGER (tiefe Schlucke aus der Taschenbouteille nehmend) Lass uns auf die Jagd gehen! Brüderlein! JULIA Du musst ihr öfter ein neues Kleid kaufen, das macht gesprächig! DOPPELGÄNGER He! Brüderlein! Wir wollen den Wolf jagen! HOFFMANN Gestern war ich auf der Jagd in Fränzdorf. JULIA Mit dem Wunderdoktor Koreff? HOFFMANN Habe eine Lerche geschossen und – mich gefreut! JULIA Neulich hast Du ein Reh geschossen, und Dich ‚gefreut‘ – Du M ö r d e r ! (lacht) (Unterm Fenster geht die Fronleichnamsprozession vorbei.) DOPPELGÄNGER O Miserere mei Domine – Affe! Hörst Du, Brüderlein? A f f e ! JULIA (am Fenster) Die Mönche aus dem Kapuzinerkloster, sie tragen den Leichnam des Herrn herum, die freuen sich auch an nichts. HOFFMANN Un poco langweilig – die Litanei – JULIA Die scheinheiligen Brüder – drehn an ihren Gebetsperlen und schielen herauf zu mir! HOFFMANN Kein Wunder, wenn Du Deine Brüste wie Pomeranzen aufs Sims legst! JULIA (wirft sich lachend bäuchlings aufs Sofa, fixiert Hoffmann wie eine Katze vor dem Ansprung) Ich bin Deine Sphinx, nicht wahr? Ich geb Dir Rätsel auf, pack Dich beim Schopf und stoß Dich in den Abgrund? DOPPELGÄNGER Hast ihr den Vogelbalg ins Bett gelegt? Wasch es, das blutige Tuch, wasch es! 35 | Bild XIII 36 HOFFMANN (zum Doppelgänger) Fahr in Dein L o c h zurück! DOPPELGÄNGER Welches Loch, Brüderlein, welches Loch? HOFFMANN (zu Julia) Gestern war Hochzeit in der ‚Rose‘. JULIA Ich weiß, die Kellnerin – HOFFMANN Und da ist der Kratzer tot umgefallen! JULIA Der Gardeleutnant Kratzer? Die arme Frau! HOFFMANN Koreff hatte ihm, des Bauches wegen, Waldläufe empfohlen, und so rannte er nun herum wie ein Besessener, die Zunge hing ihm aus dem Maul, und also keuchend herein zum Hochzeitsmahl, und stürzte ein Paar Gläser Chambertin hinunter, griff die Braut zum Tanzen, drehte ein paar Runden und – bums! da lag er! JULIA Und Du – hast Dich gefreut? HOFFMANN Minuten vorher hatt’ ich ihn in meinem Skizzenbuch – verewigt, kann man ja nun sagen! DOPPELGÄNGER Schieß Dich tot, Brüderlein, Du bist ein toller Hund. Tolle Hunde werden erschossen! (Er kommt allmählich vom Gerüst herab.) JULIA Die armen Kinder! HOFFMANN Sterben müssen wir alle! Ihn habe ich nur tot gekannt! Gestern war Section, der Doctor Koreff schnitt ihm den Brustkorb auf, den inneren Wurmfraß – JULIA Jetzt brauch ich einen Schnaps. HOFFMANN (der sich blitzschnell umgedreht und dem Doppelgänger die Flasche entrissen hat) Da trink, es ist ein Lebenselixier! JULIA (nach einem starken Schluck) Puhh! Ordinäres Kirschwasser! Komm, lass uns noch etwas singen! (sie gehen zum Flügel.) HOFFMANN Aber mehr con amore, wenn ich bitten darf! JULIA (singt) ‘Mio ben ricordati / s- avvien ch’io mora – (Sie bricht ab, wirft sich in den Rollstuhl, schluchzt.) DOPPELGÄNGER (sich anschleichend) Brüderlein – die Lerche – sie flattert noch! Beiß ihr die Kehle ab! HOFFMANN Du Ratte! DOPPELGÄNGER (zurückweichend) Wer den anderen hinabstößt, darf Blut trinken. JULIA (das Blatt vor den Augen) Was heißt ‚ceneri‘? HOFFMANN Asche. JULIA (sprechend) ‚– nel urna t’adorerò??‘ HOFFMANN ‚Denk an mich, wenn ich sterben geh, wie sehr diese Seele Dich geliebt, noch die kalte Asche in der Urne bete ich an.‘ JULIA Wirst Du Dich einmal verbrennen lassen? (Pause) DOPPELGÄNGER Er brennt ja schon. Er brennt lichterloh! JULIA (roh) Meinst Du, ich werd mir Deine Urne aufs Vertiko stellen? DOPPELGÄNGER Er will Dir die Prinzessin rauben – hihi, Dein Bräutchen, Brüderlein! HOFFMANN (schreiend zum Doppelgänger) Ich schneid Dir den Hals ab! JULIA (entgeistert) Was? HOFFMANN (schnell gefasst) Ach, nichts! Nur dieser Knirps da in der Ecke, mit seinen obszönen Capriolen – da! Haspelt er unter der Diele vor, ein phallischer Däumling! JULIA Wo? Du siehst wieder Gespenster! Pass nur auf – eines Nachts werde i c h an Deinem Bette stehn, mit einer Maske vorm Gesicht und Dich in Stein verwandeln. HOFFMANN (heiter) Als Perseus der Medusa den Kopf abschlug, sprang der Pegasus heraus! DOPPELGÄNGER Ha, Brüderlein, Du wirst Schindluder mit ihm treiben, der taugt Dir nicht einmal zum Ackergaul! JULIA (die Hoffmann nicht zugehört hat) Und d a n n will ich Dich küssen, nach Herzenslust. Bild XV | Szene 13 (Eintreten von links die ‚Konsulin‘, Franziska Mark, und der Bankier Graepel aus Hamburg; der Doppelgänger ist verschwunden.) GRAEPEL Hab ich nicht süße Töne gehört von nebenan – ‚Musik, der Liebe Nahrung‘, oder so ähnlich? KONSULIN Das ist Herr Hoffmann, er erteilt meinen Kindern Gesangsunterricht. GRAEPEL (unbehaglich) Ja, wir kennen uns schon von – irgendwoher. Sie haben ein Schadenfeuer gehabt? Blitz oder Krieg? KONSULIN (ohne hinzusehen) Wir renovieren nur, morgen kommen die Tapezierer mit den Lyoner Seidentapeten – dann verschwinden endlich Herrn Hoffmanns schaurige Menetekel von den Wänden (abschüttelnd). Es ist Ihnen hoffentlich recht, dass wir jetzt nur im kleinsten Kreise feiern – eine Verlobung ist schließlich keine Hochzeit! 37 38 GRAEPEL Aber bitte, keine Umstände, wer kommt denn noch? KONSULIN Der Doktor Koreff und die Madame Hoffmann und – nein, das ist eine Überraschung. HOFFMANN Eine Ihrer teuren Extravaganzen? KONSULIN (nervös) Keine Tableaux, kein Kartenspiel, kein Feuerwerk diesmal – mehr eine Sphinx, exotisch! Ganz nach Ihrem Gusto, Hoffmann! GRAEPEL Hoffentlich auch nach meinem? KONSULIN Sie werden Ihren Geist, Herr Graepel, leuchten lassen können! GRAEPEL ‚Die Geister, die sie rief, die wird man nicht mehr los‘, oder so ähnlich? HOFFMANN Den Geist Banquos vor allem! GAEPEL Banco? Verstehen Sie was davon? Sie sind doch Musikmeister, wie ich höre? Und betätigen das Glöckchenspiel in der Zauberflöte – I h r e Sorgen möchte ich haben! B a n c o ! Wissen Sie denn, was das bedeutet? Das ist die solideste Währungseinheit auf dem Continent! Ohne Banco bräche der Handels- und Wechselverkehr schlicht zusammen, und dann könnten Sie sehen, wer Ihnen Ihre Lektionen bezahlt! Banco! Und wohin ist’s damit gekommen, seit wir den Davoust und Daru auf dem Hals haben! Unser Barbesitz betrug einmal siebenundvierzig Millionen Mark Banco! Und wenn wir leihen auf Gold und Silber im Faustpfand, nehmen wir die niedrigsten Zinsen im ganzen unheiligen Europa! Und da kommen diese Haifische, die Franzosen mit ihren Contributionen, und nehmen der Kaufmannschaft und den Hauseigentümern Renten im Wert von zwei Millionen Franken weg! Wir sind glatt ruiniert! ‚Die Armee muß speisen und gürgeln!‘ sagt der Franzose. (Zieht eine Zigarre, steckt sie sich an und pafft.) Ja, ich frage Sie, wer regiert denn nun eigentlich die Welt – das Geld oder die Kanonen? HOFFMANN Heute die Kanonen, morgen das Geld, übermorgen das Geld u n d die Kanonen. GRAEPEL Wenn das so weiter geht mit den Requisitionen, ist das Kreditgeschäft perdu! Banco! Banco! Wenn das kein Quälgeist ist! Und da soll man eine Familie gründen! HOFFMANN Ich meinte den – anderen Banquo, den aus dem Macbeth – aber wenn der Ihre schon ausreicht, Sie von der Familiengründung abzuschrecken, will ich meinen ruhen lassen! GRAEPEL (jovial) Ah, den – ‚furchtbarer Anblick – der blutdurchsiebte Geist des Banquo‘, oder so ähnlich, wir haben ja auch ein Theater! HOFFMANN Macbeth hat ihn erstochen, doch braucht es eine Lady, die dazu stark macht. JULIA (noch im Rollstuhl mit dem Notenblatt in der Hand, träumerisch deklamierend) ‚Ich legt‘ ihm seinen Dolch bereit, den musst’ er finden, und hätt’ er nicht geglichen seinem Vater, wie er schlief, ich hätt’ es selbst getan.‘ KONSULIN (etwas betreten) Das arme Julchen hat den Vater kaum noch in Erinnerung, sie war vier Jahr alt, als er starb, der Konsul, Sie erinnern mich an ihn, Herr Schwiegersohn, er rauchte auch Havannah! HOFFMANN Doch in der Gegenwart legt Lady Macbeth ihrem Asino Sposo die Pantoffeln zurecht und wartet, bis man sie auf dem Jungfernsteg spazieren führt. GRAEPEL Sie kennen Hamburg, Herr Hoffmann? HOFFMANN Vom Hörensagen – GRAEPEL Das beste Rauchfleisch in der Welt, und eine Mockturtelsuppe können Sie da essen – schlicht aphrodisisch, vor allem, mit einem Tropfen Absinth dabei – hähä – und dann der Drehhahn, der Apollosaal mit all den Turteln im Gazeröckchen – (schrilles Läuten) STIMME DES DOPPELGÄNGERS Herr Doctor Koreff und Frau Hoffmann vor der Tür! Szene 14 KONSULIN Immer herein, Herr Doctor! Jetzt wollen wir wirklich zu feiern anfangen. KOREFF Grüß Gott, Madame. Wo ist denn der glückliche Bräutigam? KONSULIN Ein trauriger Anlass auch, seien Sie froh, Frau Hoffmann, dass Sie keine Kinder haben – HOFFMANN Eine Verlobung ist doch kein Begräbnis? KONSULIN Erst hängen sie einem am Hals, wo man geht und steht – HOFFMANN – und kartenspielt. KONSULIN – und dann lassen sie uns allein! HOFFMANN – mit unserem Geld. MISCHA (pufft ihn) Ja, kommen und gehen, die Kindchen unselige. HOFFMANN Eine Hochzeit ist keine Himmelfahrt. GRAEPEL Von Ihren Wunderkuren, Herr Bild XIV | 39 40 Doctor, hab ich viel gehört, mich drückt ja nur der Magen, das aber chronisch! KOREFF (fasst ihm an den Leib) Da hat der Wolf die Großmutter gefressen, oder wars das Rotkäppchen? GRAEPEL Eher das Rauchfleisch und die Schildkrötensuppe. KOREFF Fasten Sie acht Tage und kommen Sie täglich zu mir ins Spital, ich mache Ihnen ein Clistier mit Gerstenschleim. GRAEPEL (greift sich an den Hintern) Ein Cilistier? Sie meinen – einen Einlauf? KONSULIN (zu Koreff ) Ist es nicht entsetzlich, wie Kratzer plötzlich – von uns ging? KOREFF Kratzer ist abgekratzt, der Hochzeitstanz, der war sein Totentanz, ich hätte die Erweckungskur mit ihm probieren können – glühend Eisen unter seinen Sohlen, aber an Fronleichnam wär das Blasphemie gewesen. HOFFMANN Überlassen wir ihn doch getrost dem inneren Wurmfraß! GRAEPEL (KRATZER! – plötzlich aus der Rolle fallend, ins Publikum) Hören Sie nicht auf diese Terrorbande! Rufen Sie die Polizei, man hat uns eingeschlossen, sie werden uns alle v e r b r e n n e n ! (schrilles Läuten) STIMME DES DOPPELGÄNGERS Die Frau Konsulin bittet um Aufmerksamkeit! (Stille) KONSULIN Wie wär’s denn, wenn uns Julia jetzt etwas sänge? Wir werden ihre vielgepriesene Stimme ja nicht mehr lange hören! (beifälliges Murmeln) JULIA (noch im Stuhl) Ich kann nicht singen, ich habe Kopfschmerzen. (ratlose Pause) KOREFF (tritt hinter ihren Stuhl) Sie leiden an Kopfschmerzen? Nichts mehr als das? Wohin soll ich Ihnen die Schmerzen bannen? In die Stuhllehne? In den Spucknapf? Durchs Fenster hinaus? (er beginnt, Julias Schläfen zu massieren, Julia gerät in Trance) Wie wird Ihnen, wie ist Ihnen jetzt? JULIA (in Trance) ‚Denk an mich, wenn ich sterben geh, wie sehr diese Seele dich geliebt.‘ KONSULIN Überreizen Sie sie auch nicht, Doctor? KOREFF ‚Was sie betäubte, hat sie stark gemacht, und was sie dämpft’, hat sie entflammt.‘ – woher stammt das, Kratzer, Graepel? GRAEPEL (mechanisch) Macbeth, wir haben ja auch ein Theater in Hamburg. JULIA (in Trance) ‚Die Eule war’s, die schrie, der traurige Wächter, der grässlich gute Nacht wünscht.‘ KOREFF Und das – Graepel? GRAEPEL (zurück in der Rolle) Shakespeare, Shakespeare – ja, die Engländer, die werden’s dem Napoleon zeigen! JULIA (erwachend) Wo bin ich? (springt auf ) Der Kopf ist leicht, wo sind die Schmerzen jetzt? Im Spucknapf oder Punschtopf? KOREFF (beim Fenster, das er schließt) Sie fahren mit der Windsbraut in ihr Bette, und tanzen mit dem Uhu um die Wette. JULIA Komm, Hoffmann, singen wir ihnen etwas! (Sie beginnt eine glasklare, leicht vulgäre Arie zu singen; sie wendet sich von jetzt an Graepel zu – ihn zu verhöhnen oder zu verführen.) Szene 15 (Von links Mälzel auf Zehenspitzen herein, die Konsulin winkt ihn heran – er wird erwartet, hält sich aber abseits, nickt mit dem Kopf zum Takt der Arie, missbilligt die Rubati und zieht schließlich aus seinem Koffer sein Metronom – erst leises, dann immer lauteres Tacken des Geräts. Hoffmann springt fluchend vom Flügel auf, kommt nach vorn.) HOFFMANN Die verfluchte Uhr! Stellt denn keiner die idiotische Uhr ab, man sollte sie alle konfiszieren und verschrotten. MÄLZEL Ist der aber fuchtig! HOFFMANN Überall dieses Tacken! GRAEPEL (klopft ans Holz des Flügels) Solides Mahagoni! HOFFMANN (tanzt wie verrückt auf einem Fuß) Überall dieses Klopfen! GRAEPEL Die englischen sind noch solider! HOFFMANN In Warschau die Weltgeschichte und hier die Uhren und die Philister!! MÄLZEL Das ist keine Uhr, Herr Kapellmeister, das ist ein Metronom – mein neues Patent! HOFFMANN Warum tanzen Sie nicht auf dem Eise, wie? Tack! Tack! Tack! Barfuß auf dem Eise!! MÄLZEL Dankbar müssen’s mir sein, dass ich das schon wieder erfunden hab! Ihr habt’s ja keinen Halt, ihr Genies! Seid’s ja alle nervöse Schussel! Mal geht’s allegro und fidel, dann wieder stad und pomadig, wie’s Euch grad ins Hirnkastl kommt! Da wissen’s die Leut ja nie, wann’s fertig seid! GRAEPEL Ja, die Konzerte sind immer viel zu lang. | Bild XVI 41 42 KOREFF (zu Hoffmann) Sie jagen die Ratte aus der Herzkammer ins Laufrad. MÄLZEL Das Fräulein hat ja eine bezaubernde Stimme, aber – das Hin und Her – da wird’s einem schwindlig! Das ist ungesund, da braucht’s eine Stütze, ein Korrektiv! HOFFMANN Warum sind Sie nicht Tambourmajor geworden? Draußen auf dem Schlachtfeld – da schlagen Sie den Toten und Ratten den Takt! Oder den Waschweibern im Hinterhof! Eine einfache Drehorgel – Mechanik um der Mechanik willen – vortrefflich! Draußen auf dem Eise! Aber hier – wo endlich in all der schwarzen Verwüstung die reine Naphtaflamme, das geistige Prinzip, aus einer Menschenstimme aufschlägt – hier stecken Sie Ihre Lichtputzschere ein! Mir ist alles Tote und Starre, das Maschinen klopfen zuwider – da! Schreiten Sie den Kapuzinern voran mit ihrer Gottesleiche – tack! Tack! Tack! Tack! MISCHA Aber der Herr meint’s doch nicht bös, Ernst! MÄLZEL (packt das Metronom weg) Wenn’s alle so grantig seid, dann geh ich halt. (Indessen rollt unversehens Mälzels SCHACHAUTOMAT herein: ein Kastentisch mit aufgeschraubtem Spielbrett, hinter dem eine greuliche, bedrohliche Puppe – der Türke – sitzt; in der linken Hand hält sie einen Stock mit Goldknauf, die Augen sind geschlossen; beiderseits der Figur tauchen die Packer auf, die sie hereingeschoben haben; Schreck und Überraschung bei den Gästen.) GRAEPEL Ja, was ist denn das? HOFFMANN Ihre neueste Extravaganz, Frau Konsulin? JULIA Die Überraschung, nicht wahr, Maman? KONSULIN Aber ich hatte mir nicht einen so garstigen Götzen erwartet! HOFFMANN Gottlose Heiden da hinten in der Türkei, nicht, Mischa? MISCHA Ist doch nur ein Riesenspielzeug. Sitzt ein Kindchen darin und lacht. KOREFF Eher ein Incubus, ein Taschenteufel! KONSULIN Herr Mälzel, auf der Durchreise nach Wien, hat sich gütigst bereit erklärt, uns sein berühmtes – Spielwerk vorzuführen! HOFFMANN Der Verlobungstürke – was wird der Mälzel erst zur Hochzeit bringen! MÄLZEL (noch beleidigt) Ich bin ja schon froh, wenn’s mir das Uhrwerk nicht z’ammschlagen! KONSULIN (rapid auf ihn einredend) Nun schmollen Sie nicht, Herr Hofmechaniker, der Hoffmann ist ein jäher Mensch, ganz unbeherrscht und von sich eingenommen, und alles, meint er, muss der Kunst ge opfert werden, wir stören ihn dabei, und kann doch ohne uns nicht sein, sieht rot und grau, und unter ihm klopft immer sein Gewissen, über ihm tickt eine Totenuhr, er ist verrückt, verstehn Sie, ein gefallener Geist! MÄLZEL Jo mei – das kenn ich ja vom Beethoven in Wean, die überlässt man am besten ihrem Schicksal. (baut sich jetzt vor dem Türken auf ) Was Sie hier sehen, meine Herrschaften, ist der berühmte Mälzelsche Schachautomat – alles Walzen und Räderwerk! (zieht einen Schlüsselbund und öffnet die Lade unter dem Schachbrett) Schwanzschrauben, Gewichte und Schwungfedern! Treten Sie näher! Schauen’s ruhig ins Innere, der Türk – er frisst Sie nicht! (Die Gäste drängen sich um Mälzel und den Automaten.) KOREFF Hu, Graepel, wenn Sie diesen Bratenwender im Leibe hätten, statt dem Rauchfleisch! GRAEPEL Ja, denkt der denn mit seinem Unterleib? MÄLZEL (legt ein Fenster in der Brust des Türken frei.) Er denkt mit dem Herzen. (Ein Zahnrad hinter dem Gazeschleier.) Hier schaun Sie in das Zentrum dieses Wesens! Der Blick aus der Pupille schießt hinab ins Uhrwerk seiner Seele und wird Elektro mystischmesmerischmagnetisch verwandelt in den e i n e n Impuls, der dann den Übertürk aufheizen tut. GRAEPEL Der wäre? MÄLZEL Ausschalten, eliminieren, überwinden, überleben. MISCHA Ungeheuer ungewaschenes! JULIA Und im Kopf, was hat er da? GRAEPEL Liebchen, siehst du nicht, ein Holzkopf! MÄLZEL Spielt immer schwarz, der Türk, nur wenn er angegriffen wird, er säß sonst nur und blickte dräuend in die Gegend. (Schnarren und Rumpeln im Inneren der Figur.) Er läuft schon warm, er räuspert sich, weiß, dass er schaffen muss. JULIA Und wo sind die Figuren? (Mälzel winkt den Packern, die ziehen an beiden Enden des Tischs Schub laden auf, stellen zwei Sätze Figuren aufs Brett.) MÄLZEL Obwohl’s ihm wurscht ist, nimmt er jeden an, er überwindet jeden, ohne Freud, er kann nur siegen, und kein Geist ist stark genug, ihm Widerpart zu bieten! 43 44 HOFFMANN Mischa, ruf den heiligen Geist! MISCHA Da sitzt ein Bübchen drin mit all die Räderwerk und fürcht’ sich. GRAEPEL Wie die Rechenmaschine des Mister Babbage in Boston, die computiert astronomische und nautische Tabellen, man gibt nur ein paar Data ein, schon schnurrt es los und korrigiert sich sogar selbst – MÄLZEL Er stöhnt auch manchmal in der Nacht. HOFFMANN Aber beim Schachspiel gibt es tausend – abertausend Data! GRAEPEL Schnurrt es los – programmgemäß, exact und progressiv der Lösung zu, wir haben die Maschine schon für unsere Bank bestellt. HOFFMANN Da müsst der Türk Legionen und Legionen Vicetürken speien, die gnomisch und allgegenwärtig durch den Weltgeist wimmelten, ihm hinterbrächten, was unmöglich und was möglich ist – das traue ich dem Tack-tack-Mälzel noch nicht zu! Sie haben nicht sein Herz auf dieses Rad geflochten? MÄLZEL Er seufzt des Nachts, und wenn ich nach ihm schaun geh mit der Lampen – da sieht er mich so an – na wissen’s wie a Marterl, der denkt halt für uns alle, das schlägt ihm aufs Gemüt, das viele Denken, das ist nicht gesund! (Er winkt die Packer hinaus.) GRAEPEL Füttern Sie ihn auch von Zeit zu Zeit? MÄLZEL Warten halt – a bisserl Öl! KOREFF Spießt den Verlierer auf den Bratenwender und brät das Ferkel über seiner Melancholie. KONSULIN Und wer von Ihnen hat jetzt die Courage, gegen den Götzen anzutreten? JULIA Graepel wird seinen Geist durchleuchten lassen, nicht wahr, mein Süßer, du wirst mich nicht enttäuschen? KONSULIN Vielleicht noch eine kleine Stärkung zuerst? (Füllt ihm ein Glas aus dem Punschtopf, von nun an kreisen die Gläser.) MÄLZEL Da brauchen’s sich nicht zu schämen, da haben’s alle die Hosen voll, wenn’s gegen den Mullah geht! Sogar der große Napoleon, der Sieger von Jena und Auerstädt, hat gebibbert, und dass man’s nicht so sieht, hat er die zitternde Hand im Hemd versteckt, hat dennoch dran glauben müssen! HOFFMANN Historischer Augenblick – nach dem Weltgeist auf dem Apfelschimmel der Geist des Banco auf dem Afterschemel! Graepel! W e r regiert die Welt – das Geld oder die Kanonen? MISCHA (zu Hoffmann) Musst Du immer Gottseibeiuns spielen? JULIA (zu Graepel) Nun – mein Goldschatz? GRAEPEL (pafft und trinkt, dann rollt er den Stuhl an den Schachtisch) Er kann mich ja nicht fressen – hähä! (zu Mälzel) Ziehn Sie ihn nur auf! MÄLZEL Er ist schon angekurbelt, fangen’s nur an! Sobald Sie ziehen – wacht er auf. GRAEPEL (pafft und trinkt, dann zieht er. Anerkennungsgemurmel. Der Türke öffnet die Augen, hebt den Stock mit dem Goldknauf, stößt einmal damit auf dem Boden auf, macht mit der anderen Hand einen abgezirkelten Zug, stößt danach mit dem Stock zweimal auf.) MÄLZEL Königs Bauer nach E sechs! HOFFMANN Auch so ein Klopfgeist! KOREFF Spüren Sie schon die kannibalische Dynamik, Graepel? JULIA Du wirst den Minotaurus ins Herz treffen und die Jungfrau aus dem Irrgarten schleppen, nicht wahr, mein Lämmchen? GRAEPEL (pafft und trinkt) Völlig harmlose Eröffnung? (zieht. Bewunderungsgemurmel. Der Türke stößt mit dem Stock auf, macht seinen Zug, stößt zweimal auf.) MÄLZEL Königs Bischof nach C fünf! MISCHA Da sitzt ein kluges Männlein drin vermaledeites! KONSULIN Aber wo? Er hat uns innen alles aufgeschlossen, ausgeleuchtet! JULIA Ziehst du jetzt schon das Schwänzlein ein, bist doch kein kleines Schoßhündchen mehr, Liebster? GRAEPEL (pafft und trinkt) Völlig logischer Folgezug, aber gänzlich ungefährlich, was, Doctor? KOREFF Der Teufel streckt schon seine Krallen aus, Graepel! GRAEPEL (pafft und trinkt und – zieht. Aufregung bei den Gästen. Der Türke stößt mit dem Stock auf, macht seinen Zug, stößt zweimal auf.) MÄLZEL Dame nach F zwei! HOFFMANN Der Schwanz ist eingeklemmt, der Rattenkönig sitzt in der Falle! KOREFF Habt Ihr zur Nacht gebetet, Graepel? JULIA Das Bettchen ist schon gemacht für meinen Spatz! GRAEPEL (pafft stark und trinkt heftig) 45 Bild XVII | 46 Was habt Ihr denn, das Spiel fängt doch erst an, ich – (zögert über dem nächsten Zug) – hole mal den Springer aus der Ecke, eh, Doctor? KOREFF Holt ihn nur! (Graepel zieht, der Türke stößt mit dem Stock auf, zieht, nimmt einen weißen Bauern vom Feld und öffnet den Mund.) TÜRKE E-chec! (stößt zweimal mit dem Stock auf.) MÄLZEL Dame nach F zwei, schlägt Bauern, bietet Schach und setzt M a t t ! (Der Türke fixiert Graepel.) GRAEPEL Matt? Warum hat mich keiner gewarnt? Stier mich nicht so an, Holzkopf! (Der Türke schließt die Augen.) HOFFMANN Ein billiger Triumpf, da hat der Poltergeist sich nicht sehr anzustrengen brauchen. JULIA Schon m a t t, mein armes Eselchen, wie soll das denn nun weitergehen? GRAEPEL (trinkt und gibt sich einen Ruck) Ja, was denn, wo Napoleon versagt, da braucht sich Graepel nicht zu echauffieren. MÄLZEL Der Automat besiegt sie alle – die Mächtigen, die Reichen und die Klugen – HOFFMANN Das Geld verbrannt, die Kanonen verschrottet, es lebe der Türk! (hebt sein Glas) MÄLZEL – und besiegt am End’ auch die Genies! HOFFMANN (lässt das Glas sinken) Verderben den P h i l i s t e r n ! GRAEPEL Unglück im Spiel, Glück in der Liebe! (fällt, stark betrunken, mit Julia aufs Kanapee) KONSULIN (zu Mälzel, der die Figuren wegräumt) Was bin ich Ihnen schuldig, Herr Mälzel? MÄLZEL Das macht vierunddreißig Dukaten, oder – sagen wir dreiunddreißig, bittschön! KONSULIN (zahlt) Sie bleiben doch noch zum Essen? KOREFF (zur Konsulin) Starker Tobak auf den leeren Magen, was werden wir nach Tische noch alles erleben in Ihrem exotischen Hause? KONSULIN (nervös) Wir können ja noch – lebende Bilder stellen? KOREFF Tableaux vivantes, vortrefflich, ich sah in London Füßlis neues Bild – ‚Der Nachtmahr‘, wunderlich und höchst sinister! GRAEPEL He, Doctor, wissen Sie, wie die Turteln im Drehhahn ihre Freier zum Lachen bringen? Sie kauen Pfeffer, bevor sie lutschen – hähä! KOREFF (finster) Wissen Sie, wie die Araber ihre Kamele zum Tanzen bringen? Sie führen sie auf erhitzte Bleche. MISCHA (zu Koreff ) Was seid Ihr alle so häßlich, ist doch Verlobung wunderschönes, nur e i n m a l Verlobung in Leben scheußliches! JULIA Hört auf sie, sie muß es wissen, was danach kommt, ist die Hölle. KONSULIN Julchen, trink nicht so viel! KOREFF Freunde, die Gläser zur Hand! Hoffmann wird es hoffentlich für keinen Frevel halten, wenn ich vor dem Bildnis der Verlobten eine Libation vornehme, was weniges Punsch mit zierlicher Andacht auf meine blank gewichsten Stiefel vergieße. GRAEPEL (springt vom Sofa auf ) Juchhei! Prosit! Prosit! (will Julia nach sich ziehen, quetscht ihr ungeschickt den Arm, sie schreit auf, reißt sich los, Graepel ihr nach) Pardon, Liebchen, bin ich besoffen? Nicht böse sein! (stolpert und fällt der Länge nach hin. Betroffenheit der Gäste. Koreff zu dem Gestürzten. Hoffmann, der etwas abseits gestanden hat, tritt hinzu) HOFFMANN (laut, vulgär) Sehen Sie, da liegt der Schweinehund! Schneiden Sie dem Kerl den Wanst auf, das wird ihn erleichtern! KONSULIN (rabiat) Herr Hoffmann! Sie haben meinen Gast beleidigt! Ich will Ihre F r a t z e hier nicht mehr sehen! Und die Stunden sind auch ausgesetzt! Schluss mit all den Albernheiten! Kommen Sie mir nicht mehr über die Schwelle! (Pause, dann schrilles Läuten.) STIMME DES DOPPELGÄNGERS Das Essen ist angerichtet! (Erleichterung bei den Gästen.) KOREFF Es wurde auch Zeit, kommen Sie, Michalina! (bietet ihr den Arm; sie blickt entsetzt zu Hoffmann hinüber, folgt aber den anderen.) KONSULIN Ja, lassen wir uns nicht die Stimmung verderben, Schildkröten suppe zuerst, dank Herrn Graepel! (Alle ab, zuletzt Graepel, der sich mit Julias Hilfe aufgerichtet und abgeklopft hat; beide blicken zu Hoffmann zurück – Graepel höhnisch, Julia starr.) Szene 16 (Hoffmann, allein zurückgeblieben, sitzt benommen beim Schachtisch und trinkt. Geräusche und Stimmen aus dem Speisezimmer.) HOFFMANN Wahnsinn! Wahnsinn! Schlafen! (Pause) Göttliche Ironie steh mir bei! Einziges Mittel, Verrücktheiten 47 48 zu bemänteln und zu vertreiben, ekelhaft! Ich möchte schlafen! (Pause) Nein, ich möchte arbeiten! Die Farce, aus der unser ganzes Leben und Treiben besteht – (Schnarren im Innern des Türken. Die Figur öffnet die Augen, stößt mit dem Stock auf.) Ich spiele nicht, Mohammed, ich schlafe. (Pause. Der Türke hebt die Spielhand, stößt auf Hoffmanns Kopf herab. Hoffmann steht entsetzt auf, greift sich mit beiden Händen ins Haar.) HOFFMANN Ganz recht, ganz recht! Ich will ein Schlangengift in ihre Mockturtelsuppen rühren, den zahmen Wolf ins Feuer werfen! (Hinter dem Türken ist Chiara – in schwarzem Tricot – hervorgekommen) CHIARA Das wird Dir Macht geben, Amadeus, über Dich selbst und über die Philister. HOFFMANN D a s ist des Türken Kern – ein Zitterrochen, ein Torpedo, wie bist Du den Befreiern entkommen, Chiara? CHIARA Sie haben uns auf dem Markte zusammengetrieben. HOFFMANN Darus Soldaten? CHIARA Nicht die Soldaten, wir entkamen südwärts, eine ganze Bande von uns, und wurden umzingelt, hockten auf den Steinen, in der Sonne, von den Häschern bewacht – da ging der Mälzel vorüber. HOFFMANN Tack! Tack! CHIARA Und ich rief ihn an: He, blanker Bruder, soll ich Dir weissagen? Und er streckte mir die schrundige Hand hin, und ich sagt’ ihm: Fürchte nichts, dein Türk wird wieder leben! HOFFMANN War er kaputt, der Türk? CHIARA Zu lang gekrümmt im Räderwerk gelegen, zu wenig Luft und Auslauf, zu viele Schläge und rapides Grübeln im engen Kabinett. HOFFMANN Wer, der Türk? CHIARA Ja, ja, der Türk – der Z w e r g, der den Napoleon besiegt hat, ein zitronengelbes Männchen aus Tokat, er war dem Mälzel jenes Tages hinweggestorben. HOFFMANN Wer hat jetzt den Graepel geschlagen? CHIARA Der Gardeleutnant wollt’ mich erst nicht gehen lassen, hier sei kein Sklavenmarkt, doch zu den Menschen sei ich nicht zu rechnen, und das Zuchthaus würde ich bloß molestieren, also zehn Dukaten an die Armenkasse – und ich bin frei. HOFFMANN Der Mälzel hat Dich eingekauft. CHIARA Erst setzt’ er sich inmittst des schmutzigen Volkes nieder und zieht sein Schachspiel aus dem Koffer und – examiniert mich. HOFFMANN Du hast ihn geschlagen? CHIARA Jetzt schlägt er mich. Er geißelt mir die Funken aus den Augen, bevor sie mich zum Spielen rollen. HOFFMANN Warum? CHIARA Die Doctors sagen, prügeln befördre fixes und präzises Denken. HOFFMANN Der Koreff! CHIARA Heut vergaß er, mich im Kasten einzuschließen, und ich werd nicht mehr an diesem Fenster stehn, (hebt den Schleier über dem Rad) das Herzrad kurbeln und gewinnen, will zurück zu den Verlorenen. HOFFMANN Ins Zuchthaus? CHIARA Der Leutnant hat die Großmutter, die nach mir heulte, auf den Wagen geschmissen, der zum Abfahren bereit stand, und Mälzel schleppte mich weg und kauft’ mir auf dem selben Markt Piroggen, ich war hungrig. (Sie stopft hastig ihre Pfeife.) HOFFMANN Das alles muss ein Ende nehmen. CHIARA Verwüst’ ihr Haus und raub es aus! HOFFMANN Wie? Hier das Haus der Konsulin? CHIARA Zerschlag die Vasen, schlitz die Polster auf, piss ins Clavier! HOFFMANN Hier war mein Paradies. CHIARA Reißt die extravaganten Lyoner Seidentapeten von Deinen Fresken! HOFFMANN Übermorgen, Chiara, übermorgen. CHIARA (deutet auf den Kühlschrank) Da hat der Graepel zwanzig Schildkröten gelagert und zweihundert Flaschen Burgunder, schmeiß sie in den Fluß! HOFFMANN Die Regnitz ist nicht tief genug. CHIARA Lass uns zusammen weggehen, in den Wald zu meinen Leuten. HOFFMANN Soll ich mit Ruchlosen Verkehr pflegen? Mit Räubern, Abenteurern, Mördern? CHIARA Wenn Du an Deinen bösen Geistern ersticken willst? HOFFMANN Können wir nicht die Schildkröten und den Burgunder an die Armen verteilen? CHIARA Der Leutnant hat die zehn Dukaten in die eigene Tasche gesteckt. HOFFMANN Soll ich in Kellern, 49 50 Elendsquartieren, im Untergrund verkommen? CHIARA Aus dem Palais vertrieben, aus dem Bürgerhaus verwiesen – wirst Du jetzt im Apollosaal brillieren? Ballett und Operette für die Bankiers am Abend? HOFFMANN Blutige Greuel und Schrecknisse – ich brauch’ sie nicht zu üben, sie werden unter meinem Pinsel, meiner Feder so lebendig, dass ich schreie – CHIARA Schrei nach Mischa, schrei nach ihr, und kitzle mit dem Pinsel, mit der Feder die Philister – ein Poet gehört zu den Verworfenen, Amadeus, in den Wald, unter der Brücke – (Geräusche und Stimmen aus dem Speisesaal.) KOREFFS STIMME Und jetzt die lebenden Bilder – die Konsulin in einer Charade: ‚Was liegt im faltgen Rocke auf der Erde? Des bösen Rätsels Deutung bringt Gefährde.‘ (Mälzel nähert sich beschwipst) HOFFMANN Da kommt der Mälzel, rasch versteck Dich! (Chiara zieht sich eine Kapuze – eine Hundemaske übers Gesicht, bleibt bei Hoffmann sitzen, pokulierend.) MÄLZEL So, da sitzen’s noch beinand – der Hofmann und der Hofhund. (Chiara bellt.) MÄLZEL Pollux, sei stad! Das ist nicht für Dich. HOFFMANN Haben Sie etwas von der Festtafel abgezwackt für den trojanischen Hohlkopf – damit er in der Nacht nicht wieder stöhnt? MÄLZEL Also das Essen war ja gut, aber was sie jetzt machen, das interessiert mich nicht, das ist mir zu dilettantisch, die mythologischen Faxen – da knien sich’s hin und strecken die Ärm aus aufm Tabouret und ha’m diesen unangenehm geschpenstischen Blick – naa, das ist mir zu damisch. (Stimmen aus dem Speisesaal) KOREFFS STIMME Und jetzt eine gotische Gruppe: ‚Als Irrlicht steigt die Dame aus der Flamme, Die Poesie erhebt sie aus dem Schlamme.‘ MÄLZEL Das Fräulein Julia, die tut mir ja leid, so a schiachs Mandl! Dem wachst ja der Tripper zu’n Ohrwatscheln raus. HOFFMANN (erstarrt) Das sind Brandflecken. MÄLZEL Ja, dös glaub ich, dass der Pfeffer gebrannt hat! (Nimmt beim Kühlschrank seinen Koffer auf. Chiara knurrt.) HOFFMANN Sie sind ja auch ganz schwarz. MÄLZEL Und ob! Und wie! Nach d e m Malefizkonzert im Schlossgarten! HOFFMANN Hat da eine Granate eingeschlagen? MÄLZEL Ja, ham’s nicht davon gelesen? Das stand doch in allen Zeitungen, wie der Beethoven und der Mälzel die ‚Schlacht bei Vittoria‘ fürs Panharmonicon komponiert ham – mit all die Kanonen (klopft vor Begeisterung an den Kühl schrank, der sofort einige krächzende Takte aus Beethovens ‚Wellingtons Sieg –‘ ausspuckt.) Und danach ‚Der Brand von Moskau‘, mit dem Feuerwerker Meckel z’amm, wie die Russen die Franzosen verbraten ha’m, davon kann man wohl schwarz wer’n! HOFFMANN Der Beethoven und der Bratofen! PAPAGEI Der Hoffmann und der Hoffmann! MÄLZEL Bevor ich’s vergess – hier wär ein Brief für Sie (gibt ihm den Brief ). Mit einem Gruß von Ihrem Spezi in Berlin. HOFFMANN Hitzig? MÄLZEL Auf geht’s, Kümmeltürk! Hoam nach Wean! (Chiara bellt. Mälzel schiebt den Automaten hinaus, kommt aber wieder zurück.) CHIARA Passen’s auf Ihre Frau auf, Herr Musikdirektor, die trinkt mit dem jidischen Doctor schon aus e i n e m Glaserl! PAPAGEI (diskret) Brr! Brr! HOFFMANN (hat den Brief erbrochen, lässt ihn überwältigt sinken.) Von Beethoven! Beethoven lässt mich grüßen! PAPAGEI (dezent) Bravo! (Stimmen aus dem Speisesaal) KOREFFS STIMME Zuletzt – der ‚Albtraum des Verschmähten‘! (Summtöne, Fagotte und Klarinetten wie in Szene 9. Der Kühlschrank öffnet sich; drinnen in phosphorischem Licht ein ‚lebendes Bild‘: Füßlis Gemälde ‚Der Nachtmahr‘ – Julia hingestreckt vornüberhängend, auf ihr hockt Graepel als Albdruck, an einem Stück Rauchfleisch kauend, er starrt höhnisch zu Hoffmann hinüber.) HOFFMANN (mit gezücktem Messer auf den Kühlschrank losgehend) Der Spaß der Hölle ist empor gestiegen (lacht), die Kröte ist heraufgekrochen, bin ich Antonius, zur Fidel geworden meine Brust, und ist’s des Teufels Blendwerk in der Wüste? Oh, diese schwarze Wüste, wachsen dem Uhu die Heuschreckenbeine aus den Ohren, willst Du mir die Prinzessin rauben? Juche! | Bild XVIII 51 (Will zustoßen, aber hinter dem Stehpult schießt der Doppelgänger in Richterrobe herauf.) DOPPELGÄNGER Paragraph achthundertsechsundzwanzig – das Rädern von oben herab, wohl bekomm’s, Brüderlein! (Hoffmann lässt das Messer fallen, Chiara/Pollux liest es auf und läuft hinaus, der Kühlschrank schließt sich.) HOFFMANN Mischa! Mischa! DOPPELGÄNGER (höhnisch im Versinken) Mischa! Mischa! (Die Packer treten auf – in moderner Kluft) 1. PACKER Weitermachen! Nur nicht stören lassen, wir sollen nur den alten Eisschrank holen. 2. PACKER Was proben Sie denn? Früher war das ja mal ein Museum. 1. PACKER Und noch früher das Reichsgaskammergericht. 2. PACKER Aber heut wird ja alles zum Theater. (Packer ab mit Kühlschrank.) Szene 17 (Mischa aus dem Speisesaal.) 52 MISCHA Bist tollwütig geworden, Ernst! Gleich schreibst Du Entschuldigungsbrief! Die Frau Konsul war immer gewesen gütig mit uns! Dummes Jungenstreich infames! HOFFMANN Ich war erschrecklich besoffen und – un poco exaltiert! MISCHA Nix exaltiert – Eifersucht miserables, elendes, verderbliches! HOFFMANN (ergeben) Dies tristis et miserabilis. Hat wenigstens der Wein geschmeckt – aus Koreffs Glas? MISCHA Mischa will weg aus Wespennest abscheuliches! HOFFMANN Den Contrakt hab ich schon in der Tasche – Correpetitor an der Dresdner Oper. Leider regieren die Kanonen die Welt; es wird schwer halten, die Kutsche zwischen all den Kosaken, Baschkiren und Lützowschen Jägern hindurchzunavigieren, von der französischen Artillerie ganz zu schweigen! Aber wenn sie unsre Pässe visieren – MISCHA David wird auch reisen, er will sich taufen lassen in Meißen. HOFFMANN David? Du meinst den Doctor Koreff, nicht, meine Liebe? Ich verstehe ja, dass Itzig seinen Namen ändert, aber warum Koreff sich taufen lässt –? MISCHA Sind alle Christen am Hof des Königs in Berlin, und ist ihm erschienen Sankt Antonius im Traum. HOFFMANN Sieh da! Antonius – der von Padua, versteht sich, nicht der aus der Wüste Thebais – in welchem Bette er wohl da geträumt hat? MISCHA Kannst Du nicht auch nach Berlin? Ans Gericht an preußisches? HOFFMANN Nicht so hitzig, Madame, erst will ich meine Oper schreiben, die U n d i n e, die Geschicht’ von einem edlen Ritter, der mit einer Frau zur rechten, einer Fee zur linken fröhlich seine Nacht verbringt. MISCHA Gottloses Blendwerk schmutziges! HOFFMANN Atlantis ist ins Wasser gefallen, eine versunkene Stadt – aber ich höre aus der Tiefe ihre Glocken läuten. (Lauscht. Stille. Dann das Rumpeln einer fernen Kanonade.) (Vorhang.) PAUSE Szene 18 (Elbufer in Meißen. Das Malgerüst als Brückensteg – mittlings verbrannt und eingestürzt – vom Stehpult – mittels des Ofenrohrs zur Kanone umgebaut – diagonal nach links hinten gespannt. Flussrauschen; Signalfeuer von fernen Bergen. Daru, sichtlich dem Brand von Moskau entronnen, deckt mit seinem Kanonier, dem Doppelgänger, einen Ausbruchsversuch der Franzosen von Dresden nach Meißen.) DARU (mit dem Perspektiv ins Dunkel spähend) Da, da! Ein Pülk Baschkiren! Feu! Feuähr! (Doppelgänger schießt) DARU Ah, voilà! Welch Spectacle – die feurigen Reflexe im Wassähr! Deliziös! Da! Da! Cretin! Ein Piquet Hüsaren! Feuähr! (Doppelgänger schießt) DARU Non-non-non! Lünks!! Polack – lünks! (Doppelgänger schwenkt die Kanone, schießt) DARU Diese Hilfstrüppen! (Doppelgänger schießt) DARU C’est bien! Ümgemäht! Gloire! Victoire! Général Mouton stürmt schon die Bokeldorfer Schanz! Vive Napoleon! Da, Canaille! Lützowsche Jäger! Feuähr! III. Akt 53 54 DOPPELGÄNGER (hinter der Kanone hervorkommend) Mon Général! DARU Feuähr, Calmüque! Feuähr! Wir sind umzüngelt! DOPPELGÄNGER Mon Général – pisser! P i s s e r ! Uuuuuuh! (deutet die Dringlichkeit an.) DARU Ist er verrückt? ‚Pisser, pisser‘? Piss Er in die Stüfel! Allons! Vite, vite! Feuähr, Feuähr! (Doppelgänger schießt) DARU Die Lemüren! Die Barbaren! Voltaire ist kein Käse! Marat ist kein Schnaps! (Doppelgänger pisst) DARU Da, da! Zwei Escadron rüssische Dragoner! Ah, wir sind perdü! Schieß, Canaille, schieß! DOPPELGÄNGER (noch ausgetreten) Keine Kugeln mehr, mon Général! DARU Was, keine Kügeln? Da, da, Idiot! Was ist d a s ? (deutet auf Munition am Boden) (Doppelgänger lädt und schießt. Geräusch einer vorbeifahrenden Kutsche. Daru folgt ihr mit dem Perspektiv.) DARU Voilà, ein Civiliste! Monsieur Göht aus Weimar! Hat in Dresden die Oper besücht – absürd, bizarre! Ein Freund des Kaisers! Kein Freund des Volkes! Bewündert noch das Bauwerk! (Doppelgänger schießt.) DARU Stop! Cretin! Die Große Armee schießt nicht auf Civilisten! (Marschmusik – Beethoven / Mälzel, ‚Wellingtons Sieg‘ crescendo.) Was ist das? (späht durchs Perspektiv) Phänomenal! Die ganze preußische Elite! Der Kanzlähr und sein Staatsrat, der verflüchte Hüppel – hat den König Wilhelm gegen üns aufgehetzt! Feuähr! Feuähr! (Doppelgänger schießt, Musik bricht ab. Gewehrfeuer.) DARU Ümgemäht! Die verdammten Jünker! Attention, unter der Brück sind Heckenschützen! (reicht dem Doppelgänger das Perspektiv. Geräusch einer sich nähernden Kutsche, der Doppelgänger späht.) DOPPELGÄNGER Ha, Brüderlein, bist Du’s, nimm mich – (winkt, Gewehrsalve, Doppelgänger versinkt getroffen hinter der Kanone.) DARU (das Perspektiv aufnehmend und ansetzend) Fatal! Fatal! Der Monsieur Offmahn aus Warschau mit seinem Papagoy! Ist in Correspondance mit dem Feind getreten! Hat nicht Sonate Facile, hat Sonate Pathétique gebümst! Kein Signatür, kein Schwür, ein ü b l e s Subjekt! (Nimmt eine Kugel auf und schleicht sich übelwollend an die Kanone. Gewehrfeuer, er versinkt getroffen, das Kanonenrohr bricht ab. Die Kutsche ist herangekommen – Bremsgeräusche, Schreckensschreie, krachendes Holz, Pferdewiehern – ein Unfall) PAPAGEI (verendend) Vive Napoleon! Mordi – HOFFMANNS STIMME Mischa! KOREFFS STIMME Nicht anfassen! Sie lebt! Szene 19 (Von rechts tragen Hoffmann und Koreff die verletzte Mischa auf die Brücke, lehnen sie ans Geländer, Koreff untersucht die Stirnwunde, Hoffmann stolpert betäubt weiter, bis zum Brückenscheitel, wo er an der Bruchstelle überm Fluß verhält und hinablauscht: Wasserrauschen und sehr ferne Undine-Klänge. Er hastet zurück.) KOREFF Zwei Zoll groß, die Wunde, und tief, aber sie atmet. HOFFMANN In ihrem Korb war Kölnisch Wasser (sucht am Boden, erhebt sich mit der Flasche und seiner Partitur unterm Arm). Hier. Die Kutscher bestellen eine Porte-Chaise. MISCHA (erwachend) Ernst? Hast Du gefüttert Kindchen? KOREFF Sie spricht, sie wird leben, ruhig, Michalina, es brennt etwas, ist rasch vorüber (Mischa stöhnt, Hoffmann wendet sich ab, Koreff legt einen Notverband an. Fahles Licht: Vor der Brücke bis an den Fluss – ein goyaeskes Schlachtfeld; Verwundete, Tote. Hoffmann, die Partitur an sich pressend, kommt von der Brücke herab nach vorn. Ein Verwundeter richtet sich auf, bittet um Wasser; Hoffmann, starr vorausblickend, gibt ihm die Taschenbouteille, wartet, nimmt sie wieder an sich, hält an der Rampe.) MISCHA Schön Schuh sind fort, schön Schuh – HOFFMANN (ins Publikum) Was ich so oft im Traum gesehn – Verstümmelte, zerrissene Menschen – ausgeschossene Augen, zerschmetterte Köpfe – Gruben voll nackter Leiber – es ist mir erfüllt worden – auf furchtbare Weise (nimmt einen Schluck). Scheußlicher Anblick! (Die Kutscher kommen mit dem Tragsessel, Mischa wird hinweggetragen.) KOREFF Hoffmann, ein Gasthof ist nahebei, dort wird sie ruhn, wir können uns erquicken. Meißen ist nicht weit. HOFFMANN (ist zum Stehpult geeilt, hat die Undine-Partitur geöffnet) Gehn Sie nur voraus, Doctor, sehn Sie zu, dass Mischa gleich ein Bett findet! Ich komme nach. Lassen Sie sich inzwischen taufen, bevor es zu spät ist! KOREFF Hoffmann, freveln Sie nicht! (Koreff mit Mischa ab) 55 56 Szene 20 (Hoffmann komponiert – Bruchstücke einer Undine-Arie, Stöhnen der Verwundeten, Rauschen der Elbe.) HOFFMANN Werd’ ich nicht morgen – (‚Morgen so hell –‘) von einer preußischen, russischen, französischen Granate zerrissen – (‚Blumen so bunt –‘) wenn mich nicht die Ruhr dahin rafft – (‚Räumt die leeren Schränke –‘) soll die zarte Pflanze nicht sterben – (‚Findet nichts im leeren Haus –‘) Undine – zwei Akte sind fertig – ( ‚Vater weiß, in seinen Kammern –‘) Was kann man in böser Zeit Besseres tun? (‚Findet er die Todesruh –‘) (Rufe vom anderen Elbufer: ‚Halt, wer da?‘ – ‚Marodeure! Fasst sie!‘ Fall ins Wasser, Schwimmgeräusche, Schüsse. Eine abgerissene Gestalt kriecht herauf: Chiara. Sie wird nicht verfolgt, tastet sich nach vorn, jedem Gefallenen ins Gesicht sehend.) CHIARA Hier war’s – Mit dem Mouton, an der Brück’ – Amadeus? Jede versäumte Minute ist Blutschuld – Weg, du Aas! (verscheucht einen Hund) Sind keine Missetäter – (Klatscht in die Hände, Schatten von Raben) Sind keine Mordbrenner – HOFFMANN Chiara, wen suchst Du? Chiara (ohne aufzusehen) Nicht Dich, Dich nicht. HOFFMANN Woher kommst Du? CHIARA Sei still, sonst müssen wir ja sterben. Ich war in Leipzig, im Lazarett – eine Schule, nicht das Haus der Konsulin, des Bankiers – eine Schule, scheibenleer, kalt, kein Stroh, keine Betten – zerbrochene Glieder geschient, mit Dachschindeln – alles aufgeschwollen, brandig, kein Brot, keine Decken, kommen immer mehr, schreiend, blutig, Amadeus nicht – liegen wie Heringe, die Helden, sterben an Wundkrampf, Kinnbackenkrampf – kein Mull, keine Binden, nur Salzsäcke, rauhe Leinwand, nimmt die Haut mit, wo sie noch ganz ist – HOFFMANN (herabeilend) Aber erwärm Dich doch nur, Chiara, erwärm Dich, Du musst ja sonst umkommen (legt ihr seinen Mantel um.) CHIARA (zieht eine aufgeweichte Kruste aus der Tasche) Recht schönen Kuchen hab ich gefunden, weich geworden in Wasser, willst Du? (hält ihn in die Luft, ohne aufzusehen.) HOFFMANN (zurück zu seiner Partitur) Mit der Undine führ ich ein herrliches Leben, sie besucht mich jeden Morgen, bringt Blumen und glänzende Steine, kommt die Sonne heraus, eilt sie fort und die Blumen sind welk, die Steine glanzlos. CHIARA (für sich) Du bist ein guter Mensch, Du singst, dass es mir Recht zu Herzen geht, Du wirst mich nicht verraten, hast Du (sieht erst jetzt zu ihm auf ) den Amadeus gesehen? HOFFMANN (in seiner Partitur) Mein Name ist Ernst, Theodor, Wilhelm. CHIARA Du hast ihn nicht gesehen, Du warst nicht in der Schlacht, Du hast Dich eingeschlossen mit der Bankiersfrau. HOFFMANN Auf Bestellung komponiere ich auch eine ‚Schlacht bei Leipzig‘ für Mälzels Panharmonicon. CHIARA (nähert sich ihm drohend) Warum hast Du Dich eingeschlossen? Warum, W i l h e l m? Du hast Angst. Darum! Angst. Nicht vor den Kanonen, nicht vor der Kälte und den Seuchen. Nein, davor fürchtest Du Dich nicht. Nicht vor Hunden, Wölfen, Ebern und Philistern. Nicht vor Armut, Krankheit, Wahnsinn und Versuchung. Wovor ist dir bange, Wilhelm? Vor Gespenstern? Vor dem tiefen Wasser, dem B r a n d in deiner Brust? Nein. Du hast Angst davor, Verwundete herumtragen zu müssen. Davor hast Du Angst. Deshalb all die Noten. (Sie steht jetzt hinter Hoffmann, der das Gesicht in den Armen begraben hat, als wolle er schlafen.) Ich will Dich doch lieber ermorden. M i c h wirst Du nicht verraten, aber die a n d e r n alle! (Sie zückt das Messer über ihm. Aus Hoffmanns Kopf löst sich der Doppel- gänger, steigt auf, versengt von der Kanonade, Schusswunden in Hals und Brust. Chiara lässt das Messer sinken.) DOPPELGÄNGER Lass das Brüderlein schlafen, Chiara – seine Kutsche ist in den Graben gekippt, seine Frau ist wund, sein Papagei erschlagen, er geht nicht mit uns in den Wald, taucht nicht im Strome unter – er kann nicht schwimmen, das Brüderlein! Kann nicht in der freien Luft ausdauern, gehört nicht zu den Verworfenen. (Er stöhnt, knickt ein, wird von Chiara gestützt.) CHIARA Du blutest, Du musst ins Lazarett, komm, halt Dich fest, ein Boot liegt unter dem Steg. DOPPELGÄNGER (indem er Chiara zum Ufer hinab folgt) Sie haben ihn gefeuert aus dem Opernhaus, er ist brotlos und hat seien alten Rock verkauft, nur um fressen zu können. Sein Erzfreund, der Hippel, schmiedet ihn wieder ans Treibrad der Justiz, da wird er uns nützen, herausschaufeln aus den Löchern, das Brüderlein, er kennt die Kniffe, die Willkür der Herrschenden, und das witzige, punschende, neckische Brüderlein – ekelt sich davor. CHIARA Drüben hab ich Mehl versteckt, da kann ich Dir Piroggen backen, lehn Dich an, ich rudre Dich hinüber. Bild XIX | 57 (Plötzlich kommt sie noch einmal über die Uferböschung herauf, breitet die Arme aus und ruft übers Schlachtfeld) Steh auf! Die Befreiung ist nahe! (Ein Schwarm flügelnder Schatten erhebt sich, ein Rabe krallt sich in Hoffmanns Schulter fest.) HOFFMANN (schief aufsehend) Bravo? Bravissimo? (Der Rabe bleibt stumm; die Toten erheben sich und trotten zum Fluss. Die Elbe rauscht auf. Chiara, Doppelgänger, Verwundete ab.) Szene 21 (Von links hinten über die Brücke herauf – der Staatsrat von Hippel, pompös und doch vorsichtig. Adjutantenuniform, Säbel, Kaskett, eisernes Kreuz, roter Adlerorden, sichtlich von Darus Kanonade mitgenommen. Siegesmarsch aus ‚Wellington –‘. An der Bruchstelle, auf dem Brückenscheitel, stoppen Staatsrat und Musik abrupt.) 58 HIPPEL (zu Hoffmann hinüberspähend) Wer da? (Der Rabe fliegt auf, Hoffmann geht dem Freund über die Brücke entgegen.) HIPPEL Bist D u es, wahr und wahrhaftig Du selbst, teurer Freund? HOFFMANN (sich scheu umblickend) Ich weiß es nicht – und D u, Amico, bist Du inzwischen in Italien gewesen? HIPPEL (lacht schallend) Italien, ja, Italien, vino rosso, tutti frutti – nein, mein Freund, das Vaterland hat mich gerufen in stürmischer Zeit und schwerer Not, der Vampir Bonaparte hat das Land ja ausgesaugt bis auf das Mark. HOFFMANN Die Contributionen, ich weiß! Da hast Du auf Deinen Gütern die Erträge nicht verdoppeln können? HIPPEL Die Güter, die unsere Vorfahren blutig erkämpft! HOFFMANN Deine Knechte! HIPPEL Gewissensfreiheit, Ehre, Unabhängigkeit, Handel, Kunstfleiß und Wissenschaft – HOFFMANN Ja, ja, ich habe Deinen Aufruf gelesen, er war ja an allen Häuserecken angeschlagen, Ihr zwei habt den König in der Hand: der Koreff seinen Leib und Du die vaterländische Seele. (Hoffmann sitzt jetzt an der Bruchstelle auf der Brücke, beinebaumelnd über dem Fluss; Hippel, der die Arme ausgebreitet hatte, resigniert und setzt sich ebenfalls.) HIPPEL Unter uns – er ist ein schwacher Monarch, wir brauchen starke Führer in dieser gärenden Zeit. HOFFMANN Wo gärt es denn? HIPPEL Der Sieg hat uns vom falschen Joch befreit, doch zu viel Freiheit steigt dem Plebs wie Fusel in den Kopf, sie wollen Aufruhr, Anarchie, nicht Staat und Monarchie. HOFFMANN Sind die Kerker schon geöffnet? HIPPEL (lacht schallend) Ja, Freund, ich hab dein treuherziges Gesuch um Wiederanstellung im preußischen Justizdienst weitergeleitet, ich habe dem Innenminister versichert, daß Du einen guten, gedrängten Stil schreibst, auch immer, selbst in kümmerlichen Verhältnissen, fleißig und anständig geblieben, und dass die Sorgen Dich völlig geheilt von allzu großer Genialität, ja, aus Deinem Pegasus ein tüchtiger Ackergaul geworden, Du enttäuschst uns nicht? (Pause) HOFFMANN Graf Brühl, der neue Direktor der königlichen Schauspiele in Berlin, ein fabulöser Schnörkulant, wird künftigen Herbst meine ‚Undine‘ geben – mit neuen Dekorationen und Maschinen, vom Architekten Schinkel sinnig geordnet, eine Haupt- und Staatsaktion! Wird da nicht der Minister seinem neuen Ackergaul auch noch die letzten Flügelstummel stutzen sollen? HIPPEL Freund, wo denkst Du hin? Wir werden a l l e in unseren Logen sitzen und Dir applaudieren: Die Kunst soll ja vom Dienst nicht erdrückt werden! (Wellingtons Siegesfanfaren, Hippel erhebt sich.) Doch nun ruft wieder mich das Vaterland, ich darf nicht zögern, noch ist manche Schlacht zu schlagen! Die Hand, sonst nur gewohnt, den leichten Kiel zu führen, ergreift das Schwert – (Die Kulissenschieber treten auf und schieben auf einen Wink Hoffmanns den linken Brückenteil hinaus – mit Hippel, der wie vom Heck eines auslaufenden Schiffes seinen Abschied hinüberruft.) HIPPEL – und, glaub mir, treuer Freund, wenn ich nach grausamem Gefecht, im Morgennebel, Posten stehe, da d i c h t e auch ich so manches Lied, das mich in meinem herrlichen Berufe, zu streiten für Ehre und Freiheit, erhebt und stärkt! HOFFMANN Sieh da! Unser Übel ist entgegengesetzt: Du hast zu viel Phantasie, ich habe zu viel Wirklichkeit. HIPPEL Die Morgenröte bricht an, leb wohl denn, teurer Freund, und wenn du meinen Rat brauchst – HOFFMANN (dem Verschwundenen nachrufend) Etwas G e l d käme gelegen. 59 Szene 22 (Hoffmann ist zu seiner Partitur zurückgekehrt. Die Kulissenschieber haben den rechten Brückenteil wieder als Malergerüst vor die linke Seitenwand geschoben. Türloch und Eckfenster werden wieder sichtbar. Schauplatz ist jetzt Hoffmanns Berliner Wohnung am Gendarmenmarkt, gegenüber dem Theater. Der Raum ist leer.) HOFFMANN Sie können dann die Möbel heraufbringen. 1. PACKER ’Ne höllisch enge Treppe ist das! 2. PACKER (am Eckfenster) Aber ’ne himmlische Aussicht! (Packer ab. Hinter der Szene Publi kumsgemurmel und das Stimmen eines Orchesters. Dann – Totenstille. Durch das messergeschnittene Fensterloch ist der Rabe eingestiegen und hockt auf dem Gerüst.) HOFFMANN (aufsehend) Da bist Du wieder – Mordio? Da Capo? (Der Rabe bleibt stumm.) HOFFMANN Meine Seele ist kein Käse, gib sie mir wieder, öffne den Schnabel! (Der Rabe bleibt stumm.) HOFFMANN Was hast Du aus den Eingeweiden der Toten gelesen? Sei mein Orakel, belehre mich, bekehre mich! (Der Rabe bleibt stumm.) 60 HOFFMANN Wie wär’s mit einem Duett? Ich fange an: Ich, Gozzi, sah im Wald einen herrlichen Raben auf einem Grabmal hocken. (Eine Waldkulisse mit Mausoleum wird lautlos hereingeschoben, die Kulissen schieber tauchen, unbemerkt von Hoffmann, daneben auf und hören andächtig zu.) Er fixierte mich böse und sprach –? (Der Rabe bleibt stumm.) HOFFMANN Fixierte mich böse und – stumm? Da warf ich das Messer nach ihm, es bohrt’ sich in sein Herz und der Rabe s c h r i e –? (Der Rabe bleibt stumm.) HOFFMANN Und der Rabe stürzte herab und bespritzte, zum Tode erstarrend, mit seinem Blute meine Stiefelspitzen! DIE PACKER (hingerissen) Ohhhhh! HOFFMANN (herumfahrend) Was macht Ihr denn hier, seid Ihr verrückt? Da drüben, am Gendarmenmarkt ist das Theater, und sputet Euch, sie stimmen schon zur Ouvertüre! (Kulisse und Packer eilig ab) HOFFMANN (weitererzählend) Ich nahm den Balg nach Hause und stopfte ihn aus und stellt’ ihn mir aufs Vertiko. Und unter dem Schatten seiner gespreizten Flügel verdorrte meine Seele. Ich schlug mit meinem eisernen Schuh auf die Dielen – Tag und Nacht, ich aß Staub und Fliegen, draußen aber fraß ich Gras und Spinnen, soff meinen Urin und das Blut aus der Schlachterrinne. Ich schlitzte Polster und Matratzen auf und suchte in Winkeln und Kasten nach etwas Verlorenem, jeden spuckte ich an, der sich mir näherte, alle flohen mich, selbst mein Weib blieb händeringend vor der Stubentür stehen, bald das Ohr, bald das Auge im Schlüsselloch. Da öffnete eines Nachts der tote Rabe seinen Schnabel und sprach –? (Der Rabe bleibt stumm.) HOFFMANN Und ich fand es – hielt es in meinen schwarzen Händen – ein E i. Ich saß und wärmte und behauchte es, bis es herauskam: ein Alligator. Er wurde sieben Fuß lang, fraß Heringe, Austern und die Spinnen, die ich ihm fing. Ich liebte und zähmte ihn. Es fror ihn beständig, ich nahm den Hammer und schlug meinen Flügel entzwei und schon prasselte das Feuer im Kamin! Davor schlief er dann, eingerollt mit offenen Polleraugen, oder er schlappte Wasser aus einer Schüssel. Nachts, wenn das Feuer ausging, weckte er mich auf: er schob die Decke weg, drängte seinen ledernen Bauch an mein Skelett und ich badete im Gestank des Echsenmauls. Eines Morgens fand ich ihn – erstochen, auf dem Rücken liegend, in schwarzem Blute, vor dem erloschenen Kamin. Ich hob die Fäuste zu Dir auf, dem Rabenaas, und da sagtest Du –? (Der Rabe bleibt stumm.) HOFFMANN Und was Du sagtest schrieb ich mir auf meine Hand – die hackt’ ich ab und schickte sie hinüber in das Haus des Brillenmachers – da kam sie, ihre Brauen schwarz gefiedert, im weißen Kleid, die Brüste starr, ihr Rabenhaar zum Neste aufgesteckt, aus dem Elmsfeuer züngelte, sie gab mir Fliegenpilz zu kauen und nähte die Hand mir wieder an, ich liebte Armilla, wenn sie drüben ihre Patiencen legte und nicht aufsah, riss ich mir büschelweise die Haare aus, bis sie herüberkam, sich zu mir legte, meine graue Hand in ihrem Schoß begrub und mit dem Raben sprach, der über uns im Dunkeln hockte. (Pause) Was sprachst Du mit der Feuerpuppe? (Der Rabe bleibt stumm.) HOFFMANN Als ich, der Gozzi, zu den Kerkern des Gerichts hinabstieg, sah ich die Fee kopfüber auf dem Müllkarrn im Scheißkübel stecken, der Hals war ihr durchschnitten, man ergriff mich, warf mich in die Zelle, als ich mich aufrichtete auf meiner Pritsche, saß mein eigenes Selbst mir gegenüber. ‚Bruder Pozzi‘, sagte ich, ‚ich wusste, dass es böse mit Dir enden wird, Du warst ein Säufer, Spieler und Betrüger, ich gab Dir | Bild XX 61 jahrelang Geld und dann – vergaß ich Dich.‘ Der Pozzi sagte nichts, man führt mich aufs Schafott, ich spie schon in den Korb, und über mir die schwere Schneide im Gebälk – da war ich plötzlich frei. Der Bruder Pozzi hat gestanden: Dass er im Wald mein Messer fand, und über ihm aus einem Mausoleum sprach der Rabe –? (Der Rabe bleibt stumm.) HOFFMANN (in Rage) Zu i h m hast Du gesprochen – Du sagtest: ‚Liebst Du Deinen Bruder?‘ Er sagte: ‚Mehr als mich selbst.‘ Du sagtest –? ‚Töte alles, was er liebt! So kannst Du seinen Wahnsinn heilen.‘ Sie haben ihn guillotiniert. Sag wenigstens ‚B r a v o!‘ (Der Rabe ist verschwunden. Schrilles Läuten hinter der Szene.) STIMME DES DOPPELGÄNGERS (aus dem Theater am Gendarmen markt) Das Theater fängt an. (Ouverture zur ‚Undine‘, im ‚Theater‘. Hoffmann aufatmend, mitdirigierend hinter dem Stehpult.) Szene 23 (Eintritt Hitzig – Schirm, Zeitung, Zylinder, Aktentasche, will ablegen, sieht sich suchend um.) 62 HITZIG Noch immer keine Möbel, Hoffmann – keine Bücher, Bilder, Vorhänge – keine Harfe? HOFFMANN Hängen Sie Ihren Hut nur an den Steg, Hitzig, fallen Sie nicht ins Wasser dabei! (Die Packer bringen eine Matratze herein. In der Folge stellen sie noch einige Möbelstücke beim Fenster ab.) HITZIG Sie haben doch nicht Undinens Brunnen im Haus? HOFFMANN Als ich hinabsah von der Brücke, tauchten blutige Leichname auf in den schwarzen Wellen, aber als ich hinablauschte, hörte ich die Glocken läuten. (Applaus und Bravorufe vom ‚Theater‘ herüber.) HITZIG Gewiß doch, ganz Berlin steht Kopf – Johanna Eunike als Undine jetzt schon zum dreizehnten – HOFFMANN Zum vierzehnten – HITZIG Zum vierzehnten Male als lieblich tirilierender Wassernix bei überfülltem Haus. Der Hof gab sich die Ehre, samt Kanzler und Leibarzt, die angeblich bessere Societät, die Brentanos und Chamissos, das ganze Kammergericht, einschließlich dem Polizeidirektor Kamptz – und im Parterre der Pöbel und Ihre Weinhausgenossen! (Sieht sich vergebens nach einem Stuhl um.) HOFFMANN Machen Sie sich’s nur bequem! (deutet auf die Matratze) HITZIG Nicht einmal zu einem Bett haben Sie’s gebracht? HOFFMANN Auf der Matratze r a m m e l t es sich viel besser, Hitzig – man fällt nicht so tief! HITZIG Seit Sie nur noch in öffentlichen Häusern verkehren – in Spelunken, Weinkellern, schaut aus jedem Ihrer Worte der blanke Cynismus heraus. HOFFMANN In der Tat, die Fähigkeit, mich in edlerer Umgebung würdig zu benehmen, ist mir total abhanden gekommen – das müssen Sie ja nicht in die Biographie aufnehmen. HITZIG In welche – Biographie? HOFFMANN Seht die drollige Naivität! Meinen Sie, ich wüsste nicht, daß Sie neuerdings jeden Krakel und Kakel von mir sammeln, um mich später daraus für die Nachwelt zu destillieren? Woher wissen Sie eigentlich, dass Sie mich überleben? HITZIG Vor meinen Augen versinken Sie ja, und, nach den mechanischen Gesetzen des Falles, leider mit furchtbarer Schnelle! Seit Ihnen die Taschenbuchverleger sechs, acht, zehn Friedrichsdor für den Bogen zahlen, ist kein Halten mehr: Sie verschleudern ihr Lebenscapital – schneller und schneller der Umschwung – alles Genuß und Nachtschwärmerei, und am End – der Bankrott! HOFFMANN Trinke ich nicht auch Tee mit Rum, oder Rum mit Tee, bei wohlerzogenen Leuten – Krämern, die Kunst und Leben in gleich kleinen Portionen vertreiben? Habe ich nicht in Ihrem Gärtchen mich wie ein Abstürzender im nächstbesten Gebüsch festgekrallt? HITZIG Eine Oase kann man wohl unsere Leseabende nennen – aber da wacht ja auch Ihre Frau darüber, dass Sie nicht ins Obszöne und Gotteslästerliche abgleiten. HOFFMANN Das walte der heilige Antonius und Serapion! (Aus dem Theater die Arie des Kühle born – ‚Ihr Freund aus Seen und Quellen‘.) HITZIG Fast hätte ihr intriganter Wahnwitz sogar diesen lüsternen Wasserzauber vereitelt – mir wäre es recht gewesen, die Leute hätten das Büchlein vielleicht wieder g e l e s e n, statt immer sich alles farbig vorgaukeln zu lassen. HOFFMANN Dieses allgemeine Gären und Brausen, diesen Männerklatsch nehmen Sie doch nicht ernst? HITZIG Ich kenne Sie, teurer Freund – von den Warschauer Maskenbällen. 63 64 Die Johanna Eunike will nicht Ihre Gespielin sein. HOFFMANN (erstaunt) Noch soll sie es – ich freue mich ihrer lieblichen Stimme. HITZIG Sie beschenken Sie täglich mit Zuckerwerk und Bouquets – früher brachten Sie die Süßigkeiten meinen Kindern und bauten ihnen Ritter Huldbrands Burg auf. Jetzt fragt man vergeblich nach Ihnen. HOFFMANN (heiter) Ein Poet gehört zu den Verworfenen. HITZIG Und bei d e n e n, Ihren Zech brüdern, die heute einen Tänzer, morgen eine Taschenbuchnovität und übermorgen den blutigen Kampf einer unterdrückten Nation feiern, bei dieser Sorte brennen Sie nächtelang Ihre giftsprühenden Feuerwerke ab – Sie sind ja schon körperlich und geistig völlig ausgebrannt. HOFFMANN (beipflichtend) Und langeweile mich auch noch dabei. HITZIG Ja, aus Langeweile stellen Sie der frischen, unverdorbenen Johanna nach – und wundern sich, wenn ein Brühlscher Comödiant Ihnen seinen Part vor die Füße wirft! HOFFMANN Der Bassist? Der putzlige Dicke? Er fürchtet, daß das tolle, gotische Zeug ihm die Kehle verkratze – er war leicht zu ersetzen. HITZIG Er h a s s t Sie, Hoffmann, wie Sie den Bankier Graepel hassen, doch was schwatze ich, ich habe einen Termin – (zieht seine Taschenuhr) HOFFMANN Schauspieler fahren einander immer an die Kehle – man sollte sie durch Marionetten ersetzen. Übrigens habe auch ich einen Termin. HITZIG In der Theatergarderobe? HOFFMANN Und Sie eilen gewiss, einen neuen Autor vor dem Taschenbuchruin zu bewahren? HITZIG (verlegen) In den Terminsaal des Kammergerichts. HOFFMANN Auch S i e? Wieder am grünen Tische? Diebe? HITZIG Betrüger! HOFFMANN Notzüchtiger! HITZIG Und Mörder! HOFFMANN Warten darauf, dass wir sie prügeln? HITZIG Und ins Zuchthaus schicken! HOFFMANN Wankelmütiger Musensohn! HITZIG Das Verlaggeschäft stagniert, die besten Bücher finden keine Leser mehr, vielmehr – keine Leserinnen. HOFFMANN Sie bringen den ganzen Tag bei den Putzmacherinnen zu? HITZIG Hoffmann, bei Ihrem wüsten Weinhausleben sehen Sie natürlich nicht, wie Ihre Frau sich abzappelt. HOFFMANN Aber sie liest durchaus noch nebenbei – den Heiligenkalender und – meine Taschenbuchnovitäten. HITZIG Sie liest – aber die andern s c h r e i b e n ja alle! Sie lieben gedruckt, sie weinen gedruckt – es ist zum Verzweifeln! HOFFMANN Warum verlegen Sie dann nicht die gelehrten Frauenzimmer? HITZIG Niemand liest sie ja – die Frauen nicht, weil sie selber schreiben, die Männer nicht, weil sie die Frauen heimführen, aber nicht lesen wollen – aber eine schreibende Frau wird natürlich auch nicht heimgeführt! Und so schreiben elf Zwölftel von ihnen über ihr verfehltes Leben – mit Recht – HOFFMANN Mit Recht! HITZIG Ich meine – mit Recht v e r f e h l t! Denn meine Erfahrung, so alt wie die Welt, ist, dass man sich bückt, um das Veilchen zu pflücken – die Sonnenblume aber stehen lässt. HOFFMANN Sie wollen nicht – die Kerne herauspicken, oder – Sonne spielen? HITZIG Sonne spielen! Bin ich Goethe? Mir ist das Leben ergraut. Das Rennen, Reiten, Fahren in den Straßen – wesenlos, wie bei der Sonnen f i n s t e r n i s. Wo ist die versprochene Constitution in Preußen? Fremd sind mir die Gesichter in Berlin – fremd und feindlich. Seit Napoleons Fall regen sich wieder Spott und Häme gegen uns, und was tut der König? Er sitzt den ganzen Tag im Theater. Und was wird da gegeben? Ein Hetzstück gegen die Juden, und dagegen schreitet keine Censur ein – haben Sie das Machwerk gesehen? HOFFMANN (schaut ihn schweigend an) Es tut mir leid, Hitzig, ich meine – der Tod Ihrer Frau. Auch Mischa ist verstört darüber. An meinem Geburtstag wollen wir wieder einmal gemütlich zusammen sitzen – Koreff, Hippel und Sie, und bei dampfendem Punsch einander seltsame Abenteuer erzählen. (Vom ‚Theater‘ herüber die Arie ‚Morgen so hell‘, plötzlich Unruhe, Feuerschein, zweimaliges schrilles Läuten hinter der Szene.) STIMME DES DOPPELGÄNGERS (im ‚Theater‘) Feuer! Es brennt! Das Theater brennt! (Hoffmann und Hitzig zum Fenster.) HITZIG Hoffmann, die Flammen schlagen schon zum Dach hinaus! Bild XXI | 65 HOFFMANN Die Comödianten – sie tragen die Kulissen heraus! HITZIG Hoffentlich können sich alle retten. HOFFMANN Die Perückenkammer fliegt auf! Die Bank! Sehn Sie nur – der Meteor über dem Bankgebäude – der Credit des Staates wankt – es ist die Perücke des Dorfbarbiers! HITZIG Die Gardejäger mit den Spritzen! HOFFMANN Ahh, wohlgetroffen – sehn Sie, wie es niederzischt, das Ungetüm, da – es sinkt in den Pisswinkel des Schonertschen Weinhauses. (Hinter dem Stehpult, sichtlich dem Theaterbrand entronnen, taucht Kratzer auf – nicht der Kustos, sondern der Brühlsche Comödiant; sieht sich gehetzt um, macht sich nach vorn, durchs Auditorium, davon. Eintritt Mischa.) 66 MISCHA Mein Gott, das Theater brennt. HITZIG Hoffmann, Ihr Dach hat Feuer gefangen! HOFFMANN Die Farbe tropft schon von den Fensterrahmen. MISCHA Ich hol die Gießkanne. HITZIG Ihre Möbel (trägt den Wandschirm nach vorn.) MISCHA Heiliger Antonius, lass Feuer ausgehn schlimmes, schütz uns Sünder unselige! (gießt die Fensterrahmen) HITZIG (wischt sich den Schweiß) Entsetzliche Glut. (Pochen an der Tür, zwei Feuerarbeiter mit Spritze herein, sie zielen aus dem Fenster aufs Theaterdach. Hoffmann und Hitzig tragen Möbel nach vorn.) HOFFMANN Hitzig wir versäumen unseren Te r m i n ! Szene 24 (Links vorn zusammengerückt der geret tete Hausrat. Im sonst leeren Raum eine Art Armesünderbank. Auf dem Pult eine Laterna Magica.) KRATZER (am Pult) Die Türen sind verschlossen, meine Schlüssel passen nicht (zeigt seine rostigen Schlüssel), aber Sie haben Ruhe bewahrt – deutsche Elite, auch im Dunkeln, vertrauend darauf, dass Anstand, Ordnung und Licht wiederkehren – leider sind alle Sicherungen durchgebrannt! Jetzt vielleicht eine kleine Stärkung! (bemerkt erst jetzt das Fehlen des Kühlschranks.) Schade, zu spät, doch steht der neue sicher bereits vor der Tür. Inzwischen meine Gedenkadresse – im Flunkerlicht – hähä – wo waren wir stehen geblieben? Richtig – Hoffmann! (projiziert aus der Laterna Magica ein riesiges Lichtbild an die Rückwand – Hoffmann, Gesichtspartien und Details der Kleidung mit Buchstaben gekennzeichnet wie auf der Radierung von Sonderland. Kratzer mit Zeige stock, dessen Spitze Löcher ins Lichtbild ‚brennt‘.) Das Selbstbildnis aus dem Jahre achtzehnhundertzwanzig, der reife Dichter und Richter, leider im Original ja nun verbrannt, aber sozusagen als ‚gottloses Blendwerk‘ – hähä – an die Wand zu werfen. (Chiara zieht ihren mit Kübeln vollgestellten Karren herein.) KRATZER Sie sehen ihn hier im charakte ristischen braunen Frack, die Haare neu aptiert und horrorgesträubt, darunter die Larve entlarvt ihn, er war sich seiner Schwächen und Tücken durchaus bewusst: nicht so gesund wie Goethe, so tief wie Beethoven, so radikal wie Kleist, so religiös wie Novalis, oder universal wie der Brockhaus, scharfsinnig wie Poe, grotesk wie Gogol, prophetisch wie Dostojewski, artistisch wie Baudelaire, sozial wie Dickens, abgründig wie Kafka – geblendet von B – dem bösen Blick – waren sie alle, bestochen von seiner Nase – sagen Sie? Riechen Sie es auch? (Chiara hockt pfeiferauchend am Boden.) Das ist ja pestilenzialisch. (fährt herum und gewahrt Chiara.) Was suchen Sie hier schon wieder? CHIARA Dich nicht, nicht Dich! KRATZER Rauchen ist hier verboten, das ist eine geschlossene Veranstaltung, raus hier, raus! CHIARA Verschlossen, ja verschlossen – und D u hast die Schlüssel! KRATZER D a liegt noch Dreck, aber Sie hätten hier vorher putzen sollen, stinken I h r e Eimer so? CHIARA Die Kübel aus den Zellen, sie standen vor den Eisentüren – D u IV. Akt 67 Bild XXII | 68 hast die Schlüssel, gib sie her! KRATZER (schreit) Nehmen Sie Ihre Pfeife aus dem Mund, verschwinden Sie hier mit Ihrem Kloeimern! Was fällt Ihnen denn ein? CHIARA Wo sind die zehn Dukaten, Herr Leutnant? KRATZER (ins Publikum) Ich weiß, sie tun die Drecksarbeit – CHIARA Ich hab Piroggen gebacken, schöne Piroggen, die will ich der alten Frau in die Zelle bringen! KRATZER (ins Publikum) Wenn wir alle zupacken, bei der Arbeitslosigkeit, ich meine – CHIARA Die Schlüssel, Herr Leutnant, die Schlüssel! KRATZER (schreit) Nenn mich nicht immer ‚Herr Leutnant‘! Das ist aus und vorbei! Schlimm genug, dass es hier aussieht wie im Krieg! CHIARA Du hast uns zusammengetrieben auf dem Marktplatz mit Deinen Bluthunden, hast sie in die Wägen getrieben! KRATZER (ins Publikum) Aber bitte, rennen Sie doch nicht weg, Herr Bundespräsident, Herr Hofkaplan! Der Gestank wird gleich verfliegen! CHIARA Das Geld hast Du eingesteckt, gib jetzt die Schlüssel her! KRATZER (stampft auf ) Raus hier! Oder ich rufe die Polizei! (Chiara verschwindet hinter ihren Kübeln) KRATZER (um Fassung ringend fährt im Vortrag fort) Unglaublich, das, wo waren wir –? Richtig, Hoffmann, er ist uns ja leider verbrannt, aber im Zwielicht sehen wir seine F r a t z e noch deutlich genug – C, den ironischen Märchenmuskel, D, die Mephistophelesfalte, E, den Backenbart, die übernächtigen Launen eines Mondsüchtigen – (Hinter den Kübeln ist Chiara als schwarzer Kater wieder hervorgekom men, sie springt hinter Kratzer auf einen Stuhl und rammt ihm – vom Publikum ungesehen – das Messer in den Rücken, reißt den Schlüsselbund an sich. Kratzer packt und würgt sie.) KRATZER Biest! Da spei die gestohlenen Häppchen aus! Du Aas! (Er stößt den Balg von sich, der Kater verendet auf dem Boden.) KRATZER (um Atem ringend) – und I, ein Kragen, J beliebige Ärmelfalten, K die Backen, das Beefsteak, der Portwein, die Orgien, L dann, die Halsschleife, man hätte ja den Hochverräter früher gehenkt, noch früher den Hexenmeister und Kindsverführer v e r b r a n n t, samt ‚Wieglebs Praktischer Magie‘ – (Die Projektion verblasst) Die Funzel erlischt, die Augen – (wischt sich die Stirn) IV Szene 25 (Hoffmann herein, schwarze Pelerine, Zylinder, Aktenmappe, kniet bei der Katerleiche nieder, nimmt die Schlüssel, richtet sich langsam auf. In der Folge erscheinen im Hintergrund zwei Gefängniswärter mit weiteren Kübeln, der eine sieht den Katzenbalg, zieht ihn nach hinten und steckt ihn in einen der Eimer. Wärter und Wagen ab.) KRATZER Sind Sie von der Feuerversicherung? HOFFMANN Warum haben Sie das Theater in Brand gesteckt, Kratzer? KRATZER Wir hatten hier ein ersatzpflichtiges Schadenfeuer, ohne bestimmungs mäßigen Herd, das sich aus eigener Kraft – HOFFMANN (lauter) Warum haben Sie das Theater in Brand gesteckt? KRATZER (schreit) Das ist hier kein Theater, wir sind ein Stadtmuseum, früher Kammergericht, aber ein Gericht ist auch kein Theater! HOFFMANN Ein Theater – kein Gericht? Sie kennen es wohl, Kratzer? – das Theater am Gendarmenmarkt, meiner Wohnung gegenüber, Ecke Tauben- und Charlottenstraße! KRATZER (ins Publikum) Ein Irrer, der entsprungen ist – HOFFMANN S i e sind entsprungen, Kratzer, der BRÜHLSCHEN Truppe weggelaufen, warum haben Sie in der Perückenkammer Terpentin verspritzt und mit der Zigarre gezündelt? KRATZER Ich rauche nicht. HOFFMANNN Und warum haben Sie die Garderobentür abgeschlossen? KRATZER (schwer atmend) Da sitzen Sie doch immer mit Ihrem Naschwerk und Ihren Nelken, Hoffmann, sind Sie rasch zum Salamander geworden? Nicht im eigenen Gift verbrannt? HOFFMANN Nicht ich, aber s i e wäre fast verbrannt – Johanna Eunike! Devrient hat die Tür aufgebrochen und sie gerettet, aber sie hat ihre Stimme verloren, im Rauch und in der Glut. KRATZER Wenn es nicht das tolle gotische Zeug war, das Sie ihr zu singen gaben. HOFFMANN A l l e sind versengt, verwundet worden, alle Brühlschen Comödian ten, sie haben das Feuer bekämpft, das Sie gelegt hatten, sie wollten die Kostüme und Kulissen retten. KRATZER Aber alles ist verbrannt – häh – der ganze Kristallpalast, Sie sind in der Versenkung verschwunden, mit Ihrem Nymphenzauber, Ihren Nelken, Ihrem Naschwerk! Keine 69 70 Undine mehr – auf keinem Theater der Welt! Aus Angst vor mir, vor meiner Rache! HOFFMANN Bravo! Bravissimo! Aber wozu das – D a C a p o? Warum die Stadt verwüsten, die Flüsse, das Meer, die Welt? Warum in Warschau mein Atlantis, meine Fresken, meinen Hammerflügel? Warum das Grün der Wälder? Wohin ich sehe – verbrannte Gesichter, verbrannte Erde, verkohlte Balken. Das hat der Koreff nicht gewollt, als er das glühende Eisen unter Ihre Sohlen hielt, Herr Leutnant! Ein Amoklauf durch das Jahrtausend! KRATZER Sie hatten immer eine kranke Phantasie, Hoffmann, sind wohl doch kein Salamander, wie? Diese Feuerangst! Sehen Sie mich doch an! Bin ich etwa Frankenstein? HOFFMANN (ihn fixierend) Sie haben sich im Eise wohl erhalten, wie der Elis Fröhbohm in Falun, im Vitriol des Bergwerks – Julia und Johanna sind verbrannt, doch Sie sind frisch wie eine Weißwurst. Aber t o t. KRATZER Jetzt reicht’s mir aber, das Theater und der Spuk – h i e r! (deutet auf die Gedenkplatte) Lesen Sie doch Ihren Grabstein, Hoffmann, wer ist hier die schöne Leiche? HOFFMANN (rührt sacht an Kratzers erhobenem Arm, dreht ihn leise herum und zieht ihm das Messer aus dem Rücken.) Glück gehabt! (deklamierend) ‚Der Dolch war nicht vergiftet‘! (lässt das Messer fallen.) KRATZER (entgeistert) S i e sind der tote Mann, nicht ich! Wer hört schon noch auf Ihren Freisler? HOFFMANN (schreit) Kreisler! KRATZER Wer glaubt an Ihr Atlantis – Geister, Grün, Genesung, alles aus dem Bauch? Die P h a n t a s i e – ja – ja! Die ist im Marketing, im Planspiel integriert, das ist jetzt kreativer Geschäftssinn, spezielle Effekte und Präventivschlag. Alles andere ist Eskapismus von Arbeitslosen, Drogensüchtigen, Delirium Besoffener, oder Perversion. HOFFMANN Warum dann b r a n n t e n Sie mir die Augen aus mit Ihrer Zigarre? (Die Packer herein – in moderner Kluft) 1. PACKER Wir bringen den neuen Kühlschrank. KRATZER (erleichtert) Ja, natürlich – drüben in die Kantine, ich komme mit – (zu Hoffmann, leise, gezischt) Ihr S c h l a n g e n b lick hat uns z u l a n g gelähmt! 2. PACKER Ist das jetzt ein Theater oder ein Gericht? (Kratzer mit den Packern ab.) HOFFMANN Er läuft und wird den nächsten Weltenbrand im Eise überleben – bei seinen Häppchen. Szene 26 (Hoffmann hat Zylinder und Pelerine abgelegt, steht im braunen Frack am Pult, in seine Akte vertieft. Herein der Doppelgänger – identisch gekleidet, aber schäbiger – als Untersuchungs gefangener, Gelenkfesseln, kann aber dennoch das Messer an sich bringen und verschwinden lassen.) HOFFMANN (ohne aufzusehen) Setzten Sie sich! (Doppelgänger setzt sich auf die Bank.) HOFFMANN Name? DOPPELGÄNGER Hoffmann. HOFFMANN Vorname? DOPPELGÄNGER Karl, Heinrich. HOFFMANN Und? DOPPELGÄNGER Was, ‚und‘? HOFFMANN Keinen dritten Namen? Wilhelm oder Amadeus? DOPPELGÄNGER Nein. HOFFMANN Wo ist der Student Mühlenfels? DOPPELGÄNGER Du kannst mich auch Mühlenfels nennen. HOFFMANN Was? DOPPELGÄNGER Es ist mir gleich, unter welchem Namen Du mich einlochst. HOFFMANN Beruf? DOPPELGÄNGER Advocat. HOFFMANN Wo? DOPPELGÄNGER In Darmstadt. HOFFMANN Als Commissar der königlichen ImmediatuntersuchungsCommission obliegt es mir, Sie wegen demagogischer Umtriebe ins Verhör zu nehmen. DOPPELGÄNGER (schweigt) HOFFMANN Das heißt wegen Ihrer Beteiligung an hochverräterischen, aufrührerischen, staatsgefährdenden Vorbereitungen zu einer allgemeinen Revolution. DOPPELGÄNGER Wenn sie nur bald kommt. HOFFMANN Insbesondere habe ich zu klären, ob Sie – wie Mühlenfels und andere – in Verbindung stehen mit dem Bund der Schwarzen und Unbedingten, dem Hoffmannschen Geheimbund – da ist ja schon wieder ein Hoffmann? 71 72 DOPPELGÄNGER (schweigt) HOFFMANN (blättert in den Akten) Das ist der Doctor Hoffmann, Justiz rat in Rödelsheim – Revolution als Familienbetrieb, oder was? DOPPELGÄNGER (summt vor sich hin) ‚Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt‘. HOFFMANN (schlägt mit dem Schlüssel aufs Pult) Ich bitte mir Ruhe aus! Auch das Absingen dieses anarchistischen Turnerliedchens inkriminiert Sie! DOPPELGÄNGER Es ist von Goethe. HOFFMANN Es ist von Goethe – also harmlos. Nun dann zu den weniger harmlosen Implikationen! Frage eins: Haben Sie am Wartburgfest, zum Gedenken der Schlacht bei Leipzig, teilgenommen? DOPPELGÄNGER Ich hab einen Schuss durch Hals und Brust bekommen, bin drei Tage lang hülflos auf dem Schlachtfeld gelegen, und nachher monatelang im Lazarett. HOFFMANN Frage zwei: Haben Sie – zusammen mit anderen Burschen – Kotzebues Deutsche Geschichte und den Codex der Gendarmerie des Polizeidirektors Kamptz mit Mistgabeln ins Feuer gesteckt? (auf dem Gerüst erscheint, durchs messergeschnittene Fensterloch eingestiegen, Kamptz, roter Adlerorden, Hofuniform; er belauscht den weiteren Verlauf des Verhörs.) DOPPELGÄNGER Der Kotzebue war ein Spion des Zaren, der Kamptz ist ein Bluthund. HOFFMANN Sie hätten ihn – erdolcht? Wie der Student Sand den Staatsrat Kotzebue? DOPPELGÄNGER Wär’s ein Unrecht? Aber, Brüderlein, für den ist der Dolch zu schade. HOFFMANN Eine Ermordung, oder ähnliche Form der Selbstrache wird also offenbar nicht gewünscht. Frage drei: Welche Ziele verfolgt der Hoffmannsche – Geheimbund? DOPPELGÄNGER Wir folgen nur der inneren Stimme, wir suchen das Unbedingte. HOFFMANN Ein Unding! DOPPELGÄNGER Das radikale Einssein mit den Verworfenen, die Befreiung vom Spott der Unterdrücker. HOFFMANN Sieh da, ein F l o h im Pelz der Macht! Die Unterdrücker sind die achtunddreißig deutschen Fürsten, nicht wahr? DOPPELGÄNGER Die und ihres Geistes Knechte, Knuten und Kniffe. HOFFMANN Gut, das ist das ‚Unbedingte‘ – und warum ‚schwarz‘? DOPPELGÄNGER (zuckt die Achseln) Schwarz sind die Köhler, die Berg arbeiter, die Kanoniere nach der Schlacht, die Hinterbliebenen. HOFFMANN In meinen Akten steht das anders. Demnach wollten Sie ein Wohnhaus, eine ‚heilige Friedenswohnung‘, besetzen, den Garten davor um mauern und jenseits Ihres Paradieses eine W ü s t e schaffen: Sie wollten Schwarzwild, Auerochsen, Bären, Alligatoren und Wölfe in diese Einöde entlassen – DOPPELGÄNGER Diesem Schafsstall f e h l t ein Wolf. HOFFMANN Aus gebrandschatzten Klöstern wollten Sie Eulenschläge, aus ausgeräucherten Turmzimmern Adlerhorste, aus unterirdischen Labyrinthen Giftschlangennester entstehen lassen. Wald- und Flur brände sollten den Hyänen vor arbeiten, eine Doppelreihe von Wällen und Dornhecken sollte auch dieses schwarze Niemandsland vor der Invasion durch heilige oder un heilige, westliche, oder östliche Allianzen bewahren – sagen Sie, was ist das für ein schwarzer Aber witz? DOPPELGÄNGER I c h hab auf dem Schlachtfeld keine Glocken läuten hören. HOFFMANN (klappt die Akte zu) Welche Zwangsmittel wurden gegen Sie angewendet? DOPPELGÄNGER Keine Früchte, kein Gemüse, kein Fleisch – Wassersuppe, Blechblenden vor den Fenstern, ein Quadratfuß Licht am Boden, keine Bücher, kein Schreibgerät, kein Menschenverkehr – Wanzen, Wanzen! Nachts sitz ich auf dem Wachstuchtisch, in meiner Decke, aber die Wanzen kriechen die Wände hoch und über die Decke und lassen sich geschwaderweise herabfallen über mich und beißen mit der Wut des Heißhungers. HOFFMANN Nach Paragraph zweihundertzweiundneunzig der Criminalordnung sind diese Zwangsmittel zulässig, um den Eigensinn verstockter und verlogener Inculpaten zu brechen. DOPPELGÄNGER Das wirst du bereuen, Brüderlein! HOFFMANN (zieht die Glocke – schrilles Läuten: Zwei Wärter erscheinen) Die Untersuchung ist geschlossen. Ich sehe keinen Grund, den Inqui siten länger in Haft zu belassen. Überspannte Märtyrer gehören ins Tollhaus, nicht ins Zuchthaus. Ihm und Mühlenfels sind die Entlassungspapiere auszuhändigen. (Gibt den Wärtern die Schlüssel. Der Doppelgänger wird von den Handfesseln befreit und wendet sich zum Gehen. Da schreitet Kamptz ein.) KAMPTZ Halt! (klimmt vom Gerüst herab) 73 Szene 27 74 KAMPTZ Halt! Sind Sie wahnsinnig, Herr Dezernent? Die Untersuchung ist k- k-keineswegs geschlossen. (Zu den Wärtern) Verwahren Sie den Angeklagten wie bisher! (Die Wärter fesseln den Doppelgänger wieder und gehen mit ihm ab.) Hiernach scheint die Revolution bereits bewirkt! Wenn der Regierung die Organe fehlen, ihre Anordnungen durchzuführen. HOFFMANN Ich genüge nur meiner Richter pflicht, wenn ich zwei zu Unrecht Beschuldigte schleunigst aus gesundheitsschädlicher Haft entlasse. KAMPTZ Verbrecher entlässt man nicht aus der Haft. HOFFMANN Wo ist das Verbrechen? KAMPTZ Wenn man erst den Verbrecher hat, findet sich auch das Verbrechen! Sie haben ja die Acten nicht studiert! HOFFMANN Ich citiere sie ständig. KAMPTZ Sie citieren ein paar Goldsprüchlein, die Ihrer morbiden Geisteshaltung entgegenkommen. Es wäre – nach der Cabinets-Ordre des Königs – eine v o l l s t ä n d i g e Auswertung der beschlagnahmten Papiere vonnöten gewesen! HOFFMANN Ich habe nichts gefunden, was eine Criminal-Untersuchung rechtfertigen könnte. KAMPTZ Jedes Wort dieser K- k-kriminellen beleidigt und bedroht den Staat und seine Stützen. HOFFMANN Ich habe nur über Taten, nicht über Gesinnung zu richten. KAMPTZ Die tragen sich doch tagtäglich mit Mordgedanken! Gestern der Kotzebue, heute der Ka-ka-kamptz und morgen der Kö-kö-könig! Hier! Hier! (schlägt neben Hoffmann stehend, auf die Akten) Haben Sie dieses Dokument g e n a u geprüft? HOFFMANN Ein Tagebuch – meist Theaterbesuche – KAMPTZ Ja, ja, auf dem Theater, da lernen sie es wohl – von den Comödianten und Opernschmierern! Die moralische Laxheit, die melodramatische Blutgier. Hier! Hier! (schlägt auf das Heft ein) L e s e n Sie! HOFFMANN (liest) ‚Heute war ich faul‘ KAMPTZ Sehen Sie, wie g e n a u Sie sind, wie v o l l s t ä n d i g ! (liest seinerseits) ‚Heute war ich m-m-mordfaul‘!! HOFFMANN Richtig – mordsfaul, ist leicht verkleckst. KAMPTZ Nun, was sagen Sie jetzt? HOFFMANN (ratlos) Offenbar hat der Strudelkopf an diesem Tag nichts Vernünftiges getan? KAMPTZ Nichts Ve r n ü n f t i g e s ?? So also sehen Sie das, wenn einem Aufrührer ein Tag ohne Meuchelmord hingeht! M o r d faul! Das heißt: zu faul zum Morden! Das besagt: an allen anderen Tagen – Mord! Mord! Mord! (rülpst) Pardon! HOFFMANN Das wären dreihundertvierundsechzig Delikte im Jahr – ein Mordskerl! KAMPTZ Ja, ja, Ihr Cynismus stinkt mir schon lange! In Ihren Sauftouren ertränken Sie jeden Sinn für Würde und Ernst eines preußischen Staatsbeamten! Worin sehen Sie eigentlich Ihre Function? HOFFMANN (trocken) In weiser Milde. KAMPTZ Statt zum Verfolger werden Sie da zum Beschützer der Revolutionäre – kein Wunder bei den Geschäftsverbindungen zu demagogischen Buchhändlern und der Geistesverwandtschaft mit verwilderten Professoren und verführten Studenten. Treten Sie doch dem Hoffmannschen Geheimbund bei! Wollen Sie nicht ums Feuer tanzen, in dem man die Gesetzbücher Ihrer Vorgesetzten verbrennt? (Pause) HOFFMANN (nimmt fröstelnd die Pelerine um) Was ich vor mir sehe, ist ein Gewebe heilloser Willkür, frecher Nichtachtung aller Gesetze und persönlicher Animosität – h i e r, unter den Richtern! Ich lege mein Amt als Mitglied der Untersuchungscommission nieder. KAMPTZ So billig kommen Sie mir nicht weg, Herr Commissarius! Sie hoffen wohl, nur noch Ihrer eiteln Schreibsucht frönen zu können? Aber die G e s c h i c h t e entlässt Sie nicht aus Ihrer Pflicht. Der Kampf gegen die Hydra des Aufruhrs ist historisch, da lenken Ihre Histörchen nur ab! HOFFMANN Die Wege der Historie und die Wege meiner Histörchen sollten alle nach – hause führen. KAMPTZ Nach h a u s e ? Sie meinen doch nicht das Weinhaus? HOFFMANN Ich meine die Wohnungen des Glücks, wo – im Einklang aller Wesen – gute u n d böse Geister zusammenwirken. KAMPTZ Ein Tollhaus? Ein Freudenhaus? HOFFMANN Aber kein Zuchthaus! Die 75 76 Geschichte ist hinter meinen Geschichten zurückgeblieben. Statt wie eine spukhafte Erscheinung den Alltag gewöhnlicher Menschen ins Blaue hinauszurücken, lässt sie die Ungewöhnlichen in der Mediokrität verkümmern – und die Gewöhnlichen dazu! Nur, wo wir frei sind, hinüber- und herüberzuwechseln – aus der Zeit in die Unzeit, aus Ordnung und Verordnung in die Wildnis, aus der Gewohnheit ins Ungewohnte, Unbewohnte, aus der Sicherheit in den Schreck – nur da ist Leben. In jedem steckt die Lust am Fremden, Anderen, Exotischen – ein weißer Geier, Geisterfürst, die goldne Schlange. KAMPTZ Und der Staat soll Ihre goldnen Schlänglein an seinen Busen nehmen? HOFFMANN Erkenntnis lehrt die Schlange im Paradies – sie war mir immer die liebste der Verführerinnen. Verwandlung und Erleuchtung herrschen in Atlantis, Erstarrung und Verdummung in Berlin. KAMPTZ Dies Schlangengift will Er uns einflößen – dass jeder für sich selbst entscheidet, was ihm gut und böse ist, statt sich an seinem Platze zu bescheiden und Allerhöchsten Anordnungen Folge zu leisten! (Hoffmann schauert unter einem Luftzug, setzt sich den Zylinder auf.) HOFFMANN Der Allerhöchste Weltgeist hat mir immer nur ins Konzept gepfuscht. KAMPTZ Jetzt will er selber Geschichte machen, wie? Ein König Ohneland, aber – ein König? Ein Staat im Staate – die Jugend verführen, nicht nur die Weiber, sondern alle, die Ihr abstruses Zeug aufschlecken: Träume vom bessern Leben – und damit subversive Ideen und Satiren einschmuggeln auf alles, was hoch und heilig ist? Auch das ist Hochverrat, Herr Hoffmann! Ich gehe jetzt zum Ka-ka-Kanzler und zum Kö-kö-könig und melde Ihre Gesinnung und Durchstechereien! (Kamptz ab. Hoffmann nimmt sofort einen Schluck aus seiner Taschenbouteille, seine Pelerine flattert im Luftzug.) HOFFMANN Puh, der Leichengeruch! (nimmt seine Aktenmappe auf, rührt sich aber nicht von der Stelle, sondern summt vor sich hin.) ‚Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt –‘ (und versinkt hinter dem Pult) Szene 28 (Von links Mischa mit Manuskript und Blumenbouquet, Hippel mit Sektkübel; sie rücken in der Folge Stühle für die Geburtstagsfeier zurecht.) HIPPEL Schreiben Sie auch, Frau Hoffmann? MISCHA (legt das Manuskript unter das Bouquet auf ein Tischchen ab) Ist ein neues Märchen schnakiges, hat er viel Angst dabei gehabt, gefroren und geschrieben ganze Nacht, will heut draus lesen! HIPPEL Der Dienst hat seine Kunst doch nicht erdrückt! Ich freue mich darauf, wie geht es ihm? MISCHA Der Johann untersucht ihn grad, die Füß sind ihm geschwollen, das Kreuz ist steif, kann nicht mehr gehn und stehn. HIPPEL Der Johann? MISCHA Der Doctor Koreff, hat ihm viel geholfen mit die Hopelpobel kräftiges und große Hände. Blitzlicht in die Fingerspitzen! (schaudert ein wenig.) HIPPEL Aber jetzt – gelähmt? Ein trauriger Geburtstag. MISCHA Muss den Stein ihm brennen, sagt der Johann, dass die Nerven schlaffes wie malade Frösche ins Leben zucken. HIPPEL Hat mir eine Trauerkart’ geschickt! MISCHA Eine Todes –? HIPPEL Hat den Tod des Katers angezeigt (lacht) ‚Wer den Jüngling kannte‘ schreibt er da, ‚misst meinen Schmerz und ehrt ihn durch Schweigen.‘ MISCHA Lag immer auf Geschriebenes in Schublad, hat auch Funken gesprüht elektrische, der Murr, das Haus ist leer, seit er gegangen. HIPPEL (lacht) Ich bringe Ihnen einen Papagei, ein lustiges Plappermaul! MISCHA (schüttelt heftig den Kopf ) Muss selber kommen – an Fenster, an die Tür, kann man nicht kaufen, die Kreatur. (aus der Türöffnung schiebt Koreff den Rollstuhl mit dem fußlahmen Hoffmann herein.) HOFFMANN (heiter) O Jemine, welch Wiedersehen, teurer Freund, wir werden unsere Reise verschieben müssen. HIPPEL (die Arme ausbreitend) Gesundheit, Freund, das andere gibt sich schon, wohin willst du denn reisen? HOFFMANN Nach Alexandria stracks in die Bibliothek und ringsum eine Wüste voller Löwen. KOREFF Wie jener Narr in Bamberg, der sich für Serapion hielt, den Heiligen, seine Hasen für die Löwen und ganz Bayern für die Wüste. HIPPEL Ja, Verrückte und Poeten leben immer in der Fremde. KOREFF (zu Mischa) Im Rückenmark die Nervenknoten 77 78 und Nervenäste sind zerfressen, es ist die D a r r e – tabes dorsalis. (Mischa sitzt betäubt und strickt.) HOFFMANN (zu Hippel) Er meinte, dass es kaum drei Stunden her, als ihm der Kaiser Decius die Sehnen aller Glieder durchschneiden ließ und ihn vom Felsen stürzte. KOREFF Hat aber alles überstanden, die Qualen, von der Hölle selbst in seiner Brust entzündet. HOFFMANN Erwachte mit zerrissenen Gliedern und zerschelltem Haupte, doch der Geist im Innern erleuchtet’ ihn und ließ ihm Seel’ und Körper heilen. HIPPEL Ja, die Krüppel und Poeten glauben noch an Wunder und Magie. KOREFF Nur nach bestandenem Martyrium geht solch ein Leben uns im Innern auf wie dem Antonius und Serapion, und was die Phantasie erschaut, wird Wirklichkeit. HIPPEL Italien! Ja, Italien! Ach, Finito! Zu spät! Zu spät! KOREFF (projiziert purgierte Kopien Callotscher Blätter an die Wand.) In Bamberg Alexandria und in Berlin Venedig – hergestrahlt zu Hoffmanns Wiegenfest, vom Doctor Koreff in Callots Manier. HOFFMANN (entzückt) Das ist mir ein Geschenk, ich werde ein Capriccio dazu schreiben. (Von rechts hinten Hitzig herein.) HITZIG Ei ja wie niedlich, all die phallischen Gestalten! HOFFMANN Nur leider arg kastriert – der freche Geist der Ironie. KOREFF Das beste Mittel gegen die Versuchung. HOFFMANN (scharf ) Für den Antonius von P a d u a? KOREFF Für jeden, der sich nicht in Acht zu nehmen weiß. (Die Projektionen verblassen.) HITZIG Ich bringe hier ein Gegengift – den Walter Scott! D e n müsst Ihr lesen! (Überreicht sein Geschenk.) HOFFMANN (legt es beiseite) Trefflich! Trefflich! Aber – ferne liegt mir dieser Geist. HITZIG (ereifert sich) Nur immer Carneval und Fleischeslust und all das Nebeln und Schwebeln eines ohne Halt im Leeren flatternden Geistes! Der zerstörliche Einfluss des vielen Weines! Brambilla und Brimborium! Tänzeln überm Abgrund, lüsternes Spiel mit allem, was hoch und heilig ist – Ihr letztes Buch, mein Freund, ein Abweg, leere Schatten! MISCHA (strickend) Ein Märchen wunderschönes, anfangs wird einem wirrig im Kopf, aber dann sitzt man mitten darin. HITZIG (irritiert) Mitten w o r i n, gute Frau? Mitten auf einem Schauplatz ohne Boden und Hintergrund! Da lesen Sie den S c o t t ! Der macht ja auch mit Recht sein Glück beim Publikum, hat sich in Abbotsford ein prächtig Haus gebaut, die Bibliothek (schaut sich verächtlich um) umfasst an zwanzigtausend Bände, nicht zu reden von der Sammlung bemalter Teller und der Waffencollection, und hat als erster auf der Insel die centrale Gasheizung – ja, d e r! Der könnte von Atlantis reden! Den lesen nicht bloß Marktweiber und hysterische Damen in Weimarer Teecirkeln, den liest auch der Mann, der im Leben steht, der Geschäfts- und Staatsmann, und selbst Goethe liest das, dem es über Ihrem ‚Goldenen Topf‘ nur schlecht geworden ist! Geschichte, ja Geschichte, mein lieber, Facten, Wirklichkeit, gründliche Kenntnisse von Sitten und Gebräuchen – das alles fehlt bei Ihnen! Vorbei das Phantasieren, die Romantik! Notwendigkeit verlangen wir von einem Buch in unserer Zeit, wie eine Schaufel muss es im Realen graben – nicht wie ein Irrlicht x-beliebig über Sümpfen geistern! HOFFMANN (heiter) Es ist schade, dass die bösen Buben den Codex der Gendarmerie des Herren von Kamptz verbrannt – ein höchst notwendiges Buch! Notwendig wie alle Befehle von Garde leutnants, Polizeiverordnungen, Schuldscheine und Todesurteile. Der Geist des Banco komme über uns! Wir nehmen die Gesetze für Notstände und Notfälle, all diese Notverordnungen und Nothelfer nicht geziemend ernst. Unsere Wechsel sind nicht gedeckt. Die Marktweiber und andere gescheite Damen – statt die Geschäfte ihrer Männer anzubeten – fangen nun auch schon an, sich über ihr verfehltes Leben aufzuregen. Fehlt nur noch, dass sie Hoffmann lesen, von verbotnen Paradiesen träumen, von Befreiung und Verwandlung im Morast der Nötigung und Notzucht – wie Daphne sich in einen Lorbeerbaum verwandelt: wie viele Fraun, die unter ihren Männern liegen, träumen wohl davon? Ah, alles Nebeln, Schwebeln, Phantasie – ganz recht, die Wirklichkeit, der Reißwolf des Realen ist nicht mein Fetisch – ich setze W ü n s c h e frei – und irgendwo, zu irgendeiner Zeit wird uns ein hoher, den Kreis des irdischen Genusses überschreitender, wird unser Wunsch erfüllt – und davon schreibe ich, mein Irrlicht ist kein Gasofen, und der Poeten Geist ist nicht der Herren Geist, und nur wer wünscht, wird überrascht. Wer im realen Sumpfe steckt, dem hilft das Irrlicht eine Planke finden. (Plötzlich ist im Hintergrund Marie, Hitzigs zehnjährige Tochter, aufge taucht; sie verbirgt etwas hinter ihrem Rücken.) 79 80 HITZIG (erschreckt) Marie! Wie kommst denn Du hierher? Du hast doch die Geschwister nicht allein gelassen? MARIE Papa, nicht böse sein, ich hab eine Überraschung für den Onkel Hoffmann. HOFFMANN Hoffentlich keinen Türken, der mir hinterrücks aufs Haupt haut? MARIE Z w e i Türken! HOFFMANN Zwei Türken? Ein Geburtstag ist doch keine Hochzeit! Wo kommen die denn her? MARIE Aus der Türkei. HOFFMANN Und – wohin gehen sie? MARIE Das werd ich Dir gleich zeigen. (Stellt sich auf die Armesünderbank und führt vor, was sie hinter dem Rücken versteckt hielt – zwei Ballons in Form von Türkenköpfen. Belustigung der Gäste.) MISCHA Kindchen herziges. HIPPEL Ich hätte meine ja auch mitgebracht, doch meistens fühlt sich Hoffmann nur gestört. MARIE (deklamiert) ‚Türkenmännchen, flieg hinweg, Die Weiber mit den Stangen Wollen Dich empfangen.‘ (Lässt den einen Ballon auffliegen.) ‚Türkenweibchen, flieg hinweg, Die Männer mit den Spießen Wollen dich erschießen!‘ (Lässt den zweiten Ballon fliegen.) ‚Fliegt in den Himmel, Bringt mir ’n Sack voll Kümmel! Tunk ich meinen Weck hinein Bei dem roten kühlen Wein.‘ (Die Ballons platzen mit lautem Knall und fallen herab. Etwas unsichere Reaktion bei den Gästen: teils Heiterkeit, teils gespieltes Bedauern. Marie springt von der Bank.) HOFFMANN Ein gelungenes Phantasiestück, Dein Vater wird die Notwendigkeit dabei vermissen. HITZIG Sie hat sich das ganz allein ausge dacht, ich hatte keine Ahnung! HOFFMANN Mischa – einen ‚Weck‘ und ‚kühlen Wein‘ für Marie? HITZIG Nur kein Alkohol für das Kind, sie macht mir ohnehin Sorgen. KOREFF Sanftes Maulschellieren dann und wann und Hopelpobel treibt das Blut in ihre Wangen. HITZIG Doch ohne Kirschengeist! MARIE (zu Hoffmann) Wann baust Du uns das Wasserschloss? HOFFMANN (leicht irritiert) Habt Ihr denn Huldbrands Burg schon angezündet? MARIE Ja, aber unter Wasser kann man sich verstecken. HOFFMANN Ihr wollt schon untertauchen, Du und Fritz? MARIE Unsichtbar werden – MISCHA Mariechen, iss noch vom Geburtstagskuchen! MARIE Ich bin nicht hungrig. (Schrilles Läuten.) STIMME DES DOPPELGÄNGERS Hoffmann hat auch eine Über raschung. (Stille. Alle sehen Hoffmann an. Der wendet sich dem Punschtopf zu, der neben seinem Stuhl auf dem Brennuntersatz platziert ist.) HOFFMANN Es ist nur – ein Irrlicht. Ich habe in Wieglebs Praktischer Magie ein wundersam Rezept gefunden – Weingeist und Salze – eine Flamme, einen Strahl, der durch die Haut der Dinge in das Wesen leuchte – KOREFF Ins Innre der Gewebe? HOFFMANN – ins Herz der Dinge, und was erstarrt liegt in der wunden Brust, im Blut der Schmerzen, löst sich, lebt, und ich vermag’s zu fassen und zu binden, dass es mir in einer Feuergarbe, wie Gesang, zum Flammenbilde wird – es ist das Licht der Wahrheit. HITZIG/KOREFF/HIPPEL Wa h r h e i t ? HITZIG Das Licht der Wissenschaft? KOREFF Die Aura heiliger Offenbarung? HIPPEL Das Morgenrot der teutschen Einheit? HOFFMANN (kichert) Ein Irrlicht – sagt ich’s schon? – ein Irrlicht überm Sumpf. MARIE Nun mach schon, Onkel Hofmann, zeig es uns! HITZIG Hoffentlich nichts Unanständiges! (Hoffmann hält einen Fidibus in die Schüssel: Das Rauschen des Flusses, das Stöhnen vom Schlachtfeld erhebt sich; dann erleuchtet sich der Topf von innen, eine kleine weiße Flamme züngelt herauf. Hitzig, Koreff, Hippel und Mischa als Caspar David Friedrichs Rückengruppe. Nur Hoffmanns Profil und Maries Gesicht werden erleuchtet – sie erstarren zu T o t e n m a s k e n. Augenblick der Stille.) MISCHA (schreit) Blendwerk gottloses! Frevel schreckliches! (Sie schlägt mit dem Strickstrumpf in die Flamme, wirft sich über den Topf.) Bringt das Kind hinaus! Das Kind! Das Kind! HITZIG Aber es ist doch nur ein Scherz!? 81 (Mischa hat den Topf vom Untersatz gerissen und trägt ihn hastig, in Panik, hinaus.) MARIE (lacht) Der Fritz hat Recht, Du bist – der Teufel. HITZIG (verunsichert) Ja, es ist spät, Marie, wir dürfen die Geschwister nicht alleine lassen, Bettzeit, Bettzeit! (geleitet sie hinaus.) HIPPEL Ein imposantes Feuerwerk! KOREFF Hoffmanns Frevel! HOFFMANN Was hat die Frau denn nur? KOREFF Sie hat des Todes Licht geschaut, wir sind, mein Freund, damit vertraut. 82 Szene 29 (Koreff zieht die Sektflasche aus dem Kübel, lässt den Korken knallen.) KOREFF Eine kleine Libation auf meine Pariser Stiefel und ein Vivat auf das Leben! (schenkt zuerst Hippel ein.) HIPPEL Das Leben ist der Güter höchstes nicht, das Vaterland – HOFFMANN (begierig das Glas hinhaltend) Nein, nein – das Leben! Nur leben, leben! Unter welcher Bedingung es auch immer sei! KOREFF Prosit denn – dem Neugeborenen! HIIPPEL Und ein Hoch dem König, der Justitia, die uns, mein Freund, erhält, ernährt! HOFFMANN (lässt das Glas fallen) KOREFF Was ist Ihnen? HOFFMANN Nichts – eine momentane Schwäche. (Zu Hippel) D i c h, mein Einziger, erhalten Deine Bauern! Und den König seine Bluthunde, und zu deren Lobe will ich jetzt ein eigenes Lied anstimmen! (Hinter dem Stehpult taucht ominös der Polizeidirektor Kamptz auf, er belauscht Hoffmanns Expektoration mit steigender Wut.) Ja, ich brenne darauf, Euch, den Serapionsbrüdern, mein historisches Histörchen vorzutragen – frisch von der Galle weg, da drüben liegt’s, schon fertig zum Versand an den Verleger Wilmans in Frankfurt – (Hippel will ihm das Manuskript herüberreichen.) HOFFMANN Nein, nein, ich brauche das Geschriebene nicht, so hört nur die Geschichte, wie der Peregrinus dem Ka-ka-kamptzi-Pamtzi einen Floh in seinen Pelz gesetzt. (Im Folgenden fiebrig erregt und das Parodistische hysterisch übertreibend.) Ich, der Peregrinus war in Peking, und seit ich in Peking war mit Pepusch, dem Tonsetzer der Dreigroschenoper, stellt mir der Polizeiminister nach. ‚Ergreift ihn!‘ schreit der Ka-ka-kamptziPamtzi, ‚locht ihn ein, er ist ein ganz gefährliches Subjekt, ein Revolutionär und Staatsverräter, und er hat aus China uns die Flöhe eingeschleppt!‘ Tatsächlich hatt’ ich einen Floh am Ohr, dem hat der Meister Leuwenhoek ein wunderfeines Mikroskop ge schliffen, das setzt’ der Floh mir auf ein Fingerschnippen ein in die Pupille – und ich kann damit in Kamtzi-Pamtzis Kreuzspinnenge hirn Gedanken lesen, und was denkt der Polizist? ‚Hab ich den Ver brecher erst, so findet sich auch das Verbrechen! Überführ ich ihn, so bin ich Liebkind bei dem Kö-kö-könig, ernte Beifall, Geld und Orden!‘ Also schreit er: Hier, was lese ich in des Verbrechers Tagebuch? ‚Heut war ich mordfaul!‘ – M o r d faul? Klar, dass er an anderen Tagen nichts als Mord und Mord und Mord im Sinne hatte! Gestern den Ko-ko-kolores, heute den Ka-kakamptzi, morgen den Kö-kö-könig!‘ ruft er – stinkend aus dem Maul, als hätt’ er aus den Kübeln seiner Kerker Kacke gefressen. Und ich sagte, ich, der Peregrin, ‚Du hattest doch in Deinem Polizeistaat all die Flöhe so gut im Schuss! Mit der Kultur, der sogenannten, die Du mit barbarischer Härte eingeführt: die Flöhe mussten alle etwas werden, vorstellen und – als Schneider, Schuster, Waffenschmiede, als Professionisten überflüssigen Luxus befördern und im Schweiß Bedürfnisse erringen, die sie nicht gekannt, für die sie aber fronen sollen – jedoch Flöhe sind unruhig Volk, scharfsichtig, amourös wie tausend Teufel, und die Lieb’ und die Erkenntnis gibt den Flöhen Riesenkraft, sie sprengen ihre Ketten und setzen sich dem KamtziPamtzi in den Pelz und stechen den Flohbändiger Tag und Nacht und bis aufs Blut –‘ (Lautes Flügelschlagen: auf dem Gerüst, durchs messergeschnittene Fensterloch eingestiegen, ist der Rabe erschienen. Alle schauen zu ihm auf. Diesen Augenblick benutzt Kamptz, das Manuskript an sich zu bringen, hastig geht er damit nach rechts ab. Der Rabe überfliegt die drei Serapionsbrüder und verschwindet durchs Eckfenster.) HOFFMANN (erschöpft) Das ist der Rabe Pozzi, er sucht den Kater Murr. HIPPEL (aufstehend) Das kannst Du nicht veröffentlichen, teurer Freund, das ist Beleidigung der Staatsorgane und ihrer Diener, wir wissen doch alle, wen Du meinst, und als Beamter darfst Du Dich nicht so vergessen! HOFFMANN Sie können mich alle am Arsche lecken. KOREFF (reicht Hoffmann ein volles Glas) Nun regen Sie sich nicht so auf! 83 84 (Hoffmann hat versucht, das Glas entgegenzunehmen.) Was ist mit Ihrer Hand? HOFFMANN (versucht die Hand zu bewegen) Ich hab das Gefühl verloren in den Fingern, kann den Arm nicht rühren. KOREFF Lassen Sie, wir sehen später nach. HIPPEL Ich muss nun gehen, teurer Freund, die Konferenz mit Herrn von Kamptz, und – lass das Manuskript nur nicht heraus! Wo ist es? (sieht sich suchend um) HOFFMANN (erstarrt) Zu spät! Finito! Der Flohbändiger hat seine Flöhe wieder in der Schachtel. Mich wird er bald dazutun. HIPPEL Die Tür –? Ist nicht verschlossen! Die Kreaturen des von Kamptz sind überall – KOREFF Und übermächtig! Ja, der Boden wird mir hier zu heiß, ich gehe nach Paris. HOFFMANN Ihr könnt nicht gehen! Nein! Verlasst mich nicht! Ich brauche Euch! HIPPEL Ich muss! Die Pflicht, das Vaterland, mein Gut – Ich muss nun scheiden, lebewohl, mein einziger Freund, und – wenn Du Rat brauchst, oder Geld, schreib nur nach Leistenau! (Hippel ab.) Szene 30 KOREFF Manchmal, so scheint mir, rührt sich das Zigeunerblut in Ihnen, Freund, Sie müssen doch auch an Michalina denken! Wenn wegen dieses törichten Pasquills man Ihnen die Bezüge streicht, wovon soll sie denn leben? HOFFMANN Sie hat ja noch den David, ihren väterlichen Freund! KOREFF Johann, wenn ich bitten darf, ob gleich die Taufe nichts mehr nützt, seit selbst auf dem Theater der Jud verulkt wird. HOFFMANN Doch Sie gehn nicht nach Paris! KOREFF König, Kanzler, Kamptz sind kerngesund – dank meinem Hopelpobel, und sie wollen keine Juden mehr am Hofe. HOFFMANN Liefen Sie doch wie Ahasverus durch alle Zeiten – uns voraus, statt Kratzer-Graepel, brächten von der Schwelle des Jahrtausends eine Panacee zurück, die Wunderkur, die alles heilt! KOREFF Ich kann es mit der Brennkur noch versuchen. HOFFMANN (angstvoll) Der – Brennkur? Nein, ich bin nicht einer Ihrer Heiligen – Laurentius auf dem Roste – KOREFF Kein heiliger fürwahr, ein Ketzer eher, und das Feuer läutert beide. HOFFMANN Willst mich wohl auf Deinen Bratenwender spießen und ins Fegefeuer halten bis Antonius von Thebais dem Antonius von Padua das B e t t e räumt? KOREFF Nur ruhig, Freund, Antonius von Padua ist der Schutzpatron der E h e – Michalina hat mich selbst darüber unterrichtet! HOFFMANN Mischa betet jetzt zu beiden – denn der andre, sagt sie, schützt uns gegen Feuersbrunst. KOREFF Nun sehen Sie, also kann die Brennkur gar nicht schaden, denn Sie wolln doch nicht gelähmt im Rollstuhl auf die besseren Zeiten warten? HOFFMANN Mein Geist ist frisch, und wenn ich so dictando fortarbeiten könnte –? KOREFF Jedoch die Flohnatur will große Sprünge machen. HOFFMANN Dann gut – Sie Höllenschnoferl, stoßen Sie mich ins Purgatorium, der Salamander wird funkelnd und blitzend daraus auferstehen und leben, leben – KOREFF Unter welcher Bedingung auch immer. (Er hat seiner Arzttasche zwei feilen förmige Eisenwerkzeuge entnommen, die er jetzt über dem Brennuntersatz zum Glühen bringt. Inzwischen legt er Hoffmanns Oberkörper frei.) HOFFMANN Quod Deus bene vertat! (Während die Eisenstücke im Feuer zu glühen beginnen, hört man – wie Wasser, das zum Sieden kommt – den Fluss. Während sich Hoffmann vornüberbeugt, presst Koreff – zeremoniös wie in einem exotischen Ritual – bald den einen, bald den anderen Eisenstab an Hoffmanns Rückgrat, Zischen, wie von Fett und vieltöniges, leises Stöhnen wie vom Schlachtfeld. Hoffmann selbst bleibt stumm, biegt aber schließlich den Kopf zurück, öffnet den Mund zu stummem Schrei, stößt schließlich einen hohen, schrillen Laut aus und wird ohnmächtig. Koreff fängt ihn auf, lehnt ihn sacht im Stuhl zurück, deckt ihn zu: Hoffmann schläft.) MISCHA (von links herein) Gott allmächtiges, was tust Du ihm an, Johannes? KOREFF Ich habe versucht, die Nerven zu beiden Seiten der Wirbelsäule zu excitieren! Eine exotische Prozedur, aber ich freue mich der wohltätigen Krise, er schläft jetzt, die Geschwulst fällt von den Füßen, bald auch fährt die Unruh wieder in die Glieder. (Koreff zieht den Wandschirm vor den Rollstuhl) 85 86 MISCHA Und jetzt – willst Du gehen? KOREFF (zusammenpackend) Soweit mich meine blank geputzten Stiefel tragen! MISCHA A l l e verlassen ihn – die Freunde! KOREFF Doch Hitzig bleibt, ihn aufzuheitern. MISCHA Marie ist tot – sein Kindchen liebes, gestorben am Brustfieber. KOREFF Ein höheres Leben ist für sie bestimmt. MISCHA Ich wollte, Deine Kuren schlügen besser an! KOREFF Ich auch. MISCHA So leb denn wohl und schreib an Mischa aus Paris! KOREFF Willst Du nicht – nachkommen, Michalina? MISCHA (setzt sich wie eine Wache vor den Wandschirm und strickt.) Was soll ich in die Stadt unruhiges? Ich geh zurück nach Polen, wenn er stirbt, dort liegt mein Kindchen, dort auch lebt die Nichte, und ist besser wohnen dort mit Nachbarn freundliche. KOREFF Dann – adieu! (küsst sie auf die Stirn) Und kauf ihm das beim Apotheker! (Gibt ihr ein Rezept.) Dreimal täglich! (Koreff ab.) Szene 31 (Schrilles Läuten. Mischa legt unwillkürlich den Finger auf die Lippen, unwillig zur Türe blickend, dann schaut sie hinter den Wandschirm – Hoffmann ist offenbar nicht erwacht – setzt sich wieder und strickt. Hämmern gegen die Tür.) STIMME VON KAMPTZ Aufmachen! Im Namen des Königs! MISCHA Tür ist offen! (Kamptz mit zwei Häschern martialisch herein.) KAMPTZ Im Namen des Königs! Wo ist der Hoffmann? MISCHA Gemahl meiniges ist krank und schläft. (Kamptz macht Miene, ohne weiteres zu Hoffmann vorzudringen, Mischa stellt sich vor dem Wandschirm ihm entgegen.) MISCHA Niemand stört Gemahl meiniges, braucht Ruhe. KAMPTZ Sie werden sich doch nicht einem Befehl seiner k-k-königlichen Majestät widersetzen wollen! Ich habe den Hoffmann binnen vierundzwanzig Stunden vorzuführen. MISCHA Kein König reißt mein Gemahl aus dem Bett! Er ist lahm und hilflos, gehn Sie weg, Sie Monstrum! KAMPTZ (zu den Häschern) Sie hat von ihrem Mann gelernt, wie man Staatsbeamte beleidigt! Schafft sie aus dem Weg! (Die Häscher packen sie, sie aber reißt sich los.) MISCHA Ich geh selbst zum König, Ihr Henkersknecht gottlose! Ich sags dem Ritter von Hippel, der wird Hunde großmächtige auf Euch hetzen. KAMPTZ Hippel! Sie meinen den Staatsrat von Hippel? MISCHA Ja, den Erzfreund gelobter! Der wird Euch auf die Knie bringen, Ihr Büttel dreckige! (Kamptz winkt die Häscher zurück.) KAMPTZ Nun wieder ruhig, Frau, Sie wissen vielleicht nicht, wen Sie vor sich haben – K a m p t z – (verbeugt sich kurz) Polizeidirektor und Vorgesetzter Ihres Mannes. Der König gab mir Auftrag, den Hoffmann wegen schwerer Vergehen gegen die Autorität des Staates zu vernehmen. Genügt das? MISCHA (keinen Zoll weichend) Gemahl meiniges ist nicht Verbrecher, hat immer schwer gear beitet für Staat verdammichten, Acten geschrieben bis in die Nacht, statt Märchen wunderschöne, hat sich auf des Königs Corridoren schweres Nierenkolik geholt, weil nicht heizen die Majestät geiziges, und Zugluft kaltes durch alle Fenster! KAMPTZ Können Sie ein ärztliches Zeugnis über den Krankheitszustand Ihres Mannes vorweisen? MISCHA (Koreffs Rezept vorzeigend) Hier, Tincturen giftige muss ich für ihn kaufen, isst nichts als halbe Semmel und Fleischbrüh – KAMPTZ (das Rezept studierend) Er hat sich diesen Aussatz durch eigenes Verschulden zugezogen! (Hinter dem Wandschirm ist Hoffmann erwacht.) HOFFMANNS STIMME (schwach, aber heiter) Mischa! Mischa! (Mischa hört, aber lässt Kamptz und die Häscher nicht aus den Augen.) HOFFMANN Lass ihn nur hereinkommen, den Herrn Polizeidirektor, ich bin durchaus – vernehmungsfähig! (Auf Kamptz’ Wink schieben die Häscher den Wandschirm beiseite, auf einen zweiten Wink verlassen sie die Wohnung.) HOFFMANN Lass uns allein, Mischa, wir beißen uns nicht. Treten Sie näher, Herr von Kamptz, riechen Sie den Braten? (Mischa ab) KAMPTZ (der sich demonstrativ angeekelt die Nase zugehalten hat) Fürwahr – pestilenzialisch! Die Verwesung scheint schon im Gang zu sein. 87 88 HOFFMANN Was liegt also vor, Herr Kollege? KAMPTZ Die Bestrafung dafür wird mich von diesem unwürdigen K-K-Kollegen befreien. Sie haben mit Ihrem P-p-p-Pamphlet vom Flohstich die von Königs Majestät angeordnete Untersuchung demagogischer Umtriebe lächerlich gemacht, als das Werk niedrigster p-p-persön licher Motive dargestellt und damit das allerhöchste Vertrauen, das man in Sie, als Mitglied eben dieser Commission, gesetzt hat, schmählich missbraucht. Sie sind daher angeklagt – Erstens – der Verletzung Ihrer Treue- und Ehrfurchtspflicht gegenüber Seiner Majestät und Ihren Vorgesetzten, Zweitens – der gebrochenen Amtsverschwiegenheit – denn Sie haben aus den Acten citiert! Und Drittens – der öffentlichen groben Verleumdung eines Staatsbeamten wegen Ausübung seines Amtes! (Pause) HOFFMANN Ist das schon alles? KAMPTZ Ich dächte, das ist genug! HOFFMANN Welchen Staatsbeamten habe ich denn verleumdet? KAMPTZ Sie halten mich wohl für b-bbekloppt? HOFFMANN Ich bin mir nicht der geringsten Schuld oder bösen Absicht bewusst. Wollen Sie das gehorsamst zu Protokoll nehmen? KAMPTZ (zieht einen Stift vom Ohr und klappt seine Schreibmappe auf ) Ich erwarte, dass Sie jetzt unver züglich ein volles Geständnis Ihrer Freveltat ablegen, um den Zorn des Königs nicht weiter zu reizen! Erste Frage: Erkennen Sie den Flohstich als Ihr Produkt an? (zeigt ihm das Manuskript) HOFFMANN Ich erkenne an, das Manuskript, betitelt Meister Floh, abgefasst und für den Druck bestimmt zu haben. KAMPTZ Zweite Frage: Geben Sie zu, dass Sie damit die Autorität des Staates untergraben und in der Figur des K-K-K-K HOFFMANN Knarrpanti? KAMPTZ – in der Figur des K-K-K HOFFMANN Kamptzi-Pamptzi? KAMPTZ (brüllt) Dass Sie dem wichtigsten Beamten im Staate schändliche und infame Motive unterstellt haben? HOFFMANN Um diesen Argwohn zu widerlegen, sei es mir vergönnt, darzutun, wie sich aus dem Cannevas meiner Geschichte ein unauflösliches Gewebe heilsamer Wandlung, tätiger Freundlichkeit erzeugt – ein Weihnachtsmärchen! KAMPTZ Der Wolf hat Kreide gefressen! HOFFMANN Der Held des Stücks, Peregrinus, ist ein beinahe kindlicher, weltscheuer Mensch, er hat in Indien, in Madras, wohin er mit Pepusch, dem Komponisten der Bettleroper gereist war, viele hungernde und verkrüppelte Kinder gesehen – KAMPTZ Zur Sache, Angeklagter, keine sentimentalen Ausflüchte! HOFFMANN Zurück in Berlin kauft er also für vierzig Friedrichsdor Spielsachen und Zuckerwerk – man hätte dafür die armen Kinder von ganz Kreuzberg ein Jahr lang anständig ernähren können! KAMPTZ Jetzt aber unverzüglich zu den pflichtwidrigen und strafbaren Stellen, der übrige Inhalt ist uns gleichgültig! HOFFMANN Ich sprach von einem unauflöslichen Gewebe, die guten und die bösen Geister wirken darin zusammen! Der gute Geist, ein bürgerlicher Wohltäter, überschüttet zum Christfest einige ausgewählte Pauperfamilien mit seinem Segen, und der Quälgeist bringt ihn für seine Menschenliebe ins Gefängnis. Sonst würden sich ja auch die Marktweiber langweilen, die vor allem meine Märchen lesen. KAMPTZ Und damit sind wir bei dem K-k-k-kHOFFMANN Richtig, bei Knarrpanti, wie er in dem Texte heißt. Übrigens habe ich diese Figur einer Komödie des unlängst so tragisch ums Leben gekommenen Staatsrats Kotzbue entnommen: Ein gänzlich unwichtiges, erbärmliches Factotum, wie sich in den letzten Jahren vor der Revolution noch umhergetrieben – ein überflüssiges, unsauberes Ungeziefer, das ich einfach aus meinem Text, wenn schon nicht aus meinem Leben, herausstreichen kann! Den Rest dictiere ich später, ich bin jetzt zu matt. KAMPTZ (der ohnehin nicht mehr mitschreibt) Sie sind ja ein schäbiger Schuft und n o c h gefährlicher als ohnehin schon aktenkundig! Mit den Terroristen werden wir schon fertig, mit verwilderten Professoren und verführten Studenten, auch mit Verrückten, Obscuranten, Volksaufwieglern, Juden und Zigeunern, die kriegen wir schon in den Griff, auch den Mob und die Reformer, Revoluzzer, Kosmopoliten, Republikaner, Mesmerianer, Propheten und Medien und stigmatisierten Nonnen, Natur- und Endzeitapostel und Zeitungsschmierer, Klatschmäuler, Giftmischer und Meuchelmörder – 89 90 die sind schon polizeilich erfasst als C o r p u s v o r jedem Delict! Aber Ihresgleichen – die sind in der Tat unfassbar wie das Bucklicht Männlein, sind überall und nirgends: S i e mit Ihrem kostenlosen Glück! Man wähnt sie weit ab von Ku-kukukucksheim, da sitzen sie einem vor der Nase und k-k-kritzeln und k-k-kritteln an Allerhöchsten Amtserlassen herum! Man hat Sie auf Nachlässigkeit im Amte ertappt, und schon sind Sie wieder im Weinhaus mit Ihrem Lästermaul obenauf! Man denkt, nun ist er aber vom Fusel benebelt, und da tischt uns der Kinderschreck ein zahmes Weihnachtsmärchen auf! Und immer doppelzüngig, doppeldeutig, ja der doppelte Hoffmann, sperrt man den einen endlich ein, tanzt einem der andere auf dem Dach herum! Doch all die Gauklertricks, die falschen Glücksversprechen – das interessiert auch bald die Marktweiber nicht mehr! W i r haben das Monopol des Glücks – der S t a a t! Der teilt es aus – nach Rang und Verdienst! Und zwar b e d i n g t! Wir haben es nicht mit dem Unbedingten – dem Unding, das Sie uns verkaufen wollen! W i r hängen die Karotte vor den Esel, der uns den Karren aus dem Dreck zieht, und w i r kündigen den Credit, wenn es uns passt! Und die Verführung durch Ihre Luft- und Wasserschlösser ist nichts als Anmaßung und Eigensinn und macht die Weiber renitent und unzufrieden – Männer lesen das ja nicht! HOFFMANN Außer dem Censor und dem Polizeidirektor. KAMPTZ Ja, Frechheit, Ironie und Mangel an Respekt – das gärt im Innern Ihres Topfs, und daraus dann das ungreifbare Züngeln, die Verlockung, die bald rechts, bald links, bald in der Mitte tanzt – das Irrlicht über unserem P-p-p-p-pHOFFMANN Sumpf? Morast? P-fuhl? KAMPTZ (in höchster Wut) Es war ein Fehler, einen Mann zu bezahlen, nur um das Theater niederzubrennen! Es hat zwar den König zur Räson gebracht – er träumt jetzt nicht mehr von den Wassernixen, sondern liest die Polizeiberichte wieder. Aber Sie – Sie bringt auch das Höllenfeuer nicht um! Man hätte Sie ruhig bei den feilen Comödianten, Huren und Balletttänzern verkommen lassen können! Und wenn Sie vielleicht auch nicht zu Kreuze kriechen, wie die Schlegel und Novalis, oder sich ins Studierstübchen verkrümeln wie die Grimm und Schleiermacher oder in Wahn und Selbstzerstörung enden wie die Hölderlin und Kleist – so führt Ihr wüstes Treiben uns ja doch zum Ziel: zur Auflösung in Asche und Gestank, ganz ohne unser Zutun! Und glauben Sie nur nicht, dass Ihre giftsprühenden Geschichten Geschichte machen! Dass die Historie von Ihren Histörchen sich beirren lässt! Man wird Sie einfach stehen lassen! HOFFMANN Ich weiß, ich bin ins Glas gebannt, gefallen ins Kristall, ich warte, bis man mich entkorkt, oder als Flaschenpost ins Meer wirft. KAMPTZ Nein, nein, man wird die Flasche in den Keller stellen, ins Regal, man wird sie – fallen lassen, und die Kübelfrau wird Ihren Sud aufwischen, ein paar Dozenten und Studenten werden sich an den Splittern die Zungen zerschneiden, und ein paar Pinscher und Seelenspeichellecker werden, von Entzücken schwänzewedelnd, vom Gebräu hinunterschlucken, um danach zu ihren Nonnen ans Bett, zu den Hysterikerinnen auf die Couch zu hopsen und mit Ihren Zweideutigkeiten aufzustoßen (rülpst), pardon! HOFFMANN Wie lange halten Sie das noch so durch, ganz ohne zu – stolpern? KAMPTZ (messerscharf ) Um’s also k-k-kurz zu machen – werden wir ein schnelles, sicheres und warnendes Beispiel aufstellen gegen jeden ähnlichen Frevel von Ihresgleichen, und – erstens Ihnen die Bezüge sperren, zweitens absolutes Schreibverbot erteilen, drittens Sie strafversetzen, in die Provinz nach Insterburg, wo unser zuverlässiger Präfekt Sie unter strengste Aufsicht stellen wird. Das ist natürlich nur der Anfang. (kratzt sich plötzlich wild unterm Arm) Nanu, was ist denn das? Sie werden mir doch keinen F l o h –? HOFFMANN Ganz recht, das Ungeziefer nimmt hier überhand, ich muss den Kammerjäger rufen. KAMPTZ (sich zum Gehen wendend) Man glaubt ihn endlich lahm gelegt, doch heckt der K-k-kopf noch immer Impertinenzen aus! (Kamptz ab.) Szene 32 (Leises Rauschen des Flusses, abgerissene Undinenklänge: ‚Morgen so hell –‘) HOFFMANN (im Halbschlaf ) – et si male nunc, non olim sic erit – wo hab ich das gelesen – mit dem Latein noch nicht am Ende? Ich muss noch an Johanna schrei ben, das herzliche Undinchen – der Frau dictieren? – sie wird Feuer speien – et si male nunc – (Johanna Eunike tritt auf, sie blickt sich verstohlen um, sie ist im Reitkleid: Strohhut, Schnürstiefel, Sonnenschirm aus grünem Taft, schwarze Binde um den Hals; sie stellt einen Lindenzweig zum Geburtstagsbukett in die Vase.) HOFFMANN Julia! Er hat Dich nicht zerstören können, der verhasste Schwächling? Bist Du ihm entronnen, dem Graepel, dem schamlosen Biest? 91 Bild XXIII | 92 JOHANNA Aber Hoffmann, kennen Sie mich denn nicht mehr. Ich b i n doch Johanna Eunike, Ihre Undine! HOFFMANN Ein Bild der Lebenslust in jener Unglückszeit acherontischer Finsternis – JOHANNA (bezieht es auf den Lindenzweig) Ich wollte Ihnen den Sommer ins Zimmer bringen, ein Zeichen des Friedens – HOFFMANN Den Sommer? Eben war doch noch Januar und mein Geburtstag!? JOHANNA (lacht) Juni ist jetzt! Und alles ist grün! HOFFMANN Nein, nein, der Leichtsinn der Men schen verdient es nicht, Johanna, die Natur ist ihnen zum Tummelplatz kindischer Lüste geworden, sie haben die Flüsse, die Wälder mit ihren Gasöfen vergiftet, wir werden in der schwarzen Nacht und im Rauch ihrer Schadenfeuer ersticken! JOHANNA Sie sind ja ganz hypochondrisch geworden, Hoffmann, Sie müssen einmal wieder an die frische Luft! HOFFMANN Welches Jahr schreiben wir? JOHANNA (lachend) Das Jahr zweiundzwanzig, hoffentlich haben Sie nicht auch noch Ihren Namen vergessen? HOFFMANN Wilhelm – oder Amadeus, bitte, sich das Passende auszusuchen! Welches Jahrhundert? JOHANNA Sie haben es selbst mit einer Kantate eingeläutet! HOFFMANN Dann singen Sie mir doch, lassen Sie mich wieder Ihre liebliche Stimme hören – ‚Morgen so hell‘! JOHANNA Sie wissen doch, Hoffmann, ich kann nicht mehr singen, der Kehlkopf ist krank – HOFFMANN Ohh – ich dachte, ich sei hypochondrisch geworden – JOHANNA Ja, Sie haben recht; es wird nicht das letzte Feuer gewesen sein, sie wollen ja die Undine auch im neuen Theater nicht mehr auf die Bühne bringen. HOFFMANN Natürlich nicht, wenn Undine verstummt ist. JOHANNA Die Catalani kann das noch viel besser – nein, sie haben Angst – HOFFMANN Angst? Wovor? JOHANNA Ich weiß es nicht – vor Menschen, oder Gespenstern? HOFFMANN Die Menschen s i n d Gespenster. JOHANNA Sie sehn jetzt überall die Mordbrenner am Werk – HOFFMANN Wer? JOHANNA Die Brühlschen Comödianten natürlich! Im Parkett und in den Logen, jede Zigarre sehn sie schon als Lunte in der Perückenkammer – HOFFMANN Nein, sie bezahlen nur, die Herren in den Logen, sie nützen die kleinen Händel aus, die unter Euch entstehn und hetzen Euch wie Hähne aufeinander, Ihr setzt den roten Hahn Euch selbst aufs Dach! JOHANNA Ich gehe in die Berge, der Arzt sagt, eine Kur in Warmbrunn würd mir gut tun. HOFFMANN Ich schicke meinen Doppelgänger mit, verehrte Freundin, ein paar Wochen in den Bergen, und er fährt wieder in die alten Kleider, springt Ihnen bei wie Meister Floh, und kein Minister soll etwas dawider haben – (hält erschöpft inne) JOHANNA Wir werden Ihnen die Treue halten, Hoffmann, wir Brühlschen Comö dianten, wir holen Sie aus jedem Feuer. HOFFMANN (matt) Und wer holt S i e aus dem Feuer, Johanna, und all die andern, i c h kann es nicht! (Pause, Johanna schweigt.) Nun sein Sie doch so lieb und treten an das Fenster dort, was sehn Sie? JOHANNA (aus dem Eckfenster hinaussehend) Den Markt und – das neue Theater. HOFFMANN Den Markt – JOHANNA Er leert sich, die Gemüseweiber packen ihre Körbe auf die Wägen, manche schleppen sie auch selber weg, viel Schiebkarren voller Blumen, zwei Hökerinnen streiten sich, Fäuste in die Seiten gestemmt, den kleinen Kohlenbrenner kenn ich, mit der wunderlichen Pelzmütz, er treibt die Galanterie zuweilen etwas weit, hat aber Mutterwitz und Riesenkräfte, hüpft, mit zehn großen Körben bepackt, davon, und jetzt brechen sie auch die Zelte über den Mehl wagen ab, eine geputzte Dame, Spitzenschleier am Hut, weiße Glacéhandschuhe, hinter ihr ein zerlumptes Weib, steht am Eck und will dem blinden Landwehrmann Almosen geben – puhh, eine blutrote Männerfaust fährt da aus dem Glacéhandschuh, jetzt promeniert sie die Charlottenstraße hinaus nach den Linden, und der Blinde scheint mit offenen Augen etwas in der Nacht, die ihn umschließt, zu suchen – HOFFMANN Und die Polizei? JOHANNA Sie hält die Wagenreihe in gehöriger Ordnung, aber da – der fidele Bauernjunge rennt mit seinem Kar ren in kühnem Lauf mitten durch die Obstbuden, quer über den Platz – 93 94 HOFFMANN Gleich wird alles verödet sein, und dann wird der Henker unter meinem Fenster öffentlich mein Buch verbrennen, und der König, Kanzler, Kamptz werden diesem neuesten Hoffmannschen Feuerwerk noch mehr Beifall klatschen als dem Wasserzauber der Undine. JOHANNA Die Uhr schlägt eins, ich geh jetzt besser weg, bevor Ihr Cerberus mich zierlich anbellt? HOFFMANN Bevor Sie gehen, liebes Kind, tun Sie mir den Gefallen und schlagen etwas nach in jenem Buche unter Ihrem Lindenzweig? JOHANNA (hebt das Buch, das zu oberst liegt, auf ) ‚Der Astrolog‘ von Walter Scott? HOFFMANN Nein, nein, nicht den Geschäfts mann, das andre dann –? JOHANNA (das andere aufschlagend) ‚Unterricht in der natürlichen Magie‘ von Johann Christian Wiegleb? HOFFMANN Ich habe leider ausgezaubert, liegt noch was auf dem Tisch? JOHANNA (ein sehr kleines Bändchen aufnehmend) Die Oden von Horaz? HOFFMANN Und schlagen Sie mir doch das zehnte Carmen auf; im zweiten Buch! (Johanna sucht.) Und lesen Sie mir die fünfte Strophe? JOHANNA (verfällt unwillkürlich in ein rezitatives Parlando) ‚Non, si male nunc, et olim sic erit –‘ HOFFMANN So hör ich das in Ihrer süßen Stimme, was mir zuvor nur wie ein Rabenkrächzen durch die Seele fuhr! JOHANNA Was heißt es denn? Mein Latein ist immer schnell am Ende – HOFFMANN (übersetzt, etwas mühsam sich erinnernd) ‚Was jetzt von Übel ist, wird es nicht immer bleiben, Apollos Hand – sie spannt die Sehne, schnellt den Pfeil, sie rührt die Saiten auch und löst die Stimme aus dem Schweigen –‘ JOHANNA Ich höre Schritte, Gott sei mit Ihnen, Hoffmann, Wiedersehen! HOFFMANN – in jener Zeit acherontischer Finsternis, kann sie mich verlassen, die entfesselte Psyche – im wahrhaften Sein? Szene 33 (Mischa herein mit einer Tasse Fleischbrühe und einem Schreibblock. Sie schiebt ein Kissen unter Hoffmanns Nacken zurecht, sieht nach den Brennwunden am Rückgrat.) MISCHA Hast Du geschlafen, Ernst? HOFFMANN Ich habe eine unruhige Nacht ge- habt, den Tag hab ich meistens verschlafen, ohne erquickt zu werden. MISCHA Ist Blut in Laken. Wunden brandige sich aufgegangen. HOFFMANN (heiter) Aber mir tut nichts mehr weh, ich glaube, ich werde bald durch sein. MISCHA (starr) Ja, Du wirst bald durch sein. HOFFMANN Wo waren wir stehen geblieben? MISCHA Nein, Ernst, nicht immer arbeiten, was ist der Dank, schmeißen Dich noch ins Loch! Hier, trink von die Fleischbrüh! HOFFMANN (trinkt nicht) Tu mir die Liebe, l i e s, wo wir gestern abgebrochen! MISCHA (stellt seufzend die Tasse zurück, nimmt das Manuskript auf ) ‚Der Vorfall mit der Besetzung des Hauses, so wie das Herannahen der Mittagszeit hatte die Menschen verjagt –‘ HOFFMANN Ich hoffte, mein Haus hätte Raum für alle die Freunde. MISCHA (weiterlesend) ‚– so dass nur noch Gesellschaft kleines –‘ HOFFMANN (geduldig) ‚eine kleine Gesellschaft‘! MISCHA ‚eine kleine Gesellschaft –‘ HOFFMANN Halt, Mischa, wir müssen rasch an den Verleger Wilmans nach Frankfurt schreiben, er hat mir einen Vorschuss angeboten. MISCHA War gestern in Berlin – Judas miserables, ängstigt sich grauslig vor die Büttel stinkige! HOFFMANN Nun, er hat Einbußen gehabt durch die vermaledeite Flohgeschichte, aber es ist nicht recht, dass er mich kranken, kontrakten Mann nicht besucht. Soll er wenigstens zahlen. Schreib! MISCHA Mischa schreibt nicht an Verräter gottlose! HOFFMANN Sie haben meine Bezüge gestrichen, Mischa, wir stecken bis über den Hals in Schulden, und Kranksein ist doppelt teuer! Schreib! MISCHA (setzt die Feder an) HOFFMANN Die Erzählung ‚Der Feind‘ ist in meinem Kopfe gänzlich ausgearbeitet. Ich hoffe daher, d i e sm a l keine Fehlbitte zu tun, wenn ich Sie gehorsamst ersuche, mit umgehender Post mir einen Vorschuss von zwan zig Louisdor Gold zu zahlen.‘ Aber jetzt weiter im Text (matt und fiebrig) MISCHA ‚– zwanzig Louisdor zu zahlen. Michalina Hoffmann für mein Mann.‘ HOFFMANN Ja, ja, das kannst Du ja nachher abfertigen, jetzt aber drängen sich fremde, verworrene Bilder ein, wie 95 | Bild XXIV 96 feindliche Geister, in die Werkstatt meiner Gedanken – (er diktiert nicht, sondern murmelt im Fieber, aber Mischa versucht, mitzuschreiben.) Als ich mein großes Wandbild erblickte, das den ganzen Hintergrund des Saales einnimmt und in Morgenwolken eingehüllt schien – MISCHA ‚– eingehüllt schien‘ HOFFMANN – aus denen zweideutige Streif lichter es anschielten, als ich noch einen Teil des Malergerüstes, die Farbentöpfe, Malerschurz und Mütze gewahrte, die noch von der letzten Arbeit zurückgeblieben, da überfiel mich jene Traurigkeit; ja eine Bangigkeit drohte mir die Brust zu ersticken – ich hätte ja vor Schwindel und Mattigkeit das Gerüst nicht besteigen können. Mit geschlossenen Augen schwankte ich durch die langen Gänge und gedachte meines ganzen Lebens, wie die Menschen dieser Erde nicht angehören können, dass ich ihnen meine ganze Seele zuwandte, und nicht anders ins feurige Leben – (Mischa hat schon geraume Zeit nicht mehr mitgeschrieben, sondern mit steigender Angst Hoffmanns Unruhe, von Röcheln unterbrochen, verfolgt, jetzt springt sie auf und umfasst seine Knie.) MISCHA Ernst! (Hoffmann ist gestorben. Mischa verharrt eine Weile in der vorigen Haltung, sieht dann langsam zu ihm auf, erhebt sich, räumt Geschirr, Manu skripte, Blumen ab, will hinausgehen, stellt aber alles auf dem Boden ab und kauert links vorn wie in SZENE 1. Später fängt sie zu stricken an. Hinter dem Stehpult ist mit Leichenbittermiene, Zylinder, Auktionshammer Hitzig aufgestiegen. Während seiner ersten Worte treten zwei Krankenwärter auf, ziehen die Plane über Hoffmanns Kopf und schieben den Stuhl zum Türloch hinaus – in die Flammen.) HITZIG (ins Publikum) Hoffmann ist tot. Man hat zu spät nach mir geschickt. Die Sitzung hatte gerade begonnen, es war zehn Uhr zweiundzwanzig. Man holte mich aus dem Terminsaal des Kammergerichtes, Hoffmanns Stuhl, mir gegen über war schon seit längerem leer. Ich stürzte sogleich herbei, aber – ich fand den Freund nicht mehr. (Wischt sich diskret Augen und Stirn, sieht erschrocken den durch die Tür hereinleuchtenden Feuerschein, dann aber zurück zu seinem Geschäft.) Es bleibt mir nun noch die traurige Pflicht, das Concursverfahren über den Nachlass des Defunctus zu eröffnen (ins Publikum). Ich bitte die Gläubiger nach vorn zu kommen – bitte der Reihe nach, wie ich aufrufe! – und ihre Ansprüche zu bestätigen: (schlägt bei jedem Namen leicht mit dem Hammer auf das Pult) Schneidermeister Freytag – Sie fordern einhundert zweiunddreißig Reichstaler, achtzehn Groschen? – Fuhrmann Schulze – sechzehn Reichstaler, sechzehn Courant? Oberbaurat van Alten – Mietforderung von einhundertzweiundfünfzig Reichstaler, sechzehn Groschen Courant? Der Apotheker Friedrich – neunund dreißig Reichstaler, neunzehn Groschen? Der Buchhändler Dümmler mit einer Forderung von zweihundertsiebenundsiebzig Reichstaler, acht Groschen? Der Berliner Magistrat? sechs Reichstaler, zwölf Groschen Mietssteuer? Die Weinhändler Lutter und Wegner – eintausend einhundertundsechzehn Reichs taler, einundzwanzig Groschen (schüttelt dezent den Kopf ) – er könnte noch leben, hätte er auf mich gehört! (reagiert auf Zuruf aus der Gläubigerschar) Wie? (setzt sein Hörrohr an) Wiederholen Sie bitte – ja, das ist aber sehr generös, Herr Wegner, Herr Lutter, Sie verzichten also auf Ihre Forderung? (schaut triumphierend zu Mischa hinüber). Ja, ja, das glaube ich, dass er eine Attraction war in Ihrem Keller, wie? Aha, der Touristenverkehr, den hat er Ihnen eingebracht – er hat einen schönen Zugewinn, wie? (kichert anerkennend, dann wieder ernst). Bleiben noch die Beerdigungs kosten – fünfzig Reichstaler – ist das alles? (sieht sich um) Keine Forderungen mehr? Gut. (Unterdessen sind die Krankenwärter mit dem leeren Rollstuhl zurück gekommen.) 1. WÄRTER Herr Criminalrat! HITZIG Wo brennt᾿s? 1. WÄRTER Warschau! (Mischa blickt entsetzt auf.) 2. WÄRTER Das Palais Mnischek! HITZIG Seine Fresken – (blättert geistes abwesend in den Nachlasspapieren, dann aber zurück zum Geschäft) Meine Herren Gläubiger, ich bitte Sie jetzt, sich mit der Abdeckung Ihrer Forderungen zu gedulden, bis ich Hoffmanns Nachlass versteigert habe. Ich schreite zur Auction (Die Wärter / Packer holen die Gegen stände, soweit sie nicht zur Hand sind, durch das Türloch herein.) Fünf Stühle und Tisch, Kirschbaum, altdeutsches Design – vierzig Reichstaler – zum ersten? Wie? Nun gut – fünfunddreißig (Hammer, zu den Packern) geht an den Herrn Bundespräsidenten! Ein Punschtopf mit Ölbrenneruntersatz, Bairische Porzellanmanufaktur – fünfundzwanzig Reichstaler – zum ersten (wartet eine Weile, dann Hammerschlag, zu den Packern) an den Herrn Hofkaplan! Eine Kinderwiege, polnische Volkskunst, bemalt, siebzehn Reichstaler, – der Herr dahinten, wer sind Sie? Aha (zu den Packern) an den Vorsitzenden der Hoffmann-Gesellschaft in Bamberg! Weiter – ein Wandschirm, 97 | Bild XXV 98 schwarze Bespannung, Bemalung (betrachtet missbilligend die lasziven Figuren) von Defuncti’s eigener Hand – zwanzig Reichstaler – kein Interesse? (Mischa deutet auf sich, Hitzig versteht) Gut, das kaufe ich selbst (zu den Packern) – das geht an die Witwe! Und nun ein besonders kostbares Stück (die Packer rollen den Hammerflügel herein) – Der Hammerflügel aus Hoffmanns Besitz, ein Erard, Baujahr achtzehnhundertundvier – 1. PACKER Solides Mahagoni! (klopft gegen das Holz, bevor er das nächste Möbel holen geht.) 2. PACKER Und klingt – (hat sich der Tastatur genähert, wird aber durch Hitzigs Verhalten an seinem Vorhaben irre und folgt dem 1. Packer; Hitzig schien zuerst ungehalten über die Einmischung, erstarrt dann aber, sein Blick erlischt, er legt den Hammer weg und ist von Erinnerung überkommen.) HITZIG Wir wohnten einander gegenüber. Wenn alles auf den Straßen ruhig geworden war, was in Warschau ziemlich spät geschieht, dann wurden die Fenster auf ein Signal, das Hoffmann auf dem schönen Flügel pianoforte gab, geöffnet, und er phantasierte für mich und meine junge Gattin; wir lehnten im Fenster und hörten ihm begierig zu – oft bis der Morgen graute. (Lauscht, Stille. Indessen sind rechts hinten die BRÜHLSCHEN COMÖDIANTEN – außer Kamptz und Kratzer – eingedrungen. Die Bühne verdunkelt sich, der Feuer schein aus dem Türloch rötet die Gesichter; alle stehen mit versengten Kleidern und schauen ungläubig auf, als ein Lichtstrahl die Gegenwart des lesenden Doppelgängers auf dem Gerüst einfängt.) DOPPELGÄNGER (liest) – schoben die Jägersleute und Bauern den Stein mit vieler Mühe zur Seite und fanden darunter das Fräulein mit vielen Dolchstichen ermordet und verscharrt, die Laute des Fremden aber neben ihr zertrümmert– JOHANNA EUNIKE Hoffmann? DOPPELGÄNGER (ohne aufzusehen) – seit der Zeit nistet alljährlich auf dem Baum eine Nachtigall und singt um Mitternacht – (sieht auf und starrt ins Publikum) Hoffmann ist verbrannt. (Im Eckfenster erscheint der Rabe, öffnet den Schnabel) RABE (höhnisch) D a C a p o. (Der Doppelgänger fährt herum und zückt das Messer. Bevor er damit nach dem Vogel wirft, fällt der V o r h a n g.) FINIS Ort: Zeit: Museum, früher Kammergericht, in Berlin Im Gedenkjahr, nach dem Brand Dramatis personae (die Brühlschen Comödianten): E.T.A. Hoffmann, Kammergerichtsrat Hoffmanns Doppelgänger Michalina (Mischa), Hoffmanns Gemahlin T. G. von Hippel, Staatsrat K. A. von Kamptz, Polizeidirektor J. E. Hitzig (zuerst Itzig), Kriminalrat Marie, Hitzigs Tochter Kratzer, Kustos ein Schauspieler Graepel, Bankier Chiara, Zigeunerin Daru, Napoleons Generalquartiermeister Koreff, Leibarzt Friedrich Wilhelms III. Mälzel, österreichischer Hofmechaniker Franziska Mark, Witwe des amerikanischen Konsuls in Franken Julia Mark, Tochter der ‚Konsulin‘ eine Schauspielerin Johanna Eunike, Sängerin Zwei Packer / Kutscher / Kulissenschieber / Gefängniswärter Feuerarbeiter / Häscher / Krankenwärter (zwei Schauspieler) Bürger, Masken, Soldaten Ein grauer Papagei Ein Rabe } } Alle Figuren sind von Brandspuren gezeichnet. 99 Wolfgang Held Hoffmanns Verbrennung Herausgeber: Bernhard Schemmel Band 1: 25 Collagen. Katalog zur Ausstellung im E.T.A. Hoffmann-Theater Bamberg. Bamberg 2013 (mit Vorwort, Synopsis und Erläuterungen von Wolfgang Held) Band 2: Schauspiel. Text. Bamberg 2015 100
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