mbimba jon mavinga organisiert deutschlands

HEIMAT:STRASSE
MBIMBA JON MAVINGA ORGANISIERT DEUTSCHLANDS GRÖSSTES STREETBALL-TURNIER,
DEN GERMANY‘S REALITY CHECK.
SEIN TURNIER UND AUCH SEIN LEBEN SIND GRADMESSER FÜR
TEXT: NICOLAS RACZ
DIE
DEUTSCHE
REALITÄT
FOTOS: MARCO HEINEN
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LUANDA IM JAHR 1985. DER SEIT ZEHN JAHREN ANDAUERNDE BÜRGERKRIEG DER JUNGEN REPUBLIK ANGOLA
HAT MASSEN AN MENSCHEN IN DIE HAUPTSTADT GETRIEBEN, DIE AUS ALLEN NÄHTEN PLATZT. DAVON BEKOMMT DER JUNGE MBIMBA JON MAVINGA MIT SEINEN SIEBEN JAHREN NOCH WENIG MIT. SEINE FAMILIE UND
FREUNDE, DAS HAUS SEINER ELTERN, DAS IST SEIN LEBEN. ALS ER ZUM ERSTEN MAL ÜBERHAUPT EINEN
BASKETBALLPLATZ BETRITT UND DEN BALL RICHTUNG KORB WIRFT, AHNT ER NOCH NICHT, DASS ER ALLES,
WAS ER BISHER KANNTE, BALD ZURÜCKLASSEN WÜRDE. UND DASS DIESER ORANGEFARBENE BALL ZUKÜNFTIG
DER ROTE FADEN SEIN WÜRDE, DER SICH DURCH SEIN LEBEN ZIEHT.
CROSSOVER: Jon, heute sitzen wir bei regnerischem Herbstwetter in Köln am Nike Court. Dabei beginnt deine Geschichte in Afrika.
JON: Richtig. Ich bin eigentlich in Kinshasa im Kongo geboren, dem Heimatland meiner Mutter. Mein
Vater ist Angolaner, weshalb wir nach Luanda zogen, als ich ein Jahr alt war. Sechs Jahre später
wurde er zur angolanischen Botschaft nach Paris
versetzt und die ganze Familie zog nach Europa:
meine Eltern, meine drei Schwestern, drei Brüder
und ich. Später gingen meine Eltern und einige Geschwister wieder nach Afrika zurück. Mein kleiner
Bruder und ich blieben aber, um vom französischen Bildungssystem profitieren zu können. Wir
wohnten dann bei einem Onkel im Pariser Vorort
Aubervillier. Das ist keine gute Gegend; Saint-Denis,
wo 2006 die Autos angezündet wurden, grenzt direkt an unser Viertel.
Du hast in Paris dein Abitur gemacht und auch
dort studiert. Wie kamst du nach Deutschland?
Nach zwei Kurzbesuchen in Hamburg und Köln
lernte ich meine heutige Ehefrau kennen, die auf
Schüleraustausch in Paris war, und besuchte sie
1996 in Köln. Wegen meiner Freundin war ich
mindestens zwei Mal im Monat in Deutschland.
Dann habe ich in Paris ein Sozialpädagogik-Studium an der katholischen Uni Paris begonnen, bin
ständig nach Köln gependelt. Während des Studiums wurde meine Freundin dann schwanger.
Zugegebenermaßen kam das ein bisschen früher
als geplant. Also zog ich nach Beendigung des
Studiums nach Kerpen. Eigentlich war ich aber
mehr in Köln, das passt besser zu mir. Eine große
Stadt, in der ich mein Ding machen kann.
Wie war dein erster Eindruck von Deutschland?
Deutschland hat mich überrascht; ich hatte ein
viel negativeres Bild von dem Land. Nazis überall,
Ausländer werden gejagt... was man so vermittelt
bekommt. Als ich dann hier war, war es das glatte
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Gegenteil. Wobei ich zugeben muss, dass es mich
trotzdem zuerst woanders hingezogen hat. Als ich
2001 mit dem Studium fertig war und meine Frau
schwanger war, ging ich für drei Monate nach
Kanada.
für jeden da. Durch Basketball kann ich in ganz
Deutschland herumreisen und weiß, dass es überall Communitys auf meiner Wellenlänge gibt.
Was würdest du jemandem empfehlen, der neu
nach Deutschland kommt?
Wieso gerade Kanada?
Ich hatte das Gefühl, etwas Neues erleben zu müssen. Afrika kam nicht in Frage, weil ich dachte,
dass ich dort viel Geld brauchen würde, um mich
zu etablieren. Mein Diplom alleine hätte mir dort
nicht viel geholfen. Nach Kanada konnte ich mit
dem Abschluss relativ einfach gehen. Nach drei
Monaten kam ich aber wieder zurück. In Quebec
ist alles groß, weit, aber es gibt keine Kultur. Da
hätte ich gleich in die Staaten gehen können. Heute weiß ich: Europa ist das Beste. Deshalb kam
ich wieder zurück, was für meine Frau auch viel
einfacher war, als gemeinsam auszuwandern.
Du kamst ziemlich Hals über Kopf hier an.
Konntest du überhaupt Deutsch?
Nein, überhaupt nicht. Erst habe ich mich mit
Englisch durchgeschlagen. Nach kurzer Zeit sah
ich aber, dass es so nicht ewig weiter gehen kann,
und habe mich voll auf Deutsch konzentriert.
Allerdings ohne jemals einen Kurs besucht zu
haben. Ich habe alles von Freunden und im täglichen Leben gelernt.
Wie hast du es geschafft, dich in Deutschland zu
integrieren?
Darüber habe ich mir eigentlich nie viele Gedanken gemacht. Ich habe einfach versucht, viele
Freunde zu finden. Basketball war für mich auf
jeden Fall ein Schlüssel. Ich habe für Köln und
Nordrhein-Westfalen Integrationsprojekte mit
Jugendlichen durchgeführt – Integration durch
Sport. Dadurch habe ich Zugang zur deutschen
Gesellschaft gefunden. Gemeinsam ein Ziel verfolgen, egal ob schwarz oder weiß. Basketball ist
Jon, der Familienvater
Man muss hier Disziplin haben, organisiert sein,
und ein Ziel vor Augen haben. Und natürlich ist
die Sprache der Schlüssel zu allem.
Wie ist deine Verbindung zu Frankreich heute?
Ich habe in Frankreich noch viele gute Freunde
aus der Schulzeit. Der Kontakt ist sehr intensiv,
inzwischen allerdings hauptsächlich über Telefon
und Internet. Nach Paris fahre ich persönlich
nur noch ab und zu in den Ferien. Französischer
Staatsbürger bin ich auch nicht mehr. Den Pass
musste ich abgeben, um den deutschen zu bekommen. Meine Kinder wachsen aber zweisprachig auf.
Wenn Deutschland gegen Frankreich spielt, zu
wem hältst du?
Beim Fußball zu Frankreich, beim Basketball auf
jeden Fall zu Deutschland.
Wie bitte? Die Staatsbürgerschaft müssen wir
wohl nochmal überprüfen. Wie steht es mit deiner Verbindung zu Afrika?
Dort habe ich das Licht der Welt erblickt, meinen
ersten Basketball geworfen. Ich habe in Afrika
den Anfang meiner Kindheit verbracht und meine
Eltern leben dort.
Aber du fühlst dich als Deutscher?
Die deutsche Sprache dominiert in meinem Leben, ich lebe gerne in Deutschland. Fremd fühle
ich mich hier nicht.
Mal abgesehen von der Nationalität – wer ist Jon
Mbimba eigentlich?
Jon Mbimba ist Basketballer, Familienvater und
Denker.
In dieser Reihenfolge?
Moment; da kommt die Vaterrolle natürlich an
erster Stelle.
Der Familienvater Jon Mbimba ernährt seine
Frau, zwei Söhne und eine Tochter durch seine
Anstellung als sozialer Arbeiter im Sprungbrettverein in Bonn. Dort kümmert er sich um straffällige Jugendliche, die direkt in den Arrest gehen
müssten, durch das Engagement des Vereins aber
noch eine letzte Bewährungschance erhalten. Jon
führt mit den Jugendlichen dann ein dreimonatiges
Antigewalt-Training durch. Er begleitet sie zu Gerichtsterminen, redet mit den Richtern. Außerdem
betreibt er Konfliktmanagement mit Schulklassen
der sechsten und siebten Stufe. Von zehn Kindern
bringt er vier bis fünf wieder auf den richtigen
Weg – trotz des Widerstandes der Eltern, die sich
gegen solche Maßnahmen wehren, weil sie glauben, allein mit ihren Kindern fertig zu werden.
Der Basketballer Jon Mbimba hat sein Können in den oberen Ligen unter Beweis gestellt,
auch wenn er nie Profi wurde. Basketball hat ihm
bei der Integration geholfen und ihm ermöglicht,
eine prägende Rolle in der deutschen Streetballszene einzunehmen.
Wie kamst du zum Basketball?
In Frankreich habe ich immer mit Freunden im
Jugendzentrum gezockt. Damals, als Jordan die
ersten Titel gewonnen hat. Jeden Tag gab es
NBA live im Fernsehen oder französischen Basketball. Auf dem Platz war die Konkurrenz groß.
In LeVallois fing ich mit ungefähr zwölf Jahren
im Verein an. Zwei Jahre später habe ich wieder
aufgehört, weil mir der Basketball in der Schule
und auf dem Freiplatz ausreichte. Mit 15 Jahren
ging ich wieder zurück in den Verein, habe einen
Sprung nach vorne gemacht und sogar mit dem
Zweitligakader trainiert und zwei Kurzeinsätze
absolviert. Dann knickte ich beim Streetballzocken um. Der Trainer stellte mich vor die Wahl:
Streetball oder Basketball.
Und wofür hast du dich entschieden?
Mir war der Spaß wichtiger. Und das bedeutete
Streetball.
In Deutschland hast du dann aber doch wieder
im Verein gespielt.
Richtig, unter anderem bei Bayer Leverkusen in
der A-Jugend Regionalliga. Einmal die Woche
konnten wir mit der ersten Mannschaft unter
Dirk Bauermann trainieren. Ich habe dann aber
oft den Verein gewechselt, weil ich mit den Systemen nicht klar kam. Mein Konzept war Dribbeln
und Kreativität, das Konzept der Trainer immer
nur System und Passen. Im Training ging das ja
noch, aber während des Spieles fühlte ich mich
dann blockiert. So war ich nie länger als eine Saison beim gleichen Verein. Irgendwann ließ ich es
gut sein und fing stattdessen als Jugendtrainer an.
Dazu kommen deine Basketballprojekte, die du
vorhin erwähnt hast. Was war das genau?
Ende 2002, als ich bereits als Trainer eine U16
betreut habe, startete ich ein Projekt – Mitternachtsbasketball in Kooperation mit Sport/Jugend Köln, die mir die Halle organisierten. Das
war allerdings nicht leicht, weil immer jemand
dabei sein musste, der einen Jugendleiterschein
besaß. Dabei hatte ich in dem Bereich viel mehr
Erfahrung. Dann wurde mir aber ständig reingeredet und die jungen Leute konnten sich nicht
entfalten. Man muss sie erst mal von der Leine
lassen, und sie danach mit den Regeln konfrontieren, sonst verlieren sie den Spaß.
Kam der Mitternachtsbasketball, den es ja auch in
anderen deutschen Städten gibt, gut an?
Ja, es kamen sofort 30, 40, 50 Leute. Mitternachtsbasketball war für mich ein Versuch, um
zu sehen, wie die Akzeptanz für Streetball in
Deutschland ist. In einer Nacht 2004 kamen 150
bis 200 Leute. 2005 sogar doppelt so viele, als
ich das Event zum letzten Mal veranstaltete. Das
lief dann unter „Team Jon’s Session“, weil wir die
besten Spieler unter diesem Teamnamen rekrutierten und zu anderen Turnieren schickten, um
Köln und Nordrhein-Westfalen zu repräsentieren.
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„WENN DU NUR EIN MACHER
BIST, ERREICHST DU
DIE LEUTE NICHT,
DU MUSST MACHER UND
FAN ZUGLEICH SEIN.“
JON, WAS SOLL DIE MASKE? EIN GESCHENK VON SIDO?
(Lacht). Nein. Als ich die Idee mit der Maske hatte, gab es Sido noch gar nicht. Bei meinem Event bin ich zwar
primär der Organisator, gleichzeitig aber auch eine Art Clown, der für Unterhaltung sorgt. Ich mache gerne Faxen
während der Moderation. Die goldene Maske und die Afro-Perücke unterstützen das ganz gut. Dazu dann noch die
goldenen Schuhe mit den Flügeln, hohe Socken, Shorts und Shirt in markanten Farben. Für das Event lackiere ich
mir sogar die Fingernägel. Dem weiblichen Publikum scheint es zu gefallen. Ich bekomme sogar E-Mails, in denen
Frauen mich fragen, was ich außer Kosmetik denn noch für Interessen hätte. Aber zurück zur Maske: Zuerst hatte
ich eine weiße Maske…
…WIE IN „SCREAM“…
…nicht ganz so einschüchternd. Aber Gold strahlt etwas Positives aus. Deshalb habe ich die Farbe gewechselt.
TJS steht für Entertainment, Basketball-Skills,
Show. Das Team repräsentierte ursprünglich Köln.
Inzwischen haben wir aber so viele Mitglieder,
dass wir uns aus verschiedenen Städten zusammensetzen.
Weil es in Deutschland nicht so viele gute Turniere gibt, sind wir beim Quai54 in Paris dabei.
Wir waren schon dreimal dort. Einmal, um die
Gewässer zu testen. Da flogen wir mit sechs Punkten in der ersten Runde gegen einen der Favoriten raus, obwohl wir Heiko Schaffartzik in unseren Reihen hatten. Dafür fehlte es aber unter
dem Korb. Im zweiten Jahr haben wir deutlich
verloren. Letztes Jahr wollten wir nicht gleich zu
Beginn ausscheiden und haben uns professioneller aufgestellt. So gewannen wir die erste Runde
und schieden mit vier Punkten Unterschied in der
zweiten Runde aus. Jedes Jahr lernen wir dazu
und wollen weiter kommen. Wir wollen die besten Spieler aus Deutschland mitnehmen, die wir
bekommen können.
Das Quai54 ist das beste Turnier in Frankreich,
das für dich sicherlich in zweierlei Hinsicht interessant ist. Zum einen, um mit deinem Team dort
etwas zu reißen, zum anderen als Vorbild für
dein eigenes Event, das aus den Mitternachtsturnieren hervorgegangen ist: den Germany‘s Reality
Check. Weshalb hast du diesen Namen gewählt?
Jon, der Denker
Damit die deutsche Szene auch einen Namen mit
Bezug zu Deutschland erhält. Streetbasketball in
Deutschland brauchte ein eigenes Image. Unser
Turnier soll die Realität des deutschen Streetbasketballs aufzeigen. Nach einer Anfangszeit des
Streetballs, in der auch Profis vom Basketball
auf der Straße begeistert waren, kam eine Zeit,
in der fast nur Amateure den Streetball ausmachten. Starke Spieler hielten sich wegen des zweifelhaften Rufs und der Verletzungsgefahr fern.
Ich wollte sie wieder zum Streetball bewegen.
Erste Liga und Streetball schließen sich nicht aus.
Deshalb habe ich gezielt Profis – Regionalliga
aufwärts – eingeladen. Zuerst über meine Kontakte, Spieler aus Düsseldorf, Wuppertal, Bremen,
Bonn und Köln. Später wollte ich Städte aus ganz
Deutschland involvieren, was auch geklappt hat.
Der GRC findet 2010 zum sechsten Mal statt.
Erzähl uns ein bisschen über die Entwicklung
des Turniers!
Beim ersten Turnier bekam ich die Abenteuerhalle
Kalk drei Tage lang für zehn Euro. Das war ein
Wunder. Die Verwalter dort wussten nicht viel
von mir und unterschätzten die Energie, die in
der Sache steckt. Im zweiten Jahr musste ich 150,
dann 250 Euro (2008) und 500 Euro (2009) abdrücken. Das ist immer noch ein optimaler Preis.
Am Anfang haben fünf Leute bei der Organisation mitgeholfen, inzwischen sind es 50. Jedes Jahr
werden die Spieler professioneller, die Zuschauer
mehr. 2009 haben wir für die beiden Tage zusammen 2.000 Tickets verkauft, obwohl Kinder beispielweise nicht mitgezählt werden. Inzwischen
kommen auch nicht nur Basketballer, sondern
Familien, basketballfremde Menschen … es wird
immer härter und intensiver gespielt. Gewinnen
steht im Vordergrund, Show nur an zweiter Stelle.
2009 gab es sogar die ein oder andere Rangelei…
Ja, dreimal. Das gehört dazu. Es zeigt, dass die
Spieler gewinnen wollen. Manchmal kanalisieren
sie ihre Emotionen dann falsch. Am Ende geben sie
sich aber die Hand und alles ist in Ordnung.
Wieso gibt es trotz der Namensgebung beim
GRC auch Mannschaften aus dem Ausland?
Um die Attraktivität zu erhöhen, laden wir auch
Mannschaften aus dem Ausland ein. Das ist auch
Werbung für die deutsche Streetballszene im Ausland. Frankreich, Belgien, Polen, Rumänien… die
Grenzen sind offen, aber mehr als vier ausländische Teams bei 16 Teilnehmern sollten es nicht sein.
Wie lockst du die ausländischen Teams nach Köln?
Zum einen wollen die Jungs natürlich gerne ihre
Länder repräsentieren. Wir greifen ihnen dann
noch finanziell unter die Arme und teilen uns die
Kosten für Übernachtung und Verpflegung. Die
Fahrtkosten zahlen die ausländischen Teilnehmer
allerdings selbst.
Finanzen sind ein gutes Stichwort. In Deutschland hat Basketball ja generell ein Finanzierungsproblem. Clubs gehen Jahr für Jahr pleite,
in der ProA sieht man schon fast nur noch Werbung von lokalen Autowerkstätten, Supermärkten und Sparkassen. Inwiefern merkst du das
beim GRC?
Wir sind sehr selektiv bei den Sponsoren. Geld
steht nicht im Vordergrund. Unsere Sponsoren
müssen zur Zielgruppe passen. Das Sponsoringproblem des Basketballs liegt daran, dass der
deutsche Basketball kein Image hat. Wir brauchen deutsche Gesichter, Spieler mit Geschichte.
Davon gibt es viel zu wenig. Die Spieler mit Geschichte haben diese Geschichte woanders entwickelt und dann importiert. Solange wie in der
Bundesliga von Saison zu Saison geplant wird,
wird sich daran nur schwerlich etwas ändern. Jedes Jahr kommen andere Spieler. Sponsoren denken langfristiger.
Ist eines der Ziele des GRC also, den deutschen
Spielern ein Gesicht und eine Geschichte zu geben?
Ja, durchaus. Nehmen wir das Bremer Team als
Beispiel. Die sind seit drei Jahren immer mit dem
gleichen Kern an Spielern da. Sie repräsentieren
Bremen, und das weiß bei dem Turnier inzwischen jeder.
Wo beginnt für dich Streetball, wo hört Basketball auf – und was spielt man beim GRC?
Streetball ist für mich der Inbegriff der Freiheit.
Freundschaft, Spaß, Entertainment. Basketball
steht eher für Arbeit, Disziplin, Geschäft. Der
Germany‘s Reality Check ist Streetball. Streetball
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und Basketball schließen sich nicht aus. Deshalb
haben wir viele Spieler beim Turnier, die ansonsten wohl eher als Basketballer zu bezeichnen sind.
Unser Feld ist kleiner, es gibt mehr Körperkontakt, das macht die Umsetzung von Systemen
schwierig. Deshalb ist Kreativität gefragt.
voll, Sonntag war eher Chill-out angesagt. Dann
kamen die Leute mit der Familie, oder um zu posen. Erste Liga, zweite Liga, Regionalliga, alles war
vertreten. Das war damals.
Was ist deiner Meinung nach der Schlüssel zum
großen Erfolg des Germany‘s Reality Check?
Jetzt spielt eine andere Generation hier. Uns gehörten die Neunziger. Die Spieler auf diesem
Platz haben heute nur ein schwach ausgeprägtes
Spielverständnis. Show ist gleichbedeutend mit
One-Man-Show. Einer macht etwas, die anderen
gucken zu. Früher hat das ganze Team mitgewirkt
– alle fünf Spieler. Das war großer Basketball.
Aber auch heute gilt noch: Wenn jemand aus Köln
oder aus NRW Streetball auf dem bestmöglichen
Niveau spielen möchte, muss er hierher kommen.
Wenn du nur ein Macher bist, erreichst du die
Leute nicht. Du musst Macher und Fan zugleich
sein. Das bin ich, und das sind meine Helfer. Wir
bieten den Leuten ein Event, das nicht Mittel zum
Zweck ist, um beispielweise ein Produkt zu verkaufen. Das merken die Fans, und deshalb stößt
der GRC auf solch positive Resonanz.
Der nächste Schritt des Turniers wäre wohl ein
Ausbau der überregionalen Bekanntheit. Die
Teams kommen zwar von überall her, die Zuschauer aber noch fast ausschließlich aus Köln
und dem Umkreis.
Wir erreichen noch nicht alle. Auch, weil die
deutschen Basketballmedien das Event in gewisser Weise boykottieren. Da geht es nur um
Exklusivverträge, statt darum, den Basketball
zu fördern. Wenn berichtet wird, dann nicht im
angemessenen Rahmen. Teilweise sogar mit Fehlern gespickt. Im Vergleich zum Quai54 tun wir
uns außerdem schwer, weil es hier viele wichtige
Großstädte gibt. In Frankreich konzentriert sich
alles auf Paris. Jeder Immigrant geht zuerst nach
Paris, bevor er weiterzieht. Die französische Politik, Kultur, Szene, alles spielt sich in Paris ab.
In Deutschland hingegen wird alles geteilt: Berlin, München, Hamburg, Köln… jede Stadt bietet
etwas. Aber es gibt keine Stadt, in der sich die
urbane Kultur landesweit konzentriert.
Während die Fotografen die Ausrüstung für
das Fotoshooting auf dem Nike Court in Position
bringen, rattern die Gedanken in Jons Kopf. In
diesem Moment ist er der Denker Jon Mbimba,
der seine verschiedenen Lebenswelten vereint, die
Probleme in Relation rückt und Pläne für die Zukunft
schmiedet – so wie für den Ausbau des GRC. Wie
kann man möglichst vielen Basketballfans ein
möglichst hochwertiges Turnier bieten? Köln hat
sich als geeigneter Standort für Streetball schon
einmal hervorgetan. 1997 war auch Jon mit der
lokalen Streetballgröße Andrew Chong dabei, als
Scottie Pippen den Nike Court eröffnete. Der Platz
avancierte in kürzester Zeit zum ultimativen Basketballplatz in Köln und zum bekanntesten Court
des Landes. Jon kam selber oft hierher – donnerstags, freitags und am Wochenende. Samstags war es
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Wie steht es heute um den Nike Court?
Glaubst du, es tut der Szene in Köln weh, dass
es jetzt keine Bundesligamannschaft mehr in der
Stadt gibt?
Schwierig zu sagen. Als der Club etabliert wurde, ist Basketball hier in Köln schon sehr gepusht
worden, insbesondere in den Medien und der
Wahrnehmung von Leuten, die sonst nicht viel
mit Basketball zu tun hatten. Eine Basketballszene an sich gab es hier aber schon immer, und sie
war schon immer eine der größten in Deutschland. Schade, dass es jetzt keine Vorbilder in der
ersten Mannschaft mehr gibt, aber es gibt ja auch
genügend andere Vereine, die sich um die Nachwuchsförderung kümmern.
Du hast sehr viel mit Nachwuchstalenten zu tun.
Was sind deren Ziele? Die erste Liga?
Viele junge Spieler, die ich begleitet habe, wollen
in erster Linie ein bis zwei Jahre in den USA spielen, an der High School oder am College. Sie spekulieren, dass sie dadurch in der Bundesliga leichter den Durchbruch schaffen. Eigentlich schade,
dass die Spieler erst dann Respekt bekommen,
wenn sie sich im Ausland durchgesetzt haben.
Verfolgst du die Bundesliga?
Wenn Sie im Fernsehen kommt, dann auf jeden
Fall. Außerdem kaufe ich die FORWARD, weil
es darin hauptsächlich um deutschen Basketball
geht. Die Präsenz der Bundesliga in den Medien
ist wichtig, damit der Nachwuchs von klein an
mitbekommt, dass wir eine eigene Liga haben.
Die Kids kennen zu 99 Prozent die NBA und zu
einem Prozent die Bundesliga. Dabei ist die Liga
vor Ort.
Wie siehst du die Rolle der NBA in Deutschland?
Die NBA ist ein sehr wichtiges Zugpferd für den
deutschen Basketball. Weniger NBA bedeutet
auch weniger Popularität und eine geringere Wahrnehmung der BBL.
Unter „weniger NBA“ scheinen wir heutzutage auf
jeden Fall zu leiden. Anfang bis Mitte der Neunziger hat die NBA massiv in Europa investiert. Die
Liga war medial jeden Tag präsent, Freiplätze
und Basketballvereine schossen aus dem Boden,
Basketball war der Trendsport schlechthin bei den
Jugendlichen. Inzwischen hat man das Gefühl,
dass die Körbe eher wieder abgebaut werden…
Ja, das stimmt wohl. Die erste große Basketballgeneration hat wenig aufgebaut, um den Basketball weiter leben zu lassen. Die großen Sportartikelhersteller, die damals mit Turnieren, Werbung
etc. sehr präsent waren, arbeiten heute nur noch
gegeneinander und investieren allgemein weniger.
In Sachen Streetball haben viele gute Spieler keine
Lust mehr auf Turniere, weil ihnen das Niveau zu
niedrig ist. Sie gehen nur noch zum Zuschauen
hin…
…aber nicht bei deinem Turnier…
Jon, der Basketballer
DER GERMANY‘S REALITY CHECK FINDET AM SAMSTAG, DEN 17. JULI, UND AM SONNTAG, DEN 18. JULI 2010
ZUM SECHSTEN MAL STATT. 16 TEAMS STREITEN SICH UM DEN TITEL. DAS K.O.-SYSTEM GILT AB DER ERSTEN
RUNDE: WER VERLIERT, FÄHRT HEIM. START IST AB 11.00 UHR IN DER ABENTEUERHALLE KALK, KÖLN.
DIE HIPHOP-KULTUR GEHÖRT 100 % ZUM STREETBALL UND WIRD BEI DEM EVENT AUCH REPRÄSENTIERT.
RAP, HIPHOP-DANCE, BEATBOXING, ABER AUCH EINE OPERNSÄNGERIN RUNDEN DAS PROGRAMM SCHON AB.
…genau, nicht beim Germany‘s Reality Check.
Eines Tages soll der GRC das Herz der gesamten deutschen Streetballszene sein. Diese Szene ist
momentan noch zu zersplittert. Die besten Spieler
und Fans aus allen Städten sollen zwei Tage im
Jahr beim GRC im Sommer zusammen kommen,
um dort Streetball zu feiern und sich miteinander zu messen. Amateure und Profis, Spieler und
Fans. Wenn wir dieses Ziel erreicht haben, würde
ich gerne in acht bis zwölf Städten qualitativ
hochwertige Qualifikationsturniere austragen. Das
erfordert allerdings Mittel, die wir momentan
noch nicht haben. Aber da kommen wir noch hin.
Wir bauen das Turnier weiter aus.
DARÜBER HINAUS GIBT ES EINE ONE-ON-ONE CHALLENGE UND EINEN DUNKING CONTEST.
Du bleibst Köln und Deutschland also weiterhin
treu?
Ich gehöre dahin, wo meine Kinder sich am wohlsten fühlen. Im Moment ist das Deutschland. Hier
werde ich wohl auch die nächsten 15 bis 20 Jahre
verbringen.
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