Selbstlernende Teams - zwischen kontroll- und machtbasierter Leitung Selbststeuerung in Teams – was motiviert Mitarbeiter? Mythos Belohnung und Bestrafung in der Mitarbeiterführung. Frank Natho, Institut für Fortbildung, Supervision und Familientherapie, (FST) Halberstadt Inhalt Vortrag Traditionelle Leitungskonzepte Basierend auf Macht, Kontrolle und Bewertung Orientierung an Führungskonzepten aus der Wirtschaft, Taylorismus, Kontrolle, zentrale Steuerung von außen Einfluss der Psychologie auf das traditionelle Führungsverständnis Konzept Selbstlernender Teams 3 theoretische Aspekte: - Autopoiesis, Selbstreferenz, Synergie Selbststeuerungsdynamiken Inhalt Vortrag Selbststeuerung versus Fremdsteuerung Vor- und Nachteile von Selbststeuerung Risiken von Fremdsteuerung Motivation / Mitarbeiterführung Was treibt uns an zu arbeiten? Persönlichkeit und individuelle Belohnungssysteme. Extrinsische versus intrinsische Motivation Selbstlernende Teams / Organisationen Aktuelle Arbeitswelt zwischen fremdgesteuerter und entgrenzter Arbeit Die Technisierung und Automatisierung der Wirtschaft und des Führungsverständnisses Mit der Industrialisierung im 20. Jh. verfestigt sich ein technischmechanistisches Verständnis von lebenden Systemen. Unternehmen, Mitarbeiter werden zu trivialen Maschinen, zu steuerbaren Elementen. Wie Teile einer Maschine werden auch Mitarbeiter zu austauschbaren, ersetzbaren Gliedern. Ihre Funktion wird auf einen kleinen Teil des Prozesses beschränkt. (Facharbeiter) Führung bedeutet in erster Linie dafür zur sorgen, dass der Apparat reibungslos läuft. Mitarbeiter sollten nicht mitdenken, sondern ausführen, funktionieren. Fehler stellen eine Gefahr dar und werden bestraft. (Kontrolle, Lohnabzug, Abmahnungen…) Führungskräfte wurden nicht geliebt, sondern gefürchtet. Mit den Ideen des Fordismus und Taylorismus ins Wirtschaftswunder Taylorismus (Frederick Taylor 1856-1915) macht die Industrialisierung und Ökonomisierung erfolgreich ● zentrale, hierarchische Steuerung (Führung), basierend auf Macht, Kontrolle, Belohnung und Bestrafung (erwartet wird Durchsetzungsvermögen) ● Männer werden Chefs, Menschen mit dominanzorientierter Persönlichkeit schaffen es auf der Karriereleiter ganz nach oben. ● Funktionalisierung – Effizienzsteigerung durch Routinebildung ● Normierung und Austauschbarkeit (Wer nicht funktioniert, wird diszipliniert oder ausgetauscht) ● Taktung von Arbeitsabläufen, Produktivität durch Arbeitsteilung, Motivation durch Akkordlohn ● Normierung von Arbeitsabläufen sichert die Qualität. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Psychologisierung machtbasierter Führungskultur Mitarbeiter sind Untergebene, Führungskräfte sind Chefs. Die Verhaltenstherapie legte in den 1960er Jahren den Grundstein für die Sublimierung der Anwendung von Macht als Teil der Führungskultur und erfindet Begriffe wie positive und negative Verstärker, Konditionierung. Das Reiz-Reaktions-Modell wird erfunden. Es macht uns glaubend, dass man gezielt Verhaltensweisen bei Mitarbeitern hervorrufen kann, wenn man nur den richtigen Reiz hat. Es macht uns glaubend, dass man Menschen gezielt von außen verändern kann. Seit dem sind Führungskräfte auf der Suche nach den „richtigen“ Motivationsanreizen! Sie nennen Strafen nun Konsequenzen und motivieren mit Lob und Belohnungen. Autopoiese Fehlerfreundlichkeit Selbstreferenz Vertrauen in Selbststeuerung Synergie intrinsisch motivierte Mitarbeiter Selbstlernende Teams Autopoiese Triviale Maschinen versus lebendes System Biologische Systeme sind operational geschlossen! Sie entwickeln sich aus sich selbst heraus. H. Maturana Es gibt keinen Input. Lebende Systeme lassen sich nicht zielgerichtet von außen steuern. Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann (1927-98) die moderne Systemtheorie und damit auch ein systemisches Verständnis von Arbeitssystemen. Er übertrug die Idee von der Autopoiese lebender Organismen (Maturana) aus der Biologie auf soziale Systeme (Autopoiesis). … kein direkter Kausalzugriff der Umwelt auf das System ohne Mitwirkung des Systems. N. Luhmann Teams werden als lebende Systeme verstanden und entsprechend behandelt. Sie sind in ihren Operationen von ihrem inneren Zustand abhängig, interne vernetzungsfähige Unterschiede bewirken Entwicklung (Selbstorganisation). Selbstreferenz Selbstorganisation v. Fremdbestimmung Zirkulär statt linear denken! Es gibt für eine Wirkung nie nur eine Ursache! Man kann nicht alles kontrollieren! Vertrauen ist besser als Kontrolle! Fehler sind Lernanregungen! Intrinsische Motivation ist wirksamer als extrinsische Belohnung! Alle Prozesse werden als zirkulär und auf sich selbst zurück wirkend verstanden. Teams sind hochkomplexe lebende Systeme. Unterschiede im System bewirken Entwicklung bzw. Lernprozesse. Lernen im Team heißt, Unterschiede neu zu vernetzen. Unterschiede ergeben sich aus den Erfahrungen, den Gefühlen und Haltungen einzelner Teammitglieder. Eine Reduktion von Unterschieden durch eine Steuerung von außen führt zur Stagnation von Selbstlernprozessen. Teams lassen sich von außen lediglich anregen und stören. Sie geben externen Reizen ihre eigene Bedeutung. Synergie Linear versus zirkulär Kreativität wächst durch Beteiligung, Motivation durch Selbstwirksamkeitserleben. Neues Wissen entsteht durch Vernetzung und Synergie! Das Synergiekonzept geht zurück auf Hermann Haken und versucht, Musterveränderungen, Ordnungsumbrüche und Entwicklungsprozesse in Systemen zu erklären. Musterveränderungen lassen sich von außen anregen, sofern ein System über eine hinreichend große Komplexität (Unterschiede) verfügt. Interne Muster (Kontrollparameter) lassen sich verstärken und nehmen so stärker Einfluss auf andere Größen des Systems. (Versklavung). Hermann Haken Kontrollparameter sind bereits vorhandene, aber sehr gering ausgeprägte Trends in Bedürfnissen, Kommunikation und Verhalten. Selbststeuerungsdynamik (Natho 2014) Selbstwirksamkeit, Kooperation, Entwicklung Ziel, Aufgabe Unterschiede haben Vorrang Persönlicher und kollektiver Gewinn Ich Ich Ich Team Ich Aktive Toleranz Ich Ich Ich Fremdsteuerung ist der Versuch, von außen Informationen bzw. Wissen in ein lebendes, autonomes System, mit dem Ziel einer gezielten Verhaltensveränderung, einzubringen. Fremdsteuerung blockiert den Selbstlernprozess im Team geringeres Selbstwirksamkeitserleben, geringere intrinsische Motivation, größere Belohnungsabhängigkeit reduzierte Kreativität & Problemlösungsbereitschaft Einschränkung von Flexibilität, Dienst nach Vorschrift Verstärkte Orientierung am Leiter Senkung von Eigeninitiative und Eigenverantwortung stärkeres Konkurrenzerleben, innere Kündigung latenter bis offener Widerstand gegen Anweisungen geringe Bereitschaft, eigene Ressourcen einzubringen und zu vernetzen Mitarbeiterführung (?) - Persönlichkeit, warum es so schwer ist, Kollegen durch Belohnung und Bestrafung zu verändern? Das Hauptproblem ist die Stabilität von Persönlichkeit, sie lässt sich nur schwer von außen verändern. Eng mit der Persönlichkeit verbunden ist ein individuelles Belohnungssystem. Der Neurobiologe G. Roth erforschte intensiv die neuronale Verortung von Persönlichkeit im Gehirn und entwickelte verschiedene Modelle zu Persönlichkeit, Lernverhalten, Motivation und Veränderungsbereitschaft. Moderne neurobiologische Annahmen und Erkenntnisse stützen die Ergebnisse von Langzeitstudien zur Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen. (Roth, Hüther, Förstel) Erziehung und andere 20-30% Entwicklungsanreize genetisch determiniert und vorgeburtlich verankert 40- 50% frühkindliche Prägung 30- 40 % (0 – 5 Jahre) Roth, G. (2007). Fühlen, Denken Handeln. S.398 / Roth, G. (2011). Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Roth, G. (2014). Wie das Gehirn die Seele macht. Warum auch das Belohnen seine Grenzen hat! Intrinsische Motivation Ist ein an die Persönlichkeit gebundener Selbstwirksamkeitstrieb. (Ehrgeiz, Dominanz, Impulskontrolle, Kooperationsfähigkeit, spezielle Begabungen, Sorgfalt, Kreativität, Struktur des neuronalen Belohnungssystems) Das leichte und erfolgreiche Ausleben der eigenen Persönlichkeit, hohe Anschlussfähigkeit mit der Umwelt setzt Motivation frei. Wenn Menschen sich selbst verwirklichen, ihre Persönlichkeitsanteile wirksam ausleben, belohnt sie ihr neuronales Belohnungssystem selbst. Verschiedene Botenstoffe werden ausgestoßen, man fühlt sich angetrieben, motiviert und anstrengungsbereit… Extrinsische Motivation ist eine Motivation von außen, meist eine Belohnung. Wer für sein Tun einen extrinsischen Anreiz bekommt, schwächt sein intrinsisches Motivationssystem bzw. verliert die Motivation von innen. Die Aussicht auf eine Belohnung reduziert die Eigenmotivation. Ein Arbeitssystem, das seine Mitarbeiter mit Aussicht auf ein gutes Gehalt belohnt, entwertet die Lust am Arbeiten. Arbeit wird zu einem notwendigen Übel zur Erreichung der Belohnung. Bei einem Anreiz von außen, handelt man nicht mehr automatisch mit Lust und Freude. Autonomie geht verloren. Das bedeutet auch Kontrollverlust und den Verlust von Selbstbestimmtheit. Mitarbeiterführung aus neurobiologischer Sicht – neuronale Grundmechanismen nach G. Roth (2014 Vortrag Heidelberg) Ungeeignete Maßnahmen Appelle an die Einsicht: Zwischen den Hirnzentren, die Einsicht vermitteln, und denen, die Motive vermitteln und unser Handeln steuern, besteht neurophysiologisch keine direkte Verbindung. Einsicht muss immer mit einer Emotion verbunden sein, um die Persönlichkeit zu entwickeln. Bestrafung: Hat immer nur vorübergehende Wirkung, wird meist als ungerecht empfunden und weckt den Drang nach Rache. Das Gehirn stumpft gegenüber der Bestrafung ab bzw. stellt sich darauf ein. Strafandrohung: Wirkt einschüchternd, engt das Verhalten deshalb ein, wirkt nur so lange, wie die Drohung glaubwürdig erscheint. Die Wirkung lässt schnell nach, man muss immer häufiger und schärfer drohen. Belohnung: Wirkt teilweise. Intrinsische versus extrinsische Motivation. Die Art der Belohnung (auch Lob) muss sehr genau auf die Persönlichkeit abgestimmt sein. Belohnen ist eine sehr komplizierte Sache… (Lob als Führungsstrategie ist wenig wirksam) (anderer Vortrag) Persönlichkeit – neuronale Grundmechanismen Die einzige Belohnung, die nicht in die Sättigung geht, ist die intrinsische Belohnung bzw. Belohnungserwartung. Sie steigt mit der Wiederholung. Intrinsische Belohnung wird aktiviert durch … ● der Freude am Gelingen, Begeisterung ● Selbstbestätigung /emotionale Anerkennung (Freude anderer) ● Selbstwirksamkeit, dem Gefühl der Verwirklichung eigener Fähigkeiten, Wünsche und Begabungen ● eigene Lösung schwieriger Aufgaben / Probleme ● der Überzeugung, an wichtigen Dingen mitzuwirken ● im Nacheifern eines Vorbildes / Selbstbildes / Identität Bei der intrinsischen Belohnung erfolgt die Belohnung von innen, durch das Gehirn selbst, durch den Ausstoß verschiedener Botenstoffe (endogene Opioide). Ich bin wirksam und habe Spaß an der Arbeit! Selbstlernende Teams/Konzept Selbststeuerungszentrierter Leitungsstil Herausbildung von Schlüsselkompetenzen unterstützen: Fehlerfreundlichkeit, Kooperation, Begeisterung, Freude, …. Anregen statt vorschreiben Störungen und Unterschieden Vorrang geben Eine Atmosphäre der Fehlerfreundlichkeit fördern Individuelle Interessen verkoppeln (gemeinsame Ziele bilden, themenzentriert arbeiten) Strukturen für Lernprozesse schaffen, statt Ergebnisse vorschreiben, Fehlerfreundlichkeit erhöhen Geeignete Strukturen für die Übernahme von Selbstverantwortung, Teilhabe schaffen (Ich bin stolz, hier zu arbeiten!) Zur Situation in der Arbeitswelt Fachkräftemangel: Verringert die Austauschbarkeit von nicht funktionierenden Arbeitskräften. Belohnung (höhere Gehälter) verlieren mehr und mehr ihrer Wirksamkeit. Sie lassen sich im sozialen Sektor nicht beliebig erhöhen! Bestrafung, Konsequenzen … (Kündigung): macht jüngeren Fachkräften kaum noch Angst, sie fangen an anderen Stellen wieder an. Chronische Unterbezahlung, bei fehlenden Wechselmöglichkeiten und wenig Freude an der Arbeit, erhöhen nachweislich den Krankenstand und führen zum Dienst nach Vorschrift. Innere Kündigung… Eher tayloristisch geprägte Arbeitssysteme (Schule, Verwaltung/Beamtentum, Bürokratie, Gesundheitswesen …) führen auf Grund rigider Macht – und Kontrollsysteme, die sich als Qualitätskontrolle tarnen, zu einem immer höheren Krankenstand. Zur Situation in der Arbeitswelt Moderne Arbeitswelten geben vor, selbstorganisiert zu operieren: indirekte Steuerung und flache Hierarchien (Managements bei objectives / Zielvereinbarungen / Konzept aus den 1960er Jahren) - Zweifellos ein Autonomiegewinn für den Arbeitnehmer! Individualisierung ohne vernetzte Kooperation. Nachteile: Unschärfe des Arbeitsauftrages, je nach Persönlichkeit wird mehr geleistet als nötig, eine Form der Selbstausbeutung. Zeitliche und räumliche Entgrenzung der Arbeit (Voswinkel, 2014) Selbstbestimmung ohne Rahmung, der Arbeitgeber erwartet ständige Bereitschaft. Eingeschlossen sind Tätigkeiten, die die Hauptaufgabe erst möglich machen. (Anträge stellen, Kontaktpflege, Material beschaffen…) Ein erheblicher Teil der Tätigkeit bleibt diffus. Trotz diffuser Arbeitsaufträge wollen Organisationen kontrollieren und kalkulieren. Ein System von Kennziffern, Qualitätsstandards, Berichten, Zahlen, abrechenbaren Statistiken kontrolliert den Mitarbeiter und kostet zusätzlich Zeit. Die Kontrolle ist überwiegend entfremdet. Selbstlernende Teams zwischen entgrenzter und funktionalisierter Arbeit Fremdsteuerung, Führung durch Kontrolle, Macht, Taylorismus Alternativ zu beiden Konzepten: Indirekte Steuerung Management by objectives Selbstausbeutung Selbstlernende Teams Autonomie und Arbeitsfreude bei gleichzeitiger Interdependenz und Unternehmensbindung (Fürsorge) Selbstwirksamkeit bei gleichzeitiger kooperativer Unterstützung. Wachstum durch Vernetzung von Unterschieden, Vielfalt von Handlungsoptionen statt Wachstum durch Leitungsvorgaben oder entfremdeten Qualitätsvorgaben und Kennziffern. Teamarbeit bei wechselnder Verantwortung, Lernen durch Erfolg und Fehler, Motivation durch Kooperation. Intrinsisch motivierte Arbeit Postulate Selbstlernender Teams (Natho, 2004) Teamarbeit ist individuelle Selbstverwirklichung durch Kooperation. Teamarbeit gelingt nur in dem Wissen und dem entsprechenden Handeln, dass die persönliche Autonomie abhängig ist von der Interdependenz. Auch wenn Teams sich im weitesten Sinne selbst leiten, wird der Leiter nicht überflüssig. Will man die Selbststeuerung unterstützen, braucht es vor allem Kompetenz im Managen von Unterschieden. Managen – manus (lat. Hand) Manege (der sensibel Umgang mit verschiedenen lebenden, sehr unterschiedlich begabten Systemen (Tieren) mit dem Ziel, alle miteinander ins Spiel zu bringen. Vernetzungsfähige Unterschiede stellen Entwicklungspotentiale dar. Lassen sich Mitarbeiter wirklich führen? Selbstlernende Teams Konzept, Methoden & Leitungsstrategien FB 08. - 09. März 2016 Halberstadt www.fst-halberstadt.de
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