Wohl denen, die daheim sind bei Gott!

Evang.-methodistische Kirche, Alterszentrum Wesley-Haus, Basel
Predigt von Pfarrer Josua Buchmüller am 13. Juni 2015
Wohl denen, die daheim sind bei Gott!
(Psalm 84,2-5.11)
Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth!
Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des HERRN;
mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen:
deine Altäre, HERR Zebaoth, mein König und mein Gott.
Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar.
Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend.
Ein Pilgerlied
Pilgern ist populär geworden. Pfarrerkollegen
bieten begleitete Pilgerwanderungen an. Der
Bericht des Fernseh-Entertainers Hape Kerkeling
über seine Pilgerreise auf dem Jakobsweg nach
Santiago de Compostela war ein Bestseller. Das
Buch erschien 2006 mit dem Titel „Ich bin dann
mal weg“. Manche unter uns können nicht mehr
„weg“, aber wir alle haben wohl Erinnerungen
an Zeiten in unserem Leben, da wir reisen und
wandern konnten, und wir freuen uns über vieles, was wir von der Welt gesehen haben. Aber
vielleicht erinnern auch Sie sich daran, wie Sie
nach der glücklichen Rückkehr gesagt haben:
Daheim ist es doch immer noch am besten!
Im Psalm 84 singt ein Wallfahrer vom Glück
des Heimkommens. Aber er meint nicht seine
Rückkehr in das eigene Zuhause; er spricht vom
Ankommen am Ziel seiner Pilgerreise. Er ist angekommen am Ort seiner Sehnsucht, in der Stadt
seiner Träume, in Jerusalem. Er hat den Tempel
aufgesucht, das Gotteshaus, den Ort der Begegnung und der Versöhnung mit Gott. Hier weiss er
sich Gott besonders nah, er fühlt sich geborgen
in Gottes Gegenwart. Er schwärmt nicht vom
Traumhaus im eigenen Daheim; er jubelt über
das Daheimsein-Dürfen bei Gott. Darauf hat er
sich auf dem ganzen Weg gefreut und danach hat
er sich gesehnt: nach den Vorhöfen des HERRN,
nach dem Gotteshaus.
Der Psalmbeter drückt mit einem Bild aus,
wie er sich hier fühlt: Der Vogel hat ein Haus
gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre
Jungen: deine Altäre, HERR Zebaoth, mein König
und mein Gott! Mit einem Vogel vergleicht er
sich, der hier im Heiligtum sein Nest haben darf.
Er kommt sich vor wie eine Schwalbe, die von
weit her ihren Brutplatz wieder gefunden hat.
Vielleicht haben ihn tatsächlich Vögel auf diesen
Gedanken gebracht. Er könnte sie beobachtet
und gesehen haben, wie sie ihre Nester ungehindert auch im heiligen Bereich irgendwo in die
Mauernischen gebaut haben; wie sie hin und her
fliegen und ihre hungrigen Jungen füttern.
Der Beter im Tempel beneidet die Vögel,
die so nah bei Gott ihren Unterschlupf gefunden
haben. Verglichen mit ihm selber haben sie es
gut: Sie dürfen nicht nur wie Pilger für Stunden
oder Tage im Gotteshaus einkehren, sondern da
wohnen – wohnen, wo Gott wohnt, daheim sein
bei Gott. Glücklich auch der Mensch, der so
heimkehren und geborgen sein darf bei Gott!
Wo wir Menschen hingehören
Das wäre ja der Ort, wo der Mensch hingehört:
in die Nähe und in enge, bleibende Verbindung
mit Gott. Viele Menschen wissen das nicht und
bleiben Gott fern, manche ihr Leben lang. Der
„vernünftige“ Mensch schneidet an einigen Stellen in der Bibel, wo er mit der „unvernünftigen“
Kreatur verglichen wird, beschämend schlecht
ab. Ich erinnere an zwei Beispiele aus dem Alten
Testament:
Im Buch Jesaja findet sich die Stelle, die den
alten Malern der Weihnachtsgeschichte Anlass
gegeben hat, Ochs und Esel neben die Krippe des
Jesuskindes zu malen: „Der Ochse kennt seinen
Meister und der Esel die Krippe seines Herrn;
aber Israel hat keine Einsicht, mein Volk hat keinen Verstand“ (Jesaja 1,3). Der Vergleich mit
dem Verhalten der unvernünftigen Kreatur fällt
für die angeblich vernünftigen Menschen schlecht
aus: Sie wissen nicht, wo sie hingehören, wo sie
daheim sind, wem sie das Leben und alles Gute
verdanken. Sie haben Gott vergessen und ihren
Herrn verlassen.
Nicht besser fällt der Vergleich aus, den der
Prophet Jeremia anstellt: „Selbst der Storch am
Himmel kennt seine Zeiten, und Turteltaube,
Schwalbe und Kranich – sie halten ein die Zeit
ihrer Heimkehr; aber mein Volk will nichts wissen
von der Ordnung des Herrn“ (Jeremia 8,7). Der
Mensch ist ein merkwürdiger Vogel! Er gleicht
einem Zugvogel, der den Orientierungssinn ver-
loren hat. Er weiss nicht, wohin er gehört und
dass es längst höchste Zeit wäre zur Umkehr
und Heimkehr zu Gott.
Jesus hat um das Zuhause bei Gott, seinem
himmlischen Vater, gewusst. In den Kindheitsgeschichten im Lukas-Evangelium lesen wir, wie
seine Eltern den zwölfjährigen Jesus nach dem
Passafest in Jerusalem vermissten. Als sie ihn
im Tempel fanden und ihm Vorwürfe machten,
sagte er: „Habt ihr nicht gewusst, dass ich sein
muss in dem, was meines Vaters ist?“ (Lk 2,49).
Wir Menschen tragen dieses Wissen nicht
von Natur aus in uns. Wir haben kein instinktgesteuertes Leitsystem, das uns unfehlbar an
unsern Bestimmungsort bei Gott bringt wie den
Vogel an seinen Brutplatz. Aber ein Verlangen
hat Gott in unser Herz gelegt, das uns nicht zur
Ruhe kommen lässt, bis wir heimgefunden haben
zu ihm.
Unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet
bei dir.
So hat es der Kirchenvater Augustinus gesagt.
Wir müssen nicht unruhig bleiben wie ein Vogel,
der sich verflogen hat und sein Nest nicht mehr
findet. Auch so seltsame Vögel wie wir Menschen
es sind, dürfen vernünftig werden. Wir dürfen
umkehren und heimkehren zu Gott. Wir sind von
Natur aus zwar nicht mit einem Kompass ausgestattet, der uns automatisch ans Ziel bringt.
Aber auch uns hat Gott ein Organ gegeben, mit
dessen Hilfe wir ihn finden können. Ohren hat er
uns gegeben, um auf ihn hören und uns den Weg
weisen zu lassen durch sein Wort.
„Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Das
hat Jesus den Menschen in seinen Gesprächen
und Predigten immer wieder gesagt. An sieben
Stellen ist diese Aufforderung in den Evangelien
von Jesus überliefert: „Wer Ohren hat, der höre!“
(Mt 11,15 u. ö). Hört auf Gott, orientiert euch an
seinem Wort! Lasst euch heimrufen an den Ort,
wo ihr hingehört, wo ihr zuhause seid, wo ihr
Frieden und Geborgenheit findet!
So kommt unser unruhiges Herz zur Ruhe,
zur Ruhe bei Gott. Bei ihm dürfen wir geborgen
sein wie der Vogel im Psalm 84, der ein Haus
gefunden hat, und wie die Schwalbe, die in ihr
Nest zurückgekehrt ist.
Wohl denen, die daheim sind bei Gott!
Der Psalmbeter verlässt das Bild von den Vögeln
und spricht von den Menschen, die sich im Tempel eingefunden haben. Er wünschte sich, dass
er immer hier bleiben könnte, in der besonderen
Nähe Gottes. Aber dieses Bleiberecht haben nur
die Priester, die sozusagen hier bei Gott zuhause
sein dürfen. Der Beter gehört nicht zu ihnen. Er
ist einer der vielen Pilger, die nur zu den Festzeiten hierherkommen und dann wieder zurückkehren müssen in ihren Alltag. Wie gern würde
er hier bleiben wie die Priester! Wie glücklich
müssen die sein, die immer so nah bei Gott sind
und ihm dienen dürfen: Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar!
So beglückwünscht er sie. Aber er ist auch dankbar für die gesegnete Zeit, die er hier in der
Gemeinschaft der Glaubenden und mit Gott hat
erleben dürfen. Dankbar sagt er von dieser kostbaren Zeit: Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser
als sonst tausend! Und er freut sich schon auf
das nächste Mal.
„Nächstes Jahr in Jerusalem!“ – mit diesem
Wunsch beim abschliessenden Seder-Mahl endet
bis heute das jüdische Pessach-Fest. „Nächstes
Jahr in Jerusalem“ – das war und ist für Juden
ein Ausdruck der Sehnsucht, nicht nur in den
Jahrhunderten der Zerstreuung und der Verfolgung, sondern auch im heutigen Israel und in
Jerusalem. Der Name Jerusalem bedeutet ja
„Stadt des Friedens“, und auf diesen Frieden
warten nicht nur die Menschen in der umstrittenen Stadt Jerusalem und in dem zerrissenen
Land Israel bis heute. Auf den endgültigen, wirklichen Frieden warten mit dem Volk des Ersten
Bundes, mit Israel, auch wir als Gemeinde des
Neuen Bundes in Jesus Christus.
Wir müssen nicht wie der Beter im Psalm 84
die Priester um ihr Privileg beneiden. Wir kennen
die Verheissung Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten
unter ihnen“ (Mt 18,20). Das gilt nicht nur für
das Zusammensein im Namen Jesu im Gottesdienst. Es gilt nicht nur für besondere Feiertage
und heilige Orte. Es gilt überall und immer. Da
wird jeder Tag kostbar. Da wird jeder Weg zum
Heimweg. Da sind wir schon unterwegs zuhause.
Wir tragen ja schon „den Heimatschein aus der
Ewigkeit im Herzen“, wie wir früher (mit einem
Lied von Adolf Maurer) gern gesungen haben.
Da kann man auch schon unterwegs singen,
nicht nur im Hause Gottes. Und da erinnern wir
uns zum Schluss doch noch einmal an die Vögel.
Manche von uns hören zwar den Vogelgesang
nicht mehr gut. Mir hilft dabei das Hörgerät. Ich
freue mich, wenn ich die „unvernünftige Kreatur“
zum Lob Gottes singen höre. Wieviel mehr haben
wir Grund zum Gotteslob! Wohl denen, die in
deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar.
Wohl uns, die wir daheim sein dürfen bei Gott
schon hier und jetzt, und einmal dann für immer!
Lasst uns Gott loben – allezeit und von Herzen!