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Jennifer Arndt-Lind und Hendrik Lind produzieren sogenannte
Mama-Papa-Puppen aus getragenen Kleidungsstücken. Die pummeligen
Seelentröster konservieren den Geruch verstorbener Geschwister oder weit entfernter
Eltern – und helfen, Trauer, Trennung und Sehnsucht zu überwinden. V o n G r i t P r e i b i s c h
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Unsere Wirtschaft 2/2015
Fotos: Andreas Tamme
Jennifer Arndt-Lind und Hendrik Lind sorgen mit ihren farbenfrohen Puppen für gute Laune.
Trost für die Seele
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Jennifer Arndt-Lind ist gelernte Frisörin und hat ihr Hobby Nähen zum Beruf gemacht.
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er Jennifer Arndt-Lind und Hendrik Lind in Tostedt mitten im
Wald besucht, findet sich in einer
bunten Puppenwelt wieder. In dem ehemaligen Schlafzimmer des Ehepaars im Erdgeschoss des Hauses tummeln sich viele farbenfrohe Tiere aus Stoff. Sie sitzen ganz
oben auf einem zwei Meter hohen Regal.
Wie kleine Nilpferde sehen sie aus: die Mama-Papa-Puppen, kurz mapapus, aus
Tostedt. Jede Puppe ist ein kleines Unikat –
handgefertigt von Jennifer Arndt-Lind.
Bis zu zwölf Stunden Arbeit stecken in
jedem der mit Stopfwolle gefüllten
Körper. Was als Hobby der gelernten Frisörin begann, ist inzwischen zu einem tagesfüllenden
Job geworden.
Jennifer Arndt-Lind und Hendrik Lind widmen sich ganz
und gar dem Puppen-Geschäft
– mit einem ernsten Hintergrund. Die mapapus sind mehr
als nur bunte Puppen. „Sie sind
Seelentröster für Menschen mit
wackeliger Seele“, sagt
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Jennifer Arndt-Lind. Die 38-Jährige näht die
kugeligen mapapus aus getragenen Kleidungsstücken – aus T-Shirts verstorbener
Menschen und aus Hemden räumlich weit
entfernter Eltern oder Geschwister. „Der
vertraute Geruch stellt sofort eine Verbindung zwischen Kind und Puppe her“, sagt
Hendrik Lind: „Selbst wenn der Duft mit
der Zeit verfliegt, bleibt die Bindung zur
Puppe. Sie wird zum Spielgefährten in
glücklichen Momenten und zum Seelentröster, wenn Trauer und Sehnsucht zu
übermächtig werden.“
Bestellt werden die mapapus von
Menschen, die ihren Kindern über
Trauerfälle oder Trennungen hinweghelfen wollen. Und auch Erwachsene finden Trost bei den
Puppen. „Erst vor kurzem hat
eine Frau mapapus für sich und
ihre zwei erwachsenen Töchter
bestellt, nachdem ihr Mann
verstorben war“, sagt Jennifer
Arndt-Lind und schluckt schwer:
„Das sind Schicksale, die uns sehr
berühren.“ Jede Puppe erzählt ihre
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Die mapapus bestehen aus getragenen Stoffen und sind mit Stopfwolle gefüllt.
eigene traurige Geschichte. Hendrik Lindt
kennt alle Hintergründe, denn er nimmt die
Bestellungen entgegen. Mit der Trauer der
Anrufer hat der 42-Jährige gelernt umzugehen. „Entscheidend ist nicht der Verlust des
Menschen, sondern die Liebe, die dahintersteckt“, sagt Lind: „Und mit unseren Puppen helfen wir den Betroffenen, ein Stück
der Liebe zu erhalten.“
Den ersten mapapu nähte Jennifer ArndtLind bereits vor acht Jahren. Das Kuscheltier aus grünem und rotem Stoff schenkte
sie ihrem Sohn Emil, den sie aus einer früheren Beziehung in die Ehe mit Hendrik
Lind brachte. Anfangs packte sie dem damals Achtjährigen ein T-Shirt von sich ein,
wenn er zu seinem Vater fuhr. Irgendwann
kam ihr die Idee, daraus ein Kuscheltier zu
machen, „eine Art Freund, in dem Teile von
Mama und Papa vereint sind, sodass er immer beide bei sich hat.“ Damit wollte sie
Emil helfen, die Trennung von seinem Vater zu bewältigen. „Meinen Ex-Partner und
mich in dem Kuscheltier wieder zusammenzubringen, hat mich Überwindung gekostet“, sagt Jennifer Arndt-Lind. Doch das
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Ergebnis der genähten Wiedervereinigung
konnte sich sehen lassen: ein grünes Fantasietier mit rotem Rüssel und Stacheln. Wenig später nähte sie auch für Hendriks
Tochter Jule ein Püppchen. „Und sie lieben
ihre mapapus immer noch“, sagt Hendrik
Lind und lacht. Bald bekamen auch die beiden gemeinsamen Kinder sowie Freunde
und Bekannte mapapus. Die Geschäftsidee
war geboren – und nahm Fahrt auf.
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rinnerten die ersten Kuscheltiere aus
der Nähwerkstatt Lind noch entfernt
an Elefanten, so hat sich ihr Aussehen
inzwischen etwas verändert. Mittlerweile
hat die kreative Patchwork-Mutter das Nähen der Puppen standardisiert: Die mapapus ähneln kugeligen Nilpferden, die am
Rücken eine Geheimnistasche tragen – „für
die Lieblingsmurmel oder Liebesbriefe“,
sagt Jennifer Arndt-Lind mit einem Augenzwinkern. Die Puppen haben keine Münder, nur eine Naht aus dem Stoff des verwendeten T-Shirts. „So bleibt die Puppe
neutral“, sagt Jennifer Arndt-Lind: „Ein
grinsendes Kuscheltier kann schließlich
nicht mit einem Kind gemeinsam traurig
sein.“ Bei allen Gemeinsamkeiten sieht
dennoch jede Puppe anders aus – je nach
den Stoffen, die die Kunden vorbeibringen
oder an sie schicken: „Die Puppen gestalten sich irgendwie wie von selbst.“ Jennifer
Arndt-Lind hat Fotos von jeder Einzelnen
gemacht, die sie in einer Mappe sammelt.
Als Erinnerung. „Irgendwie hänge ich an
jeder mapapu“, sagt die Unternehmerin.
Doch langsam fällt selbst ihr der Überblick
über die Puppen-Familie schwer, denn jede
Woche kommen mehr Exemplare dazu.
Seit das Unternehmerpaar bei der Bremer
Messe „Leben und Tod“ teilgenommen hat
und viele Medien über ihre Puppen berichtet haben, steht das Telefon in Tostedt kaum
still. Die Bestell-Liste ist lang. Mehr als 250
Puppen sind bereits über den Näh-Tisch
von Jennifer Arndt-Lind gegangen. Ein
Ende ist noch lang nicht in Sicht. In großen
Plastikboxen lagern in dem Haus der Linds
bereits Stoffe, aus denen in den kommenden Wochen mapapus werden. Und Jennifer Arndt-Lind weiß schon jetzt: „Es bleibt
bunt.“ n
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