76 REISEN WELT AM SONNTAG W NR. 15 10. APRIL 2016 Hängen golden leuchten. Am Wegesrand grasen ein paar Guanakos. Sie heben die langen Hälse, mustern die beiden kurz, drehen ihnen den Hintern zu und futtern weiter. Direkt über dem Weg ragt der zackige Felsgrat des Tamanguito auf. Thomas und Rob folgen einem Weg, der sich bald gabelt und dann immer undeutlicher wird. Ist das überhaupt noch ein Weg oder nur einer der zahllosen Trampelpfade der Guanakos? Sie zögern, gehen weiter und kraxeln irgendwann über einen steilen Geröllhang, Schneereste und Felsen direkt zum Gipfel. Ringsum breitet sich die wilde Schönheit Patagoniens aus: der türkisfarbene Fluss in seinem weiten Tal, Dutzende von Bergseen zwischen Wiesen und Wäldern. Drei Kondore segeln über den Berg hinweg und verschwinden in den Wolken über dem nördlichen Eisfeld, das ewig weiß am Horizont gleißt. Vom Gipfel sieht man aber auch die Wunden, Wer in den vergangenen Jahren durch Patagonien reiste und ein paar irrwitzige Geschichten hören wollte, musste nur den Namen Doug Tompkins erwähnen. Der US-Amerikaner baue unterirdische Bunker für einen Atomkrieg, hieß es. Er wolle das patagonische Wasser nach China verkaufen. Er kreuze Pumas mit afrikanischen Löwen, um neue Super-Raubtiere zu erschaffen. Und das hartnäckigste Gerücht lautete: Tompkins wolle ein zweites Israel errichten. All das schien den Menschen in Patagonien wohl plausibler als die Wahrheit – dass nämlich der millionenschwere Gründer der Textilmarken The North Face und Esprit Tausende von Quadratkilometer Land in Patagonien aufgekauft hat, um die Natur zu schützen. VON FLORIAN SANKTJOHANSER DIE LEUTE WERDEN EINMAL DANKBAR SEIN FÜR DEN PARK DOUG TOMPKINS (1943–2015), US-Unternehmer und Umweltschützer GETTY IMAGES (3), CORBIS „Seit dem Ende der Dinosaurier sind nicht mehr so viele Spezies ausgestorben wie heute“, mahnte der Naturschützer und Menschenfreund. Mit seiner Frau und Mitstreiterin Kris, früher Chefin der Outdoor-Firma Patagonia, wollte er eine Arche Noah zimmern, einen Garten Eden, in dem alle Tierarten Patagoniens leben. Ihr ehrgeizigstes Projekt: der zukünftige Patagonia-Nationalpark, der einer der wichtigsten in ganz Chile werden soll. Als Doug Tompkins im Dezember 2015 bei einem Unfall in Chile starb, war Wilde Schönheit: Patagonien vereint die die Bestürzung groß. Doch einen MeilenMajestät der Anden, Steppen und Wälder. stein seines Traums, den Kris Tompkins Der geplante Pantagonia-Nationalpark in nun weiterführt, hat er noch erlebt: die Chile soll zum Refugium für die artenreiche Öffnung des Parque Patagonia für BesuTierwelt werden, wie dem Eisvogel (unten). cher. Als zunächst noch privates SchutzHerden von Guanakos (rechts) streifen im gebiet bildet er bereits die Grundlage für privaten Schutzgebiet Parque Patagonia den geplanten Nationalpark. bereits frei umher, seit ein Großteil der Noch fehlt dem Park der Nationalalten Weidezäune entfernt wurde. Der park-Status, der seinen bestmöglichen US-Unternehmer und Umweltschützer Schutz sicherstellt, noch ist das Projekt Doug Tompkins (1943–2015) hatte das im Werden. Doch schon jetzt staunen frühere Farmland für Millionen erworben Besucher, wenn sie durch das Valle Chacabuco fahren, den Kern des neuen Parks. Flamingos stelzen durch Lagunen, Herden von Guanakos, der wilden Stammform der Lamas, grasen auf der Steppe. Bis vor zwölf Jahren weideten hier Zehntausende von Schafen und Rindern, das Tal war die drittgrößte Schaffarm Chiles. Die Herden wuchsen, um den Preisverfall der Wolle auszugleichen. 2004 kaufte die Conservación Patagónica, eine der Stiftungen der Tompkins’, sie dem belgischen Besitzer für angeblich zehn Millionen Dollar ab. Das Umweltschützer-Paar wollte das überweidete Tal zurückverwandeln in eine Wildnis. Der Deal sah so aus: Die Conservación Patagónica schenkt das Land dem Staat Chile, dafür steuert der die benachbarten Schutzgebiete Tamango und Jeinimeni bei. Der so entstehende Patagonia-Nationalpark würde sich auf über 2630 Quadratkilometer erstrecken, er wäre sogar größer als Torres del Paine, der Superstar unter Chiles Nationalparks. Und mindestens so attraktiv, glaubte Tompkins: „In zehn Jahren haben wir 200.000 Besucher im Jahr.“ Noch ist es ein Abenteuer, das Tal in der abgelegenen Provinz Aysén überhaupt zu erreichen. Zumindest wenn man ohne Mietwagen unterwegs ist. Dann bleibt nur der Bus, der um sechs Uhr früh von Cochrane, dem am nächsten gelegenen Städtchen, nach Norden fährt. Nach einer halben Stunde hält er wie erwünscht an der Abzweigung „El Cruce Entrada Baker“, benannt nach dem türkisfarbenen Río Baker unten im Tal. Zum Hauptquartier des Parks bleibt ein Fußmarsch von elf Kilometern. Oder man versucht zu trampen. Kein leichtes Unterfangen an der Carretera Santiago de Chile Für rechtskonservati- Holz der Möbel hat Patina. In den RegaAustral, der einzigen 200 km ve Politiker war der len neben dem Kamin stehen großforStraße zwischen dem Pazifik reiche Gringo ein matige Kunstbände, auf den Tischen lieSeenland im Norden CHILE Feindbild im Wahl- gen Bücher zu Tompkins’ Schutzprojekund den Eisfeldern ARGENTINIEN SÜDAMERIKA kampf. Auf vielen ten und, besonders dickleibig, ein im Süden, auf der Autos klebten Sti- Schinken über die Tradition der Philanvielleicht alle VierPatagonien cker mit dem Slogan thropie. Riesige Sprossenfenster geben telstunde ein Auto Balmaceda „Patagonia ohne den Blick frei auf Steppe und Berge. vorbeifährt. Aber Tompkins“. Mittlermit Glück geht es, Wer nicht Hunderte Dollar pro Nacht Valle Chacabuco/ weile haben die meisten ausgeben will, geht drei Kilometer weibald hält ein weißer Parque Patagonia Einwohner sie wieder ter zum „West Winds“-Campingplatz. Pick-up. Der Fahrer sagt, Cochrane weggekratzt. er arbeite im Park, so wie Zwei Rucksacktouristen, Thomas aus Ein anderer Stein des Ansto- München und Rob aus Dublin, schlagen 50 andere Leute aus Cochrane. Sie hätten Jobs als Ranger, Köche, Zim- ßes bleibt: das Parkzentrum. Die wuch- gerade ihre Zelte vor einem der Pickmermädchen, Mechaniker oder Guides. tigen Gebäude erinnern an einen wüs- nicktische auf. Die beiden sind auf groFünf Angestellte seien ehemalige Gau- ten Stilmix aus Gotik und Tudor. Da ßer Tour durch Südamerika. Und sie hilft es auch nichts, dass sie aus vor Ort sind sich einig: Das hier ist der schönste chos der Estancia. Gerade in Cochrane war der Wider- gebrochenen Steinen und wiederver- Zeltplatz, den sie seit einem halben Jahr stand gegen Tompkins’ Pläne früher wertetem Holz gebaut wurden – patago- gesehen haben. Die Duschen und Toiletheftig. Die Bewohner, seit Generationen nisch wirken sie nicht. Dafür aber umso ten sind gepflegt wie in einem Hotel. Viehzüchter, fürchteten um ihre Gau- luxuriöser. Im Wohnzimmer der Lodge Dank der Solarpanels gibt es heißes cho-Tradition und um die Arbeitsplätze. sinkt man in Ledersofas, das dunkle Wasser. Irgendwann soll der Park ener- Wie Noah, nur REICHER In Patagonien wollte US-Milliardär Doug Tompkins Farmland in Wildnis zurückverwandeln gieautark sein, als erster weltweit. Schon jetzt produziert ein Mini-Wasserkraftwerk einen Großteil des Stroms, aber noch laufen zusätzlich Diesel-Generatoren. Überhaupt gibt es noch viel zu tun für die Angestellten des Parks, von denen viele ausgezeichnet Englisch sprechen. Weitere Zeltplätze, Besucherzentren und Wanderwege sollen gebaut werden. So wie es Tompkins’ Vision war. Bisher sind drei Wege markiert, der schönste heißt Lagunas Altas. Er beginnt gleich hinter dem Zeltplatz und ist auch ohne Guide leicht zu finden. Aber der Weg ist lang, knapp 25 Kilometer, über 900 Höhenmeter geht es auf und ab. Deshalb steigen Thomas und Rob schon früh morgens über Wiesen und durch Haine von Südbuchen, eingesponnen von Baumbartflechten, auf. Die Sonne bricht durch die trägen Wolken und lässt die Grasbüschel auf den Tipps und Informationen WIE KOMMT MAN HIN? Am schnellsten ist es über Santiago nach Balmaceda zu fliegen. Shuttlebusse fahren in die nahe Stadt Coyhaique. Dort starten täglich Busse nach Cochrane, dann eine halbe Stunde per Taxi zum Parkzentrum. Details zu Anreise und Unterkünften auch unter www.patagoniapark.org MEHR INFOS www.chile.travel TIPP DER REDAKTION Wer beim Aufbau des Parks ehrenamtlich helfen will, bewirbt sich hier: conservacionpatagonica.org die Jahrzehnte der Überweidung hinterlassen haben – Brachen, auf denen kein Grashalm mehr wächst. „Die Renaturierung geht nur langsam voran“, sagt Paula Herrera , „es ist kalt hier, trocken und windig. Aber man sieht die Veränderungen.“ Die Tierärztin leitet das Freiwilligenprogramm. Sie begrüßt die ersten neun Gratis-Arbeiter der Saison, allesamt jungeAmerikaner. Bei Lasagne mit Gemüse aus dem Biogarten erklärt die 45-Jährige ihnen, was sie die nächsten drei Wochen erwartet. Einige werden invasive Pflanzen wie Disteln und Lupinen aus der Erde rupfen und einheimisches Coirón-Gras säen. Zwei haben sich dafür beworben, im Gemüsegarten zwischen Rucola, Spinat und Radieschen zu werkeln. Die meisten aber werden irgendwo im Park campieren und Weidezäune ausreißen. 600 Kilometer Zäune haben ihre Vorgänger schon abgebaut, rund 100 Kilometer sind noch übrig. Tausende von Guanakos streifen nun wieder weitgehend ungehindert umher, und aus dem Tamango-Schutzgebiet wandern die vom Aussterben bedrohten Huemuls ein. Der kleine Südandenhirsch steht auf dem Nationalwappen Chiles, er war einer der Hauptgründe, warum die Tompkins’ gerade das Valle Chacabuco schützen wollten. Der Park ist nicht nur ein Refugium für Grasfresser. Wie ihre Beutetiere haben sich auch die Pumas vermehrt. Und denen schmecken auch die Schafe der benachbarten Bauern. Paula Herrera hat den Wildkatzen deshalb Halsbänder mit GPS-Peilsendern angelegt, um ihre Streifzüge zu überwachen. Und sie trainiert Pyrenäen-Hirtenhunde, die Raubtiere durch ihr Bellen fernhalten. Der Konflikt bleibe, sagt Herrera: „Die Bauern töten immer noch viele Pumas.“ Doug Tompkins sah die Spannungen gelassen. „Es gibt überall auf der Welt Widerstände gegen Nationalparks“, sagte er. „Kulturelle Muster ändern sich langsam.“ Mitarbeiter in Cochrane laden Schulkinder in den Park ein, und jedes Jahr gibt es ein Treffen, bei dem Anwohner ihre Bedenken äußern können. Und bei der jährlichen „Ruta de Huemul“ wandern Einheimische vom Parkzentrum bis nach Cochrane und lernen dabei einiges über ihren Andenhirsch. „In ein paar Jahrzehnten werden die Leute einmal dankbar sein für den Park“, hoffte Tompkins. Er könnte recht behalten. Die chilenischen Behörden haben dem Projekt jetzt tatsächlich die höchste Priorität eingeräumt, aber noch warten bürokratische Hürden. Doug Tompkins wird nicht mehr erleben, ob sich seine Vision einer chilenischen Arche Noah erfüllt. Aber er wird immer in seinem geliebten Patagonien bleiben – sein letzter Wille war es, im Valle Chacabuco begraben zu werden. T Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt vom Tourismusbüro Chile und von Conservación Patagónica. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/ unabhaengigkeit
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