Entstehung und Revision eines Auftragswerkes im Laufe des

Universität für Musik und Darstellende Kunst Graz
Institut 1
Künstlerische
MASTERARBEIT
Entstehung und Revision eines Auftragswerkes im Laufe des
praktischen Erarbeitungsprozesses,
am Beispiel des Chorwerkes Audite Nova von Martin Stampfl
Künstlerischer Betreuer: O.Univ.Prof. Mag.art. Johannes Prinz
Wissentschaftliche Betreuerin: Ao.Univ.Prof. Dr.phil. Renate Bozic
Sintija Šmite
Matrikelnummer: 1073189
Mai 2015
Inhaltsverzeichnis
Vorwort.........................................................................................................3
Die Entstehung des Werkes und der Komponist..........................................4
Warum bestellt man ein Auftragswerk?......................................................6
Wie kommt man zu einem Auftragswerk?...................................................8
Theoretischer Teil........................................................................................11
5.1 Inhalt und Analyse des Textes................................................................11
5.2 Analyse des Werkes...............................................................................13
5.2.1 Tempo........................................................................................13
5.2.2 Aufbau und Harmonik...............................................................14
5.2.3 Intonation...................................................................................16
5.2.4 Rhythmus und Artikulation........................................................17
6. Problematik des Erarbeitungsprozesses......................................................19
6.1 Anmerkungen und Lösung der Einzelprobleme....................................19
7. Schlussfolgerungen......................................................................................24
Quellenverzeichnis.......................................................................................25
Anhang: Partitur des Werkes „Audite Nova” von Martin Stampfl
1.
2.
3.
4.
5.
2
1. Vorwort
In dieser Arbeit habe ich versucht, den Weg von einer Idee bis zur
Endfassung einer neu geschriebenen Komposition zu gehen, um mich an das Werk
„Audite Nova” von Martin Stampfl anzunähern und die Lösungen einzelner Probleme
zu finden, die im Laufe des praktischen Erarbeitungsprozesses aufgetreten sind. Zu
Beginn möchte ich die Entstehung des Werkes beschreiben und einen kurzen
Überblick über die wichtigsten Punkte der musikalischen Laufbahn des Komponisten
Martin Stampfl geben. Darauf folgt ein Einblick in die heutige Problematik
zeitgenössischer Chormusik. In diesem Abschnitt gebe ich auch Gründe dafür an,
warum man heute, wo es schon so viel Repertoire gibt, ein Auftragswerk bestellen
sollte.
Danach folgt ein theoretischer Teil mit allgemeinen Informationen zum
ausgewählten Text und eine Analyse des Werkes Audite Nova, die eine
Interpretation bestimmen sowie Unklarheiten und Problemstellen identifizieren
lasst. Der Fokus der Analyse liegt auf einem praktischen Gebrauch für eine reale
Einstudierung des Stückes, das noch nicht aufgeführt wurde und zu welchem außer
dem Autograph keine anderen Vorlagen vorhanden sind.
Schließlich werde ich im Notentext gefundene oder im Laufe der Arbeit mit
dem Chor bemerkte Problemstellen vorstellen und Lösungen bieten, die ich mit dem
Komponisten vereinbart habe und die aus meiner Perspektive auch eine weitere
Einstudierung erleichtern würden.
3
2. Entstehung des Werkes
Im Jahr 2015 feiert der Grazer Chor „Audite Nova”, den ich seit drei Jahren
leite, sein 20-jähriges Jubiläum, das mit einem festlichen Konzert am 20. Juni seinem
Höhepunkt erreichen wird. Obwohl der Chor seine Zuhörer mit Musik aus
verschiedenen Stilrichtungen erfreut, spielt die Einstudierung neuer Musik seit der
Gründung des Chores eine wichtige Rolle.
Mit der Unterstützung der Abteilung 9, Kultur, Europa, Außenbeziehungen
der steirischen Landesverwaltung, wurde ein Auftragswerk für den Chor auch
finanziell realisierbar. Beim Komponisten und Dirigenten Martin Stampfl bestellte ich
ein Stück mit dem Text „Audite nova”, der zuvor von Orlando di Lasso in der
Sammlung „Sechs teutsche Lieder” (1573) vertont worden ist1.
Martin Stampfl stammt aus Hainersdorf
(Oststeiermark). Nach ersten
musikalischen Schritten an den Musikschulen Ilz und Bad Waltersdorf studierte er
Musikerziehung an der Kunstuniversität Graz sowie Theologie an der Karl-FranzensUniversität. Nebenbei folgte das Chordirigieren-Studium an der KUG bei Johannes
Prinz.
Derzeit unterrichtet Martin Musikerziehung und Religionslehre und ist
Mitbegründer des Jugendchores „nota bene“, dessen Leitung er bis heute
gemeinsam mit Sebastian Meixner führt. Seine Leidenschaft für das a cappellaSingen hat ihm auch den Impuls dazu gegeben, gemeinsam mit seinen Eidgenossen
die Vokalensembles „infinity“ und „tin men“ zu gründen.
Das Komponieren lernte er autodidaktisch durch seine Sing- und DirigierErfahrung. Aus diesem Grund sind seine bisher entstandenen Kompositionen für
gemischten Chor oder Vokalensemble. Seine Auszeichnung bei Styria Cantat2 hat ihm
auch die Tür zur Kinderchorwelt geöffnet.
Die Uraufführung des Werkes ist für den 20.06.2015 um 19:00 im
Steinernen Saal in Stift Rein – im Rahmen des Konzertprogrammes „i sing, wås i
will...” – geplant. Der Kammerchor „Audite Nova” wird bei der Uraufführung aus 19
1
Adam Berg (Hrsg.), Sechs Teutsche Lieder mit vier sampt einem Dialogo mit 8 Stimmen. München
1573, zit.n. Horst Leuchtmann (Hrsg.).Orlando di Lasso. Gesamtausgabe. Band 20/II Wiesbaden 1971,
S.IX
2
M. Stampfl gewann bei Styria Cantat 2015 in der Kategorie „Kinderchöre” den 3. Preis
4
Sängern (4 Bässen, 4 Tenören, 4 Alti, 4 Sopränen II und 3 Sopränen I) bestehen und
von mir selbst geleitet werden.
5
3. Warum bestellt man ein Auftragswerk?
Diese Frage ist mir der heute oftmals aktuellen Diskussion verbunden, ob es
notwendig ist, Musik von Zeitgenossen aufzuführen. Bis zum Ende des 18.
Jahrhunderts war die zeitgenössische Musik eigentlich die meistgespielte Musik.
Dadurch, dass die Komponisten für einen bestimmten Grund oder Ort komponierten
und die Komposition auch selbst zur Aufführung brachten, bestand eine enge
Beziehung zwischen Komponisten und Interpreten.
Obwohl es schon im 16. Jahrhundert (in Venedig) erste gedruckte Noten
gab, blieben sie doch immer Eigentum einer Institution oder einer Einzelperson. Erst
200 Jahre später markierte das Todesjahr von J. S. Bach eine Übergangsphase, weil
im selben Jahr in Leipzig der erste Musikverlag (J. G. I. Breitkopf) gegründet wurde.
Gedruckte Kompositionen machten es möglich, Werke überall in der Welt zu
verbreiten und durch die wissenschaftliche Arbeit und die Zusammenfassung der
Quellen durch den Verlag die Musik eines Komponisten auch nach dessen Tod
möglichst authentisch einzustudieren.
Als nächster logischer Schritt wurden erste Selbstverlagsunternehmen
gegründet, die den Schwerpunkt auf die Verwertung des geistigen Eigentums
setzten. Durch die Entwicklung der Nutzung eines Kunstwerkes änderte sich auch die
Beziehung zwischen dem Schöpfer einer Komposition und dem Verlag. Heute
werden die Kosten einer Aufführung und die Nutzung deren Einnahmen sehr genau
abgerechnet, was uns zu der Tatsache bringt, dass zeitgenössische Musik auf Grund
der hohen Kosten viel seltener aufgeführt wird als damals.
Simon Halsey schreibt in seinem Buch:
„Musik wird von Menschen geschrieben, und ich finde es sehr wichtig, die Verbindung zwischen
Komponisten, Dirigenten und Sängern menschlich und lebendig zu halten. Deshalb lege ich viel Wert
darauf, die Werke von Zeitgenossen aufzuführen.”
3
Meiner Meinung nach ist ein zeitgenössisches Werk fast ein „Muss” im
Jahresprogramm eines Chores, weil man neben technischen Herausforderungen und
neuen Ausdrucksmitteln lernt, unsere Epoche näher wahrzunehmen, zu verstehen
und dadurch auch für ein Publikum darzustellen.
3
Simon Halsey, Vom Konzept zum Konzert, Mainz 2011, S. 44
6
Martin Stampfl sagt dazu:
„Gerade in der zeitgenössischen Chormusik erlebt dieses Zusammenspiel aus Grenzen und
Möglichkeiten eine außergewöhnlich spannende Brisanz. Einerseits suchen KomponistInnen immer
neue Wege, ihre Ideen in Klang umzuwandeln, andererseits sind es gerade diese Wege, die Chöre und
ChorleiterInnen oft an ihre stimmtechnischen, musikalischen und emotionalen Grenzen stoßen
lassen.“
4
Natürlich kann das Schwierigskeitsniveau für einen Amateurchor ein
Problem darstellen. Deshalb ist eine von vielen Lösungen,ein Auftragswerk zu
bestellen und einzustudieren. Das ergibt zahlreiche Vorteile:
1) Man kann selbst den Schwierigskeitsgrad, die Anzahl der Stimmen, den
Ambitus jeder Stimmgruppe sowie weitere musikalische Wünsche angeben.
2) Man kann mit dem Komponisten immer in Kontakt bleiben, um Einzelstellen
zu klären und eventuelle Änderungen oder Vorschläge zu machen.
3) Da das Werk für ganz konkrete Gesangsstimmen geschrieben wird, kann man
die besten Qualitäten des Chöres hervorheben und Schwächen verschleiern.
Vor allem ist die Einstudierung eines Auftragswerkes eine große Freude, und
es ist eine Ehre für den Chor, eine Uraufführung gestalten zu dürfen. Außerdem
fördert es die Einheit des Chores dadurch, dass die Sänger ein Ziel mit Ehrgeiz
verfolgen.
4
Styria Cantat. Neue Chormusik für Kinder-, Jugend- und gemischte Chöre. Internationaler
Kompositionswettbewerb 2013-2015, Band 7 Graz 2014, S. 11
7
4. Wie kommt man zu einem Auftragswerk?
Um ein Auftragswerk zu bekommen, muss man bereit sein, eine langfristige
Arbeit durchzuführen. Zunächst muss ein Ziel gesetzt werden, für welches das Werk
gebraucht wird und was es dem Chor bringen sollte. Danach muss man das Budget
planen, damit das Projekt finanzierbar wird.
Zehn Monate vor dem Jubiläumskonzert des Chores „Audite Nova“ habe ich
damit begonnen, die Idee, ein Auftragswerk als Höhepunkt des Konzertes
aufzuführen,
zu
entwickeln.
Zuerst
erstellte
ich
ein
Konzept
für
das
Gesamtprogramm. Da der Name meines Chores „Audite Nova” („Höret Neues”)
lautet, war es für mich von Anfang an klar, dass ich entweder etwas Neues oder
etwas Altes „im neuen Kleid” anbieten wollte. Schon 2012 brachte ich dem Chor
meine Kultur durch die schönsten Bearbeitungen lettischer Volkslieder näher. Da das
Programm ein großer Erfolg war, versprach ich damals, einmal auch neue
Bearbeitungen österreichischer Volkslieder einzustudieren.
Mit dem Jubiläumskonzert fand ich eine passende Situation, mein
Versprechen zu halten, und stellte ein Programm aus österreichischen und lettischen
Volksliedbearbeitungen zusammen, das lebenswichtige Themen wie die Liebe, Lust
auf Leben, Stolz und Mut, Schicksalsschläge, Natur und andere präsentiert. Das
Auftragswerk sollte eine Verbindung zum Programm haben und trotztdem ein
selbstständiges Stück und ein Höhepunkt des Konzerts werden.
Einer den wichtigsten Schritte war die Wahl des Komponisten. Für mich war
es wichtig, dass der Komponist in Graz lebt und die Proben besuchen kann, dass er
die Chorstimmen gut kennt und somit ein Stück schreiben kann, das den Chor
präsentiert und das die Sänger gerne mehrmals aufführen. Da ich schon wusste, dass
der Text auf Deutsch gesungen wird und ein Element des Materials auch ein
Volkslied sein sollte, entschied ich mich für einen Komponisten aus der Steiermark,
nämlich für Martin Stampfl.
Da der Chor sich selbst finanziert und die Ausgabemöglichkeiten sehr
eingegrenzt sind, schrieb ich im September 2014 ein Ansuchen um Förderung an die
Kulturabteilung der Stadt Graz, um das Schaffen einer neuen Komposition zu
8
ermöglichen. Einige Monate später bekam ich eine positive Antwort und konnte
meine Vorschläge für das Werk an Martin Stampfl weiterleiten.
Mit der Kenntnis, dass ein Text mit dem Titel „Audite Nova” schon vorliegt
und von Orlando di Lasso vertont worden ist, las ich den Text aufmerksam durch und
war positiv überrascht, dass er zwischen einer geistlichen und einer weltlichen
Schicht schwebt, und dass er den Tag eines Festes, nämlich den Sankt Martinstag
beschreibt. Symbolisch entstand dadurch eine Verbindung zum Jubiläumsanlass, bei
welchem auf Vergangenes zurückgeschaut und zusammengefasst werden würde.
Aufgrunddessen entschied ich mich dafür, diesen Text ein weiteres Mal vertonen zu
lassen.
Das Volkslied als Gattung bestimmt meiner Meinung nach den inneren Code
einer Kultur. Der Mensch spürt eine Kraft und eine Stimmung, die von der Vorfahren
über Jahrhunderteweitergetragen werden. Deshalb fand ich es so wichtig, auch in
eine neue Komposition einen solchen alten „Code“ zu integrieren. Als Vorschlag gab
ich dem Komponisten einen Martini-Jodler als Materialidee oder ein Element für das
Stück und ließ es ihm frei, es zu bearbeiten.
Zuletzt machte ich mir Gedanken darüber, welche Voraussetzungen
gegeben sein müssten, damit genau mein Chor das Stück besonders gut aufführen
könnte.
Ich kam auf folgende Punkte:
1) Das Werk muss den Chor fordern, darf ihn aber nicht überfordern.
Das Auftragswerk soll die Fähigkeiten des Chores vom Niveau, auf welchem
sich die Sänger gerade befinden, einen Schritt weiterbringen, aber nicht zu
schwierig werden, damit die Sänger den Glauben an die Schaffbarkeit des
Stückes nicht verlieren.
2) Es soll hauptsächlich bekannte Ausdrucksmittel beinhalten.
Damit der Chor seine besonders guten musikalischen Qualitäten zeigen kann,
führt er meistens neuromantische oder minimalistische Werke auf, kennt
aber
moderne
musikalische
Sprachmittel
und
zeitgenössische
Notationstechniken nicht so gut. Daher ließ ich eher für die Bereiche
Rhythmus, Harmonie und Artikulation mehr Freiraum.
9
3) Die Stimmteilungen sollen eine gute Balance ergeben.
Da der Chor an einem Mangel an Männerstimmen leidet, habe ich darum
gebeten, die Frauenstimmen dreizuteilen und die Männerstimmen
zweigeteilt zu lassen, damit sich eine ausgeglichene Balance ergibt.
4) Der Ambitus der Stimmgruppen soll für die jeweilige Stimmlage angenehm
sein.
Ich teilte dem Komponisten auf Grund meiner Erfahrungen, in welcher Lage
die Sänger meines Chores die meisten Probleme haben bzw. in welcher Lage
sie sich besonders wohl fühlen, für jede Stimme einen idealen Ambitus mit.
Die Bässe zum Beispiel haben eine schöne Klangfarbe, können aber nicht
besonders tief singen. Im Gegensatz dazu singen in meinem Chor einige
ausgezeichnete Sopranistinnen, deren gesangliche Höhe durchaus noch
erweiterbar ist.
Das Stück muss energetisch beginnen und enden; Raum für einen lyrischen
Teil soll eher in der Mitte gelassen werden. Das Auftragswerk wird am Ende
des Konzerts aufgeführt werden, deshalb soll es das Publikum schwungvoll
nach Hause schicken. Es ist auch leichter für den Chor, wenn ein
komplizierteres Stück tutti, in forte-Dynamik und energetisch beginnt.
10
5. Theoretischer Teil
5.1 Semantik und Analyse des Textes
Beispiel 1. Originaltext im gotischen Schrift
5
Audite Nova!
Der Baur von Eselsskirchen,
der hat ein faiste gaga Gans,
das gyrigyri gaga Gans!
Die hat ein langen, faisten, dicken, waidelichen Hals,
bring her die Gans,
hab dirs, mein trauter Hans!
Rupff sie, zupff sie, seud sie, brat sie, zreiss sie, friss sie!
Das ist Sanct Martins Vögelein,
5
Adam Berg (Hrsg.), Sechs Teutsche Lieder mit vier sampt einem Dialogo mit 8 Stimmen. München
1573, zit.n. Horst Leuchtmann (Hrsg.).Orlando di Lasso. Gesamtausgabe. Band 20/II. Wiesbaden 1971,
S.XLVI
11
dem können wir nit Feind seyn!
Knecht Haintz, bring her ein guten Wein
und schenck uns dapffer ein;
lass umbher gahn, in Gottes Nam trincken wir gut Wein und Bier
auff die gsotne Gans, auff die bratne Gans, auff die junge Gans, dass
sie uns nit schaden mag.6
Im Text geht es um den Heiligen Martin, dessen Begräbnis noch bis heute
am 11. November als Fest gefeiert wird. Die Legende von Martin erzählt, dass er in
einer kalten Winternacht seinen Mantel in die Hälfte schnitt, um ihn mit einem
Bettler zu teilen und ihn vom Frieren zu schützen. Später träumte Martin von Jesus
und hörte ihn sagen: „Martinus, der noch nicht getauft ist, hat mich mit diesem
Mantel bekleidet!”
Eine andere Legende lässt vermuten, dass Martin sich in einem Gänsestall
versteckte, um zu vermeiden, Bischof zu werden. Aber die Gänse verraten mit ihrem
lauten Gegacker sein Versteck. Deshalb wird am Festtag traditionell eine Gans
verspeist.7
Der Sankt Martinstag am 11. November ist historisch nicht nur das letzte
Fest vor der Adventfastenzeit, sondern markiert auch den Übergang vom Herbst zum
Winter, wo man sich für die Gaben der Erde bedankt.
Der Text hat eine klare Zweiteiligkeit: Der erste Teil stellt anspruchslose
Bauern dar, die hart arbeiten und für das Essen sorgen (die verkürzten und teilweise
witzigen Wortwendungen verstärken eine bäuerliche Atmosphäre). In dem Moment,
wo die Bauer dafür bereit sind, die Gans einfach zu rupfen und zu braten, passiert
ein Stimmungswechsel. Der zweite Teil beschreibt das Treffen eines Menschen auf
christliche Werte. Man soll Gott dafür dankbar sein, dass man eine reiche Ernte
sammeln konnte und auch für die kalten Wintermonate genug zu essen hat.
Martin Stampfl hat den Text jedoch musikalisch gesehen dreiteilig vertont.
Der erste Teil beinhaltet den Ruf „Audite nova“ und beschreibt das Treffen mit den
6
7
Horst Leuchtmann (Hrsg.), Orlando di Lasso Gesamtausgabe, Band 20/II. Wiesbaden 1971, S.9-11.
www.heiliger-martin.de (03.06.2015)
12
Bauern und der Gans; der zweite Teil stellt die wilden Bauern dar, die die Gans töten
und essen wollen, entgegen ihres Wissens, dass es eine heilige Gans ist. Der dritte
Teil ist ein feierliches Fest, wo auf die Gesundheit und die gute Ernte angestoßen
wird.
5.2 Analyse des Werkes
5.2.1 Tempo
Es sind keine Metronomzahlen angegeben, es gibt nur wörtliche
Tempoangaben wie schnell, langsamer, langsam und langsam (aber fließend). Von T.
24 bis T. 36 ist das Tempo in manchen Stimmen selbst zu bestimmen. Auch in
anderen Stücken des Komponisten werden in die Partitur eher freie wörtliche
Tempoangaben hineingeschrieben. Daraus ziehe ich die Schlussfolgerung, dass ich
das Tempo frei wählen kann. Um eine richtige Temporelation machen zu können,
bestimmte ich erst für mich die Grenzen der verschiedenen Tempi und versuchte,
diese logisch hintereinander anzuordnen.
Tempoangabe
schnell
langsamer
langsam
langsam (aber
fließend)
Minimum
Maximum
Mein Tempo
♩ = 120
♩. = 55
♩. = 40
♩. = 44
♩ = 140
♩. = 75
♩. = 60
♩. = 55
♩ = 135
♩. = 68
♩. = 45
♩. = 48
Meiner Meinung nach muss das schnelle Tempo frischen und energischen
Charakter besitzen, es darf jedoch sein Gewicht nicht verlieren. Ein wichtiger Hinweis
für das Tempo ist das Material des Martini-Jodlers (T. 7-9), das seinen wiegenden,
freien Charakter behalten sollte. Auch der Wunsch einer guten Artikulation und
Textverständlichkeit unterstützt mich in meinem Bestreben, ein nicht zu schnelles
Tempo zu wählen. Daher bleibe ich bei ♩ = 135. Offen bleibt noch die Entscheidung,
ob das schnelle Tempo des Anfangs dasselbe sein sollte, wie das Tempo am Schluss
(ab T. 51). Da das musikalische Material ähnlich ist, der Schlussteil jedoch länger ist
und ein deutliches Abschlussgefühl vermittelt, werde ich den Schluss ein wenig
schneller als den Anfang interpretieren.
13
Der langsame Teil (T. 20 – T. 51) bezieht sich inhaltlich auf die göttliche
Ebene, was zum Anfang einen großen Kontrast ergibt. Die Tempoanweisung langsam
möchte ich wirklich langsam ausführen und die Dramaturgie sich durch die
individuell schnelleren Tempi entwickeln lassen. Auch die vielen Schichtungen
(gesprochene Klänge, glissandi, Jodler) bekommen durch ein langsames Tempo eine
Transparenz. Das darauffolgende langsam (aber fliesßend) schafft eine Ruheperiode,
in welcher der Mensch seinen Glaube an Gott bestätigt. Ich lasse diesen Abschnitt
ruhig auskosten und nehme das Tempo nur ein wenig flüssiger als vorher.
5.2.2. Aufbau und Harmonik
Die Grundarchitektur des Stückes zeigt eine Dreiteiligkeit (schnell-langsamschnell). Doch das Interessante am Stück sind die Übergangsmotive zwischen den
Teilen, die auch inhaltlich eine natürliche Verbindung zeigen.
Der erste Teil (T. 1 – T. 14) fängt mit einer polyphonen Einleitung auf die
Dominante der Haupttonarts G-Dur an. Die polyphone Struktur und die einfachen Akkorde
(Wechsel
zwischen
D-Dur-
und
d-moll-
bzw.
a-moll-Akkorden)
erinnern
an
Renaissancemusik. Darauf folgt das erste Erklingen des Martini-Jodlers in den drei unteren
Stimmen.
Beispiel 2: Ausschnitt aus der Originalfassung des Martini-Jodlers
14
Beispiel 3. Martin Stampf, Audite Nova, T. 58-61 (Alt, Tenor)
Während des Jodlers und bis zur abschließenden Kadenz, die mit einer Folge
von drei Nonakkorden (mit der None im Bass (T. 10-11)) eingeleitet wird, wird die
Melodie vom Sopran II geführt.
Zwischen T. 15 und T. 20 passiert eine Überleitung, mit Hilfe derer nach Cismoll moduliert wird. Der langsame Teil beginnt in Cis-moll (T. 20) und bildet einen
klaren Kontrast zu dem in G-Dur stehenden Jodler. Nach den Worten des
Komponisten
stellen
die
glissandos
und
gesprochenen
Passagen
die
unvollkommenen Seiten eines Menschen dar, im Gegensatz zum Jodler, der für die
idyllische Oberfläche steht.
Beispiel 4. T.31-34
In T. 36 findet wieder dieselbe Verbindung mit der Modulation nach Cismoll statt. Hier wird in einer Choralfaktur das Gotteslob ausgeprägt.
Der schnelle Teil kehrt mit einer neuen Überleitung, die uns zur Reprise
führt, wieder zurück. Ein Dialog zwischen dem ersten Sopran und dem Chor (auf die
Dominante zu D-Dur) bereitet den Raum für einen feierlichen Abchluss in D-Dur vor.
15
I. Teil (T.
1-14)
schnell
D-Dur/moll – GDur
A (a+b)
II. Teil (T. 15-50)
langsamer
langsam
→cis-moll
cis-moll→
G-Dur
Überleitung B (b+c)
I
→cis-moll
III. Teil (T. 51-70)
langsam
(aber
fließend)
cis-moll→
D-Dur
Überleitung d
I
schnell
Reprise
D-Dur mit A D-Dur
im Bass
Überleitung a
II
5.2.3. Intonation
Um eine gute Intonation zu erhalten, finde ich es wichtig, die D-Dur und GDur-Skala mit Hilfe von Übungen gut und aufmerksam zu lernen und diejenigen Töne
wahrzunehmen, die man „hoch“ denken muss (große Sekunde vom Grundton
aufwärts, Mollterz, Quart und Septim). Weiters achte ich auch darauf, dem Chor
beizubringen, welche Stimme in den Akkorden den Grundton singt.
Bei den polyphonen Strukturen am Anfang und Schluss des Stücks ist es
wichtig, dass der Grundton D in allen Stimmen immer gleich intoniert wird. Ich lasse
den Sopran II und den Tenor ihre Figuren zusammen singen und achte auf
Homogenität.
Beispiel 5. T. 1-4
Die Akkorde in der Überleitung probe ich langsam und lasse die Septimen und Nonen
weg, damit man den Grundakkord sauber wahrnehmen kann.
16
Beispiel 6. T. 15-19
5.2.4. Rhythmus und Artikulation
Die Taktartwechsel von 4/4 zu 6/8 oder 7/8 sind für einen Amateurchor
schwierig, weil die Schwerpunkte und Gruppierungen immer anders gedacht werden
müssen. In der Reprise (T. 59-61), wo gleichzeitig unterschiedliche Rhythmen
(Achtelgruppierungen) gesungen werden, braucht man Zeit, bis die Sänger sich nicht
mehr von den anderen Stimmen verwirren lassen. Diese Stelle ist besonders für den
Bass und den Sopran schwierig, da sie dasselbe musikalische Material, aber in einer
anderen Taktart notiert, singen.
Beispiel 7. T. 1-4 (Bass)
Beispiel 8. T. 58-61 (Bass)
17
In den langsamen Abschnitten ist darauf zu achten, dass die längeren
Notenwerte und übergebundenen Noten nicht zu lang gesungen werden. Man darf
dabei das Gefühl von Achtelnoten nicht verlieren.
Beispiel 9. T. 41-44 (Sopran I)
Um den Rhythmus gut zu üben, arbeite ich viel an der Artikulation. Ich
überlege, wie die Konsonanten dem Chor dabei helfen können, den Rhythmus zu
halten, was besonders in langsamen Abschnitten nützlich ist. Ganz besonders achte
ich darauf, dass die Konsonanten, die nicht auf einer schweren Zeit gesprochen
werden oder Teil einer Nebensilbe sind , trotzdem gut ausgesprochen werden.
Am Anfang trenne ich das Wort „Audite“ auf vier Laute („a-au-di-te“), damit
die ersten zwei Achtel eine sehr klare rhythmische Struktur bekommen.
In T. 20 lasse ich die zweite und fünfte Achtel aktiv und ohne Tonhöhe
artikulieren, weil es fast unmöglich ist, ohne Vokal auf Tonhöhen zu singen.
Beispiel 10. T. 20-22 (Sopran I)
18
6. Problematik des Erarbeitungsprozesses
Nach einer Partituranalyse und
während der ersten Phase des
Probenprozesses ist mir aufgefallen, dass es neben den schwierigen Stellen, die
einfach geübt werden müssen, auch Stellen gibt, deren Unklarheiten die Folge einer
ungenauen Notation sind, oder die eine zusätzliche Erklärung erfordern. Daraufhin
entschied ich mich, mich in einer praktischen Ausgabe an die Partitur anzunähern
und meine Anmerkungen entweder durch eine Klammer (wenn es die
Zeichensetzung betrifft), oder mit einem Stern (falls sie die Notenschrift betreffen)
zu bezeichnen. So kann man die erste Fassung und meine Fassung leicht voneinander
unterscheiden. Die Anmerkungen wären dabei eine große Hilfe für den nächsten
Chor, der das Stück aufführen möchte.
6.1 Anmerkungen und Lösung der Einzelprobleme
1) Problem: Die Tempoangaben „schnell“ und „langsam“ sind sehr weiträumig
zu interpretieren.
Lösung: Ich füge in Klammern ungefähre hinzu (siehe Tempo in Abschnitt
5.2.1).
Beispiel 11. T. 1-3
2) Problem: In T. 4-6 gehen durch die Reduzierung den Stimmen und Vertiefung
der Lage die forte-Dynamik und der energetische Charakter verloren.
Beispiel 12. T. 4-6 (Alt,Tenor,Bass)
19
Lösung: sempre forte in den drei unteren Stimmen
Beispiel 13. T.4-6 (Alt, Tenor, Bass)
3) Problem: Da der Aufbau der Melodie im Sopran II in T. 8 ein Fis (die erste
Achtel) enthielt, bekam der Jodler automatisch auch eine andere Note und
klang nicht mehr authentisch.
Beispiel 14. T.7-9 (Sopran II,Alt)
Lösung: Den Jodler authentisch lassen und das Fis im Sopran II durch ein G
ersetzen.
Beispiel 15. T. 7-9 (Sopran II, Alt)
20
4) Problem: Die jeweils zweite und fünfte Achtel
Tonhöhe singbar.
(T. 20-30) ist nicht auf
Beispiel 16. T.20-22 (Sopran I)
Lösung: Die genannten Achteln durch gesprochenen Klang ersetzen.
Beispiel 17. T.20-22 (Sopran I)
5) Problem: Es ist unklar, welchen Text man auf dem glissando singen sollte (T.
23-30).
Beispiel 18. T. 20-24 (Sopran I)
Lösung: Die zwei letzten Takte als glissando wiederholen lassen, weil man 8
Takte für das glissando zur Verfügung hat.
Beispiel 19. T. 21-24(Sopran I/Tenor)
6) Problem: Es ergibt sich die Frage, ob der Bass das glissando quasi unisono
ausführen muss, wenn die Sänger individuell schneller werden (T. 23-30)
Beispiel 20. T. 23-24 (Bass)
21
Lösung: Auf Wunsch des Komponisten sollte das glissando im Idealfall quasi
unisono gesungen werden, obwohl das Tempo frei ist.
Beispiel 21. T. 23-24 (Bass)
7) Problem: Die Frauenstimmen klingen im piano wesentlich lauter, als die
Männerstimmen, da die Bassstimmen in einer sehr tiefen Lage gesetzt sind
(T. 41-51).
Beispiel 22. T. 41-44
22
Lösung: Reduzieren der Dynamik in den Frauenstimmen zum pp.
Beispiel 23. T. 41-44 (Sopran I, Sopran II, Alt)
23
7.Schlussfolgerungen
Einer der Impulse für diese Arbeit war der Traum, der lokalen Amateurchorszene
eine neue Komposition zu schenken. Aus meiner Sicht herrscht bei vielen Amateurchören
ein Ungleichgewicht im Repertoire: Einfache Volkslieder oder allgemein bekannte Lieder
dominieren eindeutig gegenüber der etwas anspruchsvolleren Literatur - nur auf Grund des
Schwierigkeitsgrades.
Statt einfach einen Sprung zu machen und nur unbekannte Literatur
einzustudieren, versuchte ich, zwischen dem, was dem Chor schon geläufig ist, und neuem
Material eine Brücke zu bauen. Als Ergebnis entstand die Komposition auf der Basis eines
Jodlers. Durch dieses einzige Element, das die Sänger leicht erkennen, erscheinen die
schwierigeren Passagen und harmonischen Wendungen nicht mehr so gefährlich. Auch der
Madrigal-Text macht es leicht, den Inhalt zu verstehen und auszudrücken. Dadurch entstand
zwischen dem Alten und Neuen eine Verbindung, die den Chor dabei unterstützt, besser zu
werden.
Mit dieser schriftlichen Arbeit wurden folgende Ziele erreicht:
1)
Es ist eine aufführungsbereite Partitur von Audite Nova entstanden,
welche die wichtigsten Fragen zur Interpretation und zur Ausführung einzelner
Problemstellen beantwortet.
2)
Das Konzept von einer Idee bis zum Konzert wurde vorgestellt.
3)
Die Text-Vorlagen, die Entstehungsgeschichte und die Analyse des
Werkes liefern die wichtigsten Hintergrundinformationen, die eine gute Aufführung
ermöglichen sollen.
Abschließend würde ich mich sehr freuen, wenn diese Arbeit ein weiteres
Auftragswerk und dessen Neueinstudierung ermutigt. Es bleibt wünschenswert, dass die
Chorszene ihre Tradition weiterentwickelt und pflegt, nicht nur unterhält oder auf
Vergangenes zurückschaut.
24
Literatur- und Quellenverzeichnis
HALSEY Simon mit ROLOFF Wiebke. Vom Konzept zum Konzert. Mainz 2011. Schott Music
GmbH&Co. KG
Styria Cantat, Band 7. Neue Chormusik für Kinder-, Jugend- und Gemischte Chöre
Internationaler Kompositionswettbewerb 2013-2015. Styria Cantat 2014
QUADROS André de. The Cambridge Companion to Choral Music. New York 2012.
Cambridge University Press
Leuchtmann Horst (Hrsg.). Orlando di Lasso Gesamtausgabe. Zweite, nach den Quellen
revidierte Auflage der Ausgabe von F.X. Haberl und A. Sandberger. Band 20. Kompositionen
mit deutschem Text II. Drei- bis achtstimmige deutsche Lieder aus verschiedenen Drucken
sowie aus handschriftlicher Überlieferung. Wiesbaden 1971. Breitkopf&Härtel
www.heiliger-martin.de (03.06.2015)
25