„Souveränität und postsowjetisches Nation

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Zusammenfassung
Mobile Sommerakademie
„Souveränität und postsowjetisches
Nation-Building – Konfliktprävention in der
Krisenregion Moldau und der Ukraine“
13. – 24. September 2015
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BESCHREIBUNG UND BEGRÜNDUNG DER MAßNAHME
Allgemeine Projektbeschreibung
Seit den aktuellen Ereignissen im Frühjahr 2014 in der Ostukraine und auf der Krim ist auch
der „frozen conflict“ um die Region Moldau/ Transnistrien wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Die Auseinandersetzungen zwischen Moskau und Kiew über den
Westkurs der neuen ukrainischen Regierung sowie der Plan der Republik Moldau, mit der EU
ebenfalls ein Assoziations- und Freihandelsabkommen zu unterzeichnen, haben der Transnistrien-Frage plötzlich neue Aktualität verliehen.
Mehr als zwanzig Jahre lang war der Konflikt um Transnistrien eingefroren, ähnlich den
vergleichbaren postsowjetischen Konflikten in Georgien um die abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien. Anders als Georgien grenzt die Republik Moldau jedoch nicht an
Russland, was den direkten Zugriff Moskaus auf die Krisenregion erschwert. Mit einer – bis
dato – einigermaßen stabilen und zumindest neutralen Ukraine als einem Pufferstaat im Osten
und gestärkt durch die westlichen Bestrebungen, an der Ostgrenze der EU endlich sichere
Verhältnisse zu schaffen, rechnete man in der moldauischen Hauptstadt Chişinău nach der
Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU im Juni 2014 damit, Schritt für
Schritt auch das transnistrische Problem lösen zu können. Die intern bedingte Destabilisierung der Ukraine, die Geopolitisierung der ukrainischen Krise und die russische Intervention
auf der Krim gefährden diese Bemühungen und nähren die Befürchtung in Chişinău, der
Konflikt am Dnister könnte neuerlich eskalieren.
Der Konflikt um die separatistische Transnistrische Moldauische Republik ist die Ursache
dafür, dass die Regierung der Moldau weder die Kontrolle über ihr Staatsgebiet noch über
ihre Außengrenzen ausüben kann – mit negativen Auswirkungen auf die Konsolidierung des
Staates, die Außenbeziehungen sowie die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Während sich die
diplomatischen Bemühungen um die rechtliche Definition des Status Transnistriens innerhalb
eines gemeinsamen moldauischen Staates seit der 1993 erfolgten Eröffnung einer OSZEMission in Chişinău hinzogen, konzentrierte sich die Führung in Tiraspol, der Hauptstadt der
abtrünnigen Transnistrischen Moldauischen Republik, darauf, das von ihr kontrollierte Territorium gegenüber dem moldauischen Staatsgebiet abzuschotten und dem Zugriff der Institutionen des völkerrechtlich anerkannten moldauischen Staates zu entziehen.
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Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit waren
die Republik Moldau und die Ukraine mit ähnlich gelagerten politischen und wirtschaftlichen
Problemen konfrontiert: Separatismus, der ungeklärte Status russischer Militäreinrichtungen
auf ihrem Territorium, wirtschaftliche Abhängigkeit (insbesondere im Bereich der Energieversorgung), tiefgreifende soziale Verwerfungen, eine einflussreiche russophone (-und phile)
Minderheit sowie Russland als einem Nachbarn, der beide Staaten als seine originäre Interessensphäre betrachtet.
Das außenpolitische Interesse der Ukraine und der Republik Moldau definiert sich durch ihre
geografische Position, nämlich an der Schnittstelle zwischen West und Ost. Weder in der
Bevölkerung der jeweiligen Länder noch in der politischen Elite existiert bis heute ein tragfähiger Konsens über die künftige geopolitische Verortung des Landes. Die politische Debatte
oszilliert seit Jahren zwischen gegensätzlichen geopolitischen Konzepten: Integration in die
EU versus Integration in die GUS, NATO-Beitritt versus Neutralitätsstatus, Schulterschluss
mit Moskau versus Anbindung an Brüssel/ Washington.
Gemeinsam ist der Ukraine und der Republik Moldau, dass sie – auch fast 25 Jahre nach der
Loslösung aus der Sowjetunion – noch immer vor der Aufgabe stehen, ihre staatlichen Strukturen zu konsolidieren. Ferner sind beide Länder mit dem Problem konfrontiert, nationale
Identitäten herauszubilden, die zu einer breiten gesellschaftlichen Anerkennung zentralstaatlicher Institutionen beitragen könnten. Diese Prozesse erweisen sich aufgrund bereits bestehender Herrschaftsstrukturen und einer hohen Diversität ethnischer Zuschreibungen als schwierig
und konfliktreich.
In der Folge führen die oligarchisch-eigeninteressenzentrieten politischen Strukturen und die
ökonomisch-sozialen Verwerfungen des „unfertigen“ Nationalstaats (innere Faktoren) und die
wiederkehrenden „Bestrafungen“ (siehe den sog. „Gaspreiskrieg“) Russlands (äußerer Faktor)
sowie die Instrumentalisierung der außenpolitischen Richtungsdebatte zu einer dauerhaft
angespannten Lage in der Region. Beide Staaten sind sowohl nach innen als auch außenpolitisch nur bedingt souverän. Die aus dieser Konstellation entstehenden Konflikte sind nun auf
der Krim und im Osten der Ukraine eskaliert. Die Republik Moldau hofft mit Transnistrien,
seinem „frozen conflict“, nicht in den Sog der Auseinandersetzungen in der Ostukraine gezogen zu werden.
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Ziel der Sommerakademie ist es, innergesellschaftliche und zwischenstaatliche bzw. regionale
Konfliktlinien sowie Eskalations- und Deeskalationspotenziale zu erkennen, einen analytischen Rahmen zu ihrer Erfassung zu entwickeln, Strategien zur Konfliktlösung zu debattieren
und zu evaluieren. Außerdem hat die Sommerakademie zum Ziel, den kommunikativen Austausch zwischen potenziellen künftigen Entscheidungsträgern der Ukraine und der Republik
Moldau sowie deutschen Teilnehmern zu fördern. Durch konstruktive Diskussionsrunden und
den Austausch persönlicher Erfahrungen sollen tragfähige Lösungen für die Gestaltung einer
friedlichen Zukunft evaluiert werden.
Hierzu ist eine zwölftägige, wissenschaftliche Sommerakademie mit 20 StudentInnen sowie
akademischem Lehrpersonal unter Leitung von Prof. Dr. August Pradetto (Politikwissenschaft/ Internationale Beziehungen) und Dr. Rudolf A. Mark (Geschichte) geplant, die darüber hinaus auf den Ausbau der Kooperation der Helmut-Schmidt-Universität (HSU) mit Universitäten sowohl in der Republik Moldau als auch der Ukraine zielt. Die Teilnehmer rekrutieren sich je zur Hälfte aus deutschen Bachelor- und Master-Studierenden sowie ukrainischen, moldauischen Studierenden der Politikwissenschaft/ Internationalen Beziehungen oder
Geschichte, die sich in ihrer Abschlussarbeit auf Konfliktforschung bzw. eines der ausgewählten Konfliktfelder fokussieren möchten. Während der Zeit vom 13. bis zum 24. September 2015 werden die Teilnehmer im Rahmen einer mobilen Sommerakademie von Kiew über
Chişinău und Odessa.
Im Zuge der Exkursion sollen verschiedene akademische und staatliche Institutionen sowie
NGOs besucht werden, um sich vor Ort im Rahmen von Lectures, Workshops und Diskussionsrunden mit diversen Konfliktebenen und der Bearbeitung von Konflikten auseinanderzusetzen. Die Sommerakademie ist hierbei politikwissenschaftlich ausgerichtet, bezieht aber
andere sozial- und geisteswissenschaftliche Disziplinen ein. Arbeitssprache der Sommerakademie ist Englisch.
Der Leiter der Sommerakademie, Prof. Dr. August Pradetto, ist Politikwissenschaftler mit
Fokus auf Außen- und Sicherheitspolitik sowie Konfliktforschung und einem Forschungsschwerpunkt in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Herr PD Dr. Rudolf A. Mark (ebenfalls HSU, Professurvertretung Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts unter besonderer
Berücksichtigung Mittel- und Osteuropas) wird die Sommerakademie als Historiker begleiten.
Vor Ort sind die Nationale Taras-Schewtschenko-Universität/ Київський нацiональний
унiверситет iменi Тараса Шевченка in Kiew, die Moldova State University/ Universitatea
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de Stat din Moldova in Chişinău sowie die Odessa I. I. Mechnikov National University/
Одеського національного університету імені І. І. Мечникова als Kooperationspartner
vorgesehen. Diese werden auch die Studierenden vor Ort auswählen, um möglichst motivierte
und geeignete Studierende und Nachwuchswissenschaftler für die Sommerakademie gewinnen zu können.
Thematisch steht die Sommerakademie unter dem Schwerpunkt „Souveränität und postsowjetisches Nation-Building – Konfliktprävention in der Krisenregion Moldau und der Ostukraine“. Dabei ist der Grundgedanke, dass die Bedrohung der Stabilität in der Ukraine – insbesondere der Ostukraine – sowie der Republik Moldau und dem „Gebiet“ Transnistrien sowohl
durch die andauernde interne Konkurrenz verschiedener Herrschaftsakteure, einen unabgeschlossenen Nationbuilding-Prozess sowie massive äußere Einflussnahme bedroht ist und
jederzeit erneut in gewaltsame Auseinandersetzungen umschlagen kann. Die Fähigkeit zum
selbstständigen Regieren durch legitim gewählte Vertreter auf dem eigenen Territorium (→
Souveränität) ist somit von innen wie von außen massiv eingeschränkt. Dabei sind spezifische
regionale Machtkonstellationen wie Machtauseinandersetzungen regionaler und lokaler Eliten
und die spannungsreiche Gleichzeitigkeit formeller und informeller Institutionen zu bestimmen und zu beachten. Die Teilnehmer der Sommerakademie werden angeleitet, Herrschaftsstrukturen zu erkennen und zu charakterisieren und in einem nächsten Schritt deren Einfluss
auf nationale Politiken zu untersuchen.
Die Prozesse des postsowjetischen Nation-Buildings wirken in alle Bereiche des gesellschaftlichen und politischen Lebens, der Wirtschaft und des Rechtssystems. In der Sommerschule
wird auf drei Themenfelder fokussiert, die aus politikwissenschaftlicher Perspektive bearbeitet werden:
(1.)
State-Formation: Welche Herrschaftsstrukturen lassen sich identifizieren? In welcher
Weise konkurriert der Staat mit alternativen, informellen Herrschaftsstrukturen? Welchen Einfluss haben diese Konflikte auf die politische und ökonomische Entwicklung
der beiden Länder?
(2)
Nationbuilding: In welchen Bereichen konkurriert die Idee einer nationalen Identität
mit lokalen und/oder aus der sowjetischen Vergangenheit übernommenen Zuschreibungen? Inwiefern werden solche Zuschreibungen in politischen Konflikten instrumentalisiert?
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(3)
Regionale Spezifika: Welche außenpolitischen Konzepte werden in der Ukraine und in
der Republik Moldau diskutiert? Welche Akteure verfolgen welche Interessen? Wie
äußerst sich der Einfluss externer Akteure (Russland, EU, USA)?
Diese drei Themenkomplexe sind besonders relevant für die Gesamtregion und ihre zukünftige Entwicklung und sollen daher im Rahmen der Sommerakademie an ausgewählten Stationen vor Ort und unter Berücksichtigung der Spezifika postsowjetischen Nation-Buildings
analysiert werden.
Die vielfach transnational verwobenen Konflikte verlangen zu ihrer Bearbeitung und Lösung
nach einer Kooperation zwischen, aber auch und insbesondere innerhalb der zu bereisenden
Staaten (Ukraine, Moldau). Die Sommerschule mit Teilnehmern aus Deutschland und den
beiden Ländern der Region hat besonderes Potential, diese Transnationalität und dadurch
gegebene Komplexität sowie ihre Lösungsmöglichkeiten zu erörtern. Oft werden bei der
Berichterstattung über Konflikte in der Region selbst nationale Stereotypen bedient und die
anderen Nationen/ Ethnien/ Sprachgruppen als Verursacher dargestellt, ohne dass die eigene
Interessenlage reflektiert bzw. die eigene Politik und die eigenen Strategien sachlich dargestellt werden. Auch dominiert eine Deskription der Stärke der eigenen Nationen/ Ethnien/
Sprachgruppen durch Beharren auf egozentrisch konstruierte nationale/ regionale Interessen
in diesen ethnisch bzw. nach Sprachgruppen stark fragmentierten Staaten anstatt einer konsens- oder kompromissorientierten Vorgehensweise. Diese Art der Präsentation, die oft nicht
zu Verständigung führt und Konfliktlinien verhärten lässt, soll in der Sommerakademie aufgebrochen werden. Austausch und Verständigung sind ein erster Wegbereiter für eine friedliche Bearbeitung dieser Konfliktfelder, und die Sommerakademie bietet dazu ein Forum zur
Reflektion und Bearbeitung.
Die Sommerakademie baut auf die bereits in den Jahren 2009 in Jekatarinenburg, 2010 im
Georgien, Aserbaidschan und Armenien, 2011 in Usbekistan, Kasachstan sowie Turkmenistan, 2013 in Tadjikistan und Kirgistan und 2014 im Südkaukasus (Aserbaidschan, Georgien
und Armenien) von der Professur erfolgreich durchgeführten Sommerschulen bzw. Exkursionen u.a. im Rahmen des DAAD-Programms „Konfliktprävention in der Region Südkaukasus/
Zentralasien und Moldau“ auf. Zur Vorbereitung der für 2015 geplanten mobilen Sommerakademie kann also auf vielfältige Erfahrungen, Kontakte sowie auf etablierte logistische
Strukturen zurückgegriffen werden wie auch auf lessons learned aus den genannten Aktivitä-
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ten. Auf didaktischer und konzeptioneller Ebene wird nicht zuletzt an die gewinnbringenden
Sommerakademien 2013 und 2014 angeknüpft.
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Itinerary Summer Academy 2015 to Ukraine and Moldova
Day
Sunday,
th
13 Sep.
Mon,
th
14 Sep.
Place
Kiev
Tue,
th
15 Sep.
Kiev
Wed,
th
16 Sep.
Kiev
Chisinau
Thu,
th
17 Sep.
Chisinau
Fri,
th
18 Sep.
Chisinau
Sat,
th
19 Sep
Comrat
Sun,
th
20 Sep.
Chisinau
Odessa
Mon,
st
21 Sep.
Odessa
Tue,
nd
22 Sep.
Odessa
Wed,
rd
23 Sep.
Odessa
Tue,
th
24 Sep.
Kiev
Arrival of the participants
11-13 German Embassy
13-15 Lunch
16-18 NGO “Euromaidan”
19 Dinner
9-11 OSCE SMM
11-12.30 MFA Ukraine
12.30-14 Lunch
14.30-15.30 Mr Kalnysh (journalist)
15.30-18 Uni Kiev: lecture with discussion and workshop
19 Dinner
9-10.30 NGO “Youth Alternative”
10.30-12-30 Sightseeing tour
12.30 Lunch
Flight to Chisinau
10-12 German Embassy
12-14 Lunch
14-16.30 Uni Chisinau (FRISPA): lecture, discussion and workshop
17-18.30 Sightseeing tour
19 Dinner
9-11 MFA of the Republic of Moldova
11-13 OSCE
13-14.30 Lunch
15-17 NGOs (“Promolex” and “FPA”)
17-20 visit winery “Cricova”
10-12 Governor of Gagauzia/ Mayor of Comrat
12-14 Lunch in Comrat
14.30-16.30 Uni Comrat: lecture and discussion
19.30 Dinner
10 Sunday Service, meeting with Metropolitan Vladimir
13 Lunch
Journey to Odessa
9-11 Governor of Odessa Region
11-12.30 Sightseeing
12.30-14.30 Lunch
15-17 NGO (“Gruppa 2ogo Maja”)
18 Dinner
9-11 EUBAM Headquarters
11-13 Mayor of Odessa
13-14.30 Lunch
15-19 Visit of Bilhorod-Dnistrovskyi (Akkerman)
20 Dinner
9-11 Navy Academy
11-12.30 Odessa Sea Port
12.30-14 Lunch
15-17.30 Uni Odessa: lecture with discussion and workshop
20 Farewell Dinner
Departure