RIQ Artikel 2013

120 | WIRTSCHAFT UND TECHNIK
Kulissenbau
Werbeaufnahmen
RiQ – Das für
Magazin
Nr. 1 | 2013
im Großraumstudio von Jonas Ziegler
WIRTSCHAFT UND TECHNIK | 121
Ein Leben in Bildern
Die Geschichte der Fotografie in Wertingen
1919 gründete Johann Zolleis in Wertingen ein Fotoatelier. Ein Schritt, der
aus heutiger Sicht geradezu tollkühn
erscheint: Johann Zolleis war eigentlich gelernter Schuhfabrikant, die Erfindung der Fotografie lag gerade mal
80 Jahre zurück und steckte damit
noch in den Kinderschuhen. Zudem
war Wertingen mit damals etwa 3.000
Einwohnern noch zu klein und die
wirtschaftlichen Zeiten nach dem ersten Weltkrieg zu schwierig, um eine
ganze Familie davon ernähren zu können.
Nicht gerade optimale Voraussetzungen, um ein Unternehmen zu gründen.
Johann Zolleis ahnte damals wohl
nicht, dass er mit dieser mutigen Entscheidung den Grundstein für ein
noch heute tätiges Unternehmen legen
sollte, das zu einem der modernsten
und größten Fotostudios im süddeutschen Raum zählt.
Johann Zolleis arbeitete um 1920 noch mit Glasplatten, wie bei diesem Familienporträt.
Johann Zolleis fotografierte mit einer
damals üblichen Holzkamera – Fotografie war noch eine komplizierte
technische Angelegenheit, die aus-
schließlich von den wenigen damals
agierenden Fotografen beherrscht
wurde. So gehörte Zolleis zu den
Ersten, die eine Kamera besaßen.
1919
1946
1970
2007
Damals gewagt: die
Gründung eines Fotoateliers
Nach dem Krieg:
Aufschwung mit Zukunft
Neue Generation:
digital löst analog ab
Innovativer Wechsel: Shootings
im modernen Großraumatelier
Christian Ziegler
Jonas Ziegler
Johann Zolleis
Egon und Gerda Ziegler
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man sich nach 1939 mit Beginn des
Zweiten Weltkrieges häufiger fotografieren ließ.
Die Bilder, die Johann Zolleis während
des Zweiten Weltkrieges aufnahm,
sind von geschichtlicher Bedeutung.
Noch heute erzählen Zeitzeugen mit
Respekt, wie der Stadtfotograf 1945
ein einmaliges, unter Lebensgefahr geschaffenes Bilddokument des zerstörten Wertingen schuf.
Aufnahme im Stil der 1920er-Jahre
von Johann Zolleis.
Einmaliges Bilddokument
über Wertingen
Erst nach der schweren Zeit der Weltwirtschaftskrise wurde die Fotografie
salonfähig. Das Fotografieren konnten
sich mit der Agfa Box für vier Reichsmark jetzt auch Amateure leisten – bis
dahin gab es nur die Leica, die für die
meisten Menschen schlicht zu teuer
war. Bis heute steht diese Kamera für
deutsche Wertarbeit.
In dieser Zeit begann Tochter Gerda
eine Fotografenlehre in Augsburg. Das
Geschäft florierte, auch deshalb, weil
milien- und Hochzeitsbilder gehörten
damals zum Standardangebot. 1969
kam erstmals die Werbefotografie
dazu, auch Modefotografie gehörte
zum festen Repertoire von Gerda und
Egon Ziegler.
1946, nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges, als alle Bundesbürger einen neuen Personalausweis benötigten, karrte man die Einwohner mit
Lkws von der US-Armee zum Wertinger Fotostudio. Polizisten sorgten für
tumultfreien Ablauf. Das Zolleis-Team
erhielt für diese Tag- und Nachtarbeit
zusätzlich Lebensmittelkarten. Das
schwer verdiente Geld fiel kurz darauf
der Währungsreform zum Opfer.
Mode und Werbung in
den 60er-Jahren
Die 1950er-Jahre waren für Egon und
Gerda Ziegler, die zweite Generation, schwierige Jahre. Erst das Wirtschaftswunder und die Reisewelle
Mitte der 1960er-Jahre brachten den
Aufschwung zurück. Dieser kam auch
in der Bildsprache zum Ausdruck:
Egon Ziegler war ein Pionier für Farbaufnahmen – Farbporträts, bunte Fa-
Christian Ziegler bringt frischen Wind in
die Fotografie für eine Kodak-Broschüre.
Mehr Bewegung und Farbe
In den 70er-Jahren stand dann die
dritte Generation in den Startlöchern:
Der heute 58-jährige Sohn Christian
besuchte die Meisterklasse der „Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie“, eine der besten Fachschulen
Deutschlands, wobei er die Bildspra-
Bilder von Gerda und Egon Ziegler der 40er- bis 70er-Jahre: Wertinger Studioaufnahme, Deutsches Museum, Modeaufnahme bei BMW.
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Der Multimediaexperte Jonas Ziegler ist im digitalen Zeitalter groß geworden mit regionalen und internationalen Aufträgen.
Fotos: © Christian und Jonas Ziegler; Bärbel Schoen
Die Bandbreite des Angebots eines
Fotografen heutzutage ist enorm.
Vom Passbild bis zum Werbeauftritt
sind bei Foto Zolleis Spezialisten am
Werk, im Raum Schwaben wohl einzigartig. So rasant wie die heutige
Zeit, so rasend schnell sind die Fotoergebnisse. Von der Aufnahme bis
zum gedruckten Bild vergehen oft
nur Stunden.
Hochauflösende Bilder und
ausgeklügelte Lichttechnik
hochschule in Kiel. Auf seinen Expeditionen in die Arktis und Antarktis
hat er auch gelernt, unter schwierigsten Bedingungen zu arbeiten. Im
Großraumstudio in Geratshofen entstehen neben kompletten visuellen
Konzepten, aufwändigen Werbeaufnahmen und 360°-Webanimationen
auch multimediale Produkte wie Internetseiten, Druckmedien oder Messepräsentationen. Der Kundenkreis ist
inzwischen weit über die Region hinausgewachsen, sogar internationale
Aufträge bringen Wertinger Fotos
weltweit in Umlauf.
Auch wenn heute die Fototechnik
noch aufwändiger und kurzlebiger
geworden ist, die Handhabung wurde
um ein Vielfaches einfacher. „Mein
Urgroßvater würde sicher sehr staunen“, sagt Jonas Ziegler während einer
Fotosession in Isa’s Café. Große Koffer und Kisten voller Technik, ein
Lichtformer mit 2,20 Metern Durchmesser, Scheinwerfer sowie hochauflösende Digitalrückteile bis 80 Megapixel gehören zu seiner Ausrüstung.
Der 32-Jährige ist die vierte Fotografengeneration der Familie. Seit fünf
Jahren entstehen in seinem Studio in
der Hettlinger Straße auf 600 Quadratmetern Fläche große Kulissen und
Fotosets für Werbefotografien. Daneben zählt auch das Metier Film zu den
Spezialgebieten des jungen „Lichtmalers“. Studiert hat er an der Medien-
Vater und Sohn – Christian und Jonas Ziegler knüpfen an die Arbeit ihrer Vorfahren an.
che dem jeweiligen Zeitgeist anzupassen wusste. An die 80er-Jahre erinnert
er sich noch gut: „Wir lösten die klassische Porträtfotografie à la Rembrandt
mit Graffiti und Breakdance ab.“ In
die einst statischen Bilder kam mehr
Bewegung und Farbe. Um die Jahrtausendwende hatte er mit dem Wechsel
von der analogen zur digitalen Fotografie einen der wichtigsten Schritte in
der Geschichte der Fotografie zu meistern.
Der Lichtbildner von damals war
Künstler, Chemiker und Allrounder
in einem. Heute muss er auch ein
Multimedia-Experte sein.
bs
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