Prof. Dr. Olaf Kühne: Landschaft und Netzausbau

Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne
Landschaft und Netzausbau - zwischen
Heimatempfinden und
ästhetischen Erwartungen
Gliederung
• Einführung
• Ästhetik – einige Grundzüge
• Die Vielfalt des Begriffs ‚Landschaft‘
• Landschaft und Energiewende
• Konsequenzen
2
3
Landschaft
85,5%
Gesundheit
82,2%
in Prozent
Naturschutz
57,8%
ökonomische Gründe
53,3%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Argumente der Bürgerinitiativen gegen den Netzausbau (n = 90)
Kühne, O. et al. (2015): Analyse des öffentlichen Diskurses zu gesundheitlichen Auswirkungen von Hochspannungsleitungen –
Handlungsempfehlungen für die strahlenschutzbezogene Kommunikation beim Stromnetzausbau. Arbeitsbericht zum ersten
4
Arbeitspaket. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz. Freising. (unveröffentlichtes Manuskript).
Argumente um ,Landschaft‘ und Ästhetik
• ,Verbundenheit zur Landschaft‘, ,Zerschneidung der Landschaft‘,
,Verschandelung unserer Landschaft‘
• Anblick, reizvolle Gegend, ästhetische Form, schönes Bild
Kühne, O. et al. (2015): Analyse
des öffentlichen Diskurses zu
gesundheitlichen Auswirkungen
von Hochspannungsleitungen –
Handlungsempfehlungen für die
strahlenschutzbezogene
Kommunikation beim
Stromnetzausbau. Arbeitsbericht
zum ersten Arbeitspaket. Studie
im Auftrag des Bundesamtes für
Strahlenschutz. Freising.
(unveröffentlichtes Manuskript).
Ästhetik – einige Grundzüge
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„Ästhetische Erfahrung erscheint als eine Weise, sich in
der Welt zu orientieren“ (Küpper/Menke 2003: 9)
„Die Geschichte der Ästhetik besteht aus einer ständigen
Uminterpretation des Schönheitsbegriffs. Es gibt zur
Bestimmung des Schönen nicht einen
Orientierungspunkt, der auf allseitige und allzeitliche
Akzeptanz hoffen darf und von dem nicht mit gleichem
Recht das Gegenteil behauptet werden könnte“
(Borgeest 1977: 100).
Küpper, J./Menke, C. (2003): Einleitung. In: Küpper, J./Menke, C. (Hg.): Dimensionen ästhetischer Erfahrung. Frankfurt
a.M., 7-15.
Borgeest, C. (1977): Das sogenannte Schöne. Ästhetische Sozialschranken. Frankfurt am Main
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Wesentliche Traditionslinien der Ästhetik
Objektorientierung – Subjektorientierung
Schön – hässlich – pittoresk – erhaben
Kunstästhetik – Naturästhetik
Rationalität – Sinnlichkeit/Emotion
Hochkultur (Kunst) – Trivialkultur (Kitsch)
Kühne, O. (2013): Landschaftstheorie und Landschaftspraxis. Eine Einführung aus sozialkonstruktivistischer Perspektive. Wiesbaden.
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Die Vielfalt des Begriffs
‚Landschaft‘
9
10
Die drei Dimensionen des Landschaftsbewusstseins in ihrer
Funktion als Deutungssysteme für die private und öffentliche
Kommunikation (graphisch verändert aus: Ipsen 2006)
Leicht verändert nach: Ipsen, D. (2006): Ort und Landschaft. Wiesbaden.
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Die primäre Landschaftssozialisation gliedert
sich in
a) die heimatliche Normallandschaft
b) die stereotype Landschaft
Die heimatliche Normallandschaft muss nicht
(stereotyp) schön, sondern vertraut sein.
Die Veränderung heimatlicher
Normallandschaft wird vielfach als
Heimatverlust rekonstruiert.
Aber: Heimatliche Normallandschaft unterliegt
einem intergenerationellen Wandel.
Kühne, O. / Spellerberg, A. (2010): Heimat und Heimatbewusstsein in Zeiten erhöhter Flexibilitätsanforderungen. Empirische Studien im Saarland.
Wiesbaden.
Quelle unteres Bild: http://images.artnet.com/WebServices/picture.aspx?date=20071010&catalog=124798&gallery=110998&lot=00166&filetype=2
12
75%
69,7%
67,4%
65,1%
70%
65%
60%
57,1%
57,1%
55%
50%
47,5%
43,6%
45%
40%
38,8%
38,0%
35%
29,5%
30%
29,5%
25,8%
25%
21,4%
15%
10%
5%
0%
13,4%
16,9%
14,3%
14,4%
11,5%
10,6%
9,3%
7,1%
6,1%
6,0%
4,7%
4,3%
2,9% 2,3%2,8%
0,0%0,9%
0,0%
hässlich
25,8%
20,9%
20%
natürlich
traditionell
unter 15
modern
16 bis 25
Anteile der Antworthäufigkeiten
auf die geschlossene Frage in
Bezug auf eine Abbildung, die
einen Park im Stile eines
Englischen Gartens darstellt,
"Wie würden Sie den oben
dargestellten Wald
charakterisieren?„
bis zur drei Antworten waren
möglich, Auswertung nach
Alterskohorten, n = 1.546
18,4%
18,3% 19,2%
16,3%
13,5% 14,3%
7,1%
interessant romantisch
26 bis 45
46 bis 65
schön
über 65
ordentlich
Kühne, O. (2014): Die
intergenerationell differenzierte
Konstruktion von Landschaft. In:
Naturschutz und Landschaftsplanung
46, H. 10, 297-302.
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Landschaft und Energiewende
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Die zur Beurteilung von Landschaft vorgelegten Fotos einer Gaulandschaft (a),
einer Industrielandschaft (b), einer Waldlandschaft (c) und einer Offenlandschaft
mit Windkraftanlagen (d).
15
anderes
18
13
A nteil in %
0,9
0,0
67,3
1,3
22,0
4,0
2,9
Indus tr ie lands chaft
Zahl der Nennungen
14
228
0
9
119
62
15
A nteil in %
3,1
50,1
0,0
2,0
26,2
13,6
3,3
Waldlands chaft
0
1
264
38
69
51
24
0,0
0,2
58,0
8,4
15,2
11,2
5,3
181
152
2
32
1
45
27
39,8
33,4
0,4
7,0
0,2
9,9
5,9
Zahl der Nennungen
A nteil in %
Offe nlands chaft
Zahl der Nennungen
m it Windk r aftanlage n A nteil in %
8
Summe
interessant
100
weiß nicht /
k. A.
traditionell
6
nichtssagend
306
schön
0
Zahl der Nennungen
hässlich
4
modern
Gaulands chaft
455
1,8 100,0
8
455
1,8 100,0
8
455
1,8 100,0
15
455
3,3 100,0
Relative und absolute Häufigkeiten der Angabe der Charakterisierung der abgebildeten
Landschaften.
Kühne, O. (2006): Landschaft in der Postmoderne. Das Beispiel des Saarlandes. Wiesbaden.
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In Internetbildern dargestellte
landschaftliche Elemente in
Prozent (n = 120, Tag des Zugriffs:
7.7.2014).
Chilla, T./Kühne, O. (2016): Regionalentwicklung. Stuttgart.
(in Druckvorbereitung)
Landflächen
Himmel
Wolken
Wiese/Weide
einzelne Bäume/Sträucher
Hügel
Wald
Berg/Berge
Felsen
Sonne
Stehendes Gewässer
einzelne/s Gebäude
Weg/Wege
Acker
fließendes Gewässer
Zaun/Zäune
Strand
Insel/Inseln
kleine Siedlung
Menschen
Tiere
Sitzbank/Sitzbänke
Brücke
Hochspannungsleitungen
größere Siedlung
Totholz
Steg
Windkraftanlagen
99,2
96,7
80,8
73,3
65,8
57,5
56,7
32,5
29,2
28,3
27,5
20,8
20,8
17,5
12,5
8,3
7,5
4,2
4,2
3,3
3,3
2,5
2,5
2,5
2,5
1,7
1,7
0,8
17
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0
Materielle Elemente bzw.
deren Zusammenschauen,
die von den Studierenden
der Fakultät
Landschaftsarchitektur auf
die offene Frage „Was ist
Landschaft?“ als Teil von
Landschaft genannt
wurden (n = 255)
Industrie
1,2
Rohstoffabbau
1,2
Moor
1,2
Brache
1,2
Garten
2,0
Windkraftanlagen/Freileitungen
2,4
Boden
5,1
Straßen/Wege
5,5
Heimat
7,1
Klima
6,7
grün
7,1
Feld
8,6
Gewässer
11,8
Wiese
13,7
Lebensraum
15,4
Häuser/Gebäude
15,7
Wald
16,5
Relief/Berge
16,9
Tiere/Fauna
16,9
Pflanzen/Flora/Vegetation
Kühne, O. (2015): Das studentische Verständnis von
Landschaft – Ergebnisse einer qualitativen und
quantitativen Studie bei Studierenden der Fakultät
Landschaftsarchitektur der Hochschule
Weihenstephan-Triesdorf. In: MORPHĒ 1., 50-59.
www.hswt.de/fkla-morphe
24,3
Mensch(en)
32,2
Siedlung/Stadt/Dorf
46,3
Raum/Freiraum
53,3
Natur
63,9
0,0
10,0
20,0
30,0
40,0
50,0
60,0
70,0
18
Landschaftsgeographie
Landschaft/Kulturlandschaft wird verstanden als…
…ganzheitlicher Gestaltungskomplex
…ideographisches Konzept zur Erfassung räumlicher Zusammenhänge
Heimatschutzbewegung
…materielles Ergebnis einer gelungenen Synthese von Natur und Kultur
Denkmalpflege und Historische
Geographie
Landschaftsplanung und
Naturschutz
Agrarwissenschaft und -politik
Raumplanung
Aktuelle sozialwissenschatliche
Forschung
…Träger historischer Überlieferungen/historischen Erbes
…materielles Substrat von Heimat
…Komplex aufeinander bezogener Elemente, die von historischen
Landsnutzungen zeugen
…Träger materieller geschichtlicher Relikte
…Ökosystem
…schöner und von Eigenart geprägter Raum, dieser entspricht einem
vormodernen ländlichen Ideal
…agrarisch genutzer, d.h. unter 'Kultur' stehender Raum
…Ergebnis landwirtschaftlicher Tätigkeit
…Schutzgut
…weicher Standortfaktor
…Handlungsraum für eine integrierte Regionalentwicklung
…subjektives bzw. soziales Konstrukt
…symbolische und materielle Umwelt
…Austragungsarena gesellschaftlicher Machtinteressen
Unterschiede der Bedeutung von Landschaft in verschiedenen Kontexten
Leicht verändert aus: Gailing, L. (2014): Kulturlandschaftspolitik. Die gesellschaftliche Konstituierung von
Kulturlandschaft durch Institutionen und Governance. Detmold.
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Hochfrequente Worte im Zwischenbericht zum Dialogverfahren zur 380kVWestküstenleitung. Grafik auf Grundlage von DUH 2013 als Textdatei, erstellt
mit www.wordle.net.
20
Konfliktbaum:
Netzausbau
Kühne, O. et al. (2015): Analyse des
öffentlichen Diskurses zu
gesundheitlichen Auswirkungen von
Hochspannungsleitungen –
Handlungsempfehlungen für die
strahlenschutzbezogene
Kommunikation beim
Stromnetzausbau. Arbeitsbericht
zum ersten Arbeitspaket. Studie im
Auftrag des Bundesamtes für
Strahlenschutz. Freising.
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(unveröffentlichtes Manuskript).
Technische Umsetzung
87,3
Räumliche Planung
60,0
Wirtschaft
58,2
Öffentlichkeitsbeteiligung/Akzepta…
43,6
Politik
43,6
Versorgungssicherheit
41,8
Energiewende
41,8
Differenz Produktion-Verbrauch…
30,9
Ästhetik
Behandelte Themen der
untersuchten
Internetvideos zum
Netzausbau
in den Videos werden in der
Regel mehrere Themen
behandelt; Angaben in
Prozent (n = 55)
30,9
Kulturlandschaft
20,0
EEG
16,4
Naturschutz
12,7
Europäische Netzintegration
10,9
Gesundheit
9,1
Klimawandel
7,3
0,0
20,0
40,0
60,0
80,0
100,0
Kühne, O./Weber, F. (2015): Der Energienetzausbau in
Internetvideos – eine quantitativ ausgerichtete
diskurstheoretisch orientierte Analyse. In: Kost,
S./Schönwald, A. (Hg.): Landschaftswandel – Wandel
von Machtstrukturen. Wiesbaden: Springer VS, 113126.
22
Konsequenzen
23
• Starke Unterschiede in der Kommunikation von Experten
und Laien über das Thema.
• Landschaftliche Perspektive kann eine Schlüsselrolle im
Umgang mit Raum, hier im Kontext Energiewende,
einnehmen (Hesse 2012).
• Sie ermöglicht einen Zugang zu materiellen, sozialen und
individuellen Entwicklungen und Zusammenhängen.
• Sie ermöglicht die Integration ästhetischer und emotionaler
Zugänge zu räumlichen Arrangements.
• Bezug der ästhetischen Betrachtung auch auf Erhabenheit,
nicht nur auf Schönheit.
• Dennoch: Heimatliche Normallandschaft als Symbol für
Dauerhaftigkeit, Pol der Ruhe…
…bei gleichzeitig intergenerationeller Veränderlichkeit
der Zuschreibungen.
Hesse, M. (2012): Suburbaner Raum – Annäherungen an Gegenstand, Inhalte und Bedeutungszuweisungen. In: Schenk, W. /
Kühn, M. / Leibenath, M. / Tzschaschel, S. (Hg.): Suburbane Räume als Kulturlandschaften. Hannover, 13-24.
24
Aus: Kühne, O./Franke, U. (2010): Romantische Landschaft. Impulse zur Wiederentdeckung der Romantik in der Landschafts- und
Siedlungsgestaltung in der norddeutschen Kulturlandschaft. Ein Plädoyer. Schwerin.
© O. Kühne
25
„Values are as unstable as the forms of clouds“ (Dewey 1958: 399).
Dewey, J. (1958): Experience and nature. New York.
26
© Prof. Dr. Dr. O. Kühne
© O. Kühne
27