Das Geld liegt brach

Das Geld liegt brach
TA 2015-11-09
Hunderte von Millionen Franken horten Zürcher Stiftungen und Genossenschaften, um billige Wohnungen
zu bauen. Dennoch finden sie kein zahlbares Land dafür. Kritiker fordern eine Investitionsoffensive.
Beat Metzler
Sie ist superreich und gleichzeitig mausarm. Die Stiftung für günstige Wohnund Gewerberäume PWG besitzt
1522 Wohnungen und hat 140 Millionen
Franken Eigenkapital. Trotzdem kann
sie sich in Zürich kaum ein Haus leisten.
Dieses Jahr bemühte sie sich um über
70 Liegenschaften. Eine davon hat sie
gekauft. Bei allen anderen musste sie
passen. Zu teuer.
Ein Beispiel. 2014 bewarb sich die
PWG um ein Haus an der Klingenstrasse.
Ihr Angebot: 3,85 Millionen Franken.
Den Zuschlag bekam Anleger Peter Sander. Wie viel mehr er zahlte, ist nicht bekannt. Sander, der derzeit wegen Verdachts auf Wucher in Untersuchungshaft sitzt, kündigte den Mietern, verkleinerte einige Wohnungen. Nun vergibt er
die Zimmer einzeln. Bei einem Kauf
durch die PWG hätten alle Bewohner zur
gleichen Miete bleiben können.
Ähnliche Schwierigkeiten wie die
PWG erwarten auch die neue städtische
Stiftung Bezök, die «bezahlbare und
ökologische» Wohnungen erstellen soll.
80 Millionen Franken haben ihr die
Stimmbürger vor zwei Jahren zugesprochen. Von diesem Geld hat sie noch keinen Rappen fürs Wohnen ausgegeben.
Der Stiftungsrat ist seit gut einem Jahr
aktiv, Ende Jahr will er eine Anlagestrategie ausgearbeitet haben. Man prüfe
etwa einen städtischen Boden hinter
dem Bucheggplatz, sagt Patrick Pons,
Sprecher des Finanzdepartements.
Keinen Rappen ausgegeben
Auch die Genossenschaften haben
Mühe, zu wachsen. Der Regionalverband Zürich beschäftigt drei Spezialisten, die nach Böden Ausschau halten.
Rund 40 Genossenschaften interessierten sich für dieses Angebot, sagt Andreas Gysi, Leiter Immobilienentwicklung und Akquisition. Letztes Jahr
konnte sein Team in Zürich Platz für
156 Wohnungen vermitteln. 150 davon
erstellt die Genossenschaft BEP auf einem Areal in der Manegg, das sie einer
Druckerei abgekauft hat. Der Wogeno
vermittelte der Verband ein Haus an der
Köchlistrasse im Kreis 4. «Das Bedürfnis
der Genossenschaften übersteigt in Zürich das Angebot bei weitem», sagt Gysi.
Teilweise bemühen sich mehrere Genossenschaften oder Stiftungen um die gleichen Grundstücke.
Die Situation scheint absurd: In Zürich liegen Hunderte von Millionen
Franken ungebraucht herum; Millionen,
die dazu da wären, günstige Wohnungen
zu sichern. Dies entspricht dem Willen
der Stadtzürcher Bevölkerung. Über
drei Viertel der Stimmbürger verlangten
2011, den Anteil an gemeinnützigen
Wohnungen bis 2050 auf ein Drittel zu
erhöhen. Dazu kommt: Die Genossenschaften sind derzeit so beliebt, dass die
meisten ihre Wartelisten wegen des
Grossansturms schliessen mussten.
Überkaufter Markt. So heisst der
Fachausdruck für die Situation. Zürcher
Boden verspricht sichere, langfristige
Renditen. Alle wollen ihn haben. Doch
Pensionskassen und kommerzielle Anleger können mehr zahlen als Stiftungen
und Genossenschaften. Diese hätten genug Geld zum Mitbieten. Doch um die
Kaufpreise wieder hereinzuholen, müssten sie sehr hohe Mieten verlangen. Das
widerspricht ihren Grundsätzen. «Wir
zahlen gut. Trotzdem sind wir auf Verkäufer angewiesen, die nicht den vollen
Wer in der Stadt kein Land findet, sucht in der Region. Im Bild Kraftwerk 4 auf dem Zwicky-Areal in Wallisellen. Foto: Thomas Egli
Marktpreis verlangen», sagt Kornel
Ringli, Sprecher der Stiftung PWG.
Die PWG wüsste, wie sie ihre Chance
vergrössern könnte: mit billigem Geld.
«Wegen der tiefen Zinsen bekommt die
Stadt Zürich Kapital praktisch zum Nulltarif», sagt Daniel Meier, PWG-Stiftungsrat und früherer CVP-Gemeinderat. Die
PWG dagegen muss bei Bankkrediten
mit mindestens 1,5 Prozent Zins rechnen. «Die Stadt sollte für die PWG Geld
aufnehmen», sagt Meier. Dank dem Gewinn, den die PWG durch den tieferen
Zinssatz erhielte, könnte sie in Bietverfahren länger mithalten. «So hätten wir
2015 fünf Häuser mehr kaufen können.»
Diese Strategie wäre mit «null Risiko»
verbunden, sagt Meier. Die PWG stehe
finanziell extrem stabil da; selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass sie wegen
einer Immobilienkrise bankrottgehe,
blieben als Gegenwert 131 Häuser. «Doch
Finanzvorsteher Daniel Leupi (Grüne)
hat unseren Vorschlag abgelehnt. Das
ärgert mich», sagt Meier. Die Bedingungen am Kapitalmarkt seien für die Stadt
Zweitwohnungen in Zürich Anzahl unbekannt
Wie viele Zweitwohnungen gibt es in der
Stadt Zürich? Das wollte die damalige
Gemeinderätin Jacqueline Badran (SP) im
Jahr 2009 vom Stadtrat wissen. Die Vermutung lautete: Immer mehr Menschen leisten
sich in Zürich eine Ferienwohnung, die sie nur
selten nutzen. Dadurch gehen der Stadt
Steuern und Wohnraum verloren.
Ob die Vermutung zutrifft, bleibt bis heute
offen. «Eine korrekte Zahl zu erheben, ist
sehr aufwendig. Bei den Tausenden von
Wohnungswechseln gibt es immer Ungenauigkeiten und Unbekannte», sagt Christina
Stücheli, Informationsbeauftragte des
Stadtrates. Die Stadt habe mehrere Anläufe
gemacht, keiner habe zu ausreichend genauen Resultaten geführt. Man verfolge die
Frage aber weiter, sagt Stücheli. Die letzte
Schätzung zum Thema stammt aus der
Volkszählung im Jahr 2000. Damals wurden
15 488 Wohnungen als zweiter Wohnsitz
genutzt, was 7,8 Prozent entsprach. (bat)
Anteil gemeinnütziger Wohnungen
hat sich in Zürich leicht erhöht
Anzahl Mietwohnungen ohne Stockwerkeigentum
Gemeinnützige Mietwohnungen im engeren Sinn*
Anteil gemeinnütziger Mietwohnungen, in %
200 000
150 000
100 000
26,0
26,0
25,8
25,8
25,9
26,7
50 000
2009
2010
2011
* Baugenossenschaften, Stadt Zürich, städtische Stiftungen
TA-Grafik mrue / Quelle: Statistische Jahrbücher der Stadt Zürich
2012
2013
2014
«nur unwesentlich besser» als für Genossenschaften, begründet Patrick Pons
die Absage. Ausserdem könne die Stadt
die PWG nicht als einzige Stiftung finanziell bevorzugen.
Hohe Mieten in Kauf nehmen
SP-Nationalrätin Jacqueline Badran hält
die Wohnbaupolitik ebenfalls für «viel zu
zögerlich». Seit längerem fordert sie eine
«schnell handelnde Landkaufstiftung»,
die Boden erwirbt und ihn an die Gemeinnützigen weitergibt. Laut Badran
müssten sich diese damit abfinden, die
jetzigen Marktpreise zu zahlen. «Am Anfang führt das zu hohen Mieten. Doch in
20 Jahren werden sie tief sein, weil sie im
Gegensatz zu Renditeobjekten nicht steigen.» Verlieren könne man dabei nichts.
«Zürcher Immobilien sind immer ein
Positivgeschäft.» Auch der Regionalverband der Genossenschaften verlangt
von der Stadt, mehr Geld für Landkauf
einzusetzen. Mit der jetzigen Politik
würden künftig 250 bis 270 neue Genossenschaftswohnungen pro Jahr entstehen, steht in einer Verbandsstudie.
Patrick Pons verweist darauf, dass die
Stadt kürzlich mehrere Grundstücke
und Häuser gekauft habe. Auch die neue
Stiftung prüfe private Angebote. Aber
wenn ihr die Stadt nicht mit eigenen
Böden aushelfe, könne die Bezök ihren
Auftrag kaum umsetzen. Allgemein beurteilt die Stadtregierung die Situation
positiver. «In den letzten fünf Jahren
wurden 2500 neue gemeinnützige Wohnungen erstellt», sagt Christina Stücheli,
Informationsbeauftragte des Stadtrats.
Der Anteil der Gemeinnützigen an allen
Mietwohnungen ist von 26 auf 26,7 Prozent gestiegen. «Diese Zahl hängt auch
von den Aktivitäten der Kommerziellen
ab, die ebenfalls intensiv waren», sagt
Stücheli. Laut Schätzungen der Stadt
entstehen in den nächsten acht Jahren
bis zu 11 000 gemeinnützige Wohnungen. Noch wichtiger als der Landkauf sei
dafür das Verdichten, da bestehe bei
den Genossenschaften einiges Potenzial.