11-2015 Sechs Sterne #heimat - Markus

Handwerk
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AUTOREN: Uli Kammerer, Anna Agüera, FOTOS: Michael Bode
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6 Sterne für
ein HallelUja!
Der König ist tot. Es lebe der König. Industriell gefertigte Durschnittsbiere sind out. Gefragt ist
Genuss mit Charakter. Die Offenburger Kleinstbrauerei Markus Bräu liegt damit voll im Trend
In der Craft Beer-Szene ist die Ortenau ein noch relativ unbeschriebenes Blatt. Das sagt zumindest Martin
Dambach. Und der muss es wissen. Denn mit Bier
kennt er sich aus. Insbesondere mit handwerklich gebrautem Bier: Craft Beer. In seinem Geschäft in Gärtringen bei Stuttgart verkauft er ständig wechselnde
Bierspezialitäten von internationalen Kleinstbrauereien.
Auf seiner „Craftbier Map“ hat er ganz Deutschland
kartografiert. Die dicht besiedelten Metropolregionen
des Landes sind die großen Vorreiter des noch jungen
Craft Beer-Trends. Erstaunlich, denn das Bierbrauen
ist doch eine so uralte und gleichsam urdeutsche
Kunst – die im Lauf der Jahrzehnte als traditionelles Handwerk allerdings immer mehr an Bedeutung
verlor. Wie konnte das passieren?
Oktober 2015: Elefantenhochzeit. Anheuser-Busch
InBev schluckt SABMiller. Der Weltmarktführer übernimmt den Branchenzweiten – für fast 100 Milliarden
Euro. Es ist nur der spektakuläre Höhepunkt einer
Entwicklung aus der riesige, multinationale Brauereikonzerne erwachsen sind. Bereits vor der Übernahme
kontrollierten die vier größten die Hälfte des Marktes.
Schätzungen zufolge wird in Zukunft jedes dritte Bier
vom selben Konzern ausgeliefert werden. Der weltweite
Bierabsatz sinkt, die Konzentration nimmt zu – auch
in Deutschland. Wie nie zuvor geben Spitzenmanager
den Takt vor. Was für sie zählt, ist die Marge. Das
bedeutet: in möglichst kurzer Zeit möglichst viel
Bier produzieren, das möglichst vielen Menschen
halbwegs schmeckt.
Das heutige Durchschnittsbier wird in riesigen Produktionshallen so lange verarbeitet, bis es als rundum
durchdesigntes Industrieprodukt den in aufwändigen
Studien perfekt ausbalancierten Idealgeschmack­
geschmack der Zielgruppe trifft. Mittelmaß als
Massenware. Die bekannten Markenbiere gleichen
sich heute wie ein Ei dem anderen. Große Privatbrauereien gibt es nur noch wenige. Handwerklich zu
brauen gilt als unrentabel: der Aufwand zu groß, die
Gewinnspanne zu klein, der Anfang vom Ende. So
dachte man zumindest. Bis vor wenigen Jahren der
Craft Beer-Trend aus den USA auch nach Deutschland überschwappte. Branchenstudien zufolge lag sein
Marktanteil in den Vereinigten Staaten 2014 bereits
bei elf Prozent. Tendenz steigend. Qualität statt Masse. Der Zeitgeist hat jetzt auch die Ortenau erreicht.
Endlich. Halleluja!
„Die Mainstream-Biere sind tot. Unser Bier dagegen
lebt,“ setzt der Offenburger Craft Beer-Pionier Markus Kühnhanss der zweifelhaften Entwicklung in der
Was ist eigentlich Craft Beer?
>
Craft ist Englisch und bedeutet
Handwerk. Craft Beer ist also
handwerklich gebrautes Bier. Eine
genauere Definition gibt es nicht.
Die Craft Beer-Szene entstand in
den 70er Jahren in den USA als
Gegenbewegung zur Massenproduktion. Craft Beer-Brauer gelten als
experimentierfreudig. Sie legen wert
auf hochwertige Zutaten und den
außergewöhnlichen Charakter ihres
Endprodukts. In Deutschland hat
sich mittlerweile eine vitale Szene
entwickelt – durch ihren Erfolg interessieren sich zunehmend auch die
großen Brauereien für das Thema.
Heiß auf
Hop fen
seit 28 Jahren lebt der gebütiger schweizer markus
Kühnhanss bereits in der
ortenau. 2010 setzte er seinen
lang gehegten traum in die
tat um, kaufte ein haus in der
offenburger nordwest-stadt
und baute das untegreschoss
zum eigenen braukeller
aus. seitdem produziert und
verkauft er unter dem namen
markus bräu seine eigenen
craft-beer-Kreationen. hopfen
und malz bezieht Kühnhanss
überwiegend aus der region.
Die sterne im markus bräulogo symbolisieren Kühnhanss
heimat, das Wallis.
markus Kühnhanss schnuppert mit
genuss an seinen frischen hopfendolden. ihre sorte bestimmt den bittergrad und das aroma eines bieres.
rund 97% des weltweiten hopfens
werden in Pellets weiterverarbeitet.
Handwerk
> Bierindustrie halb stolz, halb trot-
zig entgegen. Und das meint der
Mittfünziger sprichwörtlich. Denn
industrielle Brauereien filtern und
pasteurisieren ihre Produkte so
lange bis alle Mikroorganismen
abgetötet sind. Die Crux: Genau
sie sorgen für den unverwechselbaren Charakter eines Bieres – dafür,
dass es sich geschmacklich entwickeln kann wie guter Wein.
Kühnhanss lässt sein Bier reifen.
Unter dem Label Markus Bräu
experimentiert er im heimischen
Keller seit fünf Jahren mit Hopfen, Malz, Hefe und Wasser. Heraus
kommen einzigartige Spezialbiere,
die er in kleiner Auflage persönlich
braut, abfüllt und verkauft. Er, der
hauptberufliche Unternehmensund Personalberater, ist nicht auf
die ganz großen Gewinne aus. Das
Brauen ist seine Leidenschaft, die
er jedoch zunehmend professionalisiert. In diesem Jahr tüftelte er an
einer exklusiven Sonderedition, die
heute die gute Küche des Hotel
Ritter Durbach gebührend ergänzt.
„Am Anfang war alles kompletter
Mist. Zum Schluss wurde dann
aber doch noch Bier draus“, erklärt Kühnhanss mit zufriedenem
Lächeln.
Der Mann hat den Schalk im
Nacken. Kühnhanss scherzt und
lacht während er den komplexen
Brauvorgang erklärt. Immer wieder
linst er dabei mit wachem Blick
Im Braukeller: Das Bier wird mit solch hohem Druck durch die Abfüllanlage
(links) gejagt, dass sie mit Glas und Gitter gesichert werden muss.
zur Seite, um zu beobachten wie
Alexander Wiedemer beim Abfüllen voran kommt. Der studierte
Brauereitechnologe ist ein wahrer
Wissenschaftler der Braukunst.
Die komplexen chemischen und
physikalischen Vorgänge weiß er
bis ins kleinste Detail bildhaft zu
veranschaulichen.
Als sich die sedimentierte Hefe
erneut mit dem eigentlich schon
fertigen Gebräu vermischt, beruhigt er mit erstaunlich einfacher
Klarheit: „Die Hefe ist sicher. Immer ganz ruhig bleiben. Sie setzt
sich wieder ab. Pure Physik!“.
Schon schnappt er sich die nächste
dunkelbraune Literflasche im Retro-Design und füllt mit lautem
Spritzen und Sprudeln den frisch
gebrauten Gerstensaft ab.
Spontan kommt der Zell-Weierbacher Hobby-Hopfenbauer Ingo
Dregger mit einigen frisch duftenden Dolden aus der heimischen
Züchtung vorbei. „Ein schöner
Strauß von einem netten jungen
Mann“, freut sich Kühnhanss mit
verschmitzt blitzenden Augen wie
ein kleiner Junge am ersten Schultag. Das ist wahre Leidenschaft!
Mit Markus Bräu ist die Craft
Beer-Szene endgültig angekommen.
Und die Ortenau ist kein weißer
Fleck mehr auf der „Craftbier
Map“. Halleluja!
1/4 quer Satzspiegelgröße: 180 x 54 mm
#
„Es hett solang‘s Hett“
Im heimeligen Keller von Markus
Kühnhanss sind bisher dreizehn
Craft Beer-Sorten entstanden. Das
ständig wechselnde Sortiment von
Markus Bräu richtet er konsequent
nach der Jahreszeit aus. Aktuell hat
Kühnhanss fünf Biere auf Lager.
Sein momentaner Favorit: Das sechs
Wochen gereifte „Festbier“. Es besteht aus vier verschiedenen Malzen,
Tettnanger Aroma- und Bitterhopfen
sowie gutem Offenburger Trinkwasser. Weil Kühnhanss nur in kleinen
Mengen braut, gilt wie immer: Wer
zuerst kommt, mahlt zuerst.
Tipp: Markus Kühnhannss gibt
sein Wissen gern weiter, er bietet
Bierproben und Seminare an, bei
denen Gruppen ihr ganz eigenes
Craft Beer brauen können
Simcoe
Cascade
Der amerikanische Aromahopfen
Cascade besticht durch seine Grapefruitnote. Mit 2679 ha (Stand 2014)
nimmt Cascade nicht nur den ersten
Platz in Sachen Anbaufläche ein – er
ist der wichtigste Aromahopfen überhaupt. Inzwischen wird dieser Hopfen
auch in Deutschland angebaut, wobei
sein Geschmack hier eher in Richtung
Birne und Quitte geht. Die süddeutsche
Brauerei Camba Bavaria verwendet
Cascade in ihrem Bier Ei Pi Ai.
In der Craft Beer-Szene ist die amerikanische Hopfensorte Simcoe sehr beliebt. Neben Waldbeeren-, Ananas- und
Maracuja-note verleiht dieser Hopfen
dem Bier ein harziges, waldiges Aroma. Gemeinsam mit den Hopfensorten
Hallertauer Opal und Hallertauer Perle
wird Simcoe in der Riegele BierManufaktur für das kastanienbraune Bier
Simco 3 kombiniert.
Herkules
Herkules wurde im bayrischen
Hopfenzentrum Hüll gezüchtet und
zeichnet sich durch ein würziges,
kraftvolles Aroma aus. Damit eignet er sich sehr gut für Lagerbier.
Mit 4152 ha nimmt der HerkulesHopfen mit Abstand die größte
Anbaufläche in Deutschland ein.
Fuggles
Die Dolden des Fuggles sind besonders kräftig
und groß. Benannt nach ihrem englischen Züchter
Richard Fuggle kam dieser Hopfen bereits 1875
auf den Markt. Fuggles schmeckt nach Sellerie,
grünem Tee und Heu. Wegen diesem Geschmack
ist der Hopfen besonders beim Brauen von traditionellen englischen Biersorten beliebt.
Polaris
HOpfenkunde
Der Bitterhopfen Polaris lässt
das Bier erfrischend fruchtig
schmecken und erinnert an ein
Gletschereisbonbon. Polaris
findet sich zum Beispiel in den
Bier SHIPA Polaris der Hamburger
Brauerei Kehrwieder wieder.
Craft beer-Brauer setzen auf die Vielfalt des Hopfens.
Bei 200 verschiedenen Sorten kann man schnell mal
den Überblick – daher erklären wir jetzt die wichtigsten
Hallertauer Tradition
Beim Bitterhopfen Hallertauer Tradition sorgt ein
würziges, citrusartiges Aroma für eine milde und
harmonische Intensität des Biers. Die Hopfensorte
ist bekannt für ihre guten Anbaueigenschaften
bei hohem Ertrag und ihrer Widerstandfähigkeit
gegenüber Krankheiten.
Hallertauer Magnum
Hallertauer Magnum ist ein Bitterhopfen.
Neben einer fruchtigen und süßlichen Note
ist ein harziges, nach Kräutern schmeckendes Aroma charakteristisch. Der Hopfen ist
deshalb bei Anbauern so beliebt, weil er mit
2000kg/ha einen hohen Ertrag einbringt.
Darüberhinaus ist der Hallertauer Magnum
gegen Krankheiten sehr resistent.
Sorachi Ace
Perle
Die Hopfenforschung in Hüll spielt
eine wichtige Rolle in der deutschen
Craft Beer-Szene. Auch die Aromasorte Perle wurde hier herangezüchtet. Seit 1978 ist die Sorte auf dem
Markt zugelassen. Erst in den 90er
Jahren jedoch gewann dieser Hopfen
an Bedeutung. Perle ist an seinem
blumigen, würzigen und etwas
süßlichen Aroma zu erkennen.
# heimaT – Der Genussbotschafter Für die OrtenAU
Wie der Namen schon vermuten lässt, wurde
Sorachi Ace in Japan gezüchtet. Neben einem
fruchtigen und würzigen Aroma macht der
Sorachi Ace das Bier sehr bitter. Deshalb wird
er oft mit anderen Sorten kombiniert. So auch
im Blast! Ale, einem Bier aus der Brooklyn
Brewery. Dieses wird aus insgesamt zehn
verschiedenen Hopfensorten gebraut.
Mandarina Bavaria
Kreuzt man die Sorten Hüll und Cacade miteinander entsteht ein neuer Hopfen, der Mandarina
Bavaria. Sein süßliches und fruchtiges Aroma
erinnert an eine Zitrusfrucht. Mandarina Bavaria
ist äußerst hochwertig und deshalb für herkömmliche Groß-Brauereien zu teuer.
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