Handwerk V O AS BIE R R D AUTOREN: Uli Kammerer, Anna Agüera, FOTOS: Michael Bode N HIE 6 Sterne für ein HallelUja! Der König ist tot. Es lebe der König. Industriell gefertigte Durschnittsbiere sind out. Gefragt ist Genuss mit Charakter. Die Offenburger Kleinstbrauerei Markus Bräu liegt damit voll im Trend In der Craft Beer-Szene ist die Ortenau ein noch relativ unbeschriebenes Blatt. Das sagt zumindest Martin Dambach. Und der muss es wissen. Denn mit Bier kennt er sich aus. Insbesondere mit handwerklich gebrautem Bier: Craft Beer. In seinem Geschäft in Gärtringen bei Stuttgart verkauft er ständig wechselnde Bierspezialitäten von internationalen Kleinstbrauereien. Auf seiner „Craftbier Map“ hat er ganz Deutschland kartografiert. Die dicht besiedelten Metropolregionen des Landes sind die großen Vorreiter des noch jungen Craft Beer-Trends. Erstaunlich, denn das Bierbrauen ist doch eine so uralte und gleichsam urdeutsche Kunst – die im Lauf der Jahrzehnte als traditionelles Handwerk allerdings immer mehr an Bedeutung verlor. Wie konnte das passieren? Oktober 2015: Elefantenhochzeit. Anheuser-Busch InBev schluckt SABMiller. Der Weltmarktführer übernimmt den Branchenzweiten – für fast 100 Milliarden Euro. Es ist nur der spektakuläre Höhepunkt einer Entwicklung aus der riesige, multinationale Brauereikonzerne erwachsen sind. Bereits vor der Übernahme kontrollierten die vier größten die Hälfte des Marktes. Schätzungen zufolge wird in Zukunft jedes dritte Bier vom selben Konzern ausgeliefert werden. Der weltweite Bierabsatz sinkt, die Konzentration nimmt zu – auch in Deutschland. Wie nie zuvor geben Spitzenmanager den Takt vor. Was für sie zählt, ist die Marge. Das bedeutet: in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Bier produzieren, das möglichst vielen Menschen halbwegs schmeckt. Das heutige Durchschnittsbier wird in riesigen Produktionshallen so lange verarbeitet, bis es als rundum durchdesigntes Industrieprodukt den in aufwändigen Studien perfekt ausbalancierten Idealgeschmack geschmack der Zielgruppe trifft. Mittelmaß als Massenware. Die bekannten Markenbiere gleichen sich heute wie ein Ei dem anderen. Große Privatbrauereien gibt es nur noch wenige. Handwerklich zu brauen gilt als unrentabel: der Aufwand zu groß, die Gewinnspanne zu klein, der Anfang vom Ende. So dachte man zumindest. Bis vor wenigen Jahren der Craft Beer-Trend aus den USA auch nach Deutschland überschwappte. Branchenstudien zufolge lag sein Marktanteil in den Vereinigten Staaten 2014 bereits bei elf Prozent. Tendenz steigend. Qualität statt Masse. Der Zeitgeist hat jetzt auch die Ortenau erreicht. Endlich. Halleluja! „Die Mainstream-Biere sind tot. Unser Bier dagegen lebt,“ setzt der Offenburger Craft Beer-Pionier Markus Kühnhanss der zweifelhaften Entwicklung in der Was ist eigentlich Craft Beer? > Craft ist Englisch und bedeutet Handwerk. Craft Beer ist also handwerklich gebrautes Bier. Eine genauere Definition gibt es nicht. Die Craft Beer-Szene entstand in den 70er Jahren in den USA als Gegenbewegung zur Massenproduktion. Craft Beer-Brauer gelten als experimentierfreudig. Sie legen wert auf hochwertige Zutaten und den außergewöhnlichen Charakter ihres Endprodukts. In Deutschland hat sich mittlerweile eine vitale Szene entwickelt – durch ihren Erfolg interessieren sich zunehmend auch die großen Brauereien für das Thema. Heiß auf Hop fen seit 28 Jahren lebt der gebütiger schweizer markus Kühnhanss bereits in der ortenau. 2010 setzte er seinen lang gehegten traum in die tat um, kaufte ein haus in der offenburger nordwest-stadt und baute das untegreschoss zum eigenen braukeller aus. seitdem produziert und verkauft er unter dem namen markus bräu seine eigenen craft-beer-Kreationen. hopfen und malz bezieht Kühnhanss überwiegend aus der region. Die sterne im markus bräulogo symbolisieren Kühnhanss heimat, das Wallis. markus Kühnhanss schnuppert mit genuss an seinen frischen hopfendolden. ihre sorte bestimmt den bittergrad und das aroma eines bieres. rund 97% des weltweiten hopfens werden in Pellets weiterverarbeitet. Handwerk > Bierindustrie halb stolz, halb trot- zig entgegen. Und das meint der Mittfünziger sprichwörtlich. Denn industrielle Brauereien filtern und pasteurisieren ihre Produkte so lange bis alle Mikroorganismen abgetötet sind. Die Crux: Genau sie sorgen für den unverwechselbaren Charakter eines Bieres – dafür, dass es sich geschmacklich entwickeln kann wie guter Wein. Kühnhanss lässt sein Bier reifen. Unter dem Label Markus Bräu experimentiert er im heimischen Keller seit fünf Jahren mit Hopfen, Malz, Hefe und Wasser. Heraus kommen einzigartige Spezialbiere, die er in kleiner Auflage persönlich braut, abfüllt und verkauft. Er, der hauptberufliche Unternehmensund Personalberater, ist nicht auf die ganz großen Gewinne aus. Das Brauen ist seine Leidenschaft, die er jedoch zunehmend professionalisiert. In diesem Jahr tüftelte er an einer exklusiven Sonderedition, die heute die gute Küche des Hotel Ritter Durbach gebührend ergänzt. „Am Anfang war alles kompletter Mist. Zum Schluss wurde dann aber doch noch Bier draus“, erklärt Kühnhanss mit zufriedenem Lächeln. Der Mann hat den Schalk im Nacken. Kühnhanss scherzt und lacht während er den komplexen Brauvorgang erklärt. Immer wieder linst er dabei mit wachem Blick Im Braukeller: Das Bier wird mit solch hohem Druck durch die Abfüllanlage (links) gejagt, dass sie mit Glas und Gitter gesichert werden muss. zur Seite, um zu beobachten wie Alexander Wiedemer beim Abfüllen voran kommt. Der studierte Brauereitechnologe ist ein wahrer Wissenschaftler der Braukunst. Die komplexen chemischen und physikalischen Vorgänge weiß er bis ins kleinste Detail bildhaft zu veranschaulichen. Als sich die sedimentierte Hefe erneut mit dem eigentlich schon fertigen Gebräu vermischt, beruhigt er mit erstaunlich einfacher Klarheit: „Die Hefe ist sicher. Immer ganz ruhig bleiben. Sie setzt sich wieder ab. Pure Physik!“. Schon schnappt er sich die nächste dunkelbraune Literflasche im Retro-Design und füllt mit lautem Spritzen und Sprudeln den frisch gebrauten Gerstensaft ab. Spontan kommt der Zell-Weierbacher Hobby-Hopfenbauer Ingo Dregger mit einigen frisch duftenden Dolden aus der heimischen Züchtung vorbei. „Ein schöner Strauß von einem netten jungen Mann“, freut sich Kühnhanss mit verschmitzt blitzenden Augen wie ein kleiner Junge am ersten Schultag. Das ist wahre Leidenschaft! Mit Markus Bräu ist die Craft Beer-Szene endgültig angekommen. Und die Ortenau ist kein weißer Fleck mehr auf der „Craftbier Map“. Halleluja! 1/4 quer Satzspiegelgröße: 180 x 54 mm # „Es hett solang‘s Hett“ Im heimeligen Keller von Markus Kühnhanss sind bisher dreizehn Craft Beer-Sorten entstanden. Das ständig wechselnde Sortiment von Markus Bräu richtet er konsequent nach der Jahreszeit aus. Aktuell hat Kühnhanss fünf Biere auf Lager. Sein momentaner Favorit: Das sechs Wochen gereifte „Festbier“. Es besteht aus vier verschiedenen Malzen, Tettnanger Aroma- und Bitterhopfen sowie gutem Offenburger Trinkwasser. Weil Kühnhanss nur in kleinen Mengen braut, gilt wie immer: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Tipp: Markus Kühnhannss gibt sein Wissen gern weiter, er bietet Bierproben und Seminare an, bei denen Gruppen ihr ganz eigenes Craft Beer brauen können Simcoe Cascade Der amerikanische Aromahopfen Cascade besticht durch seine Grapefruitnote. Mit 2679 ha (Stand 2014) nimmt Cascade nicht nur den ersten Platz in Sachen Anbaufläche ein – er ist der wichtigste Aromahopfen überhaupt. Inzwischen wird dieser Hopfen auch in Deutschland angebaut, wobei sein Geschmack hier eher in Richtung Birne und Quitte geht. Die süddeutsche Brauerei Camba Bavaria verwendet Cascade in ihrem Bier Ei Pi Ai. In der Craft Beer-Szene ist die amerikanische Hopfensorte Simcoe sehr beliebt. Neben Waldbeeren-, Ananas- und Maracuja-note verleiht dieser Hopfen dem Bier ein harziges, waldiges Aroma. Gemeinsam mit den Hopfensorten Hallertauer Opal und Hallertauer Perle wird Simcoe in der Riegele BierManufaktur für das kastanienbraune Bier Simco 3 kombiniert. Herkules Herkules wurde im bayrischen Hopfenzentrum Hüll gezüchtet und zeichnet sich durch ein würziges, kraftvolles Aroma aus. Damit eignet er sich sehr gut für Lagerbier. Mit 4152 ha nimmt der HerkulesHopfen mit Abstand die größte Anbaufläche in Deutschland ein. Fuggles Die Dolden des Fuggles sind besonders kräftig und groß. Benannt nach ihrem englischen Züchter Richard Fuggle kam dieser Hopfen bereits 1875 auf den Markt. Fuggles schmeckt nach Sellerie, grünem Tee und Heu. Wegen diesem Geschmack ist der Hopfen besonders beim Brauen von traditionellen englischen Biersorten beliebt. Polaris HOpfenkunde Der Bitterhopfen Polaris lässt das Bier erfrischend fruchtig schmecken und erinnert an ein Gletschereisbonbon. Polaris findet sich zum Beispiel in den Bier SHIPA Polaris der Hamburger Brauerei Kehrwieder wieder. Craft beer-Brauer setzen auf die Vielfalt des Hopfens. Bei 200 verschiedenen Sorten kann man schnell mal den Überblick – daher erklären wir jetzt die wichtigsten Hallertauer Tradition Beim Bitterhopfen Hallertauer Tradition sorgt ein würziges, citrusartiges Aroma für eine milde und harmonische Intensität des Biers. Die Hopfensorte ist bekannt für ihre guten Anbaueigenschaften bei hohem Ertrag und ihrer Widerstandfähigkeit gegenüber Krankheiten. Hallertauer Magnum Hallertauer Magnum ist ein Bitterhopfen. Neben einer fruchtigen und süßlichen Note ist ein harziges, nach Kräutern schmeckendes Aroma charakteristisch. Der Hopfen ist deshalb bei Anbauern so beliebt, weil er mit 2000kg/ha einen hohen Ertrag einbringt. Darüberhinaus ist der Hallertauer Magnum gegen Krankheiten sehr resistent. Sorachi Ace Perle Die Hopfenforschung in Hüll spielt eine wichtige Rolle in der deutschen Craft Beer-Szene. Auch die Aromasorte Perle wurde hier herangezüchtet. Seit 1978 ist die Sorte auf dem Markt zugelassen. Erst in den 90er Jahren jedoch gewann dieser Hopfen an Bedeutung. Perle ist an seinem blumigen, würzigen und etwas süßlichen Aroma zu erkennen. # heimaT – Der Genussbotschafter Für die OrtenAU Wie der Namen schon vermuten lässt, wurde Sorachi Ace in Japan gezüchtet. Neben einem fruchtigen und würzigen Aroma macht der Sorachi Ace das Bier sehr bitter. Deshalb wird er oft mit anderen Sorten kombiniert. So auch im Blast! Ale, einem Bier aus der Brooklyn Brewery. Dieses wird aus insgesamt zehn verschiedenen Hopfensorten gebraut. Mandarina Bavaria Kreuzt man die Sorten Hüll und Cacade miteinander entsteht ein neuer Hopfen, der Mandarina Bavaria. Sein süßliches und fruchtiges Aroma erinnert an eine Zitrusfrucht. Mandarina Bavaria ist äußerst hochwertig und deshalb für herkömmliche Groß-Brauereien zu teuer. 65
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