Vortrag von Dr. Johannes Gruber

IGE!
Interessengemeinschaft Erstsprachen
Groupement d'intérêt langues premières
Comunità di interesse per le lingue prime
Sprache und Bildung in der
Migrationsgesellschaft
Dr. Johannes Gruber,
„uni von unten“ / Planet13,
Basel 8.2.16
IGE!
Interessengemeinschaft Erstsprachen
Groupement d'intérêt langues premières
Comunità di interesse per le lingue prime
Input 1: Flüchtlingskinder an der Schule
Dr. Johannes Gruber,
univonunten / Planet13,
Basel 8.2.16
Bgd / 11.01.2016
Unbegleitete minderjährige Asylsuchende in der Schweiz
(UMA)
Statistiken / Vergleichstabelle
(Zahlen, die auf das bei der Asylgesuchstellung angegebene Alter basieren)
2013
2014
2015
Total Asylsuchende
21’465
23’765
39’523
Anzahl und % der
UMA
346 (1,61 %)
795 (3,34 %)
2'736 (6,92 %)
UMA 16-17 Jahren
UMA 13-15 Jahren
UMA 8-12 Jahren
71 %
26 %
2%
69 %
27 %
2%
66 %
25 %
4%
Männlich
83,5 %
81,3 %
82,1 %
Weiblich
16,6 %
18,7 %
12,9 %
Wichtigste
Herkunftsländer
Eritrea : 59
Eritrea : 521
Eritrea : 1‘191
Afghanistan : 48
Afghanistan : 52
Afghanistan : 909
Syrien : 36
Somalia : 50
Syrien : 228
Guinea : 25
Syrien : 44
Somalia : 109
Somalia : 23
Sri Lanka : 17
Irak : 40
Marokko : 17
Guinea : 13
Äthiopien : 36
Guinea-Bissau : 12
Marokko : 11
Guinea : 30
Gambia : 11
Äthiopien : 10
Gambia : 27
Mali : 10
Tunesien : 9
Nationalität unbekannt : 19
Sri Lanka : 10
China, Gambia : 6
Sri Lanka : 18
Tunesien : 9
Albanien, Senegal : 4
China : 14
Kosovo : 6
Algerien, Belarus, Irak,
Albanien : 11
Belarus : 6
DR Kongo, Mali : 3
Pakistan, Senegal : 9
Äthiopien : 6
Nationalität unbekannt : 3
Mongolei, Nigeria : 6
Christiane Lubos: «Allein auf der Flucht»
-
Monatelange, jahrelange Flucht nach Europa,
Gewalterfahrungen und Traumatisierungen:
«Wir sind zu fünft weggegangen, in der Nacht. Zuerst in den Sudan. Das war
gefährlich, denn an der Grenze, wenn sie dich erwischen, dann schiessen sie.
Von Karthum aus habe ich meine Eltern angerufen. Sie hatten von meiner
Flucht nichts geahnt und grosse Angst um mich, aber zurück konnte ich jetzt
nicht mehr. Die Soldaten hätten mich umgebracht. Im Sudan habe ich fast ein
Jahr gelebt, zuerst im Flüchtlingscamp Shagarab. Aber auch das ist gefährlich.
Immer wieder wurden Leute entführt. Man weiss nur, dass sie in den Sinai
gebracht wurden, die einen konnten sich durch Verwandte freikaufen, die
anderen wurden umgebracht und ihre Organe verkauft… Diese Menschenjäger
kennen kein Erbarmen. Durch kleine Jobs gelang es mir zu überleben und
dann meine Fahrt nach Libyen zu bezahlen. Mitten durch die Sahara. Zehn
Tage. Fast ohne Essen, mit einem kleinen Wasserkanister. Da schüttet man ein
wenig Benzin hinein, sonst würde man vor lauter Durst den Kanister
austrinken. Mit Benzin geht das nicht…»
(aus Eritrea, über zwei Jahre auf der Flucht, heute 16 Jahre alt)
Christiane Lubos: «Allein auf der Flucht»
-
Aufnahme in der Schweiz im «Empfangs- und
Verfahrenszentrum» (EVZ) für maximal drei Monate
(keine Beschulung)
-
Ernennung einer Vertrauensperson oder eines
Beistands
-
Zuweisung in einen Kanton, grosse Unterschiede in
der Infrastruktur, 26 Modelle der Aufnahme
-
«Diese Unterschiede haben grosse Auswirkungen. Wer Glück hat, wird in
einen Kanton mit sehr guter Infrastruktur überstellt, wer Pech hat, landet als
UMA in einem Kollektivzentrum. Der Zufall bestimmt über die Art der
Unterkunfts-, Bildungs und Betreuungsmöglichkeiten und den Zugang zu
Rechtsvertretung und Beratung.»
Christiane Lubos: «Allein auf der Flucht»
Schule und Bildung
- Recht auf Bildung (u.a. UN-Kinderrechtskonvention Art.
28)
- Insbesondere ist eine grundlegende Bildung zu fördern
(UNO-Pakt 1, Art. 13)
«Der grösste Wunsch der Jugendlichen ist, eine Schule besuchen zu dürfen.
Mancher hatte früher dazu kaum eine Möglichkeit. Es gibt sogar Jugendliche,
die in der eigenen Sprache Analphabeten sind. Heute Fünfzehnjährige haben
vielleicht zwei bis drei Jahre Schule hinter sich und dann waren sie noch ein
Jahr auf der Flucht… » (Betreuer WUMA).
Christiane Lubos: «Allein auf der Flucht»
Zu Beachten ist insbesondere
-
Psychische und soziale Begleitung nötig
-
Unterricht an öffentlichen Schulen, auch über 16 Jahren
- Zugang zu weiterführenden Schulen und Berufslehre
sicherstellen
Johannes Gruber: «Lernen in Ungewissheit»
Jonas Abplanalp: «Grenzerfahrung»
- Unterbringung im Kanton Zürich im UMA-Zentrum Lilienberg,
Affoltern am Albis, 70 bis 90 Plätze, integrierte Beschulung
- Aus Überlastungsgründen Unterbringung in Asylzentren für
Erwachsene und Einrichtung von Aufnahmeklassen an Regelschulen
- Beispiel Asylzentrum Leutschenbach / Schule Kolbenacker
- Harte Lebensumstände für die Jugendlichen
«Mit dem Status von Asylsuchenden erhalten sie insgesamt 12.95 Franken pro
Tag für Lebensmittel, öffentliche Verkehrsmittel, Telefon und Taschengeld. Das
muss reichen für Essen und alles, was man in diesem Alter gerne hätte. Ein
warmes Mittagessen im Hort oder ein Trambillett sind damit nicht finanzierbar.»
Johannes Gruber: «Lernen in Ungewissheit»
Jonas Abplanalp: «Grenzerfahrung»
- Traumatisierungen, Stress, Wille zu lernen
- Unterrichtssprache als Problem: Ergänzung durch lebenskundlichen
Unterricht in der Herkunftssprache sinnvoll
- Sehr heterogene Klassen (Herkunft, Alter, schulische Vorbildung)
- Zu wenig Ressourcen: Psychologische Betreuung und
Übersetzungshilfen fehlen
- Was geschieht mit den Jugendlichen, wenn sie mit 16 / 17 Jahren die
Aufnahmeklasse verlassen müssen?
Empfehlungen SODK zu unbegleiteten
minderjährigen Personen aus dem Asylbereich
1. Zu starke Betonung von Eigenständigkeit der Kinder und Jugendlichen:
Wir fordern umfassende Betreuung und Zuwendung!
2. Bei Erstsprachenunterricht Fokus auf Erleichterung der «Rückführung»:
Wir fordern Förderung in der Erstsprache für Bildungsprozesse!
3. Recht auf Bildung wird faktisch dem Ausländerrecht untergeordnet:
Wir fordern keine «Rückschaffungen» während Schulpflicht / Sekundarstufe
IGE!
Interessengemeinschaft Erstsprachen
Groupement d'intérêt langues premières
Comunità di interesse per le lingue prime
Input 2: Erstsprachenunterricht in der Schweiz
Dr. Johannes Gruber,
univonunten / Planet13,
Basel 8.2.16
IGE!
Interessengemeinschaft Erstsprachen
Groupement d'intérêt langues premières
Comunità di interesse per le lingue prime
• Migrationsgesellschaft Schweiz
• Fehlende Anerkennung der MigrantInnen in Gesellschaft
und im Bildungssystem: Migrationssprachen
• Struktureller Rassismus und institutionelle Diskriminierung
statt Wertschätzung und Förderung?
IGE!
Interessengemeinschaft Erstsprachen
Groupement d'intérêt langues premières
Comunità di interesse per le lingue prime
• Erstsprachenunterricht
in Basel-Stadt: 35 Sprachen, circa 3000 SchülerInnen
im Kanton Zürich: 27 Sprachen, circa 10000 SchülerInnen
• «Kurse für heimatliche Sprache und Kultur» (HSK)
• Ursprünglich konzipiert als Rückkehrhilfe,
grossteils schlechte Arbeitsbedingungen
IGE!
Teil der öffentlichen Schule –
Die Zukunft des Erstsprachenunterrichts
Rahmenbedingungen in den Schulhäusern
IGE!
Teil der öffentlichen Schule –
Die Zukunft des Erstsprachenunterrichts
Arbeitsbedingungen und Entlohnung
Grafik 2 Verteilung Stundenansätze und Monatslöhne der HSK-Lehrpersonen
Quelle: Calderón, Fibbi, Truong 2013
IGE!
Interessengemeinschaft Erstsprachen
Groupement d'intérêt langues premières
Comunità di interesse per le lingue prime
• Aufruf «Erstsprachen der Kinder fördern –
ein zentraler Auftrag für die öffentliche Bildung» (2008)
• Seitdem Informationsveranstaltungen, Empfehlungen,
Lobbyarbeit, parlamentarische Vorstösse
IGE: Fokus Erstsprachenunterricht
Wie der Erstsprachenunterricht unterstützt und verbessert
werden kann – Forderungen der IGE:
1. Rahmenbedingungen in den Schulhäusern verbessern
2. Öffnung der HSK-Kurse, Zusammenarbeit, Interkulturalität, Mehrsprachigkeit
3. Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrpersonen
4. Integration ins öffentliche Schulwesen: Arbeitsbedingungen und Entlohnung
5. Kantone sollen Gestaltungsmöglichkeiten nützen und unterstützen
6. Aufbau Interessenvertretungen, gewerkschaftliche Organisation LehrerInnen
IGE: Vernetzung für «Zürcher Appell»
«Sprache und Bildung in der Migrationsgesellschaft»
1. Sicherstellung des Rechts auf Bildung für Flüchtlinge
2. Anerkennung und Wertschätzung der MigrantInnen und ihrer Sprachen
3. Diskriminierungsfreies Bildungssystem, das sprachliche und kulturelle
Vielfalt fördert
4. Unterricht in Migrationssprachen als Teil der öffentlichen Bildung:
Arbeitsbedingungen und Entlohnung
Bei Interesse bitte in Kontaktliste eintragen.
E-Mail: [email protected]