Gesetze, Urteile, Normen, Richlinien

SCHRIFTEN ZUR
TECHNISCHEN
KOMMUNIKATION
20
Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.)
Gesetze, Urteile,
Normen, Richtlinien
Bei diesem PDF-Dokument handelt es sich um Band 20 der Reihe tekom Schriften zur
­Technischen Kommunikation „Gesetze, Urteile, Normen, Richtlinien“, das von dem Nutzer
ausschließlich gemäß den Regelungen der tekom-Lizenzbedingungen zu Band 20 „Gesetze,
­Urteile, Normen, Richtlinien“ (http://www.tekom.de/publikationen/dokumente.html)
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tekom-Jahresgabe Dezember 2015
tekom SCHRIFTEN ZUR TECHNISCHEN KOMMUNIKATION | Band 20
Gesetze, Urteile, Normen,
Richtlinien
Regelungen für die Technische
Kommunikation
herausgegeben von
Jörg Hennig
und
Marita Tjarks-Sobhani
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-944449-39-5
© Verlag tcworld GmbH, Stuttgart 2015
www.tekom.de
Redaktion und Lektorat: Elisabeth Gräfe, Jörg Michael
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Die Vervielfältigung,
Übersetzung, Mikroverfilmung und Einspeicherung und Verarbeitung in
elektronischen Medien ist untersagt.
Inhalt
Einleitung7
Dagmar Gesmann-Nuissl
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation?
Ein Überblick11
Jens-Uwe Heuer-James / Claudia Klumpp
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf
die ­Technische Kommunikation30
Jens-Uwe Heuer-James
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen
­Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation41
Abraham de Wolf
Wer ist der Urheber?
Urheberrecht bei Übersetzungen von Technischer Dokumentation53
Jens-Uwe Heuer-James
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur
Technischen ­Kommunikation60
Roland Schmeling
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur
Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA71
Gerhard Lierheimer
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur
Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland81
Roland Schmeling
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik
für die Technische Kommunikation91
5
Inhalt
Annette D. Reilly
Normung für Softwaredokumentation 104
Torsten Gruchmann
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf
die Technische Kommunikation115
Jan Dyczka
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU
und für wichtige Bereiche außerhalb Europas125
Matthias Schulz
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation135
Horst-Henning Kleiner
Die Bedeutung von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften
für die Technische Kommunikation148
Peter Ebenhoch
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf
Technische Kommunikation157
Die Autoren: Biografische Notizen171
Index174
tekom SCHRIFTEN ZUR TECHNISCHEN ­KOMMUNIKATION178
tekom HOCHSCHULSCHRIFTEN180
Weitere tekom-Publikationen183
6
Einleitung
Der vorige Band dieser Schriftenreihe war einem Trend in der Technischen Dokumentation gewidmet, der durch technische Innovationen verursacht ist. Dieses Mal geht es um Einflüsse, die eine lange
Tra­dition haben und grundlegenderer Natur sind: Gesetze, Urteile,
Normen und Richtlinien. In ihnen spiegeln sich die auch sonst be­
kannten Funktionen des Rechts wider, insbesondere Ordnungs-,
Friedens- und Schutzfunktionen.
Die Herausgeber versuchen das Gesamtthema des Bandes durch
die Einzelthemen möglichst vollständig abzudecken. Dabei werden
schon durch den Umfang des Bandes Grenzen gesetzt. Außerdem
gelingt es nicht in jedem Fall für jedes wünschbare Thema ebenso
kompetente Autorinnen oder Autoren zu finden, wie sie hier versammelt sind. So war es nicht möglich, die Betrachtung von wichtigen
Exportregionen über die beiden hier abgehandelten hinaus auszuweiten. Auch über die Reihenfolge der Themen könnte man streiten. Innerhalb der im Bandtitel angedeuteten Themenblöcke haben wir uns
bemüht, jeweils vom Allgemeinen zur Spezifizierung fortzuschreiten.
• Dagmar Gesmann-Nuissl gibt in ihrem einleitenden Beitrag einen
Überblick über die Rechts- und Verordnungsgebiete, die Vorgaben für die Technische Kommunikation machen. Dafür nimmt sie
eine Dreiteilung vor in zwingendes Gesetzesrecht, privatautonom
gestaltbares Privatrecht und Ausgestaltung und Konkretisierung
durch die Rechtsprechung. Beim Gesetzesrecht widmet sie sich
vor allem dem Produktsicherheitsrecht. Neben den Gestaltungsmöglichkeiten des Vertragsrechts, insbesondere in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, zeigt sie dessen Grenzen auf.
• Der Beitrag von Jens-Uwe Heuer-James und Claudia Klumpp
ist von besonderer Aktualität: Er beschäftigt sich mit der neuen
Produktsicherheitsverordnung der EU, deren Verabschiedung bevorsteht; sie soll die bislang geltende Produktsicherheitsrichtlinie
2001/95/EG ablösen. Die Autoren stellen die Verordnung dar als
Teil des neuen Produktsicherheits- und Marktüberwachungspakts
der EU. Bei der Beschreibung der Änderungen gegenüber der
alten Richtlinie geht es um die Auswirkungen auf die Technische
Kommunikation mit der Erweiterung der Pflichten der Wirtschaftsakteure und der Verschärfung der Marktüberwachung.
• Jens-Uwe Heuer-James sieht in dem Bemühen um eine zuverlässige Kundenbeziehung die Motivation, sich mit dem Vertragsrecht
zur Technischen Dokumentation auseinanderzusetzen. In einem
ersten Teil klärt er die Rolle der Technischen Dokumentation
als Teil des Produkts. Er lenkt dann die Aufmerksamkeit auf die
Informationspflicht als Teil der vertraglichen Nebenpflichten im
7
Einleitung
•
•
•
•
•
•
•
8
Zusammenhang mit Technischer Dokumentation und geht dann
auf die Rechtsfolgen schlechter Technischer Dokumentation ein.
In zwei weiteren Abschnitten betont er die Notwendigkeit detaillierter Vorgaben im Zusammenhang mit vertraglichen Regelungen
von Technischer Dokumentation.
Abraham de Wolf behandelt ein oft unbeachtetes Spezialgebiet,
das Urheberrecht bei Übersetzungen von Technischer Dokumentation. Dabei geht es ihm vor allem darum, „wie die Nutzung
von Software zur Übersetzung von Texten und das Urheberrecht miteinander verflochten sind“. Er untersucht den Kernsatz
des Urheberrechts „Der Autor eines originellen Werkes hat das
alleinige Recht, die Nutzung zu bestimmen“ nach seinen Bestandteilen und verbindet damit die Diskussion der Möglichkeiten, die
Übersetzungssoftware bietet.
Die Fortschreibung des Rechts zur Technischen Kommunikation geschieht durch Gerichtsentscheidungen. Jens-Uwe HeuerJames erläutert, wie dies geschieht und gibt einen Überblick über
wegweisende Urteile. Seine Beispielsammlung ordnet er nach den
wichtigsten einschlägigen Gesetzen.
Roland Schmeling befasst sich vorrangig mit dem US-amerikanischen Produkthaftungsrecht und gibt so einen informativen Überblick über Recht und Urteile zur Technischen Kommunika­tion
in der wichtigen Exportregion USA. Er betont für in den USA
vertriebene Produkte die Bedeutung einer kompetenten Risikobeurteilung. Er sieht hier Defizite bei in Deutschland entstandenen
Dokumentationen.
Die Besonderheiten von rechtlichen Regelungen zur Technischen
Kommunikation in Russland und Ländern der umgebenden Zollunion beschreibt Gerhard Lierheimer. Er geht insbesondere auf
die Bereiche Produkthaftung, Produktsicherheit und Informationspflicht ein und sieht Ähnlichkeiten zu Regelungen in der EU.
Bedeutung und Reichweite des Rechtsbegriffs der „anerkannten
Regeln der Technik“ geht Roland Schmeling nach. Er beschreibt
die drei bekannten Technikklauseln („Stand von Wissenschaft
und Technik“, „Stand der Technik“ und „Allgemein anerkannte
Regeln der Technik“) in ihrer Relevanz für die wichtigsten Gesetze zur Technischen Kommunikation. Die „Regeln der Technik“
erläutert er mit einer Reihe von prägnanten Beispielen.
Der Normung in einem wichtigen Spezialbereich widmet sich
Annette D. Reilly. Sie bezieht sich auf internationale Normen zur
Softwaredokumentation und betont deren Bedeutung für alle Beteiligten am Softwareprozess und auch für die Softwareanwender.
Wir drucken den Beitrag in einer deutschen Übersetzung ab.
Der durch eine EU-Verordnung eröffneten alternativen Möglichkeit
einer elektronischen Publikation der Gebrauchsanweisung für die
Einleitung
Hersteller von Medizinprodukten geht Torsten Gruchmann nach.
Er stellt die daraus resultierenden Verpflichtungen und die Vor- und
Nachteile des E-Labelings für Hersteller und Verbraucher dar und
diskutiert die Auswirkungen auf die Arbeit Technischer Redakteure.
• Jan Dyczka widmet sich in seinem Beitrag einschlägigen Normen
für Technische Redakteure. Er zeigt auf, welche Recherchemöglichkeiten es gibt und wie mit Nomen umzugehen ist. Er konzentriert sich dabei auf die Märkte EU, USA, China und Russische
Föderation.
• Matthias Schulz stellt zunächst die Frage, warum die Risikobeurteilung von so großer Bedeutung ist, und stellt dabei den Schutz
des menschlichen Lebens und der Gesundheit als Qualitätsziel für
jedes Produkt heraus. In dem Hauptteil seines Beitrags beschreibt
er verschiedene Methoden zur Risikobeurteilung und widmet sich
in einer abschließenden Betrachtung der Rolle der Technischen
Redakteure bei der Risikobeurteilung.
• Horst-Henning Kleiner thematisiert die Bedeutung von Arbeits­
schutz- und Unfallverhütungsvorschriften für Technische
Dokumentation. Nach einer allgemeinen Betrachtung des Arbeitsschutzes in Deutschland widmet er sich der Betriebssicherheitsverordnung und anderen Unfallverhütungsvorschriften. Sein
Fazit ist, dass „Verweise in Anleitungen auf die Betreiberpflichten
völlig überflüssig sind“. Er betont, „dass die Qualität des Arbeitsschutzes auch von der Qualität der Anleitungen abhängt.“
• Peter Ebenhoch klärt, welche Bedeutung technische Compliance
für die Technische Dokumentation hat. Nach einer Betrachtung
aktueller betrieblicher Abläufe und Rahmenbe­dingungen widmet
er sich verschiedenen Facetten des Begriffs „Compliance“. Er
führt den Begriff der „materiellen Compliance“ ein, den er der
formellen Compliance gegenüberstellt. Für die Umsetzung von
Compliance-Regeln hält er „die interne Wertschätzung und Anerkennung der Technischen Redaktion“ für unerlässlich.
Wie bei allen Bänden gehen die Herausgeber davon aus, dass niemand das Buch linear von vorn bis hinten durchliest. Die Leserinnen und Leser werden sich den Beiträgen zuwenden, die für sie von
Interesse sind und von denen sie einen Nutzen haben. Inhaltliche
Überschneidungen zwischen den Beiträgen sind in einem thematisch
fokussierten Sammelband unvermeidlich; eigentlich sind sie sogar
notwendig, da erst durch sie die Verbindung der verschiedenen Regelungsgebiete hergestellt werden kann.
Für die gerade in formalen Dingen sehr kritische Zielgruppe
dieser Reihe muss auch an dieser Stelle wieder ein Vorbehalt zum
Layout gemacht werden: Allen Autorinnen und Autoren werden
bindende Vorgaben gemacht; das betrifft z.B. die Form des Literaturverzeichnisses oder den Nachweis von Internetquellen. In diesen
9
Einleitung
Punkten sollte Einheitlichkeit in allen Beiträgen herrschen. Andere
Vorgaben sind lediglich Empfehlungen, z.B. Marginalien oder die
Möglichkeit der Hervorhebung durch graue Unterlegung. Einige Autoren sehen keinen Gewinn für ihre Leser durch Marginalien oder
lehnen sie sogar ab, z.B. mit der Begründung, ihr Beitrag sei durch
Zwischenüberschriften ausreichend gegliedert und bedürfe keiner
Marginalien, die den Lesefluss nur stören könnten. In solchen Fällen
haben die Herausgeber es aufgegeben, sich zugunsten eines einheitlichen Erscheinungsbildes gegen die Autoren durchzusetzen.
Alle Autoren bemühen sich um eine angemessen distanzierte,
nach Möglichkeit objektive Darstellung ihres Themas; häufig geht es
aber auch um die Anwendung von Gesetzen und Normen mit interpretatorischem Spielraum. Aufmerksamen Leserinnen und Lesern
werden da möglicherweise kleinere Differenzen auffallen. Sie seien an
die alte Volksweisheit erinnert: Zwei Juristen – drei Meinungen.
Wir gehen davon aus, dass die Zielgruppe auch dieses Bandes
überwiegend aus professionell mit Technischer Kommunikation befassten Fachleuten besteht, die zumindest in Ansätzen mit den rechtlichen Grundlagen ihrer Tätigkeit vertraut sind. Trotzdem ist uns
klar, dass es Probleme mit der einschlägigen juristischen Fachsprache
geben kann, wie sie in unterschiedlicher Ausprägung in den Beiträgen dieses Bandes verwendet wird. Fachsprache, auch die juristische,
dient der eindeutigen und möglichst ökonomischen Verständigung
über fachliche Inhalte. Deshalb ist der Grad der Fachsprachlichkeit
dort besonders hoch, wo besonders viel fachlicher Inhalt auf vergleichsweise wenig Platz dargestellt wird.
Zwar gehört heute ein Index zur Standardausstattung eines
Fachbuches. Seine Nützlichkeit hängt stark davon ab, was er bietet.
Der Index dieses Bandes besteht weitgehend aus Vorschlägen der
Au­to­rinnen und Autoren, die im Manuskript vermerken, welche
Wörter oder Ausdrücke sie in ihrem Beitrag für ‚suchenswert‘ halten.
Aufgabe der Herausgeber ist es darauf zu achten, dass der Index einen vertretbaren Umfang nicht überschreitet. Deshalb tauchen einige
zentrale Stichwörter und Ausdrücke nicht im Index auf. Die Verweise
zu „Technische Dokumentation“ z.B. würden möglicherweise eine
halbe Druckseite füllen.
Aufgabe dieses Bandes ist es, eine Bestandsaufnahme zum
Recht der Technischen Kommunikation zu bieten. Die Beiträge sollen aber auch zur Übersicht und Orientierung für die Arbeitspraxis
beitragen. Möglicherweise kann der sachkundige Verweis auf rechtliche Vorgaben auch dazu dienen, den Stellenwert der Technischen
Dokumentation zu erhöhen.
Hamburg und München, im Oktober 2015
Jörg Hennig und Marita Tjarks-Sobhani
10
Dagmar Gesmann-Nuissl
Wer regelt was mit welchem
Recht für die Technische
Kommunikation? Ein Überblick
1 Technische Kommunikation –
Begriffsverständnis
Unter den Begriff der Technischen Kommunikation (abgeleitet
vom Begriff der Technischen Dokumentation 1) subsumiert man
heute den Austausch sämtlicher Daten und Informationen zu Produkten, die während eines Produktlebenszyklus für die mit dem
Produkt befassten oder mit ihm in Berührung kommenden Dritten – etwa einen Hersteller, Händler, Nutzer/Verbraucher, Zerleger, Wiederverwerter oder Entsorger – relevant werden können. 2
Die Weitergabe des spezifisch-technischen Produkt-Know-hows sowie bestimmter produkthistorischer Informationen in Form von z.B.
Betriebs-, Service-, Gebrauchs- und Bedienungsanleitungen, Bauteile- und Zutatenlisten, Schaltplänen, Schnittstelleninformationen,
Qualitätsprüfberichten, Softwarehandbüchern, Warn-, Zerlege- und
Entsorgungshinweisen bis hin zum E-Labeling sollen dabei in erster
Linie einem fachgerechten, komfortablen und effizienten sowie störungsfreien und gefahrlosen Umgang mit dem Produkt in seinen diversen Lebensphasen und Einsatzbereichen dienen. Die Technische
Dokumentation/Kommunikation ist daher ein wesentlicher Bestandteil eines Produkts. 3
Ob und inwieweit die Technische Dokumentation/Kommunikation auch rechtlich abgefordert wird, d.h. von wem, unter Bezugnahme auf welches Recht und in welchem Umfang, soll nachfolgend
überblickartig dargestellt werden.
Dies ist allerdings keine einfache Aufgabe, da schon aus der
Vielfalt der o.g. Dokumentationstypen, die ihrerseits an verschiedene inner- und außerbetriebliche Anwenderkreise und Zielgruppen
gerichtet sein können (z.B. Bediener/Anwender, Administratoren,
Servicetechniker, Recycling-Unternehmen, Patentanwälte usw.) und
dabei die unterschiedlichsten Produkte betreffen (z.B. Maschinen,
Technische
Kommunikation
Systematisierung
1 Juhl (2005), 15 f.; Kothes (2011), 2 f.
2 Schäfer (2011).
3 Heuer (2006), 21.
11
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
Protagonisten
Elektrogeräte, Medizin- oder Bauprodukte), erkennbar wird, dass auch
die rechtlichen Anknüpfungen in unterschiedlichen Rechtsgebieten mit
durchaus differenzierten (Regelungs-)Zuständigkeiten zu finden sind.
Insofern liegt die Herausforderung einer solchen Darstellung in deren
Systematisierung.
In einer groben Einteilung lassen sich die rechtlichen Grundlagen für die Technische Dokumentation/Kommunikation dem allgemeingültigen, zwingenden Gesetzesrecht einerseits sowie dem zwischen
Vertragsparteien privatautonom gestaltbaren Vertragsrecht andererseits
entnehmen. Ferner sorgt die Rechtsprechung, u.a. bei der Auslegung des
Gesetzesrechts, der Begrenzung privatautonomen Handelns sowie
bei der Ausgestaltung produktbezogener Verkehrspflichten (hier insbesondere der Instruktionspflicht) dafür, die Anforderungen an eine
„ordnungsgemäße Produktdokumentation/-kommunikation“ auszugestalten und zu konkretisieren.
2 Gesetzesrecht, insbes. Produktsicherheitsrecht
Die produktbezogene Technische Dokumentation/Kommunikation
wird heute zu einem erheblichen Teil durch gesetzliche Bestimmungen gefordert. Dabei sind entsprechende Verpflichtungen sowohl auf
europäischer als auch auf nationaler Ebene zu finden; im internationalen
Vergleich besteht gerade im europäischen Rechtskreis eine Regelungsdichte, die ihresgleichen sucht und im Wesentlichen dem europäischen und nationalen Produktsicherheitsrecht geschuldet ist. 4
2.1 Produktsicherheitsrecht in der Europäischen Union
2.1.1 Funktionsweise des europäischen Produktsicherheitsrechts
Zielsetzung
New Approach
New Legislative
Framework
Der europäische Gesetzgeber ist seit jeher bestrebt, eine möglichst
hohe Rechtsangleichung beim Inverkehrbringen von Produkten im
Binnenmarkt zu erzielen (Art. 114, 34 AEUV). Hierfür erließ er
schon frühzeitig einheitliche Regelungen, welche die Sicherheit von
Produkten zum Schutz der europäischen Verbraucher erhöhen und
dabei die Interessen der Wirtschaft an einem freien und ungehinderten Warenverkehr unterstützen sollen.
Wurden hierfür anfänglich noch Detailregelungen geschaffen, die jedoch aufgrund ihrer hohen Komplexität keine Akzeptanz
in den zur Umsetzung verpflichteten Mitgliedstaaten fanden, verfolgte der europäische Gesetzgeber seit Mitte der 1980er-Jahre den
sog. New Approach. Nach diesem Regelungsansatz – der durch das
4 Es ist darauf hinzuweisen, dass auch andere Gesetze, die nicht dem originären Produktsicherheitsrecht zugeordnet werden, Pflichten zur Technischen Kommunikation vorhalten, z.B. § 18 BatterieG; § 35 WaffenG; § 7 ElektroG. Auch dort dienen die Regelungen im Wesentlichen der Sicherheit
der Verbraucher/Nutzer.
12
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
„New Legislative Framework“ (NLF) 5 und insbesondere durch den
Beschluss 768/2008/EG im Jahr 2010 ein ‚Facelift‘ erfahren hat 6 –
werden in den Europäischen Harmonisierungsrichtlinien 7 (und -verordnungen 8) nur das Schutzziel und die wesentlichen Anforderungen
im Hinblick auf die Sicherheit der Produkte statuiert und der freie
Verkehr dieser Produkte im Binnenmarkt angeordnet, sofern die dort
genannten Anforderungen erfüllt werden (Art. 3 Abs. 1 Beschluss
768/2008/EG). Die Konkretisierung der wesentlichen Anforderungen, insbesondere der technisch-organisatorischen Spezifikationen
erfolgt anschließend in harmonisierten Europäischen Normen, die
im Auftrag der Kommission (sog. Mandatierung) durch europäische Normungsorganisationen geschaffen und von den nationalen
Normungsorganisationen (in Deutschland das Deutsche Institut für
Normung „DIN“) in gleichlautende nationale Normen überführt
werden. 9 Die Einhaltung dieser harmonisierten Europäischen Normen bleibt für die Wirtschaftsakteure freiwillig, löst jedoch im Befolgungsfall eine Vermutung für die (Richtlinien-)Konformität eines
Produkts aus, d.h., bei Einhaltung der harmonisierten Europäischen
Norm wird vermutet, dass das Produkt die wesentlichen Anforderungen der Harmonisierungsrichtlinie einhält (Art. 3 Abs. 2 i.V.m.
Anh. I R 8 Beschluss 768/2008/EG), das Produkt sicher ist und
frei im Binnenmarkt zirkulieren kann. Der Wirtschaftsakteur kann
aber ebenso Spezifikationen aus nicht-harmonisierten Normen zugrundelegen oder völlig eigene Lösungen generieren, dann allerdings
ohne die Konformitätsvermutung. Gleichgültig, welchen Weg der
Hersteller oder sein Bevollmächtigter wählt, ist er dazu aufgerufen,
die Konformität des Produkts mit den wesentlichen Anforderungen der einschlägigen Harmonisierungsrichtlinie vor Inverkehrgabe festzustellen (sog. Konformitätsverfahren, Art. 4 i.V.m. Anh. II
Beschluss 768/2008/EG). 10 Dabei hat er sich ggf. einer benannten
5 Das Regelungspaket des „New Legislative Framework“ besteht aus drei Rechtsakten: VO (EG)
Nr. 764/2008, dem Beschluss Nr. 768/2008/EG sowie der VO (EG) Nr. 765/2008.
6 Gesmann-Nuissl/Ensthaler/Edelhäuser (2011), 25 ff.; Kapoor/Klindt (2008), 649; Kapoor/
Klindt (2009), 134; Schucht (2014), 848.
7 Beispiele sind u.a. Maschinen-RL 2006/42/EG; Niederspannungsgeräte-RL 2006/95/EG;
Spielzeug-RL 2009/48/EG; ElektromagnetischeVerträglichkeit-RL 2004/108/EG; Medizinprodukte-RL 2007/47/EG; Funkanlagen und TK-Einrichtungen-RL 99/5/EG. Weitere siehe unter: www.
newapproach.org.
8 Z.B. BauprodukteVO 305/2011/EU; demnächst: MedizinprodukteVO COM(2012) 542 final.
9 Eine harmonisierte Norm ist nach dem Begriffsverständnis des NLF „eine Norm, die von
einem der in Anh. I der Richtlinie 98/34/EG … anerkannten europäischen Normungsgremien
(CEN, CENELEC, ETSI) auf der Grundlage eines Ersuchens der Europäischen Kommission nach
Art. 6 jener Richtlinie erstellt wurde“. DIN-, VDE-, ISO-Normen sind folglich nicht ohne weiteres
„harmonisierte Normen“, können indes Umsetzungsakte inhaltsgleicher harmonisierter europäischer Normen sein. In einem solchen Fall ist das durch die Bezeichnung „EN DIN …“ oder „ISO
EN …“ erkennbar.
10 Der europäische Gesetzgeber entwickelte hierfür ein richtlinienspezifisches „Baukastensystem“.
13
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
RL 2001/95/EG (RaPS)
Marktüberwachung
nach VO 768/2008/EG
(bzw. notifizierten) Stelle zu bedienen, sofern dies in der jeweiligen
Harmonisierungsrichtlinie angeordnet ist, anderenfalls genügt die
Selbstzertifizierung. Schließlich bringt der Hersteller mittels der CEKennzeichnung auf dem Produkt nach außen zum Ausdruck (sog.
Konformitätserklärung), dass sein Produkt den Anforderungen der
einschlägigen Harmonisierungsrichtlinie genügt (Art. 5 i.V.m. Anh. II
Art. R 11 ff. Beschluss 768/2008/EG). Nachgeordnete Wirtschaftsakteure (Einführer, Händler), die diesen Prozess nicht selbst steuern
können, müssen ihn zumindest kontrollieren oder garantieren (Anh.
I Art. R 4 u. R 5 Beschluss Nr. 768/2008/EG).
Die vorgenannten Rechtsangleichungsmaßnahmen der Gemeinschaft sind i.d.R. produktgruppenspezifisch (d.h. sektoral) angelegt und relativ gleichförmig aufgebaut. Sie sollen auch künftig nach
den nunmehr noch präziser gefassten Vorgaben aus dem Beschluss
768/2008/EG demselben einheitlichen Muster folgen. 11
Für den gesamten Bereich von Waren, Stoffen und Zubereitungen, die durch einen Fertigungsprozess hergestellt worden sind
(Produkte), sowie für Verbraucherprodukte werden die Harmonisierungsrichtlinien strukturell überlagert durch die Allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG (RaPS), welche zunächst eine allgemeine Forderung dahingehend aufstellt, dass nur „sichere Produkte“,
die keine Gefahr für Leben, Gesundheit oder wesentliche Rechtsgüter darstellen, auf den Markt gebracht werden dürfen (Art. 1 RL
2001/95/EG), und Regelungen enthält (Art. 5 ff. RL 2001/95/EG),
die diese Zielsetzung unterstützen. Dabei hat die RaPS dort, wo Produkte bereits speziellen sektoralen Harmonisierungsrichtlinien unterfallen (z.B. Maschinen, Spielzeuge, Niederspannungsgeräte) nur noch
eine Auffangfunktion; ihre Anforderungen sind auf der anderen Seite
erfüllt, wenn die einschlägigen sektoralen Harmonisierungsrichtlinien
eingehalten werden.
Dass der Hersteller und die nachgelagerten Wirtschaftsakteure
den wesentlichen Anforderungen aus den Harmonisierungsvorschriften bzw. den Verpflichtungen aus der RaPS tatsächlich nachkommen, muss auf mitgliedstaatlicher Ebene durch eine funktionierende
Marktüberwachung sichergestellt werden. Sie muss im Anschluss an
die Eigendeklaration die Einhaltung der Anforderungen der europäischen Harmonisierungsrichtlinien bzw. die Einhaltung der Pflichten
aus der RaPS überwachen, stichprobenartig kontrollieren und das
Inverkehrbringen gefährlicher Produkte verhindern bzw. einschränken. 12 Seit 2010 sind die grundlegenden Anforderungen hierzu in einer Europäischen Verordnung (VO 765/2008/EG) manifestiert, die
11 Mit der SpielzeugRL 2009/48/EG wurde erstmals eine Harmonisierungsrichtlinie nach dem
Vorbild des Beschlusses Nr. 768/2008/EG erlassen. Die Anpassung von neun weiteren Richtlinien
ist vorgesehen (Alignment Package).
12 Zur Marktüberwachung auch allgemein Gesmann-Nuissl (2014), 34 ff.
14
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
unmittelbar, d.h. ohne Umsetzungsakt, in allen Mitgliedstaaten gilt
(Art. 288 Abs. 2 AEUV).
Nach einem Vorschlag der Kommission vom 13.02.2013 soll
es in Kürze weitere Veränderungen in der bisherigen Architektur
des europäischen Produktsicherheitsrechts geben. Mit dem sog. Produktsicherheits- und Marktüberwachungspaket 13 soll insbesondere
die RL 2001/95/EG aufgehoben und durch eine Produktsicherheitsverordnung ersetzt werden, die unmittelbare Gültigkeit in den
Mitgliedstaaten beanspruchen würde. Ferner sollen alle bestehenden
Marktüberwachungsregelungen aus den Harmonisierungsrichtlinien,
der VO 765/2008/EG und der RL 2001/95/EG in einer einzigen
Marktüberwachungsverordnung zusammengeführt werden. Damit
würde die derzeit bestehende Vermengung von produktbezogenen
Sicherheitsanforderungen und Anforderungen betreffend die Marktüberwachung in den Rechtsakten vermieden und klarer voneinander
abgegrenzt.
Produktsicherheits- und
Marktüberwachungspaket
2.1.2 Regelungen zur Technischen Dokumentation/Kommunikation
Wie bereits erwähnt, gibt der Beschluss 768/2008/EG die politische
Richtung vor, die bei der Konzeption zukünftiger Harmonisierungsrechtsvorschriften eingeschlagen werden soll, und vereinheitlicht zentral produktsicherheitsrechtliche Bestimmungen, die bereits durch
den zuvor gültigen Beschluss 93/465/EWG (auch als „Modulbeschluss“ bekannt) in den bisherigen Harmonisierungsrichtlinien angelegt waren.
Nach Anh. I Art. R 2 Abs. 2 Beschluss 768/2008/EG sind die
Hersteller dazu verpflichtet, die technischen Unterlagen zu erstellen, anhand derer die Konformitätsbewertung durchgeführt werden kann.
Sie sind ferner gemäß Art. R 2 Abs. 7 Beschluss 768/2008/EG verpflichtet, die Sicherheitsinformationen beizufügen, welche für die Nutzer
eines Produkts relevant werden können. Während die technischen
Unterlagen in erster Linie für die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erstellt und bereitgehalten werden, sind die Sicherheitsinformationen für die Käufer und Abnehmer bestimmt. Insofern kommt
den technischen Unterlagen ein Dokumentationszweck zu, während die
Sicherheitsinformationen, für deren Vorliegen auch der Einführer
(Art. R 4 Abs. 4 Beschluss 768/2008/EG) und der Händler (Art. R
5 Abs. 2 Beschluss 768/2008/EG) einzustehen haben, eher einem
Kommunikationszweck dienen. Daher sollte man die Verpflichtungen zu
Sicherheitsinformationen als Regelungen zur Technischen Kommunikation (im engeren Sinne) begreifen, die im Rahmen dieses Gesamtwerks von Interesse sind.
In nahezu allen Harmonisierungsrichtlinien, die nach dem Re 13 Vorschlag für eine Verordnung über die Sicherheit von Verbraucherprodukten vom 13.02.2013,
COM(2013) 74 final sowie Vorschlag für eine Verordnung über die Marktüberwachung von Produkten vom 13.02.2013, COM(2013) 77 final.
Technische Unterlagen
Technische
Kommunikation in
Harmonisierungs­
richtlinien
15
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
gelungskonzept des New Approach geschaffen und durch das NLF
(insbesondere den Beschluss 768/2008/EG) fortgeschrieben wurden, finden sich solche Regelungen zur produktbezogenen Technischen Kommunikation. Allerdings können hier nicht alle diese Regelungen dargestellt werden. Vielmehr werden drei herausgegriffen, um
die dort eingeschlagene Regelungssystematik – die sich, wie gesagt, in
den anderen Harmonisierungsrichtlinien wiederholt – aufzuzeigen:
• MaschinenRL 2006/42/EG 14
Die MaschinenRL ist wohl die am häufigsten zum Einsatz kommende Harmonisierungsrichtlinie und gilt allgemein für alle privat
und gewerblich genutzten Maschinen, auswechselbare Ausrüstungen, Sicherheitsbauteile, Lastaufnahmemittel, Ketten, Seile, Gurte,
abnehmbare Gelenkwellen und unvollständige Maschinen, sofern
keine Ausnahme greift (Art. 1 MaschinenRL).
In deren Art. 5 Abs. 1 ist geregelt, dass der Hersteller oder sein
Bevollmächtigter vor dem Inverkehrbringen und/oder der Inbetriebnahme der Maschine sicherstellen muss, „dass die in Anhang
VII Teil A genannten technischen Unterlagen verfügbar sind“ (lit.
b = Dokumentation). Ferner – und hier von Interesse –, dass der
Hersteller die „erforderlichen Informationen, wie die Betriebsanleitung, zur Verfügung zu stellen“ hat (lit. c = Kommunikation).
In Nr. 1.7 des Anhangs 1 der MaschinenRL finden sich sodann
die grundlegenden Anforderungen zu den in Art. 5 Abs. 1 lit.
c benannten „erforderlichen Informationen“. Dabei werden
zunächst verschiedene Informationstypen aufgelistet (u.a. Warnhinweise, Warnung vor Restrisiken, Betriebsanleitungen), anschließend die jeweils erforderlichen und verpflichtenden inhaltlichen
Angaben benannt (u.a. Firmenname, Bezeichnung der Maschine,
allgemeine Beschreibung der Maschine usw.) sowie die Art und
Weise der Informationsweitergabe (u.a. direkt an der Maschine, mit oder ohne Übersetzung, Benutzerbezogenheit) geregelt.
Ergänzend werden an anderer Stelle spezielle, darüber hinausgehende Anforderungen für bestimmte Maschinentypen (z.B. zur
Verarbeitung von Nahrungsmitteln) normiert.
Beispiel
Beispiel „Betriebsanleitung“:
Anhang I
1.7 Informationen
1.7.4 Betriebsanleitung: Es folgt die begriffliche Eingrenzung.
1.7.4.1 Allgemeine Grundsätze für die Abfassung der Betriebsanleitung: Es folgen Hinweise zur richtigen Sprachfassung, zur
Vermeidung vorhersehbarer Fehlanwendung und zur Rücksicht 14 ABl. EG Nr. L 157/24 vom 09.06.2006; dazu: Leitfaden für die Anwendung der MaschinenRL
2006/42/EG, abrufbar unter: http://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsschutz/Meldungen/
maschinenrichtlinie-leitfaden.html.
16
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
nahme auf die Verständnisfähigkeit des Adressaten.
1.7.4.2 Inhalt der Betriebsanleitung: Es folgen ausführliche Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung, beginnend beim
Firmennamen des Herstellers (lit. a) über Installations- und Montagevorschriften zur Verhinderung von Lärm (lit. j) bis hin zum
Erfordernis, Angaben über die von der Maschine ausgehende
Strahlung zu machen (lit. v).
2.1.2–2.2.2.2 Es folgen ergänzende Anforderungen für bestimmte
Maschinentypen: Nahrungsmittelmaschinen und Maschinen zur
Verarbeitung kosmetischer und pharmazeutischer Erzeugnisse.
3.6.3.1–3.6.3.2 Mobile Maschinen
4.4.1–4.4.2 Es folgen ergänzende Lastenaufnahmemittel und Maschinen zum Heben von Lasten.
Betrachtet man die dort abgeforderten „erforderlichen Informationen“ näher, so muss man feststellen, dass hier recht detaillierte
Vorgaben getätigt werden, die auf den gesamten Lebenszyklus der
Maschine ausgerichtet sind, beginnend bei der Beschreibung der
Maschine, über die Hinweise zur bestimmungsgemäßen Verwendung und Warnhinweise in Bezug auf Fehlanwendungen, bis hin zu
Anweisungen zum sicheren Einrichten und Warten.
Sofern in der MaschinenRL die Angabe bestimmter, messbarer
Werte z.B. in Betriebsanleitungen abgefordert ist (z.B. Schwingungsgesamtwert bei Vibration), wird darauf verwiesen, dass
Näheres in harmonisierten Normen geregelt sein kann – jedoch
nicht muss und der Anwender sich ggf. selbst zu kümmern hat.
Beispiel „Betriebsanleitung“:
2.2.1.1 Betriebsanleitung: Die Betriebsanleitung von handgehaltenen oder handgeführten tragbaren Maschinen muss folgende
Angaben über die von ihnen ausgehenden Vibrationen enthalten:
– den Schwingungsgesamtwert, dem die oberen Körpergliedmaßen
ausgesetzt sind, falls der ermittelte Wert 2,5 m/s² übersteigt. […],
– die Messunsicherheiten.
Diese Werte müssen entweder an der betreffenden Maschine tatsächlich gemessen oder durch Messung an einer technisch vergleichbaren, für die geplante Fertigung repräsentativen Maschine
ermittelt worden sein.
Kommen keine harmonisierten Normen zur Anwendung, ist zur
Ermittlung der Vibrationsdaten nach der dafür am besten geeigneten Messmethode zu verfahren. Die Betriebsbedingungen der
Maschine während der Messung und die Messmethode sind zu beschreiben oder es ist die zugrunde liegende harmonisierte Norm
genau anzugeben.
Beispiel
17
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
• MedizinprodukteRL 93/43/EWG 15 und MedizinprodukteVOEntwurf 16
Die MedizinprodukteRL ist das wichtigste Regelungsinstrument
zum Nachweis der Sicherheit und der medizinisch-technischen
Leistungsfähigkeit von Medizinprodukten, u.a. von Instrumenten,
Apparaten, Vorrichtungen, Stoffen oder anderen Gegenständen.
Das schließt die für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzte Software ein, die vom Hersteller zur
Anwendung für Menschen zur Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, Verletzungen, Behinderungen, zu Untersuchung, Ersatz oder Veränderung
des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs
sowie zur Empfängnisregelung im Europäischen Wirtschaftsraum
eingesetzt werden (Art. 2 lit. a MedizinprodukteRL).
In Art. 3 MedizinprodukteRL wird allgemein statuiert, dass die
„Produkte die grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang I erfüllen“ müssen, wobei Angaben und Informationen nach Wunsch
der Mitgliedstaaten auch in der Landessprache zur Verfügung zu
stellen sind (Art. 4 Abs. 4). In Abschnitt 13 des Anhangs I wird
sodann die „Bereitstellung von Informationen durch den Hersteller“ abgefordert (= Kommunikation), die nach Nr. 13.1 aus
„Kennzeichnung“ und „Gebrauchsanweisung“ bestehen. Zu beiden Informationstypen werden im Anschluss die Mindest­inhalte
– Nr. 13.3 zur Kennzeichnung und Nr. 13.6 zur Gebrauchsanweisung – ausführlich aufgelistet. Dabei beziehen sich die vom
Hersteller zu kommunizierenden Inhalte auf den gesamten
Produktlebenszyklus, von der Herstellung (z.B. 13.6 lit. b) über die
Anwendung (z.B. 13.6 lit. e ff.) bis hin zur Entsorgung (z.B. 13.6
lit. n). Ergänzend werden an anderer Stelle spezielle Anforderungen für bestimmte Medizinprodukte normiert.
Beispiel
Beispiel „Gebrauchsanweisung“:
Anhang I
13 Bereitstellung von Informationen durch den Hersteller
13.1 Informationen bestehen aus Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung
13.6 Inhalt der Gebrauchsanweisung: Es folgen ausführliche
Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung, beginnend mit
dem Erfordernis, alle kennzeichnenden Angaben aus 13.3 aufzuführen, u.a. Herstellerangaben, Anwenderkreis, Vorsichtsmaßnahmen (lit. a) über Leistungsdaten (lit. b), Angaben zur Installation/
Implementation und zu auftretenden Risiken (lit. d, e) bis hin zum
15 ABl. EG Nr. L 169 vom 12.07.1993, zuletzt geändert durch Richtlinie 2007/47/EG, ABl. L 247
vom 21.09.2007.
16 COM(2012) 542 final.
18
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
Ausgabedatum der Gebrauchsanweisung (lit. q).
11.4 Es folgen ergänzende Anforderungen für Medizin­pro­
dukte, die Strahlung aussenden.
Die sich derzeit im Entwurf befindliche MedizinprodukteVO, die
demnächst die Richtlinie ablösen wird (deshalb soll darauf eingegangen werden), folgt bereits dem Leitbild des NLF (Beschluss
768/2008/EG). Sie nimmt den Hersteller 17 gemäß Art. 8 Abs. 2
MedizinprodukteVO einerseits zur Bereitstellung der Technischen
Dokumentation in die Pflicht, deren Elemente sich aus dem
Anhang II des VO-Entwurfs ergeben (= Dokumentation), sowie
andererseits zur Bereitstellung von (Sicherheits-)Informationen,
deren Inhalte in Anhang I Abschnitt 19 „Anforderungen an die
mit dem Produkt gelieferten Informationen“ näher bestimmt
werden (Art. 8 Abs. 7 MedizinprodukteVO = Kommunikation).
In diesem Anhang I Abschnitt 19 wird dann weiter differenziert
zwischen Allgemeinen Anforderungen (19.1), Etikett (19.2) und
Gebrauchsanweisung (19.3) und die jeweils erforderlichen Mindestangaben werden detailliert aufgelistet, wobei dabei erneut alle
Phasen des Produktlebenszyklus berücksichtigt sind.
Beispiel „Gebrauchsanweisung“:
Anhang I
19.1 Allgemeine Anforderungen an die vom Hersteller gelieferten Informationen: Es folgen Informationen insbesondere zur
Gestaltung, Sprache sowie Rücksichtnahme auf die Verständnisfähigkeit des Adressaten.
19.3 Angaben in der Gebrauchsanweisung: Es folgen ausführliche Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung beginnend
beim Namen des Produkts (lit. a) über die Zweckbestimmung (lit.
b), Restrisiken (lit. d), Kompatibilität (lit. m) bis hin zur Angabe
der mitgliedstaatlichen Meldestelle bei Produktfehlern (lit. t).
Beispiel
• NiederspannungsRL 2014/35/EU
Etwas kürzer gehalten sind die Anforderungen in der NiederspannungsRL, die aktuell ergangen ist und ebenfalls dem NLF vollumfänglich folgt. Sie gilt für elektrische Betriebsmittel innerhalb
der Spannungsgrenze von 50 und 1.000 V für Wechselstrom und
zwischen 75 und 1.500 V Gleichstrom.
Nach Art. 6 Abs. 2 der NiederspannungsRL erstellen die Hersteller die technischen Unterlagen nach Anhang III der Richtlinie (=
Dokumentation) und sie gewährleisten nach Art. 6 Abs. 7 Nieder 17 Die anderen Wirtschaftsakteure gewährleisten (Importeure: Art. 11 Abs. 2 lit. c) oder überprüfen (Händler: Art. 11 Abs. 2 lit. c) das Vorliegen der Technischen Dokumentation.
19
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
Technische
Kommunikation in der
RL 2001/95/EG (RaPS)
spannungsRL, dass dem elektrischen Betriebsmittel eine Betriebsanleitung und Sicherheitsinformationen beigefügt sind, die in einer vom betreffenden Mitgliedstaat festgelegten Sprache, die von
den Verbrauchern und sonstigen Endnutzern leicht verstanden
werden kann, verfasst sind. Weitere, konkretisierende Angaben
enthält diese Harmonisierungsrichtlinie dann nicht mehr.
In ähnlicher Weise – je nach Entstehungs- und Überarbeitungszeitpunkt – regeln auch alle anderen europäischen Harmonisierungsrichtlinien die Technische Kommunikation. Sie stellen zumindest
teilweise recht konkrete Anforderungen an die Verpflichtung zur
Bereitstellung von (Sicherheits-)Informationen (= Kommunikation),
die für den mit dem Produkt befassten oder mit ihm in Berührung
kommenden Dritten bestimmt sind.
Sofern die Produkte nicht den Harmonisierungsrichtlinien unterfallen, aber dennoch dem Anwendungsbereich der Allgemeinen
Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG (RaPS) zugeordnet werden
können, leitet sich die herstellerseitige Informationspflicht aus Art. 5
Abs. 1 RaPS ab. Danach ist der Hersteller verpflichtet, „dem Verbraucher einschlägige Informationen zu erteilen, damit er die Gefahren,
die von dem Produkt während der üblichen oder vernünftigerweise
vorhersehbaren Gebrauchsdauer ausgehen und die ohne entsprechende Warnhinweise nicht unmittelbar erkennbar sind, beurteilen und
sich dagegen schützen kann.“ Hierzu gehören insbesondere die Herstellerangabe und die Produktkennzeichnung (Art. 5 Abs. 1 S. 4 lit. a).
2.2 Produktsicherheitsrecht in Deutschland
2.2.1 Funktionsweise des nationalen Produktsicherheitsrechts
Zentrale nationale Vorschrift zur Sicherheit von Produkten in
Deutschland ist das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), welches die
europäischen Vorgaben umsetzt. Es findet auf nahezu alle Produkte/Produktgruppen 18 Anwendung (die wenigen Ausnahmen werden
in § 1 Abs. 3 ProdSG benannt) und definiert hierfür die „allgemeinen Produktanforderungen“. Danach dürfen nur „sichere Produkte“
auf dem Markt bereitgestellt werden (§ 3 ProdSG), d.h. Produkte,
welche die Sicherheit und Gesundheit von Personen bzw. besonders
geschützter Rechtsgüter nicht gefährden. Sofern es sich um Produkte
handelt, die bereits durch Rechtsverordnungen besonderen Anforderungen unterworfen wurden (§ 8 Abs. 1 ProdSG), sind diese einzuhalten (§ 3 Abs. 1 ProdSG). Da alle EG-Harmonisierungsrichtlinien über
die vorgenannte Verordnungsermächtigung eins zu eins in nationales
Recht umgesetzt wurden (sog. europäisch-harmonisierter Produktbereich), sind deren grundlegende Sicherheitsanforderungen zwingend zu beachten, wobei der europäische Rechtsakt nach allgemeiner
18 § 2 Nr. 22 und Nr. 26 ProdSG = Art. 15 Abs. 4 VO 765/2008/EG.
20
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
Auffassung sowohl den Mindest- als auch den Höchststandard festlegt. 19 Für Produkte, die nicht einer EG-Harmonisierungsrichtlinie
zugeordnet werden können (sog. nicht europäisch-harmonisierter
Produktbereich) ist die Unbedenklichkeit zur Bereitstellung auf dem
Markt vom Hersteller explizit festzustellen und es gelten hierfür die
Anforderungen des § 3 Abs. 2 ProdSG oder etwaiger Spezialgesetze
(z.B. § 1 Abs. 4 ProdSG i.V.m. dem AMG). Im Übrigen ist die Regelungssystematik der europäischen angepasst: Die herstellerseitige
Unbedenklichkeitsprüfung orientiert sich an den allgemeinen Anforderungen des § 3 Abs. 2 ProdSG. Dabei kann der Hersteller Pflichten
konkretisierende Normen und technische Spezifikationen beiziehen
(§ 5 Abs. 1 ProdSG), wobei nur die herstellerseitige Befolgung solcher Normen eine Vermutungswirkung für die Einhaltung der allgemeinen Anforderungen nach § 3 Absatz 2 ProdSG auslöst, die der
nationale Ausschuss für Produktsicherheit (AfPS) zuvor ermittelt
und im Ministerialblatt bekannt gegeben hat (§§ 5 Abs. 2, 4 Abs. 3
ProdSG). 20 Ist die Unbedenklichkeit festgestellt, kann die Konformität erklärt und das CE-Kennzeichen angebracht werden.
2.2.2 Regelungen zur Technischen Dokumentation/Kommunikation
Das ProdSG stellt – neben den Anforderungen zur Technischen
Dokumentation/Kommunikation, die sich aus den Rechtsverordnungen ergeben und dabei, wie erwähnt, den Harmonisierungsrichtlinien
entsprechen – auch für die nicht-harmonisierten Produkte Bereitstellungsbedingungen zur anforderungsgerechten Benutzerinformation
auf (§ 3 Abs. 2 ProdSG) und ordnet ergänzende Pflichten für Verbraucherprodukte an (§ 3 Abs. 3 und Abs. 4 ProdSG sowie § 6 ProdSG),
die ebenfalls die Technische Kommunikation betreffen.
Zum einen normiert § 3 Abs. 3 ProdSG für Produkte, die aufgrund ihrer Bauart ihren vollen Sicherheitsstatus erst dann erreichen
können, wenn sie aufgestellt sind, dass die Nutzer auf diesen Umstand hinzuweisen und ggf. über zusätzlich notwendige Maßnahmen,
die eine unbedenkliche Inbetriebnahme ermöglichen, aufzuklären
sind. Zum anderen fordert § 3 Abs. 4 ProdSG generell das Mitliefern
von Gebrauchsanleitungen. Bei Verbraucherprodukten (§ 2 Nr. 26
ProdSG) haben die Wirtschaftsakteure (Hersteller, Bevollmächtigte
und Einführer) überdies sicherzustellen, dass der Verwender die Informationen erhält, die er benötigt, um die Risiken, die mit einem
Verbraucherprodukt verbunden sind, erkennen und beurteilen zu
können (Informationspflicht, Nr. 1). Daneben ist eine Verpflichtung
zur Hersteller- und Produktkennzeichnung 21 vorgesehen (Nr. 2). Und
19 Wilrich (2012), 5.
20 Eine Auflistung aller nationalen Normen und technischen Spezifikationen, die eine Vermutungswirkung entfalten, findet sich auf der Homepage der BAuA: http://www.baua.de/
de/Produktsicherheit/Produkt/Normenverzeichnisse.html.
21 Während das ProdSG keine Vorgaben macht, inwieweit die Kennzeichen/Hinweise mit dem
21
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
schließlich werden in § 6 Nr. 3 (Kommunikations-)Pflichten angeordnet, die erst nach Inverkehrgabe eines Produkts relevant werden (wie
z.B. das Beschwerdemanagement, die Händlerinformation). Auch sie
sind der Verpflichtung zur Technischen Kommunikation im Rahmen
des Produktlebenszyklus zuzurechnen.
Sicherstellen der
„formalen Konformität“
über Normen
2.3 Normen zur Technischen Dokumentation/Kommunikation
Im Ergebnis ergeben sich sowohl aus dem europäischen als auch aus
dem nationalen Produktsicherheitsrecht Verpflichtungen zur Technischen Dokumentation/Kommunikation. Dabei sind die inhaltlichen
Vorgaben zu den technischen Unterlagen (= Dokumentation) und
den produktbegleitenden (Sicherheits-)Informationen (= Kommunikation) zum Teil recht präzise (insbesondere in den Harmonisierungsrichtlinien), während sie an anderer Stelle eher abstrakt bleiben
(insbesondere RaPS und ProdSG) und daher für einen gewissen Auslegungs- und Gestaltungsspielraum sorgen, der gerade für Technische Redakteure unbefriedigend sein kann. Denn am Ende entspricht
ein eigenerstelltes, als „Gebrauchsanleitung“ deklariertes Dokument
ggf. nicht (mehr) den Erwartungen des europäischen oder nationalen Gesetzgebers mit der daraus folgenden Konsequenz, dass das
Produkt wegen der „formalen Nichtkonformität“ 22 vom Markt genommen und weitere Marktüberwachungsmaßnahmen angeordnet
werden können. Insofern besteht aufseiten der Verantwortlichen ein
berechtigtes Interesse daran, möglichst rechtssicher die Vorgaben des
Produktsicherheitsrechts zur Technischen Dokumentation/Kommunikation umzusetzen.
Hierbei kommt nun die Unterstützung von Normen zur Technischen Dokumentation/Kommunikation ins Spiel. Sie geben konkrete
Informationen, wie die eher allgemein gehaltenen Anforderungen in
den Harmonisierungsrichtlinien und Gesetzen praktikabel umgesetzt
werden können. Handelt es sich dabei um harmonisierte Europäische Normen oder vom AfPS im Bundesanzeiger bekanntgegebene
Normen, wird mit deren Befolgung den Erwartungen des Gesetzgebers entsprochen (Vermutungswirkung), sodass die formale (Produkt-)
Konformität gegeben wäre.
2.3.1 DIN EN ISO 82079-1
DIN EN ISO 82079-1
Neben einer beachtlichen Reihe von harmonisierten Europäischen
und nationalen Normen zur Technischen Dokumentation, deren
Ausführungen sich häufig auch auf Begleitunterlagen beziehen 23 (u.a.
Produkt verbunden sein müssen, ist dies in anderen Gesetzen z.T. detaillierter vorgegeben. Relevant
wird dies u.a., wenn ein Verbraucherprodukt (z.B. ein elektronisches Gerät) auch in den Anwendungsbereich eines Spezialgesetzes fällt und dieses die „dauerhafte Kennzeichnung am Produkt“
fordert (z.B. ElektroG).
22 Siehe z.B. Art. 22 Abs. 1 lit. f NiederspannungsRL; § 26 Abs. 2 ProdSG.
23 Eine Auflistung findet sich auf der Homepage der BAuA: http://www.baua.de/
de/Produktsicherheit/Produkt/Normenverzeichnisse.html.
22
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
zur Sicherheit von Maschinen: DIN EN 12100-2, DIN EN 62061,
DIN EN 15038, DIN EN 60204-1, DIN EN ISO 13849-1), ist im
August 2012 mit der ISO/IEC 82079-1 nun die erste weltweit gültige
Norm für die Erstellung von Anwenderinformationen, also für die
Technische Kommunikation erschienen, zunächst in englischer und
französischer Sprache und im Juni 2013 als DIN EN 82079-1 auch in
deutscher Sprache. 24 Sie löst die zuvor gültige Norm DIN EN 62079
„Erstellen von Anleitungen“ ab und definiert u.a. allgemeine Prinzipien, wie Vollständigkeit, Verständlichkeit, Konsistenz und Transparenz, beschreibt die Inhalte von Anwenderdokumentationen sowie
die Art und Weise ihrer Darstellung. Dabei weist sie einen sehr hohen
Detaillierungsgrad bezüglich der möglichen Gestaltung und Formulierung von produktbegleitenden Anleitungen aller Arten auf (u.a. sicherheitsbezogene Informationen, wie Sicherheits- und Warnhinweise, Instandhaltungshinweise, Demontage- und Entsorgungshinweise,
Gebrauchsanleitungen usw.). Durch ihre breite Ausrichtung kann sie
für sämtliche Produkte zugrunde gelegt werden – von der Farbdose
bis hin zu schlüsselfertigen Anlagen.
DIN EN 82079-1 (VDE 0039-1):2013-06 (Auszug)
1. Anwendungsbereich
2. Normative Verweisungen
3. Begriffe
4. Prinzipien
5. Inhalt von Gebrauchsanleitungen, u.a. sicherheitsbezogene Informationen: Sicherheitshinweise und Warnhinweise, Übereinstimmung mit dem Produkt, Aufbewahrung, Gebrauchsvorbereitung, Produktbetrieb, Instandhaltung, Zubehör/Ersatzteile,
Reparatur, Hinweise zu Demontage, Recycling und Entsorgung
6. Gestaltung von Gebrauchsanleitungen, u.a. Verständlichkeit,
Leserlichkeit, visuelle Darstellung und unterstützender Text,
grafische Symbole und Zeichen, Tabellen, Hervorhebungen,
Farben, geeignete Dokumente einschließlich elektronischer
Medien
7. Bewertung der Konformität mit diesem Teil der Normenreihe
82079.
Anhänge
Hieran sollten sich Hersteller bzw. Technische Redakteure zunächst
einmal orientieren. Die Norm spiegelt den derzeit auch international gültigen Stand der Technik für die Technische Kommunikation
DIN EN 82079-1
zumindest „Stand
der Technik“
24 Titel: Erstellen von Gebrauchsanleitungen – Gliederung, Inhalt und Darstellung – Teil 1: Allgemeine Grundsätze und ausführliche Anforderungen (IEC 82079-1:2012); Deutsche Fassung EN
82079-1:2012.
23
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
wider, wenngleich sie keine uneingeschränkte Vermutungswirkung
entfaltet, wie der nachfolgende Auszug aus der Auflistung des AfPS
Stand Juli 2015 zeigt.
2.3.2 Richtlinien und Leitfäden
Hilfen zur
Ausgestaltung
produktbegleitender
Information
Gesetzliche
Anknüpfungen
außerhalb des
Produktsicherheitsrechts
Neben der angesprochenen international vereinheitlichten Norm
gibt es weitere Standards und Handlungsanleitungen privater, normbegleitender Organisationen, die eine zuverlässige Hilfestellung beim
Erstellen der Technischen Kommunikation sein können:
• ISO/IEC Guide 37 „Instructions for use of products of
­consumer interest“ (1995)
• VDI Richtlinienreihe 4500, insbesondere Blatt 1 (2006) und
Blatt 4 (2011)
• tekom-Leitfaden Sicherheits- und Warnhinweise (2014)
• DIN-Fachbericht 146 (2006).
2.4 Sonstige relevante Gesetze
Im Wesentlichen haben sich die bisherigen Ausführungen auf die
Darstellung des Produktsicherheitsrechts beschränkt. Dies ist in Anbetracht seiner herausgehobenen Stellung auch legitim. Dennoch
sollen im Anschluss und in der gebotenen Kürze weitere wichtige
Gesetze außerhalb des Produktsicherheitsrechts benannt werden, die
Aspekte der Technischen Dokumentation/Kommunikation direkt aufnehmen oder die relevant werden (können), sofern die formalen Anforderungen aus dem Produktsicherheitsrecht nicht beachtet werden:
• § 434 BGB: Bedienungsanleitung/Montageanleitung
Eine fehlerhafte Bedienungs- oder Montageanleitung stellt einen
Sachmangel nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 dar (Beschaffenheitsmangel) und begründet Gewährleistungsrechte (Nacherfüllung,
Rücktritt oder Schadensersatz). 25 Der Haftungsausschluss des
§ 434 Abs. 2 S. 2 BGB (Haftungsausschluss bei ordnungsgemäßem Aufbau) bezieht sich nur auf die Montageanleitung.
25 Westermann/Krüger (2006), MüKo-BGB, § 434 Rn. 42.
24
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
• § 3 ProdHaftG/§ 823 BGB: (Instruktions-)Fehler
Ein Produkt hat nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG einen Fehler, wenn es
nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Um­
stände berechtigterweise erwartet werden kann. Die nach § 3 Abs. 1
ProdHaftG maßgeblichen Sicherheitserwartungen beurteilen sich
grundsätzlich nach denselben objektiven Maßstäben wie die Verkehrspflichten des Herstellers im Rahmen der deliktischen Haftung
gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein
haftungsbegründender Instruktionsfehler im Sinne des § 3 Abs. 1
lit. a ProdHaftG vor, wenn der Hersteller nicht oder nur unzureichend über die Art und Weise der Verwendung und die damit
verbundenen Gefahren aufklärt. Die Fehlerhaftigkeit kann sich
dabei sowohl aus dem gänzlichen Fehlen einer Anweisung oder Gebrauchsanleitung sowie aufgrund inhaltlicher Mängel der gelieferten
Gebrauchsanleitung ergeben. 26 Insofern führt die Missachtung
anforderungsgerechter Benutzerinformationen bei vorhersehbarer
Verwendung nicht selten zur Produkt-/Produzentenhaftung.
• § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG: Bedienungs-/Gebrauchsanleitung
Die Bedienungs- oder Gebrauchsanleitung stellt in ihrer Gesamtheit ein schutzfähiges Schriftwerk gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG
dar. Sofern sich darin Fotografien befinden, unterliegen sie außerdem einem Schutz nach § 72 UrhG. 27 Eingriffe in den Urheberschutz können zu Schadensersatzansprüchen führen.
• § 11 Abs. 4 UWG: Marktverhaltensregel
Produktbezogene Informationspflichten (Kennzeichnungspflichten, Warnhinweise usw.) dienen zumeist auch der Sicherung einer
rationalen Verbraucherentscheidung und stellen daher Marktverhaltensregeln dar, deren Verletzung als unlauteres Verhalten im
Sinne des § 4 Nr. 11 UWG gilt. 28 Verstöße gegen Marktverhaltensregeln können zugleich den Tatbestand der Irreführung gemäß
§ 5 UWG erfüllen. Abmahnung, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche sind die daraus folgende Konsequenz.
3 Privatautonom gestaltbares Vertragsrecht
Die Rechtsbeziehungen im unternehmerischen Alltag werden regelmäßig von Rechtsgeschäften, insbesondere Verträgen, begleitet. Dabei gilt der Grundsatz der Privatautonomie. Er umschreibt die dem
Privatautonomie
26 OLG Nürnberg, Urteil vom 20.05.2014 – 4 U 206/14 (Mountainbike).
27 OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.05.2015 – Aktenzeichen 11 U 18/14 (Bedienungsanleitung).
28 Köhler/Bornkamm (2015): Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – UWG, § 4
Rn. 11.117 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 16.05.2013 – 4 U 194/12 (Warnhinweis bei Spielzeug);
OLG Celle, Urteil vom 21.11.2013 – 13 U 84/13 (Kennzeichnung durch Klebefähnchen).
25
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
Grenzen …
… des Produkt­
sicherheitsrechts
Einzelnen durch die Rechtsordnung gewährte und verfassungsrechtlich (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG) gesicherte Möglichkeit, die
Regelung seiner Lebensverhältnisse innerhalb der geltenden Rechtsordnung durch Rechtsgeschäfte, insbesondere durch Verträge, selbst
zu bestimmen und auszugestalten (§ 311 Abs. 1 BGB). Er selbst entscheidet, ob und mit wem er Verträge schließen will (sogenannte Abschlussfreiheit) und wie deren Inhalt ausgestaltet sein soll (sogenannte Gestaltungsfreiheit). Demzufolge können auch die Vorstellungen
der Vertragsparteien zur Technischen Dokumentation/Kommunikation Gegenstand von vertraglichen, zumeist bilateralen Regelungen
werden.
Sie können dabei eine nur begleitende Rolle als Bestandteil des
Kauf- oder Werkvertrags einnehmen (Wie soll die verkaufte Maschine gewartet oder instand gehalten werden?) oder aber zur zentralen
Leistungsverpflichtung werden, sofern der Hersteller einen externen
Dienstleister (z.B. einen Technischen Redakteur) damit beauftragt, die
(Sicherheits-)Informationen zu verfassen, die sich der Hersteller anschließend zu eigen macht. Je nachdem, ob Kauf-/Werkvertrag oder
Dienstvertrag 29 vorliegt, werden unterschiedliche Anforderungen an
die Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses zu stellen sein. 30 Ferner
bestimmt sich das Leistungsstörungs- und Gewährleistungsrecht sodann nach unterschiedlichen Vorschriften: Kauf – die Technische
Kommunikation nimmt dann Einfluss auf die vertraglich geschuldete
Beschaffenheit des Kaufgegenstands (§§ 434 ff. BGB, 474 ff. BGB);
Dienstvertrag – die Technische Kommunikation ist die geschuldete
Leistung selbst (§ 280 Abs. 1 BGB, § 620 ff. BGB).
Allerdings – und dies darf nicht unbeachtet bleiben – unterliegt
auch die privatautonome Ausgestaltung von Verträgen rechtlichen
Grenzen. Die Gestaltungsfreiheit wird dort eingeschränkt, wo sie
zu Lasten Dritter missbraucht werden könnte oder gegen gesetzliche Vorgaben zum Schutz Einzelner und der Allgemeinheit verstößt
(§§ 134, 138, 242 BGB). Verträge, die darauf gerichtet sind, einen
Verstoß gegen das Produktsicherheitsrecht zu befördern, sind nichtig.
Im Übrigen kann sich der durch das Produktsicherheitsrecht
verpflichtete Wirtschaftsakteur nicht über einen Vertrag seinen Verpflichtungen entziehen bzw. diese uneingeschränkt abbedingen oder
für verzichtbar erklären. Jedenfalls bleibt die öffentlich-rechtliche
Pflicht – gegenüber dem Staat (!) – bestehen. Ohnehin ist die zivilrechtliche Wirkung eines „Beiseiteschiebens“ zweifelhaft. So ist z.B.
– wie dargestellt – die Zurverfügungstellung einer den grundlegen 29 Inwieweit die redaktionelle Leistung dem Dienstvertragsrecht oder auch dem Werkvertragsrecht
zuzurechnen ist, hängt von den Leistungen ab, die der Redakteur zu erbringen hat. Da die Einordnung nicht immer einfach ist, sollten möglichst zahlreiche Aspekte im zugrundeliegenden Vertrag
geregelt werden.
30 Heuer (2006), 15 ff.
26
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
den Anforderungen entsprechenden Betriebsanleitung nach Anh. I
der MaschinenRL Grundlage für die Bereitstellung der Maschine im
Markt und zugleich eine Verpflichtung des Herstellers. Dieser kann er
sich nicht entledigen. Selbst wenn er seine Verpflichtung innerorganisatorisch bzw. extern auf andere delegiert (z.B. die Übersetzung oder
die redaktionelle Ausgestaltung) – dies wäre vertraglich gestaltbar –,
würde er natürlich die Letztverantwortung für die rechtskonforme,
den Anforderungen des Produktsicherheitsrechts genügende Technische Dokumentation/Kommunikation behalten; eine Inanspruchnahme – gerade auch zivilrechtlich – könnte er wegen §§ 278, 276
BGB (Einstehen für den Erfüllungsgehilfen) nicht abwenden. 31
Dazu passt die folgende Äußerung der EG-Kommission zur Frage: „Can the manufacturer (or seller) and the user agree that the
instructing manual will be written only in the language of the manufacturer?“ Darauf antwortete die Working Group Machinery:
„A private agreement between the manufacturer and the user cannot take the place of legislation. In the event of an accident due
to lack of comprehension on the operator’s part, the manufacturer or his representative might be liable.“ 32
Ein ebenso zu beachtender Aspekt ist schließlich, wo genau die produktbegleitende Technische Kommunikation im Vertragskontext
platziert wird. Gerade beim Verkauf von Verbraucherprodukten wird
sie sehr häufig in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) mit
verarbeitet. Dabei ist problematisch, dass aus produktsicherheitsrechtlicher Sicht „sichergestellt werden muss“, dass die produktbegleitenden
(Sicherheits-)Informationen den Verbraucher erreichen (§ 6 Abs. 1
Nr. 1 ProdSG). Davon kann allerdings nicht mehr ausgegangen werden, wenn sie in AGB zwischen einer Vielzahl anderer Informationen
zur Vertragsabwicklung versteckt sind. Werden sie hingegen hervorgehoben, sodass sie für den Verbraucher augenfällig werden, sollten
sie produktsicherheitsrechtlichen Anforderungen genügen. 33
Nimmt die (Sicherheits-)Information einen eigenständigen Platz
ein (z.B. Gebrauchs- oder Instandhaltungshinweise) und wird sie als
solche einer Vielzahl von Verträgen (z.B. Kaufverträgen) beigefügt,
mutiert sie selbst zur Allgemeinen Geschäftsbedingung, welche sodann an den gesetzlichen Regelungen der §§ 305 ff. BGB zu messen ist und einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhalten muss.
Dabei spielen dann mitunter nicht nur produktsicherheitsrechtliche
… des Rechts zu den
Allgemeinen Geschäftsbedingungen
31 In ähnlicher Form Wilrich (2012), Rn. 407 ff.
32 Q und A, Approved by Working Group Machinery of the Committee 98/37/EC, in: Useful
Facts in Relation to the Machinery Directive, Implementation of Council Directive 98/37/EC.
33 Zu Recht Klindt (2015), ProdSG, § 1 Rn. 54.
27
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
Erwägungen eine Rolle, sondern auch sonstige vertragsbegleitende
Aspekte. Insofern sollten die produktbegleitenden Informationen
vor Inverkehrgabe stets auch einer „schuldrechtlichen Überprüfung“
unterzogen werden.
4 Rolle der Rechtsprechung
Auslegung und
Konkretisierung
Eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Ausgestaltung der Pflichtenlage im Zusammenhang mit der Technischen Dokumentation/
Kommunikation nimmt die Rechtsprechung ein. Sie ist es, die im
Zweifel festlegt, wann die produktbegleitende Information den –
zum Teil abstrakten – produktsicherheitsrechtlichen Anforderungen
genügt oder wo sie eben ihre Zielsetzung verfehlt hat und dies rechtliche Konsequenzen für die Wirtschaftsakteure nach sich zieht. Neben Vertriebsverboten oder der Feststellung, dass ein Warnhinweis in
der gewählten Form unzulässig ist, begründet die Rechtsprechung regelmäßig ihre Einschätzung sehr dezidiert und liefert zugleich wichtige Anhaltspunkte dafür, an welchen Stellen der Wirtschaftsakteur bei
der Gestaltung der produktbezogenen Informationen künftig nachjustieren muss.
Als Beispiel mag ein Urteil des VG Köln 34 dienen, in welchem
das Betreiben eines medizinischen Lasergeräts untersagt wurde.
Untersagungsgrund war die unzureichende Gebrauchsanleitung
mit ihren wenig anforderungsgerechten Benutzerinformationen.
Hierzu führt das Gericht u.a. aus: „Für die Beurteilung der Anforderungen, die an die sachgerechte Handhabung des fraglichen
Lasergeräts zu stellen sind, ist in erster Linie auf die Angaben
des Herstellers in der Gebrauchsanleitung abzustellen.“ […] „Zu
dem Umstand, dass der Antragsteller nicht ausreichend über die
Gefahren von Laserstrahlung informiert ist, tritt die Gefahr, dass
er – infolge Fehlens einer medizinischen Ausbildung – nicht hinreichend
in der Lage ist, abzuschätzen, wann eine Laserbehandlung kon­
traindiziert ist.“ Hieraus kann nun geschlussfolgert werden, dass
eine medizinische Abbildung – z.B. ein Piktogramm, welches die
Gefahr für Auge und Haut verdeutlicht hätte – den Mangel in der
Gebrauchsanweisung an dieser Stelle beseitigt hätte. Hier erfolgte
sonach ein klarer Hinweis des Gerichts, wie die abstrakten produktsicherheitsrechtlichen Anforderungen praktisch (konkretisierend) umzusetzen sind.
34 VG Köln, Beschluss vom 18.07.2008 – 7 L 721/08 (Vertriebsverbot Medizinprodukt).
28
Wer regelt was mit welchem Recht für die Technische Kommunikation? Ein Überblick
5 Zusammenfassung
Die Technische Dokumentation/Kommunikation wird von allen
rechtsstaatlichen Ebenen beeinflusst, in erster Linie vom europäischen und nationalen Gesetzgeber, der durch das Produktsicherheitsrecht die Basis für die produktbegleitende (Sicherheits-)Informationen schafft. Da die Anforderungen aber eher abstrakter Natur sind,
nicht jeden Einzelfall (jedes einzelne Produkt) abbilden können, bleibt
ein Handlungsspielraum für die zur Gestaltung verpflichteten Wirtschaftsakteure, der unter Berücksichtigung der Inhalte der DIN EN
82079-1 verdichtet werden kann. Ferner sind die Grenzen des Privatrechts und der Judikatur bei der Ausgestaltung zu berücksichtigen.
6 Literatur
Gesmann-Nuissl, Dagmar / Ensthaler, Jürgen / Edelhäuser, Rainer (2011): KANStudie 47, Akkreditierung von Konformitätsbewertungssstellen. Bonn: KAN.
Gesmann-Nuissl, Dagmar (2014): Weiterentwicklung des BAuA-Produktsicherheitsportals: Internethandel und Produktsicherheit. Dortmund: BAuA.
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Europäischen Produktsicherheitsrecht. In: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW), 134–138.
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Kothes, Lars (2011): Grundlagen der Technischen Dokumentation. Anleitungen verständlich und normgerecht erstellen. Berlin/Heidelberg: Springer.
Köhler, Helmut / Bornkamm, Joachim (2015): Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: UWG. 33., neu bearbeitete Auflage. München: C. H. Beck.
Moritz, Dirk / Geiß, Joachim (2012): Das Produktsicherheitsgesetz. 2., komplett
überarbeitete Auflage. Berlin: VDE-Verlag.
Westermann, Harm Peter / Krüger, Wolfgang (2012): Münchener Kommentar zum
BGB. Band 3: Schuldrecht – Besonderer Teil I, §§ 433–610. 6. Auflage. München: C. H. Beck.
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Wilrich, Thomas (2012): Das neue Produktsicherheitsgesetz (ProdSG). Leitfaden für
Hersteller, Importeure und Händler. Berlin: Beuth.
29
Jens-Uwe Heuer-James / Claudia Klumpp
Auswirkungen der neuen
Produktsicherheitsverordnung
der EU auf die Technische
Kommunikation
1 Einleitung
Die Europäische Kommission hat am 13.02.2013 den Entwurf für
eine neue Produktsicherheitsverordnung als Teil eines Produktsicherheits- und Marktüberwachungspakets vorgelegt. Geplant war,
dass dieses Paket bereits zum 01.01.2015 Geltung erhalten und die
bislang geltende Produktsicherheitsrichtline 2001/95/EG ablösen
sollte.
Zu einer Verabschiedung der Verordnung ist es jedoch wegen einer politischen Auseinandersetzung noch nicht gekommen.
Dies betrifft ein Randthema, nämlich die Frage, ob Angaben zum
Ursprungsland des Produkts verbindlich sein sollen. Da es sich wie
ausgeführt um ein Randthema handelt, soll der Verordnungsentwurf
ungeachtet dieser Auseinandersetzungen vorgestellt und im Hinblick
auf seine Auswirkungen auf die Technische Kommunikation näher
beleuchtet werden.
2 Der gegenwärtige Rechtsrahmen
für Produkt­sicherheitsrecht
und Marktüberwachung in Europa
2.1 Vom New Approach zum New Legislative Framework
Seit 1985 stand der New Approach für die Beseitigung technischer
Handelshemmnisse im Europäischen Binnenmarkt und für ein einheitliches Niveau bei Produktsicherheit und Verbraucherschutz. Wesentlich war dabei die Einführung der CE-Kennzeichnung von Produkten.
Die auf der Grundlage dieses Konzepts entstandenen Pro­dukt­
richtlinien zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass sie nur allgemein
gehaltene, grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen für ihren jeweiligen Produktbereich regeln und die Konkretisierung der Anforderungen durch harmonisierte Normen erfolgt.
30
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
Die Anwendung dieser harmonisierten Produktnormen ist freiwillig.
Ausschlaggebend ist, dass das Produkt den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie genügt. Wer als Hersteller jedoch sein Produkt
entsprechend den harmonisierten Normen konzipiert und vertreibt,
kann gegenüber den nationalen Marktüberwachungsbehörden anführen, dass das normkonforme Produkt den Anforderungen der Richtlinie genügt (sog. Vermutungswirkung).
Seit 1987 traten über 20 solcher Produktrichtlinien in Kraft.
Dies führte mit der Zeit zu Uneinheitlichkeiten in Bezug auf allgemeine Anforderungen, Konformitätsbewertungsverfahren, Kennzeichnungspflichten, rechtliche Definitionen usw.
Bis auf die Produktsicherheitsrichtlinie, die auch einen Rechtsrahmen zur Marktüberwachung für Verbraucherprodukte enthält und
der wir das RAPEX-System zu verdanken haben, war die Marktüberwachung von Nicht-Verbraucherprodukten souveräne Angelegenheit
der Mitgliedsstaaten und damit unterschiedlich streng. Von einer einheitlichen Produktüberwachung in Europa konnte keine Rede sein.
Die Uneinheitlichkeit des Regelwerks und die unterschiedliche Verwaltungspraxis in den Mitgliedsstaaten hat die Europäische
Union im Jahr 2008 veranlasst, mit dem New Legislative Framework
die Grundlagen für einen vereinheitlichten Rechtsrahmen für Anforderungen an Produkte sowie die Grundlagen für eine einheitliche
Produktüberwachung in Europa zu schaffen. Im Ergebnis lässt sich
festhalten, dass dies zu einer Verschärfung der Anforderungen an die
Produktsicherheit und der Marktüberwachung geführt hat.
2.2 New Legislative Framework und Alignment Package
Das Jahr 2008 brachte das New Legislative Framework in Form der
„Europäischen Verordnung (EG) Nr. 765/2008 zur Akkreditierung
und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung
von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr.
339/93“ und des „Beschlusses des Europäischen Parlaments und des
Rates Nr. 768/2008/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für
die Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung des Beschlusses
93/465/EWG des Rates“.
Die Verordnung stellt horizontale Rahmenbestimmungen für
die mit dem Vollzug der Binnenmarktrichtlinien befassten nationalen
Behörden auf. Dabei hat sich der Gesetzgeber der bereits bekannten und bewährten Strukturen der Marktüberwachung für Verbraucherprodukte aus der noch geltenden Produktsicherheitsrichtlinie
bedient. Hinsichtlich der Marktaufsicht gab die Europäische Union
nun den nationalen Marktüberwachungsbehörden die Möglichkeit,
unter harmonisierte Rechtsvorschriften fallende Produkte nicht nur
im Hinblick auf die Richtlinienkonformität bei bestimmungsgemäßer
Verwendung, sondern – wie bei der Produktsicherheitsrichtlinie auch
31
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
– im Hinblick auf die Fälle von „vorhersehbarer Fehlanwendung“ zu
überprüfen.
Die Berücksichtigung der „vorhersehbaren Fehlanwendung“ wurde damit ausgedehnt von ursprünglich nur unter die Produktsicherheitsrichtlinie fallenden Verbraucherprodukten auf alle B2BProdukte, die unter harmonisierte Produktrichtlinien fallen.
Musterbestimmungen
für Harmonisierungsrechtsvorschriften
Ziele
Der Beschluss enthält kurz gesagt prinzipielle Grundsätze und Definitionen der wichtigsten Rechtsbegriffe (z.B. Hersteller, Bereitstellung
auf dem Markt, Inverkehrbringen), die zukünftig bei der Erstellung
oder Überarbeitung von produktsicherheitsrelevanten Harmonisierungsvorschriften berücksichtigt werden sollen, sozusagen ein Strickmuster.
Weitere Ziele des New Legislative Framework sind:
• Klare Pflichtenkataloge für die Wirtschaftsakteure, z.B. hinsichtlich CE-Kennzeichnung oder Rückverfolgbarkeit der Produkte.
• Die Möglichkeit für die Wirtschaftsakteure, den Marktüberwachungsbehörden Informationen zum Konformitätsnachweis mit
der Hilfe elektronischer Mittel zur Verfügung zu stellen.
Änderungen in Folge des New Legislative Framework:
• Im Jahr 2011 wurde das deutsche Geräte- und Produktsicherheitsgesetz durch das an die Vorgaben des New Legislative Framework
angepasste Produktsicherheitsgesetz abgelöst. 1
• 2014 wurde das Alignment Package verabschiedet. Dies ist kurz
gesagt die Überarbeitung von acht Richtlinien 2 nach dem Strickmuster des New Legislative Framework. Alle überarbeiteten Richtlinien werden zum 20.04.2016 in Kraft treten.
• Die alte Produktsicherheitsrichtlinie aus dem Jahr 2001 fällt aus
dem Rahmen des New Legislative Framework und bedarf einer
Überarbeitung. Der ‚dritte Streich‘ wird folglich das neue Produktsicherheits- und Marktüberwachungspaket mit einer Anpassung
der Produktsicherheitsrichtlinie sein.
1 Heuer 2011.
2 Es handelt sich um folgende Richtlinien:
2014/28/EU (Explosivstoffe für zivile Zwecke)
2014/29/EU (Druckbehälter)
2014/30/EU (EMV)
2014/31/EU (nichtselbsttätige Waagen)
2014/32/EU (Messgeräte)
2014/33/EU (Aufzüge)
2014/34/EU (ATEX)
2014/35/EU (Niederspannung).
32
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
3 Die neue Produktsicherheitsverordnung als
Teil des neuen Produktsicherheits- und
Marktüberwachungspakets
Der Entwurf für die neue Produktsicherheitsverordnung konzen­
triert sich grob auf drei Kernthemen:
Änderungen in Folge
des New Legislative
Framework
• Ein einheitliches Sicherheitsgebot (Kapitel I, Art. 4) mit einheitlichen Vorgaben
• Einheitliche Bewertungskriterien (Kapitel I, Art. 6)
• Pflichtenkataloge für die Wirtschaftsakteure (Kapitel II).
In ihrer Pressemeldung zur Vorstellung des neuen Produktsicherheits- und Marktüberwachungspakets kündigt die Kommission stolz
die Schaffung von eindeutigen, kohärenten und für den gesamten
Binnenmarkt geltenden Vorschriften zur Durchsetzung einer wirksameren Marktüberwachung und einer verbesserten Rückverfolgbarkeit der Produkte zum Wohle von Verbrauchern, Wirtschaftsakteuren
und der Marktüberwachung an. 3
In den Erwägungen der Gesetzesvorlage, 4 wie auch in der das
gesamte Paket begleitenden Mitteilung, 5 gibt die Kommission dann
freilich zu, dass Überschneidungen bei den Bestimmungen für die
Marktüberwachung und bei den Auflagen für die Wirtschaftsakteure,
die in der Produktsicherheitsrichtlinie einerseits und in den Richtlinien nach dem New Legislative Framework andererseits enthalten sind,
zunehmend bei Herstellern, Einführern und Händlern wie auch der
Marktüberwachung für Verwirrung gesorgt haben. Mit anderen Worten: Eine Überarbeitung zur Angleichung an die Vorgaben des New
Legislative Framework war dringend notwendig.
Wie schon die acht im Rahmen des Alignment Package überarbeiteten CE-Richtlinien orientiert sich dementsprechend auch der
Entwurf für die Produktsicherheitsverordnung an den Musterbestimmungen für Harmonisierungsrechtsvorschriften des Beschlusses
768/2008. Das zeigt sich sowohl an der neuen Begriffsdefinition wie
auch an den konkreten Pflichtenkatalogen für die einzelnen Wirtschaftsakteure.
3 Europäische Kommission, Press Release IP/13/111 vom 13.02.2013, 1.
4 COM(2013) 78 final.
5 COM(2013) 74 final, „3.1 Einfacher, klarer und besser“.
33
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
4 Was wird sich konkret ändern?
4.1 Verordnung statt Richtlinie
Kommen wir zunächst zum augenfälligsten Unterschied: Aus der
Richtlinie wurde eine Verordnung. Warum? Und was ist der Unterschied zwischen Richtlinie und Verordnung?
Mit einer Richtlinie gibt die EU ein zu erreichendes Ergebnis in
Form von Anforderungen an die Mitgliedsstaaten vor. Die Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, die Anforderungen der Richtlinie umzusetzen. Wie sie das machen, ist ihre Sache.
Die Verordnung bildet ein anderes Instrumentarium. Sie ist primäres Gemeinschaftsrecht und entfaltet ohne einen Umsetzungsakt
unmittelbare Rechtswirkung direkt in den Mitgliedsstaaten. Mit anderen Worten: Durch die Verordnung sind die Wirtschaftsakteure unmittelbar betroffen; die Marktüberwachung stützt etwaige Maßnahmen direkt auf die Verordnung und nicht auf nationales Recht.
Erwartungsgemäß brauchen einige Mitgliedsstaaten länger mit
der Umsetzung als andere. Auch haben die Mitgliedsstaaten zur Umsetzung unterschiedliche Wege eingeschlagen. Das ist dann auch die
Begründung der Kommission dafür, dass zu einer Verordnung gegriffen wurde: „Eine Verordnung ist das geeignete Rechtsinstrument,
da sie klare und ausführliche Bestimmungen enthält, die keinen Raum
für eine abweichende Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten lassen.
Mit einer Verordnung ist dafür gesorgt, dass rechtliche Bestimmungen ab einem bestimmten Zeitpunkt überall in der Union gelten.“ 6
Die Verordnung
gilt direkt in allen
Mitgliedsstaaten
Die Produktsicherheitsverordnung muss nicht erst in deutsches
Recht umgesetzt werden. Sie gilt direkt in allen Mitgliedsstaaten.
4.2 Geltungsbereich
Beim Geltungsbereich muss unterschieden werden zwischen dem der
gesamten Verordnung und dem weiter gefassten Geltungsbereich des
Allgemeinen Teils, welcher das allgemeine Sicherheitsgebot enthält.
4.2.1 Geltungsbereich der gesamten Verordnung
Der Verordnungsentwurf sieht einen weiteren Geltungsbereich als
bei der aktuell noch geltenden Produktsicherheitsrichtlinie vor:
Die noch geltende Produktsicherheitsrichtlinie legt den Geltungsbereich fest für alle Produkte, die auch im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung
• für Verbraucher bestimmt sind
• unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen von Verbrauchern benutzt werden könnten, selbst wenn die Produkte
nicht für Verbraucher bestimmt sind
6 COM(2013) 78 final.
34
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
• entgeltlich oder unentgeltlich im Rahmen einer Geschäftstätigkeit
geliefert oder zur Verfügung gestellt werden, unabhängig davon,
ob sie neu, gebraucht oder wiederaufgearbeitet sind.
Im Entwurf der Produktsicherheitsverordnung ist der Geltungsbereich noch erweitert auf sämtliche Produkte, die Verbraucher im
Rahmen einer den Verbrauchern erbrachten Dienstleistung nutzen.
Unter die neue Produktsicherheitsverordnung fällt nun auch B2Bvertriebenes professionelles Dienstleistungszubehör, welches von
Verbrauchern zwar nicht genutzt werden kann, dem Verbraucher
jedoch im Rahmen der Dienstleistung ausgesetzt sind, unabhängig
davon, ob sie das Produkt selbst nutzen oder nicht.
Generell nicht vom Geltungsbereich erfasst sind z.B. Lebens- und
Futtermittel, Arzneimittel für Mensch und Tier, Pflanzenschutzmittel und Beförderungsmittel, in denen Verbraucher sich fortbewegen
oder reisen und die im Rahmen einer Dienstleistung bedient werden.
Das deutsche Produktsicherheitsgesetz umfasst über Verbraucherprodukte hinaus zum Beispiel auch Zulieferprodukte oder Fahrzeugersatzteile, für deren Einbau, Austausch oder Handhabung die
Kenntnisse von Fachkräften notwendig sind. Diese Erweiterung ging
schon 2011 über die Produktsicherheitsrichtlinie hinaus und bleibt auch
im Hinblick auf die Produktsicherheitsverordnung überobligatorisch. 7
4.2.2 Geltungsbereich des Allgemeinen Teils (Kapitel I)
Der Geltungsbereich des Allgemeinen Teils (Kapitel I) ist weitergehend: Die dortigen Bestimmungen gelten für alle Produkte, die auch
bereits einer produktspezifischen Richtlinie (z.B. Medizingeräte) unterfallen (vertikale Harmonisierung). Die Verordnung schließt Produktbereiche, für die sie keine Geltung entfalten soll, explizit aus.
Das Kapitel I der geplanten neuen Produktsicherheitsverordnung
regelt
• den Gegenstand
• den Geltungsbereich
• Begriffsbestimmungen
• das allgemeine Sicherheitsgebot
• die Sicherheitsvermutung
• Kriterien und Elemente für die Beurteilung der Sicherheit von
Produkten
• die Verpflichtung zur Ursprungsangabe (höchst umstritten).
Es soll grundsätzlich für alle Produkte gelten, die bereits einer
produktspezifischen Richtlinie unterfallen, soweit sie nicht explizit
vom Geltungsbereich ausgeschlossen sind.
Erweiterter Geltungsbereich für Kapitel I
7 Hierzu mit weiteren Nachweisen: Deutelmoser, NVwZ-Extra 16/2013, 2.
35
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
4.3 Bekannte und neue Begriffsbestimmungen
Wie bereits erwähnt, hat die Kommission bei der Konzeption der
neuen Produktsicherheitsverordnung auf das Strickmuster und die
Begriffe des New Legislative Framework, insbesondere auf den Beschluss 768/2008/EG zurückgegriffen, 8 welcher auch den im Rahmen des Alignment Package überarbeiteten Richtlinien zugrunde
lag.
4.3.1 Wirtschaftsakteure
Der Wirtschaftsakteur ist nun auch im Entwurf der Produktsicherheitsverordnung legal definiert. Wirtschaftsakteure sind Hersteller,
Bevollmächtigte, Einführer und Händler, welche ebenfalls im Entwurf legal definiert sind.
4.3.2 „Sicheres Produkt“
Nach dem aktuellen Entwurfsstand definiert sich „sicheres Produkt“
als
„jedes echte Produkt, das den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union im Bereich Gesundheit und Sicherheit entspricht;
falls es eine solche Rechtsvorschrift nicht gibt, bezeichnet der
Ausdruck jedes Produkt, das unter für das betreffende Produkt
normalen oder vernünftigerweise vorhersehbaren Verwendungsbedingungen, was auch die Verwendungsdauer sowie ggf. die Anweisungen für die Inbetriebnahme, die Installation, die Wartung,
die Schulung und die Überwachung einschließt, keine Risiken oder
nur die der Verwendung entsprechenden minimalen Risiken birgt,
die als vertretbar und mit einem hohen Gesundheitsschutz und
Sicherheitsniveau von Personen vereinbar gelten;“ (Art. 3 Ziff. 1
Produktsicherheitsverordnung (E)).
Die Definition scheint noch nicht abschließend geklärt zu sein. Als
letztes ist die Maßgabe „echtes Produkt“ in die Definition aufgenommen worden, wobei ein „echtes Produkt“ im Sinne von „kein Plagiat“
zu verstehen ist. Das bedeutet, dass Plagiate per se schon keine sicheren Produkte im Sinne der Verordnung sein können.
Anzumerken ist noch, dass die Definition des Entwurfs von
„minimalen Risiken“ und nicht wie die Produktsicherheitsrichtlinie
von „geringen Gefahren“ spricht. Dies ist allerdings auf die Angleichung an das New Legislative Framework zurückzuführen. Hinweise
darauf, dass hiermit eine inhaltliche Änderung beabsichtigt war, gibt
es nicht.
4.3.3 „Mit einem (ernsten) Risiko verbundene Produkte“
Was ein „mit einem Risiko verbundenes Produkt“ und ein „mit einem
ernsten Risiko verbundenes Produkt“ ist, wird in Art. 3 der Markt 8 COM(2013) 74 final, 4 f.
36
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
überwachungsverordnung (E) legal definiert. Nach Art. 13 Ziff. 3
dieses Entwurfs sind die Marktüberwachungsbehörden dank der Vermutungswirkung nur zu einem Eingreifen befugt, wenn „neue Erkenntnisse dafür sprechen, dass mit dem Produkt trotz der Konformität oder Übereinstimmung ein Risiko verbunden ist“.
4.4 Kriterien und Elemente für die Beurteilung der Sicherheit
von Produkten
Art. 6 des Entwurfs nennt unter a) und c) u.a. auch
• Anweisungen für Zusammenbau, Installation und Wartung
• Warn- und Bedienungshinweise
• Anweisungen für die Entsorgung
• sonstige produktbezogene Angaben und Informationen
als maßgebliche Kriterien und Elemente für die Beurteilung der Sicherheit von Produkten.
Das bedeutet, dass all diese Angaben und Dokumente in den
Fokus der Marktüberwachung fallen können.
Die Vorschrift ist allerdings subsidiär. Das bedeutet, dass die
Kriterien und Elemente für die Beurteilung der Sicherheit von Produkten nach Art. 6 des Verordnungsentwurfs nur dann zum Tragen
kommen, wenn es keine
• spezielleren Kriterien und Elemente für den Produktbereich in
harmonisierten europäischen Normen gibt
• Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen in dem Mitgliedsstaat
gibt, auf dessen Markt das Produkt bereitgestellt werden soll.
4.5 Neufassung und Erweiterung der Pflichten
der Wirtschaftsakteure
Das Kapitel II der Verordnung enthält ausschließlich Pflichtenkataloge für die einzelnen Wirtschaftsakteure, sprich Hersteller, Bevollmächtigte, Einführer und Händler.
Damit folgt die Verordnung auch hier den Musterbestimmungen
für Harmonisierungsrechtsvorschriften (Anhang 1 zum Beschluss Nr.
768/2008/EG). Die Pflichtenkataloge sind recht detailliert und stellen die größte Neuerung der Verordnung dar.
4.5.1 Anweisungen und Sicherheitsinformationen
Nach Art. 8 Ziff. 8 des Entwurfs müssen die „Hersteller gewährleisten, dass ihrem Produkt Anweisungen und Sicherheitsinformationen
in einer Sprache beigefügt sind, die von den Verbrauchern leicht verstanden werden kann und die der Mitgliedsstaat festlegt, in dem das
Produkt bereitgestellt wird.“ Der Einführer muss gewährleisten, dass
die erforderlichen Unterlagen beigefügt sind, während der Händler
sich der ordnungsgemäßen Erfüllung vergewissern muss.
Diese Formulierung ist im Ergebnis nicht ganz glücklich. Sie
gibt nämlich Anlass, darüber zu spekulieren, was wohl die Sprache
37
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
sein könnte, die „der Mitgliedsstaat festlegt“. Dem Wortlaut nach
könnten die Mitgliedsstaaten sich also für eine der Hauptsprachen
wie Englisch entscheiden und diese z.B. in Spanien ausreichend für
Bedienungsanleitungen sein lassen. Diese Überlegung geht jedoch
höchstwahrscheinlich an der Realität vorbei. Mit der oben genannten
Formulierung dürfte insbesondere im Hinblick auf Verbraucherprodukte die jeweilige Amtssprache gemeint sein. Darauf deutet auch ein
erster Entwurf zur Umsetzung der neuen Druckgeräterichtlinie hin,
der eine identische Formulierung enthält. Hier entscheidet sich der
deutsche Gesetzgeber klar für die deutsche Sprache. Ein klärendes
Wort der Kommission zu dieser Formulierung wäre wünschenswert.
4.5.2 Identifikationspflicht
Identifikationspflicht
Die Kommission ist der Ansicht, dass zur Gewährleistung eines besseren Verbraucherschutzes eine bessere Identifikation und Rückverfolgbarkeit der Produkte notwendig ist.
Hersteller haben nach dem Verordnungsentwurf zu gewährleisten, dass ihre Produkte eine Typen-, Chargen- oder Seriennummer
oder ein anderes für Verbraucher leicht erkennbares und lesbares
Kennzeichen zu ihrer Identifikation tragen.
Einführer haben ebenfalls ihren Namen, ihren eingetragenen
Handelsnahmen oder ihre eingetragene Handelsmarke und ihre Kontaktanschrift auf dem Produkt selbst oder auf der Verpackung oder
einer dem Produkt beigefügten Unterlage anzugeben. Dabei darf ihre
zusätzliche Etikettierung natürlich keine obligatorischen oder sicherheitsbezogenen Herstellerinformationen überdecken (Entwurf mit
angenommenen Änderungen, Kapitel II, Art. 10 Ziff. 3).
Die Praktikabilität dieser Anforderung ist zu bezweifeln (Gauger
2015, 374). Insbesondere die Angabe des Einführers dürfte eine logistische Herausforderung sein, wenn die Ware über eine Vielzahl von
Importeuren nach Europa gelangt. Hier müssten dann die Importeure selbst Kapazitäten zur Kennzeichnung der Produkte vorhalten.
4.5.3 Risikoanalyse und Dokumentationspflicht
Hersteller sollen zukünftig auch in Bereichen, die nicht bereits durch
produktspezifische Richtlinien geregelt sind, zur Erstellung sog. technischer Unterlagen verpflichtet sein, die zehn Jahre lang bereitzuhalten und auf Verlangen den Marktüberwachungsbehörden vorzulegen
sind. Diese technischen Unterlagen umfassen
• eine allgemeine Beschreibung des Produkts und seiner wesentlichen Eigenschaften, die für die Beurteilung der Sicherheit des
Produkts relevant sind
• eine Analyse der möglichen mit dem Produkt verbundenen Risiken und der gewählten Lösungen zur Abwendung oder Verringerung dieser Risiken, einschließlich der Ergebnisse von Tests,
die der Hersteller durchgeführt hat oder von einem Dritten hat
durchführen lassen
38
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
• ggf. ein Verzeichnis der europäischen Normen, der Gesundheitsund Sicherheitsbestimmungen im Recht des Mitgliedsstaats, in
dem das Produkt auf dem Markt bereitgestellt wird.
Diese Pflicht bringt nicht nur einen erheblichen formellen Dokumentationsaufwand mit sich, sondern auch die Durchführung formeller
Analysen. Hersteller, die dieser Verpflichtung neu unterfallen, sollten
sich frühzeitig mit der Implementierung der notwendigen Prozesse
beschäftigen.
Bei der Erstellung der Dokumentation sollte ggf. berücksichtigt
werden, dass bei Produkthaftungsprozessen in den USA die gegnerische Seite im Discovery-Verfahren Zugriff auf diese Unterlagen nehmen kann (Deutelmoser 2013).
Die Bereithaltungsdauer ist mit zehn Jahren ab dem Inverkehrbringen angegeben. Bei Serienprodukten ist davon auszugehen, dass
hierfür auf das Inverkehrbringen des letzten Serienprodukts abzustellen ist.
Ebenfalls richtungsweisend ist, dass nachträglich im Entwurf
gestrichen worden ist, dass die technischen Unterlagen „ggf.“ umfassen. Das zeigt, dass hier kein Spielraum für Argumentation bestehen
soll. Des Weiteren wurde im Entwurf nachträglich ergänzt, dass die
technischen Unterlagen für die Marktüberwachungsbehörden in Papierform oder elektronischer Form bereitgehalten und auf berechtigtes Verlangen vorzuzeigen sind.
Dies ist ein Indiz dafür, wie die Zukunft aussehen wird: Wie aus
Punkt 5.3 der Vision für den Binnenmarkt für Industrieprodukte der
Europäischen Kommission vom 22.01.2014 hervorgeht, soll die Einhaltung der Harmonisierungsvorschriften der Union zukünftig am
besten elektronisch und in mehreren Sprachen nachgewiesen werden,
z.B. durch digitale Etikettierung (E-Labeling).
Festzuhalten bleibt: Nicht nur in dieser Vision, sondern auch
im Entwurf für die neue Produktsicherheitsverordnung wurde die
Chance verpasst, die Frage zu klären, unter welchen Bedingungen die
elektronische Bereitstellung von Produktinformationen auch für Verbraucher zulässig sein soll.
Die Verordnung sieht eine Risikoanalyse nebst erheblicher Dokumentationspflicht gegenüber den Marktüberwachungsbehörden vor. Dem zu erwartenden ‚Papierkrieg‘ soll zumindest Einhalt
geboten werden, indem die Informationen den Marktüberwachungsbehörden auf elektronischem Weg zur Verfügung gestellt
werden. Es bleibt abzuwarten, wie dies genau vonstatten gehen
soll.
Bereithaltung
technischer Unterlagen
Elektronische
Bereitstellung der
Konformitätserklärung
39
Auswirkungen der neuen Produktsicherheitsverordnung der EU auf die Technische Kommunikation
5 Fazit
Das letzte Wort ist über die Produktsicherheitsverordnung noch
nicht gesprochen. Auch wenn noch kleinere Änderungen vorgenommen werden sollten, wird es dabei bleiben, dass die Marktüberwachung erheblich verschärft wird. Die Produktsicherheitsverordnung
wird durch ihren erweiterten Geltungsbereich eine höhere rechtliche
Relevanz haben.
Die für Marktüberwachung bereitzuhaltenden technischen Unterlagen und die ihnen zugrunde liegenden Risikoanalysen können zu
einer erheblichen Belastung für Hersteller werden. Die Möglichkeit,
die Informationen in elektronischer Form den Marktüberwachungsbehörden zur Verfügung stellen zu dürfen, tröstet hier wenig.
Positiv zu vermerken ist, dass die Anforderungen an die Wirtschaftsakteure nun wesentlich klarer und einheitlicher sind. Ob im
Ergebnis die Konformitätskosten wie geplant sinken werden, scheint
in Anbetracht der neuen Risikoanalyse und Dokumentationspflicht
eher fraglich.
6 Literatur
Deutelmoser, Ralf (2013): Auf dem Weg zur nächsten Stufe des europäischen Produktsicherheitsrechts. In: NVwZ 6, 1 ff.
Gauger, Dörte (2015): Produktsicherheit und staatliche Verantwortung. Das normative Leitbild des Produktsicherheitsgesetzes. Berlin: Duncker & Humblot
(= Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Bd. 99).
Heuer, Jens-Uwe (2011): Das neue Produktsicherheitsgesetz. In: technische kommunikation 6, 53–56.
40
Jens-Uwe Heuer-James
Die Bedeutung des Vertragsrechts,
insbesondere die Allgemeinen
Geschäftsbedingungen für die
Technische Kommunikation
Im Schwerpunkt dieses Beitrags geht es nicht um die Frage, unter
welchen Umständen sich aus Technischer Kommunikation ein Haftungsrisiko ergeben könnte. Die Frage des Haftungsrisikos wird
zudem häufig nicht als relevant eingestuft, weil nach der festen
Überzeugung des Herstellers die Produkte selbstverständlich alle Sicherheitsstandards einhalten und selbstverständlich in der langen Unternehmensgeschichte noch niemals ein Haftungsfall stattgefunden
hat. Diese feste Überzeugung des deutschen mittelständischen Unternehmens mag zuweilen durch ‚dumme Zufälle‘ erschüttert werden, in
denen es dann doch einmal zum Haftungsfall kommt – mit weniger
gravierenden oder gar existenzbedrohenden Folgen für das Unternehmen. Häufig unterschätzt wird dagegen die simple Wahrheit, dass
Technische Kommunikation natürlich auch Gegenstand der Kundenbeziehung ist. Aus rechtlicher Sicht bildet sich die Kundenbeziehung
in den zum Verkauf der Produkte abgeschlossenen Verträgen ab.
Unter dem Stichwort „Vertragsrecht“ geht es für die Technische Dokumentation wesentlich darum, dass die Kundenbeziehung
gelingt und es nicht zu Unfällen kommt, die sich im Vertragsrecht
in „Vertragsstörungsfällen“ niederschlagen. Es sind also weniger die
spektakulären Haftungsfälle, die es zu vermeiden gilt, als vielmehr die
zuverlässige Kundenbeziehung, die Motivation sein sollte, sich mit
dem Vertragsrecht in Bezug auf die Technische Dokumentation auseinanderzusetzen.
Im Folgenden soll dabei zunächst ein Überblick über Grundlagen des Vertragsrechts gegeben werden, woran sich eine Darstellung
der verschiedenen Aspekte, unter denen die Technische Dokumentation vertragsrechtlich zu behandeln ist, anschließt. Insbesondere sind
die Rechtsfolgen schlechter Technischer Dokumentation darzustellen. Weiter bleibt anzusprechen, wie Verträge zu behandeln sind, die
den Rahmen abbilden für die Dienstleister mit Bezug zur Erstellung
der Technischen Dokumentation. Den Abschluss bildet ein Überblick über die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten insbesondere
unter Einbeziehung des Rechts über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Recht).
41
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
1 Überblick: Grundlagen des Vertragsrechts
Ganz wesentlich für das Verständnis von Vertragsrecht ist es, dass in
Deutschland, wie auch in allen Rechtsordnungen der Europäischen
Union, der Grundsatz der Vertragsfreiheit besteht. Dies bedeutet: Es
ist Sache der Vertragsparteien, ihr Vertragsverhältnis zu regeln. Der
Gesetzgeber nimmt sich ganz bewusst zurück und beschränkt sich
darauf, für den Fall, dass die Vertragsparteien keine Regelungen getroffen haben, ersatzweise Regelungen zur Verfügung zu stellen. Es
gilt der Vorrang der Individualabrede. Die gesetzlichen Regelungen
haben daher nur dann Relevanz, wenn es keine individualvertragliche
Regelung zu dem Thema gibt.
Nur höchst ausnahmsweise greift der Gesetzgeber in die Vertragsfreiheit ein, indem er Regelungen, die gegen Treu und Glauben
verstoßen (§ 242 BGB), für unwirksam erklärt bzw. vertragliche Regelungen, die gegen gesetzliche Bestimmungen wie z.B. die Regelungen zur CE-Kennzeichnung verstoßen, als nichtig betrachtet (§ 138
BGB). In der Praxis sind derartige Fälle allerdings selten. Mit dem Argument, es handle sich um eine ‚unattraktive‘ vertragliche Regelung,
wird man in der Regel nicht gehört. Hier ist es Sache der Vertragsparteien, für sich selber zu sorgen und zu verhindern, dass ein Vertrag zu
unattraktiven Bedingungen abgeschlossen wird. In der Praxis spielt
an dieser Stelle allerdings auch die Verhandlungsmacht eine Rolle. Es
gilt, stets sehr bewusst in Vertragsverhandlungen einzutreten und sich
das Risiko zu vergegenwärtigen, dass die Gegenseite möglicherweise
aufgrund ihrer Verhandlungsmacht in der Position wäre, unattraktive
Vertragsbedingungen durchzusetzen. Wenn dies im Gesamtergebnis
sich als echtes Risiko darstellt, wäre im Zweifelsfall auch die Entscheidung zu treffen, von einem Vertragsabschluss abzusehen.
In Bezug auf die Technische Dokumentation ist das Vertragsrecht unter unterschiedlichen Blickwinkeln von Bedeutung. Zum einen kann die Technische Dokumentation selbst Vertragsobjekt sein,
d.h. Gegenstand vertraglicher Regelungen. Zum anderen gehört die
Technische Dokumentation insbesondere in Gestalt von Bedienungsanleitungen oder anderen Hinweisen am Produkt zum Produkt selbst
hinzu und bildet damit einen regelungsbedürftigen Bestandteil für
den Verkauf von Produkten. Darüber hinaus besteht auch die vertragsrechtliche Nebenpflicht, den Vertragspartner umfassend zu informieren und aufzuklären. Auch in diesem Zusammenhang ist die
Technische Dokumentation von Bedeutung.
1.1 Technische Dokumentation als Vertragsobjekt
Aus Sicht des Juristen wäre es stets wünschenswert, wenn die Vertragsparteien die Technische Dokumentation als regelungsbedürftigen Gegenstand klar erkennen und sich entsprechend eindeutig dazu
42
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
positionieren würden. Wäre durch entsprechende vertragliche Regelungen festgelegt, was und in welcher Qualität von der Technischen
Dokumentation verlangt werden kann, wären viele Problemfälle gelöst. Dies ist jedoch in der Praxis nur selten der Fall.
Ein Beispiel für explizite vertragliche Regelungen in Bezug auf
die Technische Dokumentation findet sich häufig in Anlagebauverträgen größeren Umfangs. Hier wird i.d.R. explizit festgelegt, welche Dokumente vom Anlagenersteller an den Kunden bereitzustellen
sind. Dabei handelt es sich häufig nicht nur um Bedienungsanleitungen, sondern auch um Zeichnungen oder Konstruktionsunterlagen,
wie etwa die Risikoanalyse. Dies geht über die Anforderungen aus
Anhang I, Ziffer 1.7 der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42 hinaus.
Weiter finden sich im Anlagenbau häufig Regelungen zur Sprache der Technischen Dokumentation, wie auch zur Form. Dabei gilt
es allerdings zu beachten, dass sich die Vertragsparteien, jedenfalls
soweit es sich um Vorgaben des Inverkehrbringensrechts handelt, wie
z.B. der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42, nicht in Widerspruch zu
diesen Regelungen setzen dürfen. Selbst wenn also die Vertragsparteien sich einig sind, dass die Bedienungsanleitung in englischer Sprache
zu liefern ist, wäre bei einem Endverbleibsort Italien in jedem Fall
auch eine Bedienungsanleitung in italienischer Sprache zu erstellen.
Ansonsten riskiert der Anlagenbauer Maßnahmen der Marktüberwachungsbehörde.
Fehlt es an solchen expliziten Regelungen, so bleibt, wie nachfolgend darzustellen sein wird, auf die gesetzlichen Regelungen zurückzugreifen.
1.2 Technische Dokumentation als Teil des Produkts
In dem Moment, in dem ein Produkt sich nicht mehr selbst erklärt,
wie z.B. ein iPhone, stellt sich die Herausforderung, die Nutzbarkeit
des Produkts durch Technische Dokumentation sicherstellen zu müssen. Hier setzen nun die gesetzlichen Hilfestellungen an:
Gemäß § 434 BGB schuldet der Verkäufer ein Produkt, welches in der Lage ist, zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck genutzt werden zu können. Damit ist ein einfacher Maßstab formuliert.
Alle Informationen, die also erforderlich sind, um das Produkt im
vertraglichen Sinn gebrauchen zu können, müssen mit dem Produkt
zur Verfügung stehen. Besonders griffig hat dies der Gesetzgeber in
der sog. IKEA-Klausel nach § 434 Abs. 2 BGB formuliert. Demnach
benötigen Produkte, die als Bausatz geliefert werden, eine taugliche
Montageanleitung. Liegt eine solche Montageanleitung nicht vor,
kann der vertraglich vorausgesetzte Zweck, nämlich das Erstellen
eines fertigen Produkts aus einem Bausatz, nicht sichergestellt sein.
Insofern ist es also beim Bausatz erforderlich, um den vertraglich
ausgesetzten Zweck zu erzielen, eine Montageanleitung beizufügen.
43
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
Mit dieser Formel fangen allerdings häufig die Auslegungsschwierigkeiten an. Es geht nämlich schlicht um die Frage, welchen
Umfang an Information der Vertragspartner verlangen kann. Dies
wird nur im konkreten Fall zu entscheiden sein und hängt naturgemäß davon ab, wie die Vorkenntnisse beim Vertragspartner sind.
Wenn die Vertragsparteien dies nicht ausdrücklich feststellen, fängt
die Vertragsauslegung an und die Juristen deuten aus den äußeren
Umständen des Vertragsabschlusses, auf welchen Kenntnisstand der
Verkäufer möglicherweise hätte schließen können. Dies ist in der Praxis mit Unwägbarkeiten verbunden und führt häufig zu Ergebnissen,
die mindestens eine der beiden Vertragsparteien nicht zufriedenstellen, weil sie dies so nicht gesehen oder erwartet hat.
Ein weiteres Kriterium stellt der Gesetzgeber mit der „üblichen
Beschaffenheit“ zur Verfügung. Geschuldet wird ein Produkt, welches eine übliche Beschaffenheit aufweist. In Bezug auf die Technische Dokumentation wäre also zu fragen, was vergleichbaren Produkten an Informationen üblicherweise beigegeben wird.
An dieser Stelle spielt auch das Inverkehrbringensrecht eine
Rolle. Es liegt auf der Hand, dass Regelungen, wie z.B. in der EGMaschinenrichtlinie 2006/42, eine übliche Beschaffenheit von Bedienungsanleitungen für Maschinen definieren. Schwierig wird die Situation für einen Verkäufer, der ein hoch innovatives Produkt veräußert.
Hier lässt sich dann nur mit Mühe eine übliche Beschaffenheit oder
auch ein „Stand der Technik“ ermitteln.
In der forensischen Praxis führt dies dann dazu, dass im Gerichtsprozess letztlich ein Sachverständiger bestimmt, was als üblich
zu gelten hat. Aus der Erfahrung heraus sind die auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse häufig als zweifelhaft zu bezeichnen und nicht
selten beschleicht die Beteiligten an einem Gerichtsprozess der Eindruck, dass ein Sachverständiger hier mehr oder weniger nach eigener
Auffassung urteilt. Dies gilt leider erst recht für die Technische Dokumentation, da dort qualifizierte Sachverständige, die sich auf diese
Themen spezialisiert haben, nur allzu selten zu finden sind.
In Bezug auf die Fragestellung Technische Dokumentation „als
Teil des Produkts“ bleibt auch noch ein anderer Aspekt des Vertragsrechts zu erörtern. Die vertraglich geschuldete Beschaffenheit ergibt
sich nämlich aus allen vom Verkäufer publizierten Äußerungen. Daraus folgt weiter: Verkaufsunterlagen oder auch eine Bedienungsanleitung als Teil der Technischen Dokumentation können Gegenstand
solcher Äußerungen sein.
Wird eine Bedienungsanleitung bereits bei Vertragsverhandlung
einbezogen, so kann aus den Angaben hierzu eine vertraglich geschuldete Beschaffenheit abgeleitet werden. Auf der Hand liegt dies
ohne Weiteres bei originär als Verkaufsunterlagen zu bezeichnender
Technischer Dokumentation, wie etwa Prospekten, Katalogen oder
44
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
auch der Internetdarstellung. Mit aller Deutlichkeit bleibt darauf hinzuweisen, dass derartige Technische Dokumentation keineswegs sich
im Bereich des Ungefähren und Unverbindlichen bewegt. Der häufig
auch in Bedienungsanleitungen enthaltene Satz, dass „technische Änderungen vorbehalten“ sind, um damit eine Unverbindlichkeit herzustellen, ist kritisch zu bewerten. Rechtlich würde es sich nämlich um
eine allgemeine Geschäftsbedingung handeln, die aber dem gesetzlichen Modell der Verbindlichkeit öffentlicher Äußerungen widerspricht und damit nach § 307 BGB als unwirksam zu bewerten wäre.
1.3 Technische Dokumentation als Teil
vertraglicher Nebenpflichten
Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen vertraglichen Hauptpflichten und vertraglichen Nebenpflichten. Bezogen auf Produkte stellt
die Lieferung der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit entsprechender Produkte die Hauptpflicht dar. Davon zu unterscheiden bleiben sog. vertragliche Nebenpflichten, die im Ergebnis dazu dienen
sollen, dass die Interessen des anderen Vertragspartners gewahrt bleiben. Dazu gehört u.a., dass der Vertragspartner umfassend informiert
wird.
Diese Informationspflicht ist von der Rechtsprechung entwickelt worden und basiert auf dem Grundgedanken, dass der Verkäufer i.d.R. einen Know-how-Vorsprung hat gegenüber dem Käufer
und dieser Vorsprung möglicherweise zu einer unangemessenen Situation führen könnte. Bildlich gesprochen soll verhindert werden,
dass der Verkäufer den Käufer sehenden Auges in eine Situation laufen lässt, in der der Käufer ein möglicherweise für ihn untaugliches
Produkt erwirbt. Aufgabe der Technischen Dokumentation ist es an
dieser Stelle, dem Käufer alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die dieser benötigt, um umfassend bewerten zu können, ob das
Produkt, das er zu kaufen beabsichtigt, tatsächlich seinen Wünschen
entspricht bzw. geeignet ist, seine Bedürfnisse zu befriedigen.
An dieser Stelle schlägt für die Technische Dokumentation
gewissermaßen die Sternstunde der Produktinformation, die zur
Vertragsanbahnung eingesetzt wird. Gelingt an dieser Stelle keine
umfassende Information, so können sich im Weiteren Schadensersatzansprüche ergeben. Erwirbt z.B. ein Industrieanlagenbetreiber
Schalldämpfer für den industriellen Einsatz in einem Klärwerk, die
zwar der vereinbarten Beschaffenheit entsprechen, sich jedoch als
ungeeignet erweisen für die mechanische Beanspruchung in einem
Klärwerk, so könnte er Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer geltend machen, wenn ihm im Vorfeld der Vertragsanbahnung
vorgespielt worden wäre, dass die Schalldämpfer für den Einsatz in
einem Klärwerk geeignet wären.
45
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
2 Rechtsfolgen schlechter Technischer
Dokumentation
Für das Thema Vertragsrecht und Technische Dokumentation ist es
naturgemäß wichtig, auch einschätzen zu können, wie sich möglicherweise schlechte Technische Dokumentation am Ende auswirkt. Die
Grundformel hierfür ist denkbar einfach:
Rechtsfolgen drohen immer dann, wenn die Technische Dokumentation nicht der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit entspricht. Es handelt sich dann um eine sog. Schlechtleistung, für die
der Gesetzgeber das sog. Mängelgewährleistungsrecht vorsieht. Dieses Risiko der Schlechtleistung gilt es zu vermeiden, um nicht den
im Gesetz festgelegten Rechtsfolgen für den Fall der Schlechtleistung
ausgesetzt zu sein. Nochmals bleibt an dieser Stelle allerdings darauf
hinzuweisen, dass die Vertragsparteien frei sind, auch abweichende
Regelungen von der gesetzlichen Grundlage zu treffen. Dabei verhält es sich in der Praxis so, dass nur individuelle oder vertragliche
Absprachen wirksam sind. Der Versuch, über Allgemeine Geschäftsbedingungen das gesetzliche Gewährleistungsrecht auszuhebeln oder
aber zum eigenen Vorteil wesentlich zu verändern, scheitert häufig
am Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Recht).
§ 307 BGB stellt dazu nämlich die allgemeine Regel auf, dass AGB
nicht vom gesetzlichen Grundmodell abweichen dürfen.
2.1 Mechanik des Gewährleistungsrechts
Der erste Schritt der Thematik Mängelgewährleistung ist die Prüfung,
ob hier die vertraglich geschuldete Beschaffenheit erfüllt wurde. Bezogen auf die Technische Dokumentation wäre dies die Frage, ob
zum einen explizite Festlegungen zur Technischen Dokumentation
nicht erfüllt wurden. Zum anderen bleiben die beiden gesetzlichen
Tatbestände der „Erfüllung des vertraglich vorausgesetzten Zwecks“
und der „üblichen Beschaffenheit“ zu prüfen. Kommt jetzt der Jurist
zu dem Ergebnis, dass unter diesen drei Aspekten die vertraglich geschuldete Beschaffenheit nicht erbracht wurde, stellt sich als Nächstes die Frage der Rechtsfolge.
Grundprinzip bleibt dabei die zweite Chance für den Verkäufer.
Dem Gesetz nach hat er zweimal die Möglichkeit der Nacherfüllung,
entweder durch Nachbesserung oder Nachlieferung. Bezogen auf die
Technische Dokumentation würde dies bedeuten, dass er die Chance
hat, durch die Lieferung einer ordnungsgemäßen Technischen Dokumentation Weiterungen zu verhindern. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass häufig beim Verkäufer entweder eine fehlende Einsicht
in die Fehlerhaftigkeit der Technischen Dokumentation vorherrscht
oder aber schlicht nicht die Fähigkeiten bestehen, die misslungene
Technische Dokumentation durch eine ordnungsgemäße zu ersetzen.
46
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
Der Gesetzgeber kennt darüber hinaus aber auch Situationen, in denen der Käufer eine Nacherfüllung nicht zu dulden braucht. Dies
betrifft im Wesentlichen zwei Kategorien: Entweder sind die Fehler
so gravierend, dass offensichtlich auch eine Nacherfüllung keine Besserung bringt. Ein anderer Fall ist der, in dem der Käufer selbst z.B.
aufgrund von Weiterverkauf in die Gefahr einer Vertragsverletzung
kommt und es ihm daher nicht zuzumuten ist, erst langjährige Nacherfüllungsmaßnahmen des Verkäufers zu dulden.
Schlägt die Nacherfüllung fehl oder verweigert sich der Verkäufer der Nacherfüllung bzw. ist die Nacherfüllung dem Käufer nicht
zuzumuten, so greifen die weiteren Mängelgewährleistungsrechte.
Der Gesetzgeber sieht hierzu das Recht der Minderung, d.h. der Herabsetzung des Kaufpreises vor. In der Praxis wird hiervon allerdings
mit Bezug auf die Technische Dokumentation kaum Gebrauch gemacht, da nur schwer greifbar sein dürfte, wie unter Herabsetzung
des Kaufpreises dennoch der Kaufgegenstand mit der fehlerhaften
Dokumentation, z.B. der fehlerhaften Bedienungsanleitung, akzeptiert werden könnte. Häufige Folge ist dann die Ultima Ratio, nämlich
der Rücktritt vom Vertrag. In diesem Fall wird das Vertragsverhältnis
rückabgewickelt, d.h. gegen Rückgabe des Kaufgegenstands ist der
Kaufpreis zurückzuzahlen; etwa bereits gezogene Nutzungen sind
dem Verkäufer auszugleichen. In der Realität bedeutet dies den wirtschaftlichen Super-GAU für den Vertrag, da der Vertrag insgesamt
fehlschlägt. Dies kann gerade bei größeren Anlagenbauverträgen zu
ganz erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen, da der zurückgegebene Kaufgegenstand, wie z.B. eine Anlage, sich kaum weiterver­
äußern lässt und mithin ein Totalverlust entsteht.
Größter Streitpunkt in Bezug auf den Rücktritt ist in der Regel
die Frage, ob tatsächlich ein so wesentlicher Mangel vorliegt, dass er
zum Rücktritt berechtigt. Bezogen auf die Technische Dokumentation wird zuweilen die Ansicht vertreten, dass dies doch eher nicht der
Fall sei. Dem ist jedoch insbesondere dann entgegenzutreten, wenn
es sich um solche Mängel an der Technischen Dokumentation handelt, die auch sicherheitsrelevant sein können. Ohne Frage liegt auch
ein wesentlicher Mangel dann vor, wenn durch die schlechte Technische Dokumentation gar keine Ingebrauchnahme im vertraglich vorausgesetzten Sinne des Kaufgegenstands möglich wäre.
2.2 Besonderes Risiko: Mangelfolgeschäden
Unabhängig von der Thematik der Nacherfüllung und der Frage von
Rücktritt oder Minderung besteht für den Verkäufer das besondere
Risiko des sog. Mangelfolgeschadens. Dabei handelt es sich darum,
dass sich der vorhandene Mangel zu einem Schaden weiterentwickelt.
Dies klingt auf den ersten Blick abstrakt. Gerade in Bezug
auf eine fehlerhafte Technische Dokumentation ist der Schritt zum
47
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
Mangelfolgeschaden jedoch geradezu naheliegend, weil ja durch die
fehlerhafte Technische Dokumentation auch eine Fehlbedienung
des Kaufgegenstands wahrscheinlich ist. Führt diese Fehlbedienung
dann zu Folgeschäden, d.h. zu Vermögensmehraufwendungen auf
Seiten des Verkäufers, liegt ein Mangelfolgeschaden vor. Konkret
können dies Konstellationen sein, in denen z.B. der fehlerhaft bediente Kaufgegenstand andere Gegenstände, z.B. in einer Fertigungsstraße, zerstört oder eingesetztes Produktionsmaterial vernichtet wird. Weiterhin kann auch der Nutzungsausfall selbst schon einen
Schaden darstellen. Problematisch sind auch Konstellationen, in denen es zum Gesamtverlust des Auftrags kommt, weil der Kunde eines Großanlagenvertrags insgesamt vom Anlagenvertrag zurücktritt.
Dann wäre der dadurch dem Anlagenbauer entgangene Gewinn vom
Verkäufer der Verkaufskomponente, die sich als fehlerhaft erwiesen
hat, als Mangelfolgeschaden zu ersetzen. Mangelfolgeschäden wären auch durch Verzögerung entstandene Mehraufwendungen etwa
dadurch, dass der Endkunde einen Vertragsstrafenanspruch geltend
macht.
Es liegt auf der Hand, dass durch den Mangelfolgeschaden erhebliche Weiterungen entstehen können, die auch im Verhältnis zum
Aufwand für die Technische Dokumentation möglicherweise unverhältnismäßig sind. Mit aller Deutlichkeit bleibt allerdings darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber bewusst diese Unverhältnismäßigkeit
in Kauf nimmt und gerade keine von Gesetzes wegen vorgesehene Haftungsbegrenzung aufgenommen hat. Es obliegt vielmehr den
Vertragsparteien, individuelle Haftungsbegrenzungen zu verhandeln.
In größeren Verträgen im Bereich des Anlagenbaus ist dies auch gängige Praxis. Erfahrungsgemäß gehört dies jedoch zu den sensiblen
Gegenständen einer Vertragsverhandlung und lässt sich zuweilen in
der Praxis nur schwer durchsetzen.
3 Verträge zur Erstellung der Technischen
Dokumentation
Neben der Konstellation der Bedeutung der Technischen Dokumentation als Annex zum Produkt beim Veräußerungsvertrag mit
Bezug zum Produkt ist die Technische Dokumentation naturgemäß
auch Gegenstand von Vertragsbeziehungen zur Erstellung der Technischen Dokumentation. Hier ist häufig davon die Rede, dass eine
„Dienstleistung“ erbracht wird. Diese Begrifflichkeit erscheint dem
Juristen jedoch unzutreffend. Der Dienstvertrag würde nämlich lediglich bedeuten, dass der Verpflichtete seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Dies dürfte in der Regel nicht den Vorstellungen des
Auftraggebers entsprechen. Diese gehen nämlich dahin, durch den
48
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
Vertrag zur Erstellung einer Technischen Dokumentation auch eine
solche in nutzbarer Form zu erhalten. Dies bedeutet jedoch, dass es
sich in Wahrheit um einen Werkvertrag zur Erbringung einer geistigen Leistung handelt. Es wird ein Erfolg, nämlich ein taugliches Werk
in Gestalt einer Technischen Dokumentation, z.B. eine Bedienungsanleitung, geschuldet.
3.1 Grundlegende Aspekte
Wie eingangs ausgeführt, sind Verträge zur Erstellung einer Technischen Dokumentation als Werkverträge zu qualifizieren. Das gesetzliche Werkvertragsrecht entspricht im Wesentlichen dem Kaufrecht.
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass diese abstrakten gesetzlichen
Regelungen häufig kaum tauglich sind, genau zu beschreiben, was eigentlich Leistungsgegenstand sein soll. Ein gesetzliches Modell für
Verträge zur Erbringung Technischer Dokumentation gibt es nicht.
Daraus folgt: Die vertragsschließenden Parteien und insbesondere die „Dienstleister“ der Technischen Dokumentation sind in der
Not, sich selbst durch vernünftige vertragliche Regelungen den rechtlichen Rahmen für die Erbringung der Leistung schaffen zu müssen.
In der Praxis erfolgt dies auch zunehmend.
Als Hilfsmittel zur Gestaltung der vertraglichen Beziehung stehen dabei neben ausdrücklichen vertraglichen Regelungen, z.B. in
Form eines Rahmenliefervertrags, auch ein weniger rechtlich anmutendes Instrumentarium zur Verfügung. Häufig lässt sich eine ausreichende Konkretisierung schon durch sorgfältig gestaltete Angebote
erreichen. Leider wird noch allzu häufig keine besondere Sorgfalt
hierauf gelegt, sondern im Wesentlichen auf den Betrag geachtet,
den das Angebot schließlich als Preis ausweist. Bereits hier wird es
allerdings problematisch, weil sich dann nämlich die Frage stellt, welchen Leistungsumfang der Auftraggeber hierfür eigentlich erhält.
Z.B. wäre naturgemäß schon festzulegen, ob und in welchem Umfang Vorrecherche vom Auftragnehmer zu betreiben ist oder ob er
schlicht auf der Informationsbasis des Auftraggebers arbeitet.
3.2 Haftungsrecht
Aus Sicht der Dienstleister stellt sich naturgemäß die Frage, wie die
Haftungssituation zu verstehen ist. Grundsätzlich gilt dabei, dass für
viele Bereiche einer Technischen Dokumentation der Dienstleister
auch in Regress genommen werden kann. Dies setzt allerdings voraus, dass ein Mangel vorliegt, d.h. die Technische Dokumentation,
wie bereits oben ausgeführt, nicht der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit entspricht. Der Regress läuft dann über den Anspruch
auf Ersatz eines Mangelfolgeschadens.
Vergegenwärtigt man sich Aufgabenstellungen im Industriebereich insbesondere aus dem Feld des Anlagenbaus, so wird deutlich,
49
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
dass sich hier ein relativ hohes Haftungsrisiko für den Dienstleister
ergeben kann. Es liegt daher in seinem Interesse, die Haftung entsprechend zu begrenzen. Die sorgfältige Verhandlung solcher Haftungsklauseln kann daher ‚überlebenswichtig‘ sein. Allerdings bleibt
auch festzuhalten, dass in der Praxis der Dienstleister häufig in einer
schwachen Position zur Verhandlung von Haftungsbegrenzungsklauseln ist.
Aufgrund des faktisch bestehenden Haftungsrisikos sollte daher bei besonders sensiblen Bereichen, wie etwa der Luftfahrt, schon
überlegt werden, ob tatsächlich in ausreichendem Maße Gewähr dafür besteht, dass letztendlich die vertraglich geschuldete Beschaffenheit geleistet werden kann. Sollten sich auch nur leise Zweifel daran
ergeben, so ist es letztendlich eine wirtschaftliche Entscheidung, ob
ein Risiko in Kauf genommen wird oder vernünftigerweise von der
Annahme besonders riskanter Aufträge abgesehen wird. Die Hoffnung, dass im Ernstfall ein gesetzliches Hilfsmittel zur Verfügung
steht, bleibt jedenfalls zu zerstören. Wie ausgeführt, ist eine gesetzliche Begrenzung des Haftungsschadens nicht vorgesehen.
3.3 Urheberrecht
Ein Regelungsgegenstand für die Verträge zur Erbringung der Technischen Dokumentation ist auch das Urheberrecht. Technische Dokumentation unterliegt dem Urheberrecht. Der Auftragnehmer erteilt
dem Auftraggeber eine Lizenz, das geschaffene Werk zu nutzen.
Im Weiteren bleibt dann allerdings auszugestalten, wie diese Lizenz aussieht. Insbesondere bei längeren Lieferbeziehungen gibt es
immer wieder Konstellationen, in denen der Auftragnehmer feststellen muss, dass der Auftraggeber freimütig seine sorgsam erstellte Anleitung vielfach kopiert und – ohne jede vertiefte Sachkenntnis – für
alle möglichen Produkte verwendet. Derartig unerfreuliche Situationen gilt es zu verhindern und deutlich zu machen, dass die Lizenz nur
für die produktspezifische Anwendung erteilt wird. Weitere Fragen,
die es über eine Lizenz abzubilden gilt, sind solche der Verwendung
der Technischen Dokumentation, insbesondere der Bedienungsanleitung als Schulungsunterlage, oder die Publikation im Internet. Aus
Sicht des Auftragnehmers wären derartige Regelungen möglichst restriktiv zu formulieren, aus Sicht des Auftraggebers ist das Gegenteil
wünschenswert. Beides bleibt individuell zu verhandeln und zu gestalten.
4 Vertragliche Gestaltung im AGB-Recht
Vielfach wurde bereits vorstehend auf die Bedeutung der Vertragsverhandlung hingewiesen. An dieser Stelle soll nochmals kurz auf
50
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
die Hintergründe eingegangen werden: In Deutschland wurde mithilfe der Rechtsprechung ein umfassendes Recht der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen entwickelt. Dies hat auch seine gesetzliche
Grundlage zunächst im AGB-Gesetz und seit 2002 in den §§ 305 ff.
BGB gefunden.
Das AGB-Recht kommt ursprünglich aus dem Verbraucherschutzgedanken und soll verhindern, dass mit vorformulierten Bedingungen der häufig in einer sehr schwachen Verhandlungsposition
befindliche Verbraucher ‚überfahren‘ wird. Faktisch hat insbesondere
die Rechtsprechung jedoch viele der eigentlich aus dem Verbraucherschutzgedanken heraus formulierten Regelungen auch für die Verträge unter Unternehmern für anwendbar erklärt.
Grundgedanke ist dabei, dass die Vertragsparteien faire Regelungen treffen sollen. Eine unfaire Regelung über eine allgemeine
Geschäftsbedingung wäre damit als unwirksam anzusehen.
Darüber hinaus entfalten sog. intransparente Regelungen, d.h.
schwer oder missverständliche Vertragsregelungen, keine Wirksamkeit. Ferner enthalten die §§ 308, 309 BGB sog. Klauselverbote, in
denen bestimmte Tatbestände explizit für unwirksam erklärt werden.
Im Ergebnis führt dies zu Folgendem: AGB, in denen vom gesetzlichen Gewährleistungsrecht massiv abgewichen wird, dürften
als unwirksam anzusehen sein. Ferner gilt dies für alle Regelungen,
die versuchen, die Haftung stark einzuschränken oder auszuschließen. Dies gilt insbesondere für Fälle von Körperverletzung oder gar
vorsätzlicher oder fahrlässiger Handlung. Auch eine pauschale Haftungsbegrenzung wird von der Rechtsprechung als kritisch gewertet.
Nochmals ist also darauf hinzuweisen, dass eine vernünftige Haftungsbegrenzung sich nur durch individualvertragliche Verhandlung
durchsetzen lässt.
Der Einsatz von AGB führt in der Praxis dann häufig zu der
Situation von sog. widerstreitenden AGB. Dies bedeutet im Ergebnis,
dass die AGB sich gegenseitig aufheben und dann das Gesetzesrecht
gilt. Häufig ist dies auch das Argument, überhaupt eigene AGB zu
verwenden, um so geschützt zu sein vor der Verwendung anderer
AGB, die wesentlich unattraktiver erscheinen.
Abseits der Frage der Verwendung von AGB gilt allerdings
auch nach wie vor die folgende Goldene Regel: Der Kern einer vernünftigen vertraglichen Regelung liegt darin, präzise zu beschreiben,
was überhaupt Gegenstand der vertraglichen Leistung ist. Dies gilt
naturgemäß auch für die Technische Dokumentation. Die eingangs
beschriebene Situation, dass die Technische Dokumentation mit wenig Sorgfalt behandelt wird, ist vor diesem Hintergrund als äußerst
kritisch zu betrachten.
51
Die Bedeutung des Vertragsrechts, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Technische Kommunikation
5 Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Technische Dokumentation und Vertragsrecht ein komplexes Thema sind. Die Technische
Dokumentation ist Vertragsobjekt in dem Sinne, in dem sie Teil des
Produkts ist und Gegenstand vertraglicher Nebenpflichten. Wünschenswert wären hier detaillierte vertragliche Vorgaben insbesondere auch unter dem Aspekt, dass in der Praxis Formulierungen in
AGB häufig keine oder nur begrenzte Wirkung haben.
Besonders wichtig erscheinen dabei detaillierte vertragliche Vorgaben, mit denen die Vertragsparteien beschreiben, was sie von der
Technischen Dokumentation erwarten. Tendenzen wie z.B. im Anlagenbau lassen durchaus hoffen, dass die Vertragsparteien sich zunehmend dieser Situation bewusst sind. Auf diesem Weg sollte weiter
vorangegangen werden.
52
Abraham de Wolf
Wer ist der Urheber?
Urheberrecht bei Übersetzungen
von Technischer Dokumentation
Der Beitrag untersucht, wie die Nutzung von Software zur Übersetzung von Texten und das Urheberrecht miteinander verflochten sind.
„Wem gehört was?“, ist eine nicht unwichtige Frage, wenn es um die
Anreicherung eines Translation-Memory-Systems geht, beim Ausbau
einer Terminologiedatenbank und nicht zuletzt dann, wenn die WebAnwendung Google Translator genutzt wird. Darstellungen zu dieser
Thematik sind selten und nur in US-amerikanischen Zeitschriften zu
finden. Leider verfolgen sie meist einen bestimmten Zweck, um etwa
die Weiterverwendung von Kundentexten beim Ausbau eines eigenen
Translation Memorys oder einer Terminologiedatenbank zu rechtfertigen, ohne sich ernsthaft mit dem Urheberrecht auseinandersetzen
zu müssen. Dabei werden wesentliche Aspekte des Urheberrechts ignoriert oder so oberflächlich betrachtet, dass die Schlussfolgerungen
schlichtweg falsch sind.
1 Grundsätze Urheberrecht
Die Antwort auf die Frage „Wem gehört was?“ setzt unbedingt eine
sorgfältige Betrachtung der wesentlichen technischen Einzelheiten
und der sehr gut nachvollziehbaren Grundsätze des Urheberrechts
voraus. Es lässt sich eindeutig klären, dass diese Antwort sowohl nach
dem Urheberrecht in Deutschland als auch in anderen europäischen
Staaten und in den USA gilt. Die Antwort gilt auch für China, zumindest juristisch. Der Staat ist der „Berne Convention for the Protection
of Literary and Artistic Works“ (Berner Konvention) beigetreten,
zudem der Welthandelsorganisation (WTO) und damit dem „Agree­
ment on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights“
(TRIPS). Das Urheberrecht ist zwar immer als nationales Gesetz geregelt, aber die Grundsätze sind von Land zu Land ähnlich, wenn
auch in den Details der juristischen Argumentation teilweise verschieden. Da aber unsere Frage zur Nutzung von Übersetzungssoftware
bei allen relevanten Urhebergesetzen zum gleichen Ergebnis führt,
sind die feineren Punkte der juristischen Diskussion akademisch interessant, aber nicht entscheidend für die Praxis. Der Beitrag richtet
sich daher an alle Leser, die Übersetzungssoftware geschäftlich selbst
53
Wer ist der Urheber? Urheberrecht bei Übersetzungen von Technischer Dokumentation
nutzen oder Fachübersetzer beauftragen, Übersetzungssoftware für
Kundenaufträge einzusetzen.
2 Urheberrecht und Patentrecht
Das Urheberrecht regelt Fragen des geistigen Eigentums an Texten,
Bildern, Software, Musik, Film und Architektur. Das geistige Eigentum wird zusätzlich durch Patente und das Markenrecht geschützt,
allerdings jeweils auf eigene Weise. Im Patentrecht werden Ideen
geschützt, im Urheberrecht der Ausdruck dieser Ideen. Ein Beispiel
kann dies veranschaulichen: Ein Text über eine technische Kons­
truktion eines Flugzeugteils ist als Text durch das Urheberrecht geschützt, die Konstruktion selbst (nicht die Zeichnung im Text) unter bestimmten Bedingungen durch ein Patent. Wer den Text ohne
Erlaubnis kopiert, verletzt das Urheberrecht. Wer die Konstruktion
ohne Erlaubnis baut, verstößt gegen das Patentrecht. Ein wichtiger
Unterschied ist, dass beim Patent ein Antrag gestellt werden muss
und vom Patentamt die technischen und juristischen Bedingungen
in langjährigen und teuren Verfahren geprüft werden. Das Urheberrecht dagegen schützt den Text automatisch, sobald er entsteht, also
niedergeschrieben wird – auch digital. Deshalb ist das Urheberrecht
so wichtig und unausweichlich, denn der Schutz entsteht, ohne dass
der Autor des Textes überhaupt an das Urheberrecht denkt. Früher
musste in den USA ein Text bei der Library of Congress, der amerikanischen Nationalbibliothek, angemeldet werden, um Schutz durch
das Urheberrecht zu erhalten. Nach der Registrierung musste dem
Text ein Zeichen beigefügt werden, um bei einer Veröffentlichung
den Schutz geltend zu machen: das berühmte „c im Kreis“ als Zeichen für Copyright. Seit 1989 gilt in den USA wie in Europa automatisch das Urheberrecht bei der Entstehung des Werkes. Das Copyright-Zeichen wird in den USA trotzdem noch verwendet, um bei
einer Verletzung des Copyrights beim Täter einen Vorsatz zu belegen
und damit höhere Schadensersatzansprüche zu begründen.
3 Genauer beleuchtet
Der Kernsatz des Urheberrechts lautet: „Der Autor eines originellen
Werkes hat das alleinige Recht, die Nutzung zu bestimmen.“ Der Satz
legt dar, was Eigentum bedeutet. Der Kernsatz enthält viele Informationen. Um die Auswirkungen des Urheberrechts bei der Nutzung
von Übersetzungssoftware zu verstehen, muss der Satz genau verstanden werden.
• „Der Autor“: Es kann sich auch um Ko-Autoren handeln, wenn
54
Wer ist der Urheber? Urheberrecht bei Übersetzungen von Technischer Dokumentation
•
•
•
•
mehr als einer beteiligt war. Ko-Autoren besitzen die gleichen
Rechte. Sie müssen sich einigen und sorgfältig über die Nutzung
abstimmen. Jeder Ko-Autor hat einen Anspruch, bezahlt zu werden oder am Gewinn beteiligt zu sein.
„Eines originellen Werkes“: Das Urheberrecht verlangt ein Minimum an Kreativität. Kreativität gilt als menschliche Eigenschaft,
deshalb kann eine Firma oder ein Tier nicht Autor sein. Wenn ein
Affe im Zoo ein Bild malt, so gilt der Affe nicht als Eigentümer,
denn das Urheberrecht schützt nur die Kreativität von Menschen.
Wenn es zumindest eines Minimums an menschlicher Kreativität bedurfte, um ein Werk zu schaffen, ist ein originelles Werk
entstanden.
Ein „Werk“ erfordert einen gewissen Umfang, was nicht unbedingt leicht zu bestimmen ist, vor allem in der Musik. Mittlerweile sind sogar Klingeltöne als Werk anerkannt. Aber bei Texten
herrscht ein Konsens. Ein Satz, ein Wort oder ein Begriff gilt
nicht als Werk, und zwar völlig unabhängig davon, wie kreativ das
Wort oder der Satz ist. Hier schützt nicht das Urheberrecht die
Kreativität des Autors, sondern möglicherweise das Markenrecht.
„Alleiniges Recht“: Nur der Autor (oder zusammen mit den
Ko-Autoren) kann Nutzungsrechte an seinem Werk auf andere
übertragen, etwa auf eine Firma. Diese Übertragung geschieht
durch einen Vertrag, in dem ausdrücklich die Übertragung vereinbart wird. Wenn diese Übertragung nicht ausdrücklich vertraglich
vereinbart wurde, bleibt das Urheberrecht beim Autor, auch wenn
der Kunde, für den der Text geschrieben oder übersetzt wurde,
diese Arbeit bezahlt. Die Zahlung alleine reicht nicht für die Übertragung des Urheberrechts – ein Fehler, den Unternehmen sehr
häufig machen.
„Nutzung“: Die Nutzungsrechte erlauben, ein Werk zu verkaufen, zu vermieten, zu veröffentlichen, im Radio oder Fernsehen
zu senden, Änderungen vorzunehmen oder auch zu übersetzen.
Ein Werk darf sogar zerstört werden. Ohne die Zustimmung des
Autors darf ein Text nicht übersetzt werden, und der Autor bestimmt auch, wer die Übersetzung vornehmen darf. Dazu gehört
auch die Nutzung von Texten als Teil eines Pools von Texten, um
mit statistischen Methoden Textmuster zu erkennen und für eine
maschinelle Übersetzung zu verwenden.
4 Im Internet übersetzen
Wer das Internet auf Texte durchsucht und sie einsammelt, um sie
in einen riesigen Topf für eine statistisch basierte maschinelle Übersetzung zu verwenden, der verstößt gegen das Urheberrecht. Voraus55
Wer ist der Urheber? Urheberrecht bei Übersetzungen von Technischer Dokumentation
gesetzt natürlich, er hat nicht jeden Autor um Zustimmung zu dieser
Nutzung vorher gefragt. Die Praxis von Google Translate (Google
Übersetzer) verstößt deshalb gegen das Urheberrecht, denn sicherlich ist bei der Unmenge an Texten aus dem Internet nicht systematisch um eine Nutzungserlaubnis gebeten worden. Zusätzlich ist bei
Übersetzungen von Texten zu beachten, dass wegen der Vielfalt von
Übersetzungsmöglichkeiten und des Sprachgefühls bei einer guten
Übersetzung eine Übersetzung als kreativer Akt verstanden wird. Damit ist die Übersetzung eines Textes ein originelles Werk. Der Übersetzer gilt als Autor und damit Eigentümer der Übersetzung. Dieser
Schutz besteht unabhängig davon, ob der Autor des Quelltextes seine
Erlaubnis zur Übersetzung gegeben hat. Wer als Auftraggeber nicht
will, dass der Übersetzer Eigentümer der Übersetzung wird, muss
eine vertragliche Regelung treffen. Ansonsten gilt das Gesetz.
5 Maschinelle Übersetzung
Den Kernsatz des Urheberrechts anzuwenden, bedeutet für maschinelle Übersetzungssysteme, dass die Übersetzung keinen Autor hat.
Die Software erzeugt die Übersetzung und nicht der Mensch. Das gilt
unabhängig davon, ob die Software „rule-based“ funktioniert oder
unter Millionen von vergleichbaren Texten nach Sprachmustern mit
statistischen Methoden sucht, wie es bei Google Translate der Fall ist.
Die Software wendet Regeln an, grammatikalische oder statistische,
die vom Programmierer in den Softwarecode eingegeben wurden,
ohne eine konkrete Kenntnis des jeweiligen Textes zu haben, der irgendwann später zu übersetzen ist. Die Software wendet diese Regeln
nach den Instruktionen im Code an, ohne dass der Übersetzer, der
die Software nutzt, Einblick in die mehreren Millionen Code-Zeilen
hat. Damit ist die Nutzung nicht vergleichbar mit einer Schreibmaschine oder einem PC und dessen Texterfassung, denn der Nutzer
der Übersetzungssoftware hat kaum Entscheidungsmöglichkeiten.
Bei manchen Übersetzerprogrammen hat der Nutzer einen bestimmten Spielraum, etwa zwischen gleichwertigen Begriffen. Er ist aber
vergleichsweise gering, gemessen am Textumfang. Damit fehlt es an
Autorenschaft und Kreativität, denn eine Maschine kann nicht kreativ sein.
6 Urheberrecht gilt
Erst durch das Post-Editing, also die Überarbeitung der maschinellen
Übersetzung (Rohübersetzung) durch einen Übersetzer oder Technischen Redakteur, entsteht ein Werk mit einem Autor – und damit ein
56
Wer ist der Urheber? Urheberrecht bei Übersetzungen von Technischer Dokumentation
Werk mit Urheberrecht. Dieses Eigentumsrecht umfasst das endgültige Werk, ohne zwischen den Textteilen zu unterscheiden, die von der
Software stammen, und den Teilen, die der Mensch eingefügt oder
geändert hat. Der Übersetzer oder der Technische Redakteur hat den
gesamten Text überprüft und als seinen übernommen. Damit sind
die maschinellen Anteile vom menschlichen Denkprozess aufgenommen worden, das Eigentum des Autors erstreckt sich in der Endfassung auf den gesamten Text. Wenn zwei Personen eine Übersetzung
bearbeiten, eine Person kümmert sich z.B. um die Rohübersetzung,
die zweite Person bringt den Text in ihre endgültige Form, dann vermengt sich die Rohübersetzung mit den Änderungen zum Gesamttext. Beide Personen haben einen Anteil daran. Deshalb gibt es für
diesen Text zwei Ko-Autoren und damit Eigentümer. Aber für die
maschinell entstandene Rohübersetzung ist kein Autor vorhanden, da
Software nicht menschlich ist. Es ist also derjenige der Autor des Gesamttextes, der den Text in die letzte Form bringt, denn darin ist auch
die Rohübersetzung der Software enthalten.
7 Translation Memory
Das Urheberrecht an der Software des Translation Memory besitzt
die Herstellerfirma. Wer aber hat das Urheberrecht am Inhalt? Der
Inhalt eines Translation Memorys besteht aus den Quelltexten, die
übersetzt wurden, und den Übersetzungen. Das Urheberrecht an den
Quelltexten haben die jeweiligen Autoren oder auch die jeweiligen
Auftraggeber für die Übersetzungen. Das Urheberrecht an den übersetzten Texten liegt bei den Übersetzern, soweit sie nicht vertraglich auf die Auftraggeber übertragen wurden. Um die Texte in die
Datenbank einzubringen, bedarf es der Zustimmung der Urheber.
Doch diese Zustimmung ist oft nicht vorhanden, weil schlichtweg
nicht daran gedacht wurde. Dabei würden Auftraggeber einer entsprechenden Klausel im Vertrag wohl zustimmen, wenn ihnen die
Vorteile der Nutzung eines reichhaltigen Translation Memorys erklärt
würden, anstatt den Punkt zu verschweigen. Ein Translation Memory
mit Fachtexten kann bei einer Übersetzung sehr hilfreich sein, wovon
der Auftraggeber profitiert.
8 Vertraulichkeit regeln
Bei der rechtlichen Einordnung eines Translation Memorys geht es
außer um das Urheberrecht auch um die vertragliche Verpflichtung
zum vertraulichen Umgang mit Kundentexten. Typischerweise verlangen solche Vertraulichkeitsklauseln, in US-Verträgen „non-disclo57
Wer ist der Urheber? Urheberrecht bei Übersetzungen von Technischer Dokumentation
sure“ oder „confidentiality clause“ genannt, die Vernichtung sämtlicher Unterlagen nach Abschluss des Auftrags. Wer den Quelltext und
die Übersetzung nach Abschluss des Auftrags in ein Transla­tion Memory einfügt oder dort weiterhin abspeichert, verstößt gegen die Vertraulichkeitsvereinbarung mit dem Auftraggeber. Dabei sollte nicht
vergessen werden, dass der Verstoß gegen die Vertragspflicht mit einer hohen Vertragsstrafe belegt werden kann. Aber ein Translation
Memory ohne Fachtexte aus vergangenen Aufträgen ist wenig wert.
Dieser Aspekt muss deshalb unbedingt vertraglich geklärt und die
Vorteile für den Auftraggeber offen besprochen werden. Das Thema
Urheberrecht erschöpft sich nicht in den Texten, die die Grundlage eines Translation Memorys bilden, denn diese Texte bleiben nicht
so, wie sie geschrieben wurden. Die Software zerlegt die Texte nach
bestimmten Vorgaben, damit einzelne Teile der Quelltexte und der
Übersetzungen zugeordnet werden können.
9 Mehrere Urheber
Durch Zerlegen und Zuordnen entsteht ein neues Werk, bestehend
aus Textteilen, die in dieser Zusammenstellung noch nicht existierten.
Autor des neuen Werkes ist die Person, die die Texte eingegeben hat,
da durch die Eingabe das Werk in dieser Form entstanden ist. Der
Autor und damit Eigentümer des Inhalts des Translation Memorys
ist also der Übersetzer. Er hat meist jedoch nicht das Urheberrecht an
allen Texten, die er eingibt. Und obwohl der Inhalt des Übersetzungsspeichers ein neues Werk ist, da Textteile neu geordnet wurden, sind
die Texte leicht zu identifizieren und damit wieder zu entfernen. Sie
sind also nicht in dem neuen Werk aufgegangen oder verschwunden.
Damit bleiben die Urheber an diesen Texten und an ihren einzelnen
Teilen weiterhin die Eigentümer. Das Resultat ist, dass eine ganze
Menge an Ko-Autoren existiert, die alle Urheber an den Inhalten des
Translation Memorys sind. Wer einen Speicher über längere Zeit aufbaut und nicht peinlichst darauf achtet, dass eine Nutzungserlaubnis
für die Verwendung jedes fremden Textes schriftlich dokumentiert
wurde, wird beim Verkauf eines Translation Memorys in Teufels Küche kommen. Denn typischerweise muss ein Verkäufer von Software
vertraglich gewährleisten, dass keine Rechte Dritter an der Software
bestehen. Das wird für Angebote wie „TAUS“ oder diverse Universitätsprojekte eines Tages eine spannende Frage, sollten sie das Urheberrechtsproblem nicht ordentlich regeln. Je mehr Personen und
Firmen zu einem Übersetzungsspeicher beitragen, desto komplizierter ist die Urheberrechtsfrage und die Beweisbarkeit der Nutzungserlaubnisse für jeden Beitrag.
58
Wer ist der Urheber? Urheberrecht bei Übersetzungen von Technischer Dokumentation
10 Terminologiedatenbank
Unter Terminologie wird ein Wort oder eine kleine Anzahl von Wörtern verstanden. Alle Gerichte weltweit sind sich einig, dass ein einzelnes Wort oder eine kleine Anzahl von Wörtern kein Werk darstellt und deshalb keinen Urheberrechtsschutz genießt. Dabei geht
es nicht um die Kreativität, denn neue Begriffe zu finden, verlangt
oft sehr viel Kreativität. Vielmehr dreht es sich um den zu geringen
Umfang, um als Werk zu gelten. Einzelne Begriffe werden deshalb,
wenn sie kommerziell sehr wichtig sind, als Marke angemeldet und
sind dadurch geschützt. Die Nutzung bedarf also der Erlaubnis. Bei
einer Terminologiedatenbank geht es vorrangig darum, Fachbegriffe
in verschiedenen Sprachen zugeordnet zu bekommen. Auch hier gilt
wie beim Translation Memory: Wer Kundentexte oder Terminologielisten von Auftraggebern in die Datenbank eingeben will, benötigt
die Erlaubnis der Inhaber der Urheberrechte. Und auch hier wirken
die vertraglichen Vertraulichkeitspflichten mit drohenden Vertragsstrafen. Eine vertragliche Nutzungserlaubnis der Texte oder Listen
für die Verwendung in einer Terminologiedatenbank ist unabdingbar.
11 Rechte regeln
Es geht immer um den Kernsatz, dass der Autor eines originellen
Werkes das alleinige Recht der Nutzung zu bestimmen hat. Übersetzungen sind originelle Werke. Wer nicht möchte, dass der Übersetzer die Eigentumsrechte an der Übersetzung besitzt, sollte eine
vertragliche Regelung treffen. Beim Einsatz von Übersetzungssoftware, ob Google oder lizenzierte Software, ist zu beachten, dass das
Post-Editing den Autor schafft, Software selbst ist kein Autor. Dies
gilt auch für Übersetzungsagenturen gegenüber ihren freien Mitarbeitern. Bei Festangestellten regelt das Gesetz die Übertragung des
Urheberrechts auf den Arbeitgeber. Wer mit Translation Memory
und Terminologiedatenbanken arbeitet, muss sehr sorgfältig darauf
achten, dass er ein vertragliches Recht erhält, Texte anderer Autoren
einsetzen zu dürfen.
59
Jens-Uwe Heuer-James
Fortschreibung des Rechts
durch die Rechtsprechung zur
Technischen Kommunikation
Aus der Praxis des Verfassers insbesondere im tekom-WebForum ergibt sich das Bild, dass die Verantwortlichen in der Technischen Dokumentation sich häufig geradezu nach gerichtlichen Entscheidungen
und Praxisfällen sehnen, die ihre Auffassungen bestätigen. Leider ist
diese Hoffnung nicht immer erfüllbar. Dennoch spielt die Rechtsprechung eine erhebliche Rolle dafür zu verstehen, wie die Juristen Technische Dokumentation bewerten und welche Anforderungen sich
daraus ergeben.
Um hier einen Überblick zu geben, bleibt zunächst einmal festzustellen, wie sich tatsächlich die Fortschreibung des Rechts durch
Gerichtsentscheidungen in der Praxis darstellt. Daran schließt sich
ein Überblick zur Rechtsprechung mit Bezug zur Technischen Dokumentation an. Dieser behandelt die unterschiedlichen Rechtsgebiete.
Bereits an dieser Stelle bleibt darauf hinzuweisen, dass es die allumfassende Gerichtsentscheidung zur Klärung aller Rechtsfragen rund
um die Technische Dokumentation nicht gibt. Es ist vielmehr ein Gesamtbild aus Gerichtsentscheidungen zu unterschiedlichen Rechtsgebieten und ein buntes Mosaik aus unterschiedlichen Versatzstücken,
was letztendlich das Recht zur Technischen Kommunikation prägt.
Daran anschließend sollen einige Betrachtungen für die Auswirkung
auf die Praxis in der Technischen Dokumentation angestellt werden.
1 Grundprinzipien der Fortbildung des Rechts
Die Erwartung des Laien an rechtliche Regelungen ist häufig, dass
‚im Gesetz‘ alle relevanten Vorgaben für die Praxis gemacht werden.
Diese Forderung oder auch Erwartungshaltung erweist sich jedoch
als vollkommen unrealistisch. Dies würde nämlich im Ergebnis dazu
führen, dass die vielfachen Fallgestaltungen sich irgendwie im Gesetzestext widerspiegeln müssen. Es liegt auf der Hand, dass dies die
Regelungstiefe eines Gesetzes völlig überfordern würde.
Sachlich geboten ist vielmehr eine sachgerechte Entscheidung
im Einzelfall. Die Unzulänglichkeiten einer Gesetzgebung haben im
Common Law zu dem sog. Case Law geführt. In diesem Regelungenkreis verzichtet man im weiten Umfang auf gesetzliche Vorgaben
60
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
und Regelungen und setzt stattdessen auf Einzelfallentscheidungen,
aus denen dann rechtliche Regelungen herausgearbeitet werden, um
sie bei der nächsten Fallkonstellation wieder zum Einsatz zu bringen.
Der deutsche Gesetzgeber folgt stattdessen der sog. römischen
Rechtstradition, die es vorzieht, sachgerechte Ergebnisse über die
Formulierung abstrakter Regeln zu erreichen. Der Ansatz ist hier, im
Gesetz abstrakte Tatbestände zu formulieren, die dann für den jeweiligen Einzelfall zur Anwendung kommen sollen.
Aufgrund der Vielzahl der Fallgestaltungen und der Tatsache,
dass bei Beginn der Formulierung eines Rechtssatzes noch nicht abgesehen werden kann, wie dieser sich tatsächlich in der Praxis auswirkt und ob er dann in der vom Gesetzgeber angedachten Form
eine angemessene Lösung darstellt, hat der Gesetzgeber jedoch eine
zweite Regelungsebene eingezogen.
Durch die Rechtsprechung soll zur Rechtsfortbildung beigetragen werden. Der Gesetzgeber verlangt also von der Rechtsprechung,
die von ihm vorformulierten abstrakten Rechtssätze zu interpretieren
und auf den konkreten Einzelfall anzuwenden. Ein besonders gutes
Beispiel dazu ist der § 823 BGB, der mit einem äußerst schlichten
Text den Grundtatbestand für das sog. Deliktsrecht bildet. Aus diesem Grundtatbestand hat die Rechtsprechung dann das Produkthaftungsrecht entwickelt, welches im Bereich der Instruktionsverantwortung für die Technische Dokumentation von großer Bedeutung ist.
Dem Laien mag es etwas suspekt erscheinen, dass eine der­artige
Rechtsfortbildung Praxis ist. Es stellt sich dann nämlich die Frage, ob
nicht hier eine gewisse Willkür der Richter erfolgen könnte.
Dafür hat der Gesetzgeber jedoch Vorkehrungen getroffen.
Zum einen gilt es, vor deutschen Gerichten strikte Verfahrensregeln
einzuhalten und auch Grundregeln der Gesetzesinterpretation zu folgen. Diese Grundregeln sind in der Rechtstheorie über eine lange
Tradition entwickelt worden und gelten auch gemeinhin als unumstößlich. Die Richter werden in der Beherzigung dieser Grundsätze
und Denkprinzipien ausgebildet, sodass von daher bereits eine gewisse Qualität der Entscheidungen gewährleistet ist.
Zum anderen ist in der ordentlichen Gerichtsbarkeit durch den
sog. Instanzenzug sichergestellt, dass Gerichtsentscheidungen auch
überprüft werden. Ab einem Streitwert von 5.000,01 Euro gehen
Streitfälle zum Landgericht. Urteile des Landgerichts wiederum werden durch die Oberlandesgerichte überprüft.
Als weitere Instanz steht dann der Bundesgerichtshof zur Verfügung. Dessen Aufgabe ist es, durch die Revision von Entscheidungen der Oberlandesgerichte zu Rechtsfragen, wie z.B. zur Frage der
Ausgestaltung von Warnhinweisen, Stellung zu nehmen. Aufgabe ist
es dabei, für eine gewisse Rechtsvereinheitlichung Sorge zu tragen.
Dies bedeutet: Ein Großteil der Entscheidungen des BGH nimmt
61
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
stets die Diskussion verschiedener in der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Rechtsauffassungen ein. Der Bundesgerichtshof teilt
dann mit, welcher der Auffassungen er zu folgen beabsichtigt, oder er
kreiert aus den unterschiedlichen Auffassungen seine eigene Auffassung hierzu. Trifft der BGH einmal eine Entscheidung, so haben die
Oberlandesgerichte und Landgerichte zur Wahrung der Einheit der
Rechtsprechung dieser Ansicht zu folgen. Es ist ihnen dann verwehrt,
abweichende Entscheidungen zu treffen.
Dieses Prinzip der Instanzenentscheidung und der Rechtsvereinheitlichung über den Bundesgerichtshof hat sich in der Vergangenheit bewährt. Insbesondere in der Produkthaftung hat sich dadurch eine abgesicherte Rechtssituation entwickelt, bei der aus Sicht
der anwaltlichen Beratung dem Mandanten präzise Rat gegeben werden kann, wie er seine Technische Kommunikation zu gestalten hat,
um nicht in eine Haftungssituation hineinzugeraten.
Ausgehend hiervon bleibt allerdings noch auf einen ganz
grundsätzlichen Aspekt hinzuweisen: Gerichtsentscheidungen sind
stets Einzelfallentscheidungen. Es kommt also darauf an, aus den
Besonderheiten des jeweiligen Falls herauszufiltern, was als allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen werden kann. Dies sind in der Praxis häufig nur wenige Sätze der Entscheidung, die grundsätzlich aus
einer ausführlichen Darstellung des sog. Tatbestandes (Darstellung
der Tatsachen) besteht sowie aus einer ausführlichen Diskussion der
im Verfahren durch die Beteiligten vorgetragenen Rechtsauffassungen. Es gilt dann gewissermaßen ‚die Nadel im Heuhaufen‘ zu finden, nämlich die Ausführungen des jeweilig entscheidenden Gerichts,
in denen eine Auseinandersetzung mit der Rechtsfrage, z.B. zum Umfang und zur Gestaltung der Technischen Kommunikation, erfolgt.
Leider ist dies nur möglich, wenn gewisse Vorkenntnisse und
eine juristische Ausbildung vorhanden sind. Eine rein laienhafte Interpretation birgt das Risiko, dass Ausführungen eines Gerichts missverstanden werden.
Ein gutes Beispiel hierfür ist eine Entscheidung des Oberlandesgerichts in Nürnberg (Urteil vom 17.02.2014, Az. 4 U 1706/12),
in der es letztlich um die Frage geht, ob unter dem Gesichtspunkt
des Arbeitsschutzes auf die CE-Kennzeichnung gewissermaßen
blind vertraut werden kann. Hier war im Internet kolportiert worden, das Oberlandesgericht Nürnberg würde nun pauschal das CEKennzeichen als nicht aussagekräftig bewerten. Was jedoch in der
Darstellung vergessen wurde, war den Gesamtzusammenhang darzustellen. Das OLG vertrat nämlich diese Aussage im Zusammenhang
mit dem hier vorliegenden Fall, in dem der Verstoß gegen eindeutig
bestehende Sicherheitsanforderungen geradezu offenkundig war. In
diesem Zusammenhang führte dann das OLG Nürnberg aus, der Betreiber einer Anlage könne nicht blind auf die CE-Kennzeichnung
62
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
vertrauen. Das Gericht hat sicherlich nicht beabsichtigt, hier gegen
die CE-Kennzeichnung zu sprechen und ihr jeglichen Aussagegehalt
zu nehmen. Dies läge auch außerhalb der Kompetenz eines Oberlandesgerichts, da es ja hier um eine Frage des Inverkehrbringensrechts
und damit des öffentlich-rechtlichen Gesichtspunktes geht, der nicht
Gegenstand einer Entscheidung eines Zivilgerichts sein kann.
2 Überblick zur Rechtsprechung zur
Technischen Kommunikation
Wie eingangs dargestellt, stellt sich die Rechtsprechung mit Bezug
zur Technischen Kommunikation als buntes Mosaik aus unterschiedlichen Rechtsgebieten dar. Entsprechend den unterschiedlichen Ausprägungen des „Rechts der Technischen Kommunikation“ bleibt zu
unterscheiden zwischen der Rechtsprechung zum Vertragsrecht, zum
Produkthaftungsrecht, zum Produktsicherheitsrecht und schließlich
zum Wettbewerbsrecht in Form des Rechts zum unlauteren Wettbewerb. Letzteres ist eine insbesondere in letzter Zeit zunehmende
Sparte der Rechtsprechung, in der es darum geht, unter Bezugnahme
auf die Regeln zum Inverkehrbringen von Produkten Wettbewerber,
die diesen Geboten zuwiderhandeln, aus dem Wettbewerb zu weisen
bzw. sie zu regelkonformem Verhalten anzuhalten.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass nicht über Quantensprünge
in der Rechtsprechung zu sprechen bleibt, sondern dass sich Grundzüge der Rechtsprechung stetig verfestigen. Es lässt sich allerdings
ein wesentlicher Trend feststellen: Seit der Schuldrechtsreform 2002
gibt es zunehmend Fälle, in denen es darum geht, dass in der Technischen Kommunikation, insbesondere in Bedienungsanleitungen,
Zusagen über die Beschaffenheit von Produkten gemacht werden,
die von den Gerichten auch als Zusagen im vertragsrechtlichen Sinne gewertet werden. Der Unverbindlichkeit von Informationen, insbesondere bei der Vertragsanbahnung, bleibt also letztlich endgültig
eine Absage zu erteilen. Es lässt sich mit einigem Nachdruck festhalten, dass im besten Sinne des Wortes jedes Wort ‚auf die Goldwaage‘
gelegt werden muss, welches der Hersteller im Zusammenhang mit
seinen Produkten an die Öffentlichkeit bringt.
Dazu sei angemerkt, dass es nicht nur in größeren Unternehmen
teilweise inzwischen zur geübten Praxis gehört, vor Freigabe von Dokumenten für die breitere Öffentlichkeit mindestens im Groben eine
Prüfung der Aussagen auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt
vorzunehmen. Dass ein Qualitätsmanagement für die Technische
Kommunikation vor diesem Hintergrund als unabdingbar erscheint,
drängt sich als Erkenntnis geradezu auf.
63
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
2.1 Rechtsprechung zum Vertragsrecht
Die Rechtsprechung hat sich, wie bereits erwähnt, seit 2002 insbesondere damit auseinandergesetzt, inwiefern Angaben aus den produktbegleitenden Informationen oder auch der Bewerbung des Produkts
dazu herangezogen werden können, eine bestimmte vertraglich geschuldete Beschaffenheit abzuleiten.
Ansatzpunkt hierfür ist § 434 BGB, auch wenn er davon spricht,
dass aus öffentlichen Äußerungen eine vertraglich geschuldete Beschaffenheit hergeleitet werden kann, soweit die öffentliche Äußerung im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss steht. An dieser
Stelle sei angemerkt, dass der Gesetzgeber hier für die in Anspruch
genommenen Verkäufer die Hürde erstellt, dass diese in der Beweislast sind nachzuweisen, dass derartige öffentliche Äußerungen relevant für den Vertragsabschluss waren. Bereits auf den ersten Blick
scheint diese Beweishürde schwer zu nehmen zu sein. Bezeichnenderweise sind bisher auch kaum Entscheidungen bekannt, die sich
mit dieser Beweishürde auseinandersetzen. Es dürfte daher davon
auszugehen sein, dass, wenn der Käufer schlüssig darlegen kann,
dass bestimmte Informationen zum Gegenstand auch der Vertragsverhandlungen gemacht worden sind, die Gerichte dem folgen und
davon ausgehen, dass dann eine entsprechende Beschaffenheitsvereinbarung gegeben ist.
Auffällig geworden sind insbesondere Verbrauchsangaben in
Produktinformationen für Automobile. Hier scheint es tatsächlich
der Fall zu sein, dass die Automobilhersteller teilweise nicht ganz präzise die tatsächlichen Verbräuche bzw. die Verbräuche, wie sie nach
den einschlägigen technischen Landesvorgaben berechnet werden, in
den Produktprospekten wiedergegeben haben. Nach zwischenzeitlich
auch anderen Entscheidungen geht die Tendenz der Gerichte dabei
eindeutig dahin, solche Angaben grundsätzlich als werbende Äußerung im Sinne von § 434 BGB zu verstehen und bei Nichtübereinstimmung zwischen der tatsächlichen Beschaffenheit des Fahrzeugs
und der Angabe in den produktbegleitenden Dokumenten den Käufern Mängelgewährleistungsansprüche zuzugestehen. Da eine Nacherfüllung in aller Regel ausscheidet, wird dem Käufer ein Rücktrittsrecht zugesprochen. So hat beispielsweise das Landgericht Hagen
(Urteil vom 29.07.2011, Az. 2 O 50/10) entschieden, dass Angaben
zum Ölverbrauch, die deutlich voneinander abweichen, in jedem Fall
auch einen wesentlichen Mangel darstellen und zum Rücktritt vom
Kaufvertrag berechtigen.
Beschaffenheitsangaben lassen sich dabei nicht nur aus expliziten Angaben herleiten. Vielmehr kann auch ein unzutreffendes Bild
von dem Produkt durch unzutreffende Informationen dazu geeignet sein, eine vertraglich geschuldete Beschaffenheit anzunehmen.
Ein Beispiel hierzu ist die Entscheidung des OLG Köln (Urteil vom
64
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
20.02.2013, Az. 13 U 162/09), in der es um die Batteriekapazität einer Autobatterie geht. Der Kläger verlangt die Rückabwicklung des
Kaufvertrags, weil ihm ein Fahrzeug mit nur einer unzureichenden
Batteriekapazität für den Betrieb der Standheizung verkauft worden
sei. Die Standheizung führe bei mehrmaligem Betrieb dazu, dass sich
die Batterie vollständig entleere. Das OLG setzt sich in diesem Fall
mit der Bedienungsanleitung auseinander und stellt dazu fest, dass
hier nur davor gewarnt werde, die Standheizung zweimal hintereinander einzuschalten. Daraus ließe sich jedoch folgern, dass alle anderen Fälle unproblematisch seien, wenn nur ein zweimaliges kurz
hinterein­ander folgendes Einschalten vermieden werde. Der hinzugezogene Sachverständige stellte jedoch fest, dass sich die Entladung
bei Betrieb einer Standheizung grundsätzlich nicht vermeiden lasse.
In diesem Falle erzeugt also die Darstellung in der Bedienungsanleitung ein unzutreffendes Bild von der Realität. Der Verkäufer erzeugt
damit sowohl bei der Vertragsanbahnung eine Fehlvorstellung beim
Käufer, wie auch die Situation, in der das erworbene Gut – Automobil
mit Standheizung – nicht zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck,
nämlich dem Betrieb der Standheizung, in der Lage ist. Aus beiden
Argumentationssträngen ergibt sich eine Abweichung von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit, mithin ein Rücktrittsanspruch
des Käufers.
Die Rechtsprechung hat sich weiter mit der Thematik beschäftigt, inwieweit eine unzureichende Technische Dokumentation verhindert, dass der vertraglich vorausgesetzte Zweck erreicht
werden kann. Ein schönes Beispiel hierfür sind die Entscheidungen
des Landgerichts und des Oberlandesgerichts Rostock (Urteil vom
31.07.2006, Az. 3 U 160/05) in Bezug auf eine Solarheizungsanlage.
Der Verkäufer hatte diese damit beworben, dass eine solche Solarheizungsanlage auch durch den Laien errichtet werden könne. Tatsächlich erhielt der Käufer jedoch statt einer ausführlichen Anleitung
nur technische Zeichnungen, die allenfalls einen professionellen Heizungsinstallateur in die Lage versetzt hätten, die Solarheizungsanlage
zu montieren.
Die Gerichte sahen darin ein Abweichen von der vertraglich
geschuldeten Beschaffenheit unter dem Gesichtspunkt, dass der
vertraglich vereinbarte Zweck, nämlich die Montage der Heizungsanlage, nicht erreicht werden könne. Beide Gerichte gingen darüber
hinaus sogar noch einen Schritt weiter und sahen in einer solch gravierenden Abweichung eine arglistige Täuschung, die zur Anfechtung
des Kaufvertrags nach § 123 BGB berechtige. Angemerkt sei hierzu,
dass eine solche Argumentation auch den Einstieg in eine strafrechtliche Bewertung erlaubt, nämlich unter dem Gesichtspunkt des sog.
Eingehungsbetrugs (§ 263 StGB).
65
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
2.2 Die Rechtsprechung zur Produkthaftung
Spätestens seit den berühmten „Kindertee-Entscheidungen“ ist die
Instruktionshaftung ein Klassiker im Bereich der Produkthaftung.
Die unzureichende Informationen über drohende Gefährdung beim
Produktgebrauch, insbesondere in Form von Warn- und Sicherheitshinweisen, stellt sicherlich einen Schwerpunkt in der Rechtsprechung
zur Produkthaftung dar. Dabei drängt sich der Eindruck auf, dass
dies insbesondere deswegen der Fall ist, weil sich die Instruktionshaftung auch relativ einfach aus der Perspektive von Juristen beurteilen
lässt, gewissermaßen aus eigener Anschauung.
Klassiker in diesem Zusammenhang sind sicherheitsbezogene
Hinweise, die nicht vollständig und umfassend sind. Ein schönes Beispiel hierzu ist die Entscheidung des OLG Nürnberg (Urteil vom
20.05.2014, Az. 4 U 206/14) zu einem Mountainbike. Hier war es
zu einem folgenschweren Sturz gekommen, weil bei der Durchführung von Kunststücken das Mountainbike nicht den Belastungen
standhielt und mehr oder weniger auseinanderbrach. Der Hersteller
argumentierte hier mit Missbrauch. Das Oberlandesgericht hielt dem
entgegen, dass dies mitnichten der Fall sei. Der Hersteller gebe nämlich zwar Warnhinweise zum Gebrauch, bzw. schränke den Gebrauch
seiner Mountainbikes teilweise ein. Dies erfolge allerdings in einer
derart unverständlichen Art und Weise, dass dem Nutzer anhand
der Bedienungsanleitung nicht deutlich werde, in Bezug auf welchen
Fahrradtyp sich die Einschränkung verstände. Aufgrund dieser unpräzisen Formulierung über die bestimmungsgemäße Verwendung
seien die gegebenen Instruktionen damit insgesamt gegenstandslos
und somit sei der Hersteller seiner Instruktionspflicht nicht nachgekommen.
Der Vorwurf unzureichender Instruktion bewegt sich dabei
stets an der Grenze zum Vorwurf unzureichender Konstruktion.
Plastisch formuliert treten beide Fehlergruppen gerne gemeinsam
auf. Dabei gilt nach wie vor der in der Maschinenrichtlinie 2006/42
zum Ausdruck gebrachte Grundsatz, dass die konstruktiven Maßnahmen grundsätzlich Vorrang vor instruktiven Maßnahmen haben und
eine unzureichende Konstruktion nicht durch eine Instruktion geheilt werden kann. Schwierig sind auch solche Fälle, in denen durch
die Instruktion ein Bild vermittelt wird, welches durch die Konstruktion schlicht nicht zu erfüllen ist.
Instruktiv ist hierzu etwa eine Entscheidung des OLG Hamm
(Urteil vom 20.03.2012, Az. 21 U 144/09) zu einer sog. Handlaufkatze, die als Arbeitsmittel für Arbeiten unter Tage zum Einsatz kommt.
Strittig war hier, ob, nach Auffassung des Klägers, der Eindruck vermittelt worden war, die Handlaufkatze verfüge über eine Verzögerungsbremse oder ob, nach dem Hersteller, vermittelt worden war,
die Handlaufkatze verfüge allenfalls über eine Haltebremse und sei
66
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
dementsprechend einzusetzen. Der Unfall war hier dadurch entstanden, dass die Arbeiter gerade nicht die Handlaufkatze unter der Annahme einer Haltebremse einsetzten, sondern unter der Annahme
einer Verzögerungsbremse. Der Sachverständige stellte dann nach
Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung fest, dass hier tatsächlich
die Erwartung einer Verzögerungsbremse erzeugt worden war. Aufgrund dieser Fehlvorstellung sah das Gericht einen Instruktionsfehler
als erwiesen an (und damit letztendlich auch eine für den Anwendungsfall untaugliche Konstruktion) und dies hatte eine Haftung des
Herstellers zur Folge.
Kritisch ist im Zusammenhang mit den Instruktionsfehlern immer wieder die Konstellation, in der es um den Produktfehlgebrauch
bzw. Missbrauch geht. Häufig argumentiert der in Anspruch genommene Hersteller damit, dass hier kein Instruktionsfehler vorliege,
da es sich in der konkreten Fallkonstellation um einen Missbrauch
handele. An dieser Stelle bleibt mit aller Deutlichkeit auf Folgendes
hinzuweisen: Grundsätzlich hat sowohl die Konstruktion wie auch
die Instruktion zu berücksichtigen, dass es einen Fehlgebrauch von
Produkten geben kann. Erst wenn dieser einen Bereich erreicht, der
weder vorhersehbar noch in irgendeiner Weise nachvollziehbar erscheint, spricht die Rechtsprechung von einem Missbrauch. In der
Praxis wird von der Herstellerseite viel zu häufig ein Missbrauch angenommen.
Ein schönes Beispiel für das Fehlschlagen der Argumentation
mit dem Missbrauch sind die sog. „Bioethanol-Kamin-Fälle“. Hier
geht es um die mit Bioethanol betriebenen kleinen Tischfeuerstellen.
Bei diesen hat es häufiger Fälle gegeben, in denen die Nutzer in die
noch warmen Tischfeuerstellen wieder Brennstoff aufgefüllt hatten
und es aufgrund der noch vorhandenen Restwärme zu einem explosionsfähigen Gemisch kam. Wenn dieses dann gezündet wurde, kam
es zu teils schweren Explosionen. Die Gerichte (z.B. LG Göttingen,
Urteil vom 02.03.2011, Az. 2 O 218/09) haben einhellig das Nachfüllen von Brennstoff in einen noch warmen Tischkamin nicht als Missbrauch eingestuft, sondern als Fehlgebrauch, den der Hersteller zu
berücksichtigen habe. Hierzu sei angemerkt, dass es in der Praxis vor
allem auf den Tatbestand „vorhersehbar“ ankommt. Wenn es dem
Hersteller gelingt, das Gericht davon zu überzeugen, dass weder in der
Branche noch dem Hersteller selbst aufgrund des Reklamationsmanagements Umstände bekannt waren, die auf den fallgegenständlichen
Gebrauch hätten hindeuten können, mag es gelingen, sich auf einen
Produktmissbrauch zu beziehen. Die Fälle in der Rechtspre­chung, in
denen tatsächlich ein Produktmissbrauch angenommen wurde, sind
allerdings nur sehr vereinzelt und betreffen in der Tat Fallkonstella­
tionen, in denen sich der tatsächliche Produktgebrauch in einem völlig
anderen Bereich bewegte als der vom Hersteller intendierte Gebrauch.
67
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
Das klassische Beispiel hierzu ist der Gebrauch von Klebstoff als
Rauschmittel durch Einatmen der entstehenden Dämpfe.
Ein weiteres Beispiel dazu ist der plastische Fall des LG Köln
(Urteil vom 27.01.2011, Az. 24 O 198/10). In diesem war ein Flachbildschirm nach zehnstündiger Dauernutzung in Brand geraten. Der
Hersteller argumentierte damit, dass eine zehnstündige Nutzung eines Fernsehgeräts eindeutig einen Missbrauchsfall darstelle. Das LG
Köln folgte dem nicht. Es argumentierte damit, dass in dem Missbrauch mindestens auch ein Fehlgebrauch liege, sich jedoch in der
Bedienungsanleitung keinerlei Hinweise auf einen Fehlgebrauch aufgrund übermäßiger Nutzung des Fernsehgeräts befänden. Eine zehnstündige Dauernutzung sei zwar ungewöhnlich, aber eben auch nicht
völlig unwahrscheinlich.
In der Praxis kommt häufig eine Vielzahl von Ursachen für
den Schaden in Betracht. Konstruktionsmängel und Instruktionsmängel gehen hierbei gewissermaßen Hand in Hand. Hinzu kommen Verstöße gegen das Produktsicherheitsrecht. Ein Beispiel dafür
ist die Entscheidung des LG Stuttgart (Urteil vom 10.04.2012, Az.
26 O 466/10) zu einer Klebemaschine. Diese lief im Tipp-Betrieb
zu schnell und hatte zu Quetschungen an der Hand des Maschinenbedieners geführt. Das Gericht beauftragte einen Sachverständigen
mit der Analyse des Sachverhalts. Dieser stellte neben konstruktiven
Mängeln fest, dass keinerlei Gefährdungs- bzw. Risikoanalyse durch
den Hersteller vorgenommen worden sei und keine ausreichenden
Hinweise in der Anleitung auf die Handhabung für den Tipp-Betrieb
gegeben worden seien. Insgesamt bliebe nur festzustellen, dass in
schwerwiegender Weise gegen die Regelungen der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42 verstoßen worden sei. Das Gericht bejahte daraufhin ohne weitere Erörterung das Vorliegen von Konstruktions- und
Instruktionsmängeln und sprach dem Kläger einen Anspruch zu.
2.3 Die Rechtsprechung zum Produktsicherheitsgesetz
Leider liegen trotz vieler klärungsbedürftiger Fragen noch nicht allzu
viele Entscheidungen zum Produktsicherheitsrecht nach Übergang
vom GPSG zum ProdSG vor. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass ein verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz nur allzu häufig so viel Zeit in Anspruch nimmt, dass er den Betroffenen nicht
attraktiv erscheint und daher eher das Gespräch mit der Verwaltungsbehörde gesucht wird.
Ein instruktiver Fall ist hierzu sicherlich die Entscheidung des
VG Hamburg zum Az. 10 K 1128/09 (Urteil vom 28.09.2010). In
dieser Sache ging es um die Einfuhr von sog. Big-Bags aus China. Die
Einfuhr dieser Big-Bags war angegriffen worden, weil diese angeblich
nicht in ausreichendem Maße reißfest seien. Die Verwaltungsbehörde und das VG Hamburg setzten sich dann mit der einschlägigen
68
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
Norm DIN EN ISO 21898 auseinander und stellten darüber hinaus
fest, dass keine neuen Sicherheitsanweisungen seitens des Herstellers an den Produkten erfolgt seien. Auch sei tatsächlich nachgewiesen, dass keine ausreichende Reißfestigkeit bestehe. Der Hersteller
habe es zudem dann trotz entsprechender Aufforderung seitens
der Marktüberwachung versäumt, eine Risikoanalyse zu seiner Entlastung vorzulegen. In diesem Falle war ein Vertriebsverbot seitens
der Marktüberwachung verhängt worden, welches das VG Hamburg
dann bestätigt hat.
2.4 Recht des unlauteren Wettbewerbs
Immer häufiger stellen Unternehmen fest, dass die Inverkehrbringensregeln, insbesondere die Regeln zur CE-Kennzeichnung von
Produkten, einen Fall unlauterer Werbung darstellen können. Halten
Marktteilnehmer nicht das einschlägige Inverkehrbringensrecht ein,
so handeln sie wettbewerbswidrig.
Ein Beispiel für eine solche Argumentation ist der Fall des OLG
Düsseldorf, entschieden durch ein Urteil vom 11.02.2014, Az. I-20
U 188/13. In der Sache ging es um die Thematik einer Staubabsaugungsanlage. Hier war behauptet worden, sie halte nicht die einschlägige Maschinenrichtlinie ein und verstoße damit gegen die Regelung
zur CE-Kennzeichnung. Insbesondere sei eine Betriebsanleitung im
Sinne von Anhang I Ziff. 1.7.4 EG-Maschinenrichtlinie 2006/42
nicht beigefügt worden. Das angerufene OLG kam in einer summarischen Prüfung – wie es in wettbewerbsrechtlichen Verfügungsverfahren häufig der Fall ist – zu dem eindeutigen Ergebnis, dass das
einschlägige Inverkehrbringensrecht in Gestalt der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42 nicht eingehalten werde und daher eine Bewerbung dieses Produkts gegen § 4 Nr. 10 UWG verstoße. Das Unterlassen der Bewerbung könne daher völlig zu Recht verlangt werden.
Wie bereits eingangs festgestellt, gelangt diese Fallgruppe zu einer immer größeren Popularität.
3 Auswirkungen auf die Praxis
Die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Technischen Dokumentation scheint zuweilen sehr übersichtlich. Dies darf nicht zu der
Schlussfolgerung verleiten, man könne sich nicht im Einzelnen mit
dieser Rechtsprechung auseinandersetzen. Dies bleibt ohne Weiteres
möglich.
Es empfiehlt sich allerdings, eine Vorklärung vorzunehmen. Es
erscheint sicherlich hilfreich, einschlägige Entscheidungen mit einem
irgendwie gearteten Bezug zur eigenen Tätigkeit zu recherchieren.
69
Fortschreibung des Rechts durch die Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation
4 Zusammenfassung
In der Zusammenfassung bleibt festzuhalten, dass die Rechtsprechung mit Bezug zur Technischen Kommunikation für den Alltag
brauchbare Leitbilder enthält. Gewisse Grundregeln lassen sich den
ergangenen Entscheidungen durchaus entnehmen. Allerdings empfiehlt sich eine gewisse Skepsis vor allzu undifferenzierter Verwendung von Gerichtsentscheidungen als vermeintlich maßgebliche Entscheidungen. Wesentlich ist eine sachkundige Interpretation und das
Lesen ‚zwischen den Zeilen‘.
70
Roland Schmeling
Besonderheiten von Recht und
Rechtsprechung zur Technischen
Kommunikation in wichtigen
Exportregionen I: USA
Das Bild vom Rechtsraum USA aus der Sicht von Produktherstellern
ist geprägt vom Produkthaftungsrecht und seinen hohen finanziellen
Risiken. Dieser Artikel befasst sich vorrangig mit dem US-amerikanischen Produkthaftungsrecht aus dem Blickwinkel der Technischen
Kommunikation. Einige Bemerkungen betrachten darüber hinaus
das Inverkehrbringensrecht. Hinsichtlich weiterer Aspekte wie Vertragsrecht und Urheberrecht sei auf die Literatur verwiesen.
1 Fehlergruppen in der Produkthaftung:
Wann ist ein Produkt fehlerhaft?
Vergleichbar mit der Rechtsprechung, die sich im Rahmen der deliktischen Produzentenhaftung (§ 823 BGB) in Deutschland herausgebildet hat, wird auch im US-Produkthaftungsrecht (Restatement of
the Law, Third, Torts, § 2) zwischen den folgenden Fehlergruppen
unterschieden:
• Konstruktionsfehler (design defects)
• Produktionsfehler (manufacturing defects)
• Instruktionsfehler (warning defects).
Seit Jahren weisen verschiedene Industrieversicherer darauf hin, dass
die Instruktionsfehler die größte Fehlergruppe in US-Produkthaftungsfällen bilden. Dies liegt u.a. daran, dass Instruktionsfehler für
die Anwälte von Klägern besonders leicht nachzuweisen sind: Anleitungen, Warnhinweise, Angaben im Internet oder Verkaufsunterlagen
sind leicht verfügbar und können vom Anwalt selbst beurteilt werden, ohne dass z.B. kostspielige Laboratorien oder Prüfinstitute hinzugezogen werden müssen. Zudem ist durch technischen Fortschritt
und Gesetzgebung (z.B. Maschinenrichtlinie) die technische Produktsicherheit insgesamt gestiegen. Auch in der Technischen Kommunikation wurden Fortschritte gemacht, dennoch bieten Produkte bei
den Anleitungen nach wie vor die größte Angriffsfläche. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass Anleitungen und Hinweise zu einem Produkt als Bestandteil des Produkts gelten; eine fehlerhafte Anleitung
71
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA
begründet damit direkt die Fehlerhaftigkeit des gesamten Produkts.
Es liegt damit nahe, sich speziell aus dem Blickwinkel von Anleitungen mit dem US-Produkthaftungsrecht auseinanderzusetzen.
2 Zum Einstieg: Produkthaftungsfälle
und urbane Legenden
Katze in der Mikrowelle
Coffee Spill Case
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Der angebliche Fall, der häufig zuerst genannt wird, wenn es um USamerikanisches Produkthaftungsrecht geht, ist „Die Katze in der Mikrowelle“ (Ryan/Wenglorz). Dieser Fall ist jedoch höchstwahrscheinlich dem Bereich der urbanen Legenden zuzuordnen, ebenso wie der
Fall des Wohnmobils, dessen Fahrer bei eingeschalteter Geschwindigkeitsregelanlage den Fahrersitz verlassen haben soll.
Hingegen ist der Fall der Verbrühung mit heißem Kaffee (Coffee Spill Case) belegt, einschließlich eines Dokumentarfilms von 2011
(Hot Coffee) und eines 12-minütigen „Retro Report“ der New York
Times von 2013. U.a. hat dieser Fall die Debatte um eine Reform des
Haftungsrechts verstärkt. Vor allem jedoch zeigt dieser Fall, dass die
Darstellung von Haftungsfällen in den Medien stark verkürzt wird.
So wird z.B. selten erwähnt, dass die Klägerin S. Liebeck Verbrennungen dritten Grades hatte, welche Hauttransplantationen erforderlich
machten und die Klägerin dauerhaft gesundheitlich beeinträchtigten. Auch die berichteten Schadensersatzsummen in Millionenhöhe
wurden nie rea­lisiert. Was der Klägerin von der letztlich gezahlten
Kompensation (über die McDonald’s und die Klägerin Stillschweigen vereinbart haben) nach Abzug von Anwalts-, Behandlungs- und
Pflegekosten und Verdienstausfällen tatsächlich geblieben ist, darüber
kann nur spekuliert werden. Als sichere Einnahmequelle kann das
US-amerikanische Produkthaftungssystem bestenfalls für die Anwälte gelten, nicht aber für die Geschädigten.
Die dokumentierten Fälle zeigen, dass es sich lohnt, sich nicht
von teilweise irreführenden Pressemeldungen leiten zu lassen, sondern sich mit dem US-amerikanischen Haftungsrecht vorurteilsfrei
und sachlich auseinanderzusetzen, um dann im eigenen Produktumfeld emotionslos die passenden Maßnahmen zu ergreifen.
Insgesamt ändert sich jedoch die Haftungssituation in den
USA allmählich zugunsten von Unternehmen, Herstellern und Importeuren. In einzelnen Staaten sind bereits Reformen des Produkthaftungsrechts vorgenommen worden, in anderen Staaten wird dies
möglicherweise noch geschehen.
Inwieweit sich das zu erwartende Freihandelsabkommen auf
die Haftungssituation und damit auch auf die Anforderungen an die
Technische Kommunikation auswirken wird, bleibt abzuwarten.
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA
3 Ausgewählte Besonderheiten
des Rechtssystems
Zu den Besonderheiten des Rechtssystems in den USA gehören u.a.:
• Die Betonung des Fallrechts
• Uneinheitliche Rechtssituation
• Die gerichtliche Voruntersuchung (pre-trial discovery)
• Die Jury im Gerichtsverfahren
• Die Kostensituation für Beklagte
• Der Strafschadensersatz (punitive damages).
Ferner gibt es einige Behörden und Organisationen, die je nach Produktbereich für das Inverkehrbringen von Produkten in den USA
wichtig sind.
3.1 Fallrecht
Fallrecht (englisch: case law) ist eine Rechtsordnung, bei der die gerichtlichen Entscheidungen nicht primär auf generellen Gesetzen
be­r uhen (wie im kontinentaleuropäischen Recht), sondern sich die
Rechtsfindung primär auf die frühere Rechtsprechung zu vorangegangenen vergleichbaren Fällen stützt (Präzedenzfälle).
Dies führt zu einer gewissen Unübersichtlichkeit und Unsicherheit bei der Einschätzung von Haftungsrisiken. Im US-Haftungsrecht
liegt zwar eine häufig referenzierte Sammlung von Rechtsprinzipien
vor (Restatement of the Law, Third, Torts), die jedoch auch kritisiert
wird und an die Gerichte bei der „Suche nach der Wahrheit“ und einem „gerechten Urteil“ nicht zwingend gebunden sind.
3.2 Uneinheitlichkeit
Hinzu kommt, dass das Recht in den USA nicht einheitlich geregelt ist. Die Gerichte sind in 94 „federal judicial districts“ aufgeteilt,
die sich auf zwölf Regionen verteilen und in denen durchaus unterschiedliche Verfahrensregeln gelten können (http://www.fjc.gov/
federal/courts.nsf [26.07.2015]).
Je nach Produkt und abhängig vom Ort, wo ein Produkt in Verkehr gebracht oder betrieben wird, müssen also die Anforderungen
speziell recherchiert werden. So können z.B. in einzelnen Staaten besondere Warnungen vor bestimmten Gefahrstoffen erforderlich sein.
3.3 Gerichtliche Voruntersuchung
Die gerichtliche Voruntersuchung (pre-trial discovery) ist ein Bestandteil des US-amerikanischen Prozessrechts zur Beweisaufnahme und
hat zum Ziel, den ‚wahren‘ Sachverhalt zu ermitteln. Das Verfahren
stattet einen Kläger mit weitreichenden Rechten hinsichtlich des Zugriffs auf Personen und auf interne Dokumente eines beklagten Unternehmens aus. Es dürfte sehr wahrscheinlich sein, dass Unterlagen
Unübersichtlichkeit
Gerichte in
zwölf Regionen
Zugriff auf interne
Informationen
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Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA
Interne Dokumentation
wie Risikobeurteilungen, Besprechungsprotokolle und Test­ergebnisse
im Rahmen der Voruntersuchung zugänglich werden. Diese Beweisaufnahme ist zudem nicht auf den aktuellen Fall beschränkt, sondern
kann ein Unternehmen auf breiterer Basis durchleuchten.
Die gerichtliche Voruntersuchung umfasst Beweismaterial (requests), Vorlage von Fragen zur Beantwortung (interrogatories) und
die außergerichtliche Partei- und Zeugenvernehmung (deposition).
Speziell beim sog. e-discovery werden auch E-Mails, Chats usw. erfasst. Um Haftungsrisiken zu senken, ist es daher auch erforderlich,
die gesamte schriftliche Kommunikation im Unternehmen geeigneten Kommunikationsregeln und der erforderlichen Sorgfalt zu unterwerfen.
Der umfassenden Offenbarungspflicht wird sich ein Unternehmen angesichts erheblicher Sanktionsmöglichkeiten der Gerichte kaum widersetzen, auch wenn Konflikte zwischen den Offenbarungspflichten und den Datenschutzbelangen dabei nicht selten sind.
Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmen darauf achten,
dass alle internen Unterlagen im Zusammenhang mit der Produktsicherheit vollständig, durchgängig und lückenlos vorliegen, insbesondere E-Mails und Protokolle stets die Sicherheit der Produkte vor
wirtschaftliche Erwägungen stellen, und Verantwortliche im Unternehmen professionell auf Vernehmungen vorbereitet sind.
3.4 Jury
Die Entscheidung über die Schuld in einem US-Gerichtsverfahren
trifft nicht der Richter, sondern eine Jury, die sich aus der Bevölkerung zusammensetzt. Für die Anwälte bedeutet dies, dass sie besondere Kompetenzen im Umgang mit der Jury und in ihrer Überzeugung benötigen, um erfolgreich zu sein. Bei der Argumentation muss
zudem berücksichtigt werden, für welche Argumente und auch Emotionen eine derartige Jury empfänglich ist und welchen Argumenten
eine Jury eher nicht folgt. Wirtschaftliche Erwägungen über die Sicherheit von Produktnutzern zu stellen ist dabei regelmäßig problematisch.
Keine Kostenerstattung
74
3.5 Kostensituation
Anwalts- und Gerichtskosten können sich – nicht nur in den USA
– im Verlauf eines Falls zu einer beträchtlichen Summe kumulieren.
Bereits in der gerichtlichen Voruntersuchung können erhebliche Kosten entstehen. Diese Kosten hat ein beklagtes Unternehmen in der
Regel selbst zu tragen, selbst wenn die Klage erfolgreich abgewehrt
wurde; die Erstattung der Gerichtskosten oder gar der Anwaltskosten
durch den (unterlegenen) Kläger ist in der Regel nicht vorgesehen.
Dies führt häufig dazu, dass beklagte Unternehmen frühzeitig
eine (oft günstigere) vorgerichtliche Einigung mit dem Kläger an-
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA
streben und eine Kompensation anbieten, selbst bei weitgehend aussichtslos erscheinenden Klagen.
Auf der anderen Seite ist eine Klage für einen US-Anwalt ein
Geschäft, welches sich lohnen soll. Der Geschädigte geht bei einer
Klage zunächst kein finanzielles Risiko ein, sondern einigt sich mit
dem US-Anwalt auf eine Beteiligung des Anwalts an der erstrittenen
Summe: Der US-Anwalt investiert in eine Klage mit Aussicht auf
einen Gewinn.
Die hohen Verteidigungskosten einerseits und die für den Kläger weitgehend risikolose Möglichkeit einer Klage andererseits vor
verbraucherorientierten Jury-Gerichten tragen wesentlich zu den hohen Kosten der US-Produkthaftung und von entsprechenden Versicherungen bei.
Eine professionelle anwaltliche Vertretung sollte bereits vor einem ersten Haftungsfall aufgebaut werden, auch um im Fall einer
Klage schnell und professionell zu reagieren und ggf. die Chancen
zu nutzen, ein Gerichtsverfahren durch eine vorgerichtliche Einigung
oder besser: eine Abwehr zu vermeiden.
3.6 Strafschadensersatz
Der Strafschadensersatz (punitive damages) ist eine Form von Schadensersatz, der vom Kläger zusätzlich zum ausgleichenden Schadensersatz (compensatory damages) aufgrund einer verwerflichen Handlungsweise geltend gemacht werden kann. Er dient – ähnlich wie eine
Strafe – der Vergeltung oder Abschreckung und kann ein Vielfaches
des ausgleichenden Schadensersatzes ausmachen.
Dahinter verbirgt sich der wirtschaftsethische Gedanke, dass
sich die verwerfliche Handlungsweise für ein Unternehmen nicht
‚lohnen‘ soll, z.B. ein fehlerhaftes Produkt weiter zu vertreiben, weil
ein Rückruf des fehlerhaften Produkts teurer wäre als eine Kompensation in den zu erwartenden Schadenfällen (https://en.wikipedia.
org/wiki/Ford_Pinto#Design_flaws_and_ensuing_lawsuits).
Die Wahrscheinlichkeit, dass Strafschadensersatz zugesprochen
wird, ist jedoch gering und liegt nach einer Studie des US-Justizministeriums lediglich im einstelligen Prozentbereich (Rinne/Ziegler
2014).
3.7 Behörden und produktspezifische Regeln
Nicht unmittelbar mit dem Produkthaftungsrecht, sondern zum einen beim Inverkehrbringen und zum anderen bei Produktbeobachtung und Rückrufen können je nach Produkt bestimmte Behörden
eine Rolle spielen. Dies sind insbesondere die mächtige FDA (Food
and Drug Administration, www.fda.gov, für Lebensmittel, Arznei­mittel und Medizinprodukte), die CPSC (Consumer Products Safety
Commission, www.cpsc.gov, für Verbraucherprodukte) und NHTSA
Klage als Geschäft
Hohe Verteidigungskosten
Schnelle Reaktion
gefragt
punitive damages
FDA
CPSC
75
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA
Recherche im Einzelfall
erforderlich
(National Highway Traffic Safety Administration, www.nhtsa.gov, für
den Automobilbereich).
Um den Weg durch die behördlichen Vorschriften zu bahnen,
bieten Agenten ihre Dienste für Unternehmen an, die ihre Produkte
im US-Markt in Verkehr bringen wollen.
Für weitere Branchen und Produktarten können weitere Regeln
relevant sein, z.B. der NEC (National Electrical Code, NFPA 70), der
Standards für elektrotechnische Installationen enthält. Auch Industrieverbände bringen teilweise nützliche Informationen heraus, die
helfen können, anerkannte Regeln der Technik einzuhalten. So hat
z.B. die CEMA (Conveyor Equipment Manufacturers Association)
eine Broschüre mit branchentypischen Warnschildern herausgegeben
(Safety Label Brochure), die sich weitgehend an den Gestaltungsregeln der ANSI Z535 orientiert.
Für viele Produkte ist ein Inverkehrbringen praktisch nur mit
bestimmten UL-Zertifikaten möglich (UL = Underwriters Laboratories), die nach erfolgreicher und kostenpflichtiger Prüfung gegen
entsprechende UL-Normen vergeben werden. Diese Normen enthalten häufig Anforderungen an die Kennzeichnungen auf Produkten und an die Texte in Anleitungen (markings, labeling). Auch wenn
die Normen oft nur die sinngemäße Wiedergabe bestimmter Texte
verlangen, kann es schwierig sein, ohne wörtliche Wiedergabe der
Normentexte in der Anleitung das gewünschte Zertifikat zu erlangen. Leitend sollte jedenfalls stets die Informationsqualität vor der
Normenkonformität sein.
Nicht zuletzt sei auf den Code of Federal Regulations verwiesen, speziell Titel 29 „labour“, in dem u.a. Regeln des Arbeitsschutzes
kodifiziert sind. Z.B. sind hier Regeln für Gefahrenkennzeichnungen
zu finden (29 CFR „Specifications for accident prevention signs and
tags“ – 1910.145). Medizinproduktehersteller haben zudem mit Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit von Arzneimitteln zu tun, die
aus dem Titel 21 (21 CFR „Food and Drugs“, Part 11) hervorgehen.
Diese Beispiele zeigen, dass produktspezifisch eine sehr genaue
Recherche der Anforderungen im Einzelfall erforderlich ist, denn die
Kenntnis der anerkannten Regeln ist eine Voraussetzung für ihre Einhaltung und damit für die wirksame Reduktion von Haftungsrisiken.
3.8 ANSI Z535
Eine lange Geschichte verbirgt sich hinter der 6-teiligen Normenreihe ANSI Z535 für Sicherheitskennzeichnungen, Sicherheitsfarben,
Piktogramme, Warnschilder, Sicherheits- und Warnhinweise. Die
Einhaltung der Gestaltungsvorgaben dieser Normenreihe ist dringend geraten (vgl. tekom-Leitfaden Sicherheits- und Warnhinweise).
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Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA
4 Maßnahmenbereiche für die
Technische Kommunikation
Die Besonderheiten des komplexen US-amerikanischen Rechts umfassend darzustellen, kann im Rahmen dieses Artikels nicht geleistet
werden. Andererseits gibt es jedoch klare Akzente, die für die Technische Kommunikation und hier insbesondere für das Erstellen von
Anleitungen zu in den USA vertriebenen Produkten von herausragender Bedeutung sind und die hier genannt sein sollen:
• Die haftungsminimierende Wirkung von Informationsqualität und
Verständlichkeit einschließlich der korrekten Sprachen
• Die sachgerechte Durchführung von Risikobeurteilung und Zielgruppenanalyse
• Die sorgfältige Recherche und Anwendung der relevanten Gesetze und Normen
• Die sorgfältige Qualitätssicherung
• Die konsistente Kundenkommunikation, die Vertrieb, Marketing,
Verträge und Schulungen genauso berücksichtigt wie Warnschilder und Anleitungen
• Die vollständige und sorgfältige interne Dokumentation.
Diese Maßnahmen sind weder überraschend noch US-spezifisch, sie
gewinnen jedoch vor dem Hintergrund der hohen finanziellen Haftungsrisiken in den USA ein besonderes Gewicht. Insofern wirkt der
US-Markt wie ein „Vergrößerungsglas“ für die oft vernachlässigten
Maßnahmen zur Haftungsminimierung.
Über die genannten Maßnahmen sollte jede Technische Redakteurin und jeder Technische Redakteur Bescheid wissen, und zwar
nicht nur, wenn die fraglichen Produkte direkt in den USA vertrieben
werden; ein Produkt kann durchaus im Laufe seines „Produktlebens“
in die USA gelangen und einen Haftungsfall auslösen, auch wenn dies
bei der ersten Inverkehrgabe nicht beabsichtigt war, aber wenn z.B.
ein Weiterverkauf billigend in Kauf genommen wird.
Im Folgenden sollen einige der Maßnahmenbereiche genauer
betrachtet werden.
4.1 Übersetzungen
Anleitungen in Textform sind die Regel und gelten als Teil des Produkts. Dies gilt selbstverständlich auch für die übersetzte Anleitung,
für die der Hersteller voll haftet; keinesfalls kann sich der Hersteller
aus der Haftung für Übersetzungsfehler mit dem Verweis befreien,
dass er die Zielsprache nicht beherrsche oder dass ein Übersetzungsfehler nicht von ihm, sondern von dem jeweiligen Übersetzer oder
Übersetzungsunternehmen zu verantworten sei. Der Hersteller haftet
für Übersetzungsfehler in gleichem Maße wie für jede andere Komponente seines Produkts.
US-Haftung als
„Vergößerungsglas“
Haftung
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Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA
US-Englisch,
Spanisch,
Französisch
Zielgruppenanalyse,
Schulungsangebote,
Vertriebsaufgaben
Verbraucherprodukte
78
Dabei kann eine unverständliche Anleitung bereits den Produktfehler darstellen, der die Haftung in einem Produkthaftungsfall
begründet. Für Unternehmen, die ihre Produkte im US-Markt (und
generell in fremdsprachigen Märkten) in Verkehr bringen, bedeutet
dies:
• Übersetzer müssen mit Sorgfalt und Blick auf ihre hohe Kompetenz gewählt werden.
• Übersetzungen müssen qualitätsgesichert werden.
• Es muss die richtige Sprachvariante gewählt werden. Grundlage
ist US-amerikanisches Englisch, das nicht mit British English verwechselt werden darf; hier können sprachliche Abweichungen zu
Missverständnissen führen und damit das Haftungsrisiko erhöhen.
Angesichts großer Spanisch sprechender Bevölkerungsanteile ist speziell in den südlichen Staaten eine spanische Sprachversion unabdingbar. Im Norden und in Kanada sollte zusätzlich eine französische
Anleitung zur Verfügung stehen oder zumindest angeboten werden.
Anhaltspunkte für geeignete Übersetzungsprozesse liefert die
aktuelle internationale Norm ISO 17100:2015.
4.2 Zielgruppen
Höhere Anforderungen an Anleitungen in den USA sind in der Regel durch besondere Zielgruppeneigenschaften motiviert. Im Investitionsgüterbereich muss der Produkthersteller dabei sorgfältig und
im Einzelfall die Eigenschaften der Zielgruppen recherchieren und
ggf. geeignete Schulungen anbieten und dokumentieren. Dabei kennzeichnen zwei Faktoren den Arbeitsmarkt in den USA im Vergleich
zum mitteleuropäischen Markt: Schnelle und häufige Jobwechsel
(hire and fire) ohne ausführliche Schulungen und Unterweisungen
und das weitgehende Fehlen vereinheitlichter technischer Ausbildungen, die mit dem „Techniker“ in Deutschland vergleichbar wären. Wo
möglich, sollte bereits der Vertrieb eng mit dem Kunden die Ausbildungssituation erörtern und klären, wie auch bei Personal mit geringer Kompetenz die Produktsicherheit gewährleistet werden kann.
Die Haftungsrisiken bei Verbraucherprodukten sind vor allem
von der Situation im Produkthaftungsrecht geprägt, die es Verbrauchern vergleichsweise leicht macht, bei einem vermeintlichen Produktfehler gegen den Hersteller weitgehend risikolos vorzugehen; mit
Jury-Gerichten, die geneigt sind, den Argumentationen von Verbrauchern eher zu folgen als den Betrachtungsweisen von Unternehmen.
Hier sind weniger Zielgruppenrecherchen ausschlaggebend als vielmehr die Recherche marktüblicher Produktverwendungsarten und
die Produktbeobachtung auch von Wettbewerbsprodukten, um hinsichtlich der Produktsicherheit nicht hinter marktüblichen Standards
zurückzubleiben.
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA
4.3 Risikobeurteilung
Eine zentrale Voraussetzung ist die Risikobeurteilung. In einem Produkthaftungsfall wird es dabei nicht einfach um das Vorhandensein
einer Risikobeurteilung gehen, sondern um ihre inhaltliche Belastbarkeit. Insbesondere wird die Frage zu klären sein „Hätte der Hersteller
die Gefahr kennen müssen?“ (Gusy/Schmeling 2015, 8).
Meine persönliche Erfahrung mit zahlreichen Risikobeurteilungen in der deutschen Industrie zeigt, dass viele Risikobeurteilungen
die Kriterien von Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Detailliertheit nicht erfüllen, die für die Gewährleistung der Produktsicherheit und damit für eine wirksame Reduktion von US-Haftungsrisiken
erfüllt sein müssten.
5 Ist-Situation
Die Praxis in vielen deutschen Unternehmen steht in besonders eklatantem Widerspruch zu dieser Erkenntnis: Technische Redaktionen
werden häufig noch als ‚fünftes Rad am Wagen‘ betrachtet, redaktionell qualifiziertes Personal ist (noch) keine Selbstverständlichkeit,
Qualitätssicherung findet nicht ausreichend statt. Nicht selten sogar
sind Redaktionen nicht korrekt in die Informationsflüsse und Produktentwicklungsprozesse eingebunden, sodass z.B. prozessual nicht
gewährleistet ist, dass Änderungen am Produkt auch in die Dokumentation einfließen. Die Folge sind z.B. unzutreffende Anleitungen,
die ein erhebliches Haftungsrisiko bergen.
Die Aussage, dass ja „bisher alles gut gegangen sei“, lässt sich
nicht in die Zukunft extrapolieren, da die Haftungsrisiken durch Verschärfungen insgesamt tendenziell steigen und bereits ein einzelner
Haftungsfall für ein Unternehmen mit Kosten und nachfolgenden
Image- und Marktverlusten ein Desaster sein kann.
Während für das Produkt im engeren Sinne (das Produkt ohne
seine Anleitung, die ja Teil des Produkts ist) qualitätssichernde Maßnahmen eine Selbstverständlichkeit geworden sind, arbeiten Technische Redaktionen vielfach ohne eine geeignete Qualitätssicherung.
Zwar werden Anleitungen häufig von Technikern je nach deren zeitlichen Möglichkeiten auf sachliche Richtigkeit geprüft, eine Prüfung
auf Kriterien der Verständlichkeit (Satzbau, Terminologie, Text-BildBezüge, Gliederung usw.) findet in der Regel nicht statt. Erstaunlicherweise scheinen sich viele Redaktionen mit diesem Zustand abgefunden zu haben und fordern entsprechende Ressourcen nicht oder
nicht mehr ein.
79
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen I: USA
6 Literatur
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Goodden, Randall L. (2000): Product Liability Prevention: A Strategic Guide. Milwaukee, WI: ASQ Quality Press.
Gusy, Martin F. / Schmeling, Roland (2015): Erstellen von Instruktionen für den USMarkt – Minimierung der Haftungsrisiken. Praxisleitfaden. Frankfurt/Main:
VDMA. (Die Publikation ist exklusiv für VDMA-Mitglieder.)
Henderson, James A. / Twerski, Aaron D. (1998): Restatement of the Law, Third,
Torts: Products Liability. St. Paul, MN: American Law Institute.
Heuer-James, Jens-Uwe / Schmeling, Roland / Schulz, Matthias (2014): Leitfaden
Sicherheits- und Warnhinweise. Stuttgart: tekom.
Ottley, Bruce L. / Lasso, Rogelio A. / Kiely, Terrence F. (2013): Understanding Products Liability Law. 2nd edition. Danvers, MS: Matthew Bender/LexisNexis.
Owen, David G. / Phillips, Jerry J. (2015): Products Liability in a Nutshell. 9th edition. St. Paul, MS: West Academic.
Robinson, Patricia A. (2009): Writing and Designing Manuals and Warnings. 4th edition. Boca Raton, FL: CRC Press.
Schmeling, Roland (2013): Checkliste Produkthaftung USA. http://www.schmelingconsultants.de/de/nc/publikationen/?fd=Massnahmenliste_Produkthaftung_USA_01.pdf.
Wenglorz, Georg / Ryan, Patrick S. (2003): USA: „Die Katze in der Mikrowelle?“,
Anmerkungen zum US-amerikanischen System der punitive damages. In:
Recht der interna­tionalen Wirtschaft (RIW), Heft 8, 598–610.
Wise, Aaron N. / Rinne, Thomas (2007): Amerikanische Produkthaftung. Ein Leitfaden für deutsche Unternehmen. 2., ergänzte und modifizierte Auflage.
Bremen: v. Einem & Partner. http://www.een-bayern.de/een/inhalte/UnserService-fuer-Sie/Auslandsmarkterschliessung/Laender/Anhaenge/Produkthaftung-in-den-USA_2.pdf [25.07.2015].
Ziegler, Tobias F. / Rinne, Thomas (2014): Produkthaftung in den USA. Worauf
deutsche Unternehmen achten sollten. 3. Auflage. Frankfurt/Main: v. Einem & Partner. http://www.gdblaw.com/images/doc/AmericanProduct_
Ger_2ndEdition.pdf [25.07.2015].
ANSI/NEMA Z535.3.-2011 „Criteria for Safety Symbols“.
ANSI/NEMA Z535.4-2011 „Product Safety Signs and Labels“.
ANSI/NEMA Z535.6-2011 „Product Safety Information in Product Manuals, Instructions, and Other Collateral Materials“.
https://en.wikipedia.org/wiki/Tort_reform [28.07.2015].
Video (12’14’’) der New York Times (2013) zum McDonald’s Hot Coffee Case: http://
www.nytimes.com/video/us/100000002507537/scalded-by-coffee-thennews-media.html?playlistId=100000002148738.
80
Gerhard Lierheimer
Besonderheiten von Recht und
Rechtsprechung zur Technischen
Kommunikation in wichtigen
Exportregionen II: Russland
1 Das Land
Russland 1 ist das größte Land der Erde. Es verfügt über eine Fläche von über 17 Millionen Quadratkilometern, was etwa der Größe
von Europa und Australien zusammen entspricht. Russland grenzt
an mehrere Meere und an 14 Staaten. Die Einwohnerzahl des Vielvölkerstaates beträgt über 143 Millionen (mit Krim 146 Millionen).
Neben Russen, die mit knapp 80 % die Mehrheit der Bevölkerung
darstellen, leben noch nahezu 100 andere Völker in dem Land. Da­
runter sind sogar knapp 1 % Deutsche.
Der russische Vielvölkerstaat strebt an, im Jahre 2020 zu den
fünf größten Volkswirtschaften der Welt zu gehören. Im Jahr 2014
rangierte das Land bereits auf Platz sechs. Um das angekündigte Ziel
zu erreichen, hat Russland einen Fünfjahresplan aufgelegt, der dem
Land einen Modernisierungsschub geben soll. Außerdem will Russland mit Milliardeninvestitionen neue Technologien ins Land holen.
Besonders gerne gesehen werden Investitionen aus dem Westen und
speziell aus Deutschland, da hier traditionell starke wirtschaftliche
und kulturelle Bindungen bestehen. Dadurch soll eine geringere Abhängigkeit von den Rohstoffen Öl und Gas erreicht werden.
Der Beitritt zur World Trade Organization (WTO) erfolgte nach
einem knapp zwanzigjährigen Verhandlungsmarathon am 22.08.2012
durch Ratifizierung des WTO-Beitrittsabkommens als 156. Vollmitglied. Damit wurde das WTO-Regelwerk auch für Russland verbindlich. Die Mitgliedschaft wurde zwar bereits 1993 beantragt, aber
u.a. Gesetze im Automobilsektor (Lokalisierungsvorschriften) und
Zollerhöhungen bzw. Handelsbeschränkungen, die insbesondere
nach der Wirtschaftskrise 2008/2009 eingeführt wurden, haben den
WTO-Beitritt Russlands immer wieder verzögert. Im Rahmen der
Größtes Land der Erde
Modernisierungsschub
WTO
1 Russische Föderation („Rossijskaja Federacija“) und Russland („Rossija“) sind gemäß Art. 1
Abs. 2 der Verfassung vom 12.12.1993 gleichbedeutende Staatsbezeichnungen. Das Land ist nach
Art. 1 in Verbindung mit Art. 65 der Verfassung ein demokratischer föderativer Rechtsstaat mit
republikanischer Regierungsform, der aus 83 Föderationssubjekten („subjekty federacii“) besteht.
81
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland
Zuverlässiger
Wirtschaftspartner
Abb.: Karte Russland
Beitrittsverhandlungen wurden die nationalen Regeln an die multilateralen Handelsregelungen der WTO angepasst, wobei Übergangsregelungen von bis zu acht Jahren dazu führen, dass z.B. die Senkung
von Importzöllen nicht sofort spürbar sein wird. Insgesamt wird
jedoch erwartet, dass insbesondere Deutschland zukünftig von der
Marktöffnung profitieren wird.
Das russische Haftungs- und Gewährleistungsrecht ähnelt vielfach deutschen Bestimmungen. Für die deutsche Wirtschaft ist Russland, trotz der erheblichen wirtschaftlichen Einschränkungen durch
die Ukraine-Sanktionen, nach wie vor von großer Bedeutung und ein
in der Zukunft immer interessanter werdender – und historisch gesehen immer zuverlässigerer – Wirtschaftspartner.
2 Das russische Rechtssystem – ein Überblick
Russisches Zivilrecht
82
Das russische Zivilrecht schützt insbesondere Verbraucher und deren Interessen an sicheren Waren, Werk- und Dienstleistungen. Das
Verbraucherrecht ist im „Grazhdanskiy Kodeks“, dem russischen Zivilgesetzbuch (ZGB) sowie im Verbraucherschutzgesetz (VerbrSG)in
seiner Neufassung vom 23.11.2009 festgeschrieben. Die Haftung umfasst Mängel an Waren sowie unzureichende Informationen. Sowohl
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland
der Hersteller als auch der Verkäufer und der Importeur haften gemäß Art. 13 Verbraucherschutzgesetz. Eine verschuldens­unabhängige
Produkthaftung wird gemäß Art. 14 Verbraucherschutzgesetz sowie
Art. 1095 ZGB kodifiziert. Darüber hinaus sind deliktische Ansprüche in Art. 1064 ff. ZGB normiert.
Die Anspruchsvoraussetzungen entsprechen dabei im Wesentlichen dem deutschen § 823 I BGB, wobei der Geschädigte zumeist ein
Verschulden nicht nachweisen muss. Vielmehr muss der Schädiger
für mangelndes Verschulden den Beweis führen. Es kommt insoweit
zu einer faktischen Beweislastumkehr. Analog dem deutschen § 254
BGB berücksichtigt der russische Art. 1083 ZGB jedoch ein Mitverschulden des Geschädigten.
Ebenfalls im „Grazhdanskiy Kodeks“ finden sich die Vorschriften zur Gewährleistung bei Kaufverträgen. Die Regelungen sind denen des deutschen Rechts durchaus ähnlich. So gilt grundsätzlich,
dass die Kaufsache bereits vor Gefahrübergang mangelhaft gewesen
sein muss, die Mängel sich aber auch erst später herausstellen können. Wie im deutschen Recht ist hier geregelt, dass der Mangel innerhalb von zwei Jahren erkenntlich sein und beanstandet werden muss.
Entsprechend können dann Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden.
Beweisführung für
Verschulden
Gewährleistungs­
ansprüche
3 Die Staatsgewalt
Die Staatsgewalt wird ausgeübt von dem Präsidenten, dem aus den
beiden Kammern (Staatsduma und Föderationsrat) bestehenden
Parlament („Föderale Versammlung“), der Regierung sowie den Gerichten (Art. 11 Verfassung). Die Verfassung steht an der Spitze der
Normenhierarchie. Die anerkannten Prinzipien des Völkerrechts und
völkerrechtliche Verträge Russlands sind Bestandteil des russischen
Rechtssystems (Art. 15 Abs. 4 Verfassung). Unter diesen rangieren
die föderalen Gesetze. Daneben sind Gesetze der Föderationssubjekte zu beachten, die allerdings auf dem Gebiet der konkurrierenden
Gesetzgebung gegenüber den föderalen Gesetzen nachrangig sind.
Außerhalb der ausschließlichen Gesetzgebung der Russischen Föderation und der konkurrierenden Gesetzgebung gehen die Gesetze der
Föderationssubjekte vor. Ferner darf die Rechtssetzung durch den
Präsidenten der Russischen Föderation in Form von Dekreten und
Verfügungen erfolgen, die für ganz Russland gelten, im Rang aber
den föderalen Gesetzen nachstehen; zusätzlich sind u.a. Regierungsverordnungen zu beachten. Die Gesetze treten zehn Tage nach deren
Veröffentlichung in Kraft, soweit im Gesetz kein abweichendes Datum für das Inkrafttreten vorgesehen ist.
Russisches
­Rechtssystem
83
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland
4 Die Gesetze
Gesetzgebungs­
verfahren
Das Recht zur Gesetzesinitiative haben gemäß Art. 104 Verfassung
der Staatspräsident, die obere Parlamentskammer (Föderationsrat),
Abgeordnete der unteren Parlamentskammer (Staatsduma), die Regierung sowie die Gesetzgebungsorgane der Föderationssubjekte.
Es dürfen ferner das Verfassungsgericht, das Oberste Gericht und
das Oberste Wirtschaftsgericht in ihren Kompetenzangelegenheiten
Gesetzentwürfe ins Parlament einbringen. Das Gesetzgebungsverfahren beinhaltet drei Lesungen in der Staatsduma. Grundsätzlich
ist die einfache Mehrheit, d.h. mehr als die Hälfte aller Abgeordneten der Staatsduma (226 Stimmen), ausreichend. Föderale Verfassungsgesetze benötigen eine qualifizierte Mehrheit von 2/3 aller
Stimmen.
Abschließend wird das Gesetz innerhalb von fünf Tagen dem
Staatspräsidenten zugeleitet, der das Gesetz binnen 14 Tagen zu unterzeichnen und zu verkünden hat. Der Staatspräsident ist befugt, innerhalb von 14 Tagen sein Veto gegen ein Gesetz einzulegen. Das
Veto hat keine absolute, sondern aufschiebende Wirkung und kann
durch eine qualifizierte Mehrheit (jeweils 2/3 der Duma-Abgeordneten und Mitglieder des Föderationsrats) überwunden werden.
5 Die Produkthaftung
Verbraucherschutz
5.1 Der Verbraucher
Das Qualitätsbewusstsein russischer Kunden ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Statistiken belegen, dass Verbraucher immer
öfter Mängel bei Waren und Dienstleistungen geltend machen. Dies
verdeutlicht, wie wichtig es ist, sich mit den Anforderungen der russischen Gesetzgebung zum Verbraucherschutz genauer vertraut zu machen. Viele deutsche Unternehmen, die Waren nach Russland liefern,
stehen daher vor der Notwendigkeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen des Verbraucherschutzes in der Russischen Föderation einer
genauen Prüfung zu unterziehen und ein gut funktionierendes System für den Umgang mit Klagen russischer Verbraucher zu schaffen.
Nachfolgend wird die deliktische Haftung des Herstellers (Lieferanten) nach russischem Recht für Schäden erörtert, die Verbrauchern
durch mangelhafte Waren zugefügt wurden.
5.2 Der Verbraucherschutz
Das Russische Verbraucherschutzrecht ist primär im Zivilgesetzbuch („Grazhdanskiy Kodeks“) und im Föderalen Gesetz Nr. 2300-I
„Über den Verbraucherschutz“ vom 07.02.1992 in der Fassung vom
02.07.2013 enthalten.
84
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland
Hierbei ergänzt das Verbraucherschutzgesetz das Zivilgesetzbuch in allen den Punkten, in denen das ZGB nicht konkret genug
wird oder das ZGB explizit auf das VerbrSG verweist.
Im Mittelpunkt des VerbrSG stehen vor allem das Recht der
Verbraucher auf sichere Waren, Werk- und Dienstleistungen und
die entsprechenden Informationspflichten von Hersteller und Verkäufer. Seit der Änderung vom 21.12.2004 erstreckt sich die Haftung
für Mängel der Ware oder unzureichende Informationen außer auf
Hersteller und Verkäufer auch auf den Importeur (Art. 13 VerbrSG).
Vertragsklauseln, die gegen die gesetzlichen Mindeststandards des
Verbraucherschutzes verstoßen, sind nach Art. 400 Abs. 2 ZGB in
Verbindung mit Art. 16 Abs. 1 VerbrSG unwirksam. Artikel 1095
ZGB und Art. 14 VerbrSG normieren den verschuldensunabhängigen Produkthaftungstatbestand.
Zur Geltendmachung dieser Ansprüche ist ein Vertragsverhältnis zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten nicht erforderlich.
Die Haftung entfällt bei Umständen höherer Gewalt und bei Verstoß
gegen die Regeln der Produktnutzung und -lagerung seitens des Geschädigten. Eine Schuldbefreiung unter Berufung auf den Stand der
Technik ist somit ausgeschlossen. Ansprüche aus Produkthaftung sind
gemäß Art. 1097 ZGB in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 VerbrSG
innerhalb der vom Hersteller festgelegten Gebrauchs- und Nutzungsdauer, ansonsten innerhalb von zehn Jahren nach Übergabe der Ware
möglich. In bestimmten Fällen (Art. 14 Abs. 3 VerbrSG) ist eine unbefristete Geltendmachung zulässig, z.B. bei Nichtfestlegung der gesetzlich erforderlichen Gebrauchs- und Nutzungsdauer oder unzureichender bzw. unzutreffender Verbraucherinformation dar­über. Gemäß Art.
1083 ZGB wird das Mitverschulden des Geschädigten berücksichtigt.
Mit der Angabe der vom Hersteller festgelegten Gebrauchs- und
Nutzungsdauer und deren erheblicher rechtlicher Relevanz wird hier
eine Besonderheit der russischen Produkthaftung dargestellt, die wir
im deutschen Rechtssystem so nicht oder nicht so ausgeprägt kennen.
5.3 Schadensersatz
Ein Schaden ist zu ersetzen, wenn er innerhalb der festgelegten Haltbarkeitsdauer (Betriebsdauer bei technischen Waren oder Waren mit
langer Nutzung) einer Ware eintritt und, falls eine solche Frist nicht
festgelegt ist, innerhalb von zehn Jahren ab dem Tag der Herstellung
der Ware. Der Ersatz von Schäden erfolgt unabhängig vom Zeitpunkt
der Entstehung in drei Fällen:
• Wenn entgegen einer zwingenden gesetzlichen Anforderung das
Haltbarkeitsdatum (Betriebsdauer) nicht festgelegt wurde
• Wenn der Käufer nicht über erforderliche Handlungen bei Ablauf
der Haltbarkeitsdauer (Betriebsdauer) und mögliche Folgen beim
Unterlassen dieser Handlungen in Kenntnis gesetzt wurde
Sichere Waren, Werkund Dienstleistungen
Schuldbefreiung
ausgeschlossen
Haltbarkeitsdauer
85
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland
Bestimmungen
verbraucherfreundlich
• Wenn dem Käufer keine vollständigen und wahrheitsgetreuen
Informationen über die Ware zur Verfügung gestellt wurden.
Die Vorschriften des russischen Rechts über den Verbraucherschutz
können damit sowohl auf den Import von Waren in die Russische
Föderation als auch auf in Russland produzierte Waren Anwendung
finden. Da die Bestimmungen klar verbraucherfreundlich ausgerichtet sind, ist es unabdingbar, den Umgang mit den Verbrauchern
sorgfältig zu organisieren und alle Informationspflichten einzuhalten, damit die Geltendmachung von Ansprüchen weitgehend ausgeschlossen werden kann oder zumindest die mit der Geltendmachung
von solchen Ansprüchen verbundenen Risiken so weit wie möglich
verringert werden.
6 Die Produktsicherheit
Gesetz über technische
Vorschriften
Die wichtigsten Regelungen betreffend Produktsicherheit finden
sich in Russland im Föderalen Gesetz über technische Vorschriften
Nr. 184-FZ vom 27.12.2002, in Kraft getreten am 01.07.2003. Alle
Vorschriften, die andere Rechtsnormen enthalten, müssen diesem
Gesetz entsprechen. Produktsicherheitsregeln sind zusätzlich zum
VerbrSG im föderalen Gesetz Nr. 29-F3 vom 02.01.2000 über die
Qualität und Sicherheit der Nahrungsmittel, im Föderalen Gesetz
Nr. 52-F3 vom 30.03.1999 über das sanitär-epidemiologische Wohlergehen der Bevölkerung sowie in einer Reihe von Ausführungsgesetzen bzw. technischen Reglements der Zollunion enthalten. In Bezug
auf die Waren, für die die technischen Reglements noch nicht gelten,
sind die technischen Vorschriften der Russischen Föderation gültig.
7 Die Informationspflicht
Zollunion
Begriff Maschine
86
Die Pflicht, alle Informationen für ein Produkt bereitzustellen, fußt
u.a. auf einem mit den EU-Richtlinien vergleichbaren Richtlinienkonstrukt. Für die Sicherheit von Produkten und damit auch für die
Erstellung von Produktinformationen hat die Zollunion von Russland, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien (Beitritts­
abkommen) technische Reglements erlassen, die wir in Europa als
Maschinen-, Niederspannungs- oder auch EMV-Richtlinie u.a. recht
gut kennen.
7.1 Die Richtlinie „Sicherheit von Maschinen und Anlagen
vom 15.02.2013“
Betrachtet man die Maschinenrichtlinie (TR CU 010/2011) der Zollunion genauer und geht auf das ein, was zur Technischen Dokumen-
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland
tation gesagt wird, kommt viel Bekanntes zum Vorschein. Allein der
Begriff Maschine aus dem Artikel 2 der TR CU 010/2011 kann seine
europäischen Wurzeln nicht verheimlichen.
Maschine nach EU-Maschinenrichtlinie: Eine mit einem anderen Antriebssystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen
oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen
mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für eine bestimmte
Anwendung zusammengefügt sind.
Maschine nach TR CU 010/2011: Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Baugruppen, von welchen mindestens ein Teil
durch entsprechende Antriebswerke, Steuerungsketten, Energiequellen betrieben wird, die für konkrete Anwendungszwecke (Bearbeitung, Verarbeitung, Transport oder Verpackung von Werkstoffen) zu
einer Einheit montiert sind.
7.2 Wichtige Artikel der Richtlinie
Die folgenden Auszüge zeigen eine Zusammenfassung der englischen Übersetzungen der russischen Originaltexte.
Der Artikel 4 der Richtlinie „Provision of safety of machines
and (or) equipment at the stage of design“ geht noch genauer auf das
ein, was an Dokumentation zum Produkt gefordert ist. Aufzählungspunkt 8 des Artikel 4: Development of operation manuals (instructions) is an integral part of design (construction) of a machine and
(or) equipment.
Operation manuals (instructions) shall include:
• Information on design principle of operation, characteristics (properties) of machines and (or) equipment;
• Instructions on installation and assembly, setting up and adjusting,
technical maintenance and repair of a machine and (or) equipment;
• Instruction on use of a machine and (or) equipment and safety measures to follow at operation stage of a machine and (or)
equipment, including commissioning, use for intended purpose,
technical maintenance, all types of repair, periodic diagnosing,
testing, transportation, packaging, conservation and storage conditions;
• Intended characteristics (intended storage period and service life
and (or) intended life) depending on design features. Upon expiration of intended characteristics (intended storage, service and
life cycle) a machine and (or) equipment shall be withdrawn from
operation and a decision shall be taken on their repair, disposal,
checking and fixing new intended characteristics (intended storage
service and life cycle).
• List of critical failures, possible faulty actions of personnel, which
Dokumentation
zum Produkt
Operation manuals
87
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland
Take account
of knowledge
Sprache/n
Informationspflicht
88
may result in incident or breakdown;
• Actions of personnel in case of incident, critical failure or breakdown;
• Criteria of limiting states;
• Instructions on withdrawal from operation and disposal;
• Information on competences of service staff.
Aufzählungspunkt 9 des Artikel 4: Where a machine and (or) equipment are intended for use by non-professional operators, operation
manuals (instructions) shall take account of knowledge, skills and experience of such operators.
Artikel 5 „Provision of safety of machines and (or) equipment
at the stages of manufacture, storage, transportation, operation and
disposal“ beschreibt die Informationen zu den einzelnen Lebensphasen, die geforderte/n Sprache/n und die Art der Dokumentation.
• The manufacturer of a machine and (or) equipment shall provide
machines and (or) equipment with operation manuals (instructions).
• Machine and (or) equipment shall have a legible and indelible
identification inscription containing the following:
–– name of a manufacturer and (or) his trade mark;
–– name of product and/or designation of machine and/or
equipment (type, trade make, model);
–– month and year of manufacture.
• The information of identification shall be included in the manuals
on use. In additional, the manuals on use must include:
–– name and location of a manufacturer, his contact
information;
–– name and location of a person authorized by the
manufacturer, his contact information.
• The manuals on use shall be prepared in the Russian language and
in the national language (languages) of a Member State(s) of the
Customs Union.
• The manuals on use shall be on paper with the attached set
of electronic disks. The manuals on use being a part of nonhousehold machine and (or) equipment may be provided only in
electronic form.
Zusammen mit den beiden Normen
• GOST Standard 2.601-2006 „Operational Documentation“
• GOST Standard 2.610-2006 „Guidelines for Preparation of
Operating Documents“
ergibt sich dann ein recht genaues Bild dessen, was in Russland oder
auch in der Zollunion unter Technischer Dokumentation – und damit
unter der Informationspflicht auf der Basis des Verbraucherschutzgesetzes, aber auch anderer Gesetze – zu verstehen ist.
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland
Sollten diese Forderungen nach Information nicht eingehalten
werden, setzen ähnlich den EU-Richtlinien nach Artikel 13 der TR
CU 010/2011 „Safeguard clause“ folgende Hemmnisse ein: „The
Member States of the Customs Union must undertake all measures
to restrict or ban placing on the market of machines and (or) equipment in the customs territory of the Customs Union as well as withdrawal from the market of machines and (or) equipment failing to
comply with the requirements of this Technical Regulation.“
Withdrawal from
the market
8 Die Rechtsprechung
Die Rechtsprechung zu Produkthaftungsfällen ist in der Russischen
Föderation nicht sehr ausgeprägt. Als heranzuziehendes Beispiel,
das im Zusammenhang mit vertraglicher Mängelhaftung genannt
werden kann, soll folgender Fall dargestellt werden: Eine natürliche
Person hatte bei einem russischen Automobilhersteller einen PKW
erworben. Bei der Verwendung des Fahrzeugs zeigten sich zahlreiche
Mängel. Der Käufer forderte daraufhin den Verkäufer auf, das Auto
zurückzunehmen und den Kaufpreis zu erstatten, was der Verkäufer ablehnte. Der Rechtsstreit führte bis zum Obersten Gericht der
Russischen Föderation, das die Entscheidung des Gerichts der ersten
Instanz bestätigte. Nach dieser Entscheidung wurde der Verkäufer
zur Rückzahlung des Marktwerts des Fahrzeugs in Höhe von umgerechnet ca. 6.400,00 Euro, zur Zahlung der gesetzlichen Konventionalstrafe in Höhe von ca. 1.100,00 Euro, zur Zahlung immaterieller
Schäden in Höhe von ca. 20,00 Euro und zur Erstattung des Aufwands für den Gutachter in Höhe von 60,00 Euro verurteilt.
Beispiel Mängelhaftung
9 Fazit
Der erste Satz des Beitrags, dass Russland das größte Land der Erde
ist, lässt fast schon vermuten, dass nicht immer alle Gesetze und
Richtlinien überall im Land zur gleichen Zeit mit gleichem Stand
bekannt sind. So werden schon einmal vertraglich englische Dokumente festgelegt, obwohl auf Basis der Gesetzeslage russische Dokumente geliefert werden müssten. Auch werden Maschinen schon
mal im Zoll festgehalten, weil das richtige Zertifikat zum Nachweis
der Konformität nicht vorhanden ist – oder der Zollinspektor dem
vorhandenen nicht traut.
In der Summe unterscheidet sich die russische Gesetzgebung im
Rahmen der Produkthaftung und speziell im Rahmen der Erstellung
von technischen Dokumenten nicht sehr von den hier bekannten
Regeln. Der Vorteil der Vergleichbarkeit der beiden Rechtssysteme
Vergleichbarkeit
der Rechtssysteme
89
Besonderheiten von Recht und Rechtsprechung zur Technischen Kommunikation in wichtigen Exportregionen II: Russland
macht es den europäischen Lieferanten einfach, mit dem russischen
Rechtssystem zurechtzukommen. Nicht zuletzt hat auch die russische
Seele ein Gerechtigkeitsempfinden, das dem unseren sehr nahesteht.
10 Literatur
BITKOM e.V. (Hrsg.) (2014): Vertragsgestaltung im Auslandsgeschäft – Russland. Leitfaden. Version 2.0. Berlin: BITKOM. https://www.bitkom.org/
Publikationen/2014/Leitfaden/Vertragsgestaltung-AuslandsgeschaeftRussland/140219-Vertragsgestaltung-im-Auslandsgeschaeft-Russland-2-0.pdf
[15.12.2015]
Germany Trade & Invest (2013): Recht kompakt Russland. Bonn. http://www.gtai.
de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Recht-Zoll/Wirtschafts-und-steuerrecht/
recht-kompakt,t=recht-kompakt--russland,did=1315314.html [15.12.2015]
HDI-Gerling (2011): Haftpflicht-Fachinformation Russland. Russland auf neuen
Wegen. Hannover: HDI-Gerling. https://www.hdi-gerling.de/docs/industrie/fachinformationen/hdi-gerling_fachinfo_russland_endf.pdf [15.12.2015]
Rödl & Partner (Hrsg.) (2014): Handbuch internationale Produkthaftung. Produktsicherheit in den wichtigsten Märkten weltweit. 2., vollständig überarbeitete
Auflage. Köln: Bundesanzeiger Verlag.
Tischendorf, Falk / Bezborodov, Alexander (2011): Wegweiser Business Guide
Deutschland Russland 2011. Die Produkthaftung des deutschen Herstellers
nach russischem Recht. Moskau: BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft.
90
Roland Schmeling
Inhalt und Bedeutung anerkannter
Regeln der Technik für die
Technische Kommunikation
Die Anwendung anerkannter Regeln der Technik hat produkthaftungsrechtlich, vertragsrechtlich und produktsicherheitsrechtlich eine
hohe Bedeutung. Dabei ist jedoch eine differenzierte Betrachtung erforderlich, da die anerkannten Regeln der Technik nicht einfach deckungsgleich sind mit z.B. den Normen des jeweiligen Fachgebiets.
Dieser Artikel betrachtet daher zunächst die Frage, was sich hinter den Technikklauseln „Regeln der Technik“, „Stand der Technik“
und „Stand von Wissenschaft und Technik“ verbirgt und was ihre
Bedeutung ist. Anschließend wird mit Beispielen dargestellt, wie die
Regeln der Technik ermittelt werden. Abschließend soll erörtert werden, wie es sich mit Zweifelsfällen verhält und wie verfahren werden
kann, wenn bei neuen Technologien noch keine hinreichenden Regeln der Technik verfügbar sind, so wie dies bei mobilen und multimedialen Dokumentationen der Fall ist.
1 Was sind „Regeln der Technik“?
Unter dem Begriff „anerkannte Regeln der Technik“ kann man technische Regeln verstehen, welche für den Entwurf sowie die Ausführung von technischen Produkten und Anlagen relevant sind und folgende Voraussetzungen erfüllen:
• Die Regeln werden wissenschaftlich theoretisch als richtig angesehen.
• Die Regeln sind technischen Experten in der Praxis bekannt.
• Die Regeln haben sich aufgrund praktischer Erfahrung bewährt.
Damit eine Regel der Technik auch den „Stand der Technik“ widerspiegelt, muss sie sich nicht bewährt haben. Damit ist der „Stand
der Technik“ in größerem Maße zeitabhängig. Der Stand von Wissenschaft und Technik hingegen muss technischen Experten in der
Praxis (also in gewisser Weise ‚vielen‘ Experten) noch nicht einmal
bekannt sein; es genügt, wenn die Regel wissenschaftlich theoretisch
als richtig angesehen wird; der Praxistransfer der wissenschaftlichen
Erkenntnis muss noch nicht zwingend geleistet sein. Anders ausgedrückt: Was gestern Stand von Wissenschaft und Technik war, ist
heute technischen Experten in der Praxis bekannt und damit Stand
91
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
der Technik; und wenn sich die entsprechende Regel bewährt, wird
sie in Zukunft zur anerkannten Regel der Technik.
Abb.: Die drei Technikklauseln
2 Bedeutung der Technikklauseln
Maschinen­richtlinie
92
Die Unterscheidung zwischen den drei genannten Technikklauseln
kann hilfreich sein, z.B. um bestehende Regeln der Technik und damit letztlich Produkteigenschaften in den wissenschaftlichen und
technischen Fortschritt einzuordnen. Die Technikklauseln dienen vor
diesem Hintergrund dazu, die Erwartungen an ein technisches Produkt auf einer allgemeinen Ebene einzugrenzen, ohne dass über die
Regeln im Einzelnen entschieden werden muss. Daher finden sich
unterschiedliche Technikklauseln in Gesetzen, z.B. in der Maschinenrichtlinie, im Atomgesetz oder im Produkthaftungsgesetz. (Im
Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) war die Technikklausel „Regeln der
Technik“ im Rahmen des Werkvertragsrechts ebenfalls vor einigen
Jahren noch zu finden, ist dort aber wieder entfallen, da sich die Regelung nicht bewährt hat.)
• Die Maschinenrichtlinie spricht vom „Stand des Wissens und der
Technik“ und nimmt dabei Bezug auf den Kenntnisstand zum
Zeitpunkt der Inverkehrgabe einer Maschine, der über die bereits
bewährten Regeln der Technik hinausgehen kann. Dies kann z.B.
bedeuten, dass ein Maschinenhersteller durchaus prüfen muss, ob
eine neu auf den Markt gekommene Schutztechnik zur Minderung des Risikos geeignet ist, auch wenn entsprechende Erfahrungswerte noch nicht vorliegen.
• Der Begriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ findet sich
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
z.B. im Atomgesetz, wo aufgrund der hohen Risiken der Technologie auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt
werden, z.B. bei Transport und Lagerung von Kernbrennstoffen.
Auch in der Rechtsprechung wurde wiederholt auf Technikklauseln
Bezug genommen, z.B. wenn in Produkthaftungsfällen ein gewisser
Stand der Technik bei der Sicherheit eines Produkts nicht gegeben
war oder Normen als Regeln der Technik nicht befolgt wurden, was
in der Regel die Haftung des Produktherstellers verschärft.
Im Produkthaftungsrecht besteht hinsichtlich der Einhaltung
von Normen (insbesondere sicherheitsbezogener Normen) die Auffassung, dass Normen anerkannte Regeln der Technik oder auch im
Einzelfall den Stand der Technik widerspiegeln können. Deren Einhaltung befreit aber nicht von der Haftung. Hersteller müssen ggf.
hinsichtlich der Produktsicherheit über die in Normen formulierten
Anforderungen hinausgehen, um die Sicherheit zu gewährleisten, die
berechtigterweise erwartet werden kann. Im Produkthaftungsgesetz
(ProdHaftG, §1 Abs. 2) ist die Technikklausel folgendermaßen formuliert:
Produkthaftung
Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn
[…]
5. der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in
dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr
brachte, nicht erkannt werden konnte.
Ein Hersteller kann sich also nicht aus der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz befreien, indem er die anerkannten Regeln der
Technik oder sogar den Stand der Technik berücksichtigt und anwendet. Er kann jedoch durch die Berücksichtigung der Regeln seine
Haftungsrisiken reduzieren. Insofern sind die anerkannten Regeln
der Technik haftungsrechtlich ein Mindestmaß, welches der Hersteller eines Produkts jedenfalls kennen und berücksichtigen muss, über
das er aber nach Abwägung insbesondere der Sicherheit im Einzelfall
hinausgehen muss.
Kaufvertragsrechtlich muss, sofern vertraglich nichts anderes
festgelegt ist, die Sache (der Kaufgegenstand) eine Beschaffenheit
aufweisen, „die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der
Käufer nach der Art der Sache erwarten kann“ (§ 434 BGB, Abs. 1).
Hier ist ein Zusammenhang zur Anwendung der anerkannten Regeln
der Technik naheliegend: Es liegt nahe, dass bei Sachen der gleichen
Art auch dieselben anerkannten Regeln der Technik üblich sind und
angewendet werden und dass der Käufer die Anwendung dieser Regeln erwarten kann.
Dazu ein Beispiel: Es ist zweifellos eine anerkannte Regel der
Technik, dass eine umfangreiche Anleitung ein Inhaltsverzeichnis hat
Vertragsrecht,
Kaufvertrag
93
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
(vgl. EN 82079-1), welches alle wesentlichen Gliederungspunkte aufführt und den Zugriff auf die entsprechenden Inhalte ermöglicht.
Wenn ein Inhaltsverzeichnis fehlt, kann dies aus vertragsrechtlicher
Sicht einen Sachmangel an der gekauften Sache insgesamt, also z.B.
an der Maschine oder dem Gerät, begründen.
3 Ermitteln der Regeln der Technik
Die Regeln der Technik in Disziplinen wie in der Technischen Kommunikation sind nicht allgemein kodifiziert; es gibt also in der Regel
kein allgemeines Kompendium, in dem die anerkannten Regeln der
Technik ohne Weiteres nachgelesen werden könnten. Vielmehr muss
je nach Fachgebiet und im Einzelfall der fachliche Diskurs, Curricula
von Ausbildungen, Normen und verbreitete Lehrbücher, Expertenmeinungen und dergleichen berücksichtigt werden, um festzustellen,
ob eine technische Regel der Technik anerkannt ist und sich bewährt
hat.
3.1 Sind Normen allgemein anerkannte Regeln der Technik?
Normen gelten im Allgemeinen als anerkannte Regeln der Technik:
Normen kommen – im Gegensatz zu Monographien – über speziell festgelegte und bewährte Prozesse zustande, welche die Auswahl
von Experten, Diskussionen in den Fachgremien und die Veröffentlichungen für Einsprüche vorsehen. Die Regeln, die es in eine Norm
schaffen, sind damit vergleichsweise gut ausdiskutiert. Ob demzufolge Normen stets nur wissenschaftlich anerkannte Regeln enthalten,
ist im Rahmen der Normung zwar wahrscheinlich, aber keineswegs
sichergestellt. Insbesondere sind Normen Kompromissdokumente
mit festlegendem Charakter, denen der wissenschaftliche Ansatz des
Diskurses fehlt. Insbesondere dürfte fraglich sein, ob die normativen
Regeln und Anforderungen empirisch bestätigt sind. Den Regeln in
Normen darf deshalb eine gewisse Skepsis entgegengebracht werden.
Mit der Veröffentlichung der Norm sind die entsprechenden
Regeln den Experten in der Praxis zugänglich und sollten diesen nach
einer angemessenen Zeit auch bekannt sein und bei hinreichend aktuellen Normen damit den Stand der Technik wiedergeben. Wenn es
sich darüber hinaus um bewährte Regeln handelt, kann man auch von
anerkannten Regeln der Technik sprechen.
In der Praxis dürften insbesondere ältere Normen jedoch auch
Regeln enthalten, die berechtigterweise kritisiert werden, z.B. weil
sie sich nicht bewährt haben. Daher kann nicht grundsätzlich davon
ausgegangen werden, dass alle in Normen formulierten Regeln der
Technik sogleich auch allgemein anerkannte Regeln der Technik darstellen.
94
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
Die für die Technische Kommunikation sicherlich bedeutendste
Norm ist die IEC 82079-1:2012/DIN EN 82079-1:2013 „Erstellen
von Anleitungen“. Insbesondere Regeln, die bereits in der Vorgängernorm IEC 62079:2001 enthalten waren, dürften als bewährt gelten
und damit anerkannte Regeln der Technik widerspiegeln.
4 Beispiele für Regeln der Technik
Die folgenden Beispiele stellen ausgewählte Regeln der Technik dar
und begründen, weshalb sie als anerkannte Regeln der Technik gewertet werden sollten.
4.1 Anerkannte Regeln für die Gestaltung
von Technischer Dokumentation
Die folgenden Beispiele illustrieren anerkannte Regeln der Technik
und erheben weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Gewichtung.
Bei der Betrachtung der Beispiele stellt sich heraus, dass sich
leicht übergeordnete oder allgemeine Regeln der Technik für die Gestaltung von Technischer Dokumentation finden lassen, die andererseits größere Spielräume in der Umsetzung zulassen: Je konkreter die
Regel, desto unwahrscheinlicher scheint es zu sein, dass es sich um
eine anerkannte Regel der Technik handelt.
4.1.1 Beispiel: Schriftgröße
Nachdem in verschiedenen Zusammenhängen die Frage der Lesbarkeit auch gerichtlich beurteilt wurde, gilt heute eine Schriftgröße von
6 Punkt als Mindestschriftgröße. Dies wird auch von der IEC 820791:2012 entsprechend empfohlen unter dem Hinweis, dass diese zugegeben sehr kleine Schrift für nicht-sicherheitsbezogene Texte auf
Produkten gilt, die über einen entsprechend begrenzten Platz auf der
Produktoberfläche verfügen. Schriftgrößen auf gedruckten Anleitungen sollen danach mindestens 9 Punkt betragen.
Aus Sicht der Lesbarkeitsforschung ist Lesbarkeit nicht nur
eine Funktion der Schriftgröße. Hier spielen mindestens Schriftart,
Kontrast, Zeilenlänge, Zeilenabstand, Layout, Leseabstand und die
vorhersehbaren Lesebedingungen hinein. Die IEC 82079-1 gibt dementsprechend Empfehlungen für die Schriftgröße, die unter Berücksichtigung der weiteren Faktoren abgewogen werden müssen.
Diese differenzierte Regel für die Schriftgröße ist gewissermaßen wissenschaftlich gedeckt, unter Experten bekannt und mit Blick
auf typische Anleitungen für technische Produkte auch bewährt. Sie
kann damit als anerkannte Regel der Technik gelten.
Ein Hersteller, der sein Produkt mit einem Text deutlich unter 6
Punkt beschriftet (wie der Warnhinweis auf meinem Laserpointer der
Faktoren der Lesbarkeit
95
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
Marke L.), wird sich jedoch kaum auf die Anwendung anerkannter
Regeln der Technik berufen können. Die Produktbeschriftung könnte daher im Haftungsfall als „nicht gegeben“ gewertet werden.
4.1.2 Beispiel: Hervorhebung von Warnhinweisen
Rechtsprechung
ANSI Z535
96
Warnhinweise dienen dazu, Anwender vor einer Gefährdung im Zusammenhang mit dem Produkt zu warnen, um möglichen Schaden
abzuwenden. Es ist daher von besonderer Bedeutung, dass Anwender Warnhinweise wahrnehmen. Wissenschaftlich betrachtet besteht
kaum Zweifel daran, dass in gewissen Grenzen hervorgehobene Informationen eher wahrgenommen werden als nicht hervorgehobene
Informationen. Es ist daher üblich und hat sich insoweit bewährt,
Warnhinweise gegenüber dem umgebenden Text hervorzuheben. Die
Technik ist unter Experten weithin bekannt; in einschlägigen Normen werden Mittel der Hervorhebung für Warnhinweise mehr oder
weniger detailliert beschrieben. Die Regel, Warnhinweise hervorzuheben, scheint demnach eine anerkannte Regel der Technik zu sein.
Auch die Rechtsprechung schließt sich der Hervorhebungsregel
an. So hat der Bundesgerichtshof im Rahmen der Urteile, die zu den
„Kindertee-Fällen“ ergangen sind, Leitsätze für Gefahrenhinweise
formuliert. Unter anderem wurde dabei festgestellt, dass Gefahrenhinweise nicht versteckt sein dürfen, z.B. zwischen Garantieaussagen.
Zudem müssen Gefahrenhinweise deutlich gegeben werden. Unterschiedliche Auffassungen gibt es jedoch sowohl über die Art und Gestaltung der Hervorhebung als auch über ihre Intensität.
Eine der führenden Normen für die Gestaltung von Warnhinweisen, die US-amerikanische ANSI Z535, merkt an: „Because embedded safety messages must be integrated with the surrounding
information, they may be presented without any special formatting.
When special formatting is used to differentiate embedded safety
messages, care should be taken to ensure that the formatting does
not unnecessarily interfere with the user reading the information.“
(ANSI Z535.6:2011, 14)
Die ANSI Z535 lässt im Kontext handlungsanleitender Informationen ausdrücklich Warnhinweise ohne wesentliche typografische
Hervorhebung zu, sofern der Sicherheitsbezug aus dem Kontext
klar hervorgeht. Bei der Entscheidung über die möglichen Mittel der
Hervorhebung soll zudem berücksichtigt werden, ob der Inhalt des
Warnhinweises schon in einem vorangehenden Hinweis erschienen
ist. Außerdem sollen die Bedeutung des Inhalts für die Sicherheit sowie die Zahl und Länge der Hinweise berücksichtigt werden. Diese
Empfehlungen stehen in einem gewissen Widerspruch zur generellen
Hervorhebungsregel wie auch in Widerspruch zu den Prinzipien der
Standardisierung, weil Inhalt und Umfang einzelner Hinweise für die
Gestaltung maßgeblich gemacht werden. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass eine zu starke Hervorhebung von Warnhinweisen
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
das Gegenteil bewirken kann, so dass Leser den Textfluss nicht mehr
erkennen oder verleitet werden, die Warnhinweise gezielt zu überspringen.
Auch die DIN EN 82079-1:2013 verlangt lediglich, dass Warnhinweise „mindestens genauso auffällig angegeben“ sein müssen wie
andere Instruktionen. Ein klares Votum für die Hervorhebung lässt
sich hier nur bedingt erkennen.
Ein spezielles Mittel der Hervorhebung von Warnhinweisen
sind Signalwörter; hier gibt es unterschiedliche Empfehlungen in verschiedenen Normen (ANSI Z535, ISO 3864-2, SEMI S1), die teilweise auch sprachlich nicht korrekt sind. Ähnlich unterschiedlich sind
Regeln zur Verwendung von Schriftgrößen, Farben, Symbolen und
Linien zur Hervorhebung von Warnhinweisen, die größere Spielräume für eine konkrete Umsetzung der Hervorhebungsregel in einem
konkreten Layout bieten. An der Gültigkeit der grundlegenden Hervorhebungsregel ändert dies jedoch nichts.
Anmerkung: Es muss klar zwischen Warnhinweisen und Sicherheitshinweisen unterschieden werden. Während Warnhinweise
in Handlungsabläufe integriert sind, bilden Sicherheitshinweise in
der Regel einen eigenen Teil eines Dokuments (Sicherheitskapitel),
das ausschließlich Sicherheitshinweise enthält. Daraus folgt, dass die
Hervorhebung von Sicherheitshinweisen nicht im Vordergrund steht
oder zumindest anderen Regeln folgt, denn: Wenn alle Hinweise (im
Sicherheitskapitel) hervorgehoben sind, wo ist dann noch die Hervorhebung? (Beispielsweise verlangt die EN 60335 „Sicherheit elektrischer Geräte für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke“ eine
Mindestschriftgröße, die sich jedoch nicht auf Warnhinweise, sondern auf Sicherheitshinweise bezieht.)
4.1.3 Beispiel: Ergänzende Verwendung von Text und Bild
Die Beobachtung, dass sich bestimmte Informationen besser bildlich
darstellen lassen als andere, ist gut belegt. Räumliche Informationen
und Bezugnahmen auf reale Gegenstände lassen sich in der Regel gut
visualisieren. Kausalzusammenhänge oder bestimmte Qualitäten von
Handlungen („fest andrücken“) und Zeitangaben („zweimal kurz hintereinander“) lassen sich hingegen deutlich besser textuell darstellen.
Ebenfalls gut belegt ist, dass individuelle Bildauswertungen
durch beim Bild stehende Texte stark gesteuert werden. Dies kann
in der Technischen Kommunikation sehr gut genutzt werden, um die
Aufmerksamkeit von Lesern und ihre Bildinterpretation gezielt zu
lenken. Eine entsprechende technische Regel der Technischen Kommunikation lautet, Text und Bild zusammen zu verwenden.
In der DIN EN 82079-1:2013 ist diese Regel im Abschnitt 6.3
„Visuelle Darstellungen und unterstützender Text“ folgendermaßen
formuliert:
97
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
„Sofern dienlich, müssen Text und visuelle Darstellungen zusammen angewendet werden, einander unterstützend, um die Gebrauchsanleitung verständlicher zu machen. Wenn visuelle Darstellungen erklärende Texte benötigen, müssen sie beieinander
stehen, so dass sie gemeinsam wahrgenommen werden […].“
Textfreie Anleitungen
Die Regel, Text und Bild gemeinsam zu verwenden, ist also wissenschaftlich theoretisch anerkannt, bei Experten hinreichend bekannt
und hat sich zudem in der Praxis bewährt. Sie ist damit eine „anerkannte Regel der Technik“.
Anleitungen, die auf Bilder verzichten, obwohl sie sinnvoll
wären, oder auch auf Text verzichten, wo dieser sinnvoll wäre, entsprechen demnach nicht den anerkannten Regeln der Technik. Dies
bedeutet nicht, dass textfreie Anleitungen an sich unakzeptabel wären; textfreie Anleitungen sollten jedoch nicht leichtfertig produziert
werden. Speziell bei sicherheitsrelevanten Informationen sollten gewichtige (und nicht rein wirtschaftliche) Gründe vorliegen, bevor auf
Text (resp. sinnvolle Bilder) verzichtet wird.
4.1.4 Beispiel: Schritt-für-Schritt-Anleitung
Eine Anleitung muss die durchzuführenden Schritte in der handlungslogischen Reihenfolge präsentieren. An diesem Grundprinzip besteht
wohl kaum ein Zweifel. Anleitungen, aus denen ein Anwender selbst
mühsam die Handlungsschritte aus dem Prosatext herauspräparieren
und in die sinnvolle Reihenfolge bringen muss, entsprechen sicher
nicht den anerkannten Regeln der Technik.
4.1.5 Beispiel: Überschriften und identifizierende Titel
Überschriften und gliedernde Titel – allgemein die Strukturiertheit
eines Textes – haben eine hohe Bedeutung für die Verständlichkeit.
Dies belegen u.a. die Untersuchungen von Schulz von Thun und anderen. Die Regel, Texte hinreichend mit Überschriften zu gliedern, ist
unter Experten weithin bekannt, wird in einschlägigen Ausbildungen
vermittelt und hat sich in der Praxis bewährt. Es handelt sich damit
ohne Zweifel um eine anerkannte Regel der Technik.
Hingegen wird die Frage, ob und wie Überschriften nummeriert
werden und wie viele Überschriftebenen es geben darf, kontroverser
diskutiert. Wenn ein Dokument aufgrund ungeeignet gestalteter und
zu tief verschachtelter Überschriften nicht mehr hinreichend übersichtlich ist, wird sicherlich eine Grenze überschritten. Jenseits dieser
Grenze wird kaum eine Fachperson von einem ‚guten‘ Dokument
sprechen wollen.
4.1.6 Beispiel: Inhaltsverzeichnis
Die Frage, ab wann ein Text ein Inhaltsverzeichnis erfordert, wird
von der DIN EN 82079 1:2013 im Abschnitt 5.15.3 „Inhaltsverzeichnis“ konkret folgendermaßen beantwortet:
98
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
„Gebrauchsanleitungen, die vier Seiten überschreiten, müssen ein
Inhaltsverzeichnis enthalten, es sei denn, es kann dargelegt werden, dass dies nicht notwendig ist. Überschriften und Seitenzahlen, die im Inhaltsverzeichnis erscheinen, müssen mit denen im
Text identisch sein.“
Die Schwelle von vier Seiten, ab denen die Norm ein Inhaltsverzeichnis fordert, wirkt zunächst beliebig. Andererseits ist eine auf Papier
gedruckte Anleitung mit vier Seiten bei handlichem Papierformat
noch ein leicht zu überschauendes Faltblatt, ab der fünften Seite immerhin entweder ein Leporello oder eine Broschüre, die nicht mehr
so leicht zu überblicken ist. Die ‚4-Seiten-Schwelle‘ ist also nachvollziehbar. Zudem ist diese Regel spätestens durch die Normveröffentlichung bekannt. Dass sich Inhaltsverzeichnisse grundsätzlich bewährt
haben, steht außer Frage. Auch hier wird es ein Hersteller schwer
haben, eine Anleitung ohne Inhaltsverzeichnis zu rechtfertigen.
4.1.7 Beispiel: Funktionale Gestaltung und Formulierung
Wissenschaftlich anerkannt ist, dass jede sprachliche Äußerung –
auch diejenigen in Technischer Dokumentation – eine Funktion hat.
Die Regel, dass die Formulierung und Gestaltung von Anleitungen
die Textfunktionen berücksichtigt, ist mit der Methode Funktionsdesign® seit über 25 Jahren erfolgreich praktiziert und Experten hinreichend bekannt. Auch die DIN EN 82079-1:2013 fordert, dass die
Formulierungen in Anleitungen die jeweiligen Textfunktionen widerspiegeln. Die funktionale Gestaltung von Anleitungen ist demnach
klar eine anerkannte Regel der Technik.
4.2 Anerkannte Regeln für den Inhalt
von Technischen Dokumentationen
Auch für den Inhalt von Anleitungen bestehen Regeln, z.B. für Maschinen in der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, Anhang I, Abschnitt
1.7.4.2 und in zahlreichen meist sicherheitsbezogenen Normen. Zwei
grundlegende inhaltliche Forderungen sind hier zu nennen:
• Eine Beschreibung des Produkts einschließlich gewisser technischer Angaben;
• Alle erforderlichen Anleitungen über den Produktlebenszyklus,
z.B. vom Transport bis zur Entsorgung.
Welche Informationen im Einzelfall genau gegeben werden müssen,
wird dabei teilweise in produktspezifischen Normen konkretisiert
oder grundlegender auf den Informationsbedarf von Zielgruppen
bezogen (DIN EN 82079-1:2013, ISO IEC IEEE 26514 „Informationstechnik – Software und System-Engineering – Anforderungen
an Designer und Entwickler von Benutzerdokumentationen“). Um
ein paar Beispiele zu nennen: EN 60745 „Handgeführte motorbetriebene Elektrowerkzeuge – Sicherheit“, EN 1041 „Bereitstellung von
99
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
Informationen durch den Hersteller von Medizinprodukten“, EN
809 „Pumpen und Pumpenaggregate für Flüssigkeiten – Allgemeine
sicherheitstechnische Anforderungen“ usw.
Dass für die bestimmungsgemäße und sichere Verwendung eines Produkts in vielen Fällen bestimmte Informationen erforderlich
sind, ist aus wissenschaftlich-theoretischer Sicht nicht fraglich. Sofern
sich inhaltliche Anforderungen an Anleitungen also in (produktspezifischen) Normen befinden, sind diese Anforderungen den Experten
bekannt. Ob sich die inhaltlichen Anforderungen auch in jedem Fall
bewähren, ist jedoch fraglich. Zumeist nehmen Hersteller normativ
geforderte Inhalte in Anleitungen auf, um mögliche Haftungsrisiken
zu vermeiden und ggf. Forderungen von Zertifizierern nachzukommen. Dieses System funktioniert besonders gut, wenn Normersteller und Zertifizierer in einer Person zusammenfallen, auch wenn die
normativ geforderten Inhalte aus Anwendersicht unnötig sind. Hinsichtlich der Bewährung der inhaltlichen Anforderungen muss also
unterschieden werden zwischen dem Erfolg eines Unternehmens,
sein Produkt in Verkehr zu bringen, und der Nützlichkeit der Informationen in einer Anleitung für den Anwender.
In der Regel wird man jedoch davon ausgehen, dass die anerkannte Regel der Technik für die Mindestinhalte einer Anleitung zum
einen die normativ geforderten Mindestinhalte und zum anderen die
vom Anwender tatsächlich benötigten Inhalte fordert.
4.3 Anerkannte Regeln des Erstellungsprozesses
4.3.1 Beispiel: Übersetzerische Kompetenz
Dass die Qualität von Übersetzungen stark von der Kompetenz des
Übersetzungspersonals abhängt, wird wohl kaum bestritten. Die Regel, für Übersetzungen von Anleitungen kompetentes Personal einzusetzen, ist zudem in Expertenkreisen hinlänglich bekannt und hat
sich in der Praxis bewährt. Damit dürfte diese Regel ebenfalls als anerkannte Regel der Technik gelten.
Schwieriger wird es bei der Konkretisierung der konkreten
Kompetenzen, über die Übersetzungspersonal verfügen muss. Anhaltspunkte bieten einerseits die ISO 17100:2015 „Übersetzungsdienstleistungen“ und andererseits die DIN EN 82079-1:2013, Abschnitt 4.8.3.3. „Qualität von Übersetzungen“:
„Wenn die Gebrauchsanleitungen von der Originalsprache in
andere Sprachen übersetzt werden, müssen Fachübersetzer oder
Spezialisten für die Übersetzung einschließlich Überprüfung und
Korrekturlesen verantwortlich sein. Diese Fachübersetzer oder
Spezialisten müssen:
• grundlegende Kommunikationskompetenzen, speziell in technischer Kommunikation, haben
100
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
• mit dem Fachgebiet vertraut sein
• fließend die Ausgangssprache und Zielsprache beherrschen und
vorzugsweise Muttersprachler in der Zielsprache sein.“
Auch bei dieser Konkretisierung dürfte es schwierig sein, im Einzelfall zu entscheiden, ob eine konkrete Übersetzung einer Anleitung die
genannten Anforderungen erfüllt. Ein Unternehmen, welches jedoch
Anleitungen rein auf Preisbasis ohne Hinterfragen der vorhandenen
Kompetenz übersetzen lässt, wird sich nicht auf die anerkannten Regeln der Technik berufen können. Da ein Produkthersteller auch für
die von ihm gelieferten Übersetzungen seiner Anleitungen voll haftbar ist, verbirgt sich hinter unprofessionellen Übersetzungsprozessen
ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko.
4.3.2 Beispiel: Qualitätssicherung
Die Qualitätssicherung von Technischer Dokumentation ist zweifellos eine anerkannte Regel der Technik: Neben der wissenschaftlichtheoretischen Anerkennung ist die Qualitätssicherung den Experten
in der Praxis bekannt und hat sich in allen Fällen bewährt. Unternehmen, die ihre Anleitungen nicht qualitätssichern, gehen demnach
ein hohes Risiko ein. Die DIN EN 82079-1:2013 spezifiziert dabei,
dass die Qualitätssicherung sich keineswegs nur auf die inhaltliche
Richtigkeit bezieht, sondern auch auf die Überprüfung der in einem
Redaktionsleitfaden angegebenen Regeln.
4.3.3 Beispiel: Terminologiemanagement
Dass die konsistente Terminologie für das Verständnis Technischer
Dokumentation ein wichtiger Faktor ist, ist theoretisch unbestritten
und durch zahllose Usability-Tests belegt. Experten ist dies bekannt.
Auch hat sich Terminologiemanagement in vielen Unternehmen bewährt. Damit zählt auch das Terminologiemanagement zu den anerkannten Regeln der Technik in der Technischen Kommunikation –
auch wenn diese Einsicht erstaunlicherweise in vielen Unternehmen
schwer zu vermitteln ist. Dabei lassen sich auch die wirtschaftlichen
Vorteile eines Terminologiemanagements klar aufzeigen.
4.3.4 Beispiel: Risikobeurteilung
Ohne die Analyse möglicher Risiken ist es nicht möglich, ein sicheres Produkt zu gewährleisten. Diese bestechend einfache Einsicht
ist den Experten in der Praxis auch hinreichend bekannt. Unternehmen, die regelmäßig und methodisch-systematisch mit der Risikobeurteilung arbeiten, können zudem bestätigen, dass sich die Risikobeurteilung auch bewährt. Die Durchführung von Risikobeurteilungen
ist damit eine anerkannte Regel der Technik mit allen Konsequenzen für Unternehmen, die diese Regel nicht mit der nötigen Sorgfalt
befolgen.
101
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
5 Zweifelsfälle
Ebenso interessant wie die Frage, was anerkannte Regeln der Technik
für die Technische Kommunikation sind, ist die Frage, welche verbreiteten Regeln eher nicht den anerkannten Regeln zuzuordnen sind
oder wo zumindest berechtigte Zweifel bestehen, ob die jeweiligen
Regeln ohne Weiteres den anerkannten Regeln der Technik zuzurechnen sind. Zudem stellt sich die Frage, wie bei neuen Technologien
vorgegangen werden kann, wo es aufgrund mangelnder Erfahrung
anerkannte Regeln der Technik noch nicht in hinreichendem Maß
gibt. Daher wollen wir uns nun einigen derartigen Zweifelsfällen zuwenden. Dabei müssen wir stets berücksichtigen, dass diese Zuordnung dem bereits erwähnten zeitlichen Wandel unterworfen ist.
5.1 Beispiel: Neue Kommunikationstechnologien
Neue Kommunikationstechnologien ermöglichen Anleitungen als
Apps auf mobilen Endgeräten, die Verknüpfung und Filterung von
Informationen mit Sensordaten (z.B. Sprache abhängig vom Nutzer,
Information abhängig vom Standort oder Filter abhängig vom eingescannten Produktcode), die Verbindung von Live-Kommunikation,
das Einbetten von Videos und Animationen, die Sprachsteuerung von
Anleitungen usw. Hier betritt die Technische Kommunikation vielfach
Neuland, für das noch keine hinreichenden Erfahrungswerte vorliegen. Welche anerkannten Regeln der Technik sind hier anwendbar?
Erstens sollten die aus der konventionellen Technischen Dokumentation bekannten anerkannten Regeln der Technik soweit möglich angewendet oder übertragen werden. Z.B. lassen sich die Regeln
der Lesbarkeit und die Regel der Hervorhebung von Warnhinweisen
durchaus anwenden, wenn auch mit geeigneten Änderungen in der
Umsetzung, z.B. bezüglich der geeigneten Schrifttypen oder hinsichtlich des Farbeinsatzes.
Zweitens sollte die Forschung und Entwicklung genau beobachtet werden. So widmet sich z.B. das Forschungsprojekt „Multimediales Funktionsdesign“ an der Hochschule Furtwangen University der
Frage, welches geeignete Regeln für multimediale Technikkommunikation sind.
Drittens gewinnen angesichts fehlender Regeln der Technik für
neue Technologien die Prozessaspekte an Bedeutung. Ein Beispiel eines Prozessbausteins für die Entwicklung von Anleitungen in neuen
Medien ist die Durchführung von Usability-Tests.
5.2 Beispiel: Usability-Tests
Die Durchführung von Usability-Tests für Anleitungen ist ein klarer
Fall des Stands von Wissenschaft und Technik. Wissenschaftlich-theoretisch (und auch praktisch) ist der Nutzen von Usability-Tests für
102
Inhalt und Bedeutung anerkannter Regeln der Technik für die Technische Kommunikation
die Qualität von Anleitungen gut belegt und nicht zu bestreiten. Auch
unter Experten ist der Nutzen von Usability-Tests durchaus bekannt
und in vielen einschlägigen Ausbildungen für Technische Redakteure
zu finden. In den Fällen, wo Usability-Tests durchgeführt werden,
haben sie sich zudem in der Regel bewährt. Gemäß den Kriterien fällt
damit die Durchführung von Usability-Tests für Anleitungen klar in
den Kanon der anerkannten Regeln der Technik, auch wenn diese in
der Breite der redaktionellen Praxis in den Unternehmen noch relativ
selten zu finden sind. Die Antwort auf die Frage „Warum?“ besteht
überwiegend aus wirtschaftlichen und teilweise auch terminlichen Argumenten. Man stelle sich jedoch die Verlegenheit eines Verteidigers
in einem Produkthaftungsfall vor, der von der Anklage gefragt wird:
„Und warum haben Sie die Verständlichkeit der Anleitungen niemals
getestet?“
5.3 Beispiel: Redaktionssysteme
Gelegentlich wird die Arbeit mit einem Redaktionssystem als „Stand
der Technik“ bezeichnet. Viele Anwender von Redaktionssystemen
werden zudem feststellen, dass sich die Arbeit mit einem Redaktionssystem auch bewährt hat. Ob man jedoch durchgängig davon
sprechen kann, dass die Arbeit mit einem Redaktionssystem eine anerkannte Regel der Technik ist, ist fraglich. Schließlich gibt es eine
Reihe von Faktoren, von denen abhängt, ob sich der Einsatz eines
Redaktionssystems lohnt. Bevor also Redaktionen als „nicht auf dem
Stand der Technik“ stigmatisiert werden, die nicht mit einem Redaktionssystem arbeiten, sollten die Rahmenbedingungen genauer betrachtet werden.
103
Annette D. Reilly
Normung für
Softwaredokumentation
Übersetzung aus dem Englischen von Philipp Windgassen
1 Zweck und Anwendungsbereich
Normen für die Softwaredokumentation dienen dem Zweck, Anforderungen und Leitlinien für Informationsprodukte und für die
Prozesse des Softwarelebenszyklus zu definieren, z.B. in Bezug
auf das Informationsmanagement. Bei Normen für Informa­
tionsprodukte wie die Softwaredokumentation werden im Allgemeinen Inhalt, Aufbau und Format der Dokumentation beschrieben. Diese Normen legen allgemeine Anforderungen im Hinblick
auf den Zweck und die vorgesehene Zielgruppe fest oder setzen
diese voraus. Normen bieten einen Mehrwert sowohl für diejenigen, die während des Softwarelebenszyklus am Softwareprozess
beteiligt sind, als auch für die Anwender der Software.
Dieser Überblick über die einzelnen Normen soll potenziellen Verwendern bei der Evaluierung, Auswahl und Anwendung der entsprechenden Normen helfen. Dabei wird auf international geltende Normen Bezug genommen, insbesondere auf Normen der ISO
(International Organization for Standardization) und des IEEE
(Institute for Electrical and Electronics Engineers) sowie der IEC
(International Electrotechnical Commission). Es handelt sich dabei
um freiwillig anwendbare Normen, denen eine Organisation oder
ein Projekt folgen kann, oder die dem eigenen Bedarf entsprechend
angepasst werden können. Sie enthalten normative Anforderungen
und setzen gewisse Vorkenntnisse bei der Anwendung voraus; bei
Normen handelt es sich weder um Anleitungen noch um Lehrbücher. Die Verwendung bestimmter eigener Tools für die Softwareentwicklung, -dokumentation oder das Informationsmanagement wird
in diesen Normen nicht vorgeschrieben. International geltende ISO-,
IEC- und IEEE-Normen für die Informationstechnologie (IT) werden in der englischen Sprache veröffentlicht und von verschiedenen nationalen Normungsorganisationen angeboten, wobei sie zum
Zweck der besseren Verständlichkeit ins Deutsche oder in andere
Sprachen übersetzt werden.
104
Normung für Softwaredokumentation
Neben den hier vorgestellten Normen gibt es etablierte und
neue Normen für diverse Bezeichnungen in der Dokumentation
von Software; darunter fallen Flussdiagrammsymbole, Symbole,
Softwarelizenz-Tags (ISO/IEC 19770), Programmiersprachen und
Webprotokolle. Einige weitverbreitete Normen für das Dokumentations-Markup sind speziell auf die Anwenderdokumentation für
Software ausgerichtet: die Darwin Information Typing Architecture
(DITA) von OASIS, DocBook-Spezifikationen und die ältere Spezifikation S1000D für Luftfahrtanwendungen. Des Weiteren gibt es
nationale oder regionale (EU-)Normen, De-facto-Industrienormen,
Normen für lernende Systeme sowie Styleguides und Formatvorlagen
für bestimmte Sprachen, Industriezweige oder Organisationen; für
bestimmte Arten von Software (z.B. für Medizingeräte, Kernkraftwerke, Endverbraucherprodukte, Schienenfahrzeuge) gibt es eigene
Normen oder regulatorische Anforderungen.
Weitere Normen in
ähnlichen Einsatz­
bereichen
2 Verwendungszwecke für Normen in der
Softwaredokumentation
Da durch Normen für die Softwaredokumentation einheitliche Prozesse und Produkte definiert werden sollen, die Anwender einer Software in ihrer Arbeit unterstützen, ist es wichtig, die Gründe für die
Verwendung der Softwaredokumentation zu verstehen und zu wissen, welche Art von Anwendern diese Dokumentation verwenden
möchten. Bei der Softwaredokumentation handelt es sich um ein
Hilfsprodukt – nur ein Auditor hätte Interesse daran, die Dokumentation ohne die Software zu betrachten.
Da Software über keine greifbaren Produktmerkmale verfügt,
benötigen Anwender die Dokumentation in den Fällen, in denen die
Benutzeroberfläche (in den Augen einiger Anwender) unzureichende
Informationen für die Anwendung der Software zur Erfüllung einer
Aufgabe bietet.
Warum verwenden
Anwender die Software­
dokumentation?
Es gibt drei grundsätzliche Herangehensweisen an die Verwendung von Softwaredokumentation:
• Konzeptionell: für das bessere Verständnis von Zielen, Grundsätzen und Methoden, die für die Erledigung einer Aufgabe erforderlich sind
• Anleitend: um zu lernen, wie ein Vorgang abgeschlossen werden
kann
• Referenziell: für die Suche nach Details, wenn etwas vergessen
wurde oder wenn etwas Unerwartetes passiert (Fehlerbehebung).
105
Normung für Softwaredokumentation
Wer sind
die Software­anwender?
106
Softwareanbieter möchten, dass ihr Produkt verwendet werden kann.
Diese sogenannte Usability ist das „Ausmaß, in dem ein System,
Produkt oder Dienst vom Anwender eingesetzt werden kann, um in
einem definierten Anwendungskontext festgelegte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen“ (basierend auf ISO/IEC
25064:2013). (Die Usability für ein softwarebasiertes Spiel kann beinhalten, dass dem Anwender nicht zu viel darüber verraten wird, wie
das Spiel gewonnen werden kann – bei einem medizinischen Gerät
wird die Usability allerdings völlig anders definiert.) Daher sind Softwarehersteller dazu verpflichtet, Anwender davor zu warnen, dass die
Software unter bestimmten Bedingungen eine gefährliche Situation
verursachen kann, und Anwender ebenfalls darüber in Kenntnis zu
setzen, dass eine unsachgemäße Verwendung der Software zu unerwünschten Ergebnissen führen kann. Die Normen ISO/IEC 26514
und IEC 82079-1 (Benutzeranleitungen) für die anwenderorientierte
Softwaredokumentation enthalten Informationen darüber, wie dies
auf konsistente und sinnvolle Weise umgesetzt werden kann.
Die prozess- und produktbezogene Softwaredokumentation unterstützt diverse am Softwarelebenszyklus beteiligte Parteien in ihrer
Arbeit. Dazu gehören neben den Kunden auch das leitende Management, das Projekt- und Organisationsmanagement, Informationsund Content-Manager; Softwareingenieure und -architekten, für Software und Dokumentation verantwortliche Entwickler und Designer,
Software- und Dokumentationstester, Anbieter sowie all diejenigen,
die Software und die entsprechende Dokumentation warten, integrieren, anpassen, übersetzen und lokalisieren, darunter auch Lieferanten. Normen für die Softwaredokumentation fördern ein einheitliches Verständnis von Modellprozessen und Informationsinhalten für
die Dokumentation.
Heutzutage ist die Unterscheidung zwischen Softwareanwendern und Systemanwendern (und damit auch die Unterscheidung
zwischen Softwaredokumentation und Systemdokumentation für
Anwender) kaum noch möglich. Beinahe jedes komplexe System,
von Automobilen bis hin zu Thermostaten, ist für die Steuerung und
die Ausführung seiner Funktionen auf Software angewiesen. Die
Softwaredokumentation für Anwender richtet sich im Allgemeinen
an Endanwender (Endverbraucher oder Benutzer mit bestimmten
Rollen und Aufgabengebieten). Dabei handelt es sich entweder um
Einsteiger oder um regelmäßige Benutzer, die unter Umständen in
die Verwendung der Software eingewiesen wurden, jedoch weitere
Referenzinformationen benötigen. Andere Kategorien von Softwareanwendern haben besondere Interessen oder spezielle Aufgaben
zu erfüllen, z.B. System-, Sicherheits- oder andere Administratoren.
Genauso wie die Software und die dazugehörige Anwender­
dokumentation an die Bedürfnisse der Zielgruppen angepasst sein
Normung für Softwaredokumentation
sollen, gibt es auch eine Reihe von Normen mit der Bezeichnung
ISO/IEC/IEEE 2651N, die sich an den Bedürfnissen der einzelnen
Gruppen orientieren, die an der Dokumentation beteiligt sind (Tabelle 1). Der Rest dieses Artikels behandelt diese und andere einschlägige Normen für die Softwaredokumentation.
ISO/IEC/IEEENorm-Nummer
Bezug zur
Anwenderdokumentation
26511
Manager
26512
Ankäufer und Lieferanten
26513
Prüfer und Gutachter
26514
Designer und Entwickler (Autoren und Grafiker)
26515
Teammitglieder in einem agilen Umfeld
Tabelle 1: Zielgruppen­
orientierte Normen
für die Software­
dokumentation für
Anwender
3 Gestaltung und Entwicklung von
Softwaredokumentation für Anwender
Die Norm ISO/IEC 26514:2008 ist die umfangreichste Norm in Bezug auf Entwicklung und Design von Anwenderdokumentation. Sie
bezieht sich sowohl auf das Prozess- als auch das Dokumentationsprodukt (Inhalt, Aufbau und Format) und enthält außerdem einen
Anhang, in dem auf die Inhalte von Styleguides eingegangen wird,
sowie einen weiteren, der sich mit Schreibstil und Ausdruckstechniken in der englischen Sprache befasst. Das Kapitel über Prozesse enthält eine Auswertung von Zielgruppenprofilen, Aufgaben und Usability-Zielen, wobei auch ein wenig auf das Lebenszyklus-Management
und Review-Aufgaben eingegangen wird, was jedoch in den Normen
26511 und 26513 detaillierter ausgeführt ist. Die Norm ISO/IEC/
IEEE 26514 beinhaltet eine umfangreiche Erörterung über die Zielgruppenanalyse als Teil des Dokumentationsdesigns. Davon abhängig ist die Auswahl der Funktionen, die bei der Entwicklung eines
Sets von Dokumentationen für bestimmte Benutzergruppen dokumentiert werden müssen.
Die Kapitel über den Aufbau der Dokumentation beschreiben
die korrekte Platzierung von Informationen für Anweisungen, Referenzinformationen und von kritischen Informationen wie Warnhinweise. Mit dieser Norm werden Komponenten eines Dokuments definiert, wie zum Beispiel Verpackungsetiketten oder Deckblätter, die
Inhaltsangabe, das Betriebskonzept, Abläufe, Fehlermeldungen mit
Problembehebung, Navigationsmerkmale sowie Index- und Suchfunktionen.
Normen für
Designer und Entwickler von Software­
dokumentation
107
Normung für Softwaredokumentation
Entwicklung
von Benutzer­
dokumentation in
einem agilen Umfeld
108
Die Kapitel über den Informationsgehalt von Anwenderdokumentation ermöglichen die Anwendung eines minimalistischen Ansatzes: Darin wird festgelegt, dass kritische Softwarefunktionen dokumentiert werden müssen („Software, die im Falle einer Fehlfunktion
sicherheitsrelevante Risiken nach sich ziehen oder große finanzielle
oder soziale Verluste verursachen könnte“), jedoch nicht sämtliche
Funktionen. Der Inhalt von Softwaredokumentation muss bestimmte
Qualitätsansprüche im Hinblick auf die Vollständigkeit und Genauigkeit erfüllen. Es gibt detaillierte Anforderungen in Bezug auf den
Inhalt und den Aufbau von Abläufen (Anweisungen). Des Weiteren
enthält die Norm Anforderungen an den Inhalt von Fehlermeldungen und Warnhinweisen (entscheidende Sicherheitsinformationen –
„critical safety information“).
Was das Format anbelangt, war die Norm 26514 die erste internationale Norm, die sowohl auf gedruckte als auch auf elektronische Dokumentation angewendet werden konnte. Darin wird auf
die Auswahl des entsprechenden Mediums eingegangen und es wird
erklärt, wie in einem bestimmten Format entsprechende Funktionen
für den Anwender umgesetzt werden können. Beispielsweise wird in
einem Kapitel über die Navigation in der Dokumentation umfassend
auf die Verwendung von Navigationsmerkmalen eingegangen: Stellen finden, Positionierung innerhalb eines Themas, die Reihenfolge
der Themen sowie das Zurückkehren zu einem Thema, sei es auf einer gedruckten Seite oder in einem Bildschirmtext. Mit dieser Norm
wurde auch erstmals festgehalten, dass bestimmte Themen (wie z.B.
die Software­installation) außerhalb der Software in gedruckter Form
angeboten werden müssen. In dieser Norm werden auch die Formate
für Abbildungen sowie das Seitendesign behandelt.
Die Norm ISO/IEC/IEEE 26515:2011 behandelt die speziellen Anforderungen an die Vorbereitung der Anwenderdokumenta­
tion in einem agilen Umfeld, in dem in kurzen Sprints innerhalb eines
sich wiederholenden Lebenszyklus gearbeitet wird. Informationsentwickler stehen oftmals vor einer Herausforderung, wenn es darum
geht, mit verschiedenen Teams zusammenzuarbeiten, die nicht zu
einem agilen Umfeld zusammengefasst werden. Als Mitglieder des
Teams können sie neben der Entwicklung und dem Design der Anwenderdokumentation auch andere Aufgaben wahrnehmen: Sie können Entwicklungspläne und Benutzererfahrungen aufzeichnen, zum
Design der Benutzeroberfläche beitragen, sich ändernde Anforderungen verwalten, Usability-Tests organisieren oder durchführen und die
Fortschritte innerhalb einzelner Sprints festhalten. Auch wenn einige
Organisationen die Strategie verfolgen, dass die Dokumentation ein
bis zwei Sprints hinter der Softwareentwicklung zurückliegen sollte,
wird in dieser Norm empfohlen, dass die Dokumentation vor dem
Abschluss eines Sprints abgeschlossen und getestet wird.
Normung für Softwaredokumentation
Webseiten bieten schnellen Zugriff auf Informationen, eine
Möglichkeit, Wissen und Konzepte auf zugängliche Weise abzurufen und auszuwerten, sowie die Möglichkeit, Informationen und
Meinungen innerhalb der Anwender-Community auszutauschen. Mit
der Norm ISO/IEC/IEEE 23026:2015 verfolgt man das Ziel, die
Usability von technischen Informationen, die auf einer Webseite angeboten werden, zu verbessern. Diese Norm bezieht sich weniger
auf die Verbesserung von Hilfesystemen und technischen Informationen, die als Teil einer Software mitgeliefert werden. Sie enthält Anforderungen an die Strategie- und Planungsprozesse für technische
Informa­tionen sowie daran, wie technische Informationen designt,
entwickelt, evaluiert, getestet und wie Webseiten mit technischem Inhalt längerfristig betrieben werden sollten.
Beim Webseiten-Management werden die Lebensdauer der
Webseite berücksichtigt sowie die darin enthaltenen Informationen,
die Konfigurationssteuerung und die geschätzten Ressourcenanforderungen für den Betrieb der Seite. Die Designstrategie für Webseiten
bezieht sich auf die Trennung von Inhalt und Präsentation, die Verwendung eines einheitlichen Designs, die Trennung von Marketing
und Informationen, den Einsatz bestimmter Multimedia-Optionen,
die Berücksichtigung der Leistung sowie die speziellen Überlegungen
im Hinblick auf Lokalisation und Übersetzung einer Seite. Besonders die Anforderungen an Suchfunktionen und die Seitennavigation
sowie Datenschutzrichtlinien werden gesondert erwähnt. Dabei wird
auch erwähnt, dass die Sicherheit von technischen Informationen
einer Seite, von Nutzerdaten und IT-Ressourcen gewährleistet sein
muss. (Die Normenserie ISO/IEC 27000 enthält die primären Normen für die Informationssicherung.)
Design und
Verwaltung für Webseiten mit Software­
dokumentation
4 Dokumentation für Softwareorganisationen
und -projekte
Mit standardisierten Informationen über den eigenen Software­
lebenszyklus können Organisationen strategisch besser planen,
ihre Ergebnisse kontrollieren, ihre Interessengruppen informieren
und Prozesse optimieren, was insgesamt zu einer Verbesserung
ihrer Softwareprodukte führt.
4.1 Die Anwendung generischer Arten
der Softwaredokumentation
ISO/IEC/IEEE 15289 ist die wichtigste Norm für die Dokumentation des Lebenszyklus (Informationsprodukte). Sie spezifiziert den
Inhalt von Informationsprodukten von verschiedenen Standpunkten
aus:
109
Normung für Softwaredokumentation
• Zweck und allgemeiner Inhalt für typische Informationsprodukte
(generische Typen)
• Spezieller erforderlicher Inhalt für verschiedene Lebenszyklus­
prozesse
• Datentypen, die als Aufzeichnungen in Datenspeichern und zur
Verwendung in Dokumenten gesammelt werden sollten.
Als generische Typen werden Richtlinien, Pläne, Abläufe, Beschreibungen, Spezifikationen, Anfragen und Berichte genannt. Theoretisch wäre es möglich, jeden dieser Dokumenttypen für jeden Prozess
innerhalb eines Projekts vorzubereiten. In der Praxis sollten die für
ein bestimmtes Projekt produzierten Informationsprodukte jedoch
auf die Produkte beschränkt werden, die für die relevanten Akteure
von Interesse sind, wobei diese Informationen innerhalb eines Softwareportfolios wiederverwendet und umfunktioniert werden können.
Somit legt die Norm 15289 keine Vorgaben in Bezug auf Titel, Format, Aufbau oder genauen Inhalt fest, sondern besagt nur, dass der
erforderliche Inhalt in der einen oder anderen Form vorhanden sein
muss.
4.2 Prozess- und Produktdokumentation
im Softwarelebenszyklus
Bis vor 20 Jahren wurden in den Normen für die Softwareentwicklung hauptsächlich die zu liefernden Dokumentationsprodukte definiert (Datenelementbeschreibungen), insbesondere Modellpläne für
diverse Prozesse der Softwareentwicklung. Die Verbreitung agiler
Verfahren in der Softwareentwicklung stellte eine Revolution gegen
die schwerfällige Dokumentation detaillierter Softwarepläne, -designs
und -prozesse dar, wie im sogenannten Agile Manifesto zu lesen ist:
„Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation.
Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans.“ In
zunehmendem Maße werden die Details der Softwaredokumenta­tion
in integrierten, automatischen Softwareentwicklungs-Tool-Suites zusammengefasst statt in ausgefeilten formell geschriebenen Artefakten. Aktuelle und kürzlich aktualisierte Normen und Leitlinien für
die Softwareentwicklung enthalten nach wie vor Beispielübersichten
für Pläne, während genauer auf die Prozesse und Aktivitäten der Planungs- und Supportprozesse eingegangen wird.
Tabelle 2: Normen für
die Dokumentation von
Software-Lebenszyklusprozessen
110
ISO/IEC/IEEE
Norm-Nummer
Softwareprozess- und
-planungsdokumente
730
Qualitätssicherung
828
Konfigurationsmanagement
1016
Softwaredesign-Beschreibung
Normung für Softwaredokumentation
1228
Planung von Softwaresicherheit
15939
Software-Engineering – Messverfahren für Software
16085
Risikomanagement
16326
Projektmanagement
24774
Prozessbeschreibung
24848-5
(in Vorbereitung)
Planung für die Softwareentwicklung, Softwareerstellung, Softwaremanagement
42010
Architekturbeschreibung
4.3 Überprüfen und Testen der Dokumentation
Mit der Norm ISO/IEC 26513:2009 (wird aktuell revidiert) werden
die Verfahren näher erläutert, mit denen die Softwaredokumentation
für Anwender verbessert werden kann, insbesondere durch Überprüfen (Reviews) und Testen. Darin wird speziell auf die Planung von
Reviews für verschiedene Zwecke (wie z.B. technische Genauigkeit
oder redaktionelle Korrektheit) an verschiedenen Punkten des Software- und Dokumentationslebenszyklus eingegangen. Die Norm beschreibt, wie die Ausgabe von Reviews verwaltet und wie während
der Tests oder Reviews entdeckte Probleme gelöst werden können.
Des Weiteren werden verschiedene Zwecke für das Testen von Dokumentation beschrieben, darunter auch ein Systemtest, mit dem die
Konsistenz von der Arbeit der Software und der Dokumentation geprüft wird, sowie weitere Tests, mit denen die Barrierefreiheit und
Lokalisierung oder die Usability untersucht werden.
Als Teil einer Serie, die sich mit dem Testen von Software befasst, wird mit der Norm ISO/IEC/IEEE 29119-3:2013 die Dokumentation festgelegt, die zum Zweck des Testens produziert werden
kann und dabei Übersichten und Beispiele enthält. Darin sind Test­
richtlinien, Testpläne, Testdesign-Spezifikationen, Testfall-Spezifika­
tionen, Testablauf-Spezifikationen und weitere genauere Anforderungen und Berichte über die Ausführung der Tests enthalten.
Mehrere Normen in der Serie ISO/IEC 2506N enthalten Standardvorlagen (Common Industry Format – CIF) für Berichte über
die Usability von Softwareprodukten, einschließlich der Softwaredokumentation. Ziel dabei ist es, trotz unterschiedlicher UsabilityTechniken und -Verfahren eine einheitliche Berichterstellung über
Evaluationen zu erreichen. In ihrer aktuellen Fassung behandeln diese Normen die früh und spät auftretenden Aspekte der UsabilityAnalyse wie z.B. einen Bericht über die Nutzeranforderungen, eine
Nutzungshintergrund-Beschreibung und einen Bericht für UsabilityTests.
Norm für die
Dokumentation von
Testverfahren
Normen für das Testen
der Usability
111
Normung für Softwaredokumentation
5 Normen für Informationsmanagement
und Content-Management
Normen für Manager
in der Software­
dokumentation
Norm für ContentManagement-Prozesse
und -Systeme
112
Die grundsätzlichen Anforderungen an Zweck und Ergebnisse des
Informationsmanagementprozesses (einschließlich des Dokumentationsmanagements) sind inzwischen in den einschlägigen Systemen
und den entsprechenden Normen für die Softwareentwicklung ISO/
IEC/IEEE 15288:2015 (System-Engineering) und ISO/IEC/IEEE
12207 (neue Ausgabe 2016 in Vorbereitung) identisch verfasst: „Der
Zweck des Informationsmanagementprozesses ist die Erstellung,
Erlangung, Bestätigung, Umwandlung, Bewahrung sowie der Abruf
von Informationen und die Verbreitung dieser an die entsprechenden
Zielakteure.“ Spezialisierte Normen bieten weitere Informationen
darüber, wie Dokumentation und Inhalte verwaltet werden und wie
Dokumentationsprodukte und -dienstleistungen zu beschaffen sind.
Die Norm ISO/IEC/IEEE 26511 kann von Managern in der
Software- und Systemanwenderdokumentation angewendet werden. Diese Norm beschreibt verschiedene Situationen, angefangen
beim Management eines einzelnen Dokumentationsprojekts bis hin
zur Organisation und Planung eines laufenden Workflow- und Dokumentationsportfolios einschließlich der Bildung eines Teams mit
spezieller Aufgabenverteilung, der Beschaffung von InfrastrukturRessourcen und der Einrichtung einer Managementkontrolle durch
Messverfahren. Es wird darin auch kurz darauf eingegangen, wie
kompliziert es sein kann, die erforderlichen Ressourcen für ein Dokumentationsprojekt einzuschätzen. Es wird vorgeschlagen, Faktoren
wie Dokumentationsprodukte, Produktivität, Qualität und Maße für
die Prozessoptimierung zu messen und es werden Vorschläge angeboten, wie die Kosten für Übersetzungen gesenkt und ihre Qualität
erhöht werden kann. Die Norm enthält außerdem Anforderungen an
einen Managementplan für die Anwenderdokumentation und einen
Dokumentationsplan.
Die Norm ISO/IEC/IEEE 26531 kann dabei helfen, Anwender davor zu bewahren, ein Content-Management-System zu erwerben, bevor entschieden wurde, wie dies verwendet werden soll.
Darin werden Anforderungen und empfehlenswerte Verfahren dargestellt, mit denen eine Content-Management-Strategie entwickelt,
ein Business-Case für das Content-Management vorbereitet, ein
Content-Management-Workflow definiert und somit die Auswahl
der erforderlichen Funktionen des Content-Management-Systems
getroffen werden können. Es werden außerdem zahlreiche Aktivitäten genannt, die vom Content-Management betroffen sind, wie die
Definition eines Informationsmodells für die strukturierte Inhaltserstellung, die Entwicklung von Leitlinien für die Inhaltserstellung,
die Einigung auf eine Strategie dafür, wie Inhalte aufbewahrt und
Normung für Softwaredokumentation
wiederverwendet werden sowie die Umsetzung des Qualitätsmanagements durch die Überprüfung und Bestätigung von Inhalten. In der
Norm werden auch spezielle Anforderungen an ein komponentenbasiertes Content-Management-System genannt: Aufbewahrungsmanagement, Content-Objekt-Management, Systemadministration,
Inhaltserstellung, Workflow-Steuerung, Ausgabe für die Veröffentlichung, Management für Lokalisierung und Übersetzung und SystemInteroperabilität.
In der Norm ISO/IEC/IEEE 26512 wird auf die Einigungsprozesse eingegangen, die beim Ankauf oder der Lieferung von Dokumentationsprodukten und -dienstleistungen auftreten; dabei wird
auf die Standpunkte des Ankäufers (Kunde) und des Lieferanten
(Auftragnehmer für das Outsourcing) eingegangen. Sie ist sowohl
innerhalb von Organisationen als auch auf externe Lieferanten anwendbar und bietet Informationen darüber, was in einer Ausschreibung und in einem Angebot enthalten sein sollte. Auch Empfehlungen dazu, wie die Vereinbarung überwacht und verwaltet wird und
wie mit Änderungen umgegangen wird, die während der Arbeit entstehen, sind enthalten. Die Norm beschreibt im Detail, was in den
Anforderungen an die Anwenderdokumentation, in den Spezifikationen für die Nutzerdokumentation und in der Leistungsbeschreibung enthalten sein sollte.
Normen für
Ankäufer und
Lieferanten
von Software­
dokumentation
6 Literatur
Agile Manifesto [auf Deutsch] http://www.agilemanifesto.org/iso/de/.
Darwin Information Typing Architecture (DITA) Version 1.2, http://docs.oasisopen.org/dita/v1.2/os/spec/DITA1.2-spec.html.
IEEE Std 1016:2009, IEEE Recommended Practice for Software Design Descriptions.1
IEEE Std 1228:1994 (R2010), IEEE-Norm für die Planung von Softwaresicherheit.
IEEE Std 730-2014, IEEE Standard for Software Quality Assurance Processes.1
IEEE Std 828-2012 IEEE Standard for Configuration Management in Systems and
Software Engineering.1
ISO/IEC 15939:2007, Software-Engineering – Messverfahren für Software.
ISO/IEC 25062:2006, Software-Engineering – Qualitätskriterien und Bewertung
von Softwareprodukten (SQuaRE) – Gemeinsames Industrieformat (CIF) für
Berichte über Gebrauchstauglichkeitsprüfungen.
ISO/IEC 25063:2014, System und Software-Engineering – Anforderungen und Bewertung der Produktqualität bei Systemen und Software (SQuaRE) – Allgemeines Industrieformat (CIF) für Bedienbarkeit: Beschreibung des Verwendungskontext.
ISO/IEC 25064:2013, System- und Software-Engineering – Qualitätskriterien und
Bewertung von Softwareprodukten (SQuaRE) – Common Industry Format
(CIF) für Bedienbarkeit: Bericht der Anwenderanforderungen.
ISO/IEC 25066 (Norm-Entwurf), System- und Software-Engineering – Qualitäts-
113
Normung für Softwaredokumentation
kriterien und Bewertung von Softwareprodukten (SQuaRE) – Common Industry Format (CIF) für Bedienbarkeit – Evaluationsberichte.
ISO/IEC 26513:2009, System und Software-Engineering – Anforderungen an Prüfer und Gutachter von Benutzeranleitungen.
ISO/IEC 26514:2008, Informationstechnik – Software und System-Engineering –
Anforderungen an Designer und Entwickler von Benutzerdokumentationen.
ISO/IEC 27001:2013, Informationstechnik – IT-Sicherheitsverfahren – Informationssicherheits-Managementsysteme – Anforderungen.2
ISO/IEC TR 24774:2010, System- und Software-Engineering – Lifecycle-Management – Leitfaden zur Prozessbeschreibung.
ISO/IEC/IEEE 15288:2015, System- und Software-Engineering – System-Lebenszyklus-Prozesse.
ISO/IEC/IEEE 15289:2015, System und Software-Engineering – Inhalt von Lebenszyklus-Informationsprodukten (Dokumentation).
ISO/IEC/IEEE 16085:2006, System und Software-Engineering – Lebenszyklusprozesse – Risikomanagement.
ISO/IEC/IEEE 16326:2009, Software-Engineering – Leitfaden für die Anwendung
von ISO/IEC 12207 beim Projektmanagement.
ISO/IEC/IEEE 23026:2015, System- und Software-Engineering – Engineering und
Management von Websites für Systeme, Software und Informationsdienstleistungen.
ISO/IEC/IEEE 24748-5 (in Vorbereitung) Systems and software engineering – Life
Cycle Management – Part 5, Software Development Planning.1
ISO/IEC/IEEE 26511:2012, System-und Software-Engineering – Anforderungen
für Manager von Benutzerdokumentation.
ISO/IEC/IEEE 26512:2011, System-und Software-Engineering – Anforderungen
für Ankäufer und Lieferanten der Benutzerdokumentation.
ISO/IEC/IEEE 26515: 2011, System-und Software-Engineering – Entwicklung von
Benutzerdokumentation in einem agilen Umfeld.
ISO/IEC/IEEE 26531:2015, System- und Software-Engineering – Content-Management für Produktlebenszyklus-, Benutzer- und Service-ManagementDokumentation.
ISO/IEC/IEEE 29119-3 Software-und Systemengineering – Software-Test – Teil 3:
Testdokumentation.
ISO/IEC/IEEE 42010:2011, System-und Software-Engineering – Architekturbeschreibung.
ISO/IEC/IEEE 82079-1 (in Revision), Erstellen von Gebrauchsanleitungen – Gliederung, Inhalt und Darstellung – Teil 1: Allgemeine Grundsätze und ausführliche Anforderungen.2
Moore, James W. (2014): IEEE and ISO/IEC Standards supporting the Software
Engineering Body of Knowledge (SWEBOK). In: Bourque, Pierre / Fairley,
Richard E. (Dick): SWEBOK® V3.0: Guide to the Software Engineering Body
of Knowledge, IEEE Computer Society, via www.swebok.org.
OASIS DocBook Spezifikation zu finden auf https://www.oasis-open.org/committees/tc_home.php?wg_abbrev=docbook.
S1000D Spezifikation zu finden auf http://www.s1000d.net.
1 Diese Norm besitzt keinen offiziellen deutschen Titel.
2 Diese Norm ist auch in deutscher Sprache verfügbar.
114
Torsten Gruchmann
E-Labeling für Medizinprodukte
und die Auswirkungen auf die
Technische Kommunikation
Unter den Begriff Medizinprodukt fällt eine Vielzahl von Apparaten,
Instrumenten oder anderen Gegenständen, die in der Medizin eingesetzt werden. Sie wirken am Körper (z.B. Pflaster, Blutdruckmessgeräte) oder im Körper (z.B. künstliche Hüftgelenke, Herzschrittmacher), ohne dabei pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch
einzugreifen, wie z.B. Medikamente.
Medizinprodukte werden vorwiegend diagnostisch oder therapeutisch in folgenden möglichen Anwendungssituationen eingesetzt:
• Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten
• Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen
• Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs
• Empfängnisregelung.
Die enorme Bandbreite der Medizinprodukte, die vom einfachen Fieberthermometer bis zum hochkomplexen Röntgengerät reicht, wird
in vier Risikoklassen unterteilt. Die Klasse I ist dabei die niedrigste
Risikoklasse, in die z.B. Lesebrillen, Verbandmaterial oder Rollstühle eingestuft werden. Hier wird zusätzlich noch differenziert, ob die
Produkte steril sind oder eine Messfunktion aufweisen. In die Klasse
IIa (mittleres Risikopotential) sind u.a. Hörgeräte, Zahnfüllungen, in
die Klasse IIb (hohes Risikopotential) Infusionspumpen, Dialyseund Röntgengeräte eingruppiert. Die Klasse III umfasst schließlich
die Medizinprodukte mit sehr hohem Risikopotential, etwa solche,
die unmittelbar am Herzen oder Gehirn angewendet werden. Dazu
zählen externe Herzschrittmacher oder Herz-Lungen-Maschinen,
aber auch Hüftprothesen oder Brustimplantate.
Zudem wird differenziert zwischen aktiven und nicht-aktiven
Medizinprodukten. Aktive Medizinprodukte werden mit Hilfe einer
externen Energiequelle (Strom, Akku, Batterie, thermische oder kinetische Energie oder Gasdruck) betrieben; nicht-aktive Medizinprodukte sind passiv oder werden mit Muskel- oder Schwerkraft
betrieben.
Definition eines
Medizinprodukts
Risikoklassen für
Medizinprodukte
Aktive und nicht-aktive
Medizinprodukte
115
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf die Technische Kommunikation
1 Zulassungen von Medizinprodukten
Konformitätsbewertungsverfahren
für Medizinprodukte
EU-Richtlinien und
grundlegende
Anforderungen
Abhängig von der Risikoklasse muss in Europa jedes Medizinprodukt vor dem Inverkehrbringen und der Inbetriebnahme zunächst
ein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen. In diesem Zulassungsverfahren muss der Hersteller generell nachweisen, dass sein
Produkt sicher ist und die im Verwendungszweck beschriebenen
technischen und medizinischen Leistungen erfüllt. Diese grundlegenden Anforderungen werden in den sog. EU-Richtlinien beschrieben.
Dazu zählen die
• 90/385/EWG für aktive implantierbare Medizinprodukte
• 98/79/EG für In-vitro-Diagnostika und
• 93/42/EWG für sonstige Medizinprodukte.
Durch sog. Änderungsrichtlinien können diese ergänzt oder geändert werden. Zuletzt wurde die 93/42/EWG im Jahr 2007 durch die
2007/47/EG aktualisiert.
Sind die grundlegenden Anforderungen erfüllt und wurde das
für das jeweilige Medizinprodukt vorgeschriebene Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt, erhält das Produkt die CE-Zulassung.
Die EU-Richtlinien beziehen sich auf die Sicherheit, Leistungsfähigkeit, das Design und die Produktion eines Medizinprodukts. Sie
enthalten u.a. auch zahlreiche Vorgaben für die Erstellung von Gebrauchsanweisungen. In jedem Land der Europäischen Union und in
den assoziierten Ländern werden die EU-Richtlinien über nationale
Gesetze umgesetzt. In Deutschland regelt das Medizinproduktegesetz (MPG) den Umgang mit Medizinprodukten. Zusätzliche Unterstützung bei der Umsetzung des komplexen Regelwerks für Medizinprodukte bieten die (nicht verbindlichen) Leitfäden der EU, die in
Form der MEDDEV-Guidelines vorliegen.
2 E-Labeling bei Medizinprodukten
Rechtlich gesehen kann die Gebrauchsanweisung bei Medizinprodukten als Bestandteil des Geräts angesehen werden. Somit können
unsachgemäße Erläuterungen in der Gebrauchsanweisung, die ein
Risiko darstellen können, z.B. schon zu einem Rückruf des Medizinprodukts führen. Dementsprechend gelten für die Erstellung von
Gebrauchsanweisungen, neben den bereits erwähnten EU-Richtlinien, zahlreiche weitere Standards und Richtlinien, die beachtet werden müssen. Zu nennen sind an dieser Stelle stellvertretend die IEC
82079-1 oder die EN 1041. Dabei sind nicht nur die Gestaltung und
der Inhalt, sondern auch die Art und Weise, wie die Gebrauchsanweisung zur Verfügung gestellt wird, ein reguliertes Thema.
116
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf die Technische Kommunikation
Mit Veröffentlichung der Europäischen Guideline MEDDEV
2.14/3 REV 1 „Supply of instructions for use and other information
for in-vitro diagnostic medical devices“ ermöglichte die europäische
Kommission im Jahr 2007 erstmals Herstellern von In-vitro-Diagnostika die elektronische Veröffentlichung von Gebrauchsanweisungen anstelle von gedruckten Anweisungen. Voraussetzung dafür ist,
dass diese ausschließlich für den professionellen Gebrauch bestimmt
sein müssen.
Seit dem 01.03.2013 dürfen auch Hersteller von Medizinprodukten ihre Produkte alternativ mit einer elektronischen Gebrauchsanweisung ausliefern. Grundlage hierfür ist die EU-Verordnung Nr.
207/2012 vom 09.03.2012, die sich auf die entsprechenden EURichtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG stützt.
Lange wurde vorher diskutiert, ob die sichere Anwendung des
Produkts durch die Möglichkeit des E-Labelings beeinträchtigt wird
und Anwender überhaupt über die notwendige Infrastruktur verfügen, die elektronischen Informationen zeitnah zu bekommen, zu öffnen und zu benutzen. Letztendlich führten die Sicherheitsbedenken
zu der Einschränkung der Gültigkeit der EU-Verordnung hinsichtlich
der Medizinprodukte und der Anwender.
Artikel 3 der EU-Verordnung Nr. 207/2012 beschränkt die Verwendung von E-Labeling auf einzelne Produktkategorien:
• Aktive implantierbare Medizinprodukte und Zubehör im Sinne
der Richtlinie 90/385/EWG, das ausschließlich zur Implantation
oder Programmierung eines bestimmten aktiven implantierbaren
Medizinprodukts bestimmt ist
• Implantierbare Medizinprodukte und Zubehör im Sinne der
Richtlinie 93/42/EWG, das ausschließlich zur Implantation
eines bestimmten implantierbaren Medizinprodukts bestimmt
ist
• Fest installierte Medizinprodukte, die in den Geltungsbereich der
Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG fallen
• Medizinprodukte und Zubehör gemäß den Richtlinien
90/385/EWG und 93/42/EWG, in die ein System zur Anzeige
der elektronischen Gebrauchsanweisung eingebaut ist
• Eigenständige Software gemäß Medizinprodukterichtlinie
93/42/EWG.
Beispiele für unter die EU-Verordnung fallende Medizinprodukte
sind Zahnimplantate, Herzschrittmacher, Stents, künstliche Kniegelenke, Beatmungsgeräte mit Display und integrierter Gebrauchsanweisung, implantierbare Defibrillatoren sowie PACS (Picture Archiving and Communication System) und diagnoseunterstützende
Software. In-vitro-Diagnostika sind ausgeschlossen.
Zudem ist in Artikel 3 der Verordnung geregelt, dass die mit
elektronischen Gebrauchsanweisungen ausgestatteten Medizinpro-
Europäische Guideline
EU-Verordnung
Nr. 207/2012
117
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf die Technische Kommunikation
dukte und das Zubehör ebenfalls ausschließlich für die Verwendung
durch professionelle Nutzer bestimmt sein müssen.
Doch was bedeutet E-Labeling eigentlich genau? Unter E-Labeling versteht man die Bereitstellung von Gebrauchsanweisungen
in elektronischer anstelle von gedruckter Form. Dabei kann die elektronische Gebrauchsanweisung entweder auf einem zusätzlichen
Speichermedium (DVD, USB-Stick usw.), auf einer Webseite oder
im Produkt selbst, z.B. über das integrierte Display, zur Verfügung
gestellt werden.
Die neue Verordnung schafft damit allerdings nicht die Papierversionen ab. Der Hersteller kann die neue Variante nutzen, ist aber
nicht dazu verpflichtet.
3 Verpflichtungen der Hersteller
Konkrete Vorgaben
und Verpflichtungen
Veröffentlichung
von Information auf
einer Webseite
118
Die EU-Verordnung Nr. 207/2012 der europäischen Kommission
gibt konkrete Informationen zu den Vorgaben und Verpflichtungen,
die erfüllt werden müssen, damit ein Hersteller seine Produkte mit
einer elektronischen Gebrauchsanweisung ausliefern darf.
Wesentlich ist dabei, dass der Hersteller vorab Angaben dar­über
macht, dass eine elektronische Gebrauchsanweisung anstelle der Papierversion zur Verfügung gestellt wird. Außerdem muss er erläutern,
in welcher Form (z.B. auf einem zusätzlichen Speichermedium, einer
Webseite usw.) die elektronische Gebrauchsanweisung vorliegt und
wie der Nutzer an die entsprechenden Informationen gelangen kann.
In geeigneten Produktinformationsmedien muss der Anwender zusätzlich über die Hard- und Softwarevoraussetzungen zur Anzeige
der elektronischen Gebrauchsanweisung informiert werden. Hierzu
sind auf jeder einzelnen Verpackung deutliche Hinweise anzubringen. Weitere Pflichthinweise sind die Kontaktdaten des Herstellers
sowie die direkte Referenz auf die gültige Version, bzw. deutliche und
nachvollziehbare Informationen zum Auffinden und Auswählen der
gültigen elektronischen Gebrauchsanweisung.
Für ein Produkt, dessen Gebrauchsanweisung in elektronischer
Form zur Verfügung gestellt wird, muss diese auch in jedem Fall auf
einer direkt zugänglichen und vor unbefugtem Zugriff und Ausfall
geschützten Webseite abrufbar sein. Dort muss die Gebrauchsanweisung, inkl. der früheren Versionen mit dem jeweiligen Veröffentlichungsdatum, in einem allgemein verwendeten Format vorliegen,
das mithilfe frei verfügbarer Software gelesen werden kann. Es muss
auf der Webseite auch angegeben sein, in welchen Amtssprachen die
elektronische Gebrauchsanweisung vorliegt.
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf die Technische Kommunikation
Abb. 1: Label eines
Medizinprodukts mit
dem Verweis auf den
Zugang zur elektronischen Gebrauchsanweisung über einen
Zugangscode.
Abb. 2: Hinweis eines
Medizinprodukte­
herstellers zum Umgang
mit E-Labeling.*
* Printed with the approval of Dentsply. Dentsply excludes any liability for the correctness of such
example of an e-labeling. Every user has to safeguard a correct e-labeling on its own.
Ein entscheidender Punkt bei der Einführung des E-Labelings ist die
Erweiterung des bestehenden Risikomanagementprozesses. Die Risikoanalyse muss um die Aspekte möglicher Gefährdungen bei Ausfall
der elektronischen Systeme für die Anzeige der Gebrauchsanweisungen ergänzt werden. Dabei sind auch denkbare medizinische Notfallsituationen zu berücksichtigen, in denen dem Anwender Informationen in gedruckter Form zur Verfügung stehen müssen. Ferner muss
dem Anwender eine alternative Bezugsquelle für die Papierversion
genannt werden. Diese muss dem Anwender auf Verlangen und nach
Anforderung spätestens innerhalb von sieben Tagen kostenfrei zur
Verfügung gestellt werden.
Erweiterung des
Risikomanagements
119
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf die Technische Kommunikation
Gleichwertiges
Sicherheitsniveau zur
Papierversion
Die Risikobetrachtung muss zu dem Ergebnis führen, dass ein
mindestens gleichwertiges Sicherheitsniveau der elektronischen Gebrauchsanweisung gegenüber der Papierversion erreicht wird.
4 Vorteile für Hersteller
Vorteil Kosten­
einsparungen
Einfluss auf die Umwelt
Integration von
Multimedia
120
Trotz der umfangreichen Anforderungen an den Hersteller bietet
die neue Verordnung auch einige Vorteile. Ein wesentlicher Vorteil
sind die Kosteneinsparungen, die durch E-Labeling erzielt werden
können. Der Druck von Gebrauchsanweisungen ist relativ teuer.
Mehrfarbige Drucke erhöhen die Kosten und zusätzlich beinhalten
die Anleitungen häufig zahlreiche Sprachversionen. Auch die Tatsache, dass Gebrauchsanweisungen immer mehr zur juristischen Exkulpation der Hersteller werden und eine Vielzahl von Warn- und
Sicherheitshinweisen enthalten, trägt dazu bei, dass die Seitenzahl
stetig ansteigt und damit auch die Druckkosten in die Höhe gehen.
E-Labeling reduziert gleichzeitig auch die Kosten für die Verpackung
und den Versand.
Aber auch der Umweltaspekt ist nicht unerheblich. Für den
Druck von Gebrauchsanweisungen wird eine Menge Papier und
Energie verbraucht. Gerade hier spielt das Thema multilinguale Gebrauchsanweisung auch eine entscheidende Rolle. Unzählige Tonnen
Papier werden verbraucht für Informationen, die niemals gelesen
werden. Beispielsweise werden für eine Gebrauchsanweisung eines
Herzschrittmachers, die mit einem Umfang von 350 Seiten an ca.
600.000 Anwender ausgeliefert wird, rund 25.000 Bäume gefällt, um
1.000 Tonnen Papier zu produzieren.
Neben dem wirtschaftlichen Faktor und dem Umweltaspekt
gibt es zahlreiche weitere Punkte, die offensichtlich für das E-Labeling sprechen. Dazu gehören z.B. schnellere Realisierungsprozesse für
die Erstellung einer Gebrauchsanweisung und die daraus resultierende Aktualität. Erforderliche Anpassungen können direkt umgesetzt
werden und die aktualisierte Version der Gebrauchsanweisung kann
dem Anwender, z.B. im Fall einer sicherheitsrelevanten Änderung,
unmittelbar online zur Verfügung gestellt werden.
Elektronische Gebrauchsanweisungen bieten zudem den Vorteil, dass ergänzende multimediale Formen zum Informationstransport benutzt werden können, die den Informationsgehalt und damit
die Effektivität bei der Anwendung erhöhen. Videosequenzen oder
grafische Animationen können Anwendungsszenarien realitätsnah
visualisieren und z.B. beschreiben, wie Zuleitungssets bei Autotransfusions- oder Dialysegeräten eingelegt werden müssen. Textinformationen, die der Risikominimierung dienen und für eine sichere
Anwendung des Medizinprodukts relevant sind, müssen allerdings
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf die Technische Kommunikation
denen der Papierversion entsprechen, um eine Konsistenz zwischen
den Dokumenten zu gewährleisten.
Nicht zu vergessen ist dabei der psychologische Faktor. Textdominante Gebrauchsanweisungen in kleiner Schriftgröße erschweren
dem Leser die Informationsaufnahme. Multilinguale Ausgaben verstärken diesen Effekt noch. Wird dem Anwender jedoch eine individuelle, ausschließlich in Muttersprache verfasste Gebrauchsanweisung zur Verfügung gestellt, so steigt die Chance, dass die Anweisung
zu Rate gezogen wird. Zusätzliche Animationen oder Videosequenzen steigern die Wahrscheinlichkeit der Nutzung und fördern die Anwenderfreundlichkeit durch bessere Nachvollziehbarkeit. Gleichzeitig
sinkt damit das Risiko für Anwendungsfehler.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Medizinprodukte-Industrie durch Kosteneinsparungen
verbessert wird, die Umweltbelastung reduziert wird und gleichzeitig
das Sicherheitsniveau bei der Anwendung von Medizinprodukten angehoben wird.
5 Vorteile für Anwender
Gesetzlich sind alle Anwender von Medizinprodukten verpflichtet,
sich mit der korrekten Benutzung auseinanderzusetzen, bevor sie die
Produkte im Alltag anwenden.
Elektronische Gebrauchsanweisungen haben für den Anwender den Vorteil, dass die notwendigen Informationen zum Produkt
mit multimedialen Inhalten verständlicher und interessanter aufbereitet werden können. Das digitale Format bietet dem Leser z.B. die
Integration von kontextsensitiven Hilfefunktionen, Suchfunktionen,
Textvergrößerungen und die Verwendung von Verlinkungen zu weiterführenden Informationen an. Bei professionellen Anwendern
zeigt sich ein Trend zur Nutzung von Smartphones und Tablets
im Alltag. Sie können sich ggf. über einen am Gerät angebrachten QR-Code Zugang zur elektronischen Gebrauchsanweisung
im Internet verschaffen und diese dann auf ihrem mobilen Gerät
speichern. Dies garantiert dann einen uneingeschränkten Zugriff.
Innerhalb einer Organisation besteht auch die Möglichkeit, die elektronischen Gebrauchsanweisungen in einem zentralen Ordner im
lokalen Netzwerk zu speichern und innerhalb des Netzwerks, über
die lokalen Zugangsregelungen, den notwendigen Zugriff möglich
zu machen.
Elektronische Gebrauchsanweisungen, die z.B. auf einem Tablet installiert sind, bieten zudem den Vorteil der Nutzung unter sterilen Bedingungen. Noch größer ist der Nutzen bei elektronischen
Gebrauchsanweisungen, die direkt im Produkt integriert sind. Auf
Vorteile elektronischer
Gebrauchsanweisung
für Anwender
121
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf die Technische Kommunikation
diese Informationen hat der Anwender dann unmittelbaren Zugriff,
z.B. in Form von kontextsensitiven Hilfefunktionen, sobald diese benötigt werden.
6 Nachteile des E-Labelings
Risikomanagement
nach ISO 14971
Internationalisierung
122
Zunächst ist festzuhalten, dass jeder Hersteller ein dokumentiertes Risikomanagementsystem für seine Produkte gemäß ISO 14971
durchführen muss, unabhängig davon, ob er das Format der elek­
tronischen Gebrauchsanweisung nutzt oder nicht. Durch den Einsatz
elektronischer Gebrauchsanweisungen ergeben sich jedoch weitere
Anwendungsszenarien. Auf solche Änderungen muss der Hersteller
reagieren, eine erneute Risikobetrachtung durchführen und die Maßnahmen ggf. anpassen.
Ein Hersteller, der seine Produkte in anderen Ländern auf den
Markt bringen möchte, muss sich vorher informieren, welche lokalen
Zulassungsvoraussetzungen gelten und erfüllt werden müssen. Sollten diese Länder, in denen das Produkt verkauft werden soll, keine
elektronischen Gebrauchsanweisungen erlauben, so ist der Hersteller verpflichtet, dem Anwender die Gebrauchsanweisung in Papierversion zur Verfügung zu stellen. Sind elektronische Gebrauchsanweisungen in diesen Ländern erlaubt, so sind auch hier alle in der
EU-Verordnung Nr. 207/2012 genannten Anforderungen durch den
Hersteller zu erfüllen. Diese Anforderungen können von der Europäischen Verordnung abweichen. Deshalb ist hier eine genaue Prüfung notwendig.
Neben dem erweiterten Risikomanagementprozess muss der
Hersteller ggf. interne Prozesse anpassen oder neue Prozesse einführen und umsetzen, bevor er von der Möglichkeit des E-Labelings
Gebrauch machen kann. Dies kann z.B. Prozesse für die Änderung,
Freigabe und Rückverfolgbarkeit in Bezug auf die Aktualität und das
Ausgabemedium der einzelnen Endkunden betreffen.
Zusätzlicher Programmierungsaufwand für die Umsetzung der
elektronischen Gebrauchsanweisung im Produkt selbst, z.B. bei Integration von Animationen, kontextsensitiven Hilfefunktionen oder
Videosequenzen, kann zu Zusatzkosten in der Produktentwicklung
führen. Zudem müssen hierfür eventuell neue Lieferanten ausgewählt, qualifiziert und freigegeben werden.
Nach Einführung des E-Labelings muss ein unmittelbarer Support bei Anfrage einer gedruckten Version der Gebrauchsanweisung
gewährleistet sein. Prozesse zur Marktüberwachung und des Meldesystems müssen an die neuen Gegebenheiten angepasst werden.
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf die Technische Kommunikation
7 Auswirkungen für Technische Redakteure
Vor der Realisierung einer elektronischen Gebrauchsanweisung sollten Technische Redakteure in einem interdisziplinären Team, z.B.
mit Vertretern aus dem Produktmanagement, dem Qualitätsmanagement, dem IT-Bereich und der Entwicklung, die Vorteile und Nachteile diskutieren. Nach einer ausgewogenen Risiko-Nutzen-Analyse
kann dann entschieden werden, ob E-Labeling für das entsprechende
Produkt gewinnbringend und zielführend ist. Dabei sollte der Grad
der Anpassung in Bezug auf die internen Prozesse und das Dokumentenmanagement, die Visualisierung sowie die erweiterte Risikobetrachtung zentrales Thema sein.
Ist die Entscheidung für die Einführung und Umsetzung des
E-Labelings gefallen, müssen Technische Redakteure die geänderten
Anforderungen der EU-Verordnung in die Umgestaltung einfließen
lassen.
Werden Produkte sowohl vom professionellen Anwender als
auch direkt vom Patienten genutzt, so bedeutet dies eine besondere
Herausforderung für die Technischen Redakteure. E-Labeling darf
nur dann angewandt werden, wenn die Gebrauchsanweisung für professionelle Anwender gedacht ist. Somit darf der Technische Redakteur mit der elektronischen Gebrauchsanweisung ausschließlich Fachanwender ansprechen, wohingegen die gedruckte Version gleichzeitig
für den Laienanwender, aber auch den Fachanwender verfügbar sein
muss. Dabei ist sicherzustellen, dass beide Versionen im Textteil den
gleichen Informationsgehalt und die gleichen Begrifflichkeiten aufweisen. Ergänzende Informationen sind auf Richtigkeit zu prüfen.
Eine Möglichkeit, dies zu umgehen, besteht darin, zwei unterschiedliche Varianten des Medizinprodukts für die beiden Anwendergruppen deutlich zu produzieren und diese dann entsprechend
entweder mit einer Papierversion für die Laienanwender oder einer
elektronischen Gebrauchsanweisung für die Fachanwender auszuliefern.
Bei der Auslieferung des Geräts muss beachtet werden, für wen
das individuelle Produkt bestimmt ist und ob es die aktuellste und der
Anwendergruppe entsprechende Version der Gebrauchsanweisung
enthält.
Letztendlich bedeutet die Einführung von E-Labeling nicht nur
für den Hersteller eines Medizinprodukts die Umstellung seiner Prozesse, sondern erfordert auch erhöhte Aufmerksamkeit bei den Technischen Redakteuren.
Entscheidungsfindung
im internationalen
Team
Professionelle versus
Laien-Anwendung
123
E-Labeling für Medizinprodukte und die Auswirkungen auf die Technische Kommunikation
8 Literatur
Bundesministerium für Gesundheit (o. J.): Poster „Marktzugangsregelungen Medizinprodukte im Vergleich zu Arzneimitteln“. www.bmg.bund.de/fileadmin/
dateien/Downloads/M/Medizinprodukte/Poster_Medizinprodukte_111124.
pdf [30.07.2015].
Definition Medizinprodukt. https://de.wikipedia.org/wiki/Medizinprodukt.
EU-Verordnung Nr. 207/2012. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?
qid=1438180399891&uri=CELEX:32012R0207 [30.07.2015].
MEDDEV Guideline 2.14/3 REV 1. „Supply of Instructions For Use (IFU) and
other information for In-vitro Diagnostic (IVD) Medical Devices“ http://
ec.europa.eu/growth/sectors/medical-devices_old/documents/guidelines/
files/meddev/2_14_3_rev1_ifu_final_en.pdf [30.07.2015].
EU-Richtlinie 93/42/EWG für Medizinprodukte. http://eur-lex.europa.eu/legalcontent/EN/TXT/?uri=CELEX:31993L0042 [30.07.2015].
EU-Richtlinie 90/385/EWG für aktive implantierbare medizinische Geräte. http://
eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1990L0385:20
071011:de:PDF [30.07.2015].
EU-Richtlinie 98/79/EG für In-vitro-Diagnostika. http://eur-lex.europa.eu/
legal-content/EN/TXT/?qid=1438180453800&uri=CELEX:31998L0079
[30.07.2015].
EU-Änderungsrichtlinie 2007/47/EC. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/
TXT/?qid=1438180608636&uri=CELEX:32007L0047 [30.07.2015].
124
Jan Dyczka
Normenrecherche zur Technischen
Kommunikation in der EU und
für wichtige Bereiche außerhalb
Europas
1 Einführung
Dieser Beitrag richtet sich an Technische Redakteure mit keinen oder
minimalen juristischen Kenntnissen. Vorausgesetzt wird ein DeutschMuttersprachler mit guten Englisch-Kenntnissen. Der Beitrag zeigt
auf, wie weit man vom Schreibtisch aus bei der Normenrecherche in
größtenteils kostenlosen Quellen kommt. Kapitel 2 steigt direkt in
die Normenarbeit ein, und Kapitel 3 zeigt Recherchemöglichkeiten
in Europa und wichtigen Märkten außerhalb Europas auf. Auf die
Bedeutung von Normen und ihre Anwendung geht dieser Beitrag
nicht ein.
2 Normenarbeit
2.1 Normen recherchieren
Dieses Kapitel beschreibt allgemein die Vorgehensweise bei der Normenrecherche. Im ersten Schritt sollte man folgende Fragen beantworten:
• Welche Art Erzeugnis soll dokumentiert werden, um welchen
Produkttyp handelt es sich?
• Für welche Zielgruppen soll die Technische Dokumentation
erstellt werden (berufliche Anwender, Verbraucher, Instandhaltungspersonal …)?
• Welche Tätigkeiten sollen (oder dürfen) diese Zielgruppen ausführen?
• Gibt es Vereinbarungen oder Verträge mit dem Kunden, in denen
anzuwendende Normen aufgeführt sind?
• Welche Dokumenttypen sollen erstellt werden (Montageanleitung,
Bedienungsanleitung, Instandhaltungshandbuch …)? Die Antwort
auf diese Frage ergibt sich aus den Zielgruppen und ihren Tätigkeiten sowie manchmal aus vertraglichen Anforderungen.
Es empfiehlt sich, insbesondere die erste Frage in Zusammenarbeit
Schritt 1:
Was soll dokumentiert
werden?
125
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU und für wichtige Bereiche außerhalb Europas
Schritt 2:
Normen recherchieren
und beziehen
Nomenklatur von
Normen
Schritt 3:
Irrelevante Normen
und Anforderungen
aussortieren
126
mit technischen Fachleuten wie Entwicklern und Produktmanagern
zu beantworten:
• Fachleute können Normen nennen, nach denen sie selber arbeiten. Man darf sich jedoch nicht darauf verlassen, dass die Normenliste der Fachleute vollständig ist.
• Jede Norm nennt den Anwendungsbereich, für den sie gilt. Hier
werden häufig technische Parameter und Grenzen angegeben, innerhalb derer die Norm gilt, oder Ausschlusskriterien genannt für
Produktklassen, für die die Norm nicht gilt. Ohne gute Produktkenntnis kann man nicht entscheiden, ob eine recherchierte Norm
tatsächlich relevant ist oder nicht.
Die Antworten auf die Fragen in Schritt 1 liefern Stichwörter für die
Suche nach potenziell relevanten Normen. Wo und wie man potenziell relevante Normen recherchiert und bezieht, ist in Kapitel 3 nach
Märkten aufgeschlüsselt.
Tipp: Heutzutage empfiehlt sich der Bezug von Normen in
elektronischer Form, z.B. als PDF, weil man diese effizienter durchsuchen kann als ein Papierdokument.
Um eine Norm einordnen zu können, ist es hilfreich zu wissen,
wie sich die Nummer einer Norm zusammensetzt:
• Abkürzung, anhand derer sich der Herausgeber erkennen lässt
• Laufende Nummer
• Ggf. Teil (von der laufenden Nummer durch Bindestrich getrennt)
• Ausgabedatum (von laufender Nummer/Teil durch Doppelpunkt
getrennt).
Wenn eine Norm mehrere Herausgeber durchlaufen hat, werden die
zugehörigen Abkürzungen vorne angehängt und ggf. das Ausgabedatum angepasst. Beispiel:
• Internationale Norm: ISO 28927-5:2009
• Europäische Fassung dieser Norm: EN ISO 28927-5:2009
• Nationale Fassungen dieser Norm: DIN EN ISO 28927-5:201005 (Deutschland), NF EN ISO 28927-5:2010-08-01 (Frankreich),
BS EN ISO 28927-5:2009 (Großbritannien) …
Meist sind nicht alle potenziell relevanten Normen tatsächlich für
den eigenen Anwendungsfall zutreffend. Also wertet man zunächst
folgende Kapitel aus (die genannten Kapitel-Titel orientieren sich an
deutschen Normen; in anderssprachigen Normen muss man analog
verfahren):
• „Anwendungsbereich“ und „Definitionen“: Bereits hier wird häufig die Frage beantwortet, ob die Norm zu Produkt, Zielgruppe(n)
und deren Tätigkeiten passt. Schon nach dem Lesen dieser meist
überschaubaren Kapitel kann man häufig einige recherchierte
Normen beiseite legen, weil sie z.B. für einen elektrischen Spannungsbereich gelten, in dem das zu dokumentierende Erzeugnis
nicht arbeitet.
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU und für wichtige Bereiche außerhalb Europas
• Kapitel mit Titeln wie „Hinweise zum Gebrauch“, „Benutzerinformation“, „…anleitung“ u.Ä. liefern Informationen darüber,
was die Technische Dokumentation mindestens enthalten muss.
Da nicht genormt ist, wie Technische Dokumentation in Normen
bezeichnet wird, muss man in dieser Hinsicht die Normen kreativ
durchsuchen. Unter Umständen enthalten nicht alle recherchierten Normen Anforderungen an die Technische Dokumentation.
Aus den in Schritt 2 recherchierten Normen kann man auf diese Weise meist einige Normen wieder aussortieren.
Die in Schritt 3 übrig gebliebenen Normen enthalten Hinweise
für eine Nachrecherche:
• Das Kapitel „Normative Verweise“ liefert möglicherweise weitere
Normen, die man noch nicht gefunden hatte.
• ISO-Normen haben einen sog. ICS-Code (International Classification for Standards), mit dem die Normen in Klassen eingeteilt
sind. Diejenigen Klassen zu durchsuchen, in denen man bereits
relevante Normen gefunden hat, kann weitere Treffer liefern.
Mit den so gefundenen weiteren Normen verfährt man wie in Schritt 3.
Schritt 4:
Nach­recherchieren
2.2 Normen anwenden
In den relevanten Normen wertet man nun gründlich diejenigen Anforderungen aus, die die Technische Dokumentation betreffen. Zu
beachten ist, dass Normen abbilden, und zwar
• die allgemein anerkannten Regeln der Technik
• für eine große Spannbreite von Anwendungsfällen
• zum Zeitpunkt der Veröffentlichung.
Der konkrete Dokumentationsauftrag kann anders geartete oder in
der Norm nicht genannte Maßnahmen erforderlich machen.
Anwenden einer Norm bedeutet also nicht, den Normentext
sklavisch zu erfüllen. Vielmehr muss man Inhalt und Absicht der
Norm verstehen und auf den eigenen Dokumentationsauftrag sinnvoll und begründbar übertragen.
2.3 Normen verwalten
Mit dem erstmaligen Recherchieren und Anwenden der relevanten
Normen ist die Arbeit nicht getan. Danach sollte man Antworten auf
folgende Fragen finden:
• Anforderungsmanagement: Wie verwaltet und pflegt man die
identifizierten Anforderungen?
• Systematische Umsetzung: Wie verankert man die Anforderungen
im Prozess und in der Qualitätssicherung, sodass sie zukünftig
systematisch berücksichtigt werden und ihre Umsetzung geprüft
wird?
• Normenbeobachtung: Wie verfolgt man kontinuierlich die weitere
Entwicklung der relevanten Normen? Normen können aktuali127
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU und für wichtige Bereiche außerhalb Europas
siert werden, neue relevante Normen können herausgegeben werden und vorhandene Normen zurückgezogen und damit ungültig
werden.
3 Märkte
3.1 Europa (EU)
3.1.1 Grundlagen
EU-Richtlinien
128
In der EU beginnt eine Normenrecherche auf Gesetzesebene. Das
klingt eigenartig, ergibt sich aber aus Folgendem:
• In den Bereichen Produkthaftung und Produktsicherheit werden die grundlegenden Anforderungen heutzutage größtenteils
auf EU-Ebene vorgegeben – in Form von EU-Richtlinien und
EU-Verordnungen. Diese Regelwerke haben Gesetzescharakter
(Details siehe unten).
• Normen zu Arbeitsorganisation, Gestaltung/Usability und Informationsvermittlung haben ihren Ursprung meist ebenfalls auf
internationaler oder europäischer Ebene, aber hier finden wir auch
noch rein nationale Regelwerke. Im Fall einer Norm wie z.B. der
DIN 5008, die sich mit sprachspezifischen typografischen Regeln
befasst, wäre eine internationale Norm ganz offensichtlich nicht
sinnvoll.
EU-Richtlinien sind Anweisungen an die Regierungen der EUMitgliedsstaaten, die Vorgaben der EU-Richtlinien in der jeweiligen
nationalen Gesetzgebung umzusetzen. Daher sind die in den EURichtlinien genannten Anforderungen, z.B. zum Inhalt von Betriebsanleitungen, in allen Mitgliedsstaaten gültig.
In jeder EU-Richtlinie ist der Zeitpunkt genannt, an dem sie
spätestens als nationales Gesetz in Kraft treten muss. Es ist daher
sinnvoll, sich vorausschauend mit neuen oder geänderten EU-Richtlinien zu befassen, die den eigenen Tätigkeitsbereich betreffen. Auf
diese Weise kann man sich frühzeitig darauf vorbereiten, welche Vorschriften man ab einem bestimmten Zeitpunkt beachten muss.
Tabelle 1 listet eine Auswahl von EU-Produktsicherheitsrichtlinien und ihre Umsetzung in deutsches Recht auf. Weitere wichtige
EU-Produktsicherheitsrichtlinien findet man auf www.newapproach.
org und ec.europa.eu/growth. Zu beachten ist, dass im Jahr 2014
von etlichen EU-Richtlinien neue Fassungen veröffentlicht wurden,
die am 20.04.2016 als nationales Recht in Kraft treten werden (Ausnahme: Die Richtlinie über Funkanlagen, 2014/53/EU, tritt erst am
13.06.2016 in Kraft).
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU und für wichtige Bereiche außerhalb Europas
EU-Richtlinie /
-Verordnung
Nummer
neu ab
2016
Allgemeine
Produktsicherheit
2001/95/EG
Produktsicherheitsgesetz (ProdSG)
EMV
2004/108/EG 2014/30/EU
EMV-Gesetz
Medizinprodukte
93/42/EWG
Medizinproduktegesetz
Aktive medizinische
Implantate
90/385/EWG
Medizinproduktegesetz
Bauprodukte
Verordnung
305/2011
Bauproduktegesetz;
Bauverordnungen
der Länder
Funkanlagen (und
Telekommunikationsendeinrichtungen)
1999/5/EG
Wirkungsgrade
von Warmwasser­
heizkesseln
92/42/EWG
Nichtselbsttätige
Waagen
2009/23/EG
2014/31/EU
Eichordnung
Niederspannungs­
betriebsmittel
2006/95/EG
2014/35/EU
1. ProdSV
(Verordnung zum
ProdSG)
Spielzeug
2009/48/EG
2. ProdSV
Einfache
Druckbehälter
2009/105/EG 2014/29/EU
6. ProdSV
Gasverbrauchs­
einrichtungen
2009/142/EG
7. ProdSV
Persönliche
Schutzausrüstung
89/686/EWG
8. ProdSV
Maschinen
2006/42/EG
9. ProdSV
Sportboote
94/25/EG
10. ProdSV
Geräte in explosions­
gefährdeten Bereichen
94/9/EG
2014/34/EU
11. ProdSV
Aufzüge
95/16/EG
2014/33/EU
12. ProdSV
Druckgeräte
97/23/EG
2014/68/EU
14. ProdSV
2014/53/EU
Deutsches
Gesetz
Tabelle 1: Ausgewählte
EU-Richtlinien
und Umsetzung
in deutsches Recht
Gesetz über
Funkanlagen und
Telekommunikationsendeinrichtungen
Heizungsanlagenverordnung
EU-Verordnungen haben unmittelbar Gesetzescharakter in allen Mitgliedsstaaten. Es bedarf bei EU-Verordnungen nicht einer nationalen
EU-Verordnungen
129
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU und für wichtige Bereiche außerhalb Europas
Harmonisierte Normen
Umsetzung. Somit sind auch die in den EU-Verordnungen genannten
Anforderungen in allen Mitgliedsstaaten gültig.
EU-Verordnungen, EU-Richtlinien und die daraus abgeleiteten
Gesetze treffen Forderungen auf einer vergleichsweise allgemeinen
Ebene. Daher beauftragt der EU-Rat die folgenden europäischen
Normungsorganisationen, die Forderungen der EU-Produktsicherheitsrichtlinien in technischen Normen zu konkretisieren:
• CEN (Comité Européen de Normalisation = Europäisches Komitee für Normung)
• CENELEC (Comité Européen de Normalisation Électrotechnique = Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung)
• ETSI (European Telecommunications Standards Institute = Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen).
Diese Normen werden im Amtsblatt der EU als mit der jeweiligen
EU-Richtlinie „harmonisiert“ veröffentlicht.
Zusätzlich gibt es Normen, die mit nationalen Gesetzen harmonisiert sind. Für die deutschen Produktsicherheitsgesetze findet
man Listen der harmonisierten Normen bei der Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA; www.baua.de: >Produktsicherheitsportal >Produktinformationen >Normenverzeichnisse).
3.1.2 Empfehlungen für die Normenrecherche
Kostenlose Quellen
Kostenpflichtige
Quellen
130
Folgende Regelwerke muss man nach Anforderungen an den konkreten Dokumentationsauftrag untersuchen:
• Für das Produkt geltende EU-Richtlinien/EU-Verordnungen und
dazugehörige harmonisierte Normen
• Nationale Produktsicherheitsgesetze und dazugehörige harmonisierte Normen
• Sonstige EU-Richtlinien und nationale Gesetze, z.B. zur Produkthaftung
• Weitere, nicht harmonisierte Normen.
Als Ausgangspunkte der Recherche dienen:
• Technische Fachleute wie Entwickler und Produktmanager
• tekom-Normenkommentar (kostenlos für tekom-Mitglieder;
www.tekom.de: >Dienste >Normenkommentar)
• EU-Richtlinien: Website der Europäischen Kommission (die
Website gibt es aktuell nur in Englisch; ec.europa.eu/growth:
Aufklappmenü „Products“ im Bereich „Legislation and
standards“)
• Deutsche Gesetze im Internet (www.gesetze-im-internet.de)
• Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (www.baua.de)
• Normenauslegestellen (kostenlose Einsicht in Normen möglich;
Liste bei www.beuth.de)
• Deutsches Institut für Normung e.V. (kostenlose Grundlagenartikel zur Normung, kostenlose Suche, kostenpflichtiger Bezug von
Normen; www.din.de)
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU und für wichtige Bereiche außerhalb Europas
• Beuth Verlag GmbH (kostenlose Suche, kostenpflichtiger Bezug
von Normen, kostenpflichtige Normenmanagement-Tools;
www.beuth.de)
• Normungsorganisationen der übrigen europäischen Staaten
(Übersicht auf www.cen.eu: „Members“)
• Auf Normenrecherche und Normenmanagement spezialisierte
Dienstleister.
3.2 USA
3.2.1 Grundlagen
Das US-Rechtssystem funktioniert grundlegend anders, als es der
Kontinentaleuropäer kennt:
• Das US-Rechtssystem ist stark einzelstaatlich geprägt. Was in
einem Bundesstaat als ausreichend akzeptiert wird, kann in einem
anderen Bundesstaat ein Mangel sein.
• Insbesondere an Technische Dokumentation gibt es nur wenige
gesetzliche Anforderungen.
• Die US-Normenlandschaft ist in über 400 konkurrierende Normenorganisationen zersplittert. Eine generell anerkannte zentrale
Norm für Technische Dokumentation gab es lange Zeit nicht.
Inzwischen kann man davon ausgehen, dass die Rechtsprechung
mindestens die Anwendung folgender Normen erwartet:
ISO/IEC 82079-1, ISO/IEC Guide 37, ANSI Z535.6.
• Man wird bei einer Recherche weitere Normen finden, die Hinweise auf Technische Dokumentation geben. Es ist aber fraglich,
an welchen dieser Normen sich die Rechtsprechung orientiert,
sodass sie als einschlägig gelten können.
• Es gibt vergleichsweise wenig sog. kodifiziertes Recht, also niedergeschriebene Gesetze. Für die juristische Aufarbeitung z.B. eines
Produkthaftungsfalls vor Gericht sind Präzedenzfälle entscheidender als Normen und Gesetze.
• Die Grundlagen des Haftungsrechts in den USA sind denen in
Europa nicht einmal unähnlich. Aber der Ablauf der Urteilsfindung ist in den USA gänzlich anders: Die Beweisaufnahme
im Vorfeld einer Gerichtsverhandlung kann sich zermürbend
lange hinziehen. Die Urteilsfindung, sowohl Anspruchsgrund
als auch Anspruchshöhe betreffend, geschieht durch eine Jury
(Geschworene) aus Durchschnittsbürgern, die i.d.R. juristische
Laien sind.
• Produkthaftungsverfahren in den USA kosten den Beklagten
grundsätzlich viel Geld, denn unabhängig vom Ausgang des
Verfahrens trägt jede Partei ihre Anwalts- und Sachverständigenkosten selber.
• Im Fall einer Verurteilung werden häufig sehr hohe Schadens­
ersatzsummen zugesprochen. Hinzu kommt oft noch ein Straf-
Wenige einschlägige
Regelwerke
Hohes Gewicht
der Rechtsprechung
Hohe Verfahrenskosten
und Schadensersatzsummen
131
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU und für wichtige Bereiche außerhalb Europas
Andere Mentalität,
niedriges Bildungs­
niveau und Mehr­
sprachigkeit
schadensersatz („punitive damages“) als Sanktion für verwerfliches/rücksichtsloses Verhalten.
• Es ist ratsam, von einem sehr geringen Kenntnisstand der durchschnittlichen US-Anwender ausgehen. Daher ist auch trivial
Erscheinendes detailliert zu dokumentieren; es sind Sicherheitshinweise zu geben, die in Europa lapidar wirken.
• In den USA ist eine Mentalität weit verbreitet, dass Produkte
absolut sicher sein müssen, egal wie ungeschickt oder unvorsichtig
man sich als Anwender anstellt. Die Schuld für Schäden oder Verletzungen wird daher deutlich schneller beim Hersteller gesucht
als in Europa.
• In den USA gibt es Bundesstaaten mit einem hohen Anteil an
Bürgern, deren Muttersprache nicht Englisch ist – z.B. Latinos.
Dort ist es gelebte Praxis, mindestens die Sicherheitsinformationen multilingual oder textarm anzubieten.
3.2.2 Empfehlungen für die Normenrecherche
In den USA sollte man nicht ohne fachkundige Begleitung tätig werden. Es ist dringend ratsam, qualifizierte Dienstleister – ggf. vor Ort
– zu beauftragen, die bei der Normenrecherche und bei der Strukturierung, Formulierung und Qualitätssicherung der Technischen Dokumentation unterstützen.
3.3 China
3.3.1 Grundlagen
• Das Gewährleistungs- und Produkthaftungsrecht entspricht inhaltlich ungefähr dem europäischen Recht. Unterschieden werden
Schäden an der Sache selbst sowie die schuldhafte (deliktische)
und verschuldensunabhängige Produkthaftung (Gefährdungshaftung).
• Hinsichtlich der für die Haftung in Frage kommenden Personen
greift das chinesische Produkthaftungsrecht wesentlich weiter als
das europäische. Nicht nur Händler und Hersteller können haftbar
gemacht werden, sondern alle, die irgendwie mit dem Geschäft in
Berührung gekommen sind, z.B. Zwischenhändler, Leasinggeber,
Lizenzgeber, Vermieter.
• China hat sich bei den allgemeinen Produktsicherheitsnormen eng
an internationale Normen angelehnt.
3.3.2 Empfehlungen für die Normenrecherche
Als Einstieg in die Normenrecherche können folgende Anbieter dienen:
• Europe-China Standardization Information Platform (eu-chinastandards.eu)
• Normeninformationsportal der nationalen Normungsorganisationen von China (SAC) und Deutschland (DIN e.V.)
(www.standards-portal.de)
132
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU und für wichtige Bereiche außerhalb Europas
• Chinesische Normungsorganisation SAC – Standardization Administration of PR China (www.sac.gov.cn). Hier kann man in einer
Suchmaske mit englischen Begriffen suchen und erhält umfangreiche Trefferlisten chinesischer Normen. Die per Klick aufrufbaren
bibliographischen Daten enthalten, sofern zutreffend, die Angabe
der ISO-Norm, auf der die jeweilige chinesische Norm basiert.
3.4 Russische Föderation
3.4.1 Grundlagen
• Gewährleistungs-, Produkthaftungs- und Produktsicherheitsgrundsätze scheinen den EU-Verhältnissen sehr ähnlich zu sein.
Allerdings gibt es in der Russischen Föderation kein spezielles
Produkthaftungs- oder Produktsicherheitsgesetz. Produkthaftungs- und produktsicherheitsrechtliche Aspekte sind in anderen
Gesetzen mit geregelt.
• Es gibt für viele Produkte eine Konformitätsnachweispflicht und
Zertifizierungspflicht ähnlich dem CE-Prinzip der EU.
• Die Russische Föderation möchte sich einerseits laut offiziellem
Bekunden hinsichtlich Produktsicherheit und Produkthaftung an
die EU anlehnen. Andererseits weichen die normativen Anforderungen stellenweise stark von europäischen und internationalen
Normen ab. Nach EN- und ISO-/IEC-Normen erstellte Technische Dokumentation sollte man nicht ohne Anpassungen in die
Russische Föderation ausliefern.
3.4.2 Empfehlungen für die Normenrecherche
Als Einstieg in die Normenrecherche kann die föderale Agentur für
Technische Regulierung und Metrologie ROSSTANDART dienen
(www.gost.ru: >En >Standards Catalogue). Hier kann man in einer
Suchmaske mit englischen Begriffen suchen und erhält umfangreiche
Trefferlisten russischer Normen.
Der Bezug der Normen ist wie auch in anderen Ländern kostenpflichtig. Die meisten Normen liegen ausschließlich in russischer
Sprache vor. Im Internet kursieren einzelne Normen in englischer
und deutscher Übersetzung, deren Übersetzungsqualität jedoch nach
Aussage eines Russisch-Muttersprachlers schlecht ist.
Wenn man nicht selber des Russischen mächtig ist, ist man daher auf qualifizierte Unterstützung angewiesen. Auch bei der Prüfung der Konformitätsnachweis- und Zertifizierungspflicht ist die
Unterstützung durch erfahrene Dienstleister ratsam.
133
Normenrecherche zur Technischen Kommunikation in der EU und für wichtige Bereiche außerhalb Europas
4 Literatur
Die genannten Webseiten (alphabetisch) und ggf. angegebene Navigationsstrukturen
wurden am 02.08.2015 aufgerufen:
ec.europa.eu/growth
eu-china-standards.eu
www.baua.de
www.beuth.de
www.cen.eu
www.din.de
www.gesetze-im-internet.de
www.gost.ru
www.newapproach.org
www.sac.gov.cn
www.standards-portal.de
www.tekom.de
Weiterführende Literatur:
Rödl & Partner (Hrsg.) (2014): Handbuch internationale Produkthaftung. Produktsicherheit in den wichtigsten Märkten weltweit. 2., vollständig überarbeitete
Auflage. Köln: Bundesanzeiger Verlag.
Germany Trade & Invest – Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik
Deutschland (verschiedene Jahrgänge). Länderberichte aus der Reihe „Recht
kompakt“. Bezug über www.gtai.de/recht-kompakt.
134
Matthias Schulz
Risikobeurteilung und Technische
Kommunikation
Für die einen ist sie in erster Linie die Quelle für Sicherheits- und
Warnhinweise, für andere die (oft fehlende) Voraussetzung für die
CE-Kennzeichnung. Für wieder andere ist sie ein notwendiges Übel
zur haftungsrechtlichen Absicherung. Gemeint ist die Risikobeurteilung. Sie begegnet uns auch unter den vermeintlichen Synonymen
Gefahrenanalyse, Risikoanalyse, Risikobewertung, Gefährdungsbeurteilung usw. (zur Abgrenzung der Begriffe siehe Tabelle 1). Ohne
Frage ist die Risikobeurteilung aus dem Tätigkeitsfeld des Technischen Redakteurs nicht mehr wegzudenken. Dieser Beitrag behandelt
folgende Fragen:
• Warum ist die Risikobeurteilung von so großer Bedeutung?
• Gibt es eine optimale Methode zur Risikobeurteilung?
• Welche Informationen aus der Risikobeurteilung benötigen Technische Redakteure?
• Welche Rolle bei der Durchführung und Dokumentation von
Risikobeurteilungen können und sollten Technische Redakteure
einnehmen?
Begriff Definition
Risikobeurteilung
Gesamtheit des Verfahrens, das eine Risikoanalyse
und Risikobewertung umfasst (EN ISO 12100)
Risikoanalyse
Kombination aus Festlegung der Grenzen der
Maschine, Identifizierung der Gefährdungen und
Risikoeinschätzung (EN ISO 12100)
Risikoeinschätzung
Bestimmung des wahrscheinlichen Ausmaßes eines
Schadens und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts
(EN ISO 12100)
Risikobewertung
Auf der Risikoanalyse beruhende Beurteilung, ob
die Ziele zur Risikominderung erreicht wurden
(EN ISO 12100)
Gefahrenanalyse
Synonym zur Risikoanalyse, wird in älteren
EG-Richtlinien verwendet
Gefährdungs­
beurteilung
Beurteilung von Gefährdungen und Risiken am
Arbeitsplatz durch den gewerblichen Arbeitgeber.
Dabei werden technische Arbeitsmittel, die
Arbeitsumgebung, das Arbeitsverfahren und auch
die eingesetzten Materialien berücksichtigt.
Tabelle 1:
Begriffsdefinitionen
135
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
Gefährdung
Potentielle Schadensquelle (EN ISO 12100)
Risiko
Kombination der Wahrscheinlichkeit des Eintritts
eines Schadens und seines Schadensausmaßes
(EN ISO 12100)
Sicherheit
Freiheit von unvertretbarem Risiko
(ISO/IEC Guide 37)
1 Die Bedeutung der Risikobeurteilung
Die gesetzliche Forderung nach einer schriftlich dokumentierten Risikobeurteilung (früher „Gefahrenanalyse“) besteht in Europa seit
etwa 1995 für Maschinen, Druckgeräte, Geräte zum Einsatz in explosionsfähiger Atmosphäre und Medizinprodukte. Durch die neuen
EU-Richtlinien kommt sie als Forderung 2016 auch in die Niederspannungs- und EMV-Richtlinie. Und durch die neue Produktsicherheitsverordnung wird sie ein praktisch inhärenter Bestandteil jeder
Produktentwicklung (Quellen der gesetzlichen Anforderungen siehe
Tabelle 2).
Tabelle 2: Quellen
für die gesetzliche
Forderung nach einer
Risikoanalyse und
-bewertung bzw. Risikobeurteilung
Produkt, Branche
Quelle für Anforderungen
Maschinen
Maschinenrichtlinie 2006/42/EG
Anhang I Vorbemerkungen
Druckgeräte
Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU
Anhang II Ziff. 2
Geräte zum Einsatz
in explosionsfähiger
Atmosphäre
ATEX-Richtlinie 2014/34/EU
Anhang III Ziff. 3 c
Medizinprodukte
Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG
Anhang III Ziff. 3.2 c
EMV-relevante Geräte
EMV-Richtlinie 2014/30/EU
Anhang II Ziff. 3
Geräte, die an
Niederspannung
betrieben werden
Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU
Anhang III Ziff. 2
Verbraucherprodukte
Entwurf einer Produktsicherheitsverordnung
COM(2013) 78 final Artikel 8 Abs. 4 b
Dies ist nicht weniger als überfällig. Naturgemäß und verfassungsrechtlich ist der Schutz des menschlichen Lebens und der Gesundheit
das wichtigste Qualitätsziel, das ein Produkt erreichen sollte. Andere
Überlegungen – insbesondere wirtschaftliche, aber auch funktionale
– müssen hinter dieser Forderung zurückstehen. Innerhalb der EU ist
zudem der Umweltschutz stärker in den Fokus der Produktentwick136
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
lung gerückt worden. Dies unterstreichen gesetzliche Regelungen wie
die Änderung der Maschinenrichtlinie (2009/127/EG), in der der
Umweltschutz zum sekundären Schutzziel der Richtlinie erhoben
wurde, und die sog. Öko-Design-Richtlinie (2009/125/EG), mit der
die EU den Energieverbrauch technischer Geräte langfristig reduzieren will. Fasst man den Umweltschaden und die Klimaveränderung
als verzögerte Personenschäden auf, dann ist auch aus diesem Grund
eine systematische Betrachtung von Produktrisiken erforderlich.
Und genau darum geht es: Die von einem Produkt während seines gesamten Lebenszyklus ausgehenden Risiken sollen systematisch
erfasst und mit Gegenmaßnahmen beseitigt oder gemindert werden.
Auf diesem Hintergrund muss Risikobeurteilung als Methode zur
Entwicklung sicherer Produkte aufgefasst werden, weniger als Dokument zur haftungsrechtlichen Absicherung und auch nicht lediglich
als Informationsquelle für die Dokumentationserstellung. Ein Zitat
aus der bekannten Maschinenrichtlinie macht dies deutlich: „Der
Hersteller einer Maschine [...] hat dafür zu sorgen, dass eine Risikobeurteilung vorgenommen wird [...]. Die Maschine muss dann unter
Berücksichtigung der Ergebnisse der Risikobeurteilung konstruiert
und gebaut werden.“
Die Richtlinie ordnet die Risikobeurteilung damit vor der Konstruktion und dem Bau der Maschine in den Produktentstehungsprozess ein. Sie verlangt somit die Erwägung von Risiken in der Konzeptions- und Entwicklungsphase. Dies ist in der Praxis zwar eine
Herausforderung, sachlich jedoch korrekt; denn die Ergebnisse der
Risikobeurteilung sollen die Gestaltung des Produkts beeinflussen.
Darauf basiert auch die haftungsrechtliche Bewertung der Risikobeurteilung. Der Hersteller kann nur durch eine dokumentierte
Risikoanalyse und -bewertung nachweisen, dass er bei der Konzeption, der Konstruktion und der Herstellung des Produkts die gebotene
Sorgfalt hat walten lassen. Die Risikobeurteilung entlastet dabei sowohl in Bezug auf den Produktfehler selbst (mangelnde Sicherheit)
als auch im Hinblick auf die Ursache eines solchen Fehlers (eine sog.
schuldhafte Pflichtverletzung). Eine systematische Vorgehensweise
ermöglicht es dem Hersteller, geeignete Maßnahmen auszuwählen,
die dem Stand der Technik/Wissenschaft und der Technik genügen.
Gleichzeitig entlastet die systematische Vorgehensweise ihn von dem
Vorwurf, er habe den Sicherheitsaspekt leichtfertig oder verkürzt betrachtet und damit den Produktfehler verursacht. Mit welchen Methoden jedoch können diese beiden Aspekte hinreichend berücksichtigt werden?
Zweck der Risiko­
beurteilung
Haftungsrechtliche
Bewertung
137
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
2 Methoden zur Risikobeurteilung
In der Fachwelt besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Risikobeurteilung fünf Grundanforderungen zu erfüllen hat:
5 Anforderungen an die
Risikobeurteilung
EN 31010 als
Methodenkompendium
• Eindeutige Definition des Produkts, seines Zwecks und seiner
Grenzen
• Beschreibung aller Gefährdungen, die über den gesamten Lebenszyklus auftreten können. Die Gefährdungen sollen dabei
Gefährdungssituationen zugeordnet sein (z.B. einem bestimmten
Handlungskontext). Das zur Gefährdung führende Gefährdungsereignis soll hinreichend beschrieben werden.
• Abschätzung des Risikos, das aus einem Gefährdungsereignis
erwächst (Verletzungsschwere und Eintretenswahrscheinlichkeit)
• Bewertung des Risikos, d.h. Entscheidung darüber, ob und, wenn
ja, welche Gegenmaßnahmen getroffen werden müssen
• Dokumentation der geplanten/getroffenen Maßnahmen zur Beseitigung der Gefährdung oder Minimierung des Risikos.
Mit EN 31010 „Risikomanagement – Verfahren zur Risikobeurteilung“ ist 2010 ein Kompendium der verschiedensten Methoden zur
Risikobeurteilung erschienen. Einige der insgesamt 29 darin beschriebenen Methoden decken nur einen Teil der fünf o.a. Anforderungen ab. Jede der Methoden dient einem bestimmten Zweck, kann nur
unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Vorhandensein bestimmter
Informationen) angewendet werden und jede hat spezifische Vorund Nachteile. Daher sollte die Auswahl der am besten geeigneten
Methode eine Entscheidung des spezifischen Einzelfalls sein, nicht
dogmatischer Standpunkte. Das Studium der EN 31010 kann dem
Profi daher nur wärmstens empfohlen werden.
Im Folgenden wird kurz auf drei Ansätze eingegangen, die seit
vielen Jahren im Maschinenbau gängig sind. In dieser Branche sind
wahrscheinlich die umfangreichsten Erfahrungen mit der Risikobeurteilung gemacht worden, weil sie sehr viele Unternehmen und eine
große Diversität an Technologien umfasst. In Maschinen sind praktisch alle Phänomene anzutreffen, die Menschen gefährden können.
Daher lohnt sich ein Blick auf die dort verwendeten Methoden zur
Risikobeurteilung.
2.1 Risikobeurteilung anhand einer Liste von Schutzzielen
Die EG-Maschinenrichtlinie enthält in ihrem Anhang I eine Liste
grundlegender Anforderungen an Sicherheit und Gesundheitsschutz.
Es handelt sich um eine nicht ganz durchgängig strukturierte Liste
sog. Schutzziele. Als Beispiel sei hier der Abschnitt 1.3.7 erwähnt.
Darin wird gefordert, dass sich bewegende Teile, von denen Gefährdungen ausgehen können, während des Betriebs nicht erreichbar sein
138
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
dürfen. Sie müssen ggf. abgedeckt werden oder der Zugang zu ihnen
muss überwacht werden.
Solche Schutzziele lassen sich in Checklisten darstellen, mit denen man eine geplante oder vorhandene Maschine untersuchen kann.
Diese Methodik wird in einigen EU-Staaten seit vielen Jahren eingesetzt (z.B. in Schweden).
Ihre bedeutendste Schwäche liegt in der Art der Fragestellung:
Enthält die Maschine ein Problem, das zu den angebotenen Lösungen
(Schutzzielen) passt? Logischerweise ist diese Art ‚invertierter Logik‘
bei der Analyse eine Herausforderung. Die Methode ist daher praktisch nur für bereits nahezu fertig konzipierte Produkte (einschließlich aller Schutzeinrichtungen) geeignet. In diesem Stadium lässt sich
mit ihr sinnvoll prüfen, ob die Schutzziele durch die Schutzeinrichtungen hinreichend umgesetzt werden. Eine Liste denkbarer Lösungen eignet sich jedoch kaum zur lückenlosen Erfassung aller Risiken.
2.2 Risikobeurteilung anhand einer Liste von Gefährdungen
Bereits 1993 erschien für den Maschinenbau eine der ersten Normen
überhaupt, die Leitsätze zur Risikobeurteilung festlegte: EN 1050.
Diese Norm enthielt eine Liste aller denkbaren Gefährdungen, die
von Maschinen ausgehen können. In der Folge entwickelte sich daraus eine Analysemethode, die in der Norm selbst gar nicht beschrieben war. Viele arbeiteten einfach die Gefährdungsliste ab und schrieben zu jeder genannten Gefährdung auf, ob und wenn ja, wo diese
im Produkt vorhanden war. Da die Gefährdungsliste in Tabellenform
in der Norm enthalten war, fügte man einfach weitere Spalten hinzu,
um z.B. konkrete Gefährdungssituationen und -ereignisse sowie zugeordnete Schutzmaßnahmen aufzuzeichnen.
Die hervorstechende Schwäche der Methode liegt auch hier in
ihrer grundlegenden Fragestellung: Enthält die Maschine eines der
Probleme, die in der Gefährdungsliste aufgeführt sind? Wenn ja, wo?
Die Fragestellung führt zu einer Risikobetrachtung von innen nach
außen, d.h. welche Stellen einer Maschine können die aufgelisteten
Gefährdungen verursachen? Wo könnte man sich z.B. quetschen
oder verbrennen?
Bereits 1991 war jedoch in EN 292-1 gefordert worden, bei der
Risikobeurteilung alle Phasen der Lebensdauer einer Maschine zu betrachten, d.h. den zeitlichen Ablauf ihres Gebrauchs zu berücksichtigen. Dies wurde rund ein Jahrzehnt kaum beachtet. Erst als im Jahr
2004 EN ISO 12100-1 als Überarbeitung erschien, fügten viele ihren
Risikobeurteilungsberichten eine zusätzliche Spalte für die Lebensphasen hinzu. Die Lebensphase war der Gefährdung jedoch meist
untergeordnet, so dass die Grundschwäche der Methodik erhalten
blieb. Ein Beispiel für eine mit dieser Methode erarbeitete Risikobeurteilung enthält Abbildung 1.
Stärken/Schwächen
Stärken/Schwächen
139
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
Abb 1: Risikobeurteilung
auf Basis einer Gefährdungsliste
Die Schwächen der gefährdungslistenbasierten Risikobeurteilung
sind offensichtlich:
• Sie überfordert den Beurteiler, weil sie als Eingangsfrage stets ein
Problem in den Raum stellt, nach dem dann im Produkt an allen
Stellen und über alle Lebensphasen hinweg gesucht werden muss.
Besonders bei komplexen Produkten mit verschiedenen Betriebsarten und vielen Betriebshandlungen führt dies dazu, dass Gefährdungssituationen übersehen werden oder unklar bleiben.
• Da in manchen Situationen mehrere Gefährdungen auftreten
können (z.B. Quetschen, Scheren und Stoß sowie gleichzeitig
Lärm oder heiße Teile) wird die gleiche Situation mehrfach, aber
unterschiedlich und an verschiedenen Stellen der Beurteilung
erfasst und damit in Verbindung wird auch die Schutzmaßnahme
wiederholt dokumentiert. Dies führt zu schier endlosen Copyand-Paste-Dokumenten, die wenig übersichtlich sind. Möglicherweise enthalten sie noch immer teilweise ungeeignete Schutzmaßnahmen, weil der Beurteiler durch die Methode daran gehindert
wird, alle Gefährdungen zu erfassen, die sich in einer Situation
ergeben können.
Obwohl EN 1050 bereits im Jahr 2008 zurückgezogen und durch
EN ISO 14121-1 (heute Kapitel 5 in EN ISO 12100) ersetzt wurde,
wird die Risikobeurteilung auf Basis einer Gefährdungsliste leider
noch immer von vielen angewendet. Sie ist sogar bis heute die Basis
führender Softwareprodukte für die Risikobeurteilung.
2.3 Risikobeurteilung auf Basis von Lebensphasen
und Aufgaben
Die von 1991 bis etwa 2005 gesammelten Erfahrungen führten
2008 zur Veröffentlichung der EN ISO 14121-1 als Nachfolger von
EN 1050. Hierin wurde erstmals hinreichend detailliert eine sog.
140
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
aufgabenbezogene Risikobeurteilung (task-based risk analysis) gefordert.
Dabei wird das Produktleben zunächst in Lebensphasen unterteilt (Transport, Aufstellen, Inbetriebnahme, Betrieb, Wartung ...).
Danach werden die Lebensphasen feiner untergliedert in sog. Aufgaben (Tasks). Eine Aufgabe ist demnach:
• Ein Ablauf in einer Maschine, z.B. die Bewegung eines Teils oder
eine Zustandsänderung wie Druckaufbau, Aufheizen usw.
• Die Tätigkeit einer Person, z.B. Einlegen eines Teils
• Eine Kombination aus beidem.
Sobald der Ablauf und die Anwesenheit von Personen durch die
Aufgaben beschrieben sind, lässt sich gezielt fragen, welche Gefährdungen damit verbunden sind. So ist es möglich. alle mit einer bestimmten Situation verbundenen Gefährdungen zu erfassen. Damit
keine Gefährdungen übersehen werden, wird dazu häufig die Gefährdungsliste zu Hilfe genommen; sie ist im Anhang von EN ISO 12100
enthalten.
Wesentlich ist jedoch, dass der Betrachtungsgegenstand auf einen recht eng umgrenzten Ort und eine bestimmte Situation reduziert wird. So wird der Beurteiler nicht überfordert, sondern kann
sich ganz auf eine bestimmte Situation konzentrieren. Genau hier
liegt aber auch der Nachteil dieser Methode: Der Blick für den Gesamtzusammenhang kann unter der Aufteilung in kleine Betrachtungseinheiten etwas verlorengehen. Dadurch können schlimmstenfalls Gefährdungen im Umfeld eines Produkts übersehen werden.
Dies lässt sich jedoch vermeiden, indem man zusätzlich noch einmal
die gesamte Gefährdungsliste abarbeitet. Ein Beispiel für eine mit
dieser Methode erarbeitete Risikobeurteilung enthält Abbildung 2.
Stärken/Schwächen
Abb. 2: Risiko­
beurteilung auf Basis
von Lebensphasen
und Aufgaben
Die aufgabenbezogene Risikobeurteilung eignet sich für praktisch jedes Produkt und es wird daher bereits jetzt in Kommentierungen der
neuen EU-Richtlinien EMV und Niederspannung empfohlen, Risikoanalysen nach EN ISO 12100 Kapitel 5 durchzuführen.
141
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
Zweck der Risikoeinschätzung
2.4 Die Bedeutung der Risikoeinschätzung und -bewertung
Wenn von Risikobeurteilung oder Risikoanalyse die Rede ist, denken
viele sofort an die sog. Risikoeinschätzung mit den typischen Risikoelementen:
• Verletzungsschwere
• Häufigkeit und Dauer der Anwesenheit von Personen in der
Gefährdungssituation
• Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Gefährdungsereignisses
• Möglichkeiten (menschlich und technisch), die Gefährdung zu
erkennen und ihr dann auszuweichen.
Die Risikoeinschätzung schließt sich unmittelbar an das Erkennen
von Gefährdungen an. Ihr Ziel ist es, einen „Risikowert“ zu ermitteln. Darauf folgt dann die Risikobewertung, bei der entschieden
wird, ob das Risiko vertretbar ist oder durch Maßnahmen gemindert
werden muss und kann.
Für Risikoeinschätzungen werden oft sog. Risikografiken wie
die aus EN ISO 13849-1 verwendet (Abbildung 3). Weniger bekannt,
aber meist genauer sind sog. hybride Methoden wie die Risikoeinschätzung nach EN 62061, die eine Risikografik mit einer Werte­
tabelle verknüpft. ISO TR 14121-2 und EN 31010 stellen viele weitere Möglichkeiten der Risikoeinschätzung dar.
Abb. 3: Risikografik nach
EN ISO 13849-1
Im Grunde ist es nicht so wichtig, welche dieser Methoden man
einsetzt, da sie alle die gleichen Risikoelemente verwenden, jedoch
mit unterschiedlich abgestuften Kriterien und unterschiedlicher Skalierung der Ergebnisse. Entscheidend ist vielmehr die Interpretation des Ergebnisses einer Risikoeinschätzung. Dabei sollte man zwei
Grundsätze nicht außer Acht lassen:
• Es handelt sich um Einschätzungen, nicht um Berechnungen,
d.h., sie sind mehr oder weniger falsch und enthalten ein subjektives Element.
142
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
• Die Risikoeinschätzung dient nicht als Ersatz für die Risikobewertung, sondern zu deren Vorbereitung.
Der zweite Punkt wird oft nicht beachtet. Immer wieder sieht man
mehr oder weniger willkürliche Zuordnungen bestimmter Risikowerte zu erforderlichen Maßnahmen. Leider finden sich selbst in Normen Risikotabellen, in denen bestimmte Risikowerte als vertretbar
(sprich Maßnahmen nicht erforderlich), andere als eingeschränkt vertretbar oder unvertretbar deklariert werden.
Dies fördert einen verkürzten, eher arithmetischen Blick auf
das Risiko und den Entscheidungsprozess, der der Risikoeinschätzung folgen soll. Bei der Entscheidung über Maßnahmen ist nicht
allein das abgeschätzte Risiko ausschlaggebend, sondern vor allem
der sog. Stand der Technik/Wissenschaft und der Technik. Es geht
weniger darum, ob ein bestimmtes Risiko subjektiv betrachtet vertretbar erscheint als vielmehr darum, was gesellschaftlich akzeptiert
wird. Ein gesellschaftlicher Konsens über die Vertretbarkeit von Risiken schlägt sich nieder in gesetzlichen Regeln und den Übereinkünften der betroffenen Kreise.
Das wichtigste Mittel zur Darstellung solcher Übereinkünfte
sind sicherheitstechnische Normen. Im Rahmen der Risikobewertung muss daher zwingend eine Normenrecherche durchgeführt werden. Dabei sind zwei Fragen zu beantworten:
• Verlangen anwendbare Normen und andere technische Regeln
nach einer Minderung des festgestellten Risikos oder sogar nach
Beseitigung der Gefährdung?
• Welche genormten Maßnahmen werden als geeignet betrachtet,
eine möglichst weitgehende Risikominderung zu erreichen?
Manchem Beurteiler sind solche Recherchen zu mühsam und er legt
Schutzmaßnahmen daher eher nach Gutdünken fest. Daran schließt
er dann eine sog. Nachher-Risikoeinschätzung an, bei der das Risiko
nach Implementierung der Schutzmaßnahme abgeschätzt wird. Ist
das Risiko jetzt geringer als zuvor und in einem als akzeptabel definierten Wertebereich, dann gilt die Risikominderung als hinreichend.
Diese Vorgehensweise führt immer wieder zu sicherheitsbezogenen
Konstruktionsfehlern (falsche Schutzmaßnahme, inadäquate Schutzmaßnahme, falsch ausgeführte Schutzmaßnahme). Verhindern lässt
sich dies nur durch Recherchen und vertieftes sicherheitstechnisches
Know-how.
Übereinstimmend fordern alle EG-Richtlinien, dass bei der
Auswahl von Maßnahmen zur Beseitigung von Gefährdungen oder
zur Minderung von Risiken in der folgenden Reihenfolge vorgegangen werden muss:
• Gefährdung konstruktiv beseitigen (d.h. beseitige eine Quetschstelle, soweit möglich).
• Risiko durch technische Schutzmaßnahmen mindern. Diese Maß-
Maßstäbe der
Risiko­bewertung
Normenrecherche
zwingend erforderlich
Vorgehen bei
der Auswahl von
Maßnahmen
143
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
nahmen werden Teil des jeweiligen Produkts, sodass z.B. persönliche Schutzausrüstungen nicht zu den technischen Schutzmaßnahmen gezählt werden.
• Benutzer über Restrisiken informieren und davor warnen. Dabei
müssen Angaben dazu gemacht werden, wie der Benutzer sich
selbst schützen kann, z.B. durch sein Verhalten oder den Einsatz
persönlicher Schutzausrüstung.
Erst in Schritt 3 kommt die Benutzerinformation ins Spiel. Welche
Informationen benötigen Technische Redakteure aus der Risikobeurteilung?
3 Warum Technische Redakteure
die Risikobeurteilung benötigen
Aspekte der
sicherheitsbezogenen
Information
144
Nach einem Jahrzehnt der Diskussion in der Branche hat sich her­
auskristallisiert, dass eine wesentliche Aufgabe der Benutzerinformation die Weitergabe von Warn- und Sicherheitshinweisen an den
Benutzer ist. Der Gesetzgeber hat dies seit den frühen 1990er-Jahren
mit immer stärkerer Vehemenz gefordert. Mit EN 82079-1 „Erstellen
von Gebrauchsanleitungen“ wurde 2012 der künstliche Oberbegriff
„sicherheitsbezogene Information“ geschaffen, der nun vier Aspekte
umfasst:
• Warn- und Signaleinrichtungen (akustisch, optisch, taktil); leider
sind diese nicht in EN 82079-1, wohl aber in EN ISO 12100 und
den Basisnormen für elektrische Haushaltsgeräte, medizintechnische Geräte usw. erwähnt.
• Warn- und Hinweisschilder am Produkt (sog. Produktsicherheitslabel)
• Sicherheitshinweise in einem einleitenden Abschnitt oder Kapitel
der Benutzerinformation
• Warnhinweise im Kontext der Benutzerinformation.
Fragen, die eine Risikobeurteilung beantworten soll:
• Welche Gefährdungen existieren in welchen Lebensphasen, bei
welchen Abläufen und Tätigkeiten?
• Welche technischen Schutzmaßnahmen wurden getroffen (Schutzeinrichtungen, Warneinrichtungen, Schilder)?
• Welche Schutzmaßnahmen muss der Anwender selbst treffen?
• Durch welche Verhaltensweisen kann sich der Anwender schützen, die Gefährdung meiden?
• Welche persönliche Schutzausrüstung ist erforderlich?
• Wie müssen die Nutzer qualifiziert sein, damit sie das Produkt
sicher gebrauchen können?
• Welche Normen wurden angewandt oder sind bei der Anleitungserstellung zusätzlich zu berücksichtigen?
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
All diese Fragen beantwortet eine professionell durchgeführte und
dokumentierte Risikobeurteilung. Damit leistet sie einen entscheidenden Beitrag zur lückenlosen Weitergabe sicherheitsbezogener
Informationen an den Benutzer. Es ist daher nicht erstaunlich, dass
gerade EN 82079-1 die Durchführung einer Risikobeurteilung im
Vorfeld der Anleitungserstellung verlangt (siehe Abschnitt 4.3 in
EN 82079-1).
Damit in Verbindung wird oft die Frage gestellt: Sollen Warnund Sicherheitshinweise in der Risikobeurteilung ausformuliert werden? Eine dogmatische Antwort ist nicht angezeigt. In aller Regel
sind jedoch die Personen, die Risikobeurteilungen durchführen (oder
durchführen sollten), keine Technischen Redakteure und damit keine
professionellen Texter. Es ist daher wünschenswert, dass sie die geforderten Inhalte von Sicherheits- und Warnhinweisen spezifizieren,
diese jedoch nicht ausformulieren. Sowohl die Entscheidung über die
Platzierung in der Anleitung als auch über die Formulierung sollte
dem ausgebildeten oder erfahrenen Technischen Redakteur überlassen bleiben.
4 Die Rolle des Technischen Redakteurs
bei der Risikobeurteilung
Eine besonders hitzige Diskussion ergibt sich seit einigen Jahren
über die Frage, ob Technische Redakteure Risikobeurteilungen selbst
durchführen sollten. Auch hier ist Dogmatismus nicht angezeigt. Naturgemäß gehört die Risikobeurteilung in den Produktentwicklungsprozess, da sie dazu dient, Maßnahmen festzulegen, die geeignet sind,
die festgestellten Risiken zu mindern. Aus diesem Grunde sind primär Konstrukteure und Entwickler aufgefordert, Risikobeurteilungen durchzuführen.
Jedoch fehlt es hier oft an der Fähigkeit, Sachverhalte, z.B. Gefährdungssituationen und -ereignisse, hinreichend klar und eindeutig
zu beschreiben. Dies ist zweifelsohne eine Fähigkeit, die Technische
Redakteure in ein Risikobeurteilungsteam einbringen können.
Andererseits sollte die Risikobeurteilung nicht auf die Technische Redaktion abgeschoben werden. Das wäre besonders dann fatal,
wenn es dem Produktentwicklungsprozess nachgelagert geschieht.
Dadurch kann sich die Risikobeurteilung zur schriftlichen As-builtDokumentation der bereits gemachten sicherheitsbezogenen Konstruktionsfehler entwickeln. Problematisch ist diese Verlagerung auf
die Technische Redaktion auch, weil viele Redakteure zwar Methodenkenntnisse in Bezug auf die Risikobeurteilung haben, nicht jedoch Detail-Know-how zur Sicherheitstechnik. Dass dies bei den
Konstrukteuren oft kaum besser aussieht, ist ein Skandal, aber gewiss
145
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
Qualifikationen für
professionelle Risiko­
beurteilung
Innerbetriebliche
Voraussetzungen
146
keine Rechtfertigung, die Aufgabe vom Tisch des Konstrukteurs auf
den des Technischen Redakteurs zu schieben.
Wer als Technischer Redakteur Risikobeurteilungen durchführen und dokumentieren soll, benötigt Folgendes:
• Profunde Kenntnis der in der jeweiligen Branche anzuwendenden
Beurteilungsmethoden
• Detailkenntnisse bezüglich der anzuwendenden Sicherheitsnormen, der Sicherheits- und Schutzmaßnahmen sowie deren korrekter Ausführung
• Die Fähigkeit, sicherheitstechnische Mängel zu erkennen
• Die Befugnis, im Unternehmen auf eine Korrektur hinzuwirken.
Die erforderlichen Fachkenntnisse sind zwar meist nicht vorhanden,
können jedoch durch Schulungen erworben werden. Wichtiger ist jedoch, dass Technische Redakteure ihren Teil des Sicherheitskonzepts
korrekt umsetzen können.
Dazu ist ein reibungsloser Informationsfluss aus der Konstruktion und Entwicklung zur Dokumentationsabteilung erforderlich. In
vielen Unternehmen sind die Randbedingungen, unter denen sicherheitsbezogene Informationen entstehen und verarbeitet werden, alles
andere als ideal. Der tekom-Leitfaden „Sicherheits- und Warnhinweise“ regt dazu an, Produktsicherheit in einem systematischen kollaborativen Prozess zu erarbeiten. Die folgenden Fragen sollten geklärt
werden, um dafür die Voraussetzungen zu schaffen:
• Wer soll wann und wie an der Risikoanalyse und der Entwicklung
von Maßnahmen zur Risikominderung beteiligt sein?
• Wie sollen Rückmeldungen und Erfahrungen aus dem Markt in
die sicherheitsbezogene Konstruktion mit einbezogen werden?
• Wer entscheidet letztlich über die Art der sicherheitsbezogenen
Information, deren Platzierung und Darstellung?
• Wer entscheidet ggf. über die Streichung bereits vorhandener
Informationen, die durch Weiterentwicklungen überflüssig geworden sind?
• Wer entscheidet über die Informationskanäle, in denen eine
sicherheitsbezogene Information platziert (oder auch gelöscht)
werden muss?
• Wie werden Entscheidungsprozesse intern dokumentiert, damit
sich das Unternehmen und seine Mitarbeiter im Haftungsfall gegen den Vorwurf der (groben) Fahrlässigkeit wehren können?
Die Risikobeurteilung ist ein bedeutender Teilschritt in der Entwicklung sicherer Produkte. Technische Redakteure benötigen Zugriff
auf die in der Risikobeurteilung enthaltenen Informationen, damit
sie sachgerecht Sicherheits- und Warnhinweise in die Benutzerinformation einarbeiten können. In vielen Fällen sind durch das geduldige
Nachfragen gerade von Technischen Redakteuren Verbesserungen
in der Bearbeitung von Risikobeurteilungen initiiert worden. Durch
Risikobeurteilung und Technische Kommunikation
die Beteiligung von Redakteuren an Risikobeurteilungssitzungen sind
die Beschreibungen von Risiken und Lösungsansätzen vielfach eindeutiger und verständlicher geworden. Dies kann man als Warnsignal
auffassen, aber auch als Ermutigung, sich weiterhin in diesem Thema
zu engagieren und dadurch letztlich das Berufsbild des Technischen
Redakteurs noch interessanter und vielfältiger zu gestalten.
5 Literatur
Heuer-James, Jens-Uwe / Schmeling, Roland / Schulz, Matthias (2014): Leitfaden
Sicherheits- und Warnhinweise. Stuttgart: tekom.
Mössner, Thomas (2013): Risikobeurteilung im Maschinenbau. Dortmund: BAuA
http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/F2216.pdf ?__
blob=publicationFile&v=9 [14.12.2015]
Schulz, Matthias (2011): Risikobeurteilung und Gefahrenanalyse: Methoden für Maschinen, Anlagen, Medizinprodukte und Apparate. Erkelenz: Sirantha.
147
Horst-Henning Kleiner
Die Bedeutung von Arbeitsschutzund Unfallverhütungsvorschriften
für die Technische Kommunikation
Bei der Durchsicht einschlägiger Anleitungen findet man häufig folgende Formulierungen:
„Die in der Betriebsanleitung aufgeführten Sicherheitshinweise,
die bestehenden nationalen Vorschriften zur Unfallverhütung
sowie eventuelle interne Arbeits-, Betriebs- und Sicherheitsvorschriften des Betreibers sind zu beachten.“
„Das mit Tätigkeiten an der Anlage beauftragte Personal muss vor
Arbeitsbeginn die Betriebsanleitung und hier besonders das Kapitel ‚Grundlegende Sicherheitshinweise‘ sowie geltende Vorschriften gelesen und verstanden haben.“
„Ergänzend zur Betriebsanleitung sind allgemeingültige gesetzliche und sonstige verbindliche Regelungen zur Unfallverhütung
und zum Umweltschutz zu beachten und von dem Betreiber
durch interne Betriebsanweisungen zu ergänzen.
Insbesondere sind aber die Betriebsanleitung und geltende Vorschriften so aufzubewahren, dass sie dem Bedien- und Wartungspersonal jederzeit zugänglich sind.“
So oder ähnlich fordern Hersteller die Betreiber von gewerblich einzusetzenden Produkten dazu auf, einschlägige Gesetzgebung, Unfallverhütungsvorschriften und sonstige Regelungen zu beachten, inklusive der Mahnung, die Anleitung den Mitarbeitern zur Verfügung zu
stellen und zu überwachen, dass sie verstanden und umgesetzt wird.
Wie sinnvoll und hilfreich sind solche Aufforderungen? Dienen
sie der Haftungsbegrenzung oder sollen sie Informationen ersetzen,
die man ggf. in der Anleitung vergessen haben könnte? Anscheinend
herrscht Unsicherheit, insbesondere dann, wenn die Inhalte dieser
Regelungen dem Hersteller gar nicht bekannt sind. Deshalb hier ein
Blick auf die Regelungen zur Betreiberseite.
1 Die europäische Ebene
Ausgehend vom Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen
Union (AUEV) sind sowohl für Hersteller als auch für Betreiber An148
Die Bedeutung von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften für die Technische Kommunikation
forderungen in Richtlinien formuliert. Allerdings sind im EU-Recht
die Regelungen zur Beschaffenheit von Arbeitsmitteln strikt von den
Regelungen zu ihrer Benutzung getrennt.
Für die Hersteller von technischen Arbeitsmitteln sind in den
einschlägig bekannten Richtlinien zur Produktsicherheit grundlegende und bindende Anforderungen zu Sicherheit und Gesundheitsschutz formuliert. Zur technischen Umsetzung können vom Hersteller harmonisierte Normen herangezogen werden, deren Erarbeitung
ebenfalls auf europäischer Ebene erfolgt.
Die Architektur der Gesetzgebung zum Arbeitsschutz auf der
Betreiber- bzw. Arbeitgeberseite ist ähnlich strukturiert. Auch hier
werden auf der europäischen Ebene Richtlinien formuliert, die von
den Mitgliedsstaaten in jeweils nationales Recht umzusetzen und zu
konkretisieren sind.
Abb.: Hersteller- und
Betreiberpflichten in
der europäischen und
deutschen Gesetzgebung
1.1 Die Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie
Übergeordnete Grundlage für die Anforderungen auf der Betreiberseite ist auf europäischer Ebene die Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie
89/391/EWG vom 12.06.1989, unter deren Dach eine Konkretisierung in weiteren 19 Einzelrichtlinien erfolgt. Sie dient der Verbesserung des Arbeitsschutzes und der Vermeidung von Konkurrenzsituationen zwischen den Mitgliedsstaaten infolge der Ausnutzung
wirtschaftlicher Standortvorteile auf Kosten des Arbeitsschutzes. Die
Die Grundlage des
europäischen Arbeitsschutzes
149
Die Bedeutung von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften für die Technische Kommunikation
Rahmenrichtlinie definiert Mindestanforderungen und deckt die wesentlichen Risiken im Bereich der Arbeitsumwelt für den Sicherheitsund Gesundheitsschutz sowie die Arbeitshygiene ab.
Bereits in dieser Richtlinie wird im Rahmen des allgemeinen
Arbeitsschutzes, insbesondere in Artikel 10, auf die Pflicht zur Unterweisung der Arbeitnehmer, z.B. bei der Einführung neuer Arbeitsmittel, sowie in Artikel 12 auf die Pflicht der Arbeitnehmer, ihre Tätigkeiten entsprechend der Unterweisung auszuüben, hingewiesen.
1.2 Konkretisierung in Bezug auf Arbeitsmittel
In der Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie 2009/104/EG als Einzelrichtlinie unter der Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie sind die Mindestvorschriften für die Bereitstellung und Benutzung von Arbeitsmitteln
formuliert. Der Artikel 8 beschreibt die Pflicht des Arbeitgebers zur
Unterrichtung der Arbeitnehmer:
Unterrichtung als
Arbeitgeberpflicht
„(1) Unbeschadet des Artikels 10 der Richtlinie 89/391/EWG
trifft der Arbeitgeber die erforderlichen Vorkehrungen, damit den
Arbeitnehmern angemessene Informationen und ggf. Betriebsanleitungen für die bei der Arbeit benutzten Arbeitsmittel zur Verfügung stehen.
(2) Die Informationen und die Betriebsanleitungen enthalten zumindest folgende Angaben in Bezug auf die Sicherheit und den
Gesundheitsschutz:
a) Einsatzbedingungen des jeweiligen Arbeitsmittels;
b) absehbare Störfälle;
c) Rückschlüsse aus den bei der Benutzung von Arbeitsmitteln
ggf. gesammelten Erfahrungen.
(3) Die Informationen und die Betriebsanleitungen müssen für
die betroffenen Arbeitnehmer verständlich sein.“
Betriebsanleitung
als Instrument zur
Unterrichtung
Ein Instrument zur Unterrichtung ist hier ausdrücklich die Betriebsanleitung des Herstellers des technischen Arbeitsmittels, von der
zudem Verständlichkeit in Bezug auf die jeweilige Zielgruppe gefordert ist.
Die in Abschnitt (2) geforderten Mindestangaben decken sich
mit den in Produktsicherheitsrichtlinien geforderten Mindestangaben
zu den jeweiligen Betriebsanleitungen.
2 Arbeitsschutz in Deutschland
Der deutsche Gesetzgeber hat die an die Hersteller adressierten
Richtlinien entweder als Verordnungen zum Produktsicherheitsgesetz oder als Einzelgesetze in nationales Recht überführt. Allen ge150
Die Bedeutung von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften für die Technische Kommunikation
meinsam ist die Forderung nach Benutzerinformationen, die mit dem
Produkt zu liefern sind.
Im Bereich des Arbeitsschutzes in Deutschland müssen sich
Betreiber, konkreter die Arbeitgeber, und ebenso die Arbeitnehmer
in der Erfüllung ihrer Pflichten an den nationalen Umsetzungen des
Europäischen Regelwerks orientieren.
2.1 Das Arbeitsschutzgesetz
Basis des deutschen Arbeitsschutzrechts ist das Arbeitsschutzgesetz,
welches die Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie 89/391/EWG umsetzt
und ihr inhaltlich entspricht. Demzufolge findet sich auch hier im
§ 12 die Arbeitgeberpflicht zur Unterweisung:
„Die Unterweisung umfaßt Anweisungen und Erläuterungen, die
eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind. Die Unterweisung muß bei der Einstellung, bei Veränderungen im Aufgabenbereich, der Einführung
neuer Arbeitsmittel oder einer neuen Technologie vor Aufnahme
der Tätigkeit der Beschäftigten erfolgen.“
Unterweisung
als Grundlage
sicherer Arbeit
Da die Unterweisung auch bei der Einführung neuer Arbeitmittel
zu erfolgen hat, spielen hier die Betriebsanleitungen der Hersteller
der Arbeitsmittel eine Rolle, da der Arbeitgeber hieraus die zu unterweisenden Informationen entnehmen bzw. auf sie hinweisen muss.
Nach § 12 sind die Beschäftigten verpflichtet, ihre Tätigkeiten entsprechend dieser Unterweisung und damit auch entsprechend den
Inhalten der Betriebsanleitungen auszuführen.
2.2 Verordnungen zum Arbeitsschutzgesetz
Ähnlich wie das deutsche Produktsicherheitsgesetz, das insgesamt
14 Richtlinien zur Produktsicherheit als Verordnungen in nationales
Recht umsetzt, sind auch zum Arbeitsschutzgesetz die Einzelrichtlinien unterhalb der Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie als Verordnungen
erlassen worden. Beispielhaft seien hier angeführt:
• Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)
• Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)
• Biostoffverordnung (BioStoffV)
• Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)
• Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV)
• Verordnung zu künstlicher optischer Strahlung (OStrV).
Die Bestimmungen der einzelnen Verordnungen werden durch technische Regeln konkretisiert, die von entsprechenden Ausschüssen erarbeitet werden.
Verordnungen als
nationale Umsetzung
151
Die Bedeutung von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften für die Technische Kommunikation
3 Die Betriebssicherheitsverordnung
Aufgrund des Arbeitsschutzgesetzes hat die Bundesregierung als
eine Konkretisierung der Bestimmungen die Betriebssicherheitsverordnung erlassen, die in novellierter Fassung seit dem 01.06.2015 in
Kraft ist. In Abschnitt 1, § 1 ist die Zielsetzung zu erkennen:
Betriebsanleitung
schafft Sicherheit
„Diese Verordnung gilt für die Verwendung von Arbeitsmitteln.
Ziel dieser Verordnung ist es, die Sicherheit und den Schutz der
Gesundheit von Beschäftigten bei der Verwendung von Arbeitsmitteln zu gewährleisten. Dies soll insbesondere erreicht werden
durch
1. die Auswahl geeigneter Arbeitsmittel und deren sichere Verwendung,
2. die für den vorgesehenen Verwendungszweck geeignete Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren sowie
3. die Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten.“
Bereits aus der Zielsetzung, Arbeitsmittel sicher zu verwenden, wird
deutlich, dass dazu sicherlich eine entsprechende Betriebsanleitung
erforderlich ist, die bezogen auf den Verwendungszweck (bestimmungsgemäße Verwendung) die notwendigen Informationen zur Sicherheit im Umgang mit dem Arbeitsmittel bereitstellt und Anforderungen an die jeweilige Qualifikation der Handelnden benennt.
Im Folgenden soll aufgezeigt werden, in welchen weiteren Abschnitten der Verordnung das Thema Betriebsanleitung eine Rolle
spielt.
Betriebsanleitung
als Informationsquelle
für Gefährdungs­
beurteilungen
3.1 Die Gefährdungsbeurteilung
In Abschnitt 2, § 3 ist der Arbeitgeber aufgefordert, eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen, um die bei der Verwendung der
Arbeitsmittel auftretenden Gefährdungen zu ermitteln und daraus
entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. In der damit verbundenen Informationsbeschaffung nach Absatz 4 spielen neben den
vom Ausschuss für Betriebssicherheit erarbeiteten Regeln zur Betriebssicherheit (nach § 21) auch Herstellerinformationen eine Rolle:
„(4) Der Arbeitgeber hat sich die Informationen zu beschaffen, die
für die Gefährdungsbeurteilung notwendig sind. Dies sind insbesondere die nach § 21 Absatz 4 Nummer 1 bekannt gegebenen Regeln und Erkenntnisse, Gebrauchs- und Betriebsanleitungen sowie
die ihm zugänglichen Erkenntnisse aus der arbeitsmedizinischen
Vorsorge. Der Arbeitgeber darf diese Informationen übernehmen,
sofern sie auf die Arbeitsmittel, Arbeitsbedingungen und Verfahren in seinem Betrieb anwendbar sind. Bei der Informationsbe-
152
Die Bedeutung von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften für die Technische Kommunikation
schaffung kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die vom
Hersteller des Arbeitsmittels mitgelieferten Informationen zutreffend sind, es sei denn, dass er über andere Erkenntnisse verfügt.“
Arbeitsgrundlage für die Gefährdungsbeurteilung und die daraus resultierenden Schutzmaßnahmen sind also auch die Gebrauchs- und
Betriebsanleitungen der Hersteller, die der Arbeitgeber entsprechend
dem letzten Satz des Absatzes 4 durchaus einer kritischen Betrachtung unterziehen soll.
3.2 Der Arbeitgeber als Hersteller
Arbeitsmittel müssen den für sie geltenden Gemeinschaftsrichtlinien
zur Produktsicherheit entsprechen und nur dann dürfen sie verwendet, also in Betrieb genommen werden. Das bedeutet natürlich, dass
sie mit einer den Richtlinienanforderungen entsprechenden Anleitung begleitet sein müssen und ohne diese nicht verwendet werden
dürfen. Die Lieferung der Anleitung zu einem späteren Zeitpunkt
darf also vom Arbeitgeber nicht akzeptiert werden.
Eine besondere Situation für den Arbeitgeber ist immer dann
gegeben, wenn er seine Arbeitsmittel selbst herstellt:
Richtlinienkonforme
Arbeitsmittel
„§ 5 (3) Der Arbeitgeber darf nur solche Arbeitsmittel zur Verfügung stellen und verwenden lassen, die den für sie geltenden
Rechtsvorschriften über Sicherheit und Gesundheitsschutz entsprechen. Zu diesen Rechtsvorschriften gehören neben den Vorschriften dieser Verordnung insbesondere Rechtsvorschriften, mit
denen Gemeinschaftsrichtlinien in deutsches Recht umgesetzt
wurden und die für die Arbeitsmittel zum Zeitpunkt des Bereitstellens auf dem Markt gelten. Arbeitsmittel, die der Arbeitgeber
für eigene Zwecke selbst hergestellt hat, müssen den grundlegenden Sicherheitsanforderungen der anzuwendenden Gemeinschaftsrichtlinien entsprechen.“
Bei diesen Arbeitsmitteln wird er selbst zum Hersteller und unterliegt
der Pflicht zur Erstellung einer Anleitung, die den Anforderungen
der jeweils geltenden Gemeinschaftsrichtlinien zur Produktsicherheit
entsprechen muss.
3.3 Die Pflicht zum Beachten
In § 6 wird darauf verwiesen, dass der Arbeitgeber dafür sorgen
muss, dass die erhaltenen Informationen, also auch Anleitungen,
Kennzeichnungen und Gefahrenhinweise auch tatsächlich beachtet
werden. Gerade an dieser Stelle wird deutlich, dass der Hinweis in der
Betriebsanleitung eines Herstellers, die darin enthaltenen Informationen zur Sicherheit zu beachten, überflüssig ist.
153
Die Bedeutung von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften für die Technische Kommunikation
3.4 Sicherheit in der Instandhaltung
Die Erfahrung zeigt, dass Tätigkeiten an Arbeitsmitteln, insbesondere an Maschinen und Anlagen, die jenseits des Normalbetriebs stattfinden, oftmals mit zusätzlichen Gefährdungen und höheren Risiken
einhergehen. Das betrifft vor allen Dingen Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten.
Wartung und Instandsetzung auf Grundlage
der Betriebsanleitung
„§ 10 Instandhaltung und Änderung von Arbeitsmitteln
(1) Der Arbeitgeber hat Instandhaltungsmaßnahmen zu treffen,
damit die Arbeitsmittel während der gesamten Verwendungsdauer
den für sie geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen entsprechen und in einem sicheren Zustand erhalten
werden. Dabei sind die Angaben des Herstellers zu berücksichtigen. Notwendige Instandhaltungsmaßnahmen nach Satz 1 sind
unverzüglich durchzuführen und die dabei erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen.
(2) Der Arbeitgeber hat Instandhaltungsmaßnahmen auf der
Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung sicher durchführen zu
lassen und dabei die Betriebsanleitung des Herstellers zu berücksichtigen. Instandhaltungsmaßnahmen dürfen nur von fachkundigen, beauftragten und unterwiesenen Beschäftigten oder von
sonstigen für die Durchführung der Instandhaltungsarbeiten geeigneten Auftragnehmern mit vergleichbarer Qualifikation durchgeführt werden.“
Hier wird zum einen gefordert, den sicheren Zustand des Arbeitsmittels immer wiederkehrend gegen die Herstellerinformationen zu prüfen und ggf. durch entsprechende, aus den Anleitungen abzuleitende
Maßnahmen wieder herbeizuführen. Das bedeutet natürlich, dass
eine Anleitung diese Informationen auch tatsächlich und umfänglich
beinhaltet. Betrachtet man dazu z.B. die Mindestanforderungen zur
Betriebsanleitung im Anhang I der EG-Maschinenrichtlinie, dann
wird man feststellen, dass dort insbesondere auf den Bereich Wartung und Instandsetzung abgehoben wird. Inhaltliche Anforderungen aus Richtung des Arbeitsschutzes sind demzufolge nicht notwendig. Das unterstreicht nochmals die strikte Trennung der gesetzlichen
Regelungen für die Hersteller- und Betreiberseite.
Auch in diesem Zusammenhang wird in Abschnitt (2) auf die
Pflicht zur Unterweisung verwiesen, die in § 12 der Betriebssicherheitsverordung ausführlich behandelt wird.
3.5 Die Pflicht zur Unterweisung
Einen wichtigen Aspekt des Arbeitsschutzes stellt die Unterweisung
der Beschäftigten dar. Zielsetzung ist, auf die Gefährdungen und Risiken sowohl im Umgang mit den Arbeitsmitteln als auch in der Ar-
154
Die Bedeutung von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften für die Technische Kommunikation
beitsumgebung hinzuweisen, um damit sicherheitsgerechte Arbeitsweisen zu veranlassen.
Der § 12 behandelt dieses Thema umfassend. Das zentrale Instrument zur Unterweisung ist hier die schriftliche Betriebsanweisung,
die auf der Basis der ihm zur Verfügung stehenden Informationen
vom Arbeitgeber in verständlicher Form und Sprache zu verfassen
ist. Das ist, so gesehen, eine Aufgabenstellung, zu deren Umsetzung
das in der Technischen Kommunikation bekannte Wissen herangezogen werden muss, also eigentlich eine Aufgabe auch für Technische
Redakteure.
Eine besondere Rolle der Betriebsanleitung, bzw. wie es dort
heißt Gebrauchs- oder Bedienungsanleitung, wird in Abschnitt (2)
beschrieben. Die mitgelieferten Anleitungen des Herstellers können
an die Stelle der Betriebsanweisung treten, wenn sie deren notwendige Inhalte ebenfalls abdecken.
„§ 12 (2) Bevor Beschäftigte Arbeitsmittel erstmalig verwenden,
hat der Arbeitgeber ihnen eine schriftliche Betriebsanweisung
für die Verwendung eines Arbeitsmittels zur Verfügung zu stellen. Satz 1 gilt nicht für einfache Arbeitsmittel, für die nach § 3
Absatz 4 des Produktsicherheitsgesetzes nach den Vorschriften
zum Bereitstellen auf dem Markt eine Gebrauchsanleitung nicht
mitgeliefert werden muss. Anstelle einer Betriebsanweisung kann
der Arbeitgeber auch eine mitgelieferte Gebrauchsanleitung zur
Verfügung stellen, wenn diese Informationen enthält, die einer
Betriebsanweisung entsprechen. Die Betriebsanweisung oder die
Gebrauchsanleitung muss in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache abgefasst sein und den Beschäftigten
an geeigneter Stelle zur Verfügung stehen. Die Betriebsanweisung
oder Bedienungsanleitung ist auch bei der regelmäßig wiederkehrenden Unterweisung nach § 12 des Arbeitsschutzgesetzes in
Bezug zu nehmen. Die Betriebsanweisungen müssen bei sicherheitsrelevanten Änderungen der Arbeitsbedingungen aktualisiert
werden.“
Aufgabenstellung
für die Redaktion
Anforderungen
an die Anleitung
Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass es zu den Pflichten des Arbeitgebers gehört, sich mit den Inhalten von Anleitungen auseinanderzusetzen und für ihre innerbetriebliche Umsetzung zu sorgen.
4 Unfallverhütungsvorschriften
Ein besonderes deutsches eigenständiges Regelwerk stellen die Unfallverhütungsvorschriften (UVVen) dar. Erlassen durch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung DGUV sind sie mit derzeit 84
Unfallverhütungs­
vorschriften als
bindendes Regelwerk
155
Die Bedeutung von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften für die Technische Kommunikation
DGUV-Vorschriften und zahlreichen weiteren Regeln, Informationen und Grundsätzen ein umfassendes, vor allem in Richtung der
DGUV-Vorschriften bindendes Regelwerk, das seinerseits auf das
Arbeitsschutzgesetz und weiteres staatliches Regelwerk verweist. Sie
stellen für jedes Unternehmen und für jeden Beschäftigten (Versicherten) verbindliche Pflichten bezüglich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz dar.
Wie zu erwarten, ist auch hier der Verweis auf die Einhaltung
der Unfallverhütungsvorschriften in Anleitungen von Herstellern
überflüssig. Denn bereits in der DGUV Vorschrift 1 wird auf die Unterweisungspflicht gemäß Arbeitsschutzgesetz und die Vermittlung
der Inhalte weiterer Unfallverhütungsvorschriften verwiesen. Zudem
verpflichtet der § 15 die Arbeitnehmer (Versicherten) zum Befolgen
der Anweisungen, die sie vom Unternehmer (Arbeitgeber) erhalten
haben. Das erstreckt sich, wie aus dem Vorhergehenden zu ersehen,
auch auf Anleitungen zu Arbeitsmitteln.
5 Fazit
Spätestens in der Auseinandersetzung mit der Betriebssicherheitsverordnung, die übrigens auch in den Herstellerbetrieben umzusetzen
ist und damit bekannt sein sollte, wird klar, dass eingangs zitierte
Verweise in Anleitungen auf die Betreiberpflichten völlig überflüssig sind. Gesetzliche Pflichten der Betreiber/Arbeitgeber und selbst
der Arbeitnehmer sind auch ohne Aufforderung durch die Hersteller
zwingend umzusetzen.
Anleitungen sollen produktspezifische Informationen enthalten
und insbesondere zu den Gefährdungen und Risiken Stellung nehmen, die im Umgang mit dem Produkt auftreten. Wie aus den zitierten Gesetzen ersichtlich, sind Anleitungen im Arbeitsbereich ein
Baustein in der Unterweisungspflicht.
Wenn man von der Forderung nach Verständlichkeit in Bezug
auf die Zielgruppen absieht, finden sich in den oben angeführten
gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz keine konkreten formalen oder inhaltlichen Vorgaben, die an die Produkthersteller gerichtet
sind. Sie müssen sich an ihren Regelwerken orientieren und vor Augen haben, dass die Qualität des Arbeitsschutzes auch von der Qualität ihrer Anleitungen abhängt.
156
Peter Ebenhoch
Auswirkungen von ComplianceRegelungen auf Technische
Kommunikation
1 Technische Dokumentation in VUKA-Zeiten
1.1 Bedienungs- oder Managementfehler?
Am 4. Februar 2015 startete in Taipeh eine ATR 72 mit 58 Personen an Bord. 37 Sekunden nach dem Start gab es eine Feuerwarnung
an einem der zwei Triebwerke. Der Flugkapitän wollte es abschalten, betätigte aber den falschen Hebel und stoppte irrtümlicherweise
das intakte Triebwerk. Die Maschine verlor dadurch an Höhe, drehte
sich auf eine Seite, traf mit der nach unten zeigenden Tragfläche eine
Brücke und stürzte schließlich ab. Der Unglückspilot starb mit 42
weiteren Menschen an Bord. Seine letzten vom Voicerekorder überlieferten Worte waren: „Wow, habe den Hebel auf der falschen Seite
gezogen“. 1
Am 31. Oktober 2014 stürzte das Raumflugzeug ­SpaceShipTwo
ab. Der Pilot hatte bei Mach 0,82, bereits 13 Sekunden nach der
Raketenzündung, das Federsystem entriegelt. Das klappte sich daraufhin wegen der Luftströmung von selbst aus, obwohl dies erst 26
Sekunden nach dem Start bei Mach 1,4 hätte erfolgen sollen. Das
Raumflugzeug zerbrach über der Mojave-Wüste im Westen der USA.
Als Unfallursache galt deshalb ein „Pilotenfehler“, obwohl diese
Beurteilung die Begleitumstände (extreme Beschleunigung, nahe
Schallgeschwindigkeit, erster Testflug eines Raumflugzeugs, enges
Pilotencockpit und -anzüge) außer Acht lässt. Zudem war genau diese mögliche Absturzursache drei Jahre zuvor in einer Risikoanalyse
erkannt und in einer E-Mail und einer Powerpoint-Präsentation erwähnt worden. Die zuständige Luftfahrtbehörde FAA tolerierte das
Problem aber, weil sie keinen Experten zur Einschätzung menschlicher Fehler hatte. 2
In beiden Fällen geht es um technische Compliance. Dieser Beitrag möchte klären, welche Rolle technische Compliance in Bezug
auf die Technische Dokumentation hat.
1 http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/transasia-flugzeugabsturz-durch-pilotenfehler-verursacht-13680924.html [15.07.2015].
2http://www.heise.de/newsticker/meldung/Pilotenfehler-fuehrte-zu-Absturz-des-Space-ShipTwo-2764544.html [30.07.2015].
157
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
1.2 Volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig?
VUKA ist ein Akronym für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität
und Ambiguität. Es bezeichnet im unternehmerischen Kontext Situationen, in denen etablierte Führungsmechanismen wie Hierarchie,
Planung, Macht, Kontrolle nicht mehr richtig greifen. 3 Als Ursache
dafür werden Auswirkungen aktueller Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte wie Globalisierung, Digitalisierung, Wettbewerbsdruck, Diversität, disruptive Veränderungen usw. gesehen.
Die von VUKA umschriebenen Umstände sind nicht per se
negativ. Es zeigt sich aber immer öfter, dass diese etablierte Managementmethoden überfordern. Es werden alternative Methoden
angeboten: Teamorientierung, partizipative Führung, stärkere Kundenorientierung, eine kürzere Taktung der Planungsintervalle und
mehr Transparenz im Unternehmen.
Strategieentwicklung war früher oft eine exklusive Angelegenheit der Geschäftsleitung und von teuer entlohnten Strategieberatern.
Heute wird mehr auf eine stete, iterative und integrative Strategieentwicklung unter Mitwirkung aller Mitarbeiter gesetzt.
1.3 Agile Methoden
Nicht mehr so angesagt sind auch klassische Projektmanagement­
methoden wie das V-Modell. 4 Es sieht vor, dass jedes Projekt vor
dem Projektbeginn bis ins Detail durchgeplant wird, sodass möglichst keine Planungsänderungen notwendig sind und dass in Bezug
auf die Projektdauer, auf Kosten und Risiken eine möglichst hohe
Kongruenz der ursprünglichen Planung und der Umsetzungsrealität
erzielt werden kann.
Stattdessen sind agile Methoden wie z.B. Scrum angesagt. Diese
kommen aus der Softwareentwicklung und finden im Managementkontext immer mehr Anklang (http://agilemanifesto.org/iso/de/).
Anstatt ein Projekt von vornherein durchzuplanen und dann
stur umzusetzen, soll unter Einbindung des Kunden im Wochentakt
oder gar täglich geprüft werden, welche Erwartungen zu priorisieren
sind, was seit dem letzten Treffen umgesetzt werden konnte und welche Aufgaben im nächsten Arbeitsintervall (Sprint) anstehen.
1.4 Horizontale Hierarchisierung
Soziologen bezeichnen diese Veränderung als „horizontale Hierarchisierung“ (Bergknapp 2002, 277): Der Chef ist als hierarchisch
übergeordnete Autorität weniger wichtig. Stattdessen wird auf einer
horizontalen Ebene im Team mit Kunden und Projektbeteiligten lau 3 VUCA z.B. im Harvard Business Review: https://hbr.org/2014/01/what-vuca-really-means-foryou [15.07.2015].
4 Das V-Modell wird vorwiegend von staatlicher Seite genutzt: http://www.cio.bund.de/Web/
DE/Architekturen-und-Standards/V-Modell-XT/vmodell_xt_node.html [31.07.2015].
158
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
fend abgeklärt, wie mit den Erwartungen, Herausforderungen und
Widrigkeiten am besten umgegangen werden soll.
1.5 Auswirkungen von Ressourcenmangel und
Wettbewerbsdruck auf die Technische Redaktion
Die mit VUKA umschriebenen Phänomene führen zu immer kürzeren Produktzyklen, kürzeren Reaktionszeiten, höheren Innovationserwartungen, einer größeren Variantenvielfalt, weniger Budgets für
die Konzeption, Gestaltung, Übersetzung und das Lektorat.
Die Technische Redaktion sieht sich dadurch häufig unternehmensintern einem immer höheren Druck ausgesetzt und wird oft um
Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten beschnitten.
1.6 Texthäppchen – schwer verdaulich?
Die ohne Zweifel effiziente modulorientierte Dokumentation führt
nicht selten dazu, dass Technische Redakteure kontextarm und unter
Zeitdruck einzelne Textfragmente erstellen müssen.
Im Raster der von einer Unternehmenssoftware generierten
Stückliste müssen in aleatorischer Abfolge und nicht selten unter einer quantitativen Erfolgskontrolle atomare Textmodule erstellt und
angepasst werden. Es besteht kaum Einfluss auf die spätere Textkohärenz und auf die Layoutierung.
Etwaige resultierende Mängel werden allerdings der Redaktion angelastet. Die Zahl der Textmodule stellt das Erfolgskriterium
dar, weniger deren Qualität und Ausführlichkeit, die häufig als reiner
Kostenfaktor (für Papier, Lesezeit und Übersetzungskosten) gesehen
wird.
1.7 Auswirkungen von Industrie 4.0
Laut der Gartner Group, einem internationalen Technologie-Beratungsunternehmen, befindet sich das Internet der Dinge ganz oben
auf dem „Hype Cycle“. Damit ist der Zeitpunkt gemeint, an dem
sich ein Begriff vom Schlagwort zur technischen Alltagsrealität entwickelt (http://www.gartner.com/newsroom/id/2819918).
In Deutschland wird diese neue Technologie, bei der Objekte
über das Internet kommunizieren können, vorwiegend unter dem Begriff der Industrie 4.0 diskutiert und propagiert. 5
Produkte bleiben dadurch ihre ganze Lebenszeit hindurch parametrisierbar, nicht nur bis zum Zeitpunkt des Verkaufs. Industrieanlagen und Produktionsstrecken können als cyberphysikalische Systeme ‚on the fly‘ umgerüstet werden (Ebenhoch 2014b).
Diese durch Software ermöglichte technische Variabilität flexibilisiert die Eigenschaften eines technischen Produkts oder einer
5 Bundesministerium für Bildung und Forschung: Zukunftsprojekt Industrie 4.0.
159
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
Maschine, sodass sie sich einer statischen technischen Beschreibung
weitgehend entzieht.
Die Rolle der Technischen Dokumentation wird sich dadurch
stark verändern. Technische Redakteure werden zunehmend dafür
sorgen müssen, dass Abläufe und Rahmenbedingungen dokumentiert sind und dass die Generierung von Informationsprodukten
noch stärker automatisiert wird.
1.8 Ergebnis
Technische Redakteure haben es offenbar nicht leicht in VUKAZeiten: Hektik, Zeit- und Budgetknappheit, Automatisierung, Regulierung und Kundenerwartungen erzeugen einen hohen Druck und
schränken die Autonomie häufig ein.
Welche Rolle spielt nun Compliance in diesem Kontext? Ist sie
einfach eine weitere formelle Daumenschraube oder vielleicht sogar
ein Instrument zur Orientierung und zur qualitativen Unterstützung
der redaktionellen Arbeit?
Nach einer Einführung in Compliance wird zunächst die formelle Seite vorgestellt und anschließend das Konzept einer materiellen Compliance entwickelt, wie es zur Unterstützung und Verbesserung der Technischen Redaktionsleistungen genutzt werden kann.
2 Compliance – was ist das?
Laut den Pressemeldungen hatte der Unglückspilot im Mai 2014 ei­­nen
Simulatortest nicht bestanden, erst in der Nachprüfung klappte es.
Sollte man in diesem Fall, wie ein Leserkommentar mit dem Titel „Pilotenfehler? Nein Managementfehler [...]“ empfiehlt, das Management vor einen Richter stellen, weil es seine Aufsichtsfunktion
nicht ausgeübt hat? Dagegen spricht, dass der Pilot die Nachprüfung
doch bestanden hat und er und das Luftfahrtunternehmen die Auflage somit erfüllt haben.
Im zweiten Fall, dem Absturz des SpaceShipTwo, gab es gar
keine behördliche Auflage, auch nicht zur technischen Verhinderung
eines solchen Fehlverhaltens.
Was hat es damit auf sich? Kann das Management oder gar die
Behörde für ein individuelles Fehlverhalten des Piloten verantwortlich sein? Könnte auch die Technische Redaktion für die fehlerhafte
Gestaltung von Trainingsunterlagen verantwortlich gemacht werden?
2.1 Herkunft: Compliance als ‚Therapietreue‘
Der Begriff der Compliance stammt aus der Medizin. Er bezeichnet
die aktive Mitwirkung des Patienten bei der vom Arzt empfohlenen
Therapie.
160
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
Der Patient verhält sich ‚compliant‘, wenn er sich an die vom
Arzt verordneten Maßnahmen hält, die zu seiner Gesundung führen
sollen: Er nimmt also die vorgeschriebenen Medikamente ein und
hält sich an ärztliche Empfehlungen wie regelmäßige Bewegung, Mäßigung beim Alkoholkonsum, Verzicht auf Nikotin usw.
2.2 Compliance als Regeltreue
Compliance bezeichnet ein Verhalten, bei dem man die verordneten
Regeln einhält. Die Überschneidung mit dem Begriff Rechtskonformität ist offensichtlich. In der Tat wird der Begriff der Compliance
auch häufig synonym zu Rechtskonformität verwendet.
Ein Unterschied besteht darin, dass ein Rechtsverstoß in der Regel erst im Nachhinein rechtlich verfolgt und sanktioniert wird. Also
erst dann, wenn sich ein Gefahrenpotenzial, in der Juristensprache
ein „Erfolg“, aktualisiert hat, also schon etwas passiert ist.
Compliance-Vorschriften hingegen zielen auf die Vermeidung
von Schäden im Vorhinein. Entsprechend kann die Nichteinhaltung
von Compliance-Vorschriften durch die zuständige Behörde auch
rechtlich verfolgt werden, wenn noch gar kein Schaden eingetreten ist
oder vielleicht sogar gar keiner eintreten würde. So werden z.B. beim
RAPEX-Verfahren Produkte aus dem Verkehr gezogen, die nicht
den technischen Richtlinien entsprechen, unabhängig davon, ob sie
gefährlich sind oder nicht (http://ec.europa.eu/consumers/safety/
rapex/alerts).
2.3 Welchen Vorteil bieten Compliance-Regeln?
So wie der Arzt dem Patienten schlecht verordnen kann, gesund zu
werden, so wenig kann der Gesetzgeber einem Luftfahrtunternehmen verbieten, Flugzeuge abstürzen zu lassen. Und so einfach wie
der Arzt dem Patienten Bewegung und gesunde Ernährung verordnen kann, so einfach kann der Gesetzgeber Auswahl, Schulung und
das Training von Piloten festlegen. Der Vorteil für den Patienten dabei: Welche Bewegung der Patient macht und ob er Obst und Gemüse lieber am Vor- oder Nachmittag und roh, gedünstet oder durchgekocht isst, bleibt weitgehend ihm überlassen. Der Vorteil für das
Luftfahrtunternehmen: Welche Pilotinnen und Piloten es auswählt,
wo die Schulung stattfindet, wie es diese organisiert usw., bleibt ihm
überlassen.
Der Gesetzgeber tut sich zudem schwer, in technischen Detailfragen rechtliche Vorgaben zu setzen. Deshalb gibt es seit fast 100
Jahren eine Aufgabenteilung zwischen dem Recht und der Technik.
Erstere regelt die verbindlichen sicherheitsbezogenen Ziele, letztere
sieht technische Empfehlungen vor, wie die rechtlich geforderten Sicherheitsmaßstäbe konkret umgesetzt werden können.
Compliance-Regeln bieten also den Vorteil, dass das Unterneh161
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
men selbst entscheiden kann, wie es diese ausgestaltet und welche
Abläufe es vorsieht, um regeltreu zu handeln. Compliance ist demnach ein Konzept zur regulierten Selbstregulierung, das Freiräume
zur innerbetrieblichen Ausgestaltung rechtlicher Vorschriften vorsieht (Ebenhoch 2009).
2.4 Compliance und Controlling
Controlling ist ein innerbetriebliches Managementinstrument zur
Nachprüfung, ob selbst gesetzte Ziele erreicht worden sind. Controlling wird in der Regel in im Vorhinein definierten Intervallen durchgeführt.
Compliance ist ein vom Rechtssystem zwingend in Organisationen installiertes Instrument zur eigenen Entlastung und Komplexitätsreduktion, das vorbeugend wirken soll.
Ganz im Sinne des Risikomanagements empfiehlt sich die proaktive Installation eines Compliance-Managements, das sich im Vor­
aus um die Risikoreduktion kümmert. Häufig wird die Einrichtung
eines unternehmensinternen Compliance-Beauftragten und einer
Compliance-Organisation aber rechtlich gefordert, insbesondere bei
Banken zur Vermeidung von Geldwäsche. Dadurch wird im Unternehmen Regeltreue vorweg installiert und institutionalisiert.
Im Unterschied zum Controlling wirkt eine solche institutionalisierte Compliance-Organisation also im Vorhinein.
3 Technische Normung als Compliance-Regeln
3.1 Entstehung der technischen Normung
Vor mehr als 100 Jahren führte die industrielle Revolution zu Innovationen wie Druckkessel, Transformatoren und Eisenbahn. Dadurch
entstand ein neues Gefahrenpotenzial, das sich zu Beginn dieser technischen Entwicklungen häufig realisierte. Druckkessel explodierten,
Transformatoren brannten aus, Eisenbahnen stießen zusammen. Wegen der zahlreichen Unfälle wurde die Gesetzgebung auf den Plan
gerufen. Natürlich wollte sie diese gefährlichen technischen Produkte, Maschinen und Anlagen regeln und kontrollieren – und zwar mit
juristischen Mitteln.
Dies wiederum beunruhigte die Unternehmen und ihre Ingenieure. Sie befürchteten, von technischen Laien eingeschränkt zu werden und dadurch das Potenzial dieser neuen Technologien nicht oder
nicht rasch genug ausschöpfen zu können (Vec 2006). Dem wollten
sie vorbeugen und gründeten firmenübergreifend Verbände, die sich
um technische Sicherheit kümmern sollten.
Dazu sollten Rahmenvorgaben erarbeitet werden, die als ‚Leitplanken‘ der technischen Entwicklung die notwendige Grundsi162
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
cherheit gewährleisten und dies auch der Rechtsetzung gegenüber
glaubhaft gewährleisten können. Dies war die Geburtsstunde der
technischen Normung.
Der Plan ging auf: Schließlich war auch der Gesetzgeber erleichtert, sich nicht in diese technischen Feinheiten im Allgemeinen und
im Einzelfall vertiefen zu müssen.
Er kann heute einfach prüfen, ob das CE-Zeichen angebracht
ist und ob das vorgesehene Verfahren dazu (z.B. eine Risikoanalyse,
eine Bauartprüfung) eingehalten wird.
3.2 Funktionsweise des New Approach
Möglich macht dies das Aufgreifen und die rechtliche Institutionalisierung dieses Konzepts in den 1980er-Jahren im Rahmen der Europäischen Union, um so eine einheitliche technische Normung für den
gemeinsamen Markt zu schaffen. Bis dahin waren in jedem einzelnen
Land der damaligen Europäischen Gemeinschaft die jeweiligen lokalen Regeln maßgeblich.
Es wurden im Rahmen des New Approach europaweite
Richtlinien (mit Rechtswirkung) eingeführt, an die die europäische
Normung andocken konnte. Rechtlich werden dabei allgemeine sicherheitsbezogene Vorschriften festgelegt, die konzertierte Konkretisierung erfolgt durch die in Europa harmonisierte Normung.
3.3 Rechtliche Bedeutung des New Approach
Rechtlich bedeutsam sind an sich lediglich die (derzeit 33) im Rahmen des New Approach verabschiedeten Richtlinien.
Theoretisch bleibt es die alleinige Sache jedes Unternehmers,
welche technischen Wege er geht, um diese Rechtsvorschriften einzuhalten. Im Fall des Falles, wenn also ein Schaden eintritt, muss er
allerdings nachweisen, wie und warum er diese Vorgabe konkret sicherheitstechnisch umgesetzt hat.
Praktisch dürfte das nicht einfach sein und vom technischen
Sachverständigen, der in solchen Fällen regelmäßig vom Richter beauftragt wird, ausführlich nachgeprüft werden. Der Maßstab dafür
wird in der Regel die einschlägige technische Norm sein. Die wurde
ja von branchenspezifischen Fachleuten erstellt, um die rechtlichen
Vorgaben zu konkretisieren. Bei einer abweichenden technischen
Umsetzung müsste der Unternehmer nachweisen, dass seine Lösung
ebenso sicher ausfiel wie die von den Sachverständigen in der technischen Norm vorgeschlagene. Das dürfte recht schwierig sein.
3.4 Bedeutung in der Dokumentationspraxis
Rechtlich maßgeblich für die Dokumentationspraxis und normative
Referenz ist und bleibt die einschlägige EU-Richtlinie nach dem New
Approach.
163
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
Technische Normen erleichtern aber die Umsetzung in der Praxis und sind zudem auch eine wertvolle Unterstützung für die technische Redaktionsarbeit, einerseits als Konkretisierung der EU-Richtlinien, andererseits als legitime Argumentationshilfe für die interne
Verankerung der redaktionellen Tätigkeit.
4 Formelle Compliance
Formelle Compliance ist die eigentliche, rechtliche Compliance. Ihr
wird im nachfolgenden Kapitel die materielle Compliance gegenübergestellt, die hier als Begriff neu eingeführt wird.
4.1 Organisationsverschulden
„Wer zu einer Handlung verpflichtet ist und nicht selbst handelt, sondern seiner Verpflichtung durch den Einsatz von Hilfspersonal nachkommt, der muss für Einsatz, Anleitung und Kontrolle des Hilfspersonals sorgen.“
Diese Bestimmung des § 823 BGB ist die Grundlage für das sogenannte Organisationsverschulden. Damit ist gemeint, dass ein Geschäftsführer oder Vorstand eines Unternehmens nicht nur für sein
eigenes direktes Fehlverhalten haftet, sondern auch für regelwidriges
Verhalten seines Personals.
Daraus lässt sich z.B. auch die Pflicht der Geschäftsführung ableiten, Vorsorge zur ordnungsgemäßen Erstellung Technischer Dokumentation gemäß den EU-Richtlinien zu treffen.
4.2 Ausdrücklichkeit und Schriftlichkeit
Niemand muss grundsätzlich über sein rechtskonformes Verhalten
Buch führen. Und wird Verhalten als rechtswidrig sanktioniert, so
helfen Einwände dagegen nur bedingt. Wer z.B. einem anderen absichtlich ein Bein stellt, sodass dieser stürzt und sich verletzt, hat
offenbar und je nach Umstand direkt den Schaden verursacht und
kann wegen Körperverletzung belangt werden. Es ist hier (mehr oder
weniger) offensichtlich, dass eine Rechtsvorschrift schuldhaft verletzt
worden ist.
Geht aber eine Maschine kaputt, weil die Wartungsanleitung unvollständig war oder das falsche Schmiermittel vorgesehen hat oder
stirbt gar jemand wegen eines Bedienungsfehlers an einer Maschine,
ist die Angelegenheit komplizierter.
Hier hat das menschliche Verhalten nicht direkt, sondern durch
das zwischengeschaltete technische Artefakt (Produkt, Maschine, Anlage) den Schaden verursacht. Es ist deshalb unklar, ob tatsächlich
eine Rechtsvorschrift verletzt worden ist – auch wenn alle rechtlichen
Sicherheitsvorschriften und technischen Normen beachtet worden
164
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
sind, können sich Restrisiken verwirklicht und zu Schäden geführt
haben.
Der einfachste Weg, um das zu prüfen, ist die Nachprüfung,
ob alle von EU-Richtlinien und technischen Normen vorgesehenen Com­pliance-Regeln eingehalten worden sind, also vorgesehene
Verfah­ren durchgeführt worden sind und geforderte Dokumente vorliegen.
Die Einhaltung von Compliance-Vorschriften ist deshalb die
eine Aufgabe, die andere, gleich wichtige, diese Einhaltung zu dokumentieren.
Während für die Öffentlichkeit bestimmte Informationsprodukte in der Regel ohnehin verfügbar sein sollten, können interne
Abläufe mit Hilfe von Prozessmodellierungs-Werkzeugen einfach visuell dargestellt und dokumentiert werden (Ebenhoch 2011). Aber
auch firmeninterne Notizen, Memos und E-Mails können im Fall des
Falles rechtsrelevant verwertet werden.
4.3 Schulungsaufgabe
Aus dem oben genannten § 823 BGB ergeben sich auch die Anforderungen an die Geschäftsführung für eine adäquate Auswahl und
Ausbildung der zur Technischen Dokumentation beauftragten Mitarbeiter. Argumentative Unterstützung findet sich neuerdings auch in
der EN 82079-1.
4.4 Überwachung und Kontrolle
Das Etablieren eines normenkonformen Prozesses ist das eine, die
adäquate Ausführung und nachhaltige Sicherung der Einhaltung das
andere. Überwachung und Kontrolle gehören deshalb auch zu Aufgaben, die sich aus dem Compliance-Modell ergeben. Aus Sicht der
Technischen Redaktion ist das eine inhaltliche, formale und layoutbezogene Qualitätsprüfung, des Weiteren hinsichtlich terminologischer
Aspekte und hinsichtlich der Übersetzungsqualität.
Ein Problem, das sich daraus ergeben kann, besteht in der modulorientierten Umsetzung von Technischer Dokumentation, die
häufig die frühere, dokumentenbezogene abgelöst hat.
Bei vielen Systemen vermindert oder verunmöglicht dies die
Ad-hoc-Eingriffsmöglichkeit Technischer Redakteure und so können
durch fehlerhafte Generierungsmechanismen leicht Serienfehler entstehen.
4.5 Kennzahlen
Technische Dokumentationsprozesse und auch die Einhaltung von
Compliance-Vorschriften können mit Kennzahlen ergänzt werden.
Die Prozessqualität wird so quantifiziert und bewert- bzw. steuerbar
gemacht.
165
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
Mit Bezug auf Compliance ist dabei die Unterscheidung zwischen Kennzahlen wichtig, die zur aktiven Steuerung eines Pro­zesses
im Vorhinein nützlich sind, und solchen, die eine Bewertung im
Nach­hinein erlauben (in der Fachterminologie: lead indicators vs. lag
indicators).
So kann ins Marketing investiert werden (lead), um die Verkäufe
zu steigern und so den Gewinn zu erhöhen (lag). Die direkte Erhöhung des Gewinns hingegen ist schwierig, weil er das Ergebnis der
wirtschaftlichen Tätigkeit darstellt. Der übliche Versuch, das doch
hinzubekommen, besteht darin, einfach die Kosten zu senken. Das
geht aber nur so lange gut, bis es den Kern der wirtschaftlichen Tätigkeit trifft.
4.6 Systeme zur Autorenunterstützung
Die Ermittlung von Kennzahlen ist ihrerseits mit Aufwand verbunden. Im Bereich Technischer Dokumentation erleichtern Autorenunterstützungssysteme die automatische Gewinnung einiger relevanter Kennzahlen: Satzlänge, Zahl der verwendeten Fremdwörter, die
Umsetzung regelbasierten Schreibens usw. – all dies lässt sich bei der
Integration in ein Redaktionssystem automatisch ermitteln und dokumentieren.
5 Materielle Compliance
Compliance wird gemeinhin lediglich als rechtlich-formelle Compliance verstanden. Im Fall des Falles, wenn also rechtliche Probleme
auftauchen, zählen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens schließlich
auch Fakten und Nachweise darüber, ob Compliance-Regeln eingehalten worden sind.
Der Begriff einer materiellen Compliance scheint deshalb entbehrlich. In der Praxis führt dies allzu oft dazu, dass den formalen
Anforderungen nur pro forma Genüge getan wird, der fachliche und
handwerkliche Aspekt aber auf der Strecke bleibt. Trotz der Einführung eines Berichtswesens, von modularen Dokumentationsprozessen, von Kennzahlensystemen und der Durchführung von Schulungen kann die entstehende Dokumentation immer noch erstaunliche
Mängel zeigen.
Um dem entgegenzuwirken, wird deshalb hier der Begriff der
materiellen Compliance etabliert und vorgestellt.
5.1 Begriff der materiellen Compliance
Unter materieller Compliance wird das subjektive Bestreben von
Technischen Redakteuren verstanden, die Regeltreue der erstellten
Dokumentation sicherzustellen. Es geht dabei darum, „eine Arbeit
166
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
um ihrer selbst willen gut zu machen“ (Sennett 2009). Zur materiellen
Compliance zählen deshalb
• eine fachliche Ausbildung und Interesse an der eigenen weiteren
Entwicklung
• technisches Verständnis und Interesse
• das Bestreben, zielgruppengerecht zu kommunizieren
• terminologische Sensibilität
• Neugier und Qualitätsstreben
• Klarheit über den Beitrag technischer Redaktionsleistungen für
die Wertschöpfung im Unternehmen
• und nicht zuletzt: Selbstbewusstsein und vielleicht sogar Stolz
über die Rolle als Technische Kommunikatoren.
5.2 Organisationstheoretische Aspekte materieller Compliance
Die systemische Optimierbarkeit und Effizienzsteigerung technischer
Redaktionsprozesse hat ihren Sinn und Nutzen, aber auch ihre Grenzen.
Die Modularisierung einzelner kleiner Informationsschnipsel,
die unternehmensweite Vereinheitlichung von Textblöcken für Sicherheitshinweise, die nahtlose Integration technischer Redaktionsprozesse in optimierte Konstruktions- und Fertigungsprozesse der
technischen Nutzung, die zunehmende Nutzung von Maschinenübersetzungen, all das hat seine Berechtigung und führt zu Kostensenkungen. Leicht bleibt dabei aber die Flexibilität auf der Strecke
und es geht der Bezug des entstehenden bzw. generierten Informationsprodukts zum dokumentierten Produkt oder zur dokumentierten
Anlage verloren.
Was dann oft entsteht, ist das, wofür Technische Dokumentation bei vielen Menschen bekannt ist: schwer oder gar nicht verständliche Dokumente, ohne Bezug zu den tatsächlichen Fragen, die bei
der Montage, Nutzung und Wartung von technischen Artefakten auftauchen, bestenfalls ein Anlass zur Heiterkeit. Compliance ist ohne
Zweifel ein guter Anlass, um dem entgegenzuwirken, aber kein Garant dafür.
5.3 Technische Dokumentation als Kulturtechnik
Mit einer Anspielung auf „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“ von Pirsig hat Crawford diese Auswirkungen der Industrialisierung Technischer Dokumentation prägnant kritisiert.
In seinem 2009 erschienenen Buch „Shop Class as Soulcraft“
beschreibt er im lesenswerten Kapitel „The Service Manual as Social
Technology“ (176–179) zunächst den Wert, den ein mit Herz und
Erfahrung geschriebenes Wartungshandbuch für einen Autoschrau167
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
ber haben kann, und dann die Mühsal industriell erstellter Dokumentationen, bei denen die Autoren seiner Meinung nach keinen Bezug
mehr zu den von ihnen dokumentierten Objekten haben (können
oder dürfen).
5.4 Beispiele für fehlende materielle Compliance
• Übersetzungsqualität der DIN EN 82079-1: Die Übersetzung der
EN 82079-1 ins Deutsche ist sehr mangelhaft, obwohl mit hoher
Sicherheit der korrekte Übersetzungsprozess eingehalten worden
ist und vermutlich alle Regeln zur Erstellung der Norm beachtet
worden sind.
• Getriebereparatur für einen Audi S8 (D2): Die Getriebereparatur
für dieses Liebhaberfahrzeug ist offiziell gut dokumentiert. Ein
Bekannter schreckte davor aber zurück, weil sie laut Vertragswerkstätte fast eine Woche gedauert hätte (>30 h), zu entsprechend
hohen Kosten. Ein darauf spezialisierter Mechaniker mit entsprechend viel Erfahrung konnte das Fahrzeug auf Basis seiner
handgeschriebenen Notizen locker innerhalb eines Arbeitstages
(8 h) reparieren.
5.5 Materielle Compliance aus Sicht des Unternehmens
Aus der Sicht des Unternehmens geht es bei der materiellen Compliance um die Auswahl fachlich begabter Mitarbeiter und um die
nachhaltige und wirkungseffiziente organisatorische Verankerung im
Unternehmen.
Den Compliance-Regeln soll also nicht nur pro forma Genüge
getan werden, sondern auch durch die interne Wertschätzung und
Anerkennung der Technischen Redaktion und deren Verankerung
schon früh im Wertschöpfungsprozess.
Anknüpfungspunkte und quasi Einfallstor für materielle Compliance sind die schon erwähnten rechtlichen Regelungen wie das
Organisationsverschulden und technische Normen wie die DIN EN
82079-1.
5.6 Zum Abschluss
Bei beiden Beispielen zu Beginn wurden übrigens die erwähnten
Compliance-Regeln von den Unternehmen beachtet: Im ersten Bei­­
spiel wurde die Nachschulung des Piloten offenbar erfolgreich durchgeführt, wenn auch im zweiten Anlauf. Im zweiten Fall wurden die
Ergebnisse der Risikoanalyse offenbar von der Behörde selbst nicht
ernst genommen und eine Ausnahme zur Compliance-Regel zugelassen. Es fehlte dort offenbar eine Person mit materiellem ComplianceVerständnis.
168
Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf Technische Kommunikation
6 Zusammenfassung
• Compliance ist ein Mittel zur Komplexitätsreduktion.
• Die Gesetzgebung entlastet sich, indem sie nur Rahmenbedingungen und Verfahren zur Erreichung technischer Sicherheit durch
die Unternehmen selber festlegt.
• Umsetzungsrelevante Details werden nicht durch Rechtsnormen
erzwungen, sondern in die technische Normung ausgelagert.
• Formelle Compliance erfordert die Einhaltung von Verfahrensvorschriften und Abläufen (z.B. die Durchführung einer Risikoanalyse).
• Mindestens so wichtig wie die Befolgung formeller compliancerelevanter Vorschriften ist die Dokumentation der Einhaltung.
• Ohne innere Bezugnahme, Engagement und ein ausgeprägtes
Qualitätsbewusstsein erschöpft sich formelle Compliance leicht in
leeren Verfahren und in Äußerlichkeiten.
• Aus Sicht einer solchen materiellen Compliance geht es um die
Redaktionsarbeit als Haltung und als wertschöpfende Tätigkeit zur
Qualitätssicherung.
• Die Regeln der formellen Compliance können als Argumenta­
tionsgrundlage zur Erreichung und Förderung materieller Compliance dienen.
• Technische Compliance und die aktive Rolle der Technischen Redaktion zur Mitwirkung und Moderation werden im Kontext einer
VUKA-Umwelt und angesichts technischer Entwicklungen (wie
Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge) zunehmend stärker
nachgefragt werden.
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Die Autoren: Biografische Notizen
Dipl.-Red. Jan Dyczka, geb. 1971, Studium der Technischen Redak­
tion an der Fachhochschule Hannover. Von 1998 bis 2001
Technischer Redakteur in einem mittelständischen Unternehmen in Hannover, seit 2002 Technischer Redakteur und Normenansprechpartner für TD-relevante Normen bei der Siemens
AG in Braunschweig. Seit 2003 tekom-Qualifizierungsberater.
Seit 2005 korrespondierendes und seit 2008 festes Mitglied im
tekom-Normenbeirat.
Dr. Peter Ebenhoch, PMP, CAS-HSG, geb. 1966, Studium der
Rechts­wissenschaften und Rechtsinformatik an den Universitäten Innsbruck und Wien, Dissertation über „Visualisierung und
Formalisierung compliancebezogener Rechtsnormen“. ICTProjektmanager, Experte für nachhaltige Unternehmenskommunikation und digitale Strategieentfaltung. Seit 2015 Management Consultant für Industrie 4.0 und Smart City Development
bei der effectas GmbH, Zürich.
Prof. Dr. Dagmar Gesmann-Nuissl, geb. 1963, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Heidelberg. Seit 2011 Inhaberin der Professur für Privatrecht und Recht des geistigen
Eigentums an der Technischen Universität Chemnitz. Zahlreiche Studien und Veröffentlichungen zum unternehmensbezogenen Innovations- und Technikrecht, Mitherausgeberin von
„Technikrecht – Rechtliche Grundlagen des Technologiemanagements“ sowie der Zeitschrift „Innovations- und Technikrecht (InTeR)“.
Dipl.-Ing. Torsten Gruchmann, geb. 1971, Studium der Physikalischen Technik an der Fachhochschule Münster. Bis 2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Münster,
Fachbereich Biomedizinische Technik. Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Use-Lab GmbH Steinfurt, ein
Dienstleistungsunternehmen für Medizingerätehersteller im Bereich Usability und User-Interface Design.
Prof. Dr. Jörg Hennig, geb. 1941, Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität zu Köln. Professor
für Linguistik des Deutschen und für Journalistik (Medienpraxis) am Institut für Germanistik I und am Institut für Journalistik der Universität Hamburg bis 2006. 1986–88 Vizepräsident
der Universität Hamburg. Seit 2007 Mitgesellschafter der Textagentur Hennig&Tjarks GbR.
171
Die Autoren: Biografische Notizen
Jens-Uwe Heuer-James, geb. 1967, Studium der Rechtswissenschaft,
Rechtsanwalt seit 1996, Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft; seit 1998 verantwortlich für den tekom-Rechtsdienst,
Mitglied des tekom-Normenbeirats. Arbeitsgebiete: Recht der
Technischen Dokumentation, Produkthaftungs- und Produktsicherheitsrecht, Vertragsrecht sowie die Vertretung vor Gericht
und gegenüber der Marktüberwachung.
Horst-Henning Kleiner, geb. 1950, seit 1988 Geschäftsführender Gesellschafter der tecteam Gesellschaft für Technische Kommunikation mbH in Dortmund. Arbeits- und Beratungsschwerpunkte: rechtliche Grundlagen der Technischen Dokumentation und
der CE-Kennzeichnung.
Dr. Claudia Michaela Klumpp, geb. 1975, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Tübingen. Von 2006 bis 2012
Rechtsanwältin und Rechtsberaterin in Stuttgart. Nach dem
Abschluss als Betriebswirtin an der Württembergischen Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie seit 2013 bei der tekom Referentin für Normen.
Gerhard Lierheimer, geb. 1958, Ausbildung im Bereich Hochfrequenz- und Luftfahrttechnik. Studium der Elektro- und Energietechnik. Seit 1991 Technischer Redakteur und Redaktionsleiter, seit 2000 Inhaber und Geschäftsführer der SL innovativ
GmbH. Stellvertretender Vorsitzender im RL-Ausschuss VDI
4500, Mitarbeit im AK Technische Dokumentation VDMA.
Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für TD
und Mitglied im Prüfungsausschuss der IHK.
Dr. Annette D. Reilly, geb. 1948, Studium der Englischen Literatur an
der Rice University und Brandeis University sowie Information
Systems an der George Washington University. Bis 2014 Senior
Staff Mitglied bei Lockheed Martin, Führungs- und Entwicklungsarbeit für ISO/IEC JTC 1/SC7/WG2, System- und Softwaredokumentation; Mitglied des IEEE Standards Association
Standards Board und IEEE Computer Society Standards Activity Board; vierfache Gewinnerin des IEEE-CS Outstanding
Contribution Awards.
Dipl.-Phys. Roland Schmeling, geb. 1966, geschäftsführender Gesellschafter der Schmeling + Consultants GmbH, Heidelberg, Unternehmensberatung für Technische Kommunikation. Seit 1999
Berater und Trainer, Schwerpunkte Informationsqualität, Analyse und Standardisierung, Konformität, Normung und strategische Entwicklung. Seit 2004 Lehrauftrag für Qualitätssicherung.
Fachzertifizierer des TÜV SÜD und Mitglied im tekom-Normenbeirat.
172
Die Autoren: Biografische Notizen
Matthias Schulz, geb. 1962, staatl. geprüft. Wirtschaftsassisstent
Fremdsprachen und Korrespondenz, staatl. geprüft. Übersetzer
Technik. 1985–1990 Aufbau und Leitung der Abteilung Technische Dokumentation bei Arburg Maschinenfabrik, Loßburg.
Seit 1990 selbständig als Technischer Übersetzer und Redakteur,
Berater für CE-Kennzeichnung und Maschinensicherheit.
Prof. Dr. Marita Tjarks-Sobhani, geb. 1948, Studium der Germanistik,
Anglistik und Pädagogik an der Universität Hamburg. Wissenschaftliche Angestellte an der Universität Hamburg, Kommunikationsberaterin in einem Münchner Elektro-Konzern. Seit
2007 Mitgesellschafterin der Textagentur Hennig&Tjarks GbR
und Professorin für Technische Redaktion und Studiengangsleiterin an der Hochschule für Angewandte Sprachen, München.
Philipp Windgassen, geb. 1982, Staatlich geprüfter und beeidigter
Übersetzer und Dolmetscher. Seit 2009 freiberuflicher Dolmetscher und Übersetzer für die englische Sprache. Seit 2011
Dozent für allgemeines sowie technisches Übersetzen und Dolmetschen an der Berufsfachschule und Fachakademie des SDI
München; außerdem seit 2013 Dozent im Studiengang Mehrsprachige Technische Redaktion an der Hochschule für Angewandte Sprachen, München.
Abraham de Wolf, geb. 1959, in den USA und Deutschland aufgewachsen, seit 1996 international als Jurist in der Softwarebranche tätig; Führungspositionen bei SAP und zwei US-Konzernen bis zur Selbständigkeit als Rechtsanwalt. Mandanten: z.B.
LucySoftware (maschinelle Übersetzung, SAP Translations).
Anwaltliche Schwerpunkte: Softwareverträge, Datenschutz und
Urheberrecht.
173
Index
A
Abschätzung des Risikos............................................ 138
Agentur für Technische Regulierung........................ 133
Agile Methoden........................................................... 158
Akt, kreativer.................................................................. 56
Alignment Package........................................... 29, 31, 32
Anlagebauvertrag........................................................... 43
Anleitungen, textfreie................................................... 98
ANSI Z535............................................... 76, 96, 97, 131
App................................................................................ 102
Arbeitsmittel....... 66, 135, 150, 151, 152, 153, 154, 155
Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie............................. 150
Arbeitsschutzgesetz............................................ 151, 156
Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie............... 149, 150, 151
aufgabenbezogene Risikobeurteilung.............. 140, 141
B
Berner Konvention....................................................... 53
Beschaffenheitsangabe................................................. 64
Beschaffenheit, übliche.......................................... 44, 46
Betriebssicherheitsverordnung................. 151, 152, 156
Beweislastumkehr.......................................................... 83
C
Case Law......................................................................... 60
CE-Richtlinien............................................................... 33
CE-Zeichen.................................................................. 163
CE-Zulassung.............................................................. 116
Code of Federal Regulations....................................... 76
Compliance. 6, 157, 160, 161, 162, 164, 165, 166, 167,
168, 169, 170
Controlling.......................................................... 162, 170
Copyright-Zeichen........................................................ 54
CPSC (Consumer Products Safety Commission)..... 75
D
Datenschutz................................................................. 173
174
Deliktsrecht.................................................................... 61
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung............... 155
Deutsches Institut für Normung.............................. 130
DIN EN 82079-1....... 23, 29, 95, 97, 99, 100, 101, 168
DIN EN ISO 21898..................................................... 69
DIN EN ISO 82079-1................................................. 22
DIN-Fachbericht 146................................................... 24
Discovery-Verfahren..................................................... 39
Dokumentation, modul­­­­orientierte............................ 159
Dokumentationspflicht................................... 38, 39, 40
Druckgeräterichtlinie........................................... 38, 136
E
e-discovery...................................................................... 74
EG-Maschinenrichtlinie 2006/42............ 43, 44, 68, 69
Eingehungsbetrug......................................................... 65
Einzelfallentscheidung.................................................. 61
EN 82079-1......... 23, 29, 94, 95, 97, 99, 100, 101, 144,
145, 165, 168
Endgeräte, mobile....................................................... 102
EN ISO 12100.................. 135, 136, 139, 140, 141, 144
EU-Richtlinien.... 86, 89, 116, 117, 128, 129, 130, 136,
141, 164, 165
EU-Verordnungen...................................... 128, 129, 130
EU-Verordnung Nr. 207/2012....... 117, 118, 122, 124
F
Fallrecht.......................................................................... 73
FDA (Food and Drug Administration)...................... 75
Fehlanwendung....................................................... 17, 32
Formen, multimediale................................................. 120
Freihandelsabkommen................................................. 72
G
Gebrauchsanweisung, elektronische....... 117, 118, 119,
120, 121, 122, 123
Gefährdung.......... 66, 96, 136, 138, 139, 142, 143, 144
Index
Gefährdungsbeurteilung................... 135, 152, 153, 154
Gefährdungssituation................................................. 142
Gefahrenanalyse......................................... 135, 136, 147
Gefahrenhinweis.................................................. 96, 153
Geschäftsbedingungen, Allgemeine........................... 27
Gesetz über technische Vorschriften......................... 86
Gestaltung, funktionale................................................ 99
Gewährleistung................................................. 38, 79, 83
Gewährleistungsrecht......................... 24, 26, 46, 51, 82
Guidelines for Preparation.......................................... 88
H
Haftung, deliktische...................................................... 84
Haftungsbegrenzung...................................... 48, 51, 148
Haftungsbegrenzungsklausel....................................... 50
Haftungsrecht................................................... 49, 72, 73
Haftungsrisiko.................................... 41, 50, 78, 79, 101
Handlungsanleitung........................................................ 9
Herstellerinformation.................................. 38, 152, 154
I
ICS-Code...................................................................... 127
Identifikationspflicht..................................................... 38
IEC 82079-1:2012/DIN EN 82079-1:2013.............. 95
IKEA-Klausel................................................................ 43
individualisiertes Informationsprodukt........................ 8
Information, sicherheitsbezogene............................ 144
Inhaltsverzeichnis....................................... 93, 94, 98, 99
Instandhaltung...................................................... 23, 154
Instanzenzug.................................................................. 61
Instruktionsfehler............................................. 25, 67, 71
Internet der Dinge............................................. 159, 169
interrogatories................................................................ 74
Inverkehrbringensrecht......................................... 43, 63
ISO 17100:2015.................................................... 78, 100
ISO Guide 37................................................................. 24
ISO/IEC 26514:2008........................................ 107, 114
ISO/IEC 27000........................................................... 109
ISO/IEC/IEEE 15289..................................... 109, 114
ISO IEC IEEE 26514.................................................. 99
ISO/IEC/IEEE 26531..................................... 112, 114
J
Jury...................................................... 73, 74, 75, 78, 131
K
Katze in der Mikrowelle........................................ 72, 80
Kennzahlen................................................. 165, 166, 170
Kindertee-Entscheidung.............................................. 66
Ko-Autor........................................................................ 55
Komplexitätsreduktion...................................... 162, 169
Konformitätsbewertungsverfahren................... 31, 116
Konformitätserklärung.......................................... 14, 39
Konformitätsnachweis......................................... 32, 133
Konnektivität................................................................... 8
Kosteneinsparungen.......................................... 120, 121
L
Lebensphase.......................... 11, 88, 139, 140, 141, 144
Lesbarkeit.............................................................. 95, 102
Liste von Gefährdungen............................................ 139
Lizenz.............................................................................. 50
M
Mangelfolgeschaden...................................................... 48
Mängelgewährleistungsrecht........................................ 47
Mängelhaftung............................................................... 89
Marktüberwachung... 14, 15, 29, 30, 31, 33, 34, 37, 40,
69, 122
Marktverhaltensregel..................................................... 25
Maschinenrichtlinie... 43, 44, 66, 68, 69, 71, 86, 87, 92,
99, 136, 137, 138, 154
MEDDEV 2.14/3 REV 1......................................... 117
Medizinprodukt................................... 28, 115, 116, 124
Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG.......... 18, 117,
136.........................................................................................
N
Nebenpflichten, vertragliche........................................ 45
NEC (National Electrical Code)................................. 76
New Approach.......................... 12, 13, 16, 30, 163, 170
New Legislative Framework. 13, 29, 30, 31, 32, 33, 36
Nichtkonformität, formale.......................................... 22
175
Index
NiederspannungsRL.............................................. 19, 22
Nomenklatur von Normen........................................ 126
Normenrecherche. 6, 125, 128, 130, 131, 132, 133, 143
Normen, zielgruppenorientierte............................... 107
O
Operational Documentation........................................ 88
Operation manuals........................................................ 87
Organisationsverschulden................................. 164, 168
P
Patentrecht..................................................................... 54
Pflichtenkatalog............................................................. 39
Phasen der Lebensdauer............................................. 139
Plagiat.............................................................................. 36
Post-Editing............................................................ 56, 59
Präzedenzfall......................................................... 73, 131
pre trial discovery.......................................................... 73
Produktentwicklungsprozess..................................... 145
Produktfehlgebrauch.................................................... 67
Produkthaftungsrecht.... 61, 63, 71, 72, 75, 78, 93, 132
Produktsicherheit...... 21, 22, 29, 30, 31, 40, 71, 74, 78,
79, 86, 90, 93, 128, 129, 133, 134, 146, 149, 151, 153
Produktsicherheitsgesetz.... 20, 29, 32, 35, 40, 68, 129,
133, 150, 151
Produktsicherheitsrecht.. 12, 20, 22, 24, 26, 29, 30, 63,
68, 172
Produktsicherheitsrichtlinie. 14, 20, 31, 32, 33, 34, 35,
36
Produktsicherheitsverordnung..... 5, 15, 30, 33, 34, 35,
36, 39, 40, 136
Produzentenhaftung.............................................. 25, 71
Programmierungsaufwand......................................... 122
Q
Qualitätsmanagement.......................................... 63, 123
Qualitätssicherung....... 77, 79, 101, 110, 127, 132, 169,
172, 178
Quelltext......................................................................... 57
176
R
Rahmenliefervertrag..................................................... 49
RAPEX-System............................................................. 31
Redaktionssystem............................................... 103, 166
Regeln der Technik..... 5, 76, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 98,
101, 102, 103, 127
requests........................................................................... 74
Restatement of the Law.................................. 71, 73, 80
Richtlinie...... 13, 18, 19, 24, 31, 34, 35, 86, 87, 88, 117,
124, 128, 129, 130, 136, 137, 150, 163
Risikoanalyse....... 38, 39, 40, 43, 68, 69, 119, 135, 136,
137, 142, 146, 157, 163, 168, 169
Risikobeurteilung.... 6, 77, 79, 101, 135, 136, 137, 138,
139, 140, 141, 142, 144, 145, 146, 147
Risikobewertung......................................... 135, 142, 143
Risikoeinschätzung...................................................... 142
Risikoklasse......................................................... 115, 116
Risikomanagementsystem.......................................... 122
Rohübersetzung...................................................... 56, 57
ROSSTANDART........................................................ 133
S
Sachmangel.............................................................. 24, 94
Safeguard clause............................................................. 89
Schadensersatz........................................................ 75, 85
Schlechtleistung............................................................. 46
Schriftgröße........................................................... 95, 121
Schuldbefreiung............................................................. 85
Schutzziel............................................................... 13, 137
Scrum............................................................................ 158
Sicherheitsinformation................... 15, 20, 37, 108, 132
Softwareanwender....................................................... 106
Softwaredokumentation..... 6, 104, 105, 106, 107, 108,
109, 110, 111, 112, 113, 180, 182
Standardization Administration of PR China......... 133
Stand der Technik. 23, 44, 85, 91, 93, 94, 103, 137, 143
Stand von Wissenschaft und Technik................. 91, 92
T
Tablet............................................................................ 121
Täuschung, arglistige..................................................... 65
Technikklausel................................................................ 91
tekom-Leitfaden Sicherheits- und Warnhinweise..... 24
Index
Terminologiedatenbank......................................... 53, 59
Terminologiemanagement......................................... 101
Translation-Memory-System....................................... 53
U
Wirtschaftsakteur....................................... 13, 26, 28, 36
World Trade Organization (WTO)............................. 81
Z
Zielgruppen..................... 11, 78, 99, 106, 125, 156, 179
Überschriften.......................................................... 98, 99
Übersetzungen.... 5, 53, 56, 57, 58, 59, 77, 78, 87, 100,
101, 112
Übersetzungssoftware............................... 53, 54, 56, 59
UL = Underwriters Laboratories................................ 76
Umweltaspekt.............................................................. 120
Umweltschutz............................................. 136, 137, 148
Unfallverhütungsvorschrift.................. 6, 148, 155, 156
Unterrichtung der Arbeitnehmer.............................. 150
Urheberrecht........ 5, 50, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 71, 173
Urheberschutz................................................................ 25
Usability.. 101, 102, 103, 106, 107, 108, 109, 111, 128,
171, 179
Usability-Test............................. 101, 102, 103, 108, 111
US-Rechtssystem......................................................... 131
V
VDI Richtlinienreihe 4500........................................... 24
Verbraucherrecht........................................................... 82
Verbraucherschutzgesetz................................. 82, 83, 85
Verletzungsschwere............................................ 138, 142
Verordnung..... 15, 30, 31, 34, 35, 36, 37, 39, 117, 118,
120, 122, 123, 124, 128, 129, 130, 150, 151, 152, 153
Verständlichkeit...... 23, 77, 79, 98, 103, 104, 150, 156,
178, 180
Vertragsfreiheit.............................................................. 42
Vertragsrecht.. 12, 25, 29, 41, 42, 46, 52, 63, 64, 71, 93
Vertraulichkeit................................................................ 57
VUKA......................................... 157, 158, 159, 160, 169
W
Wahrscheinlichkeit des Eintretens............................ 142
Warnhinweis...................................................... 25, 28, 95
Webseite............................................................... 109, 118
Werk, originelles............................................... 54, 55, 59
Werkvertragsrecht.................................................. 26, 49
Wettbewerbsrecht.......................................................... 63
177
tekom Schriften zur Technischen K
­ ommunikation
tekom SCHRIFTEN ZUR
TECHNISCHEN ­KOMMUNIKATION
herausgegeben von Jörg Hennig und Marita Tjarks-Sobhani
Band 1 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Verständlichkeit und Nutzungsfreundlichkeit von
technischer Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 1999. ISBN 978-3-944449-14-2
Band 2 Carl-Otto Bauer:
Rechtliche Anforderungen an Benutzerinformationen.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2000. ISBN 3-7950-0759-X
Band 3 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Qualitätssicherung von technischer Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2000. ISBN 978-3-944449-15-9
Band 4 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Informations- und Wissensmanagement für technische Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2001. ISBN 978-3-944449-16-6
Band 5 Stefan Zima:
Kommunikation in der Technik. Motortechnik und Sprache.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 20002. ISBN 978-3-944449-17-3
Band 6 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Lokalisierung von Technischer Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2002. ISBN 978-3-944449-18-0
Band 7 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Visualisierung in Technischer Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2003. ISBN 978-3-944449-19-7
Band 8 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Technische Kommunikation – international. Stand und Perspektiven.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2005. ISBN 978-3-944449-20-3
Band 9 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Technical Communication – international. Today and in the Future.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2005. ISBN 978-3-944449-21-0
178
tekom Schriften zur Technischen ­Kommunikation
Band 10 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Aus- und Weiterbildung für Technische Kommunikation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2006. ISBN 978-3-944449-22-7
Band 11 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Usability und Technische Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2007. ISBN 978-3-944449-23-4
Band 12 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Terminologiearbeit für Technische Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2008. ISBN 978-3-7950-7052-6
Band 13 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Arbeits- und Gestaltungsempfehlungen für Technische Dokumentation.
Eine kritische Bestandsaufnahme.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2009. ISBN 978-3-7950-7067-0
Band 14 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Multimediale Technische Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2010. ISBN 978-3-944449-24-1
Band 15 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Veränderte Mediengewohnheiten – andere Technische Dokumentation?
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2011. ISBN 978-3-944449-25-8
Band 16 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Technische Kommunikation im Jahr 2041.20 Zukunftsszenarien.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2012. ISBN 978-3-944449-26-5
Band 17 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Zielgruppen für Technische Kommunikation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2013. ISBN 978-3-944449-31-9
Band 18 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Content Management und Technische Kommunikation.
Stuttgart: tcworld, 2013. ISBN 978-3-944449-34-0
Band 19 Jörg Hennig / Marita Tjarks-Sobhani (Hrsg.):
Technische Kommunikation und mobile Endgeräte.
Stuttgart: tcworld, 2014. ISBN 978-3-944449-36-4
179
tekom HOCHSCHULSCHRIFTEN
herausgegeben von Jörg Hennig und Marita Tjarks-Sobhani
Band 1 Peter Stadtfeld:
Didaktische Kriterien zur Strukturierung von Bedienungsanleitungen.
Eine exemplarische Analyse von Software-Bedienungsanleitungen.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 1999. ISBN 3-7950-0744-X
Band 2 Anneke Bosse:
Der Umgang mit Fachausdrücken in Bedienungsanleitungen für
Personenkraftwagen. Darstellung und Bewertung fachexterner
Vermittlungsstrategien.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 1999. ISBN 978-3-944449-28-9
Band 3 Sandra Knopp:
Aufbau, Gestaltung und Struktur von Online-Hilfesystemen.
Im Kontext der Mensch-Computer-Interaktion.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2000. ISBN 3-7950-0757-X
Band 4 Ralf Geyer:
Evaluation von Gebrauchsanleitungen.
Testverfahren und ihre praktische Anwendung.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2000. ISBN 3-7950-0760-X
Band 5 Martin Riegel:
Technische Kurzanleitungen.
Eine Entwicklungsmethodik zur nutzergerechten Gestaltung.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2001. ISBN 978-3-944449-00-5
Band 6 Christian Bartsch:
Die Verständlichkeit von Software-Hilfesystemen.
Eine sprachwissenschaftliche Analyse am Beispiel von
Microsoft Word 2000.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2001. ISBN 978-3-944449-01-2
Band 7 Anja Edelmann:
Hypertextbasierte Softwaredokumentation.
Eine experimentelle Untersuchung zur Rezeption.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2003. ISBN 978-3-944449-02-9
180
tekom Hochschulschriften
Band 8 Müslüm Çap:
Maschinelle Übersetzung auf dem Prüfstand.
Die Evaluierung von Personal Translator 2002 Office Plus Englisch.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2003. ISBN 978-3-944449-03-6
Band 9 Werner Schweibenz:
Computerterminologie als Benutzungsbarriere.
Eine Studie über die Benutzbarkeit von Online-Hilfeinformationen
in Microsoft PowerPoint.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2004. ISBN 978-3-944449-04-3
Band 10 Cornelia Kühn:
Handlungsorientierte Gestaltung von Bedienungsanleitungen.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2004. ISBN 3-7950-7008-2
Band 11 Sven Pieper:
Vertrauen in Technik durch Technische Kommunikation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2004. ISBN 978-3-944449-05-0
Band 12 Clemens Schwender (Hrsg.):
Technische Dokumentation für Senioren.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2005. ISBN 978-3-944449-06-7
Band 13 Viktoria Klemm:
Verwendungssituation und Textgestalt.
Analysen von Betriebsanleitungen für Personenkraftwagen.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2005. ISBN 978-3-944449-07-4
Band 14 Michael Fritz / Claus Noack:
Die Gesellschaft für technische Kommunikation e. V. – tekom.
Entstehung und Entwicklung eines Berufsverbandes.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2007. ISBN 978-3-944449-08-1
Band 15 Ulrich Bühring / Clemens Schwender:
Lust auf Lesen.
Lesemotivierende Gestaltung Technischer Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2007. ISBN 978-3-944449-09-8
Band 16 Jürgen Muthig (Hrsg.):
Standardisierungsmethoden für die Technische Dokumentation.
Stuttgart: tcworld, 2., unveränderte Auflage 2014.
ISBN 978-3-944449-35-7
181
tekom Hochschulschriften
Band 17 Anna Astapenko:
Lokalisierung komplexer Softwaresysteme.
Technik – Sprache – Kultur.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2008. ISBN 978-3-944449-11-1
Band 18 Monika Reck:
Internationale Kundenanforderungen an die Technische
Dokumentation von Produktionsmaschinen.
Eine Studie zum erhöhten Kundennutzen durch
verbesserte Betriebsanleitungen.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2008. ISBN 978-3-944449-12-8
Band 19 Sonja Broda:
Mobile Technische Dokumentation.
Studie zu Einsatzmöglichkeiten mobiler Endgeräte
in der Technischen Dokumentation.
Lübeck: Schmidt-Römhild, 2011. ISBN 978-3-944449-13-5
Band 20 Regina Janke:
Anforderungen an die Terminologieextraktion.
Eine vergleichende Untersuchung der Bedürfnisse von
Terminologen, Technischen Fachübersetzern
und Technischen Redakteuren.
Stuttgart: tcworld, 2013. ISBN 978-3-944449-32-6
Band 21 Elin Judith Knoll:
Barrierefreiheit von Software mittelständischer Unternehmen.
Analyse und Entwicklung eines Testverfahrens.
Stuttgart: tcworld, 2013. ISBN 978-3-944449-33-3
Band 22 Viktor Frei:
Sprachstandardisierung in der Softwaredokumentation.
Eine Untersuchung von redaktionellen Richtlinien und
Schreibregeln.
Stuttgart: tcworld, 2015. ISBN 978-3-944449-37-1
Band 23 Nina Baderschneider:
Die Komplexität der Gebrauchsanweisung.
Ein textgrammatisches Analysemodell.
Stuttgart: tcworld, 2015. ISBN 978-3-944449-38-8
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Weitere tekom-Publikationen
Weitere tekom-Publikationen
Stand: Dezember 2015.
Das jeweils aktuelle Publikationsprogramm befindet sich auf dem
tekom-WebPortal unter www.tekom.de/publikationen.html.
Broschüren
DITA in der Technischen Kommunikation –
eine Entscheidungshilfe zum Einsatz
DIN A4, 64 Seiten plus CD-ROM, geheftet, 2008.
ISBN 978-3-9814055-5-2
Leitfaden Lieferantendokumentation
DIN A4, 46 Seiten, geheftet, 2011. ISBN 978-3-944740-06-5
Benedikt Kraus / Klaus-Dirk Schmitz / Ilona Wallberg:
Leitfaden Einkauf von Übersetzungsdienstleistungen
(deutsche Ausgabe)
DIN A4, 28 Seiten, geheftet, 2012. ISBN 978-3-9814055-3-8
Benedikt Kraus / Klaus-Dirk Schmitz / Ilona Wallberg:
Purchase of translation services – A guide (englische Ausgabe)
DIN A4, 24 Seiten, geheftet, 2013. ISBN 978-3-9814055-6-9
Leitlinie Regelbasiertes Schreiben –
Deutsch für die Technische Kommunikation
DIN A4, 168 Seiten, broschiert, 2., erweiterte Auflage 2013.
ISBN 978-3-9814055-9-0
Michael Fritz / Jens-Uwe Heuer-James / Jörg Michael /
Roland Schmeling / Matthias Schulz:
Normenkommentar zur EN 82079-1
„Erstellen von Gebrauchsanleitungen“
DIN A4, 134 Seiten, broschiert, 2013. ISBN 978-3-9814055-7-6
Leitfaden Mobile Dokumentation (deutsche Ausgabe)
DIN A4, 72 Seiten, broschiert, 2013. ISBN 978-3-9814055-8-3
Guide to Mobile Documentation (englische Ausgabe)
DIN A4, 68 Seiten, broschiert, 2014. ISBN 978-3-944740-02-7
183
Weitere tekom-Publikationen
Leitlinie Regelbasiertes Schreiben –
Englisch für deutschsprachige Autoren
DIN A4, 121 Seiten, broschiert, 2014. ISBN 978-3-944740-01-0
Jens-Uwe Heuer-James / Roland Schmeling / Matthias Schulz:
Leitfaden Sicherheits- und Warnhinweise
DIN A4, 84 Seiten, broschiert, 2014. ISBN 978-3-944740-03-4
Jens-Uwe Heuer-James / Roland Schmeling / Matthias Schulz:
Leitfaden Betriebsanleitungen
DIN A4, 101 Seiten, broschiert, 2014. ISBN 978-3-944740-04-1
Guideline Rule-Based Writing –
English for Non-Native Writers (englische Ausgabe)
DIN A4, 110 Seiten, broschiert, 2014. ISBN 978-3-944740-05-8
Michael Fritz / Jens-Uwe Heuer-James / Jörg Michael /
Roland Schmeling / Matthias Schulz:
Normenkommentar zur EN 82079-1
„Erstellen von Gebrauchsanleitungen“
DIN A4, 201 Seiten, broschiert, 2. Auflage inklusive Normtext,
2015. ISBN 978-3-944740-07-2
184
Weitere tekom-Publikationen
Studien
Michael Fritz / Michael Grau / Daniela Straub:
101 Kennzahlen für die Technische Kommunikation
DIN A4, 298 Seiten, broschiert, 2008. ISBN 978-3-9812683-3-1
Klaus-Dirk Schmitz / Daniela Straub:
Successful Terminology Management in Companies
(englische Ausgabe)
DIN A4, 311 Seiten, broschiert, 2010. ISBN 978-3-9812683-2-4
Klaus-Dirk Schmitz / Daniela Straub:
Erfolgreiches Terminologiemanagement im Unternehmen
(deutsche Ausgabe)
DIN A4, 297 Seiten plus CD-ROM, broschiert, 2010.
ISBN 978-3-9812683-1-7
Daniela Straub / Wolfgang Ziegler:
Effizientes Informationsmanagement durch spezielle
Content-Management-Systeme
DIN A4, 350 Seiten, broschiert, 3., aktualisierte Auflage 2014.
ISBN 978-3-9812683-4-8
Klaus-Dirk Schmitz / Daniela Straub:
Erfolgreiches Terminologiemanagement im Unternehmen
DIN A4, ca. 300 Seiten, broschiert, 2., aktualisierte Auflage 2016.
ISBN 978-3-9812683-5-5
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Weitere tekom-Publikationen
Proceedings of the European Academic
­Colloquium on Technical Communication
Proceedings of the European Colloquium on Technical
Communication, Volume 1, 2012 (englisch)
17 x 24 cm, 88 Seiten, broschiert, 2013. ISBN 978-3-944449-42-5
Proceedings of the European Academic Colloquium on
Technical Communication, Volume 2, 2013 (englisch)
17 x 24 cm, 84 Seiten, broschiert, 2014. ISBN 978-3-944449-43-2
Proceedings of the European Academic Colloquium on
Technical Communication, Volume 3, 2014 (englisch)
17 x 24 cm, 96 Seiten, broschiert, 2015. ISBN 978-3-944449-44-9
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