• 21 Mittwoch, 29. April 2015 ST REICHELZ OO: Johns kleine Farm, Kallnach BE Riechen, hören, tasten, sehen Der Grundgedanke von Johns kleiner Farm: die Sinne der Menschen anregen. Anstoss gaben Sehbehinderte und Blinde. ANITA NEUENSCHWANDER Kallnach ist eine Gemeinde mit knapp 2000 Einwohnern im Berner Seeland , und mittendrin ist der 1,3 ha grosse Zoo von John David Bauder, Gründer, Betriebsleiter und Tierpfleger EFZ. «Mittendrin und nicht daneben», oder «Gehege ohne Grenzen» ist denn auch die Strategie der Farm. Dass dem so 2 ist, bezeugt auch die 700 m grosse Streichelanlage, in der sich die Besucher zwischen Kamelen, Ziegen, Alpakas, Schweinen, Eseln und vielen anderen Tieren frei bewegen können. Prägendes Erlebnis Dass es Johns kleine Farm überhaupt gibt, ist einem einschneidenden Erlebnis des Gründers zu verdanken. Dieser besuchte als junger Mann von 20 Jahren ein Aquarium in Brighton (GB). Vor ihm an der Kasse war ein Mann mit einer starken Sehbehinderung, der aber den vollen Eintrittspreis bezahlen sollte. «Ich fand das total ungerecht und nach langem Diskutieren bezahlten wir schliesslich nur einen Eintritt für uns zwei. Damals habe ich beschlossen: es wird einmal einen Zoo geben speziell für Blinde und Sehbehinderte. Einen Zoo, in dem man die Tiere berühren und riechen kann und bei denen das Unfallrisiko gering ist», erzählt John David Bauder. Wichtig war ihm, dass das ganze Sinnesspektrum von Sehbehinderten abgedeckt wurde: riechen, hören und tasten. Ganz klein angefangen 1996 war es dann so weit: John David Bauder eröffnete seine kleine Farm – damals mit 14 Haustieren. Bereits ein Jahr später wurde der Verein «Freunde von Johns kleiner Farm» gegründet. Dass aus seiner Idee, etwas für Blinde zu tun, einmal ein Streichelzoo mit 368 Tieren aus 73 Arten entstehen würde, dass sich seine Farm Der Schwan Lydia empfängt die Besucher am Eingang und geniesst deren Streicheleinheiten. John David Bauder gründete die Farm vor knapp 20 Jahren – damals mit 14 Haustieren. Heute leben in seinem kleinen Zoo 368 Tiere und 73 Arten. (Bilder: Anita Neuenschwander) zum Lehrbetrieb entwickeln würde, der mittlerweile elf Mitarbeiter beschäftigt und dass sein Zoo 365 Tage im Jahr geöffnet hat, das hätte sich der heute 45-jährige Bauder damals nicht träumen lassen. Streichelzoo intensiv Auf Johns kleiner Farm gibt es eine gute Mischung von Hausund Wildtieren und das Spezielle daran: Fast alle Tiere (rund 90 %) können berührt werden. Das beginnt schon, wenn man in den Zoo hineinkommt, denn hier wird man von zwei Streifengänsen und dem Schwan Lydia begrüsst, die auf Streicheleinheiten der Besucher warten. Im Vivarium besteht die Möglichkeit, unter anderem mit Schildkröten, Schlangen, Igeln, Schnecken oder Vogelspinnen auf Tuchfühlung zu gehen. Auf speziell gebuchten Führungen kann man auch ins Luchsgehege und die Luchse streicheln. «Nicht jedes Tier kommt selber, aber viele lassen Berührungen zu. Man kann bei uns auch Füchse berühren, und momentan haben wir sogar Fuchswelpen», sagt Bauder. Was diesen Kleinzoo so besonders macht und auszeichnet, ist die direkte Nähe zu den Tieren – bei vielen ist man wirklich Mit den Trampeltieren ist der direkte Kontakt möglich. mittendrin – ohne trennende Zäune oder Scheiben. Da kann es auch mal vorkommen, dass man von einem Lama angerotzt wird oder dass man nach Kamel stinkt, wenn man nach Hause geht. «Das ist das, was einen bleibenden Eindruck hinterlässt, gerade bei den 4000 bis 4500 Schulkindern, die pro Jahr kommen», weiss Bauder. Sabine Odermatt, stellvertretende Betriebsleiterin, ergänzt: «Die Tierpfleger sind jederzeit da und beantworten auch Fragen der Besucher. Neben der Nähe zu den Tieren sind es eben auch die Leute, die hier arbeiten, die den Zoo ausmachen, denn sie sind mit Herzblut dabei.» Soziales Engagement Die soziale Komponente hat für John David Bauder schon immer eine grosse Rolle gespielt, wie auch die eingangs erzählte Geschichte zeigt. Durch seine human-medizinischen Erstausbildungen (Krankenpfleger, Heilpraktiker, medizinischer Masseur) kam er oft mit handicapierten Menschen in Kontakt. Für ihn ist deshalb klar: «Egal, ob ein Mensch behindert ist oder nicht, in erster Linie ist und bleibt er ein Mensch. Da dulde ich keine Diskriminierung.» Weiter fin- det er, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat, besonders jene in schwierigen Situationen. Deshalb arbeitet er auch mit Sozialämtern zusammen und beschäftigt auf seiner Farm auch immer wieder Leute mit psychischen Erkrankungen oder Drogenproblemen. In Zukunft möchte er die Ausrichtung aber etwas ändern und vermehrt körperlich und geistig behinderten Menschen den Vorzug geben. Seit zehn Jahren ermöglicht John David Bauder Menschen mit einem schwierigen Hintergrund die Ausbildung zum Tierpfleger EFZ. Er sagt dazu: «Bisher haben 14 Lehrlinge ihre Ausbildung bei uns erfolgreich abgeschlossen und den Weg in ein geordnetes und selbstständiges Leben geschafft. Einige haben sogar eine Familie begründet.» Auf beruflicher Ebene kämpft er fürs EBA (eine verkürzte 2-jährige Grundausbildung mit anerkanntem Abschluss) für Tierpfleger. Das Alpaka und die Ziegen vertragen sich gut und lassen sich problemlos im selben Gehege halten. Das Stachelschwein posiert fürs Foto. Es liess sich mit Futter aus seinem Unterschlupf hervorlocken. Um den Betrieb am Laufen zu halten, braucht es einiges an finanziellen Mitteln. So müssen fürs Personal, den Unterhalt und das Futter pro Tag knapp 1000 Franken aufgewendet werden. Die als Verein geführte Farm finanziert sich unter anderem durch Mitgliederbeiträge, Spenden, Stiftungen, Eintritte, Tierpatenschaften, Familienund Jahreskarten. Weiter generiert der Verein Gelder durch spezielle Angebote. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala stehen Kindergeburtstage. «Damit wir den Kindern gerecht werden können, nehmen wir pro Tag je- Dieses Dachsweibchen ist ein sechs Wochen altes Findelkind, das mit der Flasche aufgezogen wird. Begegnung am Zaun: Hühner, Truten und Berberaffen. Der Waschbär wartet geduldig auf sein Futter . . . Betrieb erhalten . . . während der Otter bereits am Fressen ist. weils nur eine Gruppe von fünf bis zehn Kindern an. Wir wollen keine Massenabfertigung, und den Tieren solls ja auch wohl sein», erklärt Bauder. Ein unvergessliches Erlebnis für Kinder, das mit 19 Franken pro Kind im Preis moderat ist. Grosser Beliebtheit erfreuen sich auch Führungen für Schulklassen. Ein weiteres Angebot, das sehr begehrt ist, ist einen Tag mit dem Tierpfleger zu verbringen. Der Tag erlaubt einen Blick hinter die Kulissen und wo möglich, kann auch selbst angepackt werden. «Dieses Angebot ist vor allem ein beliebtes Geschenk unter Paaren oder von Gotte und Götti an ihre Patenkinder», sagt John David Bauder. Die Kinder sollten laut Bauder aber 10 bis 12 Jahre alt sein (wenn ein Elternteil dabei sei, dürften sie auch etwas jünger sein). ■ Weitere Informationen und Angebote unter www.johnskleinefarm.ch Eine Begegnung, die in der freien Wildbahn so nicht möglich ist: Auge in Auge mit einem Luchs.
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