Kosten und Nutzen von weniger Lärm

Markus Hecht Gastkommentar
D
ie potenziellen Systemvorteile des Schienengüterverkehrs, wie geringer Energieverbrauch, Zero Emission bezüglich Treibhausgasen und sehr große Querschnittsleistungsfähigkeit, sind anerkannt. Sie geben dem Schienengüterverkehr gute Startchancen, um zur Verlangsamung des
Klimawandels substanziell beizutragen. Dies kann aber
nur mit deutlichem Marktanteilzuwachs gelingen. Seitens der Politik wird das generell unterstützt, zum Beispiel stellt die EU im Innovationsprogramm 5 des Förderprogramms „Shift2Rail“ umfangreiche Mittel zur
Innovationsförderung des Schienengüterverkehrs zur
­
Verfügung.
Ein großes Problem ist allerdings der Lärm. Gegenüber Straße und Luft ist die Schiene mit erheblichem
Abstand der lauteste Verkehrsträger. Der Schienenverkehr verliert so aktuell rasch zunehmend die Akzeptanz
in der Bevölkerung. Die extreme Lärmemission muss
glücklicherweise nicht sein und erste Minderungsmaßnahmen greifen. Allerdings greifen sie zu kurz und zu
langsam und die Lasten sind ungleich verteilt. Die gegenwärtige Einführung der Verbundstoffbremssohle
wirkt nur lärmmindernd, wenn auch die Schiene glatt
ist. Von den 8000 km problematischer Linienlänge in
Deutschland sind jedoch nicht einmal 1000 km „überwachtes Gleis“, also Gleis mit garantierter Höchstrauheit. Auf rauem Gleis ist aber kaum ein Unterschied zwischen den mit Grauguss- oder mit Verbundstoffbremssohlen gebremsten Wagen zu hören. Zudem haben die
alten Lokomo­tiven keinerlei Lärmauflagen und die neuen dürfen 5 dB lauter sein als die Wagen, obwohl der
jährliche Loklaufweg im Mittel fünf Mal so groß ist wie
der der Wagen. Das bedeutet, dass eine TSI-konforme
Lok im Mittel 12 dB mehr Lärm emittiert als ein TSIkonformer Wagen.
Die große Frage ist also, warum die Wagenhalter zulassen, dass ihre großen und auch notwendigen Bemühungen so wenig Früchte tragen, und nicht im Sinne des
Foto: privat
Kosten und
Nutzen von
weniger Lärm
Gesamtsystems Schienengüterverkehr agieren. Bei e­ iner
Altlokomotive Lärm zu mindern, ist keine große Sache,
wie die vier lärmgeminderten Großdieselloks vom Typ
„Blue Tiger“ der Havelländischen Eisenbahn (HVLE)
zeigen. Eine neue Lok von vornherein leise zu konzipieren, ist noch einfacher. Ebenso erstaunlich sind die hohen Verschleißkosten bei Radsätzen mit Verbundsohlen.
Sie sind deshalb so hoch, weil sehr häufig sehr scharf
gebremst werden muss. Bahnen mit stetigem Zugverkehr ohne häufige Signalhalte haben das Problem nicht,
wie die Erfahrungen aus Frankreich, Russland und auch
den USA zeigen. Auch das Konizitätsproblem der Ver­
bundsohlenwagen ließe sich im Systemverbund kostenneutral lösen, wenn in Deutschland die Spurweite wie
etwa in Österreich verbreitert werden würde. Eine
Schwelle für 1437 bis 1438 mm Spurweite (in Österreich
seit vielen Jahren Standard) kostet nicht mehr als eine
für 1432 bis 1435 mm, reduziert aber die Radsatzwartungskosten erheblich und hat sonst keine Nachteile.
Die schnelle und kostengünstige Lärmreduktion ist
eine Grundvoraussetzung dafür, dass der Umweltvorteil
der Schiene auch in Zukunft anerkannt wird. Das können die Wagenhalter allein nicht schaffen, sondern auch
die Infrastrukturbetreiber und die Lokhalter müssen
mitwirken, um dieses Ziel schnellstmöglich kostengünstig zu erreichen. Ein allmählich fortschreitendes Vorgehen wie bisher entzieht dem Schienengüterverkehr die
Akzeptanz und die Erschließung neuer Märkte und damit die Basis zur wirtschaftlichen Gesundung.
Prof. Dr.-Ing. Markus Hecht
Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge am Institut für
Land- und Seeverkehr der Fakultät V, Verkehrs- und Maschinensysteme, der Technischen Universität Berlin
Güterbahnen (14) 3 | 2015
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