Grusswort als PDF

Abschiedsveranstaltung für Prof. Dr. H. Forneck,
Direktor Pädagogische Hochschule FHNW
Donnerstag, 11. Juni 2015, 16.15 Uhr,
Campus-Saal, Brugg-Windisch
Lieber Herr Professor Forneck
Geschätztes Direktorium
Werte Damen und Herren
Triple-Ps PPP entfalten Dynamik. Nein – ich meine heute nicht die noch frische Auseinandersetzung um das gymnasiale Schwerpunktfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie im Kanton Basel-Stadt, die dem Vorsteher des Erziehungsdepartements eine Niederlage einbrachte, sondern das dreifaltige Verhältnis von Pädagogik, Politik und Praxis.
Sie, lieber Herr Forneck, gehören der ersten Zunft an, ich der zweiten; und beide – Pädagogik als Wissenschaft und Politik als Regelung der öffentlichen Angelegenheiten –
wirken auf das dritte ein – die Praxis, die Schule. ...Oder versuchen es wenigstens, denn
die öffentliche Schule hat sich in den letzten 150 Jahren zu einer erfolgreichen Expertenorganisation entwickelt, die auch Meisterin ist, wenn es darum geht, tatsächliche oder
vermeintliche Zumutungen von aussen unschädlich zu machen... Will man dem Verhältnis dieser drei Ps nachgehen, wäre es am einfachsten, sich auf die Seite jener Theoretiker zu schlagen, die von getrennten Systemen sprechen. Pädagogik als Wissenschaft,
Pädagogik als Praxis und Politik seien unterschiedliche soziale Systeme, die je eigenen
Logiken folgen – Logiken, die sich weder auf andere zurückführen noch auf andere übertragen lassen. Die Praxis beziehe sich also ebenso auf sich selbst wie die Forschung
und Politik. In dieser Sichtweise der abgeschlossenen Systeme ist es die Aufgabe der
Forschung zu forschen und jene der Politik zu entscheiden – und die Praxis möge
schauen, wie sie damit zurecht kommt.
Das, lieber Herr Forneck, wären ziemlich trostlose Aussichten: Pädagogik und Politik
könnten zwar durchaus Erkenntnisse, Erwartungen und Anforderungen für und an die
Praxis hervorbringen und verordnen – die Hoffnung aber, dass sich die Funktionslogiken
der Praxis im Interesse einer besseren Bildung verändern würden, wären gleich Null.
Mit dieser düsteren Sichtweise können wir Sie, lieber Herr Forneck, nicht in den Ruhestand entlassen, zumal sie wohl weder der Ihren noch der meinen entspricht. Wir erkennen die drei Systeme Pädagogik, Politik und Praxis nicht als getrennt sich entwickelnde
Monaden, sondern als miteinander verschränkte, sich wechselseitig beeinflussende und
nährende Bezugssysteme. Die Verschränkung allerdings gelingt weder über wissenschaftliche Abhandlungen aus den Forschungslaboratorien allein noch über blutleere
Regelwerke der Politik – beide sind in der Tat oft sehr selbstbezüglich –, sondern über
Menschen dieser drei Systeme, die die Eigenlogiken übersetzen und übersteigen, sich
austauschen und verständigen. Genau so, lieber Herr Forneck, präsentiert sich heute die
Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz, die ich als Ihr Lebenswerk bezeichne: Als hervorragende Forschungs- und Ausbildungsstätte für Lehrerinnen und Lehrer, die besonders in den letzten Jahren intensiv die Verknüpfung mit der
Praxis und Politik suchte – und fand.
Dabei ist der Pädagogik als Erziehungswissenschaft wie auch der Politik etwas Gemeinsames aufgetragen: Respekt vor der Praxis, Anerkennung der Schule. Das Verhältnis
von Forschung und Politik zur Schule ist keines der Subordination der letzteren über die
ersteren. Die Schule ist kein Problemfall, der nur dank Unterstützung und Weisung aus
den Forschungsstuben und Parlamenten sich entwickeln kann, sondern die Schule ist
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eine sehr erfahrene und höchst erfolgreiche Problemlöserin. Ihre zentralen Konzepte –
die allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele etwa oder die Zeitstrukturen, die Methoden der Vermittlung und das Rollenverständnis der Lehrerinnen und Lehrer – sind bewährt. Die Schule hat gezeigt, dass sie trotz ihres Erfolgs nicht in Routine und Unbeweglichkeit versinkt, sondern fähig ist, sich zu verbessern. Die Erziehungswissenschafter, die
Erziehungswissenschafterinnen, wir Politikerinnen und Politiker tun gut daran, Schule
nicht als Krisenfall zu betrachten, sondern als lernfähige Organisation mit erfolgreichen
Strategien zur Lösung der Probleme. Wissenschaft und Politik wissen es nicht besser;
ihre Aufgabe ist es, die Problembearbeitung zu unterstützen. Das vermag die Forschung
zum Beispiel dann, wenn sie den Lehrerinnen und Lehrern hilft, sich in den Dilemmata
des pädagogischen Alltags zurecht zu finden.
Ihr Praxiskonzept, lieber Herr Forneck, denkt genau so: Es verschränkt mit dem Projekt
„Partnerschulen für die Professionsentwicklung“ die Schule, die Praxis mit der Pädagogischen Hochschule. Es anerkennt die Dualität der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer: Nicht nur die PH bildet aus, sondern auch die Schule. Die Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule beruht auf Wissenschaftsexpertise, jene an der Schule auf Praxisexpertise, auf Problemlösungsexpertise. Der Gewinn liegt darin, dass die beiden Ausbildungslogiken konzeptionell, räumlich und personell verschränkt werden.
Der Regierungsausschuss des Bildungsraums Nordwestschweiz steht zu dieser Ausbildungskonzeption und anerkennt dadurch ausdrücklich auch den Forschungsauftrag der
Pädagogischen Hochschule.
Lieber Herr Forneck – Sie haben Ausserodentliches geleistet. Ich nenne sieben Punkte
und bleibe damit unvollständig:
- Sie haben acht lokale Vorläuferinstitutionen zu einer Nordwestschweizer Hochschule
zusammengeführt.
- Sie haben das gesamte Studienangebot neu konzipiert und deren Anerkennung
durch die EDK erlangt.
- Unter Ihrer Leitung hat sich die Zahl der Studierenden mehr als verdoppelt.
- Das Weiterbildungs- und Beratungsangebot wird stark nachgefragt.
- Die PH FHNW ist unbestritten die forschungsstärkste Pädagogische Hochschule in
der Schweiz.
- Die Zusammenarbeit mit den Bildungsdepartementen, den Schulleitungs- und Lehrerverbänden ist lebendiger, als sie das in den Vorläuferinstitutionen war.
- Die PH hat auf die Aufträge der Bildungsraumkantone – sei es im Bereich der Forschung, der Weiterbildung, der Studiengangskonzeption oder der Quereinsteiger –
stets rasch und in hervorragender Qualität umgesetzt. Ich darf auch im Namen meiner Kollegen im Regierungsausschuss festhalten, dass ohne Sie, lieber Herr Forneck, die vierkantonale Zusammenarbeit in der Schulpolitik nicht möglich gewesen
wäre.
Die Entwicklung der PH FHNW gilt als gesamt-schweizerisch wegweisend. Sie waren der
Vordenker für die innere Tertiarisierung der PHs, für die Nachwuchsförderung und die
Zusammenarbeit mit der Universität. Ihre Strategie, lieber Herr Forneck, war klar und
weitsichtig, mutig, unerschrocken und auf die Akteure in Praxis und Politik bezogen.
Ich danke Ihnen für diese ausserordentliche Leistung im Namen des Regierungsausschusses von ganzem Herzen.
Sie, lieber Herr Forneck, waren nicht mit allem zufrieden; sie leiden ja unübersehbar
auch unter den hohen Ansprüchen an sich selbst. Lassen Sie mich deshalb zum
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Schluss eine Anekdote zum Besten geben, welche das Lob des Unperfekten besingt und
die zumindest für eines der P – für die Praxis –, aber vielleicht auch für Sie und Ihre
nächsten Schritte ins Offene, Ermutigung spendet. Es ist, das bin ich Ihnen schuldig,
eine Anekdote aus der Wissenschaft. Die beiden Nobelpreisträger für Physik, Werner
Heisenberg und Niels Bohr, sind im Skiurlaub und machen den Abwasch. Da bemerkt
Bohr mit verblüfftem Blick auf ein Weinglas: „Da sitzen wir in einer schmuddeligen Alphütte, haben schmutzige Gläser, schmutziges Wasser und schmutzige Handtücher – und
trotzdem gelingt es, das Glas sauber zu machen.“ Ein schöneres Bild für das Verhältnis
von Pädagogik, Praxis und Politik und für das Gelingen von Bildung und Erziehung in
schwierigem Umfeld gibt es nicht.
Ich danke Ihnen. Leben Sie wohl.
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