Fortentwicklung der PKS im Spannungsfeld von Erwartungen und Möglichkeiten: Gegenwart und Zukunft der PKS Dr. Robert Mischkowitz, BKA - Es gilt das gesprochene Wort. Anrede Ich freue mich, dass ich Ihnen einen Überblick über die Fortentwicklung der PKS in den letzten Jahren sowie über geplante Weiterentwicklungen in den nächsten Jahren bieten darf. Die Aufgabe ist nicht ganz so einfach, wie das zunächst scheinen mag. Die Schwierigkeit liegt darin, dass es angesichts der Zeitvorgabe für den Vortrag nicht leicht fällt, die mir wichtig erscheinenden Dinge knapp, präzise und auch verständlich darzustellen. Da unser Fachbereich für die Erstellung der PKS auf Bundesebene zuständig ist, und wir täglich mit der PKS befasst sind, gäbe es in der Tat eine Fülle an Informationen, die hier eingebracht werden könnten. Ich muss mich aber auf die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte beschränken und gebe ihnen meine subjektiv geprägte Sicht wieder. Der Vortrag gliedert sich in vier Teile. In einem ersten Teil gebe ich einen kurzen Rückblick auf die tiefgreifenden Veränderungen des Systems der PKS, die in den letzten 6 bis 7 Jahren durchgeführt worden sind und die ihnen allen bekannt sein dürften, dennoch halte ich es für sinnvoll sie zumindest schlaglichtartig aufzulisten, um zu demonstrieren, wie weit sich die heutige PKS von der alten PKS entfernt hat. In einem zweiten Teil greife ich das Thema „Spannungsfeld von Erwartungen und Möglichkeiten“ auf, um einige grundsätzliche Überlegungen zur PKS anzustellen. Der Zukunft der PKS wird der dritte Teil gewidmet sein. Ich will Sie über die geplanten Weiterentwicklungsmaßnahmen der PKS informieren. Eine kurze Zusammenfassung und zwei Anmerkungen werden den Schlussteil bilden. Die Fortentwicklung der PKS muss auf dem Hintergrund ihrer Geschichte verstanden werden. Ein entscheidender Einschnitt bildete die deutsche Wiedervereinigung im Jahr 1990. Sie führte dazu, dass die PKS auf den Prüfstand gestellt wurde. Die AG Kripo erteilte der Kommission PKS den Auftrag eine gesamtdeutsche PKS zu entwickeln. Dies sollte im Zusammenhang mit der geplanten Einführung von INPOL-neu geschehen. Das in Arbeitsgruppen entwickelte Konzept von PKS-neu, sollte Teil eines großen INPOL-Entwurfes sein, wurde aber nach Scheitern des großen Entwurfs nicht en bloc eingeführt. Wir haben aber Teile des Konzepts aufgegriffen und sukzessive in den letzten 6-7 Jahren umgesetzt. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zu den bisher durchgeführten Änderungen der PKS ein paar Worte verlieren. An erster Stelle steht die Einführung der Einzeldatensatzanlieferung an das BKA im Jahr 2009. Damit wurde sozusagen ein neues Kapitel in der Geschichte der PKS aufgeschlagen. Die PKS auf Bundesebene wandelte sich von einer reinen „Tabellen-Statistik“ zu einer Datenbank, die in der Tat ganz andere Möglichkeiten der Auswertung bietet. Waren vorher nur Auswertungen auf das festgefügte Tabellenwerk möglich, so eröffnete die Datenbank die Möglichkeit der freien Auswertung, d.h. der beliebigen Verknüpfung von erfassten Merkmalen im Rahmen von Sonderauswertungen. Gleichzeitig hat sich dadurch das vom BKA wahrgenommene Aufgabenspektrum etwas verändert – oder besser gesagt – erweitert. Der Abstimmungsbedarf zwischen dem BKA und den einzelnen Ländern ist beträchtlich gestiegen. Stellen sie sich vor, wie es aussehen würde, wenn das BKA bei seinen Auswertungen zu anderen Zahlen für ein Land käme als das Land selbst! Wenn man das riesige Datenvolumen bedenkt, ist es fast ein Wunder, dass es bisher kaum Abweichungen zwischen BKA und Ländern gegeben hat. Wenn doch welche auftraten, waren sie in der Regel sehr gering und leicht erklärbar. Ein damit zusammenhängender Aspekt betrifft die Datenqualität. Darüber wird aber Frau Schley ausführlich berichtet. Ich beschränke mich auf den Hinweis, dass es dem BKA nun möglich geworden ist, die Daten in einer Form zu prüfen, die zuvor ausgeschlossen war. Werden „Ungereimtheiten“ festgestellt, werden diese auf Arbeitsebene angesprochen und mit den Ländern abgeklärt. Hinsichtlich der Verfahrenskontrolle und der Sicherung der Datenqualität lässt sich, das muss man einräumen, sicherlich noch einiges verbessern. Eine zweite wichtige Änderung betrifft den Straftatenkatalog. Dieser wurde von einem 4-Steller auf einen 6-Steller umgestellt, mit der Folge, dass sich die Zahl der Straftatenschlüssel von zunächst ca. 450 auf ca. 1500 erhöht hat. Inzwischen haben wir die Zahl etwas reduziert, setzen uns aber dennoch der Kritik aus, dass dadurch die PKS zu komplex und der Erfassungsaufwand zu groß wird. Positiv hingegen ist die wesentlich differenziertere Erfassung von Kriminalitätsphänomenen, die im alten System nur über die Differenzierung der Straftatenschlüssel möglich war. Dank der IT-technischen Möglichkeiten kann diese nun über sogenannte Folge- bzw. Kontextkataloge bewerkstelligt werden. Eine dritte wesentliche Erweiterung des PKS-Systems betrifft gerade die Einführung solcher Folgekataloge. Seit 2011 wird die Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung mittels zweier Kataloge, und zwar der Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung-formal und der O-T-B-sozial-räumlicher Nähe erfasst werden. Hinzu kommt noch ein Katalog zur Opferspezifik, der neben einigen Berufsgruppen auch hilflose Personen ausweist. Dass sich die PKS seit der Einführung dieser Kataloge einer noch größeren Beliebtheit erfreut als früher, sollte nicht unerwähnt bleiben. Durch die Kataloge wurde eine Datenbasis geschaffen, die Auswertungen zu den Themen „häusliche Gewalt“ oder „Gewalt in engen sozialen Beziehungen“ sowie zur „Partnergewalt“ ermöglicht. Dies hat sowohl das „Informations- bzw. Auswertebedürfnis“ nationaler als auch internationaler Bedarfsträger geweckt. Der Katalog „Opferspezifik“ wiederum ist gewissermaßen verantwortlich dafür, dass das Bundeslagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und –beamte“ nun ausschließlich auf PKS-Daten basierend erstellt werden kann. Eine vierte wesentliche Neuerung wurde durch die Einführung des Gemeindekatalogs geschaffen. Die alte PKS erlaubte bezogen auf räumliche Einheiten nur den Vergleich zwischen einzelnen Bundesländern. Das hat sich nun gründlich geändert. Inzwischen können wir bis auf die Gemeindeebene als kleinste Einheit herunter gehen und einen Kriminalitätsatlas auf Kreis- oder Gemeindeebene erstellen. Ein Auftrag, wie der der IMK von 2007, demzufolge die Kriminalität junger Menschen in städtischen Ballungsräumen zu untersuchen sei, wäre heute um ein Vielfaches einfacher zu bewerkstelligen als damals. Da der räumliche Aspekt der Kriminalität immer wichtiger wird und wir des Öfteren nach der Kriminalität in den deutschen Grenzregionen gefragt werden, haben wir vor, zukünftig die Grenzregionen einer genaueren Analyse zu unterziehen. Wir wollen zukünftig aber auch noch einen Schritt weitergehen und haben deshalb ein Projekt „geografische Kriminalitätsanalyse“ gestartet. Grob gesprochen wird es zunächst darum gehen, eine Datenbank aus öffentlich zugänglichen Infrastrukturdaten aufzubauen, die die Grundlage für elaborierte kriminalstatistische Analysen bieten wird. Welche große Bedeutung der räumlichen Komponente sonst noch zukommt, dürfte auch in der Diskussion um Predictive Policing deutlich werden. Hiermit habe ich im Wesentlichen die Gegenwart der PKS umrissen. Erlauben sie mir nun, meine Damen und Herren, ein paar grundsätzliche Überlegungen zur PKS anzustellen. Schließlich lautet das Thema ja auch die „Fortentwicklung der PKS im Spannungsfeld von Erwartungen und Möglichkeiten“. Was sind nun die Erwartungen? Wer äußert diese? Als Soziologe denken man, wenn von Erwartungen die Rede ist, relativ schnell in Kategorien der Rollentheorie und fragt, welche Bedarfsträger denn nun eigentlich berechtigt Erwartungen hegen dürfen. Was ist die Rolle der PKS oder allgemeiner gesprochen der amtlichen Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken? Wie ist es um das Spannungsfeld oder um die Spannungsfelder bestellt? Es kann aufschlussreich sein, sich darüber klar zu werden, wie sich das Verständnis dessen, was mit Statistiken möglich erscheint, im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte geändert hat. Im 19. Jahrhundert dem „Jahrhundert des Messens und der Zahlen“ wie es der Historiker Osterhammel in seinem spannenden Buch „Die Verwandlung der Welt“ formuliert hat, galten Statistiken als Inbegriff des fortschrittlichen wissenschaftlichen Denkens, die unmittelbar Aufschluss über die soziale Wirklichkeit geben konnten. Heute ist man vorsichtiger geworden, was das Verhältnis von Zahlen und Wirklichkeit anbelangt. Man hat erkannt, dass sich dieses etwas problematischer gestaltet als ursprünglich gedacht. Statistiken geben nicht die Kriminalitätswirklichkeit als solche wieder, sondern bilden „soziale Konstruktionen der Wirklichkeit“, deren Konstruktionsbedingungen man verstehen muss, um Schlüsse auf diese sogenannte „Kriminalitätswirklichkeit“ ziehen zu können. Zahlen sprechen, wie mein Vorgänge Dörmann dies ausgedrückt hat, eben nicht für sich. Dies bedenkend lässt sich ein erstes Spannungsfeld benennen. Es verweist auf Erwartungen an die Aussagekraft der PKS und kann quasi auf einer erkenntnistheoretischen Ebene verortet werden. Die PKS macht – das ist inzwischen ein Gemeinplatz und jeder hier im Saal weiß das – keine Aussagen zum Dunkelfeld. Somit ist ihre Aussagekraft systembedingt beschränkt. Sie bedarf zur Erkenntniserweiterung deshalb dringend Instrumente der Dunkelfeldforschung, insbesondere regelmäßiger, statistikbegleitender Opferbefragungen, wie diese in den letzten Jahren mehrfach gefordert worden sind und wie es auch in den weiteren Vorträgen hier anklingen dürfte. Die Zahlen der PKS bedürfen des Weiteren, wie bereits angedeutet, sachgerechter Interpretation! Es sei an dieser Stelle nochmals an das bereits erwähnte Zitat des Bundesrichters Thomas Fischer erinnert, der vor übereilten Alarmmeldungen warnt und einen kritischen Blick auf die hinter den Zahlen verborgene soziale Wirklichkeit anmahnt. Auf diese kritische Vorsicht kommt es beim Umgang mit der PKS in der Tat an. Vor allzu schnellen Interpretationen sei gewarnt. Mit einer gewissen Genugtuung habe ich in dem Beitrag von Fischer allerdings die Passage gelesen, in der er sich ausdrücklich gegen den Eindruck wendet, die PKS sei „falsch“ bzw. vermittle ein falsches Bild. Denn dort wirft er die rhetorische Frage auf: „Wenn schon dem BKA nicht zu glauben ist, wem dann noch? „Aber so schlimm ist es nicht. Das BKA lügt nicht.“ Das lassen wir mal so stehen. Ein zweites Spannungsfeld lässt sich m. E. auf der funktionalen Ebene verorten. Wie Ihnen allen aus den Vorbemerkungen zum PKS-Jahrbuch bekannt ist, dient die PKS der „Erlangung von Erkenntnissen für die vorbeugende und verfolgende Verbrechensbekämpfung, organisatorische Planungen und Entscheidungen sowie kriminologisch-soziologische Forschungen und kriminalpolitische Maßnahmen.“ Sie erfüllt also mehrere Funktionen für unterschiedliche Bedarfsträger. Genannt werden hier ausdrücklich neben der Polizei die Politik und die Wissenschaft. Die PKS ist zwar eine Statistik der Polizei und wird von der Polizei erstellt, aber eben nicht nur für die Polizei! Für die Polizei ist sie ein Instrument der Lagebeschreibung und Kriminalitätsanalyse, aber auch der Ressourcenallokation und Personalplanung. Allerdings stimmt auch der Einwand, die PKS sei nur ein Arbeitsnachweis der Polizei und habe mit der Kriminalitätswirklichkeit nicht viel zu tun, nur sehr bedingt. Eine Ausgangsstatistik kann, das dürfte allseits bekannt sein, das tatsächliche Arbeitsaufkommen der Polizei nur unvollständig abbilden. Nicht alles, was die Polizei bearbeitet, gelangt in die Ausgangsstatistik. Als Arbeitsnachweis greift sie, wenn unkritisch verwendet, sicherlich zu kurz. Wichtig ist mir aber die Feststellung, dass die PKS nicht nur für die Belange der Polizei erstellt wird, sondern eine Art Service der Polizei für die Gesellschaft und die mit Sicherheitsfragen befassten Institutionen darstellt. Etwas überspitzt und emphatisch könnte man auch formulieren, dass die PKS eine Datenbank im Dienste der Inneren Sicherheit darstellt, der sich viele Bedarfsträger bedienen und der gegenüber sie auch unterschiedliche Erwartungen hegen dürfen. Der Intra-Rollenkonflikt, um es etwas ironisch-soziologisch auszudrücken, ist gewissermaßen in die Rolle der PKSProduzenten eingebaut. Auf unser Dilemma, die Anzahl der Straftatenschlüssel zu reduzieren, bei gleichzeitiger Forderung, manche Deliktsbereiche differenzierter zu erfassen, habe ich bereits hingewiesen. Dass die Erfüllung solcher Wüsche nicht gerade komplexitätsreduzierende Wirkung entfaltet, dürfte nicht allzu schwer einzusehen sein. Ich bin nun auf die Vorträge von Herrn Wetzels und Herrn Kolmey gespannt, die von Seiten der Wissenschaft und der Sicherheitspolitik die PKS bzw. Dunkelfeldforschung betrachten und ggf. Erwartungen formulieren werden. Ein drittes Spannungsfeld tut sich auf, wenn die politischen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Die PKS ist mehr als ein Zahlenwerk und mehr als das PKS-Jahrbuch, das gemeinhin als „die PKS“ verstanden wird. Die PKS besitzt natürlich einen institutionellen Unterbau, dessen Regeln und Arbeitsweisen den Entscheidungsprozess ordnen und kanalisieren. Beschlüsse, die das Regel- und Zahlenwerk der Statistik betreffen, bedürfen der Zustimmung der zuständigen Gremien. In einem föderalen System, in dem die Interessen von 16 Ländern mit teilweise unterschiedlichen fachlichen Vorstellungen und IT-technischen Ausstattungen zu berücksichtigen sind, ist für Spannung gesorgt! Das können Sie mir glauben. Dennoch funktioniert die Zusammenarbeit auf Kommissionsebene m. E. wirklich gut. Dafür möchte ich mich bei meinen hier anwesenden Kollegen herzlich bedanken. Die Kommission PKS ist ein diskussionsfreudiges Gremium, aber auch ein Gremium, das in den letzten Jahren einiges auf den Weg gebracht hat. Die Entscheidungsprozesse brauchen nun eben ihre Zeit, was all jene berücksichtigt sollten, die schnelle Umsetzungen ihrer Wünschen erwarten. Nach der Skizzierung der drei Spannungsfelder möchte ich vergegenwärtigen, welche Charakteristika die PKS auszeichnen. Sie kennen diese zwar, dennoch möchte ich sie erwähnen. Sie ist eine Massenstatistik, eine Ausgangsstatistik und eine „Inlandsstatistik“. Eine Massenstatistik heißt, dass gewisse Abstriche bezüglich der zu erfassenden Merkmale gemacht werden müssen. Das System darf nicht zu komplex werden, weil ansonsten der Erfassungsaufwand tatsächlich zu groß wird. Insbesondere die Erfassung von Personenmerkmalen ist sehr begrenzt. Tatverdächtige sind keine Probanden, die freiwillig an einer Befragung teilnehmen. Sie müssen nur relativ wenige Angaben zur Person machen. Dazu gehört z. B. nicht der Geburtsort bzw. das Geburtsland der Eltern. Der Erfassung des Migrationshintergrundes kann deshalb mit einer gewissen Skepsis begegnet werden. Um ausführliche Informationen über Deliktphänomene zu bekommen, als dies auf der Basis der PKS möglich ist, bedarf es eben auch der Erstellung polizeilicher Lagebilder, die neben der PKS auf weitere Datenquellen, wie den Meldedienst, zurückgreifen können. Der Vortrag von Herrn Neumann dies bereits deutlich werden lassen. Als Ausgangsstatistik eignet sich die PKS eigentlich nicht zur Abbildung aktueller Lagen. Hierzu sind die Daten aus den Vorgangsbearbeitungssystemen besser geeignet, wie Herr Harnau ausgeführt hat. Sie eignet sich aber gut als Datengrundlage für kriminalstrategische Planungen und Entscheidungen, denen eine etwas längere Zeitperspektive zugrunde liegt. Bekannt ist, das zwischen dem Tatzeitpunkt der kriminellen Handlung und der Abgabe der Akte an die Staatsanwaltschaft – d.h. dem Berichtdatum für die PKS – je nach Deliktsart unterschiedlich lange Zeiträume vergehen können. Die PKS als „Inlandstatistik“ bedeutet, dass nur Fälle erfasst werden, bei denen die Tathandlung im Inland bzw. auf deutschen Schiffen oder Flugzeugen begangen wird. Es gilt das Territorial und Flaggenprinzip. Es werden also keine Fälle erfasst, bei denen der Täter im Ausland handelt, der Erfolg der Handlung aber im Inland eintritt. Dass dies in Zeiten des Internets und einer globalisierten Welt erhebliche Probleme aufwirft, liegt auf der Hand. Die „digitale Revolution“ hat uns nicht nur faszinierende Instrumente für die Datenerhebung, -pflege und –auswertung beschert, sondern auch neue Kriminalitätsformen und Tatgelegenheitsstrukturen hervorgebracht. Denen muss auch die PKS Rechnung tragen. Insbesondere der Bereich „Cybercrime“ ist hier zu nennen, wie im Vortrag von Frau Link explizit angesprochen. Damit komme ich zum dritten Teil des Vortrages und nehme den Faden der Vorstellung von Fortentwicklungen der PKS wieder auf. Legt man den Begriff der Fortentwicklungen etwas weiter aus, so kann zwischen der internen Fortentwicklung der PKS und der externen unterschieden werden. Mit letzterer meine ich die Fortentwicklung des kriminalstatistischen Systems auch jenseits der PKS. Die wichtigsten internen Fortentwicklungsmaßnahmen betreffen die Abbildung von Cybercrime und damit zusammenhängend das Problem der Auslandstatenerfassung. Zunächst zu Cybercrime: Vorschläge, wie Cybercrime in der PKS zu erfassen ist, wurden von einer Projektgruppe erarbeitet, die mit Vertretern der mit Cybercrim- Fachreferate und mit PKS-Experten besetzt war. Vorgesehen ist, dass voraussichtlich ab 2017 eine neue Sonderkennung eingeführt wird. Bisher kennt die die PKS nur zwei Sonderkennungen, nämlich die für Wirtschaftskriminalität und für das Tatmittel Internet. Letztere wird durch die neue Sonderkennung abgelöst, aber auch insofern erhalten, als nach wie vor Tatmittel Internet erfasst werden wird. Die neue Sonderkennung differenziert allerdings zwischen Cybercrime im engeren Sinne, d.h. Straftaten, die sich gegen das Internet, weitere Datennetzte, informationstechnische Systeme oder deren Daten richten, und Cybercrime im weiteren Sinne, das heißt Straftaten, die mittels dieser Informationstechnik begangen werden. Ergänzt wird die Erfassung von Cybercrime durch einen weiteren Folgekatalog, mittels dem vornehmlich, aber nicht nur, Phänomene der Cybercriminalität, wie z. B. Phising „Ransomware“, und (D)Dos-Attacken, aber auch der „Enkeltrick“ erfasst werden. Die Einführung eines Folgekataloges ist notwendig, da diese Phänomene nicht nur einer Strafrechtsnorm und somit einem bestimmten, sondern mehreren Straftatenschlüssel zugerechnet werden können. Diese Neuerungen werden dazu beitragen, die Datenbasis zu erweitern und eine bessere Lagedarstellung zu befördern. Sie werden alleine aber nicht genügen, die Bedrohung durch Cybercrime ausreichend abzubilden. Hierzu bedarf es m. E. der Hinzuziehung anderer Datenquellen. Eine Herausforderung der besonderen Art stellt die Frage der Auslandstatenerfassung dar, da sie das System der PKS in seinen Grundzügen erheblich erweitert. Bisher haben wir uns noch nicht auf ein Konzept einigen können. Es hakt noch an manchen Stellen, doch bin ich optimistisch, dass wir demnächst einen Vorschlag präsentieren werden. Gedacht ist an ein Zwei-Säulen-Modell. Die eine Säule wird durch die bisherige PKS gebildet, die zweite durch die Auslandstaten und Taten, bei denen keine konkreten Hinweise für einen Inlandstatort vorliegen. Mit dieser zweiten Säule wird PKS-Neuland betreten. Es gibt da einige Schwierigkeiten, die hier nur angedeutet werden können. Sie betreffen die Fallzusammenführung und die Festlegung des Erfolgsortes. Gemäß den Richtlinien der PKS ist die Handlung konstitutiv für die Fallerfassung. Bei einem Hacking-Angriff kann eine einzige, im Ausland ausgeführte Tathandlung sehr viele Betroffene nach sich ziehen, die sich über die gesamte Bundesrepublik verteilen. Wir haben es dann eigentlich nur mit einem Fall, aber sehr vielen Betroffenen zu tun. Welchen Erfolgsort registrieren wir für den Fall? Erkennen wir, dass es sich um nur einen Fall handelt oder werden in unterschiedlichen Bundesländern jeweils ein Fall oder gar mehrere Fälle registriert? Wie gesagt, ich versuche nur, die Schwierigkeiten deutlich zu machen. Die Lösung, die wir hoffentlich demnächst finden, soll zunächst einer zweijährigen Testphase unterzogen werden. Nach wie vor sind Aspekte des Raumes und der Tatörtlich von großer Bedeutung. Es ist deshalb geplant, in Zukunft einen Tatörtlichkeitskatalog einzuführen, der die Erfassung der Tatörtlichkeit mittels einzelner Straftatenschlüssel ablöst, der auf den Straftatenkatalog allgemein bezogen werden kann und zudem die Möglichkeit bietet, noch nicht berücksichtigte Tatörtlichkeiten, die kriminalistischkriminologische, aber auch kriminalpolitische Relevanz besitzen auszuweisen. Zu denken ist z. B. an Bahn- und Flughäfen, Schulen oder auch Orte die mit dem Begriff einer „kritischen Infrastruktur“ in Verbindung gebracht werden. Dieser Tatörtlichkeitskatalog wird durch einen weiteren Katalog komplementiert. Ein Katalog der Ereignisse erfassen wird. Gedacht ist neben Sportereignissen auch an sonstige Großereignisse wie z.B. Musikveranstaltungen, aber auch an Demonstrationen. Dies nun sind alles Fortentwicklungen die sich im Rahmen des bestehenden PKS-Systems vollziehen. Mir erscheint es wichtig, den Blick über die PKS hinaus auf andere wichtige Datenquellen und deren Entwicklung zu werfen. Zu nennen wäre an erster Stelle die Bedeutung von Victim Surveys. Da der morgige Tag aber ganz der Dunkelfeldforschung gewidmet ist, verzichte ich hier auf weitere Ausführungen und wende mich dem statistischen Bereich zu, der der PKS nachfolgt, und damit dem Thema Verlaufsstatistik. Auch hierzu kann ich allerdings nur ein paar kurze Anmerkungen machen, um den mir bekannten Sachstand zu umreißen. Natürlich wüsste man gerne, was aus den Tatverdächtigen der PKS im weiteren Strafverfahren wird, ob die Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden, ob es zur Gerichtverhandlung kommt und wie sanktioniert wird. Die Abbildung dessen, was mit einer bestimmten Person bzw. einem bestimmten Fall von der Anzeige bis ggf. zur Verbüßung einer Haftstrafe oder dem Ende der Bewährungszeit geschieht, ist auf Basis der bestehenden Statistiken nicht möglich. Will man dies untersuchen, bedarf es gezielter kriminologischer Projekte, wie bspw. der Untersuchung des KFN zum Wohnungseinbruch. Dass man solche Informationen gerne aus den Statistiken entnehmen möchte, ist verständlich. Der Wunsch, eine Verlaufsstatistik einzurichten, ist deshalb alles andere als neu! Erfüllt worden ist er bis heute nicht. Allerdings wird an der Erfüllung gearbeitet – zumindest ansatzweise. Nachdem die Forderung nach einer Verlaufsstatistik immer wieder erhoben und in den politischen Diskussionsprozess eingebracht worden ist, wurde vom BMI eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Möglichkeiten auslotet, eine Verlaufsstatistik zu schaffen. Dass dies kein einfaches Unterfangen ist, dürfte allen hier im Saal klar sein, und schnelle Lösungen wird es m. E. nicht geben. Es dürfte aber viel gewonnen sein, wenn es gelänge, in einer Machbarkeitsstudie auszuarbeiten, wie die Schaffung einer solchen Statistik Schritt für Schritt angegangen werden kann. Die Durchführung einer Machbarkeitsstudie wäre ein erster wesentlicher Schritt. Bisher habe ich mich in meinen Ausführungen hauptsächlich auf die nationale Entwicklung beschränkt. Frau Link hatte aber bereits auf die Datenanforderungen auf internationaler Eben hingewiesen. Diese haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Ein weiterer wichtiger Faktor im Hinblick auf die Fortentwicklung der Statistik kommt deshalb den internationalen Bemühungen zu, die ich hier auch nur andeuten kann. Auf europäischer Ebene wurde im Haager Programm von 2005 vom Europäischen Rat die Initiative der Kommission begrüßt, „…Instrumente für die Sammlung, die Analyse und den Vergleich von Informationen über Kriminalität und Viktimisierung sowie über die jeweilige Entwicklung in den einzelnen Mitgliedsstaaten zu schaffen und dazu nationale Statistiken und andere Informationsquellen als vereinbarte Indikatoren heranzuziehen. Eurostat sollte beauftragt werden, solche Daten zu definieren und bei den Mitgliedstaaten zu erheben.“ Diese Forderung wurde im EU Kriminalitätsbekämpfungsplan 2006-2010 aufgegriffen und führte dazu, dass zwei Arbeitsgruppen eingerichtet wurden: die „expert group“ – inzwischen new expert group – der „users of statistics“, bestehend aus Vertretern von Ministerien, Wissenschaftlern und NGOs und die „Working Group on Statistics on Crime and Criminal Justice“ von Eurostat, die die „producers of statistics“ vertritt. An ihren Sitzungen nimmt mein Kollege vom Statistischen Bundesamt und ich teil. Als Statistikproduzenten kommt uns die Aufgabe zu, abzuklären, ob bzw. inwiefern die von der „expert group“ geäußerten Datenbedarfe innerhalb der bestehenden Systemen geleistet bzw. aus welchen nationalen Datenquellen erfüllt werden können, und schließlich gehört es zu unseren Aufgaben, die auf nationaler Ebene zusammengeführten Daten an Eurostat zu übermitteln. In den letzten Jahren ist es zu mehreren Datenabfragen gekommen. Regelmäßig durchgeführt wird die Abfrage zu einigen Deliktfeldern wie z. B. Tötungsdelikte (homicide), Gewaltdelikte (violent crime) und Wohnungseinbruch (domestic burglary). Veröffentlicht werden diese in einer kleinen Broschüre: Statistics in Focus. Weitere, eigenständige Abfragen betrafen die Bereiche „Geldwäsche“ und Menschenhandel“. Neu hinzugekommen ist nun der Bereich „Cybercrime“ und „Korruption“. Wichtig ist mir der Hinweis, dass der EU Aktionsplan 2006-2010 ein zweigleisiges Vorgehen für die Datenerhebung vorsah. Aus dem Zitat geht hervor, dass neben den nationalen Statistiken auch andere Informationsquellen heranzuziehen seien. Eine privilegierte Rolle bei diesen anderen Informationsquellen sollte eine europaweite Opferbefragung spielen. Geplant war diese für das Jahr 2013. Dazu ist es leider nicht gekommen, obwohl mehrere Länder, darunter auch Deutschland, an einer Testuntersuchung, teilgenommen haben, die die Voraussetzungen für die geplante Haupterhebung schaffen sollte und im Grunde auch geschaffen hat. Der vorgelegten Verordnung der Kommission zur Hauptuntersuchung wurde vom LIBE Ausschuss des Europaparlaments die Zustimmung verweigert. Die Verordnung wurde daraufhin vom Europaparlament abgelehnt. Kerngedanke des Methodentest-Projekts war es, ein Alternativinstrument für den europäischen Kriminalitätsvergleich zu schaffen, das die Schwächen eines Vergleichs, basierend auf amtlichen Statistiken, vermied. Dazu sollten ein einheitlicher Fragebogen, der in die jeweiligen Landessprachen zu übersetzen war, und die Anwendung gleicher Erhebungsmethoden dienen. Nachdem aus all dem nichts geworden ist, stellt sich die Frage, ob nicht weitere Wellen des bekannten International Crime Victim Surveys (ICVS) die bestehende „Erkenntnislücke“ füllen können. Als letztes will ich noch erwähnen, dass wir nicht nur Daten an Eurostat, sondern auch an die UNODC übermitteln. Die UN führt ja seit Jahrzehnten den UN Crime Trends Survey durch. Aus der Sicht der Datenproduzenten ist es zu begrüßen, dass Eurostat und UN die Datenerhebung nun gemeinsam durchführen, um den Aufwand separater Datenerhebung für die Länder zu minimieren. Ggf. Verzicht auf Abs. Gespannt sein darf man darauf, welche Wirkung, die von einer UNODC-UNECE Arbeitsgruppe erstellte „Internationale Kriminalitätsklassifikation“ ICCS („International Classification of Crimes for Statistical Purposes“) haben wird, mit der auch wir konfrontiert sind. Hierbei handelt es sich um eine Klassifikation, die auf Verhaltensbeschreibungen und nicht auf Legaldefinitionen aufbaut und deren Ziel es ist, den internationalen Kriminalitätsvergleich zu verbessern, und zwar nicht nur bezogen auf Daten der Polizei, sondern auf den verschiedenen Ebenen des Strafverfolgungssystems. Das heißt aber auch, dass mit dem ICCS die Vorstellung einer Verlaufsstatistik einhergeht. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu meiner Zusammenfassung kommen. Ich habe versucht, ausgehend von den bereits eingeführten Neuerungen der PKS, einige grundlegende Gedanken im Hinblick die Spannungsfelder von Erwartungen und Möglichkeiten der PKS darzulegen und implizit die Warnung damit verbunden, nicht zu viel von der PKS zu verlangen! Darüber hinaus war es mir wichtig, auf die grundlegenden Charakteristika der PKS als Massen-, Ausgangs- und Inlandsstatistik zu verweisen. Dass wir vor großen Herausforderungen stehen, sollte zum einen in Bezug auf die interne Weiterentwicklung des PKS-Systems – Stichwort: Cybercrime und Auslandstatenerfassung –, zum anderen durch die Bemerkungen zu Opferbefragungen und der Verlaufsstatistik deutlich geworden sein. Hinzu kommt der internationale Kontext den ich leide nur sehr, sehr knapp ansprechen konnte. Als Statistikproduzenten ist es unsere Aufgabe, eine zuverlässige Datenbasis zu gewährleisten und hierfür entsprechende Datenqualitätssicherungen vorzusehen. Unsere Aufgabe ist es aber auch, die Daten in entsprechender Form aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen. Auch hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Sie können sich davon selbst überzeugen, wenn sie sich unsere Einstellungen im Internet ansehen. Zum Schluss meines Vortrages möchte ich gerne zwei Hinweise geben bzw. Warnungen aussprechen: Erstens, der Psychologe Daniel Kahneman, Nobelpreisträger für Wirtschaft, hat in seinem Buch „Schnelles und langsames Denken“ zwei Denkmodi unterschieden, die er System 1 und System 2 nennt. Während System 1 automatisch und schnell und ohne willentliche Steuerung arbeitet, lenkt System 2 die Aufmerksamkeit auf die anstrengenden mentalen Aktivitäten, darunter komplexen Berechnungen. System 1-Denken ist uns sehr vertraut. Vieles, was wir tun erledigen, wir unter Einsatz von System 1-Denken, unterliegen dabei aber oft auch gewissen Täuschungen bzw. Selbsttäuschungen, auch im Hinblick auf die die Zuschreibung von Kausalitäten. Hier ist Vorsicht geboten! So schreibt Kahnemann: „Die Bedeutung kausaler Intuition ist ein wiederkehrendes Thema in diesem Buch, weil Menschen dazu neigen, kausales Denken unsachgemäß anzuwenden, nämlich auf Situationen, die statistisches Denken erfordern. Statistisches Denken leitet Schlüsse über Einzelfälle von Eigenschaften aus Kategorien und Gesamtheiten ab. Leider ist System 1 dieser Denkmodus nicht zugänglich; System 2 kann lernen, statistisch zu denken, aber nur wenige Menschen erhalten die notwendige Schulung.“ Die zweite Anmerkung bezieht sich auf die erwähnten Kategorien und verweist auf ein Problem, das ich in meinem Vortrag bisher gänzlich ausgespart habe, das ich aber nicht unterschlagen, will, nämlich auf die Gefahr, mit statistischen Erkenntnissen zu etikettieren und zu stigmatisieren. Bei aller Wertschätzung und Bedeutung Statistik sollten wir uns dieser Gefahr auch immer bewusst sein. Hierzu lohnt es sich nochmals den Historiker Osterhammel zu Wort kommen zu lassen. Was er für die Statistiken des 19. Jhdt. geschrieben hat, trifft m. E. auch heute noch zu. Ich zitiere: „Die Statistik war doppelgesichtig: einerseits ein Instrument zur Beschreibung und Aufklärung, andererseits eine große Stereotypisierungs- und Etikettierungsmaschinerie.“ Und er fährt fort: „Nirgends wurden diese zwei Seiten deutlicher als im kolonialen Raum: Wo soziale Verhältnisse so viel schwerer zu verstehen waren als im vertrauten Nahbereich, da erlag man vielfach den Verlockungen vermeintlicher Objektivität und Exaktheit, wenn man nicht schon an den praktischen Tücken scheiterte, mobile Populationen numerisch dingfest zu machen.“ Die beiden Hinweise sollten wir bei der Fortentwicklung der PKS immer im Auge behalten.
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