Klettern zwischen Reisfeldern, Affen und heiligen Kühen Bericht über die Kletterfahrt der AVS-Jugend nach Südindien Als ob jemand mit einem Presslufthammer mein Bett zertrümmern wolle, hört es sich an. An schlafen ist nicht mehr zu denken. Was um Himmels willen macht so einen Krach? Auch Helli's Schlaf scheint vorüber und so begeben wir uns nach draußen. Es ist 10 Uhr. Vor 5 Stunden waren wir nach einer schier endlos langen Fahrt mit unserem Bus hier angekommen, da war die Straße noch menschenleer. Jetzt sind wir mittendrin im Gewimmel aus Menschen, Fahrrädern, Ochsenfuhrwerken, hupenden Motorrädern und knatternden Lastwagen. In einer Nebengasse sehen wir Sachim und Vivek, unsere indischen Freunde. Hier geht es etwas ruhiger zu. Ich bin froh darüber. Nicht, dass ich Indien nicht in vollen Zügen genießen würde. Indien mit all dem, was dazugehört. Mit geschäftigem Treiben, mit Straßen voller Menschen, Kühen, Ochsen, Schweinen und Hunden, dazwischen Dreiräder, Lastwagen, Busse. Bei jedem Schritt aufpassen, nicht in einen Kuhfladen zu treten. Die Luft duftet nach Gewürzen und Schweinedreck und Hausmüll, verbrannten Autoreifen und Abgasen. Wie gesagt, ich genieße dies. Und natürlich auch die freundlichen, zurückhaltenden Menschen. Nur der Übergang vom Tiefschlaf mitten ins Chaos war etwas heftig. Doch inzwischen bin ich froh über meine Flucht vor dem Stromaggregat, erblicken wir doch erstmals die kilometerlangen Felsriegel Badamis. Zum Klettern sind wir hier - was sonst könnte man in Indien auch wollen. Natürlich gibt es auch Tempel und Kulturstätten. Doch wenn 13 junge Südtiroler nach Indien aufbrechen... Und wenn noch dazu alles gute Kletterer sind... Badami heißt unser Hauptziel. Inmitten des indischen Subkontinentes gelegen, eingebettet in riesige landwirtschaftliche Flächen. Ein kleines Städtchen ist Badami, obwohl es über 20.000 Menschen beherbergt. Und es liegt abseits jeglicher Touristenströme. Hier verirren sich nur wenige Europäer her, und noch weniger Kletterer. Verwunderlich eigentlich. Läge dieser Felsriegel in unseren Breiten, Tausende von Kletterern verbrächten hier alljährlich ihre Ferien. Aber es liegt nicht in unseren Breiten – zum Glück für all jene, die gerne nach neuen Kletterwegen. So wie wir. Und noch etwas macht Badami so reizvoll. Es liegt eben nicht in Europa, sondern auf einem fremden Kontinent in einer uns völlig fremden Kultur. So können wir das Klettern mit dem Kennenlernen neuer Freunde verbinden. Vivek und Sachim sind schon zu Freunden geworden, obwohl wir sie erst ein paar Tage kennen. Sie kommen aus Pune einer 3 Millionenstadt nahe Bombay und werden uns in den nächsten 3 Wochen unserer Reise begleiten. Zwei Tage sind wir schon gemeinsam geklettert, im Plus-Valley, ei- nem kleinen Gebiet nahe ihrer Heimat. Dort lebten wir wie im Paradies. Das Hotel idyllisch im Grünen gelegen, das feine Essen, die freundlichen Leute. Und wäre die Felsqualität etwas besser, nur ungern hätten wir diesen Platz verlassen. Doch Badami lockte und so machten wir uns auf die Reise und fuhren die 600 langen Kilometer über holprige Straßen in Richtung Süden. Nun sind wir hier. Und ich bin froh darüber. Gemeinsam gehen wir durch die engen Gassen in Richtung Felsen. Durch ein Steintor erreichen wir die Tempelanlage, die es zu durchqueren gilt. Vorbei an einem Jahrtausende alten Stausee, der einzigen Waschgelegenheit für viele hier, kommen wir den Felsen immer näher. Gleich hinter dem Stausee liegt der erste Felsriegel. Und links uns rechts davon auch welche. Auf einigen ist das Klettern verboten, sie liegen direkt über der Tempelanlage. Endlich haben wir ersten Felskontakt. Sandstein von allerfeinster Qualität. Zwar nur zwischen 20 – 50 m doch fest und stark strukturiert. So gibt es von Rissen durchzogene Wandpartien, andere sind spiegelglatt. Wieder andere löchrig oder voll von Griffen in allen möglichen Formen. Als ob jemand eine Menge großer Kletterhallengriffe in die Wand geschraubt hätte. Nur ist dies eben Natur. Unsere indischen Freunde zeigen uns einige Routen. Und auch unzählige neue Linien entdecken wir. Am liebsten würde ich gleich einsteigen, doch so ganz ohne Material geht’s halt doch nicht. Also zurück zum Hotel. Unterwegs kommen wir wieder an der Schule vorbei. Wieder belagern uns jede Menge Schüler, fragen nach Schokolade, Kugelschreibern und nach unseren Namen. Leider können wir nur mit unseren Namen dienen. Bis zu unserer Abreise können einige von ihnen diese sogar richtig aussprechen. Im Hotel sind alle wach und nach einem gemeinsamen Frühstück treten wir gemeinsam den Weg zu den Felsen an, voll bepackt mit Kletterausrüstung, genügend Wasser und frischen Bananen. Und gleich schon werden wir überfallen. Auf den Dächern Badamis ist eine räuberische Bande beheimatet, die skrupellos über jeden Herfällt, der interessante Beute bei sich trägt. Hämisch lachen die Affen vom Dach, während sie unsere Bananen verzehren. Das nächste Mal passen wir besser auf. Vom Schreck haben wir uns bald erholt. Spätestens nach den ersten Kletterzügen. Die Risskletterei ist für uns eher ungewohnt, doch im Laufe der Zeit kommen wir auch damit zurecht. Leichter gewöhnen wir uns an die überaus gute Reibung. Hier stehe ich fast überall. Angenehm, wenn die Füße nicht rutschen. Diese Sicherheit habe ich in den abgespeckten Modegebieten am Gardasee selten. Die Touren sind meist sind sie steiler und schwerer als von unten erwartet. Wie gesagt, es gibt nicht viele Touren. Und so müssen wir halt selber einige erschließen. Doch genau deshalb sind wir ja hier. Bepackt mit Keilen, Friends und Bohrmaschine machen wir uns an die Arbeit. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es uns ein großes Anliegen war und ist, die Ethik nicht zu vergessen. Alle Touren wurden von unten erschlossen. Zur Sicherung verwendeten wir häufig mobile Sicherungsgeräte. Die unzähligen Querrisse boten oft Platz für Keile und Friends. War dies nicht möglich, setzten wir Bohrhaken. Doch dies eher spärlich. So mussten schon einige Klettermeter zurückgelegt werden, um den nächsten Haken zu erreichen. Die Sonne erreicht langsam den Horizont und taucht die Wand in ein warmes, rötliches Licht. Die Farbschattierungen des Felsen reichen nun von dunkelgelb über orange bis rostbraun. Wenige Meter fehlen Helli noch bis zum Ausstieg, doch die Finsternis holt uns ein. Also zusammenpacken. Morgen ist ja auch noch ein Tag. Und überdies sind wir hungrig und müde. Wir kehren ins Hotel zurück und starten gleich wieder in Richtung Abendessen. Unsere Freunde wissen um die indische Küche und den schwachen Gaumen der Europäer bescheid, und haben den Koch unseres Restaurants angewiesen, nicht allzu scharf zu kochen. Einige müssen dennoch kämpfen, bis der Teller leer ist. Dabei ist das Essen in Indien äußerst schmackhaft. Nur eben scharf! Es gibt Reis mit verschiedensten Gemüsebeilagen. Und es gibt auch jede Menge Chapati, einem köstlichen Fladenbrot. Der Morgen kommt und in den darauffolgenden neun Tagen, die wir insgesamt in Badami verbringen, bekommen wir einige Routine. Früh morgens frühstücken, Bananen und Wasser kaufen. Danach klettern, am Nachmittag, nach eintreffen der ersten Sonnenstrahlen Sektor wechseln, oder zum Entspannen in den Schatten legen. Am Abend wieder zurück ins Städtchen. Wieder vorbei an der Schule, "i’m sorry, i have no scoolpen“, und „my name is Bernhard“. Diese Sätze wiederholen wir unzählige Male. Doch irgendwie wachsen sie uns ans Herz, die Kinder und Jugendlichen, Männer und Frauen, die uns fast rund um die Uhr umgeben. Ist schon verständlich, ihre Neugierde. Und sein wir ehrlich. Auch uns in unseren Breiten täte es gut, mal mit dem Einen oder Anderen zu sprechen, mal dazusitzen und etwas zu beobachten. Nur fehlt uns halt die Ruhe. Als wir Badami verlassen, sind die Felsen um 50 Touren reicher. Und jeder von uns ist um viele Erlebnisse und Eindrücke reicher. Einige suchten das erste Mal ihre Linie durch noch unberührten Fels. Dass das oft schwieriger ist, als man meinen möchte, weiß ich jetzt aus eigener Erfahrung. Nicht nur einmal wünschte ich mir einen sicheren Haken vor meiner Nase, zitterte am ganzen Leib, krallte mich an kleinen Griffen fest, obwohl gleich daneben ein großer Griff gewesen wäre. Doch wenn man als Erster da ist, weisen keine Magnesiaspuren den Weg. Und auch wenn der Fels sehr fest ist, kann man nicht blindlings jeden Griff antauchen. Doch das kennen wir ja aus den Dolomiten. Ja, Badami müssen wir verlassen, leider. Wir sitzen im Bus und sind schon ganz gespannt auf unser nächstes Ziel. Hampi, 200 km weiter südlich ist weitaus bekannter. Nicht erst, seit Chris Sharma dort ein Klettervideo gedreht hat. Millionen, was sage ich noch viel mehr Granitblöcke liegen hier in der Landschaft, als ob ein Riese sie in die Landschaft rieseln lies, wie eine Handvoll Salz. Inmitten dieser Granitblöcke liegt Hampi. Eine alte Kultstätte der Hindus. Hier wurde der Affengott geboren, viele Tempel und Ruinen gibt es zu besichtigen. Wir treffen auf viele Touristen aus aller Herren Länder und vereinzelt auf Kletterer, Verzeihung, Boulderer. Denn Hampi ist ein Bouldergebiet. Die Felsblöcke sind meist nur zwei oder drei Meter hoch. Manche auch höher, der größte Felsblock an die 60 m. Aber aus Ehrfurcht vor der Tempellandschaft ist hier das Hakensetzen nicht gerne gesehen. Also starten wir bepackt mit Bouldermatten in’s Felslabyrinth. Der Fels ist rauh, und je kürzer die Tour desto kleiner werden die Griffe. Bereits bald schmerzen die Finger, auch meine Kraft lässt nach. Ich bin diese Art der Kletterei nicht gewohnt. Nur knapp über dem Boden, extrem kraftaufwendig werden oft Bewegungsfolgen erforderlich, die im normalen Klettern nicht vorkommen. Und kommt man nicht rauf, so springt man einfach runter auf den Boden. Wenn ich‘s recht überlege, bin ich ja schon gebouldert, da wusste ich noch nicht einmal was klettern bedeutet. Schon als Kind war kein Stein vor meiner Ersteigung sicher. Und noch heute habe ich die gleichen Probleme wie damals. Erst einmal den Aufstieg geschafft stellt sich das wahre Problem. Jetzt stehe ich 4 m über dem Boden. Die Bouldermatte erscheint mir so klein wie ein Planschbecken vom Dreimeter-Turm aus betrachtet. Mit viel Geduld dirigieren meine Freunde mich wieder hinunter und zeigen mir die von oben nicht einsichtigen Tritte. Bouldern ist wirklich nicht ganz das meine. Doch das Babas-Kaffee umso mehr. Es liegt gleich neben zwei bekannten Felsblöcken. Also lege ich mich in den Schatten, beob- achte die Anderen beim Bouldern und genieße meinen Kaffee. Auch hier wird's gegen Mittag drückend heiß. Der Nachmittag kann also zum Souvenierkaufen, zum Massieren oder zum Bummeln durch die Tempelanlagen genutzt werden. Doch nur 4 Tage können wir dies genießen, langsam geht der Urlaub zu Ende. Für einen Teil zumindest. Ein Teil der Gruppe bleibt noch länger in Indien. Sie haben sich für die weite Fahrt mehr Zeit genommen. Aber man hat auch zu Hause Verpflichtungen und immerhin kommt ja bald das Christkind. Veröffentlicht im Alpenvereinsjahrbuch BERG 2007 Also nehmen wir abschied und wechseln nochmals unseren Urlaubsort. Noch 2 Tage wollen wir in Goa verbringen. Strandurlaub vom Feinsten erwartet uns dort. Goa ähnelt ganz und gar den klassischen Touristenhochburgen an der Adria. Warmes Wasser, Liege- stühle so weit das Auge reicht, weiter hinten Hotels und Souvenierläden. Nur dass hier neben Badeurlaubern auch Kühe den Strand bevölkern. Und spätestens nach dem ersten Strandspaziergang weiß ich wieder, warum es mich in’s Abenteuer zieht, und nicht nach Rimini.
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