Der Zweck der regionalwissenschaftlichen Exkursion Joachim Vogt, Leiter des Instituts für Regionalwissenschaft des KIT Es sollte – zumindest im akademischen Umfeld - eine Selbstverständlichkeit sein, sein jeweiliges Handeln rational begründen und es gegen sachlich vorgebrachte Zweifel verteidigen zu können, gegebenenfalls mit der Bereitschaft, es aufgrund begründeter Kritik zu ändern. Dies muss besonders für universitäre Lehrveranstaltungen gelten und selbstverständlich auch für eine universitäre Exkursion. Es ist um so notwendiger, je mehr Exkursionspunkte in landschaftlich schönen Erholungsgebieten liegen, denn dies nährt den Verdacht, eine Ausflugsfahrt zu unternehmen, wie dies auch während der Exkursion unter dem Stichwort des Tourismus beobachtet und analysiert wird. Es muss also einleitend die Frage gestellt und beantwortet werden, welches Ziel und Zweck regionalwissenschaftlicher Exkursion sind. Dies kann nur unter Rückgriff auf das Ziel der Regionalwissenschaft erfolgen, wie es dem Masterstudiengang am Karlsruher Institut für Technologie, der ehemaligen Universität Karlsruhe, zugrunde liegt. Die notwendige Kürze einer solchen Erklärung an dieser Stelle ist nur mit Verweis auf die entsprechenden ausführlichen Begründungen in den Vorlesungen zu rechtfertigen. Jedes Projekt, also eine zu lösende Planungsaufgabe, und jedes zu analysierende Problem, ist durch Rahmenbedingungen bestimmt und so von diesen abhängig. Daher ist es nur unter Einbeziehung dieser zu erklären und zu lösen, und jede Lösung hat Wirkungen auf die Rahmenbedingungen und entfaltet dort – oft unerwartete oder unerwünschte – Wirkungen. Dies nennen wir das Kontextproblem und fragen danach, welcher Art diese Kontexte sind und wie sie systematisch in die Analyse mit einbezogen werden. Es sind drei Dimensionen, in denen dies erfolgen muss, fachlich, indem unterschiedlich Fachgebiete der spezialisierten Wissenschaft mit berührt und damit mit einbezogen werden müssen (dies begründet den interdisziplinären Ansatz der Regionalwissenschaft), räumlich, indem jedes Projekt in eine räumliche Situation eingebunden ist und mit ihr in Wechselwirkung steht (dies begründet u.a. die Zuordnung der Regionalwissenschaft zu den Raumwissenschaften einschließlich der Bearbeitung von raumtheoretischen Überlegungen) und zeitlich, indem jede Maßnahme eine vergangene Entwicklung mit all ihren sichtbaren und nicht sichtbaren aktuellen Folgen fortsetzt und damit – bewusst oder unbewusst - Brüche und damit Konflikte erzeugen kann, aber auch, indem eine Maßnahme die zukünftigen Möglichkeiten in mehr oder weniger engem Rahmen begrenzt. Abb. 1: Kontexte eines Projektes (einer Planung, eines Untersuchungsobjektes) in der regionalwissenschaftlichen Analyse Die fachliche Kontextualsierung wird offensichtlich mit der Vergegenwärtigung des Problems, dass wir in der Wissenschaft unsere Beobachtungen, die wir an einem Ort und zu einer Zeit zusammenhängend machen, Fächern zuordnen, welche eigene Methoden und Techniken als Erkenntnispfade entwickelt haben und diese gegeneinander abgrenzen, so dass der Zusammenhang, der offenkundig vorhanden ist, verloren geht. Die Wissenschaft schafft also (mit zunehmender Tendenz) künstliche Grenzen, welche zwar einerseits in spezialisierten Themenfeldern Erkenntnisse ermöglichen, deren Zusammenhänge mit anderen Themenfeldern aber immer weiter in den Hintergrund drängen. Ähnliche Probleme bestehen bei zeitlichen und räumlichen Kontexten. Es ist also stets die Aufgabe, in einer Analyse diese Dimensionen des Kontextes zu erfassen und die Konsequenzen für die Lösung von Problemen daran auszurichten (Abb.1). Schließlich versteht sich Regionalwissenschaft als handlungsorientierte Wissenschaft, die den Zweck der Anwendung ihrer Ergebnisse in den räumlichen Planungen verfolgt. Damit hat das Fach folgendes Selbstverständnis: Die Regionalwissenschaft untersucht mit sozialwissenschaftlichen, ökonomischen und naturwissenschaftlichen Methoden, welche sie den Nachbarwissenschaften entlehnt, regionale Verteilungsmuster, Prozesse und Konflikte (Regionalanalyse), um Regelhaftigkeiten zu ermitteln, künftige Entwicklungen abzuschätzen (Regionalprognostik) und die ablaufenden Prozesse zu beeinflussen (Regionalpolitik und Regionalplanung). Die Vermittlung der theoretischen und fachlichen Grundlagen für die Regionalanalyse sind Themen der Vorlesungen und Seminare, ebenso die Vermittlung von Methoden und Techniken der räumlichen Planung. Dabei muss notwendigerweise ein separativer Ansatz verfolgt werden, bei welchem die Inhalte zwar in logischer Folge, aber nacheinander und voneinander getrennt dargestellt werden. Die anschließend notwendige Integration muss projektbezogen exemplarisch erfolgen. Dem dient eine Exkursion. Dabei werden möglichst unterschiedliche Untersuchungsobjekte besucht, um sie in ihren jeweiligen Begründungszusammenhängen, den fachlichen, räumlichen und zeitlichen Kontexten zu erfassen und sie sowie mögliche Maßnahmen in ihren erwünschten und unerwünschten Wirkungen zu bewerten. Dazu ist es in der täglichen Praxis der Regionalwissenschaft erforderlich, die Grundlagen der Analyse zu erarbeiten, ein häufig aufwändiger und schwieriger Vorgang. Während einer Exkursion kann dies durch Vorbereitung nur teilweise erfolgen, zu breit gestreut sind die Themen und zu begrenzt die Zeit. Daher übernehmen die Lehrkräfte, unterstützt durch externe Fachleute, diese Aufgabe. Die Studierenden haben nun nicht etwa die Aufgabe, dieses Wissen nur abfragbar zu protokollieren und zu aggregieren, sondern es zu verarbeiten, indem Kontexte hergestellt und Wechselwirkungen überprüft werden. Daher beschränkt sich das Protokoll auch nicht auf die Wiedergabe des jeweils Gehörten, sondern auf die Verarbeitung und integrierende Analyse des Gehörten, Beabachteten, Gewussten und Erschlossenen. Abweichend von der logisch-systematischen Sequenz der Inhalte in den Vorlesungen werden die Inhalte auf der Exkursion objektbezogen zusammengefasst, also in einer anderen Folge erarbeitet, die sich aus den konkreten sachlichen Voraussetzungen sinnvoll ergibt. Da auf vorausgesetztem Wissen, insbesondere den Inhalten vorbereitender Lehrveranstaltungen, aufgebaut wird, haben die Ausführungen vor Ort ergänzenden Charakter. Dies gilt besonderes für die fachlichen und räumlichen Kontexte. Da die zeitlichen Kontexte (im speziellen Curriculum in Karlsruhe) nicht systematisch erarbeitet wurden, hat die Darstellung der zeitlichen Kontexte, also der historischen Wurzeln der untersuchten Probleme in den untersuchten Räumen (Orte, Landschaften, Regionen) und ihre spezifische Konstruktion und Darstellung mehr grundlegenden Charakter. Dabei wird versucht, die historischen Bedingungen gegenwärtigen Wahrnehmens und Handelns zu begreifen sowie die Bedingungen und Wechselwirkungen zwischen lokaler, regionaler, nationaler und auch globaler Ebene zum jeweiligen Zeitpunkt aufzuzeigen. Es wird auch danach gefragt, wie und mit welchem Ziel das jeweils für verbindlich erklärte Konstrukt der Geschichte definiert, als verbindlich dargestellt und durchgesetzt wurde und wie es als wesentliche Legitimation des gesellschaftlichen Handelns instrumentalisiert wurde und wird. Wenn erforderlich, werden auch zu den Lehrveranstaltungen komplementäre fachliche Grundlagen vermittelt, beispielsweise bei der Geologie, ohne deren Grundverständnis räumliche Zusammenhänge – besonders im Alpenraum - nicht erfasst werden können. Das Ziel der Regionalwissenschaft, dies alles in der erforderlichen Tiefe zu verwirklichen, ist anspruchsvoll, der Weg dorthin jedoch auch sehr erkenntnisreich und befriedigend. Auch wenn – gerade bei studentischen Versuchen – das Ziel nicht ganz erreicht wird, so hat doch auch der nur teilweise zurückgelegte Weg seinen Wert. Eine letzte Bemerkung erfolgt bezüglich des Untersuchungsraumes. Es handelt sich, wie einleitend bemerkt, um touristisch beliebte Erholungsräume, den Bodensee, das Alpenrheintal und Vorarlberg. Jedoch ist nicht der touristische Wert die Begründung für die Wahl des Zieles, sondern seine naturräumliche, politische, ökonomische und kulturelle Vielfalt. Im Vierländereck aus der Schweiz, Österreich, Liechtenstein und Deutschland (aus bayerischer Perspektive wäre möglicherweise auch von einem Fünfländereck zu sprechen) überlagern sich sehr unterschiedliche Kulturen grenzüberschreitend und legen eine kulturvergleichende und interkulturell vermittelnde Analyse nahe, wie sie dem internationalen Studiengang entspricht. In den von den Walsern besiedelten Hochlagen Vorarlbergs sollen zudem die historischen und aktuellen Anpassungsformen im Höhengrenzsaum der Ökumene besprochen werden. Dort fanden sich in der Vergangenheit ähnliche Aufgabenstellungen, wie sie in vielen Mangelökonomien der Erde aktuell bestehen. Hier wie bei anderen Themen bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, konkrete Inhalte zu abstrahieren, daraus allgemeines Wissen zu erhalten und dies in andere Räume der Erde zu übertragen. Die Unterbringung in einem ehemaligen Walserhaus in Laterns ist daher kein Zufall, sondern bewusst erfolgt.
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