FH Münster FB 01 CRPT-Labor Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 1 1 Ziel des Versuchs Zweck dieses Versuches ist es, für ein Strömungsrohr die Verweilzeitverteilung und Varianz sowie die Bodensteinzahl zu bestimmen. Dazu wird das System mit einer Stoßmarkierung beaufschlagt. Die Änderung der Konzentration wird über die Leitfähigkeit gemessen. 2 Theoretische Grundlagen 2.1 Segregation Bisher wurde davon ausgegangen, dass die Reaktionsmasse an jedem Ort des Reaktors bis in den molekularen Bereich hinein vermischt ist. Man spricht in solchen Fällen von einem Mikrofluid und von maximaler Vermischung. Niederviskose Flüssigkeiten und Gase, mit Ausnahme von Flammen, fallen fast immer in diese Kategorie. Bilden sich jedoch Volumenelemente, die aus etwa 10 10 bis 1012 Molekülen bestehen, so kommt es im molekularen Bereich zu Inhomogenität und damit zu örtlichen Konzentrationsdifferenzen. Im Extremfall behalten diese Volumenelemente, die im Vergleich zur Reaktordimension klein sind, ihre Identität während der gesamten Aufenthaltszeit im Reaktor, d. h. der Inhalt der Aggregate wird nicht mit der Umgebung ausgetauscht. Dieser Zustand wird als vollständige Segregation bezeichnet, die Reaktionsmischung als Makrofluid. Vollständige Segregation liegt z. B. in heterogenen Systemen wie Suspensionen oder Emulsionen vor, in denen die Reaktion in einer Partikel oder in einem Tröpfchen abläuft. Ein Konzentrationsaustausch zwischen den Elementen ist hier physikalisch nicht möglich. In einphasigen Systemen wird es dagegen, abhängig von der Turbulenz im Reaktor, der Viskosität und der molekularen Diffusion im Fluid, zu einem partiellen Austausch zwischen den einzelnen Volumenelementen während der Verweilzeit im Reaktor kommen, so dass lediglich eine partielle Segregation vorliegt. Kommt es zusätzlich zur Bildung von Molekülaggregaten noch zu einer partiellen Entmischung, z. B. durch laminare Strömung im Makrobereich, beeinflusst die Segregation auch den Umsatz. Eine Kennzahl für den Grad der Segregation X, welche immer zwischen 0 (keine Segregation) und 1 (vollständige Segregation) liegt, stellt nach Dankwerts folgende Beziehung dar: X 2Aggregate 2 Molekel (1) Darin ist 2 die Varianz der Verweilzeiten um den Mittelwert t für die Aggregate bzw. für die Moleküle. FH Münster FB 01 CRPT-Labor Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 2 2.2 Dispersion Ausgehend vom idealen Strömungsrohrreaktor mit Pfropfenströmung und idealer Vermischung im Rohrquerschnitt, wird in das Modell ein diffusiver Term in axialer Richtung eingeführt. Der axiale Mischvorgang erfolgt nicht allein durch molekulare Diffusion, die meist vernachlässigbar klein ist, sondern durch Abweichungen von der idealen Pfropfenströmung, hervorgerufen von turbulenten Geschwindigkeitsschwankungen und Wirbelbildung. Da alle diese auf unterschiedliche Weise hervorgerufenen Ausgleichsvorgänge linear vom Konzentrationsgradienten abhängen, können sie zusammengefasst und analog dem Fickschen Gesetz behandelt werden. Der Stoffstrom, der durch Dispersionsvorgänge auftritt, soll daher beschrieben werden: J Dax dc dz (2) Darin ist Dax der axiale Dispersionskoeffizent. Setzt man diesen Term unter der Voraussetzung, dass keine Reaktion stattfindet, in die allgemeine Bilanzgleichung ein, so ergibt sich: c c 2c u Dax 2 t z z (3) Im stationären Zustand gilt: c 0 t (4) Damit wird Gleichung (3) zu: c 2c 0 u Dax 2 z z Durch Multiplikation mit dem Term 0 (5) L u c 0 erhält man: c L 2c L Dax 2 z c0 z u c0 L ist dabei die charakteristische Länge. Nach erweitern mit L L folgt hieraus: (6) FH Münster FB 01 CRPT-Labor c Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 3 2c 2 c D c 0 0 ax 02 z uL z L L2 Der Kehrwert des Terms Bo (7) D ax uL ist als Bodensteinzahl definiert. uL Dax (8) Die Bodensteinzahl gibt das Verhältnis zwischen dem konvektiven und dem diffusiven Stoffstrom an: u c A u L konvektiver Stoffstrom (9) c D diffusiver Stoffstrom ax Dax A L Dabei drückt die Bodensteinzahl die Charakteristik des Reaktors in Bezug auf den Grad der Rückvermischung aus: Bo Bo : geringe Rückvermischung, Strömungsrohrverhalten Bo 0 : starke Rückvermischung, Rührkesselverhalten 2.3 Verweilzeitverhalten idealer und realer Leerrohrreaktoren 2.3.1 Turbulent durchströmtes, ideales Strömungsrohr Unter stationären Bedingungen ist der Massenstrom im kontinuierlich durchflossenen Rohrreaktor an jedem Punkt gleich und unabhängig von der Zeit. Die Zusammensetzung des Reaktionsgemisches ändert sich dagegen mit zunehmendem Abstand vom Reaktoreingang. Für den idealen Strömungsrohrreaktor wird angenommen, dass Konzentration und Temperatur über den gesamten Rohrquerschnitt konstant sind, es treten keine radialen Profile auf. Hinzu kommt die Annahme einer sog. Pfropfenströmung, bei der jede Dispersion oder Wärmeleitung in axialer Richtung unterbunden ist. Das ideale Strömungsrohr wirkt bei der Aufgabe einer Pulsfunktion (Stoßmarkierung) wie ein Verzögerungsglied. Die Form des Signals ändert sich nicht, es wird lediglich zeitlich verzögert. Diese Verzögerung entspricht der mittleren Verweilzeit t . t VM VR V V (10) FH Münster FB 01 CRPT-Labor Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 4 Bei Leerrohren geht man davon aus, dass das Volumen der Reaktionsmasse VM gleich dem Reaktorvolumen VR ist. 2.3.2 Laminar durchströmtes, ideales Strömungsrohr Das laminar durchströmte Rohr gehört nicht zu den definierten Idealreaktoren, da diese Rohrreaktoren turbulent betrieben werden, also eine Pfropfenströmung aufweisen. Es hat jedoch ein genau bekanntes hydrodynamisches Verhalten, so dass die Verweilzeitverteilung in einem solchen Reaktor vorausberechnet werden kann. Bei Vernachlässigung von Diffusionsvorgängen liegt die unterschiedliche Zeit, die ein Volumenelement im Reaktor verweilt, in dem ausgebildeten parabolischen Geschwindigkeitsprofil begründet. Jedes Element durchströmt den Reaktor, unbeeinflusst von anderen, entlang eines Stromfadens in konstanter radialer Position. Die laminare Durchströmung stellt eine Strömungsanomalie dar. Es kann vorkommen, dass sich in den einzelnen Stromfäden die Konzentrationen voneinander unterscheiden oder eine Segregation vorliegt. 2.3.3 Reales Strömungsrohr In Leerrohren kann die uneinheitliche Verweilzeit des Fluides im Wesentlichen auf folgende Ursachen zurückgeführt werden. radiales Strömungsprofil im laminaren Bereich und im Übergangsgebiet zu turbulenter Strömung molekulare Diffusion im laminaren Strömungsbereich turbulente Vermischung durch Wirbelbildung und Geschwindigkeitsschwankungen bei turbulenter Strömung Legt man das Dispersionsmodell zur Beschreibung des Rohrreaktors zugrunde, so kann der axiale Dispersionskoeffizient Dax nach einer theoretisch von Taylor und Aris abgeleiteten Beziehung für laminare Strömung in Leerrohren bestimmt werden. u2 dR für1 < Re < 2000 192 Dm 2 Dax Dm (11) Darin ist Dm der molekulare Diffusionskoeffizient. Die Verweilzeitverteilung in einem realen Strömungsrohr wird nach dem Dispersionsmodell durch die Bodensteinzahl bestimmt. Mit zunehmenden Bodensteinzahlen wird die Verweilzeitverteilung enger und nähert sich schließlich dem Verhalten des idealen Strömungsrohres an. Durch die Wahl eines geeigneten Verhältnisses von Rohrlänge zu Durchmesser kann daher im turbulenten Strömungsbereich die Dispersion weitgehend zurückgedrängt werden. Im laminaren Strömungsbereich ist dagegen die Dispersion im Rohrreaktor nicht mehr zu vernachlässigen. Vor allem bei langsamen Flüssigphasenreaktionen und FH Münster FB 01 CRPT-Labor Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 5 Reaktionen in zähen Medien (z. B. Polymerisationen) kann das Leerrohr als Reaktor nicht mehr verwendet werden. Das Verweilzeitverhalten muss dann durch spezielle Einbauten, wie statische Mischer oder in einfachen Fällen durch Füllkörper verbessert werden. Bei gleicher mittlerer Verweilzeit t werden Umsatz und Selektivität einer Reaktion von der Verweilzeitverteilung sowie von der Qualität und dem Zeitpunkt der Vermischung im Reaktor abhängen. Je größer die Vermischung in einem Reaktor ist, desto mehr wird er sich in seinem Verhalten dem des kontinuierlich betriebenen vollständig durchmischten Reaktors annähern. Dementsprechend wird z. B. die Leistung bei Reaktionen mit formal positiver Reaktionsordnung m bei konstanter mittlerer Verweilzeit im Reaktor mit zunehmender Dispersion abnehmen. 2.4 Ermittlung der Verweilzeitverteilung im Strömungsrohr Experimentell kann man eine Dispersion sichtbar machen, indem man am Reaktoreingang kurzzeitig eine Markierungssubstanz einspritzt und deren Konzentration am Reaktoraustritt registriert (Stoßmarkierung). Anstelle eines lediglich um die mittlere Verweilzeit t verschobenen genauen Abbildes der Impulsfunktion erscheint am Reaktoraustritt eine mehr oder weniger verbreiterte Verteilungsfunktion. Aus dieser kann die Verweilzeitverteilung E(t) bestimmt werden. Ist t die Verweilzeit eines Volumenelementes, so ergibt sich die dimensionslose relative Verweilzeit gemäß: t (12) t Die Verweilzeitverteilung E(t) gibt dann die Stoffmenge wieder, die zwischen t und t+dt aus dem Reaktor ausgetreten ist. Deren Verweilzeit also größer als t und kleiner als t+dt ist. Aus der Verweilzeitverteilung E(t) erhält man durch Integration die Verweilzeitsummenfunktion F(t). Diese gibt den Anteil der Stoffmenge an, welcher insgesamt bis zur Zeit t aus dem Reaktor herausgeflossen ist. t F (t ) E (t )dt (13) 0 In Umkehrung gilt: E (t ) d F (t ) dt (14) oder umgestellt: d F (t ) E(t ) dt (15) E(t) ist also der Bruchteil der in ein Strömungsrohr eintretenden Stoffmenge, welche eine Verweilzeit zwischen 0 und t hat (siehe Abb.1). FH Münster FB 01 CRPT-Labor Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 6 Darin entspricht der schraffierte Teil (F1) dem Integral in der Gleichung (13), der nicht schraffierte Teil (F2) dem Ausdruck 1-F(t). E(t) t Abb.1: Verweilzeitverteilung E(t) Für die Verweilzeitsummenfunktion F(t) gilt: lim( t 0)F(t) 0 lim( t )F(t) 1 3 Versuchsaufbau Abb.2: Skizze zum Versuchsaufbau zur Bestimmung der Verweilzeitverteilung 1: Durchflussmessung 2: Injektionsschleife 3: Strömungsrohr (di = 5 mm) FH Münster FB 01 CRPT-Labor Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 7 4: 3-Wege-Ventil zum Umschalten von Strömungsrohr zu Festbettreaktor 5: Festbettreaktoren 6: Leitfähigkeitsmesszelle 4 Versuchsdurchführung Die 3-Wege-Ventile (4) werden so umgestellt, dass die Messung mit dem Strömungsrohr erfolgen kann. Dann ist über den Schwebekörperdurchflussmesser (1) und dem Ventil ein Volumenstrom von 10 l/h einzustellen und Lufteinschlüsse im Strömungsrohr auszuspülen. Anschliessend sind die Ventile gemäß Abbildung 3 auf „Injektion“ einzustellen und die Probenschleife wird mit NaOH-Lösung (0,08 mol/l) befüllt. Zur Verdeutlichung kann die NaOH-Lösung mit Phenolphtalein-Indikator versetzt werden. Dann werden die Ventile gemäß Einstellung „Durchfluss“ eingestellt und die Aufzeichnung am Messschreiber gestartet Abb. 3: Einstellungen der Ventile für den Durchfluss und für Injektion des Tracers 5 Auswertung Die Stoßmarkierung führt nur kurzzeitig zu einer messbaren Konzentrationserhöhung. Die gesamte als Stoffimpuls eingeschleuste Markierungssubstanz ist gleich der Fläche A unter der Antwortkurve multipliziert mit dem Volumenstrom am . Dabei geht man davon aus, dass die Markierungssubstanz Reaktoraustritt V A komplett wieder aus dem Reaktor austritt: FH Münster FB 01 CRPT-Labor Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 8 VE cM , E t VM , A cM , A d t mM , E (16) 0 Mit Gleichung (12) gilt: t t und damit: (17) d t t d Damit gilt auch: (18) mM , A t VA cM , A d (19) Damit gilt für die Gleichung (16): 0 0 mM ,E d mM , A t VA cM , A d (20) Für die Verweilzeitverteilung E(t) gilt dann: E (t ) t VA cM , A t VA cM , A d t cM , A c 0 M ,A (21) dt 0 Der Wert für das in Gleichung (21) auftretende Integral kann planimetrisch durch Auszählen der Flächeneinheiten unter der Antwortkurve oder numerisch entsprechend folgender Näherung bestimmt werden: c M ,A d t cM , A t (22) 0 Darin ist t das konstant zu wählende Zeitintervall zwischen zwei aufeinander folgenden Beobachtungszeiten. Je kleiner dieses Intervall gewählt wird, in je mehr Intervalle also die Gesamtzeit aufgeteilt wird, desto genauer ist die Bestimmung der Fläche. Die mittlere Verweilzeit t ermittelt man gemäß der Gleichung (10). Bei einer relativ symmetrischen Verteilungsfunktion kann man t auch graphisch ermitteln, indem man vom Maximum der Kurve das Lot auf die Abszisse fällt. Ansonsten gilt: t c M ,A t dt 0 c M ,A dt c c M ,A t t M ,A t (23) 0 Zur Charakterisierung der Verweilzeitverteilung und damit der Strömung können die Varianz 2 sowie die Bodensteinzahl verwendet werden. FH Münster FB 01 CRPT-Labor Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 9 Für die Varianz 2 gilt: t t 2 2 cM , A d t 0 c M ,A t 2 cM , A d t c dt 0 (t ) 2 0 M ,A (24) dt 0 bzw. unter Verwendung des Zeitintervalls t: 2 t 2 cM , A t (t ) 2 0 c M ,A (25) t 0 Aus den nach den Gleichungen (24) und (25) berechneten Varianzen kann dann die Bodensteinzahl berechnet werden. Näherungsweise gilt: Bo 2 2 (26) Die dimensionslose Varianz ergibt sich aus 2 ges (27) τges steht für die Gesamtverweilzeit und ist im Idealfall die mittlere Verweilzeit. Der Kehrwert der Bodensteinzahl wird Dispersionszahl DN genannt. DN D D A 1 ax ax R Bo u L V L (28) Darin sind AR die Rohrquerschnittsfläche und L die Länge des Rohres. Mit den in Kapitel 2.2 getroffenen Aussagen über die Charakterisierung von Reaktoren durch die Bodensteinzahl, gelten die folgenden Kriterien zur Beurteilung der berechneten Dispersionszahlen: Dispersionszahl Beurteilung strebt gegen 0 geringe Dispersion strebt gegen 0,01 starke Dispersion 5 % Abweichung von Normalverteilung FH Münster FB 01 CRPT-Labor Verweilzeitspektrum im Strömungsrohr Praktikum CRPT Versuch 4 Seite 10 Durch die graphische Auswertung der Messschreiberausdrücke sollen folgende Werte für das Strömungsrohr berechnet werden: - die Verweilzeitverteilung, Varianz und Bodensteinzahl (Dispersionszahl) - das Reaktorvolumen - die Reynoldszahl Für den Festbettreaktor sind folgende Werte zu ermitteln: - die Verweilzeitverteilung, Varianz und Bodensteinzahl (Dispersionszahl) - das Reaktorvolumen Die berechneten mittleren Verweilzeiten sind in den Schreiberausdrücken einzuzeichnen.
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