JuristInnen der Ärztekammer beantworten Ihre Fragen

RECHT
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JuristInnen der Ärztekammer beantworten Ihre Fragen
Anzeige- und Meldepflichten bei strafbaren Handlungen
im Spannungsverhältnis zur ärztlichen Verschwiegenheitspflicht
Immer wieder herrschen sowohl bei angestellten als auch bei niedergelassenen Ärzten Unsicherheiten darüber, wie für den Fall
vorzugehen ist, dass in Ausübung der ärztlichen Berufstätigkeit
Kenntnis von strafbaren Handlungen erlangt wird.
Gemäß § 54 Abs 1 ÄrzteG 1998 ist „der Arzt und seine Hilfspersonen zur Verschwiegenheit über alle ihnen in Ausübung ihres
Berufes anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse
verpflichtet“. Das Gesetz normiert jedoch von dieser Verpflichtung auch einige Ausnahmen.
Unter anderem bestehen bei der Kenntniserlangung von strafbaren Handlungen in bestimmten Fällen Anzeige- und Meldeverpflichtungen des behandelnden Arztes. Je nachdem, ob
ein Patient erwachsen oder noch minderjährig ist, können sich
unterschiedliche Handlungspfade ergeben.
Patienten ohne Unterschied des Alters – unverzügliche
Anzeige bei der Polizei
Wenn sich für einen Arzt in Ausübung des Berufes der Verdacht
ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod
oder eine schwere Körperverletzung herbeigeführt wurde, so
muss unverzüglich Anzeige bei der Polizei erstattet werden.
Eine Anzeigepflicht besteht auch, wenn der Verdacht besteht,
dass eine volljährige Person, die ihre Interessen zB aufgrund
einer geistigen Behinderung nicht selbst wahrnehmen kann,
misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht
worden ist.
Eine schwere Körperverletzung gem. § 84 Strafgesetzbuch (StGB)
liegt vor, wenn mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit gerechnet werden muss.
Auch wenn eine Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich
schwer ist, liegt eine schwere Körperverletzung vor.
Die Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn das Opfer nicht mehr bzw.
nicht mehr ohne erhebliche Erschwernisse in der Lage ist, die
mit Ausübung seines Berufes verbundenen und wesentlichen
Tätigkeiten zu verrichten.
Eine an sich schwere Gesundheitsschädigung ist anzunehmen,
wenn wichtige Organe oder Körperteile in einer Weise beeinträchtigt werden, dass damit wesentliche Funktionseinbußen
einhergehen (OGH RS 0092459). Knochenbrüche sind in
aller Regel an sich schwere Verletzungen, sofern es sich nicht
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CONSILIUM 12/15
um kleinere Knochen „untergeordneter“ Bedeutung handelt.
Ein Rippenbruch ohne wesentliche Dislokation der Bruchstücke ist, genauso wie ein einfacher Nasenbruch, nicht als an sich
schwere Verletzung zu werten, wenn das Opfer weder wesentliche Funktionseinbußen noch gesundheitliche Folgebeschwerden hinnehmen muss (OGH RS 0092611). Dagegen ist aber ein
Bänderriss am Knöchel eine an sich schwere Verletzung (OGH
RS 0092457).
Minderjährige Patienten – idR Anzeige bei der Polizei und
Meldung an den Kinder- und Jugendhilfeträger, Ausnahmen
bei Tatbegehung durch nahe Angehörige
Wenn sich für einen Arzt in Ausübung des Berufes der (begründete) Verdacht ergibt, dass eine minderjährige Person misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist,
so ist jedenfalls Anzeige bei der Sicherheitsbehörde zu erstatten.
Darüber hinaus muss unverzüglich und nachweisbar Meldung
an den bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde eingerichteten Kinder- und Jugendhilfeträger erstattet werden.
Wenn sich der Verdacht gegen einen nahen Angehörigen des
Minderjährigen richtet, kann die Anzeige so lange unterbleiben,
als dies das Wohl des Minderjährigen erfordert und eine Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger sowie gegebenenfalls eine Einbeziehung der Kinderschutzeinrichtung an
einer Krankenanstalt erfolgt.
Als nahe Angehörige iSd § 166 StGB gelten die Ehegatten, eingetragene Partner, Verwandte in gerader Linie (Eltern, Großeltern, Kinder, Enkelkinder), Geschwister oder ein anderer Angehöriger, sofern er mit dem Opfer im gemeinsamen Haushalt
lebt. Sowie der Lebenspartner des anderen Elternteils, der in
derselben Hausgemeinschaft lebt.
Zu beachten bleibt jedenfalls, dass eine Anzeige nur so lange
unterbleibe darf, als das Wohl des minderjährigen Patienten dies
erfordert. Das kann der Fall sein, wenn ein Kind durch eine
Behandlung im Krankenhaus vom Familienumfeld ferngehalten
werden kann, in dem die Gefährdung vermutet wird. Diese Zeit
kann vom behandelnden Arzt beispielsweise genutzt werden, um
genauere Einblicke beziehungsweise einen umfassenderen Eindruck von der bestehenden Situation zu erlangen.
Die erwähnte zeitliche Privilegierung kommt nicht zu tragen,
wenn der Verdacht auf eine Tötung oder schwere Körperverletzung besteht. In diesen Fällen hat die Anzeige unverzüglich zu
erfolgen.
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Hinweis auf bestehende Opferschutzeinrichtungen
In Fällen vorsätzlich begangener schwerer Körperverletzungen
hat der Arzt jedenfalls auf bestehende Opferschutzeinrichtungen hinzuweisen. Diese sind in Niederösterreich etwa der Weiße
Ring, das Gewaltschutzzentrum NÖ, Die Möwe – Kinderschutzzentrum.
Bei Einzelfragen in konkreten Anlassfällen stehen die Juristinnen und Juristen der Ärztekammer für Niederösterreich gerne
für individuelle Beratungen zur Verfügung.
2016
Vorsicht!
Ein Verdacht, der eine gerichtlich strafbare Handlung wahrscheinlich und naheliegend macht, setzt ganz konkrete Anhaltspunkte voraus. Bei einer bloßen Vermutung oder etwa gar
aufgrund von Gerüchten ist das Durchbrechen der ärztlichen
Verschwiegenheitspflicht nicht gerechtfertigt.
Vorgehensweise für angestellte Ärzte
Für in Krankenanstalten angestellte Ärzte und Ärztinnen gilt,
dass diese nicht persönlich Anzeige erstatten sondern eine Meldung der Vorkommnisse an die Ärztliche Direktion abgeben.
Die Ärztliche Direktion trifft in weiterer Folge die Anzeige- bzw.
Meldeverpflichtung.
Für den behandelnden Arzt empfiehlt es sich jedenfalls, ein
detailliertes Gedächtnisprotokoll anzufertigen und dieses für
sich selbst aufzubewahren. Darüber hinaus muss in der Patientenkartei natürlich eine umfangreiche Dokumentation der
Geschehnisse vorgenommen werden.
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16. JÄNNER 2016
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