neue Arbeitsplätze werden geschaffen

Der Rückbau von Kernkraftwerken ist fachlich anspruchsvoll – neue
Arbeitsplätze werden geschaffen
Klaus Hassmann, Cluster Energietechnik
Der Rückbau ist ein Baustein der Energiewende
Bei der deutschen Energiewende geht es in erster Linie um den Aufbau einer
umweltverträglichen, versorgungssicheren und bezahlbaren Erzeugungsstruktur. Es
wird häufig nicht bedacht oder auch unterschätzt, dass ein bedeutender Baustein des
Energieumstiegs die Stilllegung von Kraftwerken welcher Art auch immer ist, wobei
dem langwierigen und teuren Rückbau der Kernreaktoren eine besondere Bedeutung
zukommt. Im vorliegenden Artikel wird ein Ausblick auf die technischen und
wirtschaftlichen Charakteristika des Rückbaus versucht. Auf die Behandlung
radioaktiver Stoffe, deren Zwischen- und Endlagerung, auf die Wiederaufbereitung von
Brennelementen sowie auf die Verbringung der daraus resultierenden radioaktiven
Reststoffe wird in diesem Artikel nicht eingegangen.
In Deutschland sind Fachleute (noch) in ausreichender Anzahl verfügbar
Ein hoher Grad an Fachwissen über den Rückbau von Kernkraftwerken (KKW) ist
insbesondere in Deutschland vorhanden – 3 Anlagen haben bereits den Status grüne
Wiese erreicht; bei einigen KKW ist der Rückbau weit fortgeschritten. Diese Fachleute
arbeiten in der Regel bei den Eigentümern der rückzubauenden KKW, bei den
Kraftwerksherstellern sowie bei Unterlieferanten; ergänzend sei die Gesellschaft für
Nuklear-Service (GNS) erwähnt, die für die gesamte Entsorgung der radioaktiven
Abfälle zuständig ist.
Zu Personalaufwand, Dauer und Kosten – ein Beispiel
Das KKW Obrigheim, ein Druckwasserreaktor mit einer elektrischen Leistung von 357
MW, wurde im Jahr 2005 nach 37 Betriebsjahren stillgelegt. Der Rückbau begann 2008
und soll 2018/2020 abgeschlossen sein; die Kosten werden auf einen mittleren
dreistelligen Millionenbetrag geschätzt. Einige Jahre vor dem Abschluss der Arbeiten
sind rund 180 Mitarbeiter des früheren Betreibers Energie Baden Württemberg (EnBW)
und weitere 145 Mitarbeiter aus Fremdfirmen vor Ort.
Der Arbeitsanfall wird deutlich steigen – nicht nur in Deutschland
Von weltweit 560 errichteten KKW sind 130 stillgelegt; das sind rund 23 %. In der
Europäischen Union (EU) geht man davon aus, dass bis 2025 etwa ein Drittel der 145
derzeit aktiven Kernkraftwerke auf Dauer abgeschaltet sein werden. In Deutschland
befinden sich von 36 KKW schon 25 im Stadium des Rückbaus. Der Prozentsatz
„Rückbau“ liegt wegen des in Deutschland beschleunigten Ausstiegs aus der Kernkraft
kraftwerksbezogen bei ungefähr 78%. Europaweit werden darüber hinaus viele Labore
mit bzw. ohne „heisse Zellen“, auch Läger für Brennelemente und Spaltstoff nicht mehr
benötigt. Auch deren Rückbau bzw. Umbau ist nicht einfach; im Vergleich zum
Rückbau der KKW stösst dieser Aspekt in der Öffentlichkeit jedoch kaum auf
Aufmerksamkeit.
Der Rückbau ist technisch sehr anspruchsvoll
Der Arbeitsanfall wird sich demnach nicht nur in Deutschland deutlich vergrössern, das
Rückbau-Potenzial weltweit ist beträchtlich und wird weiter steigen. In den nächsten
Dekaden wird schrittweise eine neue Generation von Fachleuten für diese technisch
hochwertige Aufgabe benötigt. Das nötige Fachwissen dazu muss an Hochschulen
sowie an Forschungszentren vermittelt werden; in der Regel wird dabei auf
kerntechnische Studiengänge aufgebaut. Neue bzw angepasste theoretische und
praktische Lehrpläne werden/wurden entwickelt; sie sollen helfen, dem zukünftig zu
erwartenden Fachleutemangel auf dem Gebiet Rückbau mit gut ausgebildeten jungen
Menschen zu begegnen.
Ausbildung in Deutschland...
In Deutschland ist das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) als Nachfolger des
früheren Kernforschungszentrums Karlsruhe Teil des Helmholtz-Programms Nukleare
Entsorgung und Sicherheit sowie Strahlenforschung. Mit rund 9400 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern sowie 24500 Studierenden ist das KIT eine der großen natur- und
ingenieurwissenschaftlichen Forschungs- und Lehreinrichtungen Europas. Das KIT hat
auch ein Kompetenzzentrum Rückbau von KKW gegründet; zu den in Aufbau
befindlichen zentralen Themen an einigen Instituten bzw Lehrstühlen des KIT zählen
zum Beispiel neue Abriss-Techniken, radiologische Bestimmung/Beseitigung von
Kontamination an Bauteilen sowie Strahlenschutz-Maßnahmen, um nur einige
technische Schwerpunkte zu nennen. Vermittelt wird sowohl theoretisches als auch
praktisches Wissen; genehmigungsrelevante, gesetzliche, medizinische Inhalte sowie
ökologische Fragestellungen werden ebenfalls aufgegriffen. Die Infrastruktur muss
laufend erweitert und ergänzt, das Lehrangebot dem Stand von Wissenschaft und
Technik angepasst werden. In der Entwicklung werden standardisierte
Rückbaumethoden angestrebt; es ist jedoch zu berücksichtigen, dass jeder
Rückbaufall individuelle Anforderungen stellt.
...und in Europa
Für deren Rückbau schätzt man den Personalbedarf bis 2025 europaweit auf
zweitausend Fachleute. In Europa befinden sich ebenfalls diverse Ausbildungsstätten
im Aufbau; so wird zum Beispiel eine European Decommissioning Academy (EDA) mit
einem Bachelor Abschluss an technischen Universitäten mit theoretischer und
paktischer Ausbildung eingerichtet. Die Themen der Ausbildung sind ähnlich denen am
KIT – nukleare Strahlung und Schutz, Projektabwicklung, Rückbaulogistik,
Kostenermittlung, Brennstoffzyklus und Handhabung des abgebrannten Brennstoffs,
Grundlagen auf dem Gebiet der Kontamination inclusive Beseitigung der
Strahlungsquellen. Nicht mehr benötigte Nuklearlabors werden reaktiviert und bilden
den praktischen Zweig dieser Ausbildung.
Die rückzubauenden Mengen sind groß
Ziel ist, wie bereits erwähnt, die Wiederherstellung „grüne Wiese“ ohne dass sichtbare
und messbare Spuren der Anlage zurückbleiben. Die Machbarkeit des Rückbaus
generell ist in Deutschland durch die abgeschlossene Rückbaumassnahmen der KKW
Kahl (SWR, 16 MWe), Großwelzheim (Heissdampfreaktor, 25 MWe) und
Niederaichbach (Schwerwasserreaktor, 106 MWe) nachgewiesen.
Zur Einstimmung auf die zu „bewegenden“ Rückbaumassen werden die KKW Stade
(Druckwasserreaktor, 672 MWe) und Würgassen (Siedewasserreaktor SWR, 670
MWe) herangezogen. Die gesamte Rückbaumasse im KKW Stade beträgt 330000
Tonnen; in Würgassen fällt, obwohl nahezu leistungsgleich, mit 255000 Tonnen um
etwa 33% weniger Masse an. Das liegt an der Sicherheitsphilosophie; der
bestimmende Auslegungsstörfall bei DWR und SWR ist der doppelendige Bruch einer
Hauptkühlmittelleitung; unter dieser Prämisse ist nachzuweisen, dass mit dem
austretenden Wasser-Dampfgemisch aus dem Bereich des Reaktorkerns keinerlei
radioaktive Stoffe in die Umgebung des KKW entweichen. Deshalb ist dieser
Anlagenteil mit einer druckfesten Schale, dem sogenannten Sicherheitsbehäter
umgeben. Beim SWR wird dieser Fall mit einer Druck- und Kondensationskammer
beherrscht, während beim DWR aufgrund des Fehlens einer Kondensationskammer
das erforderliche freie Volumen und damit auch die darin enthaltenen Einbautenmasse
und die Umschliessung deutlich grösser ausfallen. Das dürfte der Hauptgrund für die
grössere Rückbaumasse beim DWR sein.
In der Regel wird bei der Rückbaumasse zwischen konventionellem und nuklearem
Anteil unterschieden. Beim DWR liegt das Verhältnis bei 60 (konventionell) und 40
(nuklear). Beim DWR wird der Primärkeis vom Sekundärkreis durch einen
Dampferzeuger getrennt, was eine Kontamination der Turbine und der sonstigen
sekundären Komponenten in der Regel verhindert; auf diese Trennung verzichtet der
SWR und nimmt in Kauf, dass sich sekundärseitig Kontamination einschleichen kann.
In der Bilanz konventionell zu nuklear dürfte sich dieser anlagentechnischen
Unterschied nicht sehr stark auswirken. Der radioaktive Abfall liegt mit etwas über 5000
Tonnen bei Würgassen deutlich über dem Wert von Stade mit etwas über 3000
Tonnen. Vermutlich liegt diese Diskrepanz an Vorgängen während des Betriebs der
Anlagen; Stade wurde 31 Jahre, Würgassen im direkten Vergleich jedoch nur 23 Jahre
betrieben.
Im Vergleich zu Stade und Würgassen haben die in Deutschland noch in Betrieb
befindlichen DWR/SWR ungefähr die doppelte elektrische Leistung. Es ist daher davon
auszugehen, dass die Rückbaumassen dieser Kraftwerke zwar nicht proportional zur
Leistung ansteigen, aber deutlich höher sind als die von Stade/Würgassen. Das
verdeutlicht die zusätzliche Herausforderung, wenn in Deutschland 2022 das letzte
KKW vom Netz geht.
Worauf man achten muss – ein Leitfaden zur Umsetzung
Für einen erfolgreichen Rückbau des nuklearen Bereichs (Kontrollbereich) der Anlage
genauso wie für den konventionellen sind folgende Kenntnisse unverzichtbar:
• Die Statik der Struktur – dabei helfen vor allem die während des Baus erstellten
Konstruktions- und Auslegungsunterlagen
• die während der Lebensdauer vorgenommenen Änderungen
• die Festigkeitswerte der verwendeten Baustoffe
• die für den Rückbau zusätzlich vorgesehenen auf der alten Struktur zu
errichtenden Lasten wie Gerüste, Arbeitsflächen, Trennwände (zur
Luftzirkulation) und Hebezeuge
• die zusätzlichen Lasten neuer Bauwerke, z. B. für die Lagerung radioaktiver
Stoffe und deren Tragfähigkeit
• Maßnahmen gegen die Ausbreitung radioaktiver Kontamination sowie dessen
Messung/Beseitigung bzw Reduzierung.
• in der Regel wird die Struktur stückweise abgetragen und aus der Anlage
abtransportiert. Auch dabei ändert sich die Tragfähigkeit der Reststruktur,
weshalb ein besonderes Augenmerk der Statiker auf diese transiente Phase zu
richten ist.
Unter Berücksichtigung obiger Erkenntnisse ist die Schrittfolge der einzelnen
aufeinanderfolgenden Tätigkeiten (Aktionsplan) zu erarbeiten; die
Genehmigungsbehörde ist einzuschalten. Nach Typ (DWR oder SWR) unterscheiden
sich die Abläufe aufgrund der Bauweise stark, aber auch innerhalb der beiden Typen
gibt es Abweichungen von Anlage zu Anlage.
Quellen: Der überwiegende Teil der im vorliegenden Artikel zusammengefassten
Information zum Thema Rückbau stammt aus unterschiedlichen Ausgaben des atwInternational Journal for Nuclear Power.