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Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Domprediger Michael Kösling
Sonntag Trinitatis, 31. Mai 2015, 18.00 Uhr
Predigt über Jesaja 6, 1-13
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch
allen.
Der Predigttext für dieses Trinitatisfest steht bei Jesaja im 6. Kapitel.
In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron
und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien
deckten sie ihr Antlitz,
Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum
andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die
Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch.
Rauch. Da sprach ich: Weh mir,
ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich
habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. Da flog einer der Serafim zu mir und
hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund
an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und
deine Sünde gesühnt sei. Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer
will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! Und er sprach: Geh hin und sprich zu
diesem Volk: Höret und verstehet's nicht; sehet und merket's nicht! Verstocke das Herz dieses Volks und
lass ihre Ohren taub sein und ihre
ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit
ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen. Ich aber sprach:
Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen
und das Feld ganz wüst daliegt. Denn der HERR wird die Menschen weit wegtun, sodass das Land sehr
verlassen sein wird. Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden,
doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same
wird solch
solcher Stumpf sein.
Ein König stirbt und ein Mann wagt einen Blick in den Thronsaal. Es ist Jesaja. Er steht im Thronsaal Gottes.
Sechsflügelige Engel, Seraphim, umfliegen den Thron. Sie rufen sich einander zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr
Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll. Und Jesaja sieht und staunt. Und Jesaja wird berufen. In einem
schmerzhaften Akt. Eine glühende Kohle öffnet seine Lippen. Er wird zum Propheten durch einen König, der
nicht irdisch ist, dessen Macht und Wirklichkeit jedoch Himmel und Erde umfassen. Alle Lande sind seiner Ehre
voll. So, wie der Saum seines Gewandes den ganzen Tempel füllt, so soll die Ehre Gottes, seine Heiligkeit,
Gewicht bekommen auf Erden, anwesend sein und alles durchdringen und bestimmen. In dieser Vision
überblenden sich Himmel und Erde jedoch auf eigentümliche Art und Weise. In diesen 13 Versen changieren die
himmlische und die irdische Wirklichkeit. Denn was Jesaja dann sieht ist nicht das Bild einer freundlichen,
gottdurchtränkten und belebten Welt. Er sieht wüste Städte ohne Menschen. Die Menschen, die die Städte einst
bewohnten sieht er zerstreut und umherirren über brach liegendes und unfruchtbares Land. Er sieht ein ganzes
Volk, die Menschen, verschwinden. Er fragt: Wie lange? Das ist die Frage. Ist das unsere Frage? Wenn, dann wäre
es eine andere Frage als die, die uns immer zuerst über die Lippen kommt im Angesicht dieser Welt, in der wir
die Ehre Gottes, seinen Glanz und so etwas wie Heiligkeit schmerzlich vermissen. Wir würden doch, stünden wir
im Thronsaal Gottes, beschienen vom Glanz seiner Ehre und Herrlichkeit höchstens stotternd fragen: Und warum
dann das alles? Was hast du, Gott, damit zu tun, dass unsere Welt nicht heil wird! Wir wollen doch Gerechtigkeit
und Frieden, Gemeinschaft mit dir und wir bitten darum und klagen das doch ein. Die Frage nach der
Verstockung des Volkes! Ja das ist auch unsere Frage. Sie ist nicht zu beantworten. Jedenfalls nicht in diesem
Leben. Im Angesicht des Leids macht sie uns in der Vergangenheit fest. Diese Frage macht unsere Wirklichkeit,
das Leben, wie es uns mitspielt, mit den Schmerzen der Beziehungslosigkeit, den Schicksalen früher Tode, der
Ungerechtigkeit einer zufälligen Geburt in Wohlstand oder unfassbarer Not so kleinteilig bis unser Leben
zwischen unseren unruhigen Gedanken zerrieben wird und ganz zerfasert. Diese Frage diffundiert wie ein Gift bis
auf den Grund unserer Seele. Warum – und keine Antwort. Jesaja fragt: Wie lange? Damit holt er die Zukunft in
die wüsten Städte. Damit legt er eine Sehnsucht in die vereinsamten Menschen. Damit hält er an einer
Möglichkeit für die gequälte und geschundene Schöpfung fest. Lassen Sie uns fragen wie Jesaja, liebe Gemeinde!
Und lassen sie uns singen, wie die Seraphim. Unser ganzes Leben ist von ihrem heilig, heilig, heilig gehalten. Es
beginnt – anders als bei Jesaja – nicht mit einer heißen Kohle auf unseren Lippen, sondern mit kühlem Wasser
auf unserer Stirn. Im Namen des Vaters und des Sohnes und es Heiligen Geistes werden wir bei unserer Taufe zu
Gottes geliebten Kindern, zu seinen geheiligten Töchtern und Söhnen. Heilig, heilig, heilig. So lasen, hörten und
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verstanden die ersten Christen den Ruf der Seraphim. Heilig ist der Vater: Gott und Schöpfer über uns, dem wir
die Welt verdanken und die Fülle, aus der wir leben jeden Tag. Heilig ist der Sohn: Gott und Mensch unter uns,
der uns gezeigt hat, wie sehr uns Gott liebt. Heilig ist der Geist: Gott und Tröster in uns, der die Tränen
trocknet, die wir nicht trocknen können. Ein Versprechen für uns am Beginn. So wird die himmlische
Wirklichkeit als Trinität erdenschwer in uns. Ein tiefes Geheimnis wie jeder von uns. Die Ehre Gottes bekommt
wirklich Gewicht: durchtrainierte 68 kg, oder etwas übergewichtige 94 kg, 45 kg unter einer pergamentenen
und durchgelegenen Haut, oder selbst in einer Hand verschwindende 1000 g haben ihr Gewicht. Jedes Leben hat
sein, hat Gottes Gewicht, hat Ehre und Würde. Die Welt ist seiner Ehre voll. Unser Glaube ist die Überblendung
einer irdischen Wirklichkeit durch den Glanz und das Licht des himmlischen Thronsaals, dass wir in uns bewahren
als eine Vision der Zukunft: das etwas wird, wenn es auch lange braucht und längst nicht abzusehen ist und das
Hier und Jetzt einer wüsten Stätte gleicht, uns die Helfer verstreut und verloren gegangen sind und auf dem
Grund unserer Herzen kein Sinn keimen möchte, noch nicht das zarteste Pflänzchen einer vagen Hoffnung. Der
Himmel auf Erden von einer Sehnsucht her, in einer Hoffnung und auf eine Möglichkeit hin. So bringen wir unser
Leben rum. Das ist christliche Existenz. Berufen und gesendet. Mit den Ohren, den Augen unseren Herzen im
Thronsaal und auf Erden. Aufmerksam und mitleidend die Frage vor Gott bringen: Wie lange? Wir sehen die
Wunden der Welt. Wir hören die Schreie der Menschen. Blutet nicht unser Herz mit der geschundenen Kreatur!
Und wie uns der Anfang bestimmt, so bestimmt uns das Ende im dreimaligen Wurf: Erde, Asche und Staub und
der Frieden des dreieinigen Gottes über den Gräbern gesprochen seit das eine Grab geöffnet war und auferstand
der erste Mensch. Das Trishagion, das Dreimalheilig, umfängt uns, unsere Kinder und unsere lieben Toten und ist
das Zentrum, um das wir kreisen. Nicht auf Engelsflügeln. Ja das wäre was! Vielmehr und viel zu oft schlurfen
und schleichen wir drum herum. Wir schleppen uns dahin und bringen uns durch. Angefochten von der Welt,
eingenommen und ihr und ihren Mächten ganz zu Diensten oder von ihnen versklavt. Wir nähern uns zögerlich
und zaghaft, mit letzter Kraft nicht oft und viel zu selten strotzend vor Glück, meistens bescheiden, schüchtern
oder voller Scham. Jesaja kann im Angesicht dieser Heiligkeit nur seine Unzulänglichkeit und die der Menschen
seines Volkes über die Lippen bringen. Im Thronsaal Gottes. Uns reichte dazu schon ein Zelt, wenn es das Zelt
der Gottesbegegnung wäre, in dem wir der Ehre Gottes teilhaftig werden dürfen. Wir sehnen uns nach dieser
Wirklichkeit, die Jesaja im Thronsaal begegnete, und die auch uns neu werden lässt, die uns vergibt und in Dienst
nimmt und der wir mit unsern Augen und Ohren und Herzen ganz zu Diensten sind. Das macht keine Engel aus
uns. Höchstens Propheten und die haben es schwer. Die haben ihren Ort nicht im Thronsaal, dort, wo es glänzt
und gut riecht und schön klingt und das Herz im Takt einer himmlischen Melodie schlägt. Propheten haben ihren
Platz in der Welt, wo es noch dunkel ist und wo es noch nach Blut und Tod riecht und die Gesänge der Welt
unsere Herzen stocken lassen. Wenn wir schon nicht die Flügel und die Leichtigkeit der Engel haben, haben wir
unseren Ort und unsere Zeit und wollen, ehrlich gesagt ja auch noch etwas bleiben hier auf Erden, trotz und
gerade wegen all dem! Wenn wir also weder die Flügel der Engel noch ihre Leichtigkeit haben, um den Thron
Gottes zu umfliegen, seine Herrlichkeit unter den Schwingen spürend, haben wir doch den Gesang der Seraphim:
Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herre Zebaoth. Voll sind Himmel und Erde seiner Herrlichkeit. Unsere Frage:
Wie lange noch? Unser Gesang: Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr Zebaoth. Und Gottes Ehre wird
erdenschwer. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
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