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metzler
meets
fraunhofer
Frankfurt am Main, Mai 2015
www.metzler.com
Cyberkriminalität und IT-Sicherheit
Das Internet hat sich zum Motor des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts entwickelt.
Die heutige IT ist vernetzt, komplex und inzwischen allgegenwärtig – und mit zunehmender Vernetzung steigt
auch die Anfälligkeit für digitale Angriffe.
Professor Peter Martini, Leiter des Fraunhofer-Instituts
für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie, und Dr. Johannes Reich, Mitglied des Partnerkreises B. Metzler seel. Sohn & Co. Holding AG und zuständig für den Bereich Informationstechnologie des
Bankhauses Metzler, sprachen anlässlich der gemein­
samen Veranstaltung „Metzler meets Fraunhofer“ im
Mai 2015 über Cyberkriminalität und IT-Sicherheit.
Lässt sich Cyberkriminalität in wenigen Sätzen
defi­nieren?
Martini: Ich würde mich an der Definition des Bundeskriminalamts orientieren. Demnach umfasst Cyberkriminalität alle Straftaten, die sich gegen das Internet, Datennetze, informationstechnische Systeme oder deren Daten
richten und die mittels dieser Informationstechnik begangen werden. Insbesondere umfasst dies also auch
Straftaten, deren Auswirkung über das Internet bzw.
Datennetze hinausgehen.
Reich: Für mich ist Cyberkriminalität das Segment der –
meist organisierten – Kriminalität in dem sich die schwer
auszumachenden Täter primär vernetzter Datensysteme
bedienen, um kriminelle – oft schwerstkriminelle – Ziele
zu erreichen.
Wer sind heute die Täter, wer die Opfer von Cyber­
kriminalität?
Martini: Insgesamt ist das Feld Cyberkriminalität sehr
heterogen. Entsprechend unterschiedlich sind auch die
Opfer von Cyberkriminalität. Es betrifft sowohl den ein­
fachen Bürger, der über Massen-Malware infiziert und
letztlich um sein Geld betrogen wird, als auch Unternehmen, die gezielt Spionage durch bezahlte Hacker unter­
liegen. Auch auf der Angreiferseite gibt es eine große
Bandbreite. Zum einen in puncto Qualität der Angriffe
und zum anderen hinsichtlich der Professionalität der
Angreifer. Bei den professionell organisierten Banden
weisen beispielsweise derzeit viele Spuren in den ost­
europäischen Raum.
Wie kommt man den Kriminellen auf die Spur?
Martini: Zu Ermittlung und Ermittlungsverfahren im
­Cyberraum möchte ich mich lieber nicht äußern, sonst
könnte das Aufspüren der Kriminellen ja noch schwieriger werden.
Gibt es Branchen oder Unternehmen, die besonders stark
gefährdet sind? Werden die Cyberangriffe im Zuge der
steigenden Bedeutung von „Industrie 4.0“ andere Ziele im
Visier haben?
Reich: Ich kann mir vorstellen – und Statistiken scheinen
dies zu belegen –, dass in Deutschland verstärkt Branchen
und Unternehmen angegriffen werden, die die kriminellen Angreifer für besonders lohnende Ziele halten, zum
Beispiel wegen des besonderen Know-hows, das diese
Unternehmen besitzen.
Martini: Außerdem ist inzwischen fast unser gesamtes
Leben von vernetzer IT durchdrungen, daher ist prinzipiell
jeder gefährdet. Die professionellen Angriffe richten sich –
wie bei sonstiger Kriminalität auch – auf Ziele mit besonders hohen Werten.
Reich: Ich glaube, dass sowohl die Kriminalitätsfrequenz,
als auch die Kriminalitätsraten, -arten und -dimensionen
in Zukunft im Zuge der weiteren unabwendbaren Vernetzung von Industrien, Wirtschafts- und Lebensbereichen erheblich wachsen werden, möglicherweise sogar
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exponentiell, was zu ganz neuen Bedrohungslagen
führen dürfte.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Inneren,
wies mehrfach darauf hin, wie dringend notwendig Maß­
nahmen sind, die die IT sicherer machen. Für viele Unter­
nehmen ist es aber schwer, mit vertretbarem Aufwand
einen Cyberangriff zu verhindern. Was muss ein Unter­
nehmen für IT-Sicherheit aufwenden? Welche Möglich­
keiten gibt es, wirkungsvolle IT-Sicherheitslösungen
­bezahlbar zu machen?
Martini: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informa­
tionstechnik, kurz BSI, stellt mit den IT-Grundschutz-­
Katalogen umfassendes Material zur Verfügung, was für
IT-Sicherheit getan werden sollte. Dies bringt mich aber
­direkt zur zweiten Frage. In meinen Augen gibt es vier
Richtungen die wir da verfolgen sollten: Als erstes ist da
die Sicherheit mit Augenmaß. Nicht alles muss geschützt werden wie Fort Knox; wer den Speiseplan der
Kantine, Konstruktionspläne und sensible Kundendaten
in gleicher Weise schützt, der hat in Wahrheit keinen
wirksamen Schutz. Zweitens müssen Zusammenarbeit
und Informationsaustausch intensiviert werden: Hier
geht das neue IT-Sicherheitsgesetz mit Meldepflichten
für den Bereich der kritischen Infrastrukturen einen
wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Für die weniger sensiblen Bereiche bleibt zu hoffen, dass sich eine
Kultur einwickelt, bei der Betroffene und potenziell Betroffene sich im Sinne von Neighbourhood-Watch-Areas
gegenseitig informieren und warnen. Drittens sollten wir
noch deutlich stärker die Automatisierung von Standardaufgaben der Gefahrenabwehr erforschen, um immer
wiederkehrende Prozesse beschleunigen zu können. Beispiele hierfür wären Logdatenauswertungen, PatchManagement oder Schadsoftware-Analysen. Und zu guter
Letzt darf man vor lauter IT den Menschen nicht ver­
gessen. Aktuelle Sicherheitssysteme sind häufig viel zu
kompliziert für die Menschen, die damit umgehen sollen.
Reich: Es wird auf jeden Fall in Zukunft teurer werden.
Gibt es überhaupt eine absolute Sicherheit vor Cyber­
kriminalität?
Martini: Eine absolute Sicherheit vor Cyberkriminalität
wird es nicht geben. Es gibt ja auch keinen absoluten
Schutz vor konventionellen Einbrüchen. Von den klassischen Wohnungseinbrüchen ist aber hinlänglich bekannt, dass Prävention zum Beispiel über Zugangssicherungen und Detektion beispielsweise über Alarmanlagen
zur Bekämpfung alleine nicht ausreichen. Hier muss die
Repression hinzukommen, also die polizeiliche Arbeit.
Dies ist bei Cyberkriminalität nicht anders.
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Ungeachtet der gestiegenen Sensibilisierung für Gefähr­
dungen im Cyberraum herrscht vielfach digitale Sorg­
losigkeit – nicht nur bei Privatnutzern, auch bei kleineren
und mittleren Unternehmen. Wo liegen Ihres Erachtens
die Gründe dafür? Halten Sie es für möglich, dass als
Folge strengere staatliche Vorgaben und Auflagen für die
IT-Sicherheit insbesondere in Unternehmen gemacht
werden könnten?
Reich: Sorglosigkeit hat in vielen Fällen mit einem
­Mangel an Vorstellungsvermögen zu tun oder mit einem
Mangel an Schadenserfahrung.
Martini: Ich denke, dass nicht immer gleich nach dem
Staat gerufen werden muss. Abgesehen vom Bereich
der kritischen Infrastrukturen, wo entsprechende Maßnahmen ja bereits ergriffen werden, sehe ich weniger
ein Defizit an Gesetzen als ein Umsetzungsdefizit.
Reich: Meines Erachtens wird es noch weitere Gesetze
geben für die IT-Sicherheit von sensiblen Unternehmensbereichen.
Die Bundesregierung bereitet ein IT-Sicherheitsgesetz vor,
das ein Mindestniveau an IT-Sicherheit für kritische Infra­
strukturen gesetzlich verankern soll. Wie wirksam kann ein
solches Gesetz sein?
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Martini: Wie ich vorhin schon erwähnte, halte ich das
neue IT-Sicherheitsgesetz für einen Schritt in die richtige
Richtung. Ein hoher Prozentsatz von aktuell erfolgreichen
Standardangriffen ließe sich schon über einfache Sicherheitsmaßnahmen verhindern. Wenn es durch das ITSicherheitsgesetz gelänge, nur gegen diese Angriffe einen
wirksamen Schutz zu etablieren, so wäre das Gesetz
schon ein großer Erfolg.
Reich: Allerdings gilt: Auch ein gut gemachtes Gesetz
kann immer nur so wirksam sein wie seine Einhaltung.
Nur wenige Unternehmen melden es, wenn sie Ziel einer
(erfolgreichen) Cyberattacke geworden sind. Was würden
Sie einem Unternehmen raten, das Ziel eines Cyberangriffs
geworden ist? Wie bewerten Sie die Idee der Regierung,
eine Meldepflicht einzuführen?
Martini: Dem betroffenen Unternehmen würde ich dringend empfehlen, den Vorfall zu analysieren und die zuständigen Behörden zu informieren. Im Zweifel kann der
Vorfall bzw. die Merkmale des Vorfalls auch anonym
gemeldet werden, falls Reputationsverluste vom Unternehmen durch eine Meldung befürchtet werden. Aus
strategischer Sicht ist diese Meldung aber von eminenter Wichtigkeit, da es über den Austausch von Infor­
mationen zu aktuellen Angriffen möglich ist, potenziell
künftig Betroffene zu warnen und das Zeitfenster für
­erfolgreiche Angriffe mit den gleichen Tatwerkzeugen
zu minimieren.
Reich: Das Wichtigste aus meiner Sicht ist hierbei permanenter Erkenntnisgewinn, dauernder Lernfortschritt –
und das geht nur im Austausch mit anderen.
Martini: Genau, und für den Austausch können offene
Quellen wie RSS-Feeds und Twitter wertvolle Dienste
leisten, aber kein Mensch kann das alles lesen. Nachrichten, die sich auf die Sicherheit der eigenen IT-Infrastruktur beziehen, müssen hier automatisch ausgewertet und
aufbereitet werden. Mit der Deutschen Telekom arbeiten
wir gerade an einem solchen „Cyber Threat Radar“ – die
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Betatest-Phase läuft bereits. Für den B
­ ereich der kritischen Infrastrukturen halte ich eine Meldepflicht für
dringend geboten.
Gibt es im Bereich IT-Sicherheit einen Austausch zwi­
schen Forschung und Praxis – etwa über eine Plattform
für den Wissenstransfer?
Martini: Die Brücke zwischen Forschung und Praxis herzustellen, ist gerade eines der Hauptziele der FraunhoferGesellschaft. Gerade deshalb widmen wir uns i­ntensiv
der angewandten Forschung. Dies kann bila­teral mit
Industrieunternehmen oder Behörden aber auch in Konsortien oder Verbünden geschehen.
Reich: Unser gemeinsames Fraunhofer-Metzler-Forum
ist eine Form und ein Angebot für den Austausch zwischen Forschung und Praxis. Es soll Einblicke ermög­
lichen in gesellschaftlich wie wirtschaftlich bedeutsame
und rasantem Wandel unterworfene technologische
Prozesse, wozu selbstverständlich auch IT-Sicherheit und
Cyberkriminalität zählen.
Estland versteht sich als Vorreiter der digitalen Gesell­
schaft: Inzwischen geben 95 % der Esten ihre Steuer­
erklärung elektronisch ab, 98 % nutzen die Gesundheits­
datenbank, und 99 % wickeln ihre Bankgeschäfte online
ab (Quelle: F.A.Z. vom 4. Mai 2015). Was halten Sie vom
Modell „E-Estland“ vor dem Hintergrund von Cyberkrimi­
nalität und IT-Sicherheit?
Reich: Estland hat in seiner jüngeren Geschichte einen
imponierenden und in Teilbereichen vorbildlichen Weg
mit viel Mut, Zuversicht und Konsequenz zurückgelegt.
Doch Estland war vor einigen Jahren Ziel von Cyber­
attacken, die diesen Mut strafen wollten. Wir sollten –
aus vielen Gründen – verstehen, warum es geboten ist,
auch solche Angriffe, die sich durchaus mit einem
Cyber­war vergleichen lassen, völkerrechtlich zu betrachten, zu ächten und konsequent zu verfolgen.
Martini: Ich finde das Estland-Modell großartig! Und ich
rate dringend davon ab, aus Angst den Fortschritt ­­
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zu blockieren: Entnetzung im Sinne eines digitalen Morgenthau-Plans bringt uns nicht weiter! Ziel muss es
vielmehr sein, die Risiken beherrschbar zu machen und
die Chancen zu nutzen. Da sehe ich mit Blick auf die
Cyberkriminalität noch eine Menge Forschungsbedarf,
aber auch ein steigendes Bewusstsein aller Beteiligten
für die Gefahr, sodass ich hier optimistisch in die Zukunft blicke.
Lassen sich die Folgen von Cyberkriminalität auf die
­betroffenen Unternehmen begrenzen? Wie hoch ist
die Gefahr, dass die Auswirkungen auf andere Bereiche
der Gesellschaft übergreifen?
Martini: Die Folgen lassen sich in der Tat begrenzen.
Und zwar dadurch, dass sich Unternehmen frühzeitig
nicht nur um die Detektion von Angriffen kümmern,
sondern auch festlegen, wie sie die so genannte Incident-
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Response, also die Reaktion auf einen erfolgreichen Angriff, angehen wollen.
Reich: Wenn ein Unternehmen eine funktionierende ITGovernance aufweist mit entsprechender IT-Sicherheitsplanung sowie einem eingespielten Business-ContinuityManagement, dann dürften sich die Folgen von Cyberkriminalität wirksam begrenzen lassen.
Martini: Die Gefahr ist längst Realität. Cyberkriminalität
ist kein Thema, dass nur Privatpersonen, nur Behörden
oder nur Unternehmen angeht. Wir sehen längst Angriffe auf alle Bereiche. Deshalb ist es nicht die Zeit, die
Augen zu schließen, sondern die Zeit zu handeln!
Reich: Alle Bereiche der Gesellschaft sind bereits mehrfach betroffen. Jeder Bürger, jedes Unternehmen, jede
Institution, jede Nation, die Weltgesellschaft als Ganzes.
Die gesellschaftlichen Rahmendaten und Parameter
werden gerade überschrieben und neu formuliert.
Dr. Johannes Reich ist persönlich haftender Gesellschafter des Bankhauses Metzler und Mitglied des Vorstands der Metzler-Holding. Er verantwortet als zustän­
diger Partner das Geschäftsfeld Corporate Finance sowie
die Unternehmenskommunikation, die Rechtsabteilung
und den Bereich Informationssysteme. Seine bankberufliche Tätigkeit begann er beim Hamburger Bankhaus
M.M. Warburg & Co., danach arbeitete er bei Morgan
Stanley in London und Frankfurt am Main.
Dr. Reich ist studierter Wirtschaftsingenieur mit einem
Diplom der Universität Karlsruhe und war an der Uni­
versität Bamberg, wo er auch promoviert wurde, sowie
an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen als wissenschaftlicher Assistent tätig.
Prof. Peter Martini leitet seit 1996 die Abteilung 4
(Kommunikation und Vernetzte Systeme) des Instituts für
Informatik an der Universität Bonn. 2010 übernahm er
zusätzlich die Leitung des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergo­nomie
(FKIE), das sich seither als eines der weltweit führenden
Institute für Cyber Security und Cyber Defense etabliert
hat.
Prof. Martini schloss das Informatikstudium 1986 an ­
der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule
Aachen ab, wo er 1988 promoviert wurde. Von 1990
bis 1996 war er als Professor für Praktische Informatik an
der Universität Paderborn tätig.
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