Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender: Welcher

Psychische Belastungen und Suchtverhalten
Studierender: Welcher Präventionsbedarf ergibt
sich aus der aktuellen HISBUS-Studie?
Elke Middendorff
Beitrag auf der Abschluss- und Perspektivveranstaltung im Auftrag des
Bundesministeriums für Gesundheit
Studierende und Substanzkonsum: Neue Präventionsansätze wirken
am 14. Dezember 2015 in Berlin
Gliederung
1.
Anlage der Untersuchung
2.
Prävalenz und Substanzen
3.
Motive des Substanzkonsums
4.
Soziodemografische Aspekte
5.
Persönlichkeitsmerkmale und Substanzkonsum
6.
Stress und Belastung im Studium
7.
Integriertes Modell der Faktoren für Substanzkonsum
8.
Fazit und Ansätze für die Prävention
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
2
1. Anlage der Untersuchung
Zweite Befragung HISBUS-Panels zu
„Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung bei Studierenden“
• Online-Access-Panel mit ca. 35.000 Mitgliedern
• Rekrutierung aus anderen DZHW-Erhebungen
• ca. 4 Querschnittsbefragung pro Jahr zu verschiedenen Themen
• kontrollierte Stichprobe
• soziodemographische Daten u. Studienmerkmale vorhanden
 Konzentration auf Befragungsthema
Feldphase & Rücklauf
•
Wintersemester 2014/15 (Dezember 2014 – Januar 2015)
•
drei Erinnerungsmails
•
Nettostichprobe: 32.472 Studierende
•
7.716 verwertbare Fälle  24 % Netto-Rücklaufquote
•
Anpassungsgewichtung  repräsentativ für Merkmale Geschlecht, Region,
Semesterzahlgruppen, Hochschulart, Fächergruppe
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
3
Begriff „leistungsbezogener Substanzkonsum“
Begriffsvielfalt:
Hirndoping / Gehirndoping
Akademisches Doping
Neuro-/ Cognitive / Mood / Pharmakologisches Enhancement
Off-label Use verschreibungspflichtiger Arzneimittel
Einnahme leistungssteigernder Mittel/Substanzen
Soft-Enhancement (siehe 1. HISBUS-Befragung)
HISBUS-Befragung
Leistungsbezogener Substanzkonsum:
Einnahme von Substanzen (einschließlich frei verkäuflicher Medikamente und Genussmittel)
mit dem Ziel, die Bewältigung der studienbedingten Anforderungen zu erleichtern
 weit gefasster Begriff
 schließt Motivation ein: Anforderungsbewältigung
 wertet nicht: „Konsum“, nicht „Missbrauch“
 suggeriert keine Wirksamkeit im Unterschied zu „Enhancement“
 „substanzneutral“
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
4
Leistungsbezogener Substanzkonsum
Substanzabhängige Differenzierung  Konsumtyp
Hirndoping
•
Soft-Enhancement
rezeptpflichtige Substanzen
Methylphenidat
Modafinil
Antidepressiva
Betablocker
Antidementiva
Medikamente
Freiverkäufliche Substanzen
Medikamente
(Schmerz-, Schlaf-, Beruhigungsmittel)
Vitaminpräparate
homöopathische Mittel
(Schmerz-, Schlaf-, Beruhigungsmittel)
•
•
illegale Drogen
Amphetamine
Methamphetamine
Ecstasy,
Kokain
Cannabis
pflanzliche Mittel
Schlafmittel
Beruhigungsmittel
Koffeintabletten
Energy-Drinks
unbekannte Substanzen
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
5
Konsumtypen − Studienzeitprävalenz in Abhängigkeit von Substanz(en)
in %
2014
2010
8
5
2
Nicht-Anwendende
5
6
Hirndopende
Soft-Enhancende
nicht zuzuordnen
87
88
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
6
3. Motive des Substanzkonsums
Aus welchem Grund genau haben Sie diese Substanzen eingenommen?
inhaltliche Zuordnung der wichtigsten Motive zu zwei Kernbereichen
Motive des Leistungserhalts
•
Bekämpfung von Nervosität/
Lampenfieber
•
um (ein-)schlafen zu können
•
Schmerzbekämpfung
•
andere gesundheitliche Gründe
Motive der Leistungserhöhung
•
um wach zu bleiben
•
um den gesamten Stoff zu schaffen
•
mit dem Ziel der geistigen Leistungssteigerung
•
um eine Arbeit termingerecht fertig
zu stellen
•
um den Zeitaufwand für das Lernen
möglichst gering zu halten
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
7
Aus welchem Grund genau haben Sie diese Substanzen eingenommen?
in %
Studierende mit
leistungsbezogenem
Substanzkonsum insg.
Frauen
81
46
89
40
73
Männer
54
81
Hirndopende
Soft-Enhancende
53
82
42
zum Leistungserhalt
zur Leistungserhöhung
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
8
4. Soziodemografische Aspekte
Konsumtyp nach Geschlecht
in %
2014: weiblich
2014: männlich
10
6
6
85
Nicht-Anwendende
6
88
Hirndopende
Soft-Enhancende
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
9
Konsumtyp nach Altersgruppen
in %
Ø 25,2 Jahre
Ø 26,8 Jahre
Ø 25,5 Jahre
12
9
10
18
16
28-29
18
26-27
15
22
24
≥ 30 Jahre
15
25
24-25
25
61
20
45
58
22
18
15
Nicht-Anwender(innen)
insgesamt
22-23
≤ 21 Jahre
7
11
Hirndopende
Soft-Enhancende
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
10
5. Persönlichkeitsmerkmale und Substanzkonsum
•
Frage nach dem Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften
und Affinität zu leistungsbezogenem Substanzkonsum
•
Erfassung basaler psychischer Eigenschaften
– „Big-Five“-Dimensionen:
o Extraversion
o Verträglichkeit
o Gewissenhaftigkeit
o Neurotizismus
o Offenheit
•
Nutzung etablierter Kurzskala „BFI-10“ (dt. Version)
(vgl. Rammstedt & John 2007)
o
o
o
o
•
5-stufige Skala (1 = „trifft gar nicht zu“ bis 5 = „trifft völlig zu“)
10 Items: Pro Dimension zwei Aussagen (positiv und negativ gepolt)
Berechnung je Dimension: Invertierung negatives Item,
Bildung Summenscore, arithmetisches Mittel der Summenscore
Faktorenanalyse bestätigt Zuordnung der Items zu den Dimensionen
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
11
Persönlichkeitsdimensionen und Konsumtyp
Summenscore je Dimension, in %
Verträglichkeit***
16
22
Nicht-Anwendende
26
16
Hirndopende
21
14
Soft-Enhancende
Gewissenhaftigkeit***
42
38
14
6
Nicht-Anwendende
46
(sehr) niedrig (1-2)
(sehr) hoch (4-5)
8
Hirndopende
Soft-Enhancende
Neurotizismus***
26
22
Nicht-Anwendende
*** p≤ 0,000
42
36
13
Hirndopende
8
Soft-Enhancende
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
12
6. Stress und Belastung im Studium
Psychischer Stress (Perceived Stress Scale) und Konsumtyp
Antwortposition "oft" und „sehr oft", in Klammern: MW des Summenscore
Wie oft hatten Sie in den
letzten vier Wochen das
Gefühl, dass ...
war nervös und
gestresst
80
60
40
konnte Probleme
[nicht] selbst lösen
20
Dinge liefen [nicht]
nach Plan
0
Unerwartetes warf
mich aus der Bahn
Nicht-Anwendende (2,8)
konnte Wichtiges
nicht kontrollieren
Hirndopende (3,4)
Soft-Enhancende (3,2)
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
13
Lebensbereiche mit Stress und Belastung nach Substanzkonsum
Antwortpositionen 4+5 auf einer 5-stufigen Antwortskala 1 = „überhaupt nicht“ bis 5 = sehr stark“, in %
Studium
65
Erwerbstätigkeit
40
finanzielle
Situation
33
Gesundheit
20
Partnerschaft
25
familiäre Situation
19
74
71
42
34
31
37
23
Haushalt
21
Freizeit
23
34
Wohnsituation
15
20
Sozialkontakte
15
20
24
51
42
28
28
56
32
Nicht-Anwendende
Soft-Enhancende
Hirndopende
31
25
25
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
14
Schwierigkeiten im Studium nach Konsumtyp
Mittelwerte der Faktorwerte
Studienanforderungen
0,35
0,3
0,25
0,2
0,15
 Leistungsanforderungen
Studienorientierung
Stoffumfang
Wissenslücken aufarbeiten
Prüfungsvorbereitung
Hausarbeiten
0,1
0,05
0
-0,05
Studienfinanzierung
-0,1
Kontaktfindung
Nicht-Anwender(innen)
Hirndopende
Soft-Enhancende
Lehrveranstaltungen
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
15
Lebenszufriedenheit nach Konsumtyp
Pos. 6+7 auf einer 7-stufigen Antwortskala von 1 = „stimme überhaupt nicht zu“ bis
7 = „stimme voll und ganz zu“, in %
In den meisten Punkten ist
mein Leben meinem Ideal
nahe.
50
Nicht-Anwendende
Hirndopende
Soft-Enhancende
40
30
Wenn ich mein Leben noch
einmal leben könnte,
würde ich fast nichts
ändern.
20
10
Meine Lebensbedingungen
sind hervorragend.
0
Ich habe bisher die
wichtigen Dinge, die ich
mir vom Leben wünsche,
auch bekommen.
Ich bin zufrieden mit
meinem Leben.
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
16
Satisfaction-with-live-Score* nach Konsumtyp
in %
* SWLS-Score = Summenscore der fünf Statements zur Lebenszufriedenheit
DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
17
Einflussfaktoren des Hirndopings (Ref.: Nicht-Anwendende)
Erklärende Variable
Soziodemografische
Merkmale
Studienmerkmale
Fächergruppen
(Ref.: Ingenieurwiss.)
Schwierigkeiten
im Studium
Big-Five
(jeweils Index)
Stress und
Lebenszufriedenheit
Freizeitkonsum
Geschlecht (Ref.: männlich)
Bildungsherkunft (Ref.: akad. Eltern)
Alter
Hochschulsemester
Hochschulart (Referenz: Universität)
Sprach-, Kulturwiss.
Mathematik, Naturwiss.
Medizin, Gesundheitswiss.
Rechts-, Wirtschaftwiss.
SoWi, Soz.wesen, Psych., Päd.
Studienanforderungen
Kontaktfindung an der Hochschule
Lehrveranstaltungen (kommunikativ)
Finanzierung Studium/Auslandsauf.
Neurotizismus
Offenheit
Verträglichkeit
Extraversion
Gewissenhaftigkeit
Lebenszufriedenheit (Index)
Stress (Index)
Zahl belastender Lebensbereiche
Rauchen (Ref.: Nichtraucher(innen))
Cannabiskonsum (Ref.: kein Cannabiskonsum)
Alkoholkonsum (Ref.: kein Alkoholkonsum)
Alkoholproblem (Ref.: kein Alk.probl.
Konstante
Pseudo-R²
*** p ≤ 0,001; ** p ≤ 0,01; * p ≤ 0,05
M1
n.s.
+
n.s.
+
***
0,01
0,02
***
M2
+
+
+
+
+
+
+
+
+
0,01
0,04
n.s.
n.s.
n.s.
**
n.s.
**
**
*
**
***
***
M3
+
+
1,04
1,68
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
-
0,00
0,10
*
n.s.
*
*
*
**
**
**
**
***
***
n.s.
n.s.
**
***
n.s.
**
n.s.
n.s.
***
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
M4
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
0,00
0,18
18
n.s.
n.s.
n.s.
n.s.
*
**
**
**
**
**
n.s.
n.s.
n.s.
n.s.
n.s.
n.s.
*
n.s.
n.s.
***
**
*
**
***
n.s.
n.s.
***
Einflussfaktoren auf Substanzwahl – Hirndoping vs. Soft-Enhancement
Erklärende Variable
Soziodemogra- Geschlecht (Ref.: männlich)
fische Merkmale Bildungsherkunft (Ref.: akad. EH)
Alter
StudienHochschulsemester
merkmale
Hochschulart (Ref.: Universität)
Fächergruppen Sprach-, Kulturwiss.
(Ref.: Ingenieurwiss.) Mathematik, Naturwiss.
Medizin, Gesundheitswiss.
Rechts-, Wirtschaftwiss.
SoWi, Soz.wesen, Psych., Päd.
Schwierigkeiten Studienanforderungen
im Studium
Kontaktfindung an der Hochschule
Lehrveranstaltungen (kommunikativ)
Finanzierung Studium/Auslandsaufenth.
Big-Five
Neurotizismus (Index)
Offenheit (Index)
Verträglichkeit (Index)
Extraversion (Index)
Gewissenhaftigkeit (Index)
Stress und
Lebenszufriedenheit (Index)
LebenszufrieStress (Index)
denheit
Zahl belastender Lebensbereiche
Freizeitkonsum Rauchen (Ref.: Nichtraucher(innen))
Cannabiskonsum (Ref.: kein Cannabis)
Alkoholkonsum (Ref.: kein Alkohol)
Alkoholproblem (Ref.: kein Alk.probl.)
Modell 4
*
+
n.s.
+
n.s.
+
n.s.
+
n.s.
+
**
+
**
+
n.s.
+
**
+
**
n.s.
n.s.
+
n.s.
n.s.
n.s.
+
*
n.s.
n.s.
n.s.
**
+
n.s.
+
n.s.
+
n.s.
+
***
n.s.
+
n.s.
Fortsetzung Erklärende Variable
Einnahme- Schmerzbekämpfung
motive
wach bleiben
(ein-)schlafen können
gesundheitliche Gründe
Nervosität
gesamten Stoff schaffen
Zeitaufwand für Lernen gering halten
Leistungssteigerung
Arbeit termingerecht fertig stellen
Leistungsdruck
Neugier
weil andere auch konsumieren
Sonstiges
Konstante
Pseudo-R²
*** p ≤ 0,001; ** p ≤ 0,01; * p ≤ 0,05
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
Modell 4
+
***
n.s.
+
n.s.
+
*
n.s.
+
n.s.
+
**
+
n.s.
+
n.s.
+
n.s.
+
**
+
n.s.
+
n.s.
0,09 n.s.
0,25
19
8. Fazit und Ansätze für die Prävention
1. Stabile Befunde im Vergleich zur Erstbefragung 2010
•
im Anteil an Hirndopenden
•
bei der Verbreitung, Rangfolge angewandter Substanzen
•
bei den soziodemographischen Merkmalen der Anwendenden
•
bei den psychologischen Merkmalen der Anwendenden
•
bei Merkmalen des Studiums (Fächergruppe, Anzahl Hochschulsemester)
•
bei den Motiven für die Anwendung
•
bei den relevanten Stressoren
•
in puncto Polyvalenz
2. Signifikante Veränderungen im Vergleich zur Erstbefragung 2010
•
höherer Anteil an Soft-Enhancenden
•
bei Persönlichkeitsdimensionen: Signifikanz bei „Verträglichkeit“
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
20
3. Ansätze für die Prävention
•
Differenziertheit erforderlich, z. B. Unterscheidung zwischen
- hoch Belasteten bzw. sich stark belastet Fühlenden
- Risikobereiten, Unbekümmerten, Pragmatiker(inne)n
•
Studium als Ausgangspunkt bzw. Studienerfolg als Ziel von
Präventionsmaßnahmen im Hochschulkontext sollten möglichst auch
die übrigen Lebensbereiche im Blick haben, weil sie
- Ursache sein können für eine herabgesetzte Belastbarkeit im Studium
(Mehrfachbelastung)
- hinweisen können auf eine Gefährdungspotential für leistungsbezogenen
Substanzkonsum (gesundheitsrelevantes Verhalten in der Freizeit)
- Quelle für allgemeine Lebensunzufriedenheit sein können
•
Stärkung der Studienmotivation, Integration ins Studium, Stressmanagement
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
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Ausführlichere Informationen:
 Projektbericht
Middendorff, Elke; Poskowsky, Jonas; Becker, Karsten (2015):
Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung bei Studierenden.
Wiederholungsbefragung des HISBUS-Panels zur Verbreitung und zu Mustern
studienbezogenen Substanzmissbrauchs. Forum Hochschule 04|2015
Bericht als PDF unter http://www.dzhw.eu/publikation/forum
 HISBUS-Panel: www.hisbus.de
Kontakt:
Dr. Elke Middendorff
 +49 511 450670-194
 [email protected]
Psychische Belastungen und Suchtverhalten Studierender
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