Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II für Wirtschaftsjuristen Fallbesprechung VI Philipp Ziegler 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler Sachverhalt: Der Hobbypianist P kauft in der Musikhandlung des M einen neuen Flügel. Diesen Flügel hatte M bei dem Hersteller H vor 20 Monaten gekauft. Seitdem stand der Flügel im Ausstellungsraum des M. Bereits 5 Monate, nachdem M den Flügel an P übergeben hat, löst sich die Beschichtung von den weißen Tasten. Die Ursache hierfür läßt sich nicht klären. P verlangt die Lieferung eines neuen Flügels. M nimmt den alten Flügel zurück und liefert dem P einen neuen Flügel der gleichen Marke. M teilt dem H den Vorgang sofort mit und erklärt den Rücktritt. Er möchte nun von H den Kaufpreis zurück, den er an H gezahlt hat. H wendet ein, daß doch gar nicht geklärt sei, ob der Flügel überhaupt mangelhaft gewesen sei, als er ihn an M übergeben habe. Auch habe es M unterlassen, den Mangel anzuzeigen und jetzt könne er sich wohl nicht mehr auf den Mangel berufen. Tatsächlich konnte M den Mangel jedoch nicht erkennen. H meint zudem, daß die Rechte des M nach 25 Monaten ohnehin verjährt seien. Weiterhin sei nicht klar, ob denn der M den Flügel überhaupt zurücknehmen mußte; es könne ja auch sein, daß der Mangel erst bei P eingetreten sei und auf dessen Unachtsamkeit zurückzuführen sei. 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler Schließlich meint H noch folgendes: P konnte den Flügel für insgesamt 5 Monate nutzen; nun habe er einen neuen Flügel bekommen; für die 5 Monate, die er den alten Flügel benutzen konnte, müsse P doch an M Nutzungsersatz zahlen; dieser Nutzungsersatz stehe ihm, H, zu. M bezweifelt, daß ein solcher Anspruch gegen den P überhaupt besteht; er werde den P mit diesem Anspruch aber auf jeden Fall nicht belästigen, weil P bei ihm Stammkunde sei. Bearbeitvermerk: Wie ist die Rechtslage? 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler I. Anspruch des M gegen H auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 346 I, 323 I, 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB 1. Rücktrittsgrund Hier: gesetzl. Rücktrittsrecht nach §§ 323 I, 437 Nr. 2 BGB a) b) 02.06.2016 Gegenseitiger Vertrag Nicht oder nicht vertragsgemäße Erbringung einer fälligen Leistung Flügel müsste mangelhaft i.S.d. § 434 BGB sein: 1) Sachmangel? – Beschichtung hat sich von Tasten gelöst -> § 434 I S. 2 Nr. 2 BGB 2) Zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs, § 446 ff. BGB? – Hier: Übergabe an M, § 446 S. 1 BGB – Mangel bereits bei Gefahrübergang? Strittig! Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler – Grdsl: Anspruchsteller trägt die Beweislast für rechtsbegründende, der Anspruchsgegner für rechtsvernichtende, -hindernde und hemmende Tatbestandsmerkmale; M trägt hier die Beweislast für die Voraussetzungen des Rücktritts – Zwischenergebnis: Eigentlich kein Rücktrittsrecht, da M nicht nachweisen kann, dass der Mangel bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag – Außer: Beweislastumkehr nach §§ 476, 478 III BGB? = Vermutung, dass ein Sachmangel, der sich innerhalb von sechs Monaten bei Gefahrübergang zeigt, bereits bei Gefahrübergang vorlag – Voraussetzungen: » M müsste Verbraucher i.S.d. § 13 BGB sein (-) » Vorliegen eines Verbrauchsgüterkauf i.S.d. § 474 I BGB zwischen H und M deshalb (-) 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler » Aber: § 478 III BGB? » § 476 findet auch für den Rückgriff des Unternehmers gegen seinen Verkäufer/Lieferanten Anwendung » Problem: Mangel zeigt sich 25 Monate nach Übergabe an M » Auch hier: § 478 III BGB; 6 Monats Frist beginnt erst mit Übergabe an den Verbraucher » Voraussetzungen für die Anwendung der §§ 476, 478 III BGB: 1) Verbrauchsgüterkauf i.S.d. § 474 I S. 1 BGB? » Flügel ist bewegliche Sache, P hat ihn für private Zwecke gekauft und ist Verbraucher i.S.d. § 13 BGB » M hat Flügel im Rahmen seiner Musikhandlung verkauft und ist daher Unternehmer i.S.d. § 14 BGB » Keine Ausnahme des § 474 I S. 2 BGB » Verbrauchgüterkauf (+) 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler 02.06.2016 2) Neu hergestellte Sache, § 478 I BGB (+) 3) Rücknahmepflicht des M? » M müsste als Unternehmer dazu verpflichtet gewesen sein, den Flügel von P zurückzunehmen, wenn er verpflichtet war, dem P einen neuen Flügel zu liefern » Hier: aus §§ 439, 437 Nr. 1 Nachlieferungsanspruch des P (Vss: Flügel war zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs mangelhaft) a) Mangel nach § 434 I S. 2 Nr. 2 BGB (+) b) Zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs? » Problem: Ursache des Mangels lässt sich nicht mehr aufklären; evtl. Beweislastumkehr nach § 476 BGB? » Vss: Vorliegen eines Verbrauchsgüterkaufs i.S.d. § 474 I BGB zwischen M und P (+) » Mangel muss sich innerhalb von 6 Monaten gezeigt haben Fallbesprechung -> Vermutung, dass Mangel bereits Wintersemester bei VI 2014/2015 Gefahrübergang vorlag Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler » Zwischenergebnis: P könnte Ersatzlieferung nach §§ 439 I, 437 Nr. 1 BGB verlangen; M könnte Rückgewähr des bereits gelieferten Flügels nach §§ 346 I, 439 IV BGB verlangen 4) Es sei denn: Beschränkung der Privilegierung auf das „bloße Regressinteresse“? » (P): Ist die Privilegierung des § 478 I, III nur dann einschlägig, wenn der Unternehmer den selben Rechtsbehelf geltend macht wie auch der Verbraucher? » E.A.: Teleologische Reduktion des § 478 BGB, Beschränkung (+); Zweck des § 478 BGB sei es, dass der Unternehmer nicht in eine Regressfalle gerät, sondern insoweit Regress nehmen kann, als er selbst durch die Ausübung der Mangelrechte durch den Verbraucher belastet ist; Verkäufer dürfe aber nicht sein Regressinteresse überschreiten, sondern nur das fordern, was auch der Verbraucher von ihm gefordert hat 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler » H.M.: Keine Beschränkung; Wortlaut ist eine solche Beschränkung nicht zu entnehmen; § 478 I BGB in seiner Anwendung sonst stark beschränkt 5) Zwischenergebnis: § 478 I BGB (+), auch M kann sich im Verhältnis zu H auf die Beweislastumkehr des § 476 BGB berufen, es wird vermutet, dass der Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs auf M vorlag, soweit er sich innerhalb von 6 Monaten seit Gefahrübergang auf P zeigt c) Fristsetzung, § 323 I BGB 1) Gläubiger muss Schuldner zunächst erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt haben, hier keine Nachfrist von M an H 2) Es sei denn: Fristsetzung gem. § 478 I BGB entbehrlich? Zwischenergebnis: Voraussetzungen eines Rücktrittsrechts aus §§ 323 I, 437 Nr. 2 BGB liegen vor 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler d) Es sei denn: Genehmigung des Mangels, §§ 377 II, III HGB, 478 VI BGB Flügel könnte gem. § 377 II HGB gegenüber H als von M genehmigt gelten; M könnte dann keine Rechte wegen der Mangelhaftigkeit des Flügels geltend machen 1) Genehmigungsfiktion nach § 377 II HGB? Vss: Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nach § 377 I HGB? – Kauf für M und H jeweils ein Handelsgeschäft, § 377 I HGB: beiderseitiges Handelsgeschäft i.S.d. § 343 HGB (Alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören wobei nach § 344 I HGB eine Vermutung für das Handelsgeschäft eingreift – M ist Inhaber eines Musikladens, H stellt Flügel her und vertreibt sie, beide Kaufleute i.S.d. § 1 I HGB; weiterhin Handelsgeschäft i.S.d. § 377 I HGB – Folge: Obliegenheit des M gem. § 377 I HGB den Flügel unverzüglich nach Ablieferung zu untersuchen und den Mangel unverzüglich 02.06.2016 VI Wintersemester 2014/2015 anzuzeigen, aber hierFallbesprechung Anzeige (-) Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler – Flügel gilt damit eigentlich gem. § 377 II HGB als genehmigt – Aber: Ausnahme nach § 377 II HGB: Mangel bei Untersuchung nicht erkennbar (+) Zwischenergebnis: Keine Genehmigungsfiktion nach § 377 II HGB! 2) Genehmigungsfiktion nach § 377 III HGB? – Vss: Unterlassen der unverzüglichen Anzeige eines später entdeckten Mangels – Anzeige erfolgt, keine Genehmigungsfiktion nach § 377 III HGB 3) Zwischenergebnis: Kein Ausschluss der Gewährleistungsrechte des M gegenüber H nach § 377 II, III HGB e) Anspruch aber evtl. nicht mehr durchsetzbar wegen Verjährung? • § 438 BGB • Aber: Nach § 194 I unterliegen nur Ansprüche der Verjährung; Rücktritt kein Anspruch sondern Gestaltungsrecht, deshalb keine Verjährung 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler • Aber: Nach §§ 218 I S. 1, 438 IV BGB ist der Rücktritt unwirksam, wenn Anspruch auf Nacherfüllung verjährt ist und Schuldner sich hierauf beruft a) Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs aus §§ 439 I, 437 Nr. 1 BGB Dauer gem. § 438 I Nr. 3 BGB in Jahren, Beginn mit Ablieferung des Flügels, 25 Monate > 2 Jahre b) Berufung des H auf die Unwirksamkeit des Rücktritts (+) -> Rücktritt eigentlich gem. §§ 438 I Nr. 2, II, IV, 218 I S. 1 BGB unwirksam c) Außer: Modifikation bei Verbrauchsgüterkauf gem. § 479 II BGB -> M hat gegenüber H „sofort“ den Rücktritt erklärt und damit noch innerhalb der von § 479 II BGB erforderlichen 2 Monate 3. Rücktrittserklärung, § 349 BGB (+) Ergebnis: M hat gegen H einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus § 346 I, 323Fallbesprechung I, 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB ZugWintersemester um Zug2014/2015 02.06.2016 VI gegen Rückgabe des Flügels Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler II. Anspruch des H gegen M auf Wertersatz aus § 347 I S. 1 BGB wegen der von M nicht gezogenen Nutzungen 1. 2. Vorliegen eines Rücktritts (+) Nichtziehung von Nutzungen aus dem Flügel entgegen den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft trotz Möglichkeit dazu? – M (!) müsste es unterlassen haben, aus dem Flügel Nutzungen zu ziehen, obwohl ihm dies möglich war – H kann dann von M den Wert der nicht gezogenen Nutzungen nach § 347 I S. 1 BGB ersetzt verlangen – (P): Welche Nutzungen? P konnte Flügel 5 Monate nutzen = Gebrauchsvorteil, diese sind gem. § 100 BGB Nutzungen – M hat gegen P einen Nutzungsersatzanspruch aus § 346 I BGB? Betrag müsste M an H weiterreichen; Unterlässt es M, den P für diese Nutzungen in Anspruch zu nehmen, so könnte dem H ein Anspruch aus § 347 Abs. 1 S. 1 BGB zustehen 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler – Vss: Bestehen eines Anspruchs des M gegen P aus § 346 I bzw. II S. 1 Nr. 1 BGB a) P hat Gebrauchsvorteile gezogen, diese sind Nutzungen i.S.d. § 100 BGB b) Rücktritt einer Partei vom Kaufvertrag über den Flügel • Nein, keiner ist zurückgetreten • Aber: Verweis des § 439 IV auf §§ 346 bis 348 BGB, hier (+) • (P) Erfasst die Verweisung des § 439 IV BGB auch die Rücktrittsfolge des Nutzungsersatzes? • = muss der Käufer, der Nachlieferung verlangt, ebenso Ersatz für die Vorteile, leisten, wenn er vom Vertrag zurückgetreten wäre, also auch nicht gezogene Nutzungen ersetzen? • Rspr: Käufer muss im Falle der Neulieferung Nutzungsersatz leisten • Lit: Teleologische Reduktion des § 439 IV, da offensichtlich Fehlleistung des Gesetzgebers 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB II Philipp Ziegler • Keine Streitentscheidung nötig; im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs regelt § 474 Abs. 2 S. 1 BGB ausdrücklich, dass von der Verweisung des § 439 Abs. 4 BGB nicht der Nutzungsersatz umfasst ist Zwischenergebnis: P schuldete M keinen Nutzungsersatz aus § 346 I BGB Ergebnis: Da P dem M keinen Nutzungsersatz schuldet, muss auch M dem H nicht aus § 347 I S. 1 BGB haften. 02.06.2016 Fallbesprechung VI Wintersemester 2014/2015
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