Kranichsteiner Jugendliteraturstipendien 2016

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Kranichsteiner Jugendliteraturstipendien 2016
Kurzbegründung der Jury
S. H. Becker / B. Müller-Bardoff / M. Schmitt
1. Februar 2016
Elisabeth Etz. Alles nach Plan, Zaglossus Verlag, Wien 2015, 172 Seiten
Unbestimmt? Fremdbestimmt? Selbstbestimmt? Das sind die Koordinaten für Annas Leben, die endlich alle die
Erfahrungen machen will, die Sechzehnjährige vorweisen können sollten. Aber ist das, was sie dabei erlebt, aufregend?
Fühlt es sich so an, wie sie es sich vorgestellt hat? Elisabeth Etz legt ihrem knapp und pointiert erzählten Roman „Alles
nach Plan“ ein bekanntes Muster zugrunde: Eine Liste muss abgearbeitet werden, um unter Gleichaltrigen und vor sich
selbst bestehen zu können. Sie bricht dieses Erzählmuster aber umgehend und schickt ihre von sich selbst irritierte Heldin
zunehmend genervt und unleidlich in Situationen, in denen ihr klar wird, dass die Stationen des traditionellen Parcours,
den sie sich verordnet hat – die Party ihres Leben finden, sich verlieben, Schule schwänzen, mit jemandem schlafen – nicht
automatisch ein gesteigertes Lebensgefühl mit sich bringen, meist noch nicht einmal gesteigerte Intensität. Je länger sie
sich an mancher Banalität aufreibt, desto stärker spürt sie, dass sie mehr und anders sein kann, als das, was Freunde in ihr
sehen und was sie selbst hat aus sich machen wollen. Anna kann alles sein und werden – das ist der Kern dieses Romans,
der den Spielraum, der sich für Anna öffnet, daher auch nicht in ein Happy End zwingt das sie wieder nur auf eine einzige
Möglichkeit reduzieren würde. „Alles nach Plan“ bedeutet am Ende des Romans: offen sein für jede sexuelle Präferenz
und zugleich weitgehend unabhängig von der unzuverlässigen Aufmerksamkeit ihrer Umgebung.
Kathrin Steinberger, Manchmal dreht das Leben einfach um. Jungbrunnen, Wien 2015, 280 Seiten.
Es gibt viele Spielarten der Hochbegabung, und Kathrin Steinberger erzählt, was passiert, wenn zwei davon aufeinander
treffen. Ali, Heldin und Erzählerin, hat ein Gehirn, dem weder die Schule noch die abgelegensten Wissensgebiete
Probleme bereiten, aber sie braucht feste Gewohnheiten, hat nur eine einzige gute Freundin und vermeidet schwer
kontrollierbare Situationen. Kevin, ein paar Jahre älter, ist als Profi-Skater international ein Star gewesen, aber durch einen
Unfall aus einem schillernden Leben herausgerissen worden. Als sie sich als Nachbarn begegnen, sind sie sich fremd, weil
in vieler Hinsicht gegensätzlich; aber auch nahe durch die Intensität, mit der sie sich aufeinander einlassen. Kathrin
Steinberger verfolgt diesen Prozess langsam und im Detail genau. Sie schildert, wie Ali sich selbst beobachtet, während sie
sich auf Skaten und Snowboarden einlässt, und beschreibt Kevin als jungen Mann, der nicht nur mit seinem Karriere-Ende
sondern auch mit Erfahrungen aus seiner Kindheit ringt. Dabei verweigert sie sich allen oberflächlichen jugendkulturellen
Gesten, die das Thema provozieren könnte, sondern beschreibt den Sport -- das Lernen wie das Brillieren – als ständiges
Training, als andauernde Frustration, als Arbeit an sich selbst ohne absehbares Ende. Sie wählt die Skater-Szene nicht als
Dekor, sondern als ein Bild dafür, wie sich ein selbstbestimmtes Leben erreichen lässt, und erzählt in einem furiosen
Schlusskapitel zuletzt, dass auch das nichts anderes als eine Anstrengung ohne Ende sein kann, eine Unzahl von
Wechselfällen, Zufällen und Irrtümern, von Glück und Unglück.