Grenada - Die Insel über dem Winde von Andreas Obrecht Vom riesigen Orinoco-Delta aus kann man an klaren Tagen die Insel Trinidad sehen, und von hier aus segelt man etwas 150km Nord-West zu den kleinen Antillen. Die erste und südlichste Insel, auf die man trifft, ist 34 km lang und 19 km breit. Der Abenteurer und Lebenskünstler Christobal Colon, besser bekannt unter dem Namen Christoph Kolumbus, hat diese aufregende Route genommen. Das war im Jahre 1498 christlicher Zeitrechnung, bei seiner Dritten Reise in die Neue Welt, die er West Indies nannte, weil er geglaubt hatte, die Westküste Indien entdeckt zu haben. Erst mehr als hundert Jahre danach erhielt diese Insel von spanischen Seefahrern ihren heutigen Namen: Grenada - The Isle of Spice - Die Insel der Gewürze. Im Rahmen eines Forschungs- und Lehrsemesters, bei dem auch die Projekte des IEZ an der University of West Indies vorgestellt wurden, hatte ich vergangenes Jahr die Gelegenheit mich eingehender mit diesem faszinierenden Eiland, das ich seit 1987 bereise, auseinander zu setzen. Neben wissenschaftlichen Publikationen, an denen noch gearbeitet wird, habe ich auch eine Hörfunk-Dokumentation für den ORF (Ö1-Extra) produziert, die Geschichte, Politik und Gegenwart dieser karibischen Gesellschaft vor dem Hintergrund zunehmender Globalisierung darstellt. Für jambo! will ich einige Aspekte daraus darlegen, die ein wenig hinter die Kulissen eines touristischen Ferienparadieses blicken lassen. Tatsächlich kann Grenada als eine der landschaftlich schönsten Inseln der südöstlichen Karibik bezeichnet werden. Auf Grenada erwartet den Reisenden eine wahre Symphonie aus Farben, Gerüchen und Tönen. Vor dem üppig-tropischen Grün schillern farbenprächtig Bougainvilleas, Weihnachtsstern, Museander, Frangipangis und die tiefroten Blüten der Flamboyants. Kalabash- und Brotfruchtbäume, Immortellen, Flammenbäume und Kokosnusspalmen sind die prominentesten Vertreter der zahlosen Arten, die die vielfältige Flora der Küstengebiete ausmachen. Grenada ist weitgehend vulkanischen Ursprungs: Fruchtbare Böden, Vulkanseen, Wasserfälle und tropischer Regenwald prägen das Inselinnere, durch das sich dichtbewaldete Täler und Flüsse ziehen. Gürtleltiere, Oppossums. Mungos, Drachenechsen, Agutis und ursprünglich aus Westafrika stammende Mona-Affen finden hier ideale Lebensbedingungen. Kolibris, Pelikane, Falken und rote Milane kreisen über dem undurchdringbaren Dschungel. Die höchste Erhebung im Inselinneren Mount St. Catherine – ist mit 840 Metern imposant für eine kleine Insel. Von dort oben hat man einen vortrefflichen Blick, sowohl auf die dicht besiedelte Karibikseite der Insel als auch auf die durch einsame Buchten gegliederte Atlantikküste. Die Windward Islands, die Inseln über dem Winde – wie die kleinen Antillen auch genannt werden – waren seit Beginn des 18. Jahrhunderts von den europäischen Seemächten heftigst umkämpft. Der Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika versprach enorme Gewinne: Waffen für Sklaven, Rum für Rohstoffe. Heute werden auf der Insel der Gewürze hauptsächlich Zimt, Ingwer, Gewürznelken und Muskatnuss angepflanzt. Aber auch Bananenund Zuckerrohrplantagen finden sich im Inselinneren - letztere vor allem um den heimischen Rumbedarf zu decken. Denn in immerhin 5 Destilleries werden für nicht mehr als etwas über 100 000 Einwohner insgesamt 18 verschiedene Sorten Rum produziert, wobei nur eine einzige von ihnen - nach dreijähriger Reifung im Eichenfass - exportiert wird. Hier auf Grenada findet sich auch - in einer ausladenden Bucht am Atlantik gelege n - die Destillerie „River Antoine“ in der - wie vor zweihundert Jahren - der Zuckerrohrsaft über Holzöfen gebrannt wird und ein Wasserrad die Zuckerrohrpresse betreibt, gespeist von einem Fluss, der direkt aus den Regenwäldern in den Bergen kommt. Auch hier auf den Plantagen der River Antoine Destillerie mussten die Sklaven während der Zuckerrohrernte 18 Stunden am Tag arbeiten. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts erhoben sich die Sklaven zu einem ersten Aufstand, der freilich brutalst niedergeschlagen wurde. Zuckerrohr, Baumwolle, Tabak und Kobra waren es auch, weswegen der größte Menschenhandel in der Geschichte über Jahrhunderte in Szene gesetzt wurde. Afrika, Europa und die Karibik - die unglaubliche Geschichte einer sich durch Jahrhunderte perpetuierenden Gewalt, die jeweils an einem Ende des Horizonts ihren Anfang nahm und jeweils am anderen Ende des Horizonts fortgesetzt wurde. Generation um Generation. Das Bewußtsein der jahrhundertlangen Diaspora schafft bis heute Solidarität zwischen den schwarzen Bewohnern der karibischen Inseln. So ist auch die Rastafarei- Bewegung, die sich auf afrikanische Wurzeln beruft und deren prominentester Vertreter wohl der verstorbene Musiker Bob Marley ist, in Grenada besonders stark. Anders als die meisten Grenader hatte der Geschäftsmann Mister Isaac Gelegenheit, afrikanische Länder zu bereisen und selbst den Spuren der Geschichte seiner Vorfahren zu folgen. Wenn man nach Afrika kommt, dann sieht man – man ist zu Hause angekommen! In all diesen Ländern ist die Kultur – sind sogar die Nahrungsmittel – grundsätzlich so wie in der Karibik. Ich sehe keinen Unterschied zwischen den Afrikanern am Kontinent und jenen in der Diaspora, in den unterschiedlichsten Teilen der Welt. Der einzige Unterschied, den es zwischen uns gibt – ist unsere Sprache. Geschichte und Wissen bringen immer alles ans Licht! Wir sind – wie Sie wissen – auf dem Sklavenschiff hergekommen, unter dem Einfluß der Europäer, die uns genau nach ihren Vorstellungen haben wollten – uns die Haare geschnitten haben, uns ihre Traditionen aufgedrängt haben, uns ihre Sprache aufgezwungen haben usw. Aber als unser Wissen dann grösser geworden ist, und die Geschichtsbücher aus den Archiven der Europäer auch zu uns gekommen sind, haben wir begonnen zu verstehen, was unsere Herkunft, unser Wissen ist. Man hat unsere eigene Kultur vor uns verborgen! Aber jetzt sind wir auf unserem Weg, ändern die Dinge: Rastafarei! Freiheit unserer Kultur, Freiheit unserer Sprache, Freiheit unserem Land, das uns in Afrika gestohlen wurde! Für Europa bedeutete der Sklavenhandel und die Rohstoffsicherung, die Agrar- und Exportgüterproduktion in den Kolonien den Eintritt in das Zeitalter der Industrialisierung, des rasanten Wachstums, aber auch des militanten Nationalismus. Zwischen der Mitte des 17. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Grundstein für die noch heute gültige ökonomische Überlegenheit der westlichen Hemisphäre gelegt. Der Handel mit Menschen hatte daran einen gewichtigen Anteil. Die einander konkurrierenden europäische n Seemächte verschifften Millionen schwarzer Menschen - nachdem sie zuvor gebrandmarkt und in Ketten gelegt worden waren -, um jene, die die Überfahrt überlebten, in der "Neuen Welt" auf den Plantagen schuften zu lassen. Die schwarzen Menschen der karibischen Inseln kamen aus dem Hinterland einer Küste, die 8000 Kilometer lang ist - von der Pfefferküste, der Elfenbeinküste, der Goldküste, der Sklavenküste Afrikas. Sie lagen in ihren eigenen Fäkalien in der sogenannten "Löffelposition". Die lichte Höhe ihrer Unterkunft unter Deck betrug zumeist nicht einmal einen Meter. Bei Schönwetter wurden sie an Deck getrieben und mussten zu dem Takt der Peitschen in Hals-,Fuss- und Handketten tanzen. Die Haie, die im Kielwasser dem Schiff folgten, wurden bestens versorgt: Mehr als ein Drittel der Sklaven starb bei der Überfahrt auf der "mittleren Passage". In der "Neuen Welt" angekommen wurde die Identität der Sklaven radikal ausgelöscht: Sie waren keine Ibo, Fulani, Haussa, Mandingo, Agni, Dogon, Aschanti mehr: sie wurden abermals gebrandmarkt, durften ihre hunderten Sprachen nicht mehr sprechen, durften ihre Götter nicht verehren, wurden voneinander getrennt, eingeölt und nackt zum Kauf angeboten. Sie hatten keine Seele. Auf den Plantagen herrschte ein eisernes Regiment. Männer wurden kastriert, jeder Widerstand brutalst im Keim erstickt. Mädchen und Frauen wurden von den Eignern regelmässig vergewaltigt. Geringste Vergehen wurden mit dem Auspeitschen bestraft; wenn ein Sklave starb, dann wurde er nicht begraben, sondern ins Meer geworfen oder Hunden vorgeworfen. Zuchtauswahl wurde betrieben: Besonders kräftige Sklaven wurden in eigens dafür vorgesehenen Baracken mit großen und gesunden Sklavinnen zusammengebracht - um leistungswillige Nachkommen zu zeugen. Ein Zuchtsklave war sein Geld wert, konnte man ihn doch - dem Jargon historischer Quellen nach - früh genug abrichten und außerdem war doch allgemein weniger Widerstand zu erwarten als bei den afrikanischen - also bei den noch in Afrika geborenen - Sklaven. Heute sind 90 % der Bevölkerung Grenadas Afrikaner, die Nachfahren der ehemaligen Sklaven - ergänzt durch eine kleine kreolische und asiatische Minderheit und nicht mehr als insgesamt etwa 1000 hier lebenden Europäern. Es gibt jede Menge Armut, die im krassen Gegensatz zu den hohen und ständig steigenden Lebenshaltungskosten steht. Energie, Werkzeuge, Wasser, Schulgeld, Medikamente - all das muss bezahlt sein. Viele Familien leiden unter endemischer Geldnot, auch wenn sie nicht in die Supermärkte einkaufen gehen, deren Waren der grenadinischen Upper-Class, den Touristen und jenen - zumeist Weißen vorbehalten sind, die auf der Insel ein neues, weil zeitreicheres Leben begonnen haben. Nur den nach der Dekolonialisierung realisierten Landreformen ist es zu verdanken, dass jede Familie in Grenada ein Stück Land hat, von dem sie - nicht selten - grossteils subsistenzwirtschaftend lebt. Ohne Land, das die Ernährung sichert, und durch die auf ihm angebauten Cash-Crops wie Muskatnuss, Zimt oder Bananen, wäre der Großteil der Bevölkerung Grenadas längst verelendet. So aber entfaltet sich eine trotz der Armut erstaunlich stabile Ökonomie, die zwischen Agrarwirtschaft und Einkünften aus kleinen Dienstleistungen - insbesondere auch im Tourismus - pendelt. Heute wird ein Englisch-Kreolisch gesprochen, nur mehr Ortsnamen erinnern an die einstmalige französische Vergangenheit. Die grossteils unverbauten und unberührten Strände sind den Bewohnern von Grenada heilig. So gibt es nach wie vor keine privaten Strände auf der Insel - einer der Gründe warum Grenada bislang von touristischen Großprojekten verschont geblieben ist. Es darf auch nicht höher gebaut werden als die jeweils höchste Palme im unmittelbaren Sichtkreis. Insbesondere an den Wochenenden lieben es die Grenader an ihren Stränden zu „limen“. "To lime" - dies ist eine grenadinische Wortschöpfung und bedeutet soviel wie süsses Nichtstun. In Grenada wird das "Limen" als eine Art hohe Schule des Müßigganges verstanden. Ein englischer Kollege an der Universität dazu: Ich arbeite sehr hart daran diese Kunst zu erlernen. Es ist die Kunst herumzuschauen, so als würde man etwas vorhaben, aber in Wirklichkeit absolut nichts zu wollen, anzustreben - einfach die Stunden, die Tage verstreichen zu lassen. Und man hat dabei keine Vorstellung was mit der Zeit oder was sonst passiert. Die Grenader bringen mir das "Limen" gerade bei. Ich hatte schon gedacht, mich darin perfektioniert zu haben, aber dann bin ich hier in Grenada draufgekommen, daß ich absoluter Anfänger, in der ersten Klasse sozusagen bin. Ich war noch immer viel zu schnell in allem! Neben dem „Limen“ in wunderschöner unberührter Natur und zahlosen Wassersportmöglichkeiten zählt der alljährlich im August stattfindende Karneval zweifellos zu den touristischen Höhepunkten. Auch Tausende im Ausland arbeitende Grenader kommen zu den Kostümumzügen und ausgelassenen Strassenfesten. Der Karneval ist auch die Zeit der grossen Musikfeste und - Wettbewerbe . Calypse, Mas, Reggae und Soka prägen die Inselmusik. Die vielen Musikgruppen üben vor der Karnevalszeit fast täglich am lokalen Rum-Shop um bei den Wettbewerben gute Ergebnisse zu erzielen. Neben Steelbands gelangen auch Banjos und die traditionellen „Bambusröhren“ (Bamboos) zum Einsatz. Die „moderne“ Form des Calypso ist der sogenannt e Soka. Orale Tradition und Polyrhythmik verbinden sich hier zu einem eigenständigen grenadinischen Musikstil, der sich auch nicht scheut - zuweilen massive Gesellschaftskritik zu üben. In diesen Liedern wird über den dörflichen Alltag, über Armut und auch über polizeiliche Korruption etc. berichtet. Das afrikanische Erbe der Insel - das sich zuweilen mit der globalisierten Popkultur vermischt - zeigt sich nicht nur in der Musik, im Tanz, im Karneval, sondern vor allem auch im Bereich der Magie und Religion. Formen der Alltagsmagie sind überall anzutreffen. Dabei geht es um Prävention, um Heilung, aber auch um Verhexung. Oder auch darum, ein begehrtes Subjekt durch Liebeszauber zu verführen. Für hartnäckigere Fälle freilich muß schon ein Spezialist oder eine Spezialistin konsultiert werden. Mother Annie ist eine der berühmtesten und wohl auch gefürchtetsten Priesterinnen in der Region. Sie war die Priesterin des Diktators Gary, der Grenada in die Unabhängigkeit geführt hat und von dem gesagt wurde, er habe mittels schwarzer Magie sein diktatorisches Regime errichtet. Der Marxist Maurice Bishop ließ nach erfolgter Revolution im Jahre 1979 den Obeayh-Raum von Mother Annie von einem katholischen Priester exorzieren - man kann sich eben auch als Materialist in der Karibik nicht sicher sein. Mother Annie mußte für viele Jahre ins Exil nach Kanada gehen. Jetzt ordiniert sie wieder - in einer kleinen Hütte an der Atlantikküste, wird von vielen Menschen, zumeist im Geheimen konsultiert und ruft die Geister Afrikas herbei. Es ist gut, wenn man von den Geistern ergriffen wird. Sie sprechen in unterschiedlichen Sprachen. Aber nur einige Leute können diese Sprachen verstehen. Es ist ein Heilungsprozeß. Nicht jeder kann die afrikanischen Kulte machen. Überall auf der Welt sind die afrikanischen Schutzgeister dieselben. Sie sind sehr stark – ein Volk, das von Anbeginn der Schöpfung da ist. Von Mother Annies an der Atlantikküste gelegenem Holzhaus benötigt man etwa eine Autostunde zur malerischen, etwa 8000 Einwohner zählenden Hauptstadt St. Georges. Die Festung Fort Georges ist 1705 von französischen Soldaten errichtet worden. Von hier oben hat man einen vortrefflichen Blick über den weisssandigen Strand Grand Anse bis zur Caranage, dem idyllischen Hafen der Stadt: hinunter auf die engen winkeligen Gassen, die Dächer der höchstens einstöckigen Kolonialbauten, die aus jenem Material errrichtet worden sind, das Sklaven und Handelsschiffe als Ballast mit sich führten. Die indigene indianische Bevölkerung freilich, die Kariben, wurde ein Jahr nach der Inbesitznahme der Insel von den Franzosen ausgerottet. Nachdem die Indianer im Norden der Insel bei Sauteurs in die Enge getrieben waren, sprangen sie - so die Legende - von einer felsigen Klippe ins Meer um der Gefangennahme zu entgehen. Dies geschah im Jahre 1651, nur ein Jahr nachdem der Gouverneur von Martinique Du Parquet die Insel den gutgläubigen Kariben für einige Beile, Glasperlen und zwei Flaschen Brandy abgekauft hatte. Eine Festung, eine Handelsstation, eine Walfängerbasis und Plantagen wurden von den etwa 200 Siedlern errichtet. Immer mehr Sklaven aus Afrika kamen nach Grenada. Nachdem die begehrte Insel mehrere Male von den Briten erobert und von den Franzosen wieder zurückerobert wurde, wurde sie im Jahre 1783, im Vertrag zu Paris, endgültig an England abgetreten und erhielt den Statuts einer britischen Kronkolonie bis zu der 1974 erlangten Unabhängigkeit. Heute wird diese Festung als Polizeihauptquartier genutzt, und geht man die steinernen Treppen von der Festungsmauer hinunter in das Innere der Anlage, so gelangt man zu jenem Gefängnishof, in dem der charismatische Revolutionsführer Maurice Bishop 1983 exekutiert worden ist. An einer Metallstange an der ein Basketballkorb befestigt ist, sieht man noch heute jene Einschüsse, die den Grenadern ihren Volkshelden genommen haben. In weiterer Folge kam es dann zur amerikanischen Invasion. Grenada war bis dahin relativ isoliert, bzw. hatte eine eigenständige politische Entwicklung genommen. Nachdem der Inselstaat von dem Gewerkschaftsführer Eric Gary im Jahre 1973 in die Unabhängigkeit von den britischen Kolonialherren geführt worden war, entpuppte sich der neue Premierminister als korrupter Autokrat, der mit geheimpolizeilichen Methoden und - wie viele bis heute sagen - auch mit Hilfe der schwarzen Magie regierte. Der charismatische Revolutionsführer Maurice Bishop, ein in England ausgebildeter 34-jähriger Jurist, führte mit seiner Oppositionspartei New Juwel Movement im März des Jahres 1979 schließlich einen unblutigen Aufstand durch, auf den die Grenader bis heute stolz sind. Ihre Revolution, ihr Maurice Bishop, ihr Revolutionary Government! Der neue Premierminister ließ nach der Exilierung Garys die Menschenrechte wieder einsetzen, Schulen und Krankenhäuser erbauen, Erwachsenenbildungsprogramme einführen, bäuerliche Kreditvereinigungen und landwirtschaftliche Genossenschaften etablieren. Bishops sozialistische Politik, die sich - aufgrund einer weitreichenden politischen Isolation - immer stärker an Kuba anzulehnen begann, erweckte nicht nur den Verdruss der Vereinigten Staaten und ihrer karibischen Verbündeten, sondern auch jenen der Militärs, die einen autoritäreren Kurs verlangten. Anfang Oktober 1983 kam es zu einem Kampf zwischen der New Juwel Movement und den Militärs, Bishop wurde verhaftet. Am 19. Oktober 1983 kam es zur größten spontanen Demonstration in der Geschichte der Landes: 40 000 Anhänger zogen zum Fort St. Georges und forderten die Freilassung des Revolutionärs. Das Militär eröffnete das Feuer, mindestens 60 Demonstranten wurden getötet. Bishop und viele seiner Gefolgsleute wurden währenddessen im Gefängnishof exekutiert. Auf Ansuchen der interimistischen Militärregierung kam es schliesslich am 25. Oktober zur amerikanischen Invasion. Hauptsächlich Kubaner boten den Invasoren kurzfristig Widerstand, etwa Hundert von ihnen starben. Hinter der Metallstange mit den Einschüssen erinnert heute eine Gedenktafel an die dramatischen Ereignisse. Und die Mörder von Maurice Bishop, deren Todesurteil mehrfach aufgeschoben wurde, können aus ihren Einzelzellen im Richmond-Hill Gefängnis direkt auf die Festung Fort Georges blicken ... Der neoliberale Wirtschaftskurs, der heute die Realität bestimmt, stößt – trotz der landesweiten Glorifizierung der „Revolutionären Vergangenheit“ - nicht bei allen auf Ablehnung. Auch in Grenada gibt es Modernisierungsgewinner- und verlierer. 100 000 Grenader – etwa so viele wie auf der Insel leben - sind als Arbeitsmigranten nach Kanada, in die Vereinigten Staaten, nach England, aber auch nach Venezuela gegangen. Je besser die Ausbildung desto höher die Chancen, im Ausland gute Jobs zu bekommen. Jene, die zurückkehren, bauen üppige Villen mit steinernen Stiegenaufgängen entlang der sogenannten Main - der Hauptstrasse. Weithin sichtbare Pestigesymbole eines Lebens, das insbesondere bei der Jugend Sehnsüchte weckt. Diese sieht sich einerseits mit hoher Arbeitslosigkeit, aber auch mit Drogen und steigender Kriminalität, andererseits mit „westlichen“ Lebensstilen konfrontiert, deren Verwirklichung nur einer kleinen grenadinischen Oberschichte möglich ist. Jenen, die Geld haben, steht Grenada – trotz internationaler Kritik – weiterhin als Steuerparadies offen. Weder gibt es auf der Insel eine Einkommens- noch Vermögenssteuer; Gelder aus illegalen Geschäften werden hier ebenso gewaschen, wie Briefkasten-Firmen eröffnet und Off-Shore-Banking betrieben, und gegen die vergleichsweise geringe Summe von US$ 20 000,-- lässt sich eine grenadinische Staatsbürgerschaft erwerben – ohne dass lästige Fragen gestellt werden. Ungeachtet der gesellschaftlichen Widersprüche und ökonomischen Probleme dieses kleinen Inselstaates besticht vor allem die Freundlichkeit, Heiterkeit und Gelassenheit seiner Bewohner. Finanzjongleure und Touristen sind ebenso willkommen wie Universitätslektoren oder jene „Aussteiger“, die sich den Traum des idyllischen Insellebens – oft nach Jahrzehnten harter Arbeit – verwirklichen wollen. Armut ist in Grenada kein Stigma, sondern eine mit Elan und Humor zu bewältigende Alltäglichkeit. Die großfamilialen Strukturen sind ungebrochen – und so kann jeder auf die Hilfe der anderen zählen. Subsistente landwirtschaftliche Produktion und die ausgeprägte Familienorientierung erleichtern das Überleben auch unter schwierigen Bedingungen. Und auch die überwältigende, ganzjährig blühende Natur trägt ihren Teil zu der heiteren und trotz großer sozialer Ungleichheit beschwingten karibischen Lebensart bei – wie John Rubin, ein in der Haupstatdt St. Georges lebender Galerist meint: Es gibt hier nicht so viele Überraschungen. Hier wachst du in der Früh auf und weißt, dass alles beim Alten bleiben wird. Ich glaube, eine Menge Leute hier wollen gar nicht Millionen Dollar verdienen wie in den Ländern der gemäßigten Klimazonen, wo die Menschen ununterbrochen arbeiten müssen, und wo es diesen inneren Antrieb gibt erfolgreich zu sein ... – den gibt es hier nicht! Das Leben hier orientiert sich mehr an der Natur. Die Menschen genießen die Sonne, das Meer, den Sand, den Karneval, die Geselligkeit, das Reden mit anderen, sie lieben es Domino zu spielen und viel am Rum-Shop zu trinken und über Politik und alles Mögliche zu sprechen. In Amerika wird darüber geredet wieviel Geld man zu verdienen hofft, wenn man seinen Job wechselt. Dort ist es Geld, Geld, Geld – hier ist es Natur, Natur, Natur!
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