Nationalstaatliche Diskriminierung und Rassismus von Polizei und Justiz in Beratungskontexten Stuttgart, 9.3.2016 Prof. Dr. Claus Melter Gerechtigkeit als Fairness John Rawls „Gerechtigkeit als Fairness“ soll die oberste Tugend von Institutionen sein – so John Rawls in seinem bekannten Buch „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ (Rawls 1971). Die Frage der Achtung der Integritäten aller Menschen und die Gleichwertigkeit aller Menschen als Fundament gerechtigkeitsorientierten Handelns • Körperliche Dimension • Psychische Dimension • Kognitive Dimension • Soziale Dimension • Rechtliche Dimension (Erweiterung der Konzepte von Oevermann 2013 und Brumlik 2004) Code Noir „Das Gesetz besteht aus 60 Artikeln. Unter anderem wurde 1685 festgelegt: • Juden dürfen nicht in den französischen Kolonien wohnen. • Sklaven müssen römisch-katholisch getauft sein. • Jede Religion, außer der römisch-katholischen, wird verboten. • Sklavenhalter müssen römisch-katholisch sein. • (…) Nur katholische Trauungen werden anerkannt. • Verheiratete freie Männer, die ein Kind mit einer Sklavin haben, werden mit einem Bußgeld von 2000 Pfund Zucker belegt, ebenso der Besitzer der Sklavin. Wenn der Mann selbst Besitzer der Sklavin ist, werden ihm Sklavin und Kind weggenommen. Wenn der Mann nicht verheiratet ist, soll er die Sklavin heiraten und so Sklavin und Kind von der Sklaverei befreien. (…) • Kinder von verheirateten Sklaven sind ebenfalls Sklaven, sie gehören dem Herrn der Mutter. • Kinder von einem männlichen Sklaven und einer freien Frau sind frei. • Sklaven dürfen keine Waffen tragen, außer mit Erlaubnis ihres Herrn bei der Jagd. • Sklaven, die verschiedenen Herren gehören, dürfen sich zu keiner Zeit und unter keinen Umständen versammeln. (…) • Um kranke Sklaven muss sich der Besitzer kümmern. Besitzer, die das nicht tun, werden mit einem Bußgeld belegt. • Sklaven dürfen vor Gericht nicht als Partei auftreten. • Ein Sklave, der seinen Herrn, dessen Frau oder Kinder schlägt, wird hingerichtet. • Entflohenen Sklaven, die länger als einen Monat verschwunden waren, werden die Ohren abgeschnitten und sie werden gebrandmarkt. Beim zweiten Mal wird ihre Achillessehne durchschnitten und sie werden wieder gebrandmarkt. Beim dritten Mal werden sie hingerichtet. • Herren von freigelassenen Sklaven, die Flüchtlingen Unterschlupf gewähren, werden mit einem Bußgeld belegt. • Ein Herr, der einen Sklaven fälschlich eines Verbrechens beschuldigt, wird mit einem Bußgeld belegt. • Herren dürfen Sklaven in Ketten legen und schlagen, aber sie dürfen sie nicht foltern. • Herren, die einen Sklaven töten, werden bestraft. • Sklavenhalter, die mindestens 20 Jahre alt sind (25 Jahre ohne Erlaubnis ihrer Eltern) können ihre Sklaven freilassen. • Freigelassene Sklaven sind französische Untertanen, egal wo sie geboren wurden. • Freigelassene Sklaven haben dieselben Rechte wie die französischen Untertanen in den Kolonien.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Code_Noir (08.03.2016) • Einige sehen den Code Noir als das furchtbarste Dokument der europäischen Rechtsgeschichte – grausamer als die Nürnberger Gesetze – an. • Deutschland hat mit Gesetzgebung und Verordnungen in den von Deutschland kolonisierten Ländern ähnliche Logiken des Einteilens und Entrechtens realisiert (vgl. Zollmann 2010) Stereotype und Vorurteile können als verallgemeinernde Gruppenkonstruktionen und Vorurteile als verallgemeinernde Gruppenkonstruktionen zusätzlich mit Negativurteilen verstanden werden (vgl. Zick 1997), die möglicherweise ausschließlich im Kopf von Personen stattfinden. • Benachteiligung wird im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Artikel 3 AGG folgendermaßen definiert: • „(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. (...) • Grundlegende Begriffsklärungen • Benachteiligung wird im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Artikel 3 AGG folgendermaßen definiert: • „(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. (...) (2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“ (AGG § 3) Das Benachteiligungsverbot im § 1 AGG ist also ein relationales: Sozial und formal unterschiedene Gruppen dürfen nicht schlechter behandelt werden als andere sozial hergestellte Gruppen behandelt werden oder dies erwarten können. Anders formuliert, wird die Frage gestellt: Werden alle Gruppen gleich fair behandelt? Diskriminierungen beinhalten darüber hinaus oder auch unabhängig davon beobachtbare Handlungen oder die Effekte von Handlungen, Regelungen und Ressourcenverhältnissen, die bestimmte Gruppen oder Personen in Bezugnahme auf ihre Gruppenangehörigkeit benachteiligen. Gewöhnliche nationalstaatliche Diskriminierung Deutsche StaatsbürgerInnen Niederlassungserlaubnis Aufenthaltserlaubnis AufenthaltsGestattung: Asylverfahren Duldung: Illegalisierte • Das in der Stephen-Lawrence Inquiry (auch McPherson-Report genannt) verwendete Verständnis von Rassismus zielt nicht auf einzelne Ausnahmehandlungen in einem funktionierenden System, sondern fragt danach, ob bestimmte ethnisierend, nationalstaatlich und/oder rassialisierend eingeteilte Personengruppen einen systematisch benachteiligenden Service seitens der Polizei beinhalten oder nicht. Die Stephen Lawrence Inquiry kam zu dem Ergebnis, das Rassismus systematisch in der Polizei in Großbritannien praktiziert wurde. • Institutioneller Rassismus in Deutschland kann in Anlehnung an die Stephen Lawrence Inquiry in Großbritannien verstanden werden als „von Institutionen/Organisationen (durch Gesetze, Erlasse, Verordnungen und Zugangsregeln sowie Arbeitsweisen, Verfahrensregelungen und Prozessabläufe) oder durch systematisch von Mitarbeiter_innen der Institutionen/Organisationen ausgeübtes oder zugelassenes ausgrenzendes, benachteiligendes oder unangemessenes und somit unprofessionelles Handeln gegenüber ethnisierten, rassialisierten, kulturalisierten Personen oder Angehörigen religiöser Gruppen sowie gegenüber so definierten ‚Nicht-Deutschen‘ oder NichtChrist_innen“ (Melter 2006, 27) oder als „nicht seßhaft“ kategorisierten Personen (vgl. Stephan 2011; Rose 2011). • Am 22. April 1993 wurde Stephen Lawrence, ein Schwarzer junger Mann, von mehreren ‚weißen‘ jungen Männern an einer Bushaltestelle in London getötet. Die Täter wurden nicht gefasst und es gab massive Proteste gegen die nachlässigen Ermittlungstätigkeiten der britischen Polizei. Es wurde vom Parlament eine Untersuchung der Ermittlungstätigkeiten angeordnet. Im Februar 1999 wurde der Macpherson-Report dem Parlament vorgelegt (vgl. Bünger 2002, S. 239 ff.). Macpherson Report (1999): The Stephen Lawrence Inquiry Report of an Inquiry by Sir WilliamMacPherson of Cluny, recherchiert am 21.06.2003, in: • http://www.archive.officialdocuments.co.uk/document/cm42/4262/4262.htm, McPherson Report – Ten Years On. Twelfth Report of Session 2008–09. Ordered by the House of Commons to be printed 14 July 2009. http://www.publications.parliament.uk/pa/cm200809/cmsel ect/cmhaff/427/427.pdf, vom 19.04.2014 Institutionelle Diskriminierung und Rassismus in der Migrationsgesellschaft Von Institutionen und Mitarbeiter_innen ausgeübtes oder zugelassenes ausgrenzendes, benachteiligendes oder unangemessenes und somit unprofessionelles Handeln gegenüber Nationen-bezogen definierten, ethnisierten, rassialisierten, kulturalisierten oder Religionsbezogen definierten Personen (vgl. Melter 2006). Konstruktionen und Bewertungen von Menschengruppen und Rassismus Natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-) Zugehörigkeiten Vorgestellte binäre Zusammenhänge, die sozial und institutionell in Verbindung mit Diskriminierungspraxen bedeutsam gemacht und zu Strukturen werden (können): Bildungssystem, Arbeitsmarkt. Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung und prekäre (Mehrfach-)Zugehörigkeiten (Mecheril 2003): Formalstaatsbürgerliche (Nicht-)Zugehörigkeit Nation Ethnizität Hochschule Esslingen Kultur Historische nationale, globale, Zugehörigkeitsordnungen (formal & informell) Staatsbürger_innenschaft – Nation Nationalität Kultur Religionszugehörigkeit Hochschule Esslingen Ethnizität Ethnie Rassialisierungsprozesse Formale und informelle Trennung in „Wir“ „Die mehr Berechtigten“ Die „Deutschen“ Die „Weißen „Christ_innen“ „Kerneuropäer_innen“ „Sie“ „Die weniger Berechtigten“ Die „Nicht-Deutschen“ Schwarze/People of Colour Nicht-Christ_innen „Späte Europäer_innen“ Rassismus Rassismus kann verstanden werden als historischkoloniales (vgl. Eggers 2004; Kilomba 2008) und aktuelles machtvolles Gesellschaftsverhältnis bei dem Menschen in rassistischer Weise in Gruppen eingeteilt werden, diesen Gruppen systematisch unterschiedliche (diskriminierende und privilegierende) Möglichkeiten der Bildung, des Schul- und Arbeitsmarkterfolges und der medialen und symbolischen Repräsentation gegeben werden (Rommelspacher 2009; Melter, Karayaz 2013). Rassismus kann nach Rommelspacher definiert werden als ein System von Diskursen und Praxen, die anstreben, historisch entwickelte und aktuelle Machtverhältnisse zu „legitimieren und zu reproduzieren. Rassismus im modernen westlichen Sinn basiert auf der (vielfach widerlegten, Anm. CM) „Theorie“ der Unterschiedlichkeit menschlicher „Rassen“ aufgrund biologischer Merkmale. Dabei werden soziale und kulturelle Differenzen naturalisiert und somit soziale Beziehungen zwischen Menschen als unveränderliche und vererbbare verstanden (Naturalisierung). Die Menschen werden dafür in jeweils homogenen Gruppen zusammengefasst und vereinheitlicht (Homogenisierung), [als zeit- und ortsunabhängig kulturell einheitlich handelnd behauptet (Kulturalisierung) (Anm. C.M.)] „…und den anderen als grundsätzlich verschieden und unvereinbar gegenübergestellt (Polarisierung), und damit zugleich in eine Rangordnung gebracht (Hierarchisierung). Beim Rassismus handelt es sich also nicht einfach um individuelle Vorurteile, sondern um die [angestrebte (Anm. C.M.)] Legitimation von gesellschaftlichen Hierarchien, die auf der [systematisch und über einen längeren Zeitraum machtvoll ausgeübten (Anm. C.M.)] Diskriminierung der so konstruierten Gruppen [auf subjektivierender, interaktiver, institutioneller, struktureller und diskursiver Ebene (Anm. C.M.)] basieren. In diesem Sinn ist Rassismus immer ein gesellschaftliches Verhältnis.“ [Rommelspacher 2009 (Hervorhebungen CM)] • Rassismus wirkt auf den Ebenen der Gesellschaftsstrukturen, der Ebene institutioneller Handlungspraxen (Diskriminierung und Rassismus im Bildungssystem, der Polizei, Arbeits- und Sozialbehörden, Institutionen Sozialer Arbeit und im Kranken- und Pflegewesen u.v.m.), der Ebene alltäglicher zwischenmenschlicher Interaktionen [„Woher kommst du Fragen?“ als Verweisung (Vgl. Terkessidis 2004) aus dem „national definierten Territorium“ … …. und als Praxis des racial profiling], der medialen und politischen Diskurse (wer wird als national zugehörig und bevorrechtigt und wer als nicht-zugehörig und minderberechtigt in Medien und Politik dargestellt) sowie der intraindividuellen bzw. der SubjektivierungsEbene (wer wird wie angesprochen, definiert, behandelt? Wie sehen die Menschen sich selber? Wie wirkt rassistische Diskriminierung und Privilegierung auf und in den Individuen/Subjekten) (Eggers 2004; Melter 2006; Mecheril/Melter 2010). Rassismuserfahrungen Grober Rassismus: offen ethnisierende/ rassialisierende Beleidigungen, Ausgrenzungen und Gewalttätigkeiten Subtiler Rassismus: nicht offen zu erkennende Ablehnung und Ausgrenzung von Angehörigen ethnisierter und rassialisierter Personengruppen Rassismuserfahrungen in Bezug auf Strukturen, Institutionen, in Interaktionen und Diskursen Erfahrung, Rassismus zu befürchten oder zu erwarten [„antizipierter Rassismus“ (Mecheril 1994)] Erleben, dass Angehörige der eigenen Gruppe rassistisch attackiert werden oder man/frau als RepräsentantIn einer Gruppe diskriminiert wird. Alltagsrassismus/diskriminierung Alltäglicher institutioneller Rassismus Alltäglicher struktureller Rassismus von Einzelpersonen und Gruppen ausgeübter Alltagsrassismus Alltagsrassismus in veröffentlichten Diskursen Erlebte und/ oder befürchtete Rassismuserfahrungen Diskriminierungs- und Rassismuskritik Diskriminierungs- und Rassismuskritik versteht sich als Ansatz, der Denk-, Handlungs- und Wirkungsweisen des Rassismus in der Weise thematisieren, analysieren und in der Weise bearbeiten will, dass die verletzenden Denk-, Handlungs- und Wirkungsweisen von Diskriminierungsverhältnissen u.a. des Rassismus, in den wir alle auf diskriminierte und privilegierte Weise verstrickt sind und den wir im Rahmen unserer subjektiven und institutionellen Möglichkeitsräume verändern können, vermindert werden … … und sich insbesondere Personengruppen, die im Rassismus angegriffen und benachteiligt werden, Handlungs- und Widerstandsmöglichkeiten gemeinsam mit Mitstreiter_innen, Berater_innen, Pädagog_innen thematisieren, aneignen, erproben und verstärken können (Lentin 2004; Mecheril u.a. 2010; Leiprecht u.a. 2011), jedoch auch die Situation, das Handeln privilegierter Gruppen thematisiert sowie die Herstellungsprozesse in „Wir“ und „die Anderen“. • Rassismus und Diskriminierung in Gesetzgebung, Polizei und Justiz • Ethnisierend und teils rassistische Diskriminierende polizeiliche (Nicht-) Verfolgungsmuster können sowohl als aktuell systematische polizeiliche und staatsanwaltliche Praxis beschrieben werden (vgl. Amadeu-AntonioStiftung 2012: Das Kartell der Verharmloser. Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren, Berlin), als auch als historische Praxis spätestens seit dem deutschen Kolonialismus über den Nationalsozialismus bis zum aktuellen Rassismus betrachtet werden (Vgl. Zimmerer 2011). • Zudem ist die Praxis des „Racial Profiling“ – also rassistische Kontrollen seitens der Polizei von in rassistischer Kategorisierung nicht als „weiße Deutsche“ kategorisierten Personen (Cremer 2013; KOP 2014a) – eine Kontinuität rassistischer polizeilicher Handlungspraxen. • Am Beispiel der Ermittlungen im Kontext der NSU zeigt sich zum einen die mangelnde Verfolgung rassistischer und rechtsextremer Gewalttaten (Vgl. Glet 2010) als auch zum anderen die Kriminalisierung von rassistisch diskreditierten Gesellschaftsgruppen, wie u.a. Sinti und Roma, Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte und/oder muslimischen Glaubens (Vgl. Patel/Tyrer 2011: 27). • Diese These von der Kontinuität des polizeilichen institutionellen Diskriminierens und des Rassismus zu Zeiten von Kolonialismus, Nationalsozialismus bis in die Zeit des heutigen Rassismus, der als Gesellschaftsverhältnis Bildungs-, Arbeits- und Wohnmöglichkeiten mit strukturiert, soll im Folgenden anhand diskriminierender Gesetzgebung und polizeilicher Handlungspraxen gegenüber Sinti und Roma sowie gegen Schwarze in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (dem heutigen Namibia) und in Deutschland nachgezeichnet werden. • Daniel Kariko, ein Unterhäuptling der Herero, schreibt zu seinen Erfahrungen: „Unser Volk wurde durch deutsche Händler rundum beraubt und betrogen und das Vieh mit Gewalt genommen. Unser Volk wurde geprügelt und misshandelt und ihm wurde keine Wiedergutmachung zuteil. Die deutsche Polizei unterstützte die Händler, statt uns zu schützen.“ (Daniel Kariko, ein Unterhäuptling der Herero, zitiert in: van Dijk 2005, S. 102) • Zollmann beschreibt anhand von ausschließlich deutschsprachigen Unterlagen in von Deutschland beherrschten Kolonien die – durch Gesetze, Verordnungen und Erlasse etablierten – ungleichen Rechte zwischen Kolonialisierenden und den Einheimischen: „Die sachliche und personale Zweiteilung“ zwischen „Eingeborenen“ und „NichtEingeborenen“ war der entscheidende Wesenszug des Kolonialrechts (…).“ (Zollmann 2010, S. 97) • Bei Kindern afrikanischer und deutscher Herkunft – so schreibt Fatima El Tayeb – wurde ihre Existenz als afrodeutscher Personen ideologisch abgelehnt und rechtlich zunehmend ausgeschlossen. „Die Aufrechterhaltung der schizophrenen Position, die tatsächlichen Gegebenheiten wie die heterogene Zusammensetzung der Bevölkerung immer wieder ideologisch widerlegen musste, verlangte letztendlich die Anpassung der Realität an die Ideologie durch die physische Vernichtung aller das Konzept der ‚rassischen Homogenität‘ Gefährdenden.“ (El-Tayeb 2001: 141). • Ein weiteres Beispiel für rassistische Ungleichbehandlung ist die Prügelstrafe, die nur bei der Bestrafung von Afrikaner_innen legale Rechtspraxis war, hingegen 1851 aus dem Preußischen Strafrecht gestrichen worden, aber Teil des Kolonialrechts war: „Ein Unbehagen jedoch überfiel die Kolonialabteilung angesichts der Auswüchse eines Systems, dass ‚Ordnung‘ derart hoch über das herkömmliche deutsche Recht stellte. In einer Verfügung wies Kolonialdirektor Buchka im Januar 1900 auf die hohe Zahl der körperlichen Strafen hin, „die in einem bedauerlichen Mißverhältnis zu der Anzahl der unter deutscher Herrschaft überhaupt thatsächlich unterworfenen Personen steht“.“ (Zollmann 2010, S. 110) • In Bezugnahme auf die Öffentlichkeit in Deutschland – also nicht aus moralischen Bedenken gegenüber der Prügelstrafe bei Einheimischen an sich – erging an „General Leuthwein (…) der Auftrag, seinen Untergebenen zu vermitteln, dass sie „ihrer Hauptaufgabe, der Eingeborenen, unter thunlichster Einschränkung des Gebrauchs von Strafmitteln gerecht zu werden“ hatten (NAN ZBU 694, F V f 1 Bd. Bl. 1, KolA an Gouv.12.1.00) (Zollmann 2010, S. 111) • Da die „Einheimischen“ „erzogen“ werden sollten und diese „Erziehung“ erfolgreich sein sollte, war die massenhafte Anwendung der Prügelstrafe ein Zeichen des Misslingens des kolonialen „Erziehungsverhältnisses“. Diese Vorstellung sollte nicht in der Öffentlichkeit in Deutschland dominant werden, daher sollte die Prügelstrafe weniger verwendet werden. • In Deutschland gab es dem Mord an Stephen Lawrence vergleichbare Polizeipraxen (z.B. nach dem Übergriff auf Ermyas Mulageta 2006 in Potsdam http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/de utsch-aethiopier-ermyas-m-potsdamerueberfallopfer-ausser-lebensgefahr1331001.htm und anderen rassistischen Übergriffen; vgl. Amadeu-Antonio-Stifung 2012) vergleichbar unprofessionelle und rassistische Ermittlungspraxen seitens der Polizei. • Und dies gilt sowohl bei rassistischen Morden bzw. Mordversuchen seitens Personen aus der Bevölkerung, aber auch bei rassistischer Gewalt und Todesfällen oder Tötungsdelikten durch Polizeibeamte wie z.B. von Oury Jalloh in einer Gefängniszelle in Dessau (vgl. Jakob 2013: http://www.taz.de/KommentarJustizversagen-Fall-Oury-Jalloh/!127384/ ). • Beispiele für rassistische Gewalt seitens der Polizei gegenüber in Gewahrsam genommenen Personen gibt es einige (vgl. Friedrich/Mohrfeld 2013; KOP 2014a; KOP 2014b). Beispiele rassistischer Polizeigewalt mit Todesfolge sind, dass Laya Condé (vgl. http://www.stern.de/panorama/toedlicherbrechmitteleinsatz-in-bremen-spaete-reue2080807.html;http://www.stern.de/panorama/to edlicher-brechmitteleinsatz-in-bremen-protokolleiner-folter-1993414.html) einen Tag nach dem Tod von Oury Jalloh auf Grund eines Brechmitteleinsatzes in Bremen verstarb. • Die u.a. von Amnesty International (vgl. http://www.amnestypolizei.de/2011/06/prozesse-und-revisionenim-brechmittelfall-in-bremen/) als menschenrechtswidrig kritisierte Anwendung von Brechmitteln gehörte seit vielen Jahren zur Polizeipraxis in Bremen (Vgl. AntirassismusBüro Bremen 1998). Slieman Hamade starb am 28.Februar 2010 durch den Einsatz von Pfefferspray bei einem Routineeinsatz der Polizei in Berlin (Vgl. http://nojusticenopeace.blogsport.eu/2010/09 /07/uber-den-tod-von-slieman-hamade/). • Und Christy Schwundeck wurde am 19. Mai 2011 in einem Frankfurter Jobcenter von der Polizei erschossen (Vgl. http://kopberlin.de/veranstaltung/initiative-christyschwundeck-demonstration-fur-ein-enderassistischer-polizeigewalt-und-gegeninstitutionellen-rassismus; Friedrich; Mohrfeldt 2013, 200). • Trotz der vielfältigen Beispiele rassistischer Polizeipraxen und rassistischer Polizeigewalt hat es bisher keine systematische Untersuchung zu Rassismus und rassistischer Polizeigewalt in Deutschland gegeben – wie es der Stephan Lawrence-Inquiry ansatzweise entsprechen würde. Dies liegt nicht zuletzt an der allgemeinen Relativierung und Dethematisierung von Rassismus als strukturelles und institutionelles Problem in Deutschland (Vgl. Mecheril/Melter 2010) und an der „Cop-Culture“ (Vgl. Behr 2007) des Schweigens gegenüber Kolleg_innen in der Polizei und den in Politik, Staatsanwaltschaft und bei Richter_innen anzutreffenden „Verbündeten“ im „Kartell der Verharmloser“ (Vgl. Amadeu-Antonio-Stiftung 2012). • Zudem stehen – nicht nur in Großbritannien – rassismuskritische Logiken in einem Spannungsfeld zu polizeilichen Ermittlungslogiken des Racial Profiling und Religious Profiling u.a. gegenüber als muslimisch kategorisierten Personen (Vgl. Patel/Tyrer 2011: Race, Crime and Resistance). Rassistische Polizeipraxen sind in vielen Ländern Realität. So schreiben Partel und Tyrer: „The key issue being highlighted is that, inspite of claims that we are in a post-racial age, problematic construction of crime as racialised persist, illustrated more recently, for example, by moves towards increased racial profiling, meaning that older notions of “black criminality” and the dangerous “immigrant other” (…) are once again appearing.” (Patel/Tyrer 2011, S. 27). Diese für den Kontext Großbritannien gemachte Aussage gilt auch für die BRD Soziale Arbeit und Diskriminierung und Rassismus Diverse Studien zu Migration, Bildung und Sozialer Arbeit [Essed 1994; Lewis 2000; Döring/Bergmann (in: Braun 2006), Deniz 2001, Terkessidis 2004; Eggers 2006; Beinzger/Kallert/Kolmer 1995; Melter 2006; Kuster-Nikolić 2012; Rose 2012; Textor (2013; Scharathow 2014; Velho 2015; Sequira 2015] belegen, dass Pädagog_innen wenig über die (mehrfachen) Zugehörigkeits- und Identitätsverständnisse von Jugendlichen wissen und sich wenig dafür interessieren. In Bezug auf Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen realisieren Pädagog_innen laut dieser Studien wenig interessierte, bis ignorante oder leugnende Handlungspraxen, die die Jugendlichen mit ihren Ausgrenzungsund Benach-teiligungserfahrungen weitgehend allein lassen. Warum oder mit welchem Ziel Pädagog_innen zu Rassismus schweigen? • Nicht dazu ausgebildet • Loyalität zu ‚Deutschen’ und dem dominanten Integrations-/Anpassungsparadigma • Keine Infragestellung der eigenen Position und der professionellen Rolle • Arbeitsersparnis durch Verantwortungsdelegation • Konflikte mit anderen Institutionen vermeiden, Schutz der eigenen Institution • Vermeiden der Themen Rassismus, Nationalsozialismus und Diskriminierung Die Frage der Achtung der Integritäten aller Menschen und die Gleichwertigkeit aller Menschen als Fundament gerechtigkeitsorientierten Handelns • Körperliche Dimension • Psychische Dimension • Kognitive Dimension • Soziale Dimension • Rechtliche Dimension (Erweiterung der Konzepte von Oevermann 2013 und Brumlik 2004) Advokatorische Ethik „Thema einer advokatorischen Ethik sind die Rechte und vor allem Pflichten, die mündige Menschen gegenüber mit unaufgebbarer Würde begabten Menschen haben, die entweder noch nicht oder nicht mehr mündig, d.h. noch nicht oder nicht mehr in der Lage sind, die Gestaltung ihres eigenen Lebens autonom wahrzunehmen.“ (Brumlik 2013) • Professionelle Soziale Arbeit, die sich an den Menschenrechten und festzulegenden oder bereits gesetzlich definierten Standards hinsichtlich der Integritäten aller Menschen orientiert, muss ihre Loyalität für diejenigen praktizieren, deren Rechte und Integritäten verletzt werden. Aushandlungsnotwendigkeiten von Gerechtigkeitsaspekten • • • • • • • • SelbstbestimmungsMitbestimmung(Ressourcen-)VerteilungsMöglichkeitsBefähigungsGerechtigkeiten ZugangsRechtfertigungsLeistungs- Kriterien von Gerechtigkeit • Gleicher Zugang zu Teilnahme, Ressourcen, Posten und Mitgestaltung • Faire Förderung, damit jede_r die eigenen Möglichkeiten und Interessen realisieren kann • Gleiche Wertschätzung aller Personen • Faires Verhältnis von Ressourcen- und Möglichkeiten zwischen allen Beteiligten • Gleiches Recht, sich zu rechtfertigen, mitzusprechen, gehört zu werden und mitzubestimmen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Literaturliste kann beim Autor angefragt werden [email protected]
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