Nationalstaatliche Diskriminierung und Rassismus

Nationalstaatliche Diskriminierung
und Rassismus von Polizei und Justiz
in Beratungskontexten
Stuttgart, 9.3.2016
Prof. Dr. Claus Melter
Gerechtigkeit als Fairness
John Rawls
„Gerechtigkeit als Fairness“ soll die
oberste Tugend von Institutionen sein
– so John Rawls in seinem bekannten
Buch „Eine Theorie der Gerechtigkeit“
(Rawls 1971).
Die Frage der Achtung der Integritäten
aller Menschen und die Gleichwertigkeit
aller Menschen als Fundament
gerechtigkeitsorientierten Handelns
• Körperliche Dimension
• Psychische Dimension
• Kognitive Dimension
• Soziale Dimension
• Rechtliche Dimension
(Erweiterung der Konzepte von Oevermann
2013 und Brumlik 2004)
Code Noir
„Das Gesetz besteht aus 60 Artikeln. Unter anderem wurde
1685 festgelegt:
• Juden dürfen nicht in den französischen Kolonien wohnen.
• Sklaven müssen römisch-katholisch getauft sein.
• Jede Religion, außer der römisch-katholischen, wird
verboten.
• Sklavenhalter müssen römisch-katholisch sein.
• (…) Nur katholische Trauungen werden anerkannt.
• Verheiratete freie Männer, die ein Kind mit einer Sklavin
haben, werden mit einem Bußgeld von 2000 Pfund Zucker
belegt, ebenso der Besitzer der Sklavin. Wenn der Mann
selbst Besitzer der Sklavin ist, werden ihm Sklavin und Kind
weggenommen. Wenn der Mann nicht verheiratet ist, soll
er die Sklavin heiraten und so Sklavin und Kind von der
Sklaverei befreien. (…)
• Kinder von verheirateten Sklaven sind ebenfalls
Sklaven, sie gehören dem Herrn der Mutter.
• Kinder von einem männlichen Sklaven und einer freien
Frau sind frei.
• Sklaven dürfen keine Waffen tragen, außer mit
Erlaubnis ihres Herrn bei der Jagd.
• Sklaven, die verschiedenen Herren gehören, dürfen
sich zu keiner Zeit und unter keinen Umständen
versammeln. (…)
• Um kranke Sklaven muss sich der Besitzer kümmern.
Besitzer, die das nicht tun, werden mit einem Bußgeld
belegt.
• Sklaven dürfen vor Gericht nicht als Partei auftreten.
• Ein Sklave, der seinen Herrn, dessen Frau oder Kinder
schlägt, wird hingerichtet.
• Entflohenen Sklaven, die länger als einen Monat
verschwunden waren, werden die Ohren abgeschnitten und
sie werden gebrandmarkt. Beim zweiten Mal wird ihre
Achillessehne durchschnitten und sie werden wieder
gebrandmarkt. Beim dritten Mal werden sie hingerichtet.
• Herren von freigelassenen Sklaven, die Flüchtlingen
Unterschlupf gewähren, werden mit einem Bußgeld belegt.
• Ein Herr, der einen Sklaven fälschlich eines Verbrechens
beschuldigt, wird mit einem Bußgeld belegt.
• Herren dürfen Sklaven in Ketten legen und schlagen, aber sie
dürfen sie nicht foltern.
• Herren, die einen Sklaven töten, werden bestraft.
• Sklavenhalter, die mindestens 20 Jahre alt sind (25 Jahre
ohne Erlaubnis ihrer Eltern) können ihre Sklaven freilassen.
• Freigelassene Sklaven sind französische Untertanen, egal wo
sie geboren wurden.
• Freigelassene Sklaven haben dieselben Rechte wie die
französischen Untertanen in den Kolonien.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Code_Noir (08.03.2016)
• Einige sehen den Code Noir als das
furchtbarste Dokument der
europäischen Rechtsgeschichte –
grausamer als die Nürnberger Gesetze –
an.
• Deutschland hat mit Gesetzgebung und
Verordnungen in den von Deutschland
kolonisierten Ländern ähnliche Logiken
des Einteilens und Entrechtens realisiert
(vgl. Zollmann 2010)
Stereotype und Vorurteile können
als verallgemeinernde
Gruppenkonstruktionen und
Vorurteile als verallgemeinernde
Gruppenkonstruktionen zusätzlich
mit Negativurteilen verstanden
werden (vgl. Zick 1997), die
möglicherweise ausschließlich im
Kopf von Personen stattfinden.
• Benachteiligung wird im Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im
Artikel 3 AGG folgendermaßen definiert:
• „(1) Eine unmittelbare Benachteiligung
liegt vor, wenn eine Person wegen eines
in § 1 genannten Grundes eine weniger
günstige Behandlung erfährt, als eine
andere Person in einer vergleichbaren
Situation erfährt, erfahren hat oder
erfahren würde. (...)
• Grundlegende Begriffsklärungen
• Benachteiligung wird im Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im
Artikel 3 AGG folgendermaßen definiert:
• „(1) Eine unmittelbare Benachteiligung
liegt vor, wenn eine Person wegen eines
in § 1 genannten Grundes eine weniger
günstige Behandlung erfährt, als eine
andere Person in einer vergleichbaren
Situation erfährt, erfahren hat oder
erfahren würde. (...)
(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt
vor, wenn dem Anschein nach neutrale
Vorschriften, Kriterien oder Verfahren
Personen wegen eines in § 1 genannten
Grundes gegenüber anderen Personen in
besonderer Weise benachteiligen können,
es sei denn, die betreffenden Vorschriften,
Kriterien oder Verfahren sind durch ein
rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt
und die Mittel sind zur Erreichung dieses
Ziels angemessen und erforderlich.“
(AGG § 3)
Das Benachteiligungsverbot im § 1
AGG ist also ein relationales: Sozial und
formal unterschiedene Gruppen dürfen
nicht schlechter behandelt werden als
andere sozial hergestellte Gruppen
behandelt werden oder dies erwarten
können. Anders formuliert, wird die
Frage gestellt: Werden alle Gruppen
gleich fair behandelt?
Diskriminierungen beinhalten darüber
hinaus oder auch unabhängig davon
beobachtbare Handlungen oder die
Effekte von Handlungen, Regelungen
und Ressourcenverhältnissen, die
bestimmte Gruppen oder Personen in
Bezugnahme auf ihre
Gruppenangehörigkeit benachteiligen.
Gewöhnliche
nationalstaatliche
Diskriminierung
Deutsche
StaatsbürgerInnen
Niederlassungserlaubnis
Aufenthaltserlaubnis
AufenthaltsGestattung: Asylverfahren
Duldung:
Illegalisierte
• Das in der Stephen-Lawrence Inquiry (auch
McPherson-Report genannt) verwendete
Verständnis von Rassismus zielt nicht auf einzelne
Ausnahmehandlungen in einem funktionierenden
System, sondern fragt danach, ob bestimmte
ethnisierend, nationalstaatlich und/oder
rassialisierend eingeteilte Personengruppen
einen systematisch benachteiligenden Service
seitens der Polizei beinhalten oder nicht. Die
Stephen Lawrence Inquiry kam zu dem Ergebnis,
das Rassismus systematisch in der Polizei in
Großbritannien praktiziert wurde.
• Institutioneller Rassismus in Deutschland kann in
Anlehnung an die Stephen Lawrence Inquiry in
Großbritannien verstanden werden als „von
Institutionen/Organisationen (durch Gesetze, Erlasse,
Verordnungen und Zugangsregeln sowie Arbeitsweisen,
Verfahrensregelungen und Prozessabläufe) oder durch
systematisch von Mitarbeiter_innen der
Institutionen/Organisationen ausgeübtes oder
zugelassenes ausgrenzendes, benachteiligendes oder
unangemessenes und somit unprofessionelles Handeln
gegenüber ethnisierten, rassialisierten, kulturalisierten
Personen oder Angehörigen religiöser Gruppen sowie
gegenüber so definierten ‚Nicht-Deutschen‘ oder NichtChrist_innen“ (Melter 2006, 27) oder als „nicht
seßhaft“ kategorisierten Personen (vgl. Stephan 2011;
Rose 2011).
• Am 22. April 1993 wurde Stephen Lawrence, ein Schwarzer
junger Mann, von mehreren ‚weißen‘ jungen Männern an
einer Bushaltestelle in London getötet. Die Täter wurden
nicht gefasst und es gab massive Proteste gegen die
nachlässigen Ermittlungstätigkeiten der britischen Polizei. Es
wurde vom Parlament eine Untersuchung der
Ermittlungstätigkeiten angeordnet. Im Februar 1999 wurde
der Macpherson-Report dem Parlament vorgelegt (vgl.
Bünger 2002, S. 239 ff.). Macpherson Report (1999): The
Stephen Lawrence Inquiry Report of an Inquiry by Sir
WilliamMacPherson of Cluny, recherchiert am 21.06.2003, in:
• http://www.archive.officialdocuments.co.uk/document/cm42/4262/4262.htm,
McPherson Report – Ten Years On. Twelfth Report of Session
2008–09. Ordered by the House of Commons to be printed
14 July 2009.
http://www.publications.parliament.uk/pa/cm200809/cmsel
ect/cmhaff/427/427.pdf, vom 19.04.2014
Institutionelle Diskriminierung und
Rassismus in der
Migrationsgesellschaft
Von Institutionen und Mitarbeiter_innen
ausgeübtes oder zugelassenes
ausgrenzendes, benachteiligendes oder
unangemessenes und somit
unprofessionelles Handeln gegenüber
Nationen-bezogen definierten,
ethnisierten, rassialisierten, kulturalisierten
oder Religionsbezogen definierten
Personen (vgl. Melter 2006).
Konstruktionen und
Bewertungen von
Menschengruppen
und Rassismus
Natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-)
Zugehörigkeiten
Vorgestellte binäre Zusammenhänge, die sozial und institutionell
in Verbindung mit Diskriminierungspraxen bedeutsam gemacht
und zu Strukturen werden (können): Bildungssystem,
Arbeitsmarkt. Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung und
prekäre (Mehrfach-)Zugehörigkeiten (Mecheril 2003): Formalstaatsbürgerliche (Nicht-)Zugehörigkeit
Nation
Ethnizität
Hochschule Esslingen
Kultur
Historische nationale, globale, Zugehörigkeitsordnungen (formal & informell)
Staatsbürger_innenschaft – Nation Nationalität
Kultur
Religionszugehörigkeit
Hochschule Esslingen
Ethnizität Ethnie
Rassialisierungsprozesse
Formale und informelle
Trennung in
„Wir“
„Die mehr
Berechtigten“
Die „Deutschen“
Die „Weißen
„Christ_innen“
„Kerneuropäer_innen“
„Sie“
„Die weniger
Berechtigten“
Die „Nicht-Deutschen“
Schwarze/People of Colour
Nicht-Christ_innen
„Späte Europäer_innen“
Rassismus
Rassismus kann verstanden werden als historischkoloniales (vgl. Eggers 2004; Kilomba 2008) und
aktuelles machtvolles Gesellschaftsverhältnis bei
dem Menschen in rassistischer Weise in Gruppen
eingeteilt werden, diesen Gruppen systematisch
unterschiedliche (diskriminierende und
privilegierende) Möglichkeiten der Bildung, des
Schul- und Arbeitsmarkterfolges und der
medialen und symbolischen Repräsentation
gegeben werden (Rommelspacher 2009; Melter,
Karayaz 2013).
Rassismus kann nach Rommelspacher definiert
werden als ein System von Diskursen und Praxen, die
anstreben, historisch entwickelte und aktuelle
Machtverhältnisse zu „legitimieren und zu
reproduzieren. Rassismus im modernen westlichen
Sinn basiert auf der (vielfach widerlegten, Anm. CM)
„Theorie“ der Unterschiedlichkeit menschlicher
„Rassen“ aufgrund biologischer Merkmale. Dabei
werden soziale und kulturelle Differenzen
naturalisiert und somit soziale Beziehungen
zwischen Menschen als unveränderliche und
vererbbare verstanden (Naturalisierung). Die
Menschen werden dafür in jeweils homogenen
Gruppen zusammengefasst und vereinheitlicht
(Homogenisierung), [als zeit- und ortsunabhängig
kulturell einheitlich handelnd behauptet
(Kulturalisierung) (Anm. C.M.)]
„…und den anderen als grundsätzlich verschieden und
unvereinbar gegenübergestellt (Polarisierung), und
damit zugleich in eine Rangordnung gebracht
(Hierarchisierung). Beim Rassismus handelt es sich also
nicht einfach um individuelle Vorurteile, sondern um
die [angestrebte (Anm. C.M.)] Legitimation von
gesellschaftlichen Hierarchien, die auf der
[systematisch und über einen längeren Zeitraum
machtvoll ausgeübten (Anm. C.M.)] Diskriminierung der
so konstruierten Gruppen [auf subjektivierender,
interaktiver, institutioneller, struktureller und
diskursiver Ebene (Anm. C.M.)] basieren. In diesem
Sinn ist Rassismus immer ein gesellschaftliches
Verhältnis.“ [Rommelspacher 2009 (Hervorhebungen
CM)]
• Rassismus wirkt auf den Ebenen der
Gesellschaftsstrukturen, der Ebene
institutioneller Handlungspraxen
(Diskriminierung und Rassismus im
Bildungssystem, der Polizei, Arbeits- und
Sozialbehörden, Institutionen Sozialer Arbeit
und im Kranken- und Pflegewesen u.v.m.), der
Ebene alltäglicher zwischenmenschlicher
Interaktionen [„Woher kommst du Fragen?“ als
Verweisung (Vgl. Terkessidis 2004) aus dem
„national definierten Territorium“ …
…. und als Praxis des racial profiling], der
medialen und politischen Diskurse (wer wird
als national zugehörig und bevorrechtigt und
wer als nicht-zugehörig und minderberechtigt
in Medien und Politik dargestellt) sowie der
intraindividuellen bzw. der SubjektivierungsEbene (wer wird wie angesprochen, definiert,
behandelt? Wie sehen die Menschen sich
selber? Wie wirkt rassistische Diskriminierung
und Privilegierung auf und in den
Individuen/Subjekten) (Eggers 2004; Melter
2006; Mecheril/Melter 2010).
Rassismuserfahrungen
Grober Rassismus: offen ethnisierende/ rassialisierende
Beleidigungen, Ausgrenzungen und Gewalttätigkeiten
Subtiler Rassismus: nicht offen zu erkennende Ablehnung und
Ausgrenzung von Angehörigen ethnisierter und rassialisierter
Personengruppen
Rassismuserfahrungen in Bezug auf Strukturen, Institutionen,
in Interaktionen und Diskursen
Erfahrung, Rassismus zu befürchten oder zu erwarten
[„antizipierter Rassismus“ (Mecheril 1994)]
Erleben, dass Angehörige der eigenen Gruppe rassistisch
attackiert werden oder man/frau als RepräsentantIn einer
Gruppe diskriminiert wird.
Alltagsrassismus/diskriminierung
Alltäglicher institutioneller
Rassismus
Alltäglicher
struktureller Rassismus
von Einzelpersonen und Gruppen
ausgeübter Alltagsrassismus
Alltagsrassismus in
veröffentlichten Diskursen
Erlebte und/ oder befürchtete Rassismuserfahrungen
Diskriminierungs- und
Rassismuskritik
Diskriminierungs- und Rassismuskritik versteht
sich als Ansatz, der Denk-, Handlungs- und
Wirkungsweisen des Rassismus in der Weise
thematisieren, analysieren und in der Weise
bearbeiten will, dass die verletzenden Denk-,
Handlungs- und Wirkungsweisen von
Diskriminierungsverhältnissen u.a. des
Rassismus, in den wir alle auf diskriminierte und
privilegierte Weise verstrickt sind und den wir im
Rahmen unserer subjektiven und institutionellen
Möglichkeitsräume verändern können,
vermindert werden …
… und sich insbesondere Personengruppen, die
im Rassismus angegriffen und benachteiligt
werden, Handlungs- und
Widerstandsmöglichkeiten gemeinsam mit
Mitstreiter_innen, Berater_innen,
Pädagog_innen thematisieren, aneignen,
erproben und verstärken können (Lentin 2004;
Mecheril u.a. 2010; Leiprecht u.a. 2011),
jedoch auch die Situation, das Handeln
privilegierter Gruppen thematisiert sowie die
Herstellungsprozesse in „Wir“ und „die
Anderen“.
• Rassismus und Diskriminierung in
Gesetzgebung, Polizei und Justiz
• Ethnisierend und teils rassistische
Diskriminierende polizeiliche (Nicht-)
Verfolgungsmuster können sowohl als aktuell
systematische polizeiliche und staatsanwaltliche
Praxis beschrieben werden (vgl. Amadeu-AntonioStiftung 2012: Das Kartell der Verharmloser. Wie
deutsche Behörden systematisch rechtsextremen
Alltagsterror bagatellisieren, Berlin), als auch als
historische Praxis spätestens seit dem deutschen
Kolonialismus über den Nationalsozialismus bis
zum aktuellen Rassismus betrachtet werden (Vgl.
Zimmerer 2011).
• Zudem ist die Praxis des „Racial Profiling“ –
also rassistische Kontrollen seitens der Polizei
von in rassistischer Kategorisierung nicht als
„weiße Deutsche“ kategorisierten Personen
(Cremer 2013; KOP 2014a) – eine Kontinuität
rassistischer polizeilicher Handlungspraxen.
• Am Beispiel der Ermittlungen im Kontext der
NSU zeigt sich zum einen die mangelnde
Verfolgung rassistischer und rechtsextremer
Gewalttaten (Vgl. Glet 2010) als auch zum
anderen die Kriminalisierung von rassistisch
diskreditierten Gesellschaftsgruppen, wie u.a.
Sinti und Roma, Menschen mit türkischer
Migrationsgeschichte und/oder muslimischen
Glaubens (Vgl. Patel/Tyrer 2011: 27).
• Diese These von der Kontinuität des polizeilichen
institutionellen Diskriminierens und des
Rassismus zu Zeiten von Kolonialismus,
Nationalsozialismus bis in die Zeit des heutigen
Rassismus, der als Gesellschaftsverhältnis
Bildungs-, Arbeits- und Wohnmöglichkeiten mit
strukturiert, soll im Folgenden anhand
diskriminierender Gesetzgebung und
polizeilicher Handlungspraxen gegenüber Sinti
und Roma sowie gegen Schwarze in der
ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (dem
heutigen Namibia) und in Deutschland
nachgezeichnet werden.
• Daniel Kariko, ein Unterhäuptling der Herero,
schreibt zu seinen Erfahrungen: „Unser Volk
wurde durch deutsche Händler rundum beraubt
und betrogen und das Vieh mit Gewalt
genommen. Unser Volk wurde geprügelt und
misshandelt und ihm wurde keine
Wiedergutmachung zuteil. Die deutsche Polizei
unterstützte die Händler, statt uns zu schützen.“
(Daniel Kariko, ein Unterhäuptling der Herero,
zitiert in: van Dijk 2005, S. 102)
• Zollmann beschreibt anhand von
ausschließlich deutschsprachigen Unterlagen
in von Deutschland beherrschten Kolonien die
– durch Gesetze, Verordnungen und Erlasse
etablierten – ungleichen Rechte zwischen
Kolonialisierenden und den Einheimischen:
„Die sachliche und personale Zweiteilung“
zwischen „Eingeborenen“ und „NichtEingeborenen“ war der entscheidende
Wesenszug des Kolonialrechts (…).“ (Zollmann
2010, S. 97)
• Bei Kindern afrikanischer und deutscher Herkunft
– so schreibt Fatima El Tayeb – wurde ihre
Existenz als afrodeutscher Personen ideologisch
abgelehnt und rechtlich zunehmend
ausgeschlossen. „Die Aufrechterhaltung der
schizophrenen Position, die tatsächlichen
Gegebenheiten wie die heterogene
Zusammensetzung der Bevölkerung immer
wieder ideologisch widerlegen musste, verlangte
letztendlich die Anpassung der Realität an die
Ideologie durch die physische Vernichtung aller
das Konzept der ‚rassischen Homogenität‘
Gefährdenden.“ (El-Tayeb 2001: 141).
• Ein weiteres Beispiel für rassistische
Ungleichbehandlung ist die Prügelstrafe, die nur
bei der Bestrafung von Afrikaner_innen legale
Rechtspraxis war, hingegen 1851 aus dem
Preußischen Strafrecht gestrichen worden, aber
Teil des Kolonialrechts war: „Ein Unbehagen
jedoch überfiel die Kolonialabteilung angesichts
der Auswüchse eines Systems, dass ‚Ordnung‘
derart hoch über das herkömmliche deutsche
Recht stellte. In einer Verfügung wies
Kolonialdirektor Buchka im Januar 1900 auf die
hohe Zahl der körperlichen Strafen hin, „die in
einem bedauerlichen Mißverhältnis zu der Anzahl
der unter deutscher Herrschaft überhaupt
thatsächlich unterworfenen Personen steht“.“
(Zollmann 2010, S. 110)
• In Bezugnahme auf die Öffentlichkeit in
Deutschland – also nicht aus moralischen
Bedenken gegenüber der Prügelstrafe bei
Einheimischen an sich – erging an „General
Leuthwein (…) der Auftrag, seinen
Untergebenen zu vermitteln, dass sie „ihrer
Hauptaufgabe, der Eingeborenen, unter
thunlichster Einschränkung des Gebrauchs von
Strafmitteln gerecht zu werden“ hatten (NAN
ZBU 694, F V f 1 Bd. Bl. 1, KolA an
Gouv.12.1.00) (Zollmann 2010, S. 111)
• Da die „Einheimischen“ „erzogen“ werden
sollten und diese „Erziehung“ erfolgreich sein
sollte, war die massenhafte Anwendung der
Prügelstrafe ein Zeichen des Misslingens des
kolonialen „Erziehungsverhältnisses“. Diese
Vorstellung sollte nicht in der Öffentlichkeit in
Deutschland dominant werden, daher sollte
die Prügelstrafe weniger verwendet werden.
• In Deutschland gab es dem Mord an Stephen
Lawrence vergleichbare Polizeipraxen (z.B.
nach dem Übergriff auf Ermyas Mulageta
2006 in Potsdam
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/de
utsch-aethiopier-ermyas-m-potsdamerueberfallopfer-ausser-lebensgefahr1331001.htm und anderen rassistischen
Übergriffen; vgl. Amadeu-Antonio-Stifung
2012) vergleichbar unprofessionelle und
rassistische Ermittlungspraxen seitens der
Polizei.
• Und dies gilt sowohl bei rassistischen Morden
bzw. Mordversuchen seitens Personen aus der
Bevölkerung, aber auch bei rassistischer
Gewalt und Todesfällen oder Tötungsdelikten
durch Polizeibeamte wie z.B. von Oury Jalloh in
einer Gefängniszelle in Dessau (vgl. Jakob
2013: http://www.taz.de/KommentarJustizversagen-Fall-Oury-Jalloh/!127384/ ).
• Beispiele für rassistische Gewalt seitens der
Polizei gegenüber in Gewahrsam genommenen
Personen gibt es einige (vgl. Friedrich/Mohrfeld
2013; KOP 2014a; KOP 2014b). Beispiele
rassistischer Polizeigewalt mit Todesfolge sind,
dass Laya Condé (vgl.
http://www.stern.de/panorama/toedlicherbrechmitteleinsatz-in-bremen-spaete-reue2080807.html;http://www.stern.de/panorama/to
edlicher-brechmitteleinsatz-in-bremen-protokolleiner-folter-1993414.html) einen Tag nach dem
Tod von Oury Jalloh auf Grund eines
Brechmitteleinsatzes in Bremen verstarb.
• Die u.a. von Amnesty International (vgl.
http://www.amnestypolizei.de/2011/06/prozesse-und-revisionenim-brechmittelfall-in-bremen/) als
menschenrechtswidrig kritisierte Anwendung
von Brechmitteln gehörte seit vielen Jahren zur
Polizeipraxis in Bremen (Vgl. AntirassismusBüro Bremen 1998). Slieman Hamade starb am
28.Februar 2010 durch den Einsatz von
Pfefferspray bei einem Routineeinsatz der
Polizei in Berlin (Vgl.
http://nojusticenopeace.blogsport.eu/2010/09
/07/uber-den-tod-von-slieman-hamade/).
• Und Christy Schwundeck wurde am 19. Mai
2011 in einem Frankfurter Jobcenter von der
Polizei erschossen (Vgl. http://kopberlin.de/veranstaltung/initiative-christyschwundeck-demonstration-fur-ein-enderassistischer-polizeigewalt-und-gegeninstitutionellen-rassismus; Friedrich;
Mohrfeldt 2013, 200).
• Trotz der vielfältigen Beispiele rassistischer
Polizeipraxen und rassistischer Polizeigewalt hat es
bisher keine systematische Untersuchung zu
Rassismus und rassistischer Polizeigewalt in
Deutschland gegeben – wie es der Stephan
Lawrence-Inquiry ansatzweise entsprechen würde.
Dies liegt nicht zuletzt an der allgemeinen
Relativierung und Dethematisierung von Rassismus
als strukturelles und institutionelles Problem in
Deutschland (Vgl. Mecheril/Melter 2010) und an
der „Cop-Culture“ (Vgl. Behr 2007) des Schweigens
gegenüber Kolleg_innen in der Polizei und den in
Politik, Staatsanwaltschaft und bei Richter_innen
anzutreffenden „Verbündeten“ im „Kartell der
Verharmloser“ (Vgl. Amadeu-Antonio-Stiftung
2012).
• Zudem stehen – nicht nur in Großbritannien –
rassismuskritische Logiken in einem
Spannungsfeld zu polizeilichen Ermittlungslogiken
des Racial Profiling und Religious Profiling u.a.
gegenüber als muslimisch kategorisierten
Personen (Vgl. Patel/Tyrer 2011: Race, Crime and
Resistance). Rassistische Polizeipraxen sind in
vielen Ländern Realität. So schreiben Partel und
Tyrer: „The key issue being highlighted is that,
inspite of claims that we are in a post-racial age,
problematic construction of crime as racialised
persist, illustrated more recently, for example, by
moves towards increased racial profiling, meaning
that older notions of “black criminality” and the
dangerous “immigrant other” (…) are once again
appearing.” (Patel/Tyrer 2011, S. 27). Diese für den
Kontext Großbritannien gemachte Aussage gilt
auch für die BRD
Soziale Arbeit und
Diskriminierung und Rassismus
Diverse Studien zu Migration, Bildung und
Sozialer Arbeit [Essed 1994; Lewis 2000;
Döring/Bergmann (in: Braun 2006), Deniz
2001, Terkessidis 2004; Eggers 2006;
Beinzger/Kallert/Kolmer 1995; Melter 2006;
Kuster-Nikolić 2012; Rose 2012; Textor (2013;
Scharathow 2014; Velho 2015; Sequira 2015]
belegen, dass Pädagog_innen wenig über die
(mehrfachen) Zugehörigkeits- und
Identitätsverständnisse von Jugendlichen
wissen und sich wenig dafür interessieren.
In Bezug auf Diskriminierungs- und
Rassismuserfahrungen realisieren
Pädagog_innen laut dieser Studien
wenig interessierte, bis ignorante oder
leugnende Handlungspraxen, die die
Jugendlichen mit ihren Ausgrenzungsund Benach-teiligungserfahrungen
weitgehend allein lassen.
Warum oder mit welchem Ziel Pädagog_innen
zu Rassismus schweigen?
• Nicht dazu ausgebildet
• Loyalität zu ‚Deutschen’ und dem dominanten
Integrations-/Anpassungsparadigma
• Keine Infragestellung der eigenen Position
und der professionellen Rolle
• Arbeitsersparnis durch Verantwortungsdelegation
• Konflikte mit anderen Institutionen vermeiden, Schutz
der eigenen Institution
• Vermeiden der Themen Rassismus,
Nationalsozialismus und Diskriminierung
Die Frage der Achtung der Integritäten
aller Menschen und die Gleichwertigkeit
aller Menschen als Fundament
gerechtigkeitsorientierten Handelns
• Körperliche Dimension
• Psychische Dimension
• Kognitive Dimension
• Soziale Dimension
• Rechtliche Dimension
(Erweiterung der Konzepte von Oevermann
2013 und Brumlik 2004)
Advokatorische Ethik
„Thema einer advokatorischen Ethik sind
die Rechte und vor allem Pflichten, die
mündige Menschen gegenüber mit
unaufgebbarer Würde begabten Menschen
haben, die entweder noch nicht oder nicht
mehr mündig, d.h. noch nicht oder nicht
mehr in der Lage sind, die Gestaltung ihres
eigenen Lebens autonom wahrzunehmen.“
(Brumlik 2013)
• Professionelle Soziale Arbeit, die sich
an den Menschenrechten und
festzulegenden oder bereits
gesetzlich definierten Standards
hinsichtlich der Integritäten aller
Menschen orientiert, muss ihre
Loyalität für diejenigen praktizieren,
deren Rechte und Integritäten
verletzt werden.
Aushandlungsnotwendigkeiten von
Gerechtigkeitsaspekten
•
•
•
•
•
•
•
•
SelbstbestimmungsMitbestimmung(Ressourcen-)VerteilungsMöglichkeitsBefähigungsGerechtigkeiten
ZugangsRechtfertigungsLeistungs-
Kriterien von Gerechtigkeit
• Gleicher Zugang zu Teilnahme, Ressourcen,
Posten und Mitgestaltung
• Faire Förderung, damit jede_r die eigenen
Möglichkeiten und Interessen realisieren kann
• Gleiche Wertschätzung aller Personen
• Faires Verhältnis von Ressourcen- und
Möglichkeiten zwischen allen Beteiligten
• Gleiches Recht, sich zu rechtfertigen,
mitzusprechen, gehört zu werden und
mitzubestimmen
Vielen Dank für
Ihre
Aufmerksamkeit!
Literaturliste kann beim Autor angefragt werden
[email protected]