Internationales Seminar Lawinen und Recht Programm und Abstracts 1. bis 3. Juni 2015 Kongresszentrum Davos WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Verantwortlich für die Herausgabe Dr. Jürg Schweizer, Leiter SLF Zitierung WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, 2015: Lawinen und Recht, Internationales Seminar, 1.–3. Juni 2015 Davos. Programm und Abstracts. 29 S. PDF Download: www.wsl.ch/publikationen/pdf/14476.pdf Umschlag: Bilder SLF © WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos 2015 Inhaltsverzeichnis 1 Inhaltsverzeichnis Begrüssung3 Programm5 Abstracts Lawinenbildung und Lawinengefahrenbeurteilung Jürg Schweizer 7 Lawinenprognose – Lawinenbulletin Thomas Stucki 8 Unschärfen im Risikomanagement auf Skitouren und beim Variantenskifahren Stephan Harvey 9 Übersicht Lawinenschutzmassnahmen Stefan Margreth 10 Lawinenbeurteilung und -sicherung von Verkehrswegen Jon Andri Bisaz 11 Lawinenbeurteilung und -sicherung im Skigebiet Serafin Siegele 12 Lawinenbeurteilung und -sicherung von Siedlungen Jean-Louis Verdier 13 Statistik zu den rechtlichen Folgen von Lawinenunfällen Stephan Harvey und Jürg Schweizer 14 Rechtliche Situation beim Lawinenunfall im freien Gelände Patrik Bergamin 15 Rechtliche Situation beim Lawinenunfall in gesichertem Gelände Fritz Anthamatten 16 Rechtspraxis, Frankreich Frédéric Jarry 17 Rechtspraxis, Italien Magdalena Springeth 18 Rechtspraxis, Deutschland Stefan Beulke 19 Rechtspraxis, Österreich Maria Freisinger-Auckenthaler 20 Der Sachverständige beim Lawinenunfall – Ein kritischer Blick auf eine anspruchsvolle Tätigkeit Walter Würtl 21 Entwicklung des Risikos bei Aktivitäten im freien Gelände Kurt Winkler 22 Risiko, Eigenverantwortlichkeit und Fahrlässigkeit Stefan Beulke 23 Recht auf Risiko? Oliver Biefer 24 Achtung Rückgriff! Jörg Fromm 25 Wichtige Informationen Referenten und Autoren Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos 26 28 Begrüssung 3 Herzlich Willkommen in Davos Wir begrüssen Sie ganz herzlich in Davos zum Seminar Lawinen und Recht 2015. Die grosse Resonanz bestätigt uns, dass es nach zehn Jahren wieder an der Zeit ist, Praktiker aus dem Bereich Schnee und Lawinen und Juristen zusammenzuführen, um das Wissen und das gegenseitige Verständnis zu vertiefen. Darf ein Hang befahren werden, muss die Strasse oder die Skipiste gesperrt werden, reicht die Unterlassung einer Vorsichtsmassnahme bei einem Lawinenunfall für einen Schuldspruch oder doch nicht? Wenn solche Entscheide gefällt werden, gibt es nur grün oder rot, kein orange. Die Grundlagen, die zu diesen Entscheidungen führen, sind aber in vielen Fällen mit grossen Unsicherheiten behaftet. Die Neuschneemenge kann im Gelände variieren, ebenso wie die Hangsteilheit. Genauigkeit in Zentimetern oder Grad ist da fehl am Platz – vielmehr ist Denken in Bandbreiten angesagt. Ob die Begehung eines Hanges zu einer Lawinenauslösung führt oder nicht, kann nur abgeschätzt werden. Trotz diesen Unsicherheiten muss letztlich scharf entschieden werden: «go or no-go». Mit diesen Unsicherheiten muss sich auch der Lawinensachverständige (oder Gutachter) befassen, auch wenn nach dem Lawinenunfall klar ist, dass der Hang gefährlich war. Und auf der Basis dieser Unsicherheiten wird auch der Richter den Entscheid grün oder rot, schuldig oder unschuldig treffen müssen. Das Seminar soll einen Überblick zum aktuellen Stand der Lawinengefahrenbeurteilung und des Risikomanagements geben und rechtliche Aspekte der Tätigkeit von Sicherheitsverantwortlichen beleuchten. Straf- und versicherungsrechtliche Aspekte werden anhand von Fallbeispielen präsentiert. Dabei sollen auch Unterschiede der Rechtspraxis der einzelnen Alpenländer aufgezeigt werden. In Workshops werden unter anderem Themen wie Sorgfaltspflichten von Sicherheitsverantwortlichen, Befundaufnahme und Einvernahme bei Lawinenunfällen diskutiert und bearbeitet. Diskutieren Sie mit uns über die Unsicherheiten der Entscheidungsgrundlagen, über das Restrisiko, über Bandbreiten und über natürlicherweise trotzdem scharfe Entscheide, über schuldig oder unschuldig. Wir freuen uns, Sie in Davos begrüssen zu dürfen und wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt, interessante Diskussionen und viele gute Gespräche. Hansueli Rhyner Tagungsleiter Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Programm 5 Programm Internationales Seminar Lawinen und Recht 1.–3. Juni 2015, Kongresszentrum Davos Montag, 1. Juni 2015 Plenarsaal Aspen ab 11:00 Registration im Kongresszentrum 13:45–14:00 Begrüssung und Eröffnung Fritz Schiesser Lawinenbildung, Lawinenprognose und Beurteilung in der Praxis Chair: Paul Nigg 14:00–14:30 Lawinenbildung und Lawinengefahrenbeurteilung Jürg Schweizer 14:30–15:00 Lawinenprognose – Lawinenbulletin Thomas Stucki 15:00–15:30 Unschärfen im Risikomanagement auf Skitouren und beim Variantenskifahren Stephan Harvey 15:30–16:00 Kaffeepause Chair: Christian Wilhelm 16:00–16:30 Übersicht Lawinenschutzmassnahmen Stefan Margreth 16:30–17:00 Lawinenbeurteilung und -sicherung von Verkehrswegen Jon Andri Bisaz 17:00–17:30 Lawinenbeurteilung und -sicherung im Skigebiet Serafin Siegele 17:30–18:00 Lawinenbeurteilung und -sicherung von Siedlungen Jean-Louis Verdier anschliessend Apéro im Kongresszentrum 20:30–21:30 Institutsbesichtigung SLF (fakultativ) Dienstag, 2. Juni 2015 Plenarsaal Aspen Rechtspraxis Schweiz Chair: Heinz Walter Mathys 08:00–08:20 Statistik zu den rechtlichen Folgen von Lawinenunfällen Stephan Harvey 08:20–08:50 Rechtliche Situation beim Lawinenunfall im freien Gelände Patrik Bergamin 08:50–09:20 Rechtliche Situation beim Lawinenunfall in gesichertem Gelände Fritz Anthamatten Rechtspraxis international Chair: Andreas Ermacora 09:20–09:50 Frankreich 09:50–10:20 Kaffeepause Frédéric Jarry 10:20–10:50 Italien Magdalena Springeth 10:50–11:20 Deutschland Stefan Beulke 11:20–11:50 Österreich Maria FreisingerAuckenthaler 11:50–12:10 Der Sachverständige beim Lawinenunfall Walter Würtl 12:10–14:00 Stehlunch Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Programm 6 Plenarsaal Aspen Podiumsdiskussion 14:00–14:45 Lawinenunfall: Podiumsdiskussion mit Betroffenen Moderation: Paul Mair Workshops in Gruppenräumen 15:00–16:00 Workshop 1 im Raum Sanada 1: Sorgfaltspflichten von Lawinendiensten Lukas Stoffel Stefan Margreth Fritz Anthamatten Workshop 2 im Raum Sanada 2: Einvernahme und Befundaufnahme Stephan Harvey Fabienne Jelk Patrik Bergamin Workshop 3 im Raum Chamonix: Rechtliche Fragen in Schneesportgebieten Gian Darms Alexander Stüssi Workshop 4 im Raum Schiahorn: Rechtliche Fragen im Skitouren- und Freeride-Bereich Lukas Dürr Rita Christen 16:00–16:30 Kaffeepause 16:30–17:30 Fortsetzung der Workshops 19:00 Konferenz-Dinner im Kongresszentrum Mittwoch, 3. Juni 2015 Plenarsaal Aspen Chair: Franz Stämpfli 08:00–08:20 Entwicklung des Risikos bei Aktivitäten im freien Gelände Kurt Winkler 08:20–08:50 Risiko, Eigenverantwortlichkeit und Fahrlässigkeit Stefan Beulke 08:50–09:20 Recht auf Risiko? Wann gilt eine Aktivität als Wagnis? Oliver Biefer 09:20–09:50 Achtung Rückgriff! Rückgriffsmöglichkeit des Berufshaftpflichtversicherers bei Grobfahrlässigkeit Jörg Fromm 09:50–10:20 Kaffeepause Präsentation und Synthese der Resultate aus den Workshops im Plenarsaal Aspen 10:20–12:00 Präsentation der Resultate aus den Workshops 1–4 Workshop-Sprecher 12:00–12:30 Synthese und Abschluss Jürg Schweizer 12:30 Stehlunch Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 7 Lawinenbildung und Lawinengefahrenbeurteilung Jürg Schweizer Im winterlichen Gebirge stellen trockene Schneebrettlawinen die Hauptgefahr dar. Die Beurteilung der Schneedeckenstabilität im Hinblick auf die Auslösung von Schneebrettlawinen ist nach wie vor kein einfaches Unterfangen. Zwar ist unser Prozessverständnis in den vergangenen Jahren bezüglich der Entstehung von Lawinen gewachsen, dennoch verschliessen sich die wesentlichen Prozesse einer direkten Messung und die zeitliche und räumliche Variation der Schneedecke schränkt die Vorhersehbarkeit naturgemäss ein. Der Abgang einer trockenen Schneebrettlawine ist das Resultat mehrerer Bruchprozesse. In einer schwachen Schicht unterhalb des sogenannten Schneebrettes kommt es bei Belastung der Schneedecke ausgehend von einer besonderen Schwachstelle zu einem Schädigungsprozess. Einzelne Bindungen im hochporösen und komplexen Eisgerüst brechen, neue entstehen zwar, aber weniger häufig und weniger schnell. Die Verformung nimmt zu und die Schädigung wird grösser, bis es zu einem Riss kommt. Ist der Riss in der Schwachschicht gross genug, schlägt der bisher langsame und lokal ablaufende Prozess schlagartig in die spontane, schnelle Bruchausbreitung um. Innerhalb weniger Sekunden breitet sich der Bruch entlang der Schwachschicht über den Hang aus – ähnlich einem Dominoeffekt, so dass sich grosse Teile der darüber liegenden Schichten ablösen, bis es schliesslich zum Zugriss quer durch das das Schneebrett kommt. Die Schneetafel zerbricht und bewegt sich, falls das Gelände steiler als etwa 30 Grad ist, mit schnell zunehmender Geschwindigkeit zu Tale. Die wesentliche Prozesse bei der Bildung einer trockenen Schneebrettlawine sind demnach die Bruchinitieriung, die Bruchausbreitung und letzlich der Bruchstillstand, der gleichbedeutend ist mit dem Zugriss. Bei allen drei Prozessen spielen sowohl die Eigenschaften der Schwachschicht wie auch des Schneebrettes eine entscheidene Rolle. Nur wenn Schwachschicht und Schneebrett sozusagen zusammenpassen, kann überhaupt eine Schneebrettlawine entstehen. Dies gilt sowohl für sich spontan lösende Lawinen, als auch für künstlich ausgelöste Lawinen. Schneesportler oder Sprengungen lösen Lawinen besonders effizient aus, da sie die Schneedecke schnell und heftig belasten. Auch bei den Nassschneelawinen spielt die Schichtung eine grosse Rolle – grösser als früher angenommen. Nur wenn versickerndes Schmelzwasser grossflächig eine Schicht schwächt, zum Beispiel wenn es an einer Schichtgrenze gestaut wird, kann es zu einer nassen Schneebrettlawine kommen. Ob sich eine Lawine bildet, hängt also in erster Linie von der Schichtung der Schneedecke ab. Das bessere Verständnis, wie die Schichtung zur Lawinenbildung beiträgt, erlaubt es heute dem Prozessdenken wieder den gebührenden Platz bei der Lawinengefahrenbeurteilung beizumessen. Selbstverständlich variieren die Schichteigenschaften in Raum und Zeit, aber gerade in Zeiten höherer Lawinenaktivität lässt sich beobachten, dass wesentliche Schneedeckeneigenschaften über weite Gebiete der Schweizer Alpen ähnlich sind – nicht selten nach einem schneearmen Frühwinter, oder nach einer niederschlagsfreien Schönwetterperiode. Die Schneedecke zu berücksichtigen heisst, sich zu überlegen, ob die passende Schichtung (Schneebrett-Schwachschicht) vorhanden ist, ob sich ein Bruch in der Schwachschicht initiieren lässt und ob der Bruch sich dann auch ausbreitet. Verbindet man die strategischen Methoden mit derartigem Prozessedenken und kombiniert beides mit Risikoüberlegungen (Was würde passieren, wenn?) lassen sich heute wohl doch bessere Entscheide zur Beurteilung der Lawinengefahr fällen. Selbstverständlich ist es auch nach fast 80 Jahren Schnee- und Lawinenforschung aber nicht möglich, den genauen Ort und Zeitpunkt eines Lawinenabganges zu prognostizeren. Der Berücksichtgung dieser Unsicherheit kommt bei weitreichenden Entscheiden daher grosse Bedeutung zu. Dr. Jürg Schweizer studierte Umweltphysik an der ETH Zürich und promovierte in Glaziologie. Er ist langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter am SLF mit den Forschungsschwerpunkten Schneemechanik, Lawinenbildung, Schneedeckenstabilität und Lawinenprognose, Lawinenausbildner und Sachverständiger bei Lawinenunfällen. Seit 2011 ist er Leiter des SLF. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 8 Lawinenprognose – Lawinenbulletin Thomas Stucki Ist morgen mit grossen Tallawinen zu rechnen? Wann wird die höchste Lawinenaktivität erwartet? Wie hat sich die Lawinengefahr während der letzten Tage entwickelt und wie hoch ist die Lawinengefahr in meinem Skitourengebiet? Wo liegen die gefährlichsten Stellen im Gelände? Das Lawinenbulletin ist für Sicherheitsverantwortliche und Privatpersonen eine wichtige Planungsgrundlage und hilft solche Fragen zu beantworten. Eine lokale Einschätzung vor Ort mit eigenen Beobachtungen kann es jedoch nicht ersetzen. Dazu ist eine fundierte Aus- und Weiterbildung nötig, welche das SLF für Sicherheitsverantwortliche sicherstellt. Diese sind oft gleichzeitig Beobachter des Lawinenwarndienstes und versorgen ihn mit Mess-, Beobachtungs- und Beurteilungsdaten. Von besonderem Interesse sind Daten, welche direkte Rückschlüsse auf die Schneedeckenstabilität zulassen, wie zum Beispiel Neuschneemenge, Schneedeckenuntersuchungen mit Stabilitätstests oder Lawinenabgänge. Die Beobachterdaten werden ergänzt durch ein dichtes Netz automatischer Messstationen. Auch Rückmeldungen von Skitourenfahrern fliessen in die tägliche Prognosetätigkeit ein. Hinter der Prognose stehen mindestens zwei, meistens drei Lawinenprognostiker. Das Lawinenbulletin wird um 17 Uhr (Prognose für 24 Stunden) und um 8 Uhr (Update) in vier Sprachen im Internet und in der WhiteRisk App veröffentlicht. Kern des Lawinenbulletins ist eine interaktive Karte mit der regionalen Beurteilung der Lawinengefahr in 5 Stufen gemäss der Europäischen Lawinengefahrenstufenskala (gering – mässig – erheblich – gross – sehr gross). Eine Beschreibung der Gefahrensituation und Angaben zu Schneedecke und Wetter geben detailliertere Informationen zur Situation. Lawinendienste erhalten zudem eine Frühwarnung, um vor einer ausserordentlichen Lawinensituation Zeit zu gewinnen. Thomas Stucki studierte an der ETH Zürich Geographie. Gleichzeitig arbeitete er im Pistenund Rettungsdienst und als Mittelschullehrer. Heute ist er langjähriger Leiter des Lawinenwarndienstes am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF. Unter anderem ist er als Lawinenausbilder und in der Arbeitsgruppe der Europäischen Lawinenwarndienste (EAWS) tätig. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 9 Unschärfen im Risikomanagement auf Skitouren und beim Variantenskifahren Stephan Harvey Lawinen können räumlich und zeitlich nicht genau vorhergesagt werden. Es gibt keine Formeln und exakte Regeln, die Wintersportler anwenden können, um die Lawinengefahr resp. das Lawinenrisiko zu berechnen. Praktiker müssen mit diesen Unsicherheiten umgehen. Für die Beurteilung und Entscheidung in der Praxis werden verschiedene hilfreiche Konzepte und Tools verwendet. Dabei werden lawinenrelevante Zusammenhänge wichtiger Schlüsselfaktoren möglichst aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Die wichtigsten Verbände des Schneesports in der Schweiz verwenden auf allen Ausbildungsniveaus das gleiche Beurteilungssystem mit mehr oder weniger den gleichen Konzepten und Tools. Die Werkzeuge werden je nach Ausbildungsstand unterschiedlich verwendet. Allgemein gilt: Je weniger Kenntnisse und je einfacher die Tools desto enger der Spielraum. Nicht selten werden die für die Lawinenausbildung hilfreichen Instrumente bei der juristischen Aufarbeitung von Unfällen beigezogen. In diesem Zusammenhang werden vereinfachte Faustregeln und Tools gerne als Verkehrsnorm verstanden. Die isolierte und starre Anwendung einfacher Werkzeuge wird aber dem komplexen Sachverhalt im Lawinengelände nicht gerecht. Diese Zusammenstellung zeigt Unschärfen von in der Praxis gängigen Konzepten, Tools und Faustregeln zur Beurteilung der Lawinengefahr und des -risikos auf. Sie soll einerseits Wintersportlern die Grenzen einfacher Beurteilungs- und Entscheidungshilfen vermitteln, anderseits Juristen und Lawinenunfall-Gutachter bei der Beurteilung von Lawinenunfällen mit juristischen Konsequenzen unterstützen. Stephan Harvey studierte Geographie und ist Bergführer. Er ist langjähriger Mitarbeiter am SLF mit den Schwerpunkten Lawinenbildung, Lawinenprognose und Lawinenprävention, Mitglied des Kern-Ausbildungsteams Lawinenprävention Schneesport (KAT), Lawinenausbildner und Sachverständiger bei Lawinenunfällen. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 10 Übersicht Lawinenschutzmassnahmen Stefan Margreth Ziel des folgenden Beitrages ist zu zeigen, wie Lawinenschutzmassnahmen heute geplant werden und was für Methoden insbesondere zum Schutze von Siedlungen und Verkehrswege eingesetzt werden. In einem ersten Schritt werden mit Gefahrenbeurteilungen die Intensität und Häufigkeit von Lawinenereignissen, sowie die zu erwartenden Schäden systematisch bestimmt. Anschliessend werden die Risiken erfasst und bewertet. Dazu bestehen Schutzziele wie z. B., dass bei geschlossenen Siedlungen ein vollständiger Schutz bis zu 100-jährlichen Ereignissen bestehen soll. Wenn das heutige Risiko den Schutzzielen nicht entspricht, muss versucht werden, mit Massnahmen das angestrebte Sicherheitsniveau zu erreichen. Schutzmassnahmen werden heute risikobasiert geplant. Es wird untersucht, wie stark das Lawinenrisiko durch eine Schutzmassnahme gesenkt werden kann und wie das Verhältnis der erzielten Wirkung zu den Kosten der Massnahme ist. Die wirtschaftlichsten Schutzprojekte entstehen aus einer Optimierung von Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltaspekten. Die integrale Massnahmenplanung steht im Vordergrund, wo raumplanerische, technische und organisatorische Schutzmassnahmen optimal aufeinander abgestimmt werden. Die Subventionierung von Schutzwald, Schutzbauten und Gefahrengrundlagen ist eine Verbundaufgabe von Bund und Kantonen. Pro Jahr werden in der Schweiz rund 35 Mio. € in den Lawinenschutz investiert, wobei im langjährigen Durchschnitt Lawinenschäden von rund 58 Mio. € auftreten. Im langfristigen Lawinenschutz ist viel mehr geregelt als im kurzfristigen Lawinenschutz. Die wichtigsten Grundlagen sind das Raumplanungsgesetz, das Waldgesetz und die Waldverordnung. Die Kantone werden darin verpflichtet, Anrissgebiete zu sichern und die zum Schutz notwendigen Grundlagen zu erarbeiten. Weiter gibt es Vollzugshilfen wie die «Richtlinie zur Berücksichtigung der Lawinengefahr bei raumwirksamen Tätigkeiten» oder die «Technische Richtlinie Lawinenverbau im Anbruchgebiet». Bauliche Schutzmassnahmen wie Stützverbauungen, Lawinendämme oder Galerien kommen dort zum Einsatz, wo grosse Schutzdefizite bestehen. Die wichtigsten Lawinenbahnen, die Siedlungen gefährden, sind heute mit baulichen Schutzmassnahmen gesichert. Insbesondere bei den Verkehrsachsen steigen die Bedürfnisse der Bevölkerung an die Verfügbarkeit. In solchen Situationen gewinnen kostengünstige, temporäre Massnahmen wie die gezielte Sperrung von Verkehrsachsen in Gefahrensituationen oder die künstliche Lawinenauslösung an Bedeutung. Voraussetzung dazu sind Daten, Entscheidungsgrundlagen und Überwachungssysteme. Eine grosse, zukünftige Herausforderung stellt die Erhaltung der Schutzmassnahmen dar. Bei der Instandsetzung sind, falls angezeigt, neue, durch den Klimawandel bedingte Gefährdungsbilder zu berücksichtigen. Wichtig ist auch, dass die Schutzziele und bestehenden Risiken insbesondere angesichts der gesellschaftlichen Änderungen, einer immer dichteren Besiedlung und der stetigen Wertsteigerung regelmässig überprüft werden. Stefan Margreth ist dipl. Bauingenieur ETH und leitet das Team Schutzmassnahmen am SLF. Er verfasste zahlreiche Gutachten über Lawinenschutzmassnahmen und Gefahrenbeurteilungen; u.a. erstellte er das Gerichtsgutachten zum Lawinenunglück von Galtür vom Februar 1999. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 11 Lawinenbeurteilung und -sicherung von Verkehrswegen Jon Andri Bisaz Das Thema Lawinenbeurteilung und -sicherung entlang von Verkehrswegen wird anhand der hochgelegenen Strassen im Oberengadin (Julier- und Berninapass, Strasse Sils-Maloja) sowie von Streckenabschnitten der Rhätischen Bahn (Val Bever, Berninapass) erläutert. Im Referat wird auf die Grundlagen zur Beurteilung der Lawinensituation (u.a. Daten automatischer Wetterstationen), auf den Umgang mit kritischen Neuschneewerten sowie generell auf den Einsatz temporärer Lawinenschutzmassnahmen eingegangen. Als temporäre Massnahmen werden Sperrungen der Verkehrswege und Einsätze der künstlichen (präventiven) Lawinenauslösung durchgeführt. Dabei wird auf Erfahrungen mit fix installierten Sprengsystemen (Wyssen Lawinensprengmasten) und auf die Verwendung des Helikopters (resp. des Systems DaisyBell) eingegangen. Auch die Information der Bevölkerung über Sperrungen, resp. über bevorstehende Sperrungen, wird erläutert. Jon Andri Bisaz, Leiter Forstamt Celerina / Bever, Gemeindelawinendienst Bever seit 1991, Erfahrungen mit Lawinensprengungen seit 1996, externer Lawinenberater für das Tiefbauamt Bezirk 3 seit ca. 2007 inkl. externer Berater für die Rhätische Bahn (Berninapass). Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 12 Lawinenbeurteilung und -sicherung im Skigebiet Serafin Siegele Das Thema Lawinenbeurteilung und -sicherung im Skigebiet wird am Beispiel des Skigebietes Ischgl erläutert. Zu diesem Zweck wird zuerst das Skigebiet vorgestellt. Nach einem kurzen geschichtlichen Rückblick über die Entwicklung der Sicherungsmassnahmen wird auf die Zuständigkeit und die Arbeit der Lawinenkommission im Skigebiet eingegangen. Im Weiteren stellt der Referent die heutigen permanenten und temporären Sicherungsmassnahmen vor und geht auf deren Vor- und Nachteile ein. Der Hauptfokus bei den temporären Sicherungsmassnahmen liegt dabei auf den verschiedenen Sprengmethoden, die im Schigebiet zur Anwendung kommen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Umgang mit Gleit- und Nassschneelawinen im Zuständigkeitsbereich. Serafin Siegele, Pistenchef Silvretta Schiarena Ischgl seit 24 Jahren und Chef der Lawinenkommission. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 13 Lawinenbeurteilung und -sicherung von Siedlungen Jean-Louis Verdier Chamonix Mont-Blanc, Lokales Management des Lawinenrisikos Da das Tal von Chamonix traditionell Lawinengefahren ausgesetzt ist, verfügt es seit vielen Jahren über eine kommunale Sicherheitskommission für den Umgang mit Naturgefahren. Die damit verbundene Kultur der Prävention und des Managements bezieht verschiedene Beteiligte des Tales mit ein (gemeinnütziger Verein La Chamoniarde, Bergführer, öffentliche/ private Dienste usw.). Alle arbeiten mit dem Ziel des Schutzes der auf diesem Gebiet lebenden Menschen sowie der dort befindlichen Güter und Infrastrukturen zusammen. Die Zunahme der Touristenströme erfordert den Einsatz umfangreicher Mittel, um diese unter Nutzung aktueller Technologien zu informieren und für diese Risikokultur zu sensibilisieren. Die Vermittlung und Aufrechterhaltung dieser Risikokultur ist eine wichtige Aufgabe. Die gemeinsame Arbeit der Prävention ist mit erheblichen Verantwortlichkeiten und einem strengen Risikomanagement im Hinblick auf Bevölkerung und Güter verbunden. Inhalt der Präsentation Bedeutende Lawinenereignisse in Chamonix Karten und Vorschriften betreffend Lawinengefahr auf dem französischen Staatsgebiet Gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Aspekte (ortsansässige Bevölkerung und Touristen, private, öffentliche und wirtschaftliche Güter …) Prävention und Vorhersage der Lawinengefahr Lokales Management des Lawinenrisikos Zusammenfassung Chamonix: «Präventionslabor» Bedeutung der Rolle des gewählten Amtsträgers Verantwortung des Bürgermeisters (Polizeigewalt) Jean-Louis Verdier, stellvertretender Bürgermeister von Chamonix, zuständig für Berge und Naturrisiken, stellvertretender Abgeordneter, Mitglied des wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Rates der Region Rhône-Alpes, Präsident des meteorologischen Verbands des Departements, Bergführer. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 14 Statistik zu den rechtlichen Folgen von Lawinenunfällen Stephan Harvey und Jürg Schweizer Lawinenunfälle sind seltene Ereignisse, doch bringen sie immer eine beachtliche Medienresonanz mit sich. Sollte es an einem Wochenende zu einem Unfall mit einem oder gar mehreren Toten kommen, so ist die Resonanz stets vergleichsweise grösser als bei einem Unfall im Strassenverkehr. Noch weit grösser ist die Aufmerksamkeit, sollte es zu einem Gerichtsfall kommen. Jedoch folgen einem Lawinenunfall nur in den allerwenigsten Fällen strafrechtliche Konsequenzen. Eine weit verbreitete Annahme, Tourenleiter oder Bergführer stünden bei der Ausübung ihrer Führungstätigkeiten im Bergsport mit einem Fuss im Gefängnis, ist so nicht richtig. Da uns keine Statistiken seitens der Justizbehörden bekannt sind, versuchen wir insbesondere auf Grund der uns bekannten tödlichen Lawinenunfälle für die Schweiz die Zahl der Strafuntersuchungen der letzten 20 Jahre (Winter 1994/95 bis 2013/14) abzuschätzen und die rechtlichen Folgen auszuwerten. Tatsache ist, dass in den letzten 20 Jahren (Winter 1994/95 bis 2013/14) in der Schweiz rund 22 Lawinentote pro Jahr zu beklagen waren. Im gesamten Alpenraum sind es rund 100 Opfer. Bei den tödlichen Lawinenunfällen auf Variantenabfahrten und Touren im Schweizer Alpenraum sind in rund 20 % der Fälle Personen in verantwortlicher Position beteiligt, zum Beispiel als Skilehrer, Tourenleiter oder Bergführer. In rund einem Viertel dieser Fälle kam die verantwortliche Person selbst ums Leben, womit eine Strafuntersuchung in aller Regel hinfällig wird. Rund zwei Dutzend Unfälle ereigneten sich in den letzten 20 Jahren bei denen Sicherungsdienste die Verantwortung trugen. In den meisten dieser Fälle kam es unseres Wissens zu einer Strafuntersuchung. Weiter gab es im untersuchten Zeitraum rund 30 Strafuntersuchungen welche ungeführte Gruppen oder Fälle mit mehreren involvierten Gruppen betrafen. Insgesamt wurde in rund 70 % der Fälle, in denen es zu einer Strafuntersuchung kam, das Verfahren eingestellt, d.h. es wurde keine Anklage erhoben. In einigen Fällen erkannten die Beschuldigten ihre Schuld an, sodass die Fälle im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens (Strafmandat) abgeschlossen wurden. In den verbleibenden rund 20 % der Fälle kam es zu einer Anklage. Vor Gericht endeten knapp die Hälfte der Fälle mit einem Freispruch, d.h. rund 10 % der uns bekannten Fälle führten zu einer Verurteilung (Busse und/oder bedingte Gefängnisstrafe von wenigen Monaten). Aufgrund der Dunkelziffer dürfte dieser Prozentsatz in Wirklichkeit aber wohl tiefer liegen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Lawinenunfälle also in den allerwenigsten Fällen vor dem Richter – oder schon gar nicht im Gefängnis enden. Nicht zu vergessen ist aber, dass sich hinter dieser generell eher günstigen Statistik tragische Einzelschicksale verbergen – sowohl für die Opfer, aber auch für die «Täter». Stephan Harvey studierte Geographie und ist Bergführer. Er ist langjähriger Mitarbeiter am SLF mit den Schwerpunkten Lawinenbildung, Lawinenprognose und Lawinenprävention, Mitglied des Kern-Ausbildungteams Lawinenprävention Schneesport (KAT), Lawinenausbildner und Sachverständiger bei Lawinenunfällen. Dr. Jürg Schweizer studierte Umweltphysik an der ETH Zürich und promovierte in Glaziologie. Er ist langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter am SLF mit den Forschungsschwerpunkten Schneemechanik, Schneedeckenstabilität, Lawinenbildung und Lawinenprognose, Lawinenausbildner und Sachverständiger bei Lawinenunfällen. Seit 2011 ist er Leiter des SLF. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 15 Rechtliche Situation beim Lawinenunfall im freien Gelände Patrik Bergamin Im Referat «Rechtliche Situation beim Lawinenunfall» soll aufgezeigt werden, welche strafund zivilrechtlichen Folgen ein derartiges Ereignis haben kann. Dazu werden die anwendbaren Strafnormen (insbes. fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung) und Haftungsbestimmungen (v.a. unerlaubte Handlung) mit dem Hauptfokus Strafrecht dargelegt. Anhand praktischer Beispiele sollen die Theorie erläutert und gewisse Einzelpunkte etwas genauer untersucht werden. So werden etwa die Frage der Verantwortung zwischen zwei unabhängigen Tourengruppen und die Problematik der sogenannten Garantenstellung thematisiert. Eine Garantenstellung ist Voraussetzung dafür, dass eine fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung auch in Form einer Unterlassung bzw. eines Nicht-Handelns begangen werden kann. Seit 2007 begründet die freiwillig eingegangene Gefahrengemeinschaft von Gesetzes wegen eine Garantenstellung, womit die früher mitunter propagierte These «Gefahrengemeinschaft statt Garantenstellung» obsolet wurde. Wann aber entsteht eine derartige Gefahrengemeinschaft? Der Referent erläutert dazu die unterschiedlichen Lehrmeinungen mit den entsprechenden Konsequenzen. Schliesslich werden anhand eines Beispielfalls einzelne strafprozessuale Punkte wie die systembedingte lange Untersuchungsdauer thematisiert. Dr. iur. Patrik Bergamin ist seit 1994 bei der Staatsanwaltschaft Graubünden als Untersuchungsrichter bzw. Staatsanwalt tätig und dort unter anderem Ansprechperson bei Lawinenunfällen. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 16 Rechtliche Situation beim Lawinenunfall in gesichertem Gelände Fritz Anthamatten Zum gesicherten Gelände gehören neben Verkehrsverbindungen (Strasse und Schiene) auch Siedlungsräume und Skipisten. Der Vortrag geht zunächst der Frage nach, wer Adressat der Sicherungspflicht ist, wobei dies bei der strafrechtlichen Verantwortlichkeit meistens nicht die gleiche Person ist wie bei der zivilrechtlichen Haftung. Alsdann wird anhand von Fallbeispielen die Rollenverteilung der Verfahrensbeteiligten (Staatsanwaltschaft, Angeschuldigter, Verteidiger, Richter, Gutachter, Zivilpartei) dargestellt und aufgezeigt, nach welchen Grundsätzen und Massstäben sich die juristische Aufarbeitung eines Lawinenunfalles orientiert. Dabei geht es nicht nur um die einschlägigen strafrechtlichen und haftpflichtrechtlichen Gesetzesbestimmungen, sondern auch um allgemeingültige Grundsätze, welche Lehre und Rechtsprechung im Laufe der Zeit entwickelt haben. Zentral in diesem Zusammenhang ist dabei der Grundsatz der sogenannten Vorhersehbarkeit. Dieser besagt, dass man nicht einfach aufgrund eines Lawinenereignisses im Nachhinein den Standpunkt vertreten kann, es habe Lawinengefahr geherrscht und der Sicherungspflichtige hätte die erforderlichen Massnahmen ergreifen müssen. Vielmehr müssen sich die Verfahrensbeteiligten in die Lage des Sicherheitsverantwortlichen im Zeitpunkt vor dem Unfall hineinversetzen und der Frage nachgehen, ob aufgrund der gegebenen Umstände das Lawinenereignis für die betreffende Person vorhersehbar und vermeidbar war. Eine Antwort auf diese Frage zu finden ist nicht einfach, weil die Antwort nicht mit mathematischer Sicherheit berechnet und bewiesen werden kann, sondern weil sie sich auf eine Hypothese (Annahme) abstützen muss (was wäre geschehen, wenn …). Dr. Fritz Anthamatten ist seit 1985 praktizierender Rechtsanwalt in Brig und Präsident der Kommission für Rechtsfragen auf Schneesportabfahrten von Seilbahnen Schweiz (KRS-SBS). Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 17 Rechtspraxis international, Frankreich Unfälle mit professionell geführten Gruppen ausserhalb der Skipisten Frédéric Jarry In Frankreich betreffen Lawinenunfälle im Wesentlichen Personen, die ausserhalb der Pisten Ski fahren, oder Skitourengeher. Zwischen den Saisons 2006 und 2011 hat der nationale Verband für Schnee- und Lawinenforschung (Association Nationale pour l’Etude de la Neige et des Avalanches, ANENA) bei diesen beiden Aktivitäten mindestens 39 Lawinenunfälle erfasst, bei denen professionell geführte Gruppen (Bergführer, Skilehrer) involviert waren, davon 14 Unfälle mit Todesfolge. Folgenschwere Lawinenunfälle (schwere Verletzungen oder Todesfolge) mit geführten Gruppen können ein Delikt gemäss der Artikel 222-19, 222-20 und 221-6 des französischen Strafgesetzbuches (Code Penal) darstellen. Da normalerweise eine unbeabsichtigte Handlung vorliegt, wird der Gruppenverantwortliche als indirekter Verursacher des Schadens betrachtet. Demnach kann er nur strafrechtlich verfolgt werden, wenn nachgewiesen wird, dass er – entweder auf offensichtlich bewusste Weise eine besondere, durch Gesetz oder Rechtsverordnung geregelte Sorgfalts- oder Sicherheitspflicht verletzt hat – oder ein gesteigertes Fehlverhalten («faute caractérisée») begangen hat, durch das eine andere Person einem besonders schweren Risiko ausgesetzt wurde, das er nicht übersehen konnte. De facto wird, wie der Staatsanwalt des Strafgerichts von Albertville kürzlich unterstrich, nicht oft ein Ermittlungsverfahren gegen professionelle Führer/Tourenleiter eingeleitet, und Verurteilungen sind selten. Einige gerichtliche Beschlüsse geben Aufschluss über das Handeln des Strafrichters in dieser Angelegenheit und über seine Überlegungen zu dem, was beim geführten Skifahren abseits gesicherter Pisten ein gesteigertes Fehlverhalten darstellt. Frédéric Jarry, Inhaber eines DESS Droit de la Montagne (Hochschulabschluss in Bergrecht) der Universität Pierre Mendès-France in Grenoble, ist Rechtsberater der ANENA in Frankreich. Nachdem er ursprünglich die juristische Datenbank zur Lawinengefahr aufgebaut hat, ist er heute für die französische Datenbank der Lawinenunfälle verantwortlich und als Schulungsreferent für Skifahrer und Fachleute des Skisports tätig. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 18 Rechtspraxis international, Italien Magdalena Springeth Bereits das reine Auslösen einer Lawine wird in Italien strafrechtlich geahndet, unabhängig davon, ob ein Mensch hierdurch einen Schaden erlitten hat. Denn primär soll das Rechtsgut der öffentlichen Unversehrtheit geschützt werden. Art. 446 StGB bestraft das vorsätzliche Auslösen einer Lawine, während besagte Bestimmung in Verbindung mit Art. 449 StGB das fahrlässige Auslösen einer Lawine sanktioniert. Wird neben dem Auslösen einer Lawine ferner eine Person verletzt oder getötet, haftet der Auslöser der Lawine zudem wegen Körperverletzung oder Tötung. In Südtirol gab es in den vergangenen Jahrzehnten einige Lawinenabgänge, denen ein gerichtliches Nachspiel folgte. Insbesondere der Fall Kaserer im Jahre 2002 hat für Aufsehen gesorgt. Der Bergführer wurde zunächst in erster Instanz wegen fahrlässiger Lawinenauslösung freigesprochen, in der Folge aber sowohl vom Oberlandesgericht als auch vom Kassationsgerichtshof wegen besagter Straftat für schuldig angesehen. Im selben Jahr wurden vom Landesgericht Bozen auch zwei Skifahrer wegen fahrlässiger Lawinenauslösung zu acht Monaten bedingter Haftstrafe verurteilt. Sie fuhren abseits der Skipiste, um von einer geöffneten zu einer geschlossenen Piste zu gelangen, als einer der beiden eine Lawine lostrat. Im Jahre 2010 wurde ein Skitourengeher in den Sarntaler Alpen von einer Lawine begraben. Er konnte gerettet werden, wurde dann der vorsätzlichen Lawinenauslösung angeklagt. Das Verfahren wurde nachfolgend mit der Begründung eingestellt, nur Lawinenabgänge in anthropisierten Gebieten, also Gebieten, in denen sich eine oder mehrere nicht individuell identifizierte Personen aufhalten, seien im Sinne des Art. 426 StGB sanktionsbewehrt; im gegenteiligen Fall werde das Rechtsgut der öffentlichen Unversehrtheit nicht verletzt. Magdalena Springeth hat in Padova (Italien) Rechtswissenschaften studiert und die Abschlussarbeit im Jahre 2011 über das Thema der strafrechtlichen Verantwortung beim Auslösen von Lawinen verfasst. Angestellte der Provinz Bozen im Verwaltungsamt für Landschaft und Raumentwicklung. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 19 Rechtspraxis International, Deutschland Stefan Beulke Seit dem letzten Seminar des SLF zum Thema «Lawine und Recht» 2005 kann über zwei grundlegende Strafgerichtsentscheidungen in Deutschland berichtet werden. Beide Lawinenunfälle ereigneten sich bei Veranstaltungen des Deutschen Alpenvereins (DAV) und damit im ehrenamtlichen Bereich. Das Amtsgericht Laufen hatte einen Lawinenunfall am Sulzkogel (Stubaier Alpen) zu beurteilen, der sich anlässlich einer Gemeinschaftsfahrt einer DAV-Sektion ereignet hat. Von der Staatsanwaltschaft Traunstein wurden drei DAV-Tourenführer wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Das Amtsgericht Laufen hat die Anklage nicht zugelassen (Beschluss vom 06.03.2006, Az. 2 Ls 260 Js 27482/05). Die fragliche Skitour sei keine Führungstour, sondern eine Gemeinschaftstour gewesen, bei der jeder auf eigene Verantwortung teilnehme, da der Leiter lediglich eine allgemeine Organisationsverantwortung, aber keine Führerverantwortung übernehme. Der Lawinenunfall sei die Folge einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung der verunfallten Teilnehmer gewesen. Das Landgericht Traunstein hatte einen Lawinenunfall am Kreuzkopf (Hohe Tauern) zu beurteilen, der sich ebenfalls anlässlich einer Gemeinschaftsfahrt einer DAV-Sektion ereignet hat. Obwohl auch hier keine Führungstour ausgeschrieben war, ging das Gericht von einer faktischen Führungstätigkeit des angeklagten DAV-Tourenführers aus, da dieser rechtstatsächlich die Verantwortung für die Tourendurchführung übernommen habe. Der Tourenführer wurde nach umfangreicher Beweisaufnahme freigesprochen (Urteil vom 07.10.2011, Az. 3 Ns 110 Js 15289/08). In der Entscheidung setzt sich das Gericht eingehend mit der Frage auseinander, nach welchen Kriterien die Beurteilung der Lawinengefahr zu erfolgen hat. Dabei spricht sich das Gericht gegen eine ausschliessliche Beurteilung nach «strategischen Methoden» (wie z.B. «3 x 3 Lawinen», «Stop or Go» oder «Snowcard») aus. Vielmehr sei eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen. Dabei sei auch ein Verhalten eines Teilnehmers zu berücksichtigen, dessen absprachewidriges Einfahren in den Unfallhang das Schneebrett letztendlich auslöste. Dr. Stefan Beulke, seit 1985 staatl. gepr. Berg- und Skiführer (IVBV), seit 1990 als Rechtsanwalt in München tätig, schwerpunktmässig im Bereich des Sport- und Sporthaftungsrechts, insbesondere bei Alpin-, Kletter- und Lawinenunfällen. Von 1992 bis 2003 Vizepräsident des Verbandes der Deutschen Berg- und Skiführer (VDBS). Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 20 Rechtspraxis international, Österreich Maria Freisinger-Auckenthaler Kommt eine Person zu Schaden oder wird gefährdet muss der Staatsanwalt im Strafverfahren ermitteln (Offizialdelikt). Die Beweislast liegt beim Staatsanwalt. Die Unfallaufnahme geschieht durch die Alpinpolizei, der zeitnah beauftragte Alpinsachverständige erstattet ein Gutachten. Kommt es zum Strafverfahren vor Gericht, entscheidet ein (Alpin)Richter. Die in Frage kommenden Delikte im Strafgesetzbuch sind: Fahrlässige Tötung (auch unter besonders gefährlichen Verhältnissen), Fahrlässige Körperverletzung, Gefährdung der körperlichen Sicherheit, Fahrlässige Gemeingefährdung. Fahrlässigkeitsdelikte liegen vor, wenn die Sorgfalt außer Acht gelassen wird, zu der man befähigt und die zuzumuten ist. Sorgfaltsverstöße ergeben sich aus gesetzlichen Bestimmungen, Verordnungen, Verkehrsnormen, Standards. Es wird auf den Verkehrskreis des Täters abgestellt, d.h. er wird mit seinesgleichen verglichen (Bergsportführer mit Bergsportführer). Besonders gefährliche Verhältnisse liegen vor, wenn ein Verhalten unter Umständen gesetzt wird, die nach dem Urteil eines sachkundigen Beobachters (im Zeitpunkt der Verhaltensvornahme und vom Standort des sich Verhaltenden aus) mit aussergewöhnlich hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass ein anderer Mensch getötet oder zumindest schwer verletzt wird. Diese Umstände müssen dem Täter in ihrer gefahrensteigernden Bedeutung bekannt oder für ihn erkennbar sein. An einen Bergsportführer wird ein höherer Sorgfaltsmassstab gesetzt. Der Führer aus Gefälligkeit übernimmt ausdrücklich oder konkludent die Führungsrolle, sohin die Verantwortung. Eine strafrechtliche Haftung kann nur jene Lawinenkommissionsmitglieder treffen, die fälschlicherweise gegen die Empfehlung der Sperre votiert haben. Dr. Maria Freisinger-Auckenthaler, Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck/ Österreich, Sonderzuständigkeit für Alpinunfälle, Autorin diverser alpinrechtlicher Publikationen (u.a. «Lawine und Recht» sowie «Klettern und Recht», mit N. Hofer, erschienen im MANZ-Verlag). Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 21 Der Sachverständige beim Lawinenunfall Ein kritischer Blick auf eine anspruchsvolle Tätigkeit Walter Würtl Die Arbeit des Alpinsachverständigen insbesondere bei der Beurteilung von Lawinenunfällen unterscheidet sich in mehreren Punkten deutlich von der klassischen Sachverständigentätigkeit. Während es in vielen Fachgebieten – insbesondere in den technischen Bereichen eine Reihe von Normen und Berechnungsgrundlagen gibt, auf die sich die Sachverständigen beziehen können, ist dies im Alpinsegment weitgehend nicht der Fall. Zur lawinentechnischen Beurteilung einer Sachlage muss der SV das Verhalten zumeist anhand einer abstrakt zu denkenden, differenzierten Massfigur bewerten. Den objektiv zur Verfügung stehenden Grundlagen wie dem Lawinenlagebericht kommt im Zusammenhang mit der straf- und zivilrechtlichen Beurteilung von Lawinenunfällen stets eine sehr hohe Bedeutung zu, da er meist die einzige – auch für Laien (Richter, Staatsanwalt, Anwälte) verfügbare und nachvollziehbare Quelle der Risikobeurteilung darstellt und somit die zentrale Grundlage der Aufnahme eines Verfahrens darstellt. Die zentrale Aufgabe des SV ist es hierbei, die Gültigkeit der amtlichen (offiziellen) Einschätzung auf lokaler Ebene zu beurteilen und Konsequenzen das Verhalten betreffend zu bewerten bzw. den Stellenwert des Lagebericht als einen Aspekt der Risikobeurteilung richtig einzuordnen. Die angeführten Beispiele zeigen aber deutlich die Bandbreite der (persönlichen) Sichtweise von SV auf. Die dazu kontroversiell geführten Diskussionen in der Öffentlichkeit werfen dabei nicht immer das beste Licht auf die Tätigkeit der SV. Gutachten und Gegengutachten liegen mitunter diametral auseinander. Unabhängig von diesen ungünstigen Rahmenbedingungen ist es im Falle eines Lawinenunfalls dennoch von essentieller Bedeutung, dass zur fachlichen Beurteilung der Situation möglichst zeitnahe ein SV bestellt und die Befundaufnahme durchgeführt wird. Die Gründe dafür sind, dass die Schneedecke permanenten Veränderungen unterworfen ist und im Nachhinein zahlreiche wichtige Aspekte nicht mehr erhoben werden können. Eine rasche Profilaufnahme (spätestens am Tag danach), eine Beurteilung des Umfelds mit umfangreicher Fotodokumentation und eine Sicherung der aktuell vorliegenden Informationen, die den Entscheidungsträgern in Sachen: Schnee, Wetter, Gelände, Gruppe und Route zur Verfügung standen, ist unumgänglich. Nicht zuletzt muss sich der SV bei seiner Arbeit in die Position des Garanten (Verantwortlichen) vor Abgang der Lawine versetzen, um eine Beurteilung «ex ante» vornehmen zu können. Hierzu ist es sehr hilfreich, wenn man an Ort und Stelle das Zusammenwirken der vorhandenen Einflussfaktoren (Gruppe, Gelände und Verhältnisse) aus eigener Anschauung erleben und so einen realistischen Blick auf die Tatsachen entwickeln kann. Auch wenn es von Seiten der Gerichte einen hohen Aufwand darstellt nach Lawinenabgängen einen Gutachter zu bestellen, ist es aus fachlicher Sicht absolut gerechtfertigt und daher im Sinne einer möglichst objektiven Beurteilung des Sachverhalts absolut notwendig. Walter Würtl, Studium der Alpinwissenschaften, Berg- und Skiführer, Alpinsachverständiger war Bundeslawinenreferent der Österreichischen Bergrettung und Ausbildungsleiter beim Österreichischen Alpenverein. Derzeit arbeitet er für das Österreichische Kuratorium für Alpine Sicherheit, das Magazin bergundsteigen und selbständig im Bereich der alpinen Sicherheit. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 22 Entwicklung des Risikos bei Aktivitäten im freien Gelände Kurt Winkler Befragungen über das Sportverhalten der Schweizer Wohnbevölkerung zeigen, dass in der Schweiz heute insgesamt wesentlich mehr Winter-Touren unternommen werden als noch vor 15 Jahren. Im gleichen Zeitraum blieb die Anzahl Lawinenopfer konstant, so dass eine markante Abnahme des durchschnittlichen Lawinenrisikos pro Tourentag resultiert. Weil zwar das Risiko, nicht aber die Anzahl (medienträchtiger) Lawinenunfälle abgenommen hat, scheint diese erfreuliche Entwicklung von der breiten Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen worden zu sein. Allerdings ist die Reduktion des durchschnittlichen Risikos weniger auf ein kleineres Risiko bei Ski- und Snowboardtouren, als vielmehr auf eine massive Zunahme der Schneeschuhgeher zurückzuführen - und diese haben im Durchschnitt ein deutlich geringeres Lawinenrisiko. Weitere Gründe für das insgesamt kleinere Todesrisiko sind die schnellere und effizientere Rettung und möglicherweise auch ein stabilerer Schneedeckenaufbau auf viel begangenen Modetouren oder ein verbessertes Lawinenbulletin. Nebst einer Berechnung der Risikos pro Tourentag sind auch Aussagen möglich zu verschiedenen potentiellen Risiko-Faktoren wie z. B. Gefahrenstufe, Gefahrenmuster, Wetter, Alter oder Geschlecht der Tourengeher. Kurt Winkler ist promovierter Bauingenieur und Bergführer. Er arbeitet als Lawinenwarner am SLF. Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 23 Risiko, Eigenverantwortlichkeit und Fahrlässigkeit Der Lawinenunfall zwischen Rechtsordnung und sozialer Wirklichkeit Stefan Beulke Die rechtliche Aufarbeitung eines Lawinenunfalles bewegt sich im Spannungsfeld von Risikobeurteilung, Eigenverantwortlichkeit und Fahrlässigkeit. Dies gilt im Strafrecht gleichermassen wie im Zivilrecht. Rechtliche Schwierigkeiten können dadurch entstehen, dass offensichtlich erhebliche Meinungsunterschiede über diese Begrifflichkeiten und deren Übertragung auf das alpine Unfallereignis bestehen. Die Begrifflichkeiten sind nämlich nicht aus sich selbst heraus verständlich, sondern bedürfen einer inhaltlichen Ausfüllung durch eine präzise und einzelfallbezogene Argumentation. Bereits die angemessene Bestimmung des alpinen Risikos und die Frage, welche rechtlichen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden müssen, kann grosse Schwierigkeiten bereiten, da es an einem allgemein anerkannten Massstab für das Eingehen von gesellschaftlich (noch) anerkannten und damit rechtlich zulässigen alpinen Risiken fehlt. Die Rechtsfiguren «Handeln auf eigene Gefahr» (für den Bereich des Zivilrechts) sowie «Eigenverantwortliche Selbstgefährdung» (für den Bereich des Strafrechts) bieten argumentative Anhaltspunkte für eine angemessene rechtliche Berücksichtigung des bergsportimmanenten Gefahren- und Risikopotentials. Bei diesen Rechtsfiguren handelt es sich letztendlich aber ebenfalls um gesellschaftliche Werturteile. Probleme in der Anwendung ergeben sich hier insbesondere aus Wertungswidersprüchen zwischen dem gesellschaftlich akzeptierten Wunsch des Einzelnen nach alpinistischer Selbstverwirklichung und der grundsätzlich fehlenden Akzeptanz von Unfallereignissen durch die Gesellschaft. Bei der Frage, ob ein Lawinenunfall durch Fahrlässigkeit und damit schuldhaft verursacht wurde, besteht die besondere Problematik darin, einen angemessenen Verschuldensmassstab zu bestimmen. In der Praxis führt dies im Regelfall zu der Frage, wie sich die Unfallbeteiligten hätten verhalten müssen, um den Lawinenunfall zu vermeiden. Dabei wird sich denklogisch nahezu immer ein Alternativverhalten ermitteln lassen, das objektiv möglich und subjektiv zumutbar gewesen wäre, da nahezu jeder Lawinenunfall im Nachhinein erklärbar ist. Damit kommt der Frage der Vorhersehbarkeit eine zentrale Bedeutung zu. Das Mass der rechtlich relevanten Vorhersehbarkeit bestimmt sich letztendlich nach den gesellschaftlichen Wunschvorstellungen über ein Risikoverhalten, dass ethisch-moralisch als (noch) zulässig erachtet wird. Hier bewegt sich die Gesellschaft aber in einer grossen Grauzone. Dr. Stefan Beulke, seit 1985 staatl. gepr. Berg- und Skiführer (IVBV), seit 1990 als Rechtsanwalt in München tätig, schwerpunktmässig im Bereich des Sport- und Sporthaftungsrechts, insbesondere bei Alpin-, Kletter- und Lawinenunfällen. Von 1992 bis 2003 Vizepräsident des Verbandes der Deutschen Berg- und Skiführer (VDBS). Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos 24 Abstracts Recht auf Risiko? Oliver Biefer Im Rahmen der Abdeckung von Unfallfolgen durch eine Sozialversicherung kann das Thema Risiko nicht frei geregelt werden resp. nur über eine Zusatzversicherung. Im beruflichen Bereich existiert ein umfangreiches Regelwerk zur Verhütung von Unfällen, während im Freizeitbereich bei gewissen Risiken der Versicherungsschutz eingeschränkt wird, insbesondere wenn ein Wagnis vorliegt. Wagnisse sind Handlungen, mit denen sich der Versicherte einer besonders grossen Gefahr aussetzt, ohne die Vorkehren zu treffen oder treffen zu können, die das Risiko auf ein vernünftiges Mass herabsetzen. Bei einem absoluten Wagnis können die Gefahren zum vornherein nicht auf ein vernünftiges Mass herabgesetzt werden. Bei einem relativen Wagnis ist dies möglich, aber es wird im Einzelfall geprüft, ob die Gefahren auf ein vernünftiges Mass herabgesetzt wurden. Bei einem Lawinenunfall ist im Einzelfall von einem Wagnis auszugehen, wenn die üblichen Regeln und Vorsichtsgebote in schwerwiegender Weise missachtet wurden. Bei einem Wagnis werden die Geldleistungen mindestens um die Hälfte gekürzt, die Heilungskosten sind voll versichert. Mit Leistungskürzungen soll eine übermässige Belastung der Gesamtheit der Prämienzahler vermieden werden. Die Beurteilung, ob ein Wagnis vorliegt, beruht zwar im Kern auf einer Risikoeinschätzung, sie ist jedoch stark durch eine Interessenwertung geprägt und ist nicht ein für alle Mal fixiert. lic.iur. Oliver Biefer, Rechtsanwalt, Suva, Schweizerische Unfallversicherunganstalt, Luzern Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Abstracts 25 Achtung Rückgriff! Jörg Fromm Das vorliegende Referat befasst sich mit der Grobfahrlässigkeit und dem Rückgriff der Haftpflichtversicherung auf den Versicherungsnehmer. Im Einzelnen wird auf die Grobfahrlässigkeit, die Beweislastverteilung, die Höhe des Rückgriffs und die Vertragsgrundlagen eingegangen. Zur Frage, ob sich der Bergführer in der Grobfahrlässigkeit bewegt, wird dem Publikum eine einfache Orientierungshilfe vorgestellt. Anhand verschiedener Gefahren wird veranschaulicht, wo die einfache Fahrlässigkeit in eine grobe Fahrlässigkeit kippt. lic. iur. Jörg Fromm, Schaden Rechtsdienst, Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Zürich Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Wichtige Informationen 26 5 4 Eingang Promenade Lawinen und Recht 10 3 1 2 11 7 Wichtige Informationen WLAN Kongresszentrum Davos Benutzername: SLF Passwort: Davos2015 Transport Mit der Gästekarte fahren Sie gratis mit allen offenen Bergbahnen und den öffentlichen Linienbusse: Verkehrsbetrieb der Landschaft Davos (VBD): Freie Fahrt auf dem VBD Ortsnetz. Ausgenommen: Linie 8 (Clavadel – Sertig), Linie 10 (Glaris – Monstein), Linien12/13 (Dischmatal ab Haltestelle «Abzw. Büelen» nach Teufi/Dürrboden) Bergbahn Schatzalp: Freie Fahrt mit der Bergbahn Schatzalp (inkl. Abendbetrieb) Davos Klosters Mountains: Tagsüber freie Fahrt auf den Bergbahnen der DKM Taxi Express Taxi Davos, Tel. +41 (0)81 410 11 11 Geldwechsel Banken: Mo-Fr 08:30/09:00-12:00 und 14:00-16:30/17:00 Bahnhof Davos Dorf: Mo-So 07:40-11:40 und 13:50-18:10 / Bahnhof Davos Platz: Mo-So 06:45-19:05 Bankomat Ein Bankomat befindet sich direkt neben dem Haupteingang Kongresszentrum an der Promenade Kontakt SLF Flüelastrasse 11, 7260 Davos Dorf, Tel. +41 (0)81 417 01 11 VBD-Bus Line 4, Haltestelle Flüelastrasse oder Line 1, Haltestelle Bahnhof Dorf Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Wichtige Informationen 27 8 6 9 Restaurants Folgende Restaurants sind geöffnet: 1 Restaurant Extrablatt Promenade 90, 7270 Davos Platz, Tel. +41 (0)81 414 61 70 2 Bistro 101 Weber Promenade 101, 7270 Davos Platz, Tel. +41 (0)81 416 36 73 3 Restaurant Time-Out Sportzentrum Davos, Talstrasse 41, 7270 Davos Platz, Tel. +41 (0)81 410 04 74 4 Kaffee Klatsch (geöffnet bis 19:00 Uhr) Promenade 72, 7270 Davos Platz, Tel. +41 (0)81 413 30 16 5 Schneider’s (geöffnet bis 18:30 Uhr) Promenade 68, 7270 Davos Platz, Tel. +41 (0)81 420 00 00 6 Restaurant Jarno Promenade 135, 7260 Davos Dorf, Tel. +41 (0)81 417 14 14 Notfallnummern Sanität Tel. 144 REGA Tel. 1414 7 Restaurant Hänggi’s Mattatrasse 11, 7270 Davos Platz, Tel. +41 (0)81 416 20 20 8 Restaurant Chesa Seehof Promenade 159, 7260 Davos Dorf, Tel. +41 (0)81 417 06 77 9 Restaurant Dörfji im Spar (geöffnet bis 17:00 Uhr) Bahnhofstrasse 1, 7260 Davos Dorf, Tel. +41 (0)81 416 38 38 10 Coop Restaurant (geöffnet bis 19:00 Uhr) Bahnhofstrasse 3, 7270 Davos Platz, Tel. +41 (0)81 410 01 82 11 Restaurant Parma Dammstrasse 2, 7260 Davos Platz, Tel. +41 (0)81 413 48 66 Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Polizei Tel. 117 Spital Davos Promenade 4, Davos Platz Tel. +41 (0)81 414 88 88 Amavita Apotheke Flüela Bahnhofstrasse 1, Davos Dorf Tel. +41 (0)58 851 32 25 Referenten und Autoren 28 Referenten und Autoren Anthamatten Fritz Dr. iur., Rechtsanwalt, Brig, Schweiz Bergamin Patrik Dr. iur., Untersuchungsrichter bzw. Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft Graubünden, Davos, Schweiz Beulke Stefan Dr., Rechtsantwalt, Berg- und Skiführer (IVBV), München, Deutschland Biefer Oliver lic. iur., Rechtsanwalt, Suva, Luzern, Schweiz Bisaz Jon Andri Leiter Forstamt Celerina-Bever, Gemeindelawinendienst Bever, Celerina/Schlarigna, Schweiz Christen Rita lic. iur., Gerichtsschreiberin ad hoc am Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Bergführerin, Präsidentin der Fachgruppe Expertisen bei Bergunfällen, Disentis, Schweiz Darms Gian MSc Geographie und Fachmann Pisten- und Rettungsdienst, Mitarbeiter Gruppe Lawinenwarnung, SLF, Davos, Schweiz Dürr Lukas dipl. Forsting. ETH und Bergführer, Mitarbeiter Gruppe Lawinenwarnung, SLF, Davos, Schweiz Ermacora Andreas Dr., Rechtsanwalt, Präsident des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Österreich Freisinger-Auckenthaler Maria Dr., Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck, Österreich Fromm Jörg lic. iur., Schaden Rechtsdienst, Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Zürich, Schweiz Harvey Stephan dipl. Natw., Geograf und Bergführer, Mitarbeiter Gruppe Lawinenbildung, SLF, Davos, Schweiz Jarry Frédéric Rechtsberater ANENA, Grenoble, Frankreich Jelk Fabienne lic. iur., Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis, Amt der Region Oberwallis, Visp, Schweiz Mair Paul Berg- und Skiführer, Sachverständiger für Alpinistik, Journalist, Inzing, Österreich Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos Referenten und Autoren Margreth Stefan dipl. Bauingenieur ETH, Leiter Gruppe Schutzmassnahmen SLF, Davos, Schweiz Mathys Heinz Walter Rechtsanwalt, Ehrenpräsident SKUS, a. Kantonaler Prokurator 1 Bern und Dozent für wissenschaftliche Kriminalistik Uni Bern, Experte im Schneesportrecht, Gerichtlicher Sachverständiger bei Schneesportunfällen Nigg Paul Bergführer, Mitglied Fachgruppe Expertisen bei Bergunfällen, Kriens, Schweiz Schiesser Fritz Dr. iur., Präsident des ETH-Rats, Zürich, Schweiz Schweizer Jürg Dr. sc. nat. ETH, Leiter SLF, Davos, Schweiz Siegele Serafin Pistenchef Silvretta Schiarena, Chef Lawinenkommission, Ischgl, Österreich Springeth Magdalena Rechtswissenschafterin, Mitarbeiterin Verwaltungsamt für Landschaft und Raumplanung, Provinz Bozen, Italien Stämpfli Franz Notar und Fürsprecher, Präsident der Internationalen Kommission für alpines Rettungswesen (IKAR), Bern, Schweiz Stoffel Lukas dipl. Bauingenieur ETH, Mitarbeiter Gruppe Schutzmassnahmen, SLF, Davos, Schweiz Stucki Thomas dipl. Natw., Leiter Lawinenwarndienst SLF, Davos, Schweiz Stüssi Alexander lic. iur., Vizedirektor Seilbahnen Schweiz, Leiter Abteilung Recht und Ressourcen, Bern, Schweiz Verdier Jean-Louis Stellvertretender Bürgermeister Chamonix, Frankreich Wilhelm Christian Dr., Bereichsleiter Naturgefahren beim Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden, Schweiz Winkler Kurt Promovierter Bauingenieur und Bergführer, Mitarbeiter Gruppe Lawinenwarnung, SLF, Davos, Schweiz Würtl Walter Alpinwissenschafter, Berg- und Skiführer, Alpinsachverständiger, Innsbruck, Österreich Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos 29 Internationales Seminar Lawinen und Recht, 1.–3. Juni 2015, Davos
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