Fortbildung Vitamin D: ein wichtiges Hormon im Kindes- und Jugendalter Dirk Schnabel | Charite, Universitätsmedizin Berlin, Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Otto-Heubner-Centrum für Kinder- und Jugendmedizin Ein exemplarischer Fall Ein knapp 10-jähriges Mädchen wird auf Empfehlung eines Orthopäden in der Pädiatrischen Endokrinologie vorgestellt. Sie ist das erste Kind gesunder, nicht konsanguiner Eltern. Schwangerschaft, Geburt und bisherige Entwicklung verliefen unauffällig. Das Mädchen ist mit ihrer Familie vor 2 Jahren aus Pakistan nach Deutschland gezogen. Nun hatten sich bei dem Mädchen über Monate eine zunehmend stärker werdende Muskelschwäche der unteren Extremitäten und Knochenschmerzen in den Beinen entwickelt. Der Vater berichtet zudem über Schwierigkeiten der Tochter, längere Gehstrecken zurückzulegen und Treppen zu steigen. Das Mädchen halte sich wie andere Kinder draußen an der Sonne auf, trinke keine Milch und nehme nur wenig Milchprodukte zu sich. Sie klage über keine Bauchschmerzen, der Stuhlgang sei unauffällig. Bei der körperlichen Untersuchung finden sich eine diskrete Varisierung der Unter- und Oberschenkel, aufgetriebene Handgelenke, keine Tetaniezeichen. Der Teint ist ethnisch dunkel, erscheint ein wenig blass. Der internistische und neurologische Status ist sonst unauffällig. Insbesondere zeigt sich ein unauffälliges Abdomen. Die vom Orthopäden initiierten Röntgenbilder der Kniegelenke zeigen eine Pseudoerweiterung der Epiphysenfugen, eine unscharfe metaphysäre Abschluss- platte sowie eine Verbreiterung der Metaphysen (Abb. 1). Unter dem Verdacht auf eine Knochenstoffwechselstörung erfolgt nun die Vorstellung in der Pädiatrischen Endokrinologie. In der Laboruntersuchung finden sich eine deutlich erhöhte Alkalische Phosphatase (802 U/l [normal < 300]), ein erniedrigtes anorganisches Phosphat (0,80 mmol/l [1,05 – 1,85]), ein erniedrigtes Kalzium von 1,82 mmol/l [2,2 – 2,7]) ein deutlich erhöhtes Parathormon von 263 ng/l [14 – 57]), bei einem nicht nachweisbaren 25-Hydroxy-Vitamin-D (< 5 ng/ml). Die Röntgenaufnahme der linken Hand zeigt eine ausgeprägte Becherung und Auffaserung der metaphysären Abschlussplatten (Abb. 1). Abb. 1: Röntgenaufnahmen des rechten Kniegelenkes in 2 Ebenen sowie der linken Hand bei Erstvorstellung. 170 Kinderärztliche Praxis 86, 170 – 176 (2015) Nr. 3 www.kipra-online.de Fortbildung Welche Ursache könnte für den Vitamin-D-Mangel verantwortlich sein? Insbesondere bei weiblichen Adoleszenten mit Migrationshintergrund kann es aufgrund der Hautpigmentierung und ihrer zumeist vegetarischen Ernährung ohne den Genuss von Milch in Phasen schnellen Wachstums, zum Beispiel der Pubertät, zu einer Adoleszentenrachitis kommen. Bei unserer Patientin fanden sich noch keine Pubertätshinweise, zudem muss ihre Wachstumsgeschwindigkeit über Jahre pathologisch gewesen sein, aus der ein deutlicher Kleinwuchs resultierte (117,8 cm, -3,0 SDS). Liegt der Verdacht auf eine Vitamin-D-MangelRachitis außerhalb der Phasen schnellen Wachstums (Säuglings- und Kleinkindesalter, Pubertät) vor, so ist als Ursache eine Malabsorptionsstörung, am häufigsten eine Zöliakie, auszuschließen. Einleitung Diese Kasuistik zeigt die bedeutsame Funktion des Vitamin D in der altersgerechten Mineralisation des Skelettsystems und des Körperlängenwachstums. In der Kinder- und Jugendmedizin steht das Vitamin D bisher im Wesentlichen für eine regelrechte Mineralisation des Skelettsystems. Zu den klassischen Manifestationen eines schweren Vitamin-D-Mangels zählen Rachitis, Osteomalazie, aber auch hypokalzämischer Anfall. Publikationen aus den letzten Jahren zeigen daneben aber auch extraossäre Wirkungen des Vitamin D auf. Bildung des Vitamin D Vitamin D3 wird durch die UVB-Strahlungen in den tiefen Schichten der Epidermis gebildet oder mit der Nahrung als Vitamin D3 (tierischen Ursprungs) oder Vitamin D2 (pflanzlichen Ursprungs) über den Darm aufgenommen. Vitamin D wird in der Leber zu 25-Hydroxy-Vitamin-D (25-OH-D) und anschließend im proximalen Nierentubulus zum aktiven Vitamin-D-Hormon Bei normalem Gesamt-IgA fand sich eine Transglutaminase-Antikörper-IgAKonzentration von 344 U/ml [< 10 U/ml], der Hb war mit 7 g/dl [11,2 – 14,6] deutlich erniedrigt, ebenso das MCH mit 15,6 pg [25 – 31,5], das Ferritin lag bei 7 µg/l [9 – 59]. Es konnte somit die Diagnose schwere V itamin-D-Mangelrachitis bei Zöliakie gestellt werden. Bei der Patientin liegt eine sogenannte „silente Form der Zöliakie“ vor. Dabei stehen noch keine intestinalen Symptome im Vordergrund, aber durch die pathologische Mukosa ist die Absorption bereits gestört. Die Serologie ist pathologisch. Es erfolgte Ernährungsberatung zu glutenfreier Ernährung. Zudem wurde eine medikamentöse Therapie mit 5.000 Einheiten Vitamin D sowie 3 x 500 mg Kalzium pro Tag und eine Eisensubstitution mit 100 mg für 3 Monate begonnen. Bei der ersten Kontrolluntersuchung nach 3 Wochen war das Mädchen schmerzfrei. Das Treppensteigen war schon wieder fast problemlos möglich. Das Parathormon hatte sich bereits normalisiert und die Alkalische Phosphatase war auf 518 U/l abgefallen. Nach dreimonatiger Behandlungsdauer konnte bei einem Hb von 12,4 g/dl und einem MCH von 26,8 pg die Eisensubstitution abgesetzt werden, ebenso hatten sich die Parameter des Knochenstoffwechsels wieder normalisiert. Unter der glutenfreien Ernährung lagen die Transglutaminase-Antikörper nach 2 Monaten bereits im Normbereich, zudem kam es in den Folgemonaten zu einem deutlichen Aufholwachstum (14 cm/Jahr). Das Mädchen erhält jetzt, im Alter von 11 Jahren, noch eine Prophylaxe von 1.000 Einheiten Vitamin D. 1,25(OH)2D hydroxyliert [1]. Ohne Vitamin D werden nur etwa 10 – 15 % des oral aufgenommen Kalziums intestinal absorbiert. Etwa 90 % des täglichen VitaminD-Bedarfs werden über die endogene Bildung durch die Sonnenexposition der Haut abgedeckt, ca. 10 % durch enterale Aufnahme von Vitamin D. Eine ausreichende Vitamin-D-Synthese durch die UVBStrahlung ist in unseren Breitengraden allerdings nur in den Monaten April bis September möglich [2]. Der Vitamin-D-Rezeptor wird in fast 40 Geweben exprimiert und gewährleistet dort nach Bindung des Vitamin D die Funktionsfähigkeit des entsprechenden Organs bzw. spezieller Organfunktionen. Das lokal gebildete aktive 1,25(OH)2D ist an der Regulation von etwa 200 Genen beteiligt. Da die Knochenmineralisation intrauterin vorwiegend im letzten Trimenon erfolgt, haben Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 g ein erhöhtes Risiko für eine unzureichende Mineralisation ihres Skelettsystems. Die „European Society for Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition“ empfiehlt daher eine tägliche Vitamin-D-Einnahme für diese Kinder von 800 bis 1.000 IU. Kinder und Jugendliche mit Adipositas, Malabsorptionserkrankungen (Mukoviszidose, Morbus Crohn, Zöliakie) oder Medikationen, die den Vitamin-D-Metabolismus beeinflussen, haben einen bis zu dreifach höheren Vitamin-D-Bedarf. Insbesondere weibliche Adoleszenten mit Migrationshintergrund sollen eine tägliche Prophylaxe von 1.000 bis 1.500 IU Vitamin D erhalten. Täglicher Bedarf Nach den aktuellen Empfehlungen [3] der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) beträgt der tägliche Vitamin-D-Bedarf im ersten Lebensjahr 500 IU, danach bis zum 18. Lebensjahr 800 IU Vitamin D. Kinderärztliche Praxis 86, 170 – 176 (2015) Nr. 3 www.kipra-online.de Definition des Vitamin-D-Mangels Ein Vitamin-D-Mangel liegt vor, wenn die Serumkonzentration des 25-Hydroxy-Vitamin-D kleiner als 20 ng/ml (50 nmol/l) ist. Dieser Grenzwert wurde gewählt, weil 171 Fortbildung Klinik Labor Radiologie Abb. 2: Diagnostisches Vorgehen bei Rachitisverdacht. ◾◾ Tetanie + ◾◾ progrediente Beindeformierungen AP + ◾◾ unklare Muskelschwäche Erweiterte Diagnostik Parathormon 25-OHD erniedrigt Ausschluss Malabsorption Ca /(n) PO4 /(n) Vitamin-D-Mangel-Rachitis sich gezeigt hat, dass unterhalb von 20 ng/ ml die intestinale Kalzium- und Phosphatabsorption deutlich beeinträchtig ist und es zudem zu einem kompensatorischen Anstieg des Parathormons kommt [2]. Laborchemische Definition des Vitamin-D-Mangels: 25-Hydroxy-Vitamin-D im Serum < 20 ng/ml bzw. < 50 nmol/l Der individuelle Vitamin-D-Status wird beeinflusst durch den Vitamin-DGehalt der aufgenommenen Nahrung, den Breitengrad des Aufenthaltsortes, das Ausmaß der Sonnenexposition, die Fläche der sonnenexponierten Haut, die Hautpigmentierung, den BMI sowie eine VitaminD-Prophylaxe. Der Kinder- und Jugendsurvey des Robert Koch-Instituts [4] ergab, dass bei mehr als 60 % der deutschen und bei mehr als 75 % der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein Vitamin-DMangel vorlag [5]. 172 Diagnostik Besteht der Verdacht auf einen VitaminD-Mangel, sollten die Laborparameter Alkalische Phosphatase, Serum-Kalzium, Serum-Phosphat, Parathormon, 25-Hydroxy-Vitamin-D sowie – zum Ausschluss einer Zöliakie – das Gesamt-IgA und die Transglutaminase-Antikörper bestimmt werden [1]. Bei der Rachitis handelt es sich um eine Mineralisationsstörung im Bereich der Wachstumsfuge, die zu einer Hemmung Faktoren, die den individuellen Vitamin D-Status beeinflussen Vitamin-D-Gehalt der Nahrung Aufenthaltsort/Breitengrad Sonnenexposition (Tages-/Jahreszeit, Dauer) Fläche der Hautbedeckung Hautpigmentierung Body-Mass-Index/Körperfettanteil Vitamin-D-Prophylaxe der Apoptose der hypertrophischen Chondrozyten führt. Die Diagnose basiert auf der Trias (Abb. 2): ◾◾ klinische Symptomatik (progrediente Beindeformierungen, Verdickungen der Hand- und Fußgelenke, Myopathie, Tetanie, epileptischer Anfall), ◾◾ radiologische Veränderungen (Auftreibung und Becherung der metaphysären Wachstumsfugen, verminderte Mineralisation) ◾◾ Erhöhung der Alkalischen Phosphatase (AP) im Serum. Ursachen des Vitamin-D-Mangels Die Vitamin-D-Mangel-Rachitis ist die am häufigsten vorkommende kalzipenische Rachitisform. Es gibt Alters- und Patientengruppen mit einem erhöhten Risiko für einen Vitamin-D-Mangel (Abb. 3). Gefährdet sind Frühgeborene [6], die vor der 32. Schwangerschaftswoche geboren wurden, da die überwiegende Knochenmineralisation intrauterin vorwiegend im letzten Schwangerschaftstrimenon erfolgt [7]. Zu den Risikogruppen zählen auch Säuglin- Kinderärztliche Praxis 86, 170 – 176 (2015) Nr. 3 www.kipra-online.de Fortbildung ge und Kleinkinder mit vegetarischer oder makrobiotischer Ernährung ohne Kalzium-, Vitamin-D- und Fettzusätze sowie Säuglinge, die ausschließlich gestillt werden und keine Vitamin-D-Prophylaxe erhalten (Tab. 1). In der Adoleszenz erkranken fast ausschließlich Jugendliche, die aus dem Vorderen Orient, Afrika oder Asien stammen. Risikofaktoren für diese Patientengruppe sind eine vegetarische, häufig VitaminD-arme Ernährung, die gestörte intestinale Kalziumabsorption durch eine phytat- und/oder oxalreiche Ernährung, das dunkle Hautpigment mit einer erschwerten dermalen Vitamin-D-Synthese und die geringe Sonnenexposition, unter anderem durch das Tragen von Kopftüchern [8]. Daneben kommen weitere sekundäre Ursachen des Vitamin-D-Mangels in Betracht: Gastrointestinale Erkrankungen, die mit einer Malabsorption- bzw. Maldigestionsstörung vergesellschaftet sein können Tab. 1: Vitamin-D- und Kalziumgehalt pro 1000 ml Vitamin D (IU) Ca-Gehalt (mg) Muttermilch 15 – 30 300 Adaptierte/teiladaptierte Säuglingsmilchen 360 – 480 420 – 750 Alfaré 440 540 Täglicher Bedarf 500 400 (u. a. Zystische Fibrose, Morbus Crohn, Zöliakie) oder hepatobiliäre Erkrankungen, wie zum Beispiel cholestatische Lebererkrankungen, die die Resorption des fettlöslichen Vitamin D beeinträchtigen. Patienten unter antikonvulsiver Therapie, insbesondere mit den Medikamenten Phenytoin, Phenobarbital, Carbamazepin und Valproinsäure, sollten regelmäßig eine Untersuchung ihres Vitamin-D- und Knochenstoffwechsels erhalten, können diese Substanzen doch u. a. zur erhöhten Vitamin-D-Metabolisierung, einer Hemmung der intestinalen Kalziumaufnahme, einer Osteoblasten-Aktivitätshemmung sowie zu einer renalen Tubulusstörung führen. Neben diesen Antiepileptika können aber auch Glukokortikoide, Methotrexat, Cyclosporin und Heparin die Skelettmineralisation bzw. die Knochenbildung beeinflussen. Turer et al. [9] fanden bei 6- bis 18-jährigen Kindern und Jugendlichen eine Korrelation zwischen dem Grad des Übergewichtes und der Prävalenz des VitaminD-Mangels. Die niedrigen 25-HydroxyVitamin-D-Spiegel resultieren aus einer Kombination von Inaktivität, verminderter Sonnenexposition, unzureichender Vitamin-D-Zufuhr und einem hohen Körperfettanteil. Therapie der Vitamin-D-MangelRachitis ausschließl. gestillte Säuglinge Frühgeborene Adipositas Gruppen mit Risiko für Vitamin-DMangel chronische Krankheiten Abb. 3: Risikogruppen für einen Vitamin-D-Mangel. 174 pubertierende Jugendliche (Migranten) Medikamente Bei Vorliegen der Rachitis-Trias sollte gemäß der AWMF-Leitlinie zur Behandlung der Vitamin-D-Mangel-Rachitis [10] eine Therapie mit Vitamin D und Kalzium erfolgen. Bei Manifestation im ersten Lebensmonat werden täglich 1.000 Einheiten Vitamin D für 12 Wochen gegeben, im Alter von 2 bis 12 Lebensmonaten täglich 3.000 Einheiten Vitamin D und ab dem 2. Lebensjahr 5.000 Einheiten Vitamin D pro Tag. Unbedingt erforderlich ist die gleichzeitige Gabe von Kalzium (40 bis 80 mg/ kg KG/Tag, maximal 1500 mg/Tag). Die Behandlung soll sich über einen Zeitraum von 3 Monaten erstrecken [11], dabei ist die Vitamin-D- und Kalziumdosis unbedingt am Serum-Kalzium sowie dem KalziumKreatinin-Quotienten im 2. Morgenurin zu adaptieren. Hyperkalzämische bzw. hyperkalziurische Zustände sind unter der Substitutionstherapie möglichst zu vermeiden [12]. Unter der hochdosierten Vitamin-DTherapie sollte es innerhalb von 4 Wochen Kinderärztliche Praxis 86, 170 – 176 (2015) Nr. 3 www.kipra-online.de Fortbildung Wesentliches für die Praxis . . . ◾◾ In Deutschland liegt ein endemischer Vitamin-D-Mangel vor. ◾◾ Vitamin D spielt im Kindes- und Jugendalter eine wichtige Rolle in der altersgerechten Mineralisation des wachsenden Skelettsystems. ◾◾ Säuglinge, weibliche Adoleszenten mit Migrationshintergrund sowie Patienten mit chronischen Erkrankungen sind besonders gefährdet, einen klinisch bedeutsamen Vitamin-D-Mangel zu erleiden. ◾◾ Die Expression des Vitamin-D-Rezeptors in ca. 40 Geweben weist auf extra ossäre Wirkungen des Vitamin D in diesen Organen hin. ◾◾ Im Kindes- und Jugendalter konnten in klinischen Studien bisher Effekte auf das Immunsystem nachgewiesen werde, insbesondere auf die Reduktion von Infekten. ◾◾ Weitere klinische Studien sind erforderlich, um eine generelle Vitamin D-Supplementation zu empfehlen. zu einem deutlichen Abfall des Parathormons und zu einer Normalisierung der Kalzium- und Phosphatwerte kommen. Die Alkalische Phosphatase als Ausdruck der Osteoblasten-Aktivität kann durchaus unter der Therapie initial noch einmal ansteigen. Sollten sich aber kein Abfall des Parathormons sowie keine Normali- Kinderärztliche Praxis 86, 170 – 176 (2015) Nr. 3 www.kipra-online.de sierung der Serum-Elektrolyte einstellen, so ist die Diagnose Vitamin-D-MangelRachitis zu überprüfen und eine Bestimmung des 1,25-Dihydroxy-Vitamins vorzunehmen. Differenzialdiagnostisch sind dann die hereditären Formen der kalzipenischen Rachitis in Betracht zu ziehen. Von diesen seltenen Formen ist es dann am ehesten die Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ 1, bei der Mutationen im CYP27B1Gen zu einer Enzymaktivitätsstörung der 1α-Hydroxylase führen. Dies blockiert die Bildung des aktiven Vitamin D, und es finden sich niedrige bzw. nicht nachweisbare 1,25(OH)2D-Serumspiegel [13]. Bei der Vitamin-D-abhängigen Rachitis Typ 2 führen homozygote Mutationen im Vitamin-D-Rezeptor-Gen zu einer Endorganresistenz des aktiven Vitamin D. Die Serum-1,25(OH)2D-Konzentrationen der Patienten sind dabei deutlich erhöht. 175 Fortbildung Verlauf der Rachitis Bei suffizienter Therapie kommt es nach etwa 4 – 6 Monaten zu einer radiologischen Ausheilung der Rachitis. Nach etwa 2 – 3 Jahren ist mit einem Auswachsen der Beinfehlstellung zu rechnen. In der Regel ist keine chirurgische Intervention erforderlich. Extraossäre Wirkungen des Vitamin D Das Vorhandensein von Vitamin-D-Rezeptoren in zahlreichen Organsystemen (u. a. Herz, Thymus, Lymphozyten, Leber, Lunge) lässt modulierende Einflüsse, zum Beispiel auf Autoimmunprozesse, das Entstehen von malignen Erkrankungen und das kardiovaskuläre System vermuten. Derzeit gibt es in der Pädiatrie nur wenige randomisierte kontrollierte Studien (RCT), die die vorwiegend aus epidemiologischen Untersuchungen abgeleiteten Zusammenhänge bestätigen könnten. Die vorliegenden Studien sind meist von nur kurzer Beobachtungsdauer, verwenden recht niedrige Vitamin-D-Dosen und haben oft nur kleine Fallzahlen. Urashima [14] konnte in einer in den Monaten Dezember bis März durchgeführten randomisierten placebokontrollierten Studie mit jeweils 137 japanischen Schulkindern (Alter von 8 bis 12 Jahren) in beiden Studienjahren zeigen, dass die Gefahr einer Influenza-A-Infektion bei Kindern, die 1.200 IU Vitamin D pro Tag erhielten, um 42 % geringer ist. Auch Camaro [15] fand in einer RCT-Studie bei 8- bis 12-jährigen mongolischen Schulkindern unter der Milchsubstitution mit 300 Einheiten Vitamin D in den Monaten Dezember bis März eine Reduktion der Atemwegserkrankungen um ca. 50 %. Bergmann und Koautoren fanden in einer Metaanalyse von RCTs einen protektiven Effekt von Vitamin D gegenüber Atemwegsinfekten mit einer Odds Ratio von 0,64 [16]. Eine Geburtskohortenstudie in Finnland, das zu den Ländern mit der höchsten Diabetes mellitus Typ 1–Prävalenz gehört, fand bei Probanden mit regelmäßiger Vitamin D-Supplementation im ersten Lebens- 176 jahr von 2.000 IU täglich eine Reduktion an Diabetes-mellitus-Typ-1-Erkrankungen um 88 % im Alter von 31 Jahren [17]. Als pathophysiologische Hypothese wird der Schutz der Betazelle durch Kalzitriol vor den Schädigungen der Zytokine diskutiert. Dabei kommt es unter Kalzitriol zu einer Downregulation der AG-präsentierenden Zellen (Makrophagen, den dendritischen Zellen), zur Inhibierung des Th1- Pathways, dem Abfall von Interleukin2 und Interferon-gamma bei gleichzeitiger Stimulation des Th2-Pathways (IL-4). Korrespondenzadresse Dr. Dirk Schnabel SPZ für chronisch kranke Kinder Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie Otto-Heubner-Centrum für Kinder- und Jugendmedizin Charite, Universitätsmedizin Berlin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Tel.: 0 30/4 50-66 63 43 /-56 62 42 Fax: 0 30/4 50 56 69 47 E-Mail: [email protected] Literatur 1. Schnabel D (2014) Störungen des Kalzium-Phosphat-Stoffwechsels. In: Hoffmann GF, Lentze MJ, Spranger J, Zepp F (Hrsg.) Pädiatrie – Grundlagen und Praxis, 4.Auflage, Band 1. Springer Verlag, Heidelberg, 612 – 631 2. Holick MF (2007) Vitamin D deficiency. N Engl J Med 357: 266–281 3. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) (2012) Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, 1. Aufl. Neuer Umschau Buchverlag, Neustadt a. d. Weinstraße 4. Thierfelder W, Dortschy R, Hintzpeter B, Kahl H, ScheidtNave C (2007) Biochemische Messparameter im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch -Gesundheitsschutz 50: 757 – 770 5. Hintzpeter B, Mensink GB, Thierfelder W et al. (2008) Higher prevalence of Vitamin D deficiency is associated with immigrant background among children and adolescents in Germany. J Nutr 138: 1482 – 1490 6. IOM (Institute of Medicine) (2011) Dietary Reference Intakes of Calcium and Vitamin D. Washington, DC: The National Academies Press 7. Hollis BW, Wagner CL (2004) Assessment of dietary vitamin D requirements during pregnancy and lactation. Am J Clin Nutr 79: 717 – 726 8. Wabitsch M, Koletzko B, Moß A (2011) Vitamin D-Versorgung im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Monatsschr Kinderheilkd 159: 1 – 7 9. Turer CB, Lin H, Flores G (2013) Prevalence of Vitamin D Deficiency Among Overweight and Obese US Children. Pediatrics 131: e152 – e161 10. AWMF-LL-Register Reg.-Nr. 027/037 Vitamin-D-MangelRachitis 11. Misra M, Pacaud D, Petryk A, Collett-Solberg PF, Kappy M (2008) Vitamin D deficiency in children and its management: review of current knowledge and recommendations. Pediatrics 122: 38 – 417 12. Schlingmann KP, Kaufmann M, Weber S, Irwin A, Goos C et al. (2011) Mutations in CYP24A1 and idiopathic infantile hypercalcemia. N Engl J Med 365: 410 – 421 13. Kitanka S, Takeyama KJ, Murayama A et al.(1998) Inactivating mutations in the 25-hydroxyVitamin D3 1-hydroxylase gene in patients with pseudoVitamin-D-deficiency rickets. N Engl J Med 338: 653 – 661 14. Urashima M, Segawa T, Okazaki M, Kurihara M, Wada Y, Ida H (2010) Randomized trial of vitamin D supplementation to prevent seasonal influenza A in schoolchildren. Am J Clin Nutr 2010; 91: 1255 – 60 15. Camaro CA, Ganmaa D, Frazier L, Kirchberg FF, Stuart JJ et al. (2012) Randomized Trial of Vitamin D Supplementation and Risk of Acute Respiratory Infection in Mongolia. Pediatrics 130: e561 – e567 16. Bergman P, Lindh AU, Björkhem-Bergman L, Lindh JD (2013) Vitamin D and Respiratory Tract Infections: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. PLoS ONE 8(6): e65835 17. Hypponen E, Läära E, Reunanen A, Järvelin M, Virtanen SM (2001) Intake of vitamin D and risk of type 1 diabetes: a birth-cohort study. Lancet 58: 1500 – 1503 Kinderärztliche Praxis 86, 170 – 176 (2015) Nr. 3 www.kipra-online.de
© Copyright 2024 ExpyDoc